Kunst der Begegnung - Quarch Christoph - E-Book

Kunst der Begegnung E-Book

Quarch Christoph

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Beschreibung

In seinem eBook "Die Kunst der Begegnung" philosophiert Dr. Christoph Quarch über den Sinn, die Aufgaben sowie die Meisterschaften der Sozialen Arbeit, die er als „Arbeit von Menschen an Menschen“ bezeichnet. „Sie ist eine Kunst der Begegnung: die Kunst, Beziehung so zu gestalten, dass Menschen darin ihre Lebendigkeitspotenziale entfalten und an Leib und Seele wachsen oder auch gesunden können". Christoph Quarch ist sich um die Wichtigkeit und kommunikative Dimension dieses Themas sehr bewusst. Darum wird der Text in einer deutlich interaktiveren Form auch zusätzlich als APPBOOK veröffentlicht – das Käufer*innen dieses eBooks kostenfrei dazu erhalten. (Im eBook finden Sie hierzu weitere Infos.) APPBOOKs sind lebendige Bücher, die mit Aktualisierungsfähigkeit, multimedialen Inhalten sowie einer Dialogfunktion (Chat) zwischen Mitlesenden und dem Autor ein neuartiges Lesen ermöglichen. Abonnent*innen des APPBOOKs zur Sozialen Arbeit profitieren überdies, da Christoph Quarch das Werk halbjährlich um einen weiteren Band ergänzt und somit stets aktuelle Inhalte bietet und sich auch im Buchchat stets interessante Dialoge und neue Sichtweisen ergeben. Der Buchinhalt (in eBook wie auch im APPBOOK) regt Lesende dazu an, ihre eigenen Taten reflektiv zu betrachten und zu analysieren. Zudem veranschaulicht Christoph Quarch die Soziale Arbeit, als Bindeglied zwischen menschlichen Beziehungen, an vielen praxisnahen Beispielen. „Kunst der Begegnung“ besteht aktuell (Stand September 2021) aus 4 Büchern, die sich mit folgenden Themen befassen, wie: 1. Die Kunst der Begegnung / 2. Achtsamkeit, Respekt und Hören / 3. Vertrauen, Verlässlichkeit und Treue / 4. Verantwortung und Entschlossenheit.

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Autor und Herausgeber: Christoph Quarch

"Ich bin Philosoph aus Leidenschaft. Seit mir als jungem Mann ein Büchlein mit »Platons Meisterdialogen« in die Hand fiel, beseelt mich eine glühende Liebe (philia) zur Weisheit (sophia), die ich als Weg zu einem erfüllten und lebendigen Leben verstehe. Als Bestsellerautor, Redner, ZEIT-Reiseleiter/-veranstalter, Sinnstifter und Denkbegleiter für Unternehmen greife ich zurück auf die großen Werke der abendländischen Philosophie, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen."

Verlag: INNOLIBRO GmbH

ISBN:

Buchcover: Konzeption und Gestaltung: INNOLIBRO GmbH (Gregor Pchalek und Bastian Schütz)

Veröffentlichungsdatum: 25.08.21

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Einleitung

Am Anfang aller Meisterschaft steht das Verstehen: das Verstehen dessen, was man tut. Verstehen, was man tut, heißt mehr als bloß beschreiben können, was man tut. Wer versteht, hat nicht nur eine Antwort auf die Frage, was er tut, sondern weiß auch zu sagen, warum er es tut. Wer etwas versteht, hat dessen Sinn erschlossen. Und wer um den Sinn des eigenen Tuns weiß, wird auch in der Lage sein, diesen Sinn in seinem Tun zu erfahren. Das wiederum ist die Voraussetzung dafür, das eigene Tun als erfüllend und beglückend zu erfahren: darin aufzugehen, zu erblühen und sich wohl zu fühlen. Wer sein Tun als gut und sinnvoll erlebt, wird es darin nicht nur zur Meisterschaft bringen, sondern es wird ihm zugleich zu einer Quelle der Lebendigkeit und Lebensfreude.

Am Anfang des Verstehens steht das Fragen: das Fragen danach, was es ist, was man da tut; oder der Appell, sich selbst in seinem Tun daraufhin zu befragen, was daran das Wesentliche ist. Als die die europäische Kultur im alten Griechenland ihren Anfang nahm, gab den Anstoß ein Appell: "Erkenne dich selbst!" So stand es geschrieben an der Wand des großen Tempels des Apollon in dem Städtchen Delphi, wohin Tausende von ratsuchenden Pilgern zogen, um das dortige Orakel zu befragen. Was diese Worte zu bedeuten hatten, ist nicht schwer zu sehen: Wer erkennen möchte, was ein Mensch zu tun oder zu lassen hat, muss sich zunächst selbst befragen: nicht im Blick auf seine privaten Wünsche und Interessen, sondern im Blick darauf, wer er seinem Wesen nach ist - was es heißt, ein Mensch zu sein. 

