Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Kurt Tucholsky - E-Book

Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke E-Book

Kurt Tucholsky

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Beschreibung

»Soldaten sind Mörder« - Kurt Tucholsky Kurt Tucholsky war gleichzeitig Chronist seiner Zeit und Leidender an derselben. Einer Zeit zwischen den Weltkriegen, die in Deutschland geprägt war von Militarismus, Obrigkeitsdenken und gnadenloser Ausbeutung der Unterschicht. Wer mehr über unsere Gegenwart wissen will, muss den vergangenen Tucholsky lesen. Sein Werk hat leider nichts, absolut nichts, von seiner Relevanz eingebüßt. Wer die Texte liest, wird sie sofort verstehen, sie bedürfen keiner geschichtlichen oder sozialen Erläuterung. Warnung: Nur in geringen Mengen einnehmen, sonst droht eine Überdosis an schmerzhafter Realität. Mit den wichtigsten Reportagen, Glossen, Gedichten und seinem Roman »Schloß Gripsholm« - jede Generation verdient es, diesen Mahner für sich zu entdecken. - Schloß Gripsholm - Das Lottchen - Rheinsberg - Was darf Satire? - Einer pfeift sich einen - Jonathan's Wörterbuch - Die fünfte Jahreszeit u.a. 300 Werke auf 1200 Seiten - mit einem Aufsatz zu Leben und Werk. Null Papier Verlag

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Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke

Romane, Aufsätze & Artikel

Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke

Romane, Aufsätze & Artikel

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954185-21-4

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Das Buch

Kurt Tuchols­ky -- Le­ben und Werk

Ei­gen­hän­di­ge Vita Tuchols­kys

Ro­ma­ne & No­vel­len

Das Lott­chen

Schloß Grips­holm

Rheins­berg

Lour­des

Auf­sät­ze & Ge­schich­ten

Was darf Sa­ti­re?

Ber­lin! Ber­lin!

Die Katz

Der Pri­mus

Herr Wen­dri­ner er­zieht sei­ne Kin­der

Gruß nach vorn

Nie al­lein

Was ma­chen Men­schen, wenn sie al­lein sind?

You­sa­na-wo-bi-rä­bi­dä­bi-dé?

Be­fürch­tung

Zur so­zio­lo­gi­schen Psy­cho­lo­gie der Lö­cher

Welt­bild, nach in­ten­si­ver Zei­tungs­lek­tü­re

Der Mensch

Kur­zer Abriß der Na­tio­nal­öko­no­mie

Partei­wirt­schaft

Ero­ti­sche Fil­me

Halt auf dem Fel­de

Die Kunst, rich­tig zu rei­sen

Tou­rist

Das Stun­den­kon­to

Wo sind mei­ne Schuh­leis­ten --?

Ein­fahrt

Der Rei­se­gott Zip­pi

Das El­tern­haus

Die Her­ren Zu­hö­rer

Der ver­spiel­te Mann

Ent­hül­lung

Ein Glas klingt

Der An­de­re

Der Bahn­hofs­vor­ste­her

Ei­ner pfeift sich einen

Das mensch­li­che Pa­ris

»Ah, M...!«

»Ah -- ça ...!«

Die Rue Mouf­fe­tard

Der Ruf auf der Stra­ße

Das Sie­ben­te

Der Erb­feind

In der Ho­tel­hal­le

Das kon­ser­va­ti­ve Pa­ris

Vom Ur­laub zu­rück

Jo­na­thans Wör­ter­buch

Brot mit Trä­nen

Re­gen­schwe­re Pau­se

Mär­chen

Aus dem Är­mel ge­schüt­telt

Ge­brauchs­an­wei­sung

Ich möch­te Stu­dent sein

Die Zeit­brem­se

Wir hät­ten sol­len ...

Ber­li­ner auf Rei­sen

Le »Lied«

Um­zug

Fête du Trô­ne

Die Stadt der Be­zie­hun­gen

Der An­hän­ger

Du hast ein Bett

Der Beicht­zet­tel

Aus­flug zu den rei­chen Leu­ten

Lie­ber Ja­kopp!

Eaux-Bon­nes

Cir­que de Ga­var­nie

Cau­te­rets

Pic du Midi

Von Barè­ges bis Ar­reau

Die Tä­ler

Drei Tage

Die Re­pu­blik An­dor­ra

Das Fort

Fran­zö­si­sche Pro­vinz

Ab­schied von den Py­re­nä­en

Drei auf dem Bo­den­see

Rei­se in die klei­ne Stadt

Mar­seil­le

Eine schö­ne Dä­nin

Die »dum­men« Schwe­den

Der Markt des Schwei­gens

Die bei­den Fla­schen

»Nein -- mei­ne Sup­pe ess ich nicht--!«

Lie­bes­paar in Lon­don

Heim­weh nach den großen Städ­ten

Ab 12.46 Uhr

Das ver­zau­ber­te Pa­ris

Der 14. Juli

Pa­ri­ser Ge­denk­ta­feln

Wer kennt Oden­wald und Spess­art?

Fahrt ins Glück

Auf der Ree­per­bahn nachts um halb eins

»Pots­dam --!«

Die Maul­pa­trio­ten

Ko­lum­nen & Ar­ti­kel

Der be­wach­te Kriegs­schau­platz

Die Re­dens­art

Ein Ehe­paar er­zählt einen Witz

Der Floh

Das Stim­men­ge­wirr

Viel zu fein!

Es ist heiß in Ham­burg

Pau­se auf dem Töpf­chen

Es gibt kei­nen Neuschnee

Lee­re

Zeu­gung

Vor­gang beim Trep­pen­stei­gen

Ge­sicht

Die Wan­zen

Traum

Die fünf­te Jah­res­zeit

Alte Welt­büh­nen

Wal­len­stein und die In­ter­es­sen­ten

Der Bär tanzt

Der Brief

Die Be­loh­nung

Die Mu­si­ka­li­schen

Har­fen­ju­li­us Kla­bund

Kri­tik mit Nach­satz

Tol­lers Pub­li­kum

Le­bens­ge­schich­te ei­nes Re­bel­len

Bau­ern, Bon­zen und Bom­ben

Der Pro­zess

Der Un­ter­tan

Quaquaro

Die Ly­rik der An­ten­nen

Lam­pen­fie­ber

Der Mann am Schlag­zeug

Die Ta­bel­le

Kochre­zep­te

Fa­bel

Was wäre, wenn ...?

Ge­gen den Strom

Ein Brief­wech­sel

Jus­ti­tia schwooft!

Die Reichs­wehr

Vi­si­on

Klei­ne Be­ge­ben­heit

Vor Ver­dun

Ei­nes aber

Früh­lings­vor­mit­tag

Frau­en sind ei­tel. Män­ner? Nie --!

Drei Ge­ne­ra­tio­nen

Man muß dran glau­ben

Drei Bio­gra­phien

Die Kunst, falsch zu rei­sen

Wie wer­den die nächs­ten El­tern?

...das Geld aus dem Fens­ter!

Wa­rum ei­gent­lich?...

Die Ehe­ma­li­ge

Wie al­tern die --?

Af­fen­kä­fig

Nur

Die Apo­the­ke

Zwei Kä­fi­ge

Im Tun­nel

Les Abat­toirs

Hin­ter der Ve­nus von Milo

Der Platz im Pa­ra­die­se

Tote Stadt und le­ben­de Stei­ne

Al­ter Bur­gun­der wird ver­stei­gert

Stier­kampf in Bayon­ne

Zwei Klös­ter

Saint-Jean-Pied-de-Port: Die Bas­ken

Pau

Über Na­turauf­fas­sung

Al­lein

Auf der Wie­se

Ei­ner aus Albi

Dank an Frank­reich

Ri­vie­ra

In der Ge­burts­stadt Fra­go­nards

1372 Fahr­rä­der

Kof­fer aus­pa­cken

Win­dro­se

Das falsche Pla­kat von Pa­ris

Aus­flug nach Ro­bin­son

Klei­ne Sta­ti­on

Das Elend mit der Spei­se­kar­te

Ly­rik

Die Frau spricht

Eine Frau denkt

Die Nach­fol­ge­rin

La­men­to

Ehe­krach

Es ist

Träu­me­rei auf ei­nem Ha­vel­see

Der Lenz ist da!

Se­xu­el­le Auf­klä­rung

Die arme Frau

An die Mei­ni­ge

Mit dem Wei­nin­ger

An ih­ren Papa

Par­kett

Ver­sun­ke­nes Träu­men

Wi­der die Lie­be

Psy­cho­ana­ly­se

An die Ber­li­ne­rin

Da­nach

Ge­sang der eng­li­schen Chor­kna­ben

Sta­tio­nen

Wenn eena je­born wird

Luft­ver­än­de­rung

Park Mon­ceau

Die Schwei­gen­de

Sie schläft

Lie­bes­paar am Fens­ter

Start

Auf ein Kind

Ein­kehr

Zwei See­len

Zucker­brot und Peit­sche

Kar­rie­ren

Deut­sche Rich­ter von 1940

Ge­duld

War­te nicht!