Denn nur wer das begriffen hat, wird ein gutes Leben führen können. Nur wer weiß, was ein wesentliches, wahres und sinnerfülltes Menschsein ist, wird es zu jener Meisterschaft des Menschseins bringen, die die Griechen Weisheit nannten. Nur wer es zur Meisterschaft des Menschseins bringt und den Sinn des Menschenlebens verstanden hat, wird Erfüllung, Glück oder Lebendigkeit erfahren. So dachten die alten Griechen - und erschufen aus diesem Denken heraus ihre unvergleichliche Kultur.

"Erkenne dich selbst!" Der Appell klingt durch die Zeiten. Nicht als ein Gebot oder als eine Forderung; sondern als Einladung zu einem guten sinnerfüllten Leben - und ebenso als Einladung zu einer guten, sinnerfüllten Lebenspraxis; auch in der sozialen Arbeit. Denn in jedem Teilbereich des Lebens gilt: Wer sein eigenes Tun und Arbeiten als sinnvoll und bejahenswert erleben möchte, wer mit Freude und Begeisterung seiner Arbeit nachzugehen wünscht, ist gut beraten, sich die Frage vorzulegen: Was ist das eigentlich, was ich täglich tue? 

Das gilt auch für die soziale Arbeit. Wem es darum zu tun ist, sie als eine sinnvolle und erfüllende Praxis zu erleben, der tut gut daran, über einige zentrale Fragen nachzudenken: Gibt es so etwas wie ein Wesen der sozialen Arbeit - und wenn ja: Was ist es? Was ist eigentlich der Sinn sozialer Arbeit? Woran muss ich mich orientieren, wenn ich meine soziale Arbeit als etwas Gutes und Sinnvolles erleben möchte? Was muss ich verstanden haben, wenn ich verhindern möchte, dass ich die Lust und Freude an meiner sozialen Arbeit verliere - oder schlimmstenfalls unter ihr zu leiden beginne?

Sinn und Freude bei der sozialen Arbeit wird man nun erfahren, wenn man Antworten auf diese Frage geben kann: theoretisch und praktisch, mit Worten und Werken. In beidem zusammengenommen liegt die Meisterschaft sozialer Arbeit. An ihrem Anfang steht das Verstehen dessen, was soziale Arbeit ist. Und am Anfang des Verstehens steht die Frage nach dem Wesen der sozialen Arbeit. 

Dieser Frage sollte niemand, der im Bereich sozialer Arbeit tätig ist, ausweichen - nicht, weil er mit ihr sein Tun optimieren oder perfektionieren könnte; sondern weil er sich auf diese Weise den Schlüssel zum Sinn seines Tuns aneignen wird; weil er auf diese Weise die Voraussetzung dafür schaffen kann, seine Arbeit als sinnstiftend und erfüllend zu erleben. Und genau das tut Not in einer Zeit, in der es keineswegs mehr selbstverständlich ist, dass Menschen im Bereich sozialer Arbeit Glück und Erfüllung finden. Denn es ist eine traurige Tatsache, dass immer mehr Menschen unter ihrer Arbeit leiden oder bei ihrer Arbeit krank werden. Nicht nur, aber auch - und zwar mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit - im Bereich sozialer Arbeit.

Tatsächlich beobachten die Krankenversicherer in Deutschland seit den frühen 2000er Jahren einen kontinuierlichen Anstieg psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt. Zu den Hauptrisikogruppen gehören dabei Sozialarbeitende, Krankenpfleger(innen) und Sozialpädagog(inn)en. Symptomatiken wie Burn-out oder Depression sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Unzufriedenheit, innere Kündigung oder auch Suchtproblematiken, vor allem Alkoholerkrankungen, greifen in sozialen oder Pflegeberufen ebenfalls um sich. Das ist alarmierend. Dagegen muss man etwas unternehmen. Aber was?

Nach den Erkenntnissen der Burn-out-Forschung entstehen psychische Erkrankungen bei der Arbeit nicht allein durch Überlastung und Überanstrengung, sondern vornehmlich dann, wenn Überlastung und Überanstrengung mit Sinnverlust einhergehen. Was heißt das? Es heißt ein Doppeltes: Einerseits hat man es mit Sinnverlust zu tun, wenn man etwas tut, von dem man nicht mehr weiß, warum man es tut; andererseits tritt Sinnverlust auf, wenn die Parameter und Kriterien, nach denen man sein Tun bewertet, unklar werden. Auch das kann wiederum zweierlei Ursachen haben: Entweder man kommt nicht klar mit den Parametern, nach denen das eigene Tun von außen beurteilt wird; oder man kommt nicht klar mit den Parametern, die für einen selbst bei der Wertung des eigenen Tuns maßgeblich sind. 

Der erstgenannte Fall tritt im Bereich sozialer Arbeit häufig auf. Er liegt überall dort vor, wo soziale Arbeit ausschließlich ökonomischen Kriterien wie Effizienz, Funktionalität, Produktivität oder Profitabilität unterworfen ist. Wo dies geschieht verliert die soziale Arbeit ihren Eigenwert. Sie wird ihres ursprünglichen Sinnes entfremdet und entfernt sich von ihrem Wesen. Tatsächlich wird jede Form sozialer Arbeit unwesentlich, wenn sie auf eine professionsfremde Funktionalität reduziert wird, die den Sinn sozialer Arbeit ausblendet.

Wo Sozialarbeitende ihre Arbeit als unwesentlich erleben, braucht man sich nicht zu wundern, wenn sie innerlich kündigen oder durch ihre Arbeit psychisch erkranken; zumal dann, wenn infolge der Ökonomisierung sozialer Arbeit in den Einrichtungen der Kostendruck stetig zunimmt und die zeitlichen Ressourcen immer knapper werden. Nicht zufällig wurden bei einer Umfrage unter Sozialarbeitenden aus dem Jahr 2012 als Hauptgründe für die Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit "Sparmaßen und deren Auswirkungen" sowie die "Zunahme von Verwaltungsaufgaben" genannt.

Der zweitgenannte Fall liegt vor, wo Sozialarbeitende in ihrem professionellen Selbstverständnis problematischen, fragwürdigen oder unzureichenden Konzepten folgen. Dieses Problem resultiert nicht so sehr aus einem Wandel der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen sozialer Arbeit, sondern aus den Konzepten und Theorien ihrer wissenschaftlichen Durchdringung. Seit deren Anfang in den 1970er Jahren lässt sich unter den Theoretikern ein Diskurs über das professionelle Selbstverständnis sozialer Arbeit verfolgen, der in immer neuen Variationen zwischen zwei konkurrierenden Deutungen kreist: einem eher ?traditionellen? Verständnis sozialer Arbeit im Sinne einer moralisch motivierten und engagierten Hilfeleistung einerseits und einem eher ?modernen? Konzept sozialer Arbeit als rational organisierter und funktionaler Dienstleistung andererseits. Beide Theorien sind weitverbreitet, tragen aber häufig dazu bei, dass Sozialarbeitende an ihrer Arbeit verzweifeln.

Angesichts der alarmierenden Burn-out-Quote im Bereich sozialer Arbeit ebenso wie vor dem Hintergrund ihrer flächendeckenden Ökonomisierung herrscht heute eine beunruhigende Unklarheit im professionellen Selbstverständnis sozial arbeitender Menschen. Deshalb ist es für das Gelingen sozialer Arbeit von größter Bedeutung, die Frage nach dem Wesen sozialer Arbeit in aller Klarheit zu stellen, zu diskutieren und zu beantworten. Denn ein klares und stimmiges professionelles Selbstverständnis der sozial Arbeitenden ist die Grundlage nicht nur für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten und Klienten, sondern ebenso für den menschlichen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Erfolg sozialer Einrichtungen. 

Der Wiener Psychologe und Psychiater Viktor E. Frankl (1905-1997) notierte einmal: "Der Wille zum Sinn bestimmt unser Leben! Wer Menschen motivieren will und Leistung fordert, muss Sinnmöglichkeiten bieten." Frankl wusste, wovon er spricht. Nicht nur seine langjährige therapeutische Praxis, sondern vor allem die leidvolle Erfahrung seiner Internierung im Konzentrationslager schwingt mit, wenn er an anderer Stelle bemerkte: "Wer um einen Sinn seines Lebens weiß, dem verhilft dieses Bewusstsein mehr als alles andere dazu, äußere Schwierigkeiten und innere Beschwerden zu überwinden."