Ber­li­ner Herbst

Ein nach­denk­li­cher Zuschau­er

Singt Ee­ner Uffn Hof

Me­dia in vita

Wenn eena dot is

Wo ist der Schnee...

Ber­li­ner Bäl­le

Wenn ei­ner eine Rei­se tut...

Schö­ner Herbst

Spa­zier­gän­ge ei­nes Ber­li­ners

An den deut­schen Mond

Chan­son

Kar­ten­gruss aus dem En­ga­din

Das Lä­cheln der Mona Lisa

Place des Vos­ges

Pa­ri­ser Dank­ge­bet

Der Rhein und Deutsch­lands Stäm­me

An das Pub­li­kum

Fra­ge

In al­ler Eile

Auf­ge­wach­sen bei ...

Frau­en von Freun­den

Pfei­fen an­rau­chen

Ge­füh­le

Die­se Häu­ser

Häu­ser

Au­gen in der Groß-Stadt

Im Kä­fig

Das Heil von au­ßen

50% Bür­ger­krieg

Zwi­schen den Schlach­ten

Bei uns in Eu­ro­pa

Fro­he Er­war­tung

Ra­thenau

So­zi­al­de­mo­kra­ti­scher Par­tei­tag

Russ­land

An das Baby

Mo­no­log mit Chö­ren

Glück im Un­glück

Spa­ni­sche Krank­heit?

Ge­bet für die Ge­fan­ge­nen

Was kos­ten die Sol­da­ten

Olle Ka­mel­len?

Hopp­la, Kur­ve! Ach­tung, Lie­be!

Der and­re Mann

Ne­ben­an

Bal­la­de

Kino pri­vat

Sie, zu ihm

Mal­wi­ne

Con­fes­sio

Schwe­re Zeit

Der Stim­mungs­sän­ger

Das Lied von der Gleich­gül­tig­keit

Wie mans macht ...

Nichts an­zu­zie­hen --!

Uner­le­dig­te Kon­ten

Im­mer

Dies & Das

Schnip­sel und Zi­ta­te

Alle Welt sucht

Schnip­sel

Fi­gu­ren

In­dex

Dan­ke

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Das Buch

Kurt Tuchols­ky zähl­te in der Zeit zwi­schen den Welt­krie­gen zu den wich­tigs­ten und hell­sich­tigs­ten deut­schen Pub­li­zis­ten. Er ver­fass­te nicht nur po­li­ti­sche Ar­ti­kel, Re­por­ta­gen, Re­zen­sio­nen, Sa­ti­ren und Glos­sen, son­dern auch Ge­dich­te so­wie Er­zäh­lun­gen und so­gar Tex­te für Lie­der und das Ka­ba­rett.

*

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Kurt Tucholsky -- Leben und Werk

LEBEN

Kurt Tuchols­ky wur­de am 9. Ja­nu­ar 1890 in Ber­lin-Moa­bit ge­bo­ren. Sein Va­ter war ein jü­di­scher Bank­kauf­mann und so er­folg­reich, dass er 1905 nach sei­nem Tod der Fa­mi­lie, die aus Kurt, sei­nen bei­den jün­ge­ren Ge­schwis­ter Fritz und El­len so­wie sei­ner Mut­ter Do­ris be­stand, ein be­trächt­li­ches Ver­mö­gen hin­ter­ließ. Be­flü­gelt von der fi­nan­zi­el­len Si­cher­heit be­gann Kurt Tuchols­ky 1909 nach dem Abi­tur ein Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft in Ber­lin. Wäh­rend des Stu­di­ums ver­fass­te Tuchols­ky jour­na­lis­ti­sche Ar­ti­kel -- un­ter an­de­rem für die SPD-Zei­tung »Vor­wärts« -- und war da­mit so er­folg­reich, dass er auf die ers­te ju­ris­ti­sche Staats­prü­fung -- und da­mit auf eine Tä­tig­keit als An­walt -- ver­zich­tet. Den­noch pro­mo­vier­te Tuchols­ky und er­rang 1915 den ju­ris­ti­schen Dok­tor­ti­tel.

We­nig spä­ter muss­te Tuchols­ky sich im Ers­ten Welt­krieg als Sol­dat an der Ost­front ver­din­gen. Um dem Dienst in den Schüt­zen­grä­ben zu ent­ge­hen, ar­bei­te­te er an den Fes­tungs­an­la­gen, fun­gier­te als Schrei­ber und gab eine Feld­zei­tung her­aus. 1918 wur­de er durch die Ini­tia­ti­ve ei­nes Freun­des nach Ru­mä­ni­en ver­setzt, wo er sich pro­tes­tan­tisch tau­fen ließ. Nach Kriegs­en­de schrieb Tuchols­ky -- in­zwi­schen über­zeug­ter Pa­zi­fist -- wie­der ver­mehrt für »Die Welt­büh­ne« und wur­de zu­dem Che­fre­dak­teur beim Sa­ti­reblatt »Ulk«. Aus fi­nan­zi­el­len Grün­den ar­bei­te­te er zu­dem ei­ni­ge Mo­na­te für die Pro­pa­gan­da­zei­tung »Pie­ron«, was er spä­ter be­reu­te. Tuchols­ky en­ga­gier­te sich nicht nur pu­bli­zis­tisch, son­dern auch po­li­tisch in der USPD ge­gen Mi­li­ta­ris­mus und Fa­schis­mus.

1920 hei­ra­te­te er die Ärz­tin Else Weil. Die gras­sie­ren­de In­fla­ti­on zwang ihn dazu, sich einen Job in der frei­en Wirt­schaft zu su­chen, was sei­ner Lau­ne we­nig zu­träg­lich war. Eine schwe­re De­pres­si­on im Jahr 1922 soll so­gar in einen Sui­zid­ver­such ge­mün­det ha­ben. Doch Tuchols­ky über­wand sein Tief und durf­te ab 1924 als Kor­re­spon­dent für »Die Welt­büh­ne« und die re­nom­mier­te »Vos­si­sche Zei­tung« nach Pa­ris. Dort wur­de der Pub­li­zist, der sich zu­vor noch von sei­ner Frau schei­den ließ, Frei­mau­rer. Ein hal­b­es Jahr nach der Tren­nung hei­ra­te­te Tuchols­ky Mary Ge­rold, die er be­reits im 1. Welt­krieg ken­nen­ge­lernt hat­te. Bei­de leb­ten nur pha­sen­wei­se zu­sam­men, wo­bei Tuchols­ky im­mer wie­der Be­zie­hun­gen mit an­de­ren Frau­en hat, sie aber spä­ter trotz der Schei­dung im Jahr 1933 zu sei­ner Al­leiner­bin be­stimm­te.

Tuchols­ky sieht sich we­gen sei­ner Ar­ti­kel und ih­res oft schar­fen Tons im­mer wie­der An­fein­dun­gen und Pro­zes­sen -- etwa 1928 we­gen an­geb­li­cher Got­tes­läs­te­rung in sei­nem Ge­dicht »Ge­sang der eng­li­schen Chor­kna­ben« -- aus­ge­setzt. 1930 zieht Tuchols­ky end­gül­tig in den schwe­di­schen Ort Hin­dås. Die Si­tua­ti­on in Deutsch­land ist ihm un­er­träg­lich ge­wor­den. Als es 1933 zur Bü­cher­ver­bren­nung kommt, ge­hen auch sei­ne Wer­ke in Flam­men auf. Noch im glei­chen Jahr ent­zie­hen ihm die Na­tio­na­lis­ten die deut­sche Staats­bür­ger­schaft. Der Pub­li­zist er­kann­te die Vor­zei­chen des dro­hen­den Krie­ges, hat­te aber in­zwi­schen -- auch we­gen ge­sund­heit­li­cher Pro­ble­me -- re­si­gniert. Be­zeich­nend da­für ist ein Aus­zug aus ei­nem Brief, den er Mit­te De­zem­ber 1935 schrieb: »Mein Le­ben ist mir zu kost­bar, mich un­ter einen Ap­fel­baum zu stel­len und ihn zu bit­ten, Bir­nen zu pro­du­zie­ren. Ich nicht mehr. Ich habe mit die­sem Land [...] nichts mehr zu schaf­fen. Möge es ver­re­cken -- möge es Ruß­land er­obern -- ich bin da­mit fer­tig.«1 Fünf Tage spä­ter nahm der un­ter chro­ni­schen Ma­gen­be­schwer­den lei­den­de Pub­li­zist eine Über­do­sis Schlaf­ta­blet­ten und verstarb in ei­ner schwe­di­schen Kli­nik. Ob es sich um Selbst­mord han­del­te, blieb un­ge­klärt.

WERK

Kurt Tuchols­ky zähl­te in der Zeit zwi­schen den Welt­krie­gen zu den wich­tigs­ten und hell­sich­tigs­ten deut­schen Pub­li­zis­ten. Er ver­fass­te nicht nur po­li­ti­sche Ar­ti­kel, Re­por­ta­gen, Re­zen­sio­nen, Sa­ti­ren und Glos­sen, son­dern auch Ge­dich­te so­wie Er­zäh­lun­gen und so­gar Tex­te für Lie­der und das Ka­ba­rett.