Ebenso lässt sich sagen: Wer um den Sinn sozialer Arbeit weiß, dem verhilft dieses Bewusstsein mehr als alles andere dazu, die äußeren Schwierigkeiten und inneren Unklarheiten dieser Profession zu überwinden. Deshalb geht es hier darum, ein stimmiges, sinnstiftendes und wesentliches professionelles Selbstverständnis sozialer Arbeit zu entdecken. 

So fragen wir also: Was ist das Wesen sozialer Arbeit? Worin besteht die Meisterschaft oder Kunst sozialer Arbeit? Mögliche Antworten, die im Folgenden näher ausgeführt und begründet werden sollen, lauten: 

Soziale Arbeit ist Arbeit von Menschen an Menschen.Soziale Arbeit ist Beziehungsarbeit.Die Meisterschaft sozialer Arbeit ist die Kunst der Begegnung.

Daraus ergeben sich drei zentrale Fragen:

Wer ist der Mensch?Was ist Beziehung?Wie gelingt Beziehung bzw. was ist Begegnung? 

Beginnen wir mit der ersten Frage und wenden uns dem Thema Arbeit von Menschen an Menschen zu. Wir fragen deshalb: Wer ist der Mensch?

Teil 1: Wer ist der Mensch?

Wir hörten es bereits: Die Frage nach dem Wesen des Menschen ist so alt wie unsere Kultur, sofern sie ihren Ursprung im antiken Griechenland nahm. Dort standen im Heiligtum von Delphi die meist zitiertesten Worte der Antike eingemeißelt: "Erkenne dich selbst!" - Worte, die von den griechischen Denkern und Interpreten stets gelesen wurden als eine Frage: "Mensch, wer bist du?"

Bewusstsein

Bemerkenswert daran ist, dass die Frage "Mensch, wer bist du?" ihre Antwort bereits in sich trägt: Der Mensch ist das Wesen, das sich befragen kann. Der Mensch ist das Wesen, das sich erkennen kann. Das hat einen einfachen Grund: Anders als alle anderen Wesen verfügt der Mensch über Bewusstsein, genauer: über Selbstbewusstsein. Er ist das selbstbewusste Wesen. Das heißt: Der Mensch ist das Wesen, das sich zu sich selbst verhalten kann und muss. Es ist unser Privileg, dass wir nicht einfach nur so vor uns hin leben, sondern die Möglichkeit haben, ein Leben zu führen. 

Auf vortreffliche Weise hat der Philosoph Martin Heidegger (1889-1976) diesen Tatbestand herausgearbeitet. Um ihm Rechnung zu tragen, hat er für das Menschsein den Begriff "Dasein" eingeführt. Heidegger erläutert ihn wie folgt:

"Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seienden vorkommt. Es ist vielmehr dadurch [?] ausgezeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um dieses Sein selbst geht. Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, dass es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat. Und dies wiederum besagt: Dasein versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein." (Martin Heidegger, Sein und Zeit)

Dasein ist Sein, das sich zu sich selbst verhalten kann. Und der Mensch, dessen Sein das Dasein ist, ist das Wesen, das in Beziehung zu sich selbst steht: das Wesen, das sich selbst begegnen kann und muss.

Damit wird die Sache kompliziert. Denn nun tun sich weitere Frage auf: Wie begegnet der Mensch sich selbst? Wer begegnet dabei wem? Bleiben wir zunächst bei der ersten Frage. Denn die Antwort kennen wir bereits: Wir begegnen uns selbst in unserem Bewusstsein, unserem Selbstbewusstsein. Schwieriger steht es um die Antwort auf die zweiten Frage: Wem begegnen wir, wenn wir uns zu uns selbst verhalten? Wer ist dieses "Selbst", dessen wir uns im Selbstbewusstsein bewusst sind? 

Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach, sondern vierfach. Menschen sind komplexe Wesen, die sich selbst in vier Dimensionen begegnen können. Der Begriff der Dimensionen ist dabei bewusst gewählt. Was es mit Dimensionen auf sich hat, können wir uns mit Hilfe eines Bildes veranschaulichen.

Dafür müssen wir uns für einen Augenblick an den Schulunterricht in Geometrie erinnern. Damals lernten wir, dass man an einem räumlichen Objekt unterschiedliche Dimensionen aufweisen kann und muss, um es zu verstehen. Nehmen wir als Bespiel einen Würfel: Um einen Würfel zu verstehen, müssen wir an ihm vier Dimensionen unterscheiden. Wichtig ist, dass wir uns dabei klar machen, dass diese Dimensionen unterschiedliche Dimensionen des einen Würfelssind, die wir alle gleichermaßen brauchen, um das eine Wesen des Würfels vollständig erfassen zu können. 