Tuchols­ky schrieb be­reits wäh­rend der Schul­zeit und zog etwa 1907 in sei­nem Werk »Mär­chen« -- das im Sa­ti­re-Ma­ga­zin »Ulk« er­schi­en -- das Kun­st­emp­fin­den des deut­schen Kai­sers durch den Ka­kao. Fünf Jah­re spä­te­re ent­stand die Er­zäh­lung »Rheins­berg: Ein Bil­der­buch für Ver­lieb­te«, in der er spie­le­risch, iro­nisch und pro­vo­ka­tiv den drei­tä­gi­gen Aus­flug ei­nes un­ver­hei­ra­te­ten Lie­bes­paa­res schil­dert. Das Werk war zwar er­folg­reich, wur­de aber -- be­son­ders we­gen der da­mals als un­schick­lich gel­ten­den The­ma­tik -- auch harsch kri­ti­siert. An Tuchols­kys 23. Ge­burts­tag er­schi­en sein ers­ter Ar­ti­kel in der Wo­chen­zeit­schrift »Die Schau­büh­ne«, die spä­ter in »Die Welt­büh­ne« um­be­nannt wur­de. 1919 brach­te Tuchols­ky mit »From­me Ge­sän­ge« eine Samm­lung von -- al­ler­dings größ­ten­teils be­reits ver­öf­fent­lich­ten -- Ge­dich­ten her­aus. Der Ton ist links-li­be­ral und an­ti­mi­li­ta­ris­tisch (z. B. »’s is Krieg!«, »Der Kriegs­lie­fe­rant«), wo­bei sich Tuchols­ky den Spaß er­laubt, sie un­ter sei­nem Ali­as Theo­bald Ti­ger zu ver­öf­fent­li­chen und selbst un­ter ei­nem an­de­ren Pseud­onym eine Vor­re­de zu ver­fas­sen.

In schar­fen Tö­nen und teil­wei­se sa­ti­risch über­spitzt gei­ßel­te Tuchols­ky -- etwa in der Ar­ti­kel­se­rie »Mi­li­ta­ria« -- in den nächs­ten Jah­ren den deut­schen Mi­li­ta­ris­mus. Zu­dem griff er die be­denk­li­che An­zahl von Mor­den an lin­ken und li­be­ra­len Po­li­ti­kern -- al­lein am 15. Ja­nu­ar 1919 wur­den so­wohl Rosa Lu­xem­burg als auch Karl Lieb­knecht ge­tö­tet -- an und kri­ti­sier­te auch im­mer wie­der di­ver­se Po­li­ti­ker, die die Ge­fahr von rechts nicht se­hen woll­ten. Er selbst er­kann­te das dro­hen­de Ver­häng­nis früh und rief be­reits 1922 in sei­nem Ge­dicht »Ra­thenau«, dass er kurz nach der Er­mor­dung des deut­schen Au­ßen­mi­nis­ters ver­fass­te, zum Wi­der­stand ge­gen das Ge­sin­del auf, das an »Häu­ser Ha­ken­kreu­ze schmiert«.2

Das 1927 er­schie­ne Werk »Ein Py­re­nä­en­buch« ent­hält nicht nur Rei­se­be­schrei­bun­gen, son­dern auch Re­fle­xio­nen über deut­sche Zu­stän­de. In der Ar­ti­kel­se­rie »Deut­sche Rich­ter« kri­ti­sier­te Tuchols­ky die rechts­ge­rich­te­te deut­sche Jus­tiz. Im fol­gen­den Jahr brach­te der Pub­li­zist die Text­samm­lung »Mit 5 PS« -- eine An­spie­lung auf sei­ne Pseud­ony­me -- her­aus, in der er der mar­kan­ten Fi­gur des Herrn Wen­dri­ner ent­wi­ckel­te. Zu­sam­men mit dem Gra­fi­ker John He­art­field brach­te er 1929 die Text­samm­lung »Deutsch­land, Deutsch­land über al­les« her­aus, in der er al­les das an­greift, was er an Deutsch­land ver­ab­scheut. Die­se An­kla­ge kon­tras­tier­te der Pub­li­zist aber am Ende ver­söh­nend mit sei­ner Lie­be zur Hei­mat.

1931 er­schi­en Tuchols­kys wohl be­rühm­tes­tes Werk »Schloß Grips­holm«, in dem er Er­leb­nis­se ei­nes Schwe­den­ur­laubs ver­ar­bei­te­te. The­ma­tisch und sti­lis­tisch knüpf­te er an »Rheins­berg« an und lässt den Ich-Er­zäh­ler einen Som­mer­ur­laub mit sei­ner Freun­din Lyi­da schil­dern. Dies­mal the­ma­ti­sier­te er als Pro­vo­ka­ti­on eine Mé­na­ge à trois und leis­te­te sich am Be­ginn einen be­son­de­ren Spaß, in­dem er dem Ro­man einen fik­ti­ven Brief­wech­sel mit sei­nem Ver­le­ger vor­an­stell­te. Im glei­chen Jahr er­schi­en in der Welt­büh­ne die Glos­se »Der be­wach­te Kriegs­schau­platz« de­ren Fest­stel­lung »Sol­da­ten sind Mör­der« Ge­rich­te noch fast acht Jahr­zehn­te spä­ter be­schäf­ti­gen wird.

*

»Al­les Ver­gäng­li­che ist nur ein Gleich­nis.« -- Goe­the: Faust II

In­schrift auf Tuchols­kys Grab auf dem Fried­hof von Ma­rie­fred, Schwe­den

Tuchols­ky, Kurt. Po­li­ti­sche Brie­fe. Rein­bek 1984, Sei­te 121.  <<<

Tuchols­ky, Kurt. »Ra­thenau«. In: Die Welt­büh­ne, 29. Juni 1922, S. 653.  <<<

Eigenhändige Vita Tucholskys

Für den Ein­bür­ge­rungs­an­trag zur Er­lan­gung der schwe­di­schen Staats­bür­ger­schaft

Dr. iur. Kurt Tuchols­ky Hin­dås, 22.1.34

Kurt Tuchols­ky wur­de am 9. Ja­nu­ar 1890 als Sohn des Kauf­manns Alex Tuchols­ky und sei­ner Ehe­frau, Do­ris, ge­bo­re­ne Tucholski, in Ber­lin ge­bo­ren. Er be­such­te Gym­na­si­en in Stet­tin und in Ber­lin und be­stand im Jah­re 1909 die Rei­fe­prü­fung. Er stu­dier­te in Ber­lin und in Genf Jura und pro­mo­vier­te im Jah­re 1914 in Jena cum lau­de mit ei­ner Ar­beit über Hy­po­the­ken­recht.

Im April 1915 wur­de T. zum Hee­res­dienst ein­ge­zo­gen; er war drei­ein­halb Jah­re Sol­dat (die Pa­pie­re über sei­ne Mi­li­tär­zeit lie­gen bei). Zu­letzt ist T. Feld­po­li­zei­kom­missar bei der Po­li­ti­schen Po­li­zei in Ru­mä­ni­en ge­we­sen.

Nach dem Krie­ge war T. un­ter Theo­dor Wolff, dem Che­fre­dak­teur des Ber­li­ner Ta­ge­blatt, Lei­ter der hu­mo­ris­ti­schen Bei­la­ge die­ses Blat­tes, des Ulk, vom De­zem­ber 1918 bis zum April 1920.

Wäh­rend der In­fla­ti­on, als ein schrift­stel­le­ri­scher Ver­dienst in Deutsch­land nicht mög­lich ge­we­sen ist, nahm T. eine An­stel­lung als Pri­vat­se­kre­tär des frü­he­ren Finanz­mi­nis­ters Hugo Si­mon an (in der Bank Bett, Si­mon & Co. in Ber­lin).

Im Jah­re 1924 ging T. als fes­ter Mit­ar­bei­ter der Ber­li­ner Wo­chen­schrift Die Welt­büh­ne und der Vos­si­schen Zei­tung nach Pa­ris, wo er sich bis zum Jah­re 1929 auf­hielt. Er ist dort Mit­glied der »As­so­cia­ti­on Syn­di­ca­le de la Pres­se étrangè­re« ge­we­sen. Sei­ne Car­te d’i­den­ti­té liegt bei.

Nach­dem T. be­reits als Tou­rist län­ge­re Som­mer­auf­ent­hal­te in Schwe­den ge­nom­men hat­te (1928 in Ki­vik, Ska­ne, und fünf Mo­na­te im Jah­re 1929 bei Ma­rie­fred), mie­te­te er im Som­mer 1929 eine Vil­la in Hin­dås, um sich stän­dig in Schwe­den nie­der­zu­las­sen. (Der Miet­ver­trag liegt bei.) Er be­zog das Haus, das er ab 1. Ok­to­ber 1929 ge­mie­tet hat, im Ja­nu­ar 1930 und wohnt dort un­un­ter­bro­chen bis heu­te. Er hat sich in Schwe­den schrift­stel­le­risch oder po­li­tisch nie­mals be­tä­tigt. Zahl­rei­che Rei­sen, die zu sei­ner In­for­ma­ti­on und zur Be­he­bung ei­nes hart­nä­cki­gen Hals­lei­dens dienten, führ­ten ihn nach Frank­reich, nach Eng­land (Pa­pier an­lie­gend), nach Ös­ter­reich und nach der Schweiz. Sein fes­ter Wohn­sitz ist seit Ja­nu­ar 1930 Hin­dås ge­we­sen, wo er sei­nen ge­sam­ten Haus­stand und sei­ne Biblio­thek hat.

T. hat im Jah­re 1920 in Ber­lin Fräu­lein Dr. med. Else Weil ge­hei­ra­tet; die Ehe ist am 14. Fe­bru­ar 1924 rechts­kräf­tig ge­schie­den. Am 30. Au­gust 1924 hat T. Fräu­lein Mary Ge­rold ge­hei­ra­tet; die Ehe ist am 21. Au­gust 1933 rechts­kräf­tig ge­schie­den. T. hat kei­ne Kin­der so­wie kei­ne un­ter­stüt­zungs­be­rech­tig­ten Ver­wand­ten, die sei­nen Auf­ent­halt in Schwe­den ge­setz­lich tei­len könn­ten.

Tuchols­ky hat zu den best­be­zahl­ten deut­schen Jour­na­lis­ten ge­hört. Seit dem Jah­re 1931 hat er so gut wie nichts pu­bli­ziert. Sei­ne in Deutsch­land be­find­li­chen Ver­mö­gens­wer­te sind laut Be­kannt­ma­chung im Deut­schen Reichs­an­zei­ger vom 25. Au­gust 1933 be­schlag­nahmt wor­den (Ver­lags­rech­te, Ho­no­ra­re pp.). T. hat ein Kon­to bei der Skan­di­na­vis­ka Kre­dit A. B. in Gö­te­borg, seit er in Schwe­den ist, und ein Kon­to bei der Schwei­ze­ri­schen Kre­dit-An­stalt in Zü­rich, um über Geld auf Rei­sen ver­fü­gen zu kön­nen. Er hat kei­ner­lei Schuld­ver­pflich­tun­gen, wie auch die Gö­te­bor­ger Fir­men be­zeu­gen kön­nen, bei de­nen er die Ein­rich­tung sei­ner Woh­nung vor­ge­nom­men hat und bei de­nen er sei­nen Haus­be­darf deckt.

Dass T. An­ge­bo­te von Ver­la­gen und Zeit­schrif­ten zur Zeit ab­ge­wie­sen hat, hängt mit sei­ner li­te­ra­ri­schen Ent­wick­lung zu­sam­men.

Tuchols­ky hat sei­ne li­te­ra­ri­sche Tä­tig­keit mit ei­ner klei­nen Ge­schich­te »Rheins­berg -- ein Bil­der­buch für Ver­lieb­te« be­gon­nen, das im Jah­re 1912 in Ber­lin er­schie­nen ist und heu­te im 120. Tau­send vor­liegt. An Bü­chern hat er bis heu­te fer­ner er­schei­nen las­sen:

»Der Zeit­spa­rer«. 1913. Ver­grif­fen

»From­me Ge­sän­ge«. 1920. Ver­grif­fen

»Träu­me­rei­en an preu­ßi­schen Ka­mi­nen«. 1920. Ver­grif­fen

»Ein Py­re­nä­en­buch«. 1927. 11. Auf­la­ge

»Mit 5 PS«. 1925. 26. Auf­la­ge

»Das Lä­cheln der Mona Lisa«. 1928. 26. Auf­la­ge

»Deutsch­land, Deutsch­land über al­les«. 1929. 50. Auf­la­ge

»Schloß Grips­holm. Eine Som­mer­ge­schich­te«. 1931. 50. Auf­la­ge

»Ler­ne la­chen ohne zu wei­nen«. 1931. 20. Auf­la­ge.

Das »Deutsch­land«-Buch ist im Neu­en Deut­schen Ver­lag in Ber­lin er­schie­nen; »Rheins­berg« bei der Sin­ger A. G. in Ber­lin -- alle an­de­ren Wer­ke bei Ernst Ro­wohlt in Ber­lin.

Im Jah­re 1913 hat Tuchols­ky sei­ne fes­te Mit­ar­beit an der ber­li­ner Wo­chen­schrift Die Welt­büh­ne be­gon­nen, die da­mals noch Die Schau­büh­ne hieß; die­se Mit­ar­beit er­streck­te sich bis zum Jah­re 1931. Dem im Jah­re 1926 ver­stor­be­nen Her­aus­ge­ber des Blat­tes, Sieg­fried Ja­cob­sohn, ver­dankt Tuchols­ky al­les, was er ge­wor­den ist. Nach dem Tode Ja­cob­sohns hat er das Blatt kur­ze Zeit sel­ber her­aus­ge­ge­ben, um es dann sei­nem Ge­sin­nungs­freun­de Carl von Os­sietz­ky ab­zu­tre­ten.

Tuchols­ky hat sich fer­ner als frei­er Mit­ar­bei­ter für den so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Vor­wärts in Ber­lin, für die so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Frei­heit, den Sim­pli­cis­si­mus und die Ar­bei­ter-Il­lus­trier­te Zei­tung be­tä­tigt; er hat ge­le­gent­lich im Ver­la­ge Ull­stein am Uhu, an der Ber­li­ner Il­lus­trir­ten Zei­tung und an der Dame mit­ge­ar­bei­tet.

Ne­ben der li­te­ra­ri­schen Ar­beit hat sich Tuchols­ky vom Jah­re 1913 bis zum Jah­re 1930 Pa­zi­fist schärfs­ter Rich­tung in Deutsch­land be­tä­tigt. Sei­ne Be­tä­ti­gung in die­ser Rich­tung be­weg­te sich im Rah­men der Ge­set­ze -- er ist nicht be­straft. Tuchols­ky hat in Deutsch­land und in Frank­reich durch zahl­rei­che Vor­trä­ge für die deutsch­fran­zö­si­sche Ver­stän­di­gung zu wir­ken ver­sucht; er hat ge­gen die Kriegs­het­ze­rei ge­ar­bei­tet, wo er nur konn­te: mit fei­nen und lei­sen Mit­teln in der Kunst und mit den gröbs­ten für die Mas­sen. In die­sem Kamp­fe ist es ihm um die Wir­kung zu tun ge­we­sen, und die­se Wir­kung ist bei Freund und Feind gleich stark ge­we­sen. Da die öf­fent­li­che Mei­nung, wenn die Ge­schäf­te nicht gut gehn, gern al­les, was ihr nicht paßt, als »bol­sche­wis­tisch« an­sieht, so wur­de Tuchols­ky mit­un­ter als Kom­mu­nist be­zeich­net. Das ist un­rich­tig: er war nach dem Krie­ge Mit­glied der un­ab­hän­gi­gen so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei, und nach de­ren Ver­schmel­zung mit der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei Mit­glied der SPD. An­dern Par­tein hat er nicht an­ge­hört.

So­lan­ge sich Tuchols­ky an Deutsch­land ge­bun­den fühl­te, hat er als Deut­scher und in Deutsch­land das, was er dort für nicht gut hielt, kri­ti­siert. Sei­ne pu­bli­zis­ti­sche Tä­tig­keit hat im Jah­re 1931, also lan­ge vor der Machter­grei­fung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, ihr vor­läu­fi­ges Ende ge­fun­den. Trotz­dem wur­de ihm zwei Jah­re spä­ter die deut­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit ab­er­kannt. Die Aber­ken­nung er­folg­te we­gen der pa­zi­fis­ti­schen Tä­tig­keit Tuchols­kys; sie hat ih­ren Grund fer­ner in ei­nem An­griff, den Tuchols­ky im Jah­re 1931 in Ver­sen ge­gen einen der Füh­rer der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­rich­tet hat. Die Aber­ken­nung ge­sch­ah un­ter An­grif­fen des deut­schen Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­ums auf Tuchols­ky, die je­des Maß, das un­ter zi­vi­li­sier­ten Men­schen üb­lich ist, über­schrit­ten ha­ben. Eine Ant­wort auf die­se An­grif­fe ist von sel­ten Tuchols­kys nicht er­folgt.

Die Aber­ken­nung der Staats­an­ge­hö­rig­keit be­ruft sich auf ein Reichs­ge­setz vom 14. Juli 1933. Tuchols­ky hat sich we­der seit die­sem Tage noch über­haupt zur Machter­grei­fung durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten öf­fent­lich ge­äu­ßert. Die Aber­ken­nung der Staats­an­ge­hö­rig­keit, die als Stra­fe ge­dacht ist, stellt also einen Rechts­bruch dar, einen Bruch des obers­ten Grund­satzes al­ler Straf­jus­tiz: nul­la poe­na sine lege.

Dr. Tuchols­ky ist im Be­griff, sei­ne schwe­di­schen Sprach­kennt­nis­se zu ver­voll­komm­nen. Er hat den Wunsch, die schwe­di­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit zu er­wer­ben, falls dies zu­läs­sig ist.

Romane & Novellen

Das Lottchen

Lottchens Ankunft

Der Lieb­ha­ber: »Gu­ten Tag, Lott­chen -- na, wie ist es denn --?«

Das Lott­chen (hin­ter­ein­an­der­weg): -- »Gun­tach! Halt mal, war­te mal ... ich muß hier erst ... war­test du schon lan­ge? Wie? Was? Wie? Mach mir mal die Tür auf, war­test du schon lan­ge? Wie­so hast du dies Hö­tel ge­nom­men, wie? Na, wie ge­fällt dir mein Auto, Lott­chen II? Ja, da stauns­te, was? Bei­nah ganz ab­ge­stot­tert. War­test du schon lan­ge? Der soll man hier mei­nen Kof­fer ... nein! Den nicht! Den! Sie! Wo gehn Sie denn da­mit -- ach so ... Nein, doch nicht! Die Düse ist hier in den Re­ge­ne­ra­tor ge­rutscht, die ist da rein­ge... das ver­stehst du nicht, na, Gott be­hü­te vor ei­nem Mann, der nichts von Au­tos ver­steht! Dad­dy, geh mal weg, ich dreh bloß mal die Fel­ge über die Nabe -- Vor­sicht doch! Vor­sicht doch! Da hab ich doch mein Obst im Gram­mo­phon ... ja da, na­tür­lich im Hut­kar­ton, wo sonst? Nicht in der Schach­tel -- da sind die Ak­ten für Ar­turs Ge­schäft, ich den­ke an mei­nen Mann, das tust du nicht! Sach mal dem Mann, er soll mal dies hier nehm und da hin­tra­gen -- Gott, ist das ein Och­se! ... Wart mal, ich muß erst die Hand­brem­se in die Kis­te für die Zün­dung tun, da ge­hört sie hin. Das ver­stehst du eben nicht! Na, Dad­dy, das kannst du dir ja nicht den­ken -- wie­so hast du dies Hö­tel ge­nom­men, wie? War­test du schon lan­ge? Dad­dy, das kannst du dir nicht den­ken, also, wie ich bei Wit­ten­ber­ge rechts in die Kur­ve gehe, da ist sone Kur­ve, da kommt von links, hast­dunicht­ge­sehn, ein Ame­ri­ka­ner an­ge­tobt, ich aber nichts wie den Vo­lang rum­ge­ris­sen, ver­stehs­te, Lott­chen ist doch hel­le, und links, ja also links -- wie­so hast du aber wirk­lich ... Dad­dy, jetzt sage mal auf Lott­chen, wie­so hast du dies Hö­tel ge­nom­m’? Ja, also links war eine Schaf­her­de, paß doch mal auf, und Lott­chen rin in die Schaf­her­de. Der Ham­mel, der Hirt, nein, der nicht ... aber vier wirk­li­che Ham­mel und drei­un­dacht­zig Scha­fe hab ich ... wie­so be­zahlt? Er mir viel­leicht ...! Der Mann kann sich ... wo ist denn hier der Fahr­stuhl? Ich hab auf der Bür­ger­meis­te­rei ge­sacht, na, du kennst doch Lott­chen! Lott­chen hat gleich dem Gen­darmen schö­ne Au­gen ge­macht, ver­stehs­te, und da hat der Schaf­hirt noch einen mäch­ti­gen An­schnau­zer be­kom­men, we­gen sei­nen Ham­meln, weil die frei rum­ge­lau­fen sind, und Lott­chen durf­te wei­ter­fah­ren! Finns­te das? Wo ist denn hier der Fahr­stuhl? Was? Der funk­tio­niert nicht? Dad­dy! Ich muß ja noch mal raus! Na, war­te doch mal! Na, was denkst du dir denn? Ja, meins­te, das Auto kann hier auf der Stra­ße ste­hen­blei­ben? Nee, mein Lie­ber -- Sie! Sie! Ham Sie denn hier kei­ne Ga­ra­ge in der Hö­tel­hal­le ... ich mei­ne ... na, ’n schö­nes Hö­tel -- laß mich doch --, ich sage im­mer: Hö­tel, das ist fei­ner ... na, ich ver­steh das ja nicht ... also, Dad­dy -- wo ist denn Ihre Ga­ra­ge? Was? Wie? Wie? Seh ich gar nicht ein -- das hab ich gern: so­zia­les Herz bei Lott­chens Auto! Tra­gen Sie mal das Auto hier rü­ber, ich mei­ne, und hier ha­ben Sie ... laß mich doch mal -- ich geb ihm gar kein Geld, ich geb ihm bloß mei­nen klei­nen Kof­fer, den kann er auf die an­de­re Schul­ter neh­men -- na­tür­lich be­zahlst du das! Na, ich viel­leicht? Na, Dad­dy, hast du ge­dacht, ich wer das Auto mit aufs Zim­mer neh­men? Na, nimm mirs nicht übel ...! Sie --! Jetzt is er weg. Na, also komm rein. Nu steh hier nicht auf der Stra­ße rum. Na, Lott­chen hat ja un­ter­wegs eine pik­fei­ne Erobe­rung ge­macht! Ei­nen Ar­gen­ti­ni­er, schlank, ele­gant, mit so schwar­zen Au­gen, hat mir gleich sei­ne Adres­se ge­ge­ben, na, ich bin ja mei­nem Dad­dy treu -- Dad­dy, die Ga­ra­ge kost nicht teu­er, vier Mark den Tag, wie? Ist dir das zu­viel? Der Fahr­stuhl funk­tio­niert nicht ... Dad­dy, finns­te das, daß der Fahr­stuhl nicht funk­tio­niert? Ist denn kein and­rer Fahr­stuhl -- dazu komm ich ex­tra aus In­ter­la­ken, um hier in Bre­men die Trep­pen rauf­zu... Also, Dad­dy, das ist Quatsch, ent­we­der ich rei­se als Dame, oder ich rei­se nicht als Dame, aber als Dame und dann nicht als Dame --? Ja, und der Ar­gen­ti­ni­er, wie der nu ge­se­hen hat, daß ich im­mer rein in die Ham­mel­her­de, da hat er ... Dad­dy, wie­so hast du denn dies Zim­mer ge­nom­men und nicht zwei mit ei­nem Bad in der Mit­te, was? Le­gen Sie da­hin! Dad­dy, be­stell mal Kaf­fee für Lott­chen, Lott­chen hat so nen Durst -- na, fah­re du mal in ei­ner Tour von Ber­lin bis Bre­men, wo ist denn mei­ne Sei­fe? Hast du Kaf­fee be­stellt? Hast du denn Lott­chen auch noch lieb? Gib mir mal n Küß­chen -- aber n schö­nen di­cken Bauch hast du dir in Bel­gi­en an­ge­fres­sen, kann man wohl sa­gen -- hm ... wo bleibt denn der mit dem Kaf­fee? Klin­gel mal! Der Di­rek­tor soll kom­men, ich will mich be­schwe­ren! Dad­dy --! Jetzt hab ich ver­ges­sen, den Mo­tor ab­zu­stel­len! Frag mal, ob sie nicht n Chauf­feur ha­ben, der Mo­tor muß so­fort ab­ge­stellt wer­den, der läuft sonst die gan­ze Nacht, und mir hat der Mann ge­sagt, wenn nicht mehr ge­nug Ben­zin im Öl­tank ist, dann -- ach, hätt ich doch das Auto mit aufs Zim­mer, nein, wär ich doch bei dem Auto ge­blie­ben! Dad­dy, wie lan­ge hast du denn nu Zeit? Dad­dy, was sagst du denn nun, daß Lott­chen wie­der bei dir ist! Sag mal was! Du sagst ja gar nichts ...«

Der Lieb­ha­ber (erster­bend): »Seid ei­nig -- ei­nig -- ei­nig --!« (Er sinkt hin­ten­über.)

Lottchen wird saniert

»Also sind das jetzt alle Schul­den, die du hast?«

»Das sind alle.«

»Lott­chen, daß du mir aber nicht hin­ter­her mit neu­en kommst -- du weißt: Im vo­ri­gen Jahr, in Lu­ga­no, habe ich auch al­les be­zahlt, und wie ich fer­tig war ...«

»Dad­dy, ich schwö­re dir -- dies­mal habe ich wirk­lich al­les ge­beich­tet! Mei­ne Kas­sen sind über­haupt ta­del­los in Ord­nung -- also wirk­lich!«

»Gut. Also gib noch mal die Auf­stel­lung her; ich will das mit dei­nen Kas­sen­bü­chern ver­glei­chen ... all­mäch­ti­ger Gott, das sind dei­ne Kas­sen­bü­cher?«

»Na, was denn?«

»Die­se trau­ri­gen Fet­zen?«

»Sel­ber trau­ri­ger Fet­zen! Geh mal weg! Gib mal her -- bring mir das nicht durch­ein­an­der -- ich hab mir das so schön ge­ord­net ...! Soll ich viel­leicht dop­pel­te Buch­füh­rung ma­chen mit Haupt­buch in Ka­li­ko und so nem Quatsch ... gib mal her!«

»Was ist denn das?«

»Das ist der Zet­tel von den Schul­den, aber die hier gel­ten nicht, die sind schon be­zahlt, nein, die sind noch nicht be­zahlt, aber die ha­ben Zeit. Die kön­nen war­ten! Kät­chen kann war­ten.«

»Hat dir dein Freund Käte wie­der Geld ge­ge­ben? Ich habe dir doch ge­sagt, du sollst die Frau nicht an­pum­pen. Ihr Mann ist Arzt und ver­dient ... ja, ich weiß schon. Aber ich will das nicht. Wie­viel?«

»Vier­zig Mark.«

»Da steht doch aber fünf­und­sech­zig Mark?«

»Ja ... das heißt ... das sind noch fünf­und­zwan­zig Mark, die habe ich ... die hat sie mir ...«

»Also fünf­und­sech­zig. Und was ist das? Hun­dert­und­zehn Mark?«

»Das ist für die Kin­der. Schu­he und St­rümp­fe.«

»Also, weiß Gott: es sind ja nicht mei­ne Kin­der. Hun­dert­und­zehn. Teu­re Kin­der hast du. Fün­fund­sech­zig und hun­dert­und­zehn ... so geht das über­haupt nicht. Gib mal her -- jetzt wer­de ich mal eine neue Auf­stel­lung ma­chen! Also:

*

Kät­chen ... 65 Kin­der ... 110 Han­ke­mann ... 92

*

Ja, die hast du ge­beich­tet -- ich weiß schon.

Louis Brest ... ach so, die Bank, wie­viel? Zwei­hun­dert­und­neun Mark? Sage mal, Lott­chen, dir piekt es wohl?«

»Wie­so? Das ist ein al­tes De­bet­kon­to, das habe ich ... Das ver­stehst du nicht -- Herr­gott, hör doch mal zu! Ich habe mir aus mei­ner Klei­der­kas­se im Mai, nein, im vo­ri­gen Ok­to­ber, fünf­und­vier­zig Mark ge­borgt, bit­te, ich geb sie mir zu­rück, ich kenn mich doch, mir kann man bor­gen; und die habe ich in die Kin­der­kas­se ge­tan, und weil in der Rei­se­kas­se noch neun­un­dacht­zig Mark we­gen der Gas­rech­nung ge­fehlt ha­ben, da habe ich eben die Mie­te vom nächs­ten Vier­tel­jahr ge­nom­men -- und auf die­se Wei­se habe ich auf der Bank ein De­bet­kon­to! Das ist doch lohrisch!«

»Ja, das ist sehr lo­gisch. Aber da­von hast du nichts ge­sagt. Ich will dich ja gern sa­nie­ren, das tue ich ja alle Jah­re, die­ses Groß­rei­ne­ma­chen -- zwei­hun­dert­und­neun Mark De­bet ... sage mal, Lott­chen, wer glaubst du ei­gent­lich, wer ich bin?«

»Du bist ein al­ter Gnietsch­frit­ze! Hab dich doch nicht so we­gen der zwei­hun­dert Mark! Über­haupt sind die nicht ei­lig! Die ha­ben Zeit!«

»Und kos­ten Zin­sen! Also wei­ter:

*

Louis Brest ... 209«

*

»Was ist das?«

»Das ist das, wo ich dir neu­lich ge­sagt habe!«

»Da­von hast du nichts ge­sagt!«

»Da­von habe ich nichts ge­sagt? Das ist ja groß­ar­tig! Ich habe nur nicht vierund­fünf­zig ge­sagt, da­mit du nicht so nen Schreck kriegst ... ich habe nur einen Teil zu­ge­ge­ben.«

»Wie­viel?«

»Drei Mark fünf­zig. Das hat man da­von, wenn man Rück­sicht nimmt! Die ge­hö­ren über­haupt in die Wirt­schafts­kas­se. Die Schul­den, das sind gar nicht mei­ne Schul­den ... das schul­det die Wirt­schafts­kas­se!«

»Wem?«

»Der Klei­der­kas­se. Nu wei­ter!«

»Also wo­von ich al­les be­zah­len soll ... ich weiß es nicht. Ich weiß es wirk­lich nicht.

*

Werß­ho­fen ... 54 Post­scheck ... 28

*

was heißt Post­scheck acht­und­zwan­zig ...?«

»Gib mal her. Ich weiß nicht ... Ach so! Das habe ich an Papa mit Post­scheck zah­len wol­len.«

»Hast dus denn ge­zahlt?«

»Nein. Papa war da­mals gra­de auf Rei­sen.«

»Wo ist das Geld?«

»Wo ist das Geld! Wo ist das Geld! Ko­mi­sche Fra­gen stellst du! Das Geld ist na­tür­lich weg!«

»Wo ist es, will ich wis­sen!«

»Mein Gott, ich hab es an Nesch­ke ge­schickt, we­gen der Schuld.«

»We­gen wel­cher Schuld?«

»Na, ich ... also ich schul­de ihm noch achtund­vier­zig Mark, vom vo­ri­gen Jahr! Herr­gott, ich kann nicht im­mer mit dem­sel­ben Hut rum­lau­fen, man kommt sich ja schon rein däm­lich vor! Alle Frau­en ha­ben einen neu­en Hut, bloß ich nicht! Mach nicht son Ge­sicht -- Nesch­ke kann war­ten; den brauchst du nicht be­zah­len!«

»Zu be­zah­len!«

»Ver­bes­ser einen doch nicht im­mer! Das ist ja schlim­mer wie ein Leh­rer!«

»Als.«

»Wie?«

»Als. Schlim­mer als ein Leh­rer. Nach dem Kom­pa­ra­tiv ...«

»Ist hier Gram­ma­tik, oder ma­chen wir hier Kas­se? Also wei­ter. Nesch­ke war­tet -- er ist dar­in viel ku­lan­ter wie die Münch­ner.«

»Wel­che Münch­ner?«

»Ach ... ich habe da auf der Rei­se ... Dad­dy, du brauchst nicht gleich zu schrei­en, zu nach brau­chen, ich war doch auf der Durch­rei­se in Mün­chen, und da habe ich so ein ent­zücken­des Au­to­män­tel­chen ge­sehn ...«

»Män­tel­chen ist schon faul. Wie­viel?«

»...«

»Also wie­viel?«

»Hun­dert­und­zwan­zig. Aber ich tra­ge es noch drei Jah­re!«

»Die­se Frau ist der De­ckel zu mei­ner Urne. Ich ver­mag es für­der nicht. Für­der ist ein sel­te­nes Wort, aber du bist auch sel­ten. Sind das nun alle Schul­den?«

»Das sind alle. Dann bloß noch die Apo­the­ke und fünf­zig Mark beim Dok­tor. Aber der kann wirk­lich war­ten. Du brauchst ihn nicht zu be­zah­len! Ich will es nicht! Ich will es wirk­lich nicht! Den be­zahl ich al­lein! Er kann war­ten! Wirk­lich!«

»O Po­poi. Nein, das ist nicht un­an­stän­dig; das ist Grie­chisch. Nun schreib mir das al­les auf, und ich wer­de es in mei­ne Brief­ta­sche le­gen und es mir be­schla­fen. Gro­ßer Gott, du siehst es. Blick her­un­ter! Schreib es so, daß man le­sen kann! So, dan­ke. Ich geh jetzt mal run­ter, Zi­ga­ret­ten kau­fen -- gib her! Lott­chen, du bist eine teu­re Dame. Aber nun ist auch wirk­lich al­les auf­ge­schrie­ben? Ja? Das ist al­les? Das ist nun wirk­lich al­les?«

»Das ist al­les. Hei­li­ges Ehren­wort. Das ist wirk­lich al­les. Ich bin gar kei­ne teu­re Dame -- ich bin viel zu bil­lig. Bei mei­nen Qua­li­tä­ten! Auf Wie­der­sehn!«

»Auf Wie­der­sehn!«

(Das Lott­chen): »Jetzt hab ich rich­tig ver­ges­sen, ihm die zwei­und­zwan­zig Mark Bridge­geld an­zu­sa­gen! All­mäch­ti­ger Bra­ten! Ach was ... ich buch sie in die Sport­kas­se --!«

Lottchen beichtet 1 Geliebten

»Es ist ein frem­der Hauch auf mir? Was soll das hei­ßen -- es ist ein frem­der Hauch auf mir? Auf mir ist kein frem­der Hauch. Gib mal n Kuß auf Lott­chen. In den gan­zen vier Wo­chen, wo du in der Schweiz ge­we­sen bist, hat mir kei­ner einen Kuß ge­ge­ben. Hier war nichts. Nein -- hier war wirk­lich nichts! Was hast du gleich ge­merkt? Du hast gar nichts gleich ge­merkt ... ach, Dad­dy! Ich bin dir so treu wie du mir. Nein, das heißt ... also, ich bin dir wirk­lich treu! Du ver­liebst dich ja schon in je­den Re­frain, wenn ein Frau­en­na­me drin vor­kommt ... ich bin dir treu -- Gott sei Dank! Hier war nichts.

... Nur ein paar­mal im Thea­ter. Nein, bil­li­ge Plät­ze -- na, das eine Mal in der Loge ... Wo­her weißt du denn das? Was? Wie? Wer hat dir das er­zählt? Na ja, das wa­ren Plät­ze ... durch Be­zie­hun­gen ... Na­tür­lich war ich da mit ei­nem Mann. Na, soll ich viel­leicht mit ei­ner Kran­ken­schwes­ter ins Thea­ter ... lie­ber Dad­dy, das war ganz harm­los, voll­kom­men harm­los, mach doch hier nicht in Ka­mor­ra oder Ma­fia oder was sie da in Kor­si­ka ma­chen. In Si­zi­li­en -- mei­net­we­gen, in Si­zi­li­en! Je­den­falls war das harm­los. Was ha­ben sie dir denn er­zählt? Was? Hier war nichts.

Das war ... das ist ... du kennst den Mann nicht. Na, das werd ich doch nicht ma­chen -- wenn ich schon mit ei­nem an­dern Mann ins Thea­ter gehe, dann geh ich doch nicht mit ei­nem Mann, den du kennst. Bit­te: ich hab dich noch nie kom­pro­mit­tiert. Män­ner sind doch so duß­lig, die neh­men ei­nem das übel, wenn man schon was macht, daß es dann ein Be­rufs­kol­le­ge ist. Und wenn es kein Be­rufs­kol­le­ge ist, dann heißt es gleich: Fräu­lein Ju­lie! Man hats wirk­lich nicht leicht! Also du kennst den Mann nicht! Du kennst ihn nicht. Ja -- er kennt dich. Na, sei doch froh, daß dich so vie­le Leu­te ken­nen -- bis­te doch be­rühmt. Das war je­den­falls ganz harm­los. To­tal. Nach­her wa­ren wir noch es­sen. Aber sonst war nichts.

Nichts. Nichts war. Der Mann ... der Mann ist eben -- ich hab ihn auch im Auto mit­ge­nom­men, weil er so nett ne­ben ei­nem im Auto sitzt, eine glän­zen­de Begleit­dog­ge -- so, hat das die Re­vent­low auch ge­sagt? Na, ich nen­ne das auch so. Aber nur als Begleit­dog­ge. Der Mann sah glän­zend aus. Doch, das ist wahr. Ei­nen wun­der­ba­ren Mund, so einen har­ten Mund -- gib mal n Kuß auf Lott­chen, er war dumm. Es war nichts.

Di­rekt dumm war er ei­gent­lich nicht. Das ist ja ... ich habe mich gar nicht in ihn ver­liebt; du weißt ganz ge­nau, daß ich mich bloß ver­lie­be, wenn du da­bei bist -- da­mit du auch eine Freu­de hast! Ein net­ter Mann ... aber ich will ja die Kerls gar nicht mehr. Ich nicht. Ich will das über­haupt al­les nicht mehr. Dad­dy, so nett hat er ja gar nicht aus­ge­sehn. Au­ßer­dem küß­te er gut. Na so -- es war je­den­falls wei­ter nichts.

Sag mal, was glaubst du ei­gent­lich von mir? Glaubst du viel­leicht von mir, was ich von dir glau­be? Du -- das ver­bitt ich mir! Ich bin treu. Dad­dy, der Mann ... das war doch nur so eine Art Lau­ne. Na ja, erst läßt du einen hier al­lein, und dann schreibst du nicht rich­tig, und te­le­pho­niert hast du auch bloß ein­mal -- und wenn eine Frau al­lein ist, dann ist sie viel al­lei­ner als ihr Män­ner. Ich brau­che ge­wiß kei­nen Mann ... ich nicht. Den hab ich auch nicht ge­braucht; das soll er sich bloß nicht ein­bil­den! Ich dach­te nur: I, dach­te ich -- wie ich ihn ge­sehn habe ... Ich habe schon das ers­te­mal ge­wußt, wie ich ihn ge­sehn habe -- aber es war ja nichts.

Nach dem Thea­ter. Dann noch zwei Wo­chen lang. Nein. Ja. Nur Ro­sen und zwei­mal Kon­fekt und den klei­nen Lö­wen aus Speck­stein. Nein. Ich ihm mei­nen Haus­schlüs­sel? Bist wohl ...! Ich hab ihm mei­nen Haus­schlüs­sel doch nicht ge­ge­ben! Ich wer­de doch ei­nem frem­den Mann mei­nen Haus­schlüs­sel nicht ge­ben ...! Da bring ich ihn lie­ber run­ter. Dad­dy, ich habe ja für den Mann gar nichts emp­fun­den -- und er für mich auch nicht --, das weißt du doch. Weil er eben solch einen har­ten Mund hat­te -- und ganz schma­le Lip­pen. Weil er frü­her See­mann war. Was? Auf dem Wann­see? Der Mann ist zur See ge­fah­ren ... auf ei­nem rie­si­gen Schiff, ich habe den Na­men ver­ges­sen, und er kann alle Kom­man­dos, und er hat einen har­ten Mund. Ganz schma­le Lip­pen. Mensch, der er­zählt ja nicht. Küßt aber gut. Dad­dy, wenn ich mich nicht so run­ter ge­fühlt hät­te, dann wäre das auch gar nicht pas­siert ... Es ist ja auch ei­gent­lich nichts pas­siert -- das zählt doch nicht. Was? In der Stadt. Nein, nicht bei ihm; wir ha­ben zu­sam­men in der Stadt ge­ges­sen. Er hat be­zahlt -- na, hast du das ge­sehn! Soll ich viel­leicht mei­ne Be­kannt­schaf­ten fi­nan­zie­ren ... na, das ist doch ...! Es war über­haupt nichts.

Tä­to­wiert! Der Mann ist doch nicht tä­to­wiert! Der Mann hat eine ganz rei­ne Haut, er hat ... Kei­ne De­tails? Kei­ne De­tails! Ent­we­der soll ich er­zäh­len, oder ich soll nicht er­zäh­len. Von mir wirst du über den Mann kein Wort hö­ren.

Dad­dy, hör doch -- wenn er nicht See­manns­maat ge­we­sen wäre oder wie das heißt ... Und ich wer dir über­haupt was sa­gen:

Ers­tens war über­haupt nichts, und zwei­tens kennst du den Mann nicht, und drit­tens weil er See­mann war, und ich hab ihm gar nichts ge­schenkt, und über­haupt, wie Paul Graetz im­mer sagt:

Kaum hat man mal, dann ist man gleich -- Dad­dy! Dad­dy! Laß mal ... was ist das hier? Was? Wie? Was ist das für ein Bild? Was ist das für eine Per­son? Wie? Was? Wo hast du die ken­nen­ge­lernt? Wie? In Lu­zern? Was? Hast du mit der Frau Aus­flü­ge ge­macht? In der Schweiz ma­chen sie im­mer Aus­flü­ge. Er­zähl mir doch nichts ... Was? Da war nichts?

Das ist ganz was andres. Na ja, mir ge­fällt schon manch­mal ein Mann. Aber ihr --?

Ihr werft euch eben weg!«

Es reut das Lottchen

»Gar nichts. Ich habe gar nichts. Ich? Nichts. Nein ...

Frag nicht so dumm -- man kann ja auch mal nicht gu­ter Lau­ne sein, kann man doch, wie? Ich habe gar nichts.

Nichts. Ach, laß mich. Na, ich den­ke eben nach. Meinst du, bloß ihr Män­ner denkt nach? Ich den­ke nach. Nein, kein Geld -- mei­ne Rech­nun­gen sind alle be­zahlt. Alle! Ich habe kei­nen Pfen­nig Schul­den. Was? Kei­nen Pfen­nig. Bloß die Apo­the­ke und das Aqua­ri­um, das ich mir neu­lich ge­kauft habe, und die Schnei­de­rin und bei Kät­chen. Sonst nichts. Na ja, und die fünf­zig Mark bei Vo­pe­li­us. Nein, we­gen dem Geld ist es auch nicht. We­gen des Gel­des! Was du bloß im­mer mit der Gram­ma­tik hast -- die Haupt­sa­che ist doch, daß ich Geld habe. Ich habe aber keins.

Ach, der Kerl, der ... Na, nichts. Na, die­ser Kerl. Der See­mann, von dem ich dir neu­lich er­zählt habe. Er war doch ein biß­chen tä­to­wiert wie ein See­mann und sah aus wie ein hol­stei­ni­scher Bau­ern­jun­ge. Nein, ich war nie in Hol­stein -- ich denk mir das so. Was mit dem ist? Ach, laß mich.

Na­tür­lich, doch, ja! See­mann ist er. Nein, er war nicht mehr hier. Ich dach­te im­mer, er wür­de mal kom­men. Wie­so? Wie­so! Weil er mich an­ge­pumpt hat! Wie­so ist das die Höhe? Das ist gar kei­ne Höhe! Ich pump dich doch auch manch­mal an. Aber ich sag we­nigs­tens nicht, daß ichs dir wie­der­ge­be! Nein, nicht viel. Ist ja egal. Ach ... ich wei­ne gar nicht. Viel nicht. Ein­mal fünf­zig Mark und ein­mal achtund­sech­zig. Na und --?

Na und? Ich hab doch ge­dacht, er wär zwei Jah­re auf See ge­fah­ren. Das hat er mir er­zählt. Bit­te, mei­ne Freun­de lü­gen nicht ... wenn die was er­zäh­len, dann ist es wahr, meis­tens ist es so­gar wahr. Die lü­gen eben nicht alle wie du neu­lich mit Micky. Hast du die Per­son wie­der­ge­sehn?

Er war gar nicht auf See. Auf dem Land na­tür­lich. Ach, laß mich.

Na, er hat eben ge­ses­sen.

An­dert­halb Jah­re. Ich weiß nicht warum. Wo? Das ist doch egal. In Plöt­zen­see.

Ich weiß nicht, wes­we­gen -- laß mich in Ruhe. Es hat mir ei­ner er­zählt. Da war ein Mann, der holt sich hier im­mer alte Kin­der­sa­chen ab, die geb ich ihm, und er hat für einen Freund ge­be­ten, den ha­ben sie gra­de ent­las­sen, und da sind wir ins Ge­spräch ge­kom­men, und da hat er auf ein­mal den Na­men von dem ge­sagt, von dem See­mann. Und da ist es raus­ge­kom­men. Die kann­ten sich alle zu­sam­men. An­dert­halb Jah­re. Mir hat er ge­sagt, er war in Bali. Und da­bei war er in Plöt­zen­see.

Ich weiß nicht, warum -- laß mich in Frie­den! Da­rauf kommt es auch gar nicht an! Mein Geld ...? Ich war gleich auf der Kri­mi­nal­po­li­zei. Du, da war aber so ein net­ter Mann, der mich da emp­fan­gen hat, den habe ich ge­fragt. Ich habs ihm al­les er­zählt. Sah sehr gut aus, der Mann -- ein Kri­mi­nal­rat oder so. Wie ich raus­gehn will, sagt er zu mir: Frau Laß­mann, sagt er, Sie ha­ben zu schö­ne Au­gen! Das Wei­ße da drin: ganz blau! Hat er ge­sagt! Und dann war ich noch mal da, und da hat er mir Ge­dich­te vor­ge­le­sen, der Mann macht näm­lich Ge­dich­te. Na, meins­te, du machst bloß al­lei­ne Ge­dich­te?

Sol­len sie sich viel­leicht vor­ne rei­men -- na­tür­lich ha­ben sie sich hin­ten ge­reimt! Sehr schö­ne Ge­dich­te. Und er hat ge­sagt: Das ist ja glat­ter Be­trug! Glat­ter Be­trug ist das! Vor­spie­ge­lung falscher Tat­sa­chen, sagt er. Und er wird da­hin­ter­ha­ken. Und dann hat er mir noch ein Ge­dicht vor­ge­le­sen. Ob ich so zu mei­nem Geld kom­me? Dad­dy, ich werd dir mal was sa­gen:

Mein Geld will ich gar nicht wie­der­ha­ben! Der Kerl ist bei mir ge­stri­chen. Ich, mit ei­nem See­mann? Nie wie­der. Ist das ei­gent­lich ein hö­he­rer Be­am­ter, ein Kri­mi­nal­rat?

Und hier ist noch eine Rech­nung, die kannst du auch be­zah­len. Wa­rum sagst du ahoi? Und ich wer­de dir mal sa­gen, wo­her das al­les kommt:

Ich habe viel zu­we­nig Geld, und viel zu­viel Herz. Und bei dir ist es eben um­ge­kehrt. Ahoi --!«

Lottchen besucht einen tragischen Film

»Setz dich nicht auf mei­ne Ta­sche. Laß mich mal da­hin. Ist das noch Wo­chen­schau? Was? Wie? Das ist noch Wo­chen­schau, was? Also wie ich dir sage: ich wür­de die Mö­bel nicht in Hol­land kau­fen. Du kennst das da nicht so, guck mal! ne Feu­er­wehr! -- Und über­haupt: hier in Ber­lin hab ich mei­ne Quel­len, mein Freund Käte sagt auch ... Wie­so? Ich sage: mein Freund Käte -- die ist wien Mann. Sag ich dir. Bloß viel net­ter.

Guck mal: noch ne Feu­er­wehr. Wa­rum sind in den Wo­chen­schaun so­viel Feu­er­weh­ren? Was? Und was kos­tet über­haupt son Mö­bel­trans­port ... ich hab mich er­kun­digt, was das macht, wart mal ... ich hab mir das auf­ge­schrie­ben. ... So! Jetzt ist mein No­tiz­buch run­ter­ge­fal­len, heb doch mal auf!

Na, laß mich mal ... geh mal weg ... geh doch mal weg! Aua! ... Ich komm ja gar nicht wie­der hoch -- war hier was in­zwi­schen? Nee -- was? Das is ja Zimt, was die da spie­len, un­ter uns ge­sagt ... ich hab mir das auf­ge­schrie­ben: vier­zehn Pfen­nig pro ... jetzt weiß ich nicht mehr, ob es pro Kilo oder pro Zent­ner war ... aber je­den­falls wa­ren es vier­zehn Pfen­nig.

Das ist doch kein Geld, was? Wie? Wenn du so lang wärst, wie du dumm bist, könntst du aus der Dach­rin­ne sau­fen. Jetzt wirds hell.

Net­tes Kino, was? Wa­rum ha­ben sie das so blau ge­stri­chen? Du, die Käte hat sich ein himm­li­sches Schlaf­zim­mer ma­chen las­sen, auch so blau -- na, n biß­chen hel­ler als das da und wei­ßer Schleif­lack, wun­der­bar! Kaufst du mir so was? Nein. Siehst du, sol­chen Pelz will Lott­chen ha­ben, so, wie die da hat -- nicht die, du Och­se, die klei­ne Di­cke! Na, sie kann ihn nicht tra­gen -- aber sol­chen Pelz.

Nu wirds dun­kel ... kaum, daß man mal was le­sen will, wirds dun­kel. Dad­dy, ist das der große Film, von dem sie so­viel ge­schrie­ben ha­ben? Ja? Is er das? Sei mal ru­hig, ich muß mal le­sen, wer al­les mit­spielt. Sei jetzt still, ich muß le­sen ... Pu­dowkin -- kennst du Pu­dowkin? Wahr­schein­lich ein Rus­se -- was?

Du, bei Lüt­zows ha­ben sie jetzt ein rus­si­sches Dienst­mäd­chen, die kann kein Wort Deutsch, nur n biß­chen Fran­zö­sisch. Ko­misch, was? Jetzt gehts los. Das kann ich dir sa­gen: wenn mei­ne Tan­te mir noch ein­mal so einen fre­chen Brief schreibt ... weißt du, ich gönn ja kei­nem Men­schen was Bö­ses, aber willst du mir viel­leicht sa­gen, wozu so was auf der Welt ... Hüb­sche Per­son.

Du, der Film kann aber nicht neu sein, son Hut trägt kein Mensch mehr! War auch gar nicht kleid­sam -- Lott­chen hat nie so­nen Hut ge­tra­gen. Dad­dy, du mußt mir un­be­dingt noch eine Ta­sche kau­fen; die du mir fürn Abend ge­kauft hast, ist ja sehr hübsch ... aber nun habe ich für den Tag gar nichts. Nein, die brau­che ich fürs Auto. Die blaue? Die ist für den Nach­mit­tag, für den Vor­mit­tag fehlt mir eine!

Für die Stadt! Das ver­stehst du nicht. Na, ich wers dir sa­gen: also ich hab mir heu­te eine ge­kauft. Du kaufst mir ja doch kei­ne. Das Geld darfst du mir zu­rück­ge­ben. Na, laß man. Ich sag im­mer: Lie­ber arm und reich, als jung und alt. Was steht da --?

AUF MÄNNER, DIE LIEBEN KANN MAN NICHT BAUEN.

Sag ich doch im­mer. Dad­dy, vor­ges­tern abend war ich mit Span­na­gel zu­sam­men. Er sah ganz gut aus.

Quatsch -- mit dem Mann will ich doch gar nichts mehr zu tun ha­ben; du stellst dich auch an -- nur, weil ich mit ihm mal ver­hei­ra­tet war --! Er hat üb­ri­gens er­zählt, er geht nächs­tens nach Chi­na, er will da den Bür­ger­krieg stu­die­ren. Sehr in­ter­essant, ich hab ihm ge­sagt, er soll man vor­sich­tig sein; ich fin­de, wenn ei­ner in den Krieg geht, muß er vor­sich­tig sein.

Du, das ist mein Typ. Sei mal still ... stör einen doch nicht im­mer, wenn man sich einen Film an­se­hen will! Du, das ist mein Typ! Sieht bei­nah aus wie Til­den. Wun­der­ba­re Fi­gur, was? Der hat kei­nen Bauch, wun­der­ba­re Fi­gur. Scha­de, nu is er weg.

Dad­dy, mit dem