Diese vier Dimensionen des Würfels kann man sich am besten vor Augen führen, indem man ihn konstruiert. Dafür benötigt man zunächst eine Linie. Damit öffnet sich die erste Dimension:

Erste Dimension: die Linie

Sodann müssen wir vier Linien zu einem Quadrat verbinden, um auf diese Weise den Schritt in die zweite Dimension zu wagen: die Fläche:

Zweite Dimension: die Fläche

Den Schritt aus der zweiten Dimension der Fläche in die dritte Dimension der Tiefe vollziehen wir, in dem wir aus sechs Flächen einen Würfel zusammenbauen: 

Dritte Dimension: die Tiefe

Nun haben wir den Würfel konstruiert. Der Würfel ist seinem Wesen nach dreidimensional, aber zu diesem seinem Wesen gehören die erste und die zweite Dimension unbedingt dazu. Ohne Linien und Flächen kein Würfel. Aber der Würfel ist mehr und komplexer als nur Linien und Flächen: Er ist räumlich, hat Tiefe. Das weist uns darauf hin, dass es noch eine weitere, eine vierte Dimension gibt, die wir bedenken müssen, wenn wir den Würfel hinreichend beschreiben wollen: den Raum. Er ist in unserem Beispiel repräsentiert durch das weiße Blatt Papier, auf dem wir den Würfel konstruierten. 

Vierte Dimension: der Raum

Ohne dieses leere Blatt wäre unsere Konstruktion nicht möglich gewesen. Ebenso braucht es den leeren Raum, um einen dreidimensionalen Würfel darin verorten zu können. Denn der dreidimensionale Würfel selbst ist - wie wir soeben sagten - räumlich: er ist durch Linien und Flächen definierter, bestimmter Raum; ein bestimmter Raum, den es nur gibt, weil es zuvor immer schon den unbestimmten, leeren Raum (der vierten Dimension) gegeben hat. Wir halten also fest: Ein Würfel ist ein dreidimensionales Objekt, an dem vier Dimensionen erkennbar und verstehbar sind: Linie, Fläche, Tiefe, Raum. 

Dieses vierdimensionale Modell übertragen wir nun auf uns Menschen. Denn die These lautete: Auch der Mensch kann (und muss) sich, wenn er sich zu sich selbst verhält, in vier Dimensionen ansprechen oder auch erfahren. Welche Dimensionen sind das?

Leib

In seinem Buch "Phänomenologie der Wahrnehmung" schreibt der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty (1908-1961):

"Wenn ich über das Wesen der Subjektivität nachdenke, stelle ich fest, dass es an das Wesen des Leibes und das Wesen der Welt gebunden ist, weil meine Existenz als Subjektivität eins ist mit meiner Existenz als Leib und mit der Existenz der Welt, und letztlich das Subjekt, das ich bin, konkret genommen untrennbar ist von diesem Leib hier und dieser Welt hier."

Was Merleau-Ponty damit sagen will, ist: Wir Menschen haben nicht nur einen Körper, wir sind auch unser Leib.Und dieser physische Leib - unser Fleisch und Blut - verbindet uns mit allem anderen Leben, d.h. mit der Natur. Denn alles natürliche Leben ist inkarniert: besteht aus materiellen Zellen und west als Körper. Leben ist immer auch leiben. Nicht-leibliches Leben gibt es nicht. So gesehen ist der Leib grundlegend und basal, auch für das Menschenleben. Und er ist so grundlegend und basal, wie die Linie für die Konstruktion des Würfels. Wir erinnern uns: Ohne Linie kein Würfel. Ebenso gilt: Ohne Leib kein Mensch. Menschsein heißt leiblich sein. Der Mensch leibt und lebt.

Jedoch ist der Leib in unserem Bewusstsein meist nur untergründig präsent. Unsere Sprache spiegelt diesem Umstand, indem sie uns zu dazu verleitet zu behaupten, dass wir wohl einen Körper haben nicht aber unser Leib sind. So liegt es uns ganz nahe, den Körper als ein Objekt zu deuten, das wir nach Belieben nutzen, pflegen, nähren, waschen, üben, trainieren, optimieren, perfektionieren etc. können.

Wir sind nicht unser Körper, denken wir. Und deshalb erscheint es uns befremdlich, wenn ein Denker wie Friedrich Nietzsche (1844-1900) sagt: "Leib bin ich ganz und gar, und Nichts ausserdem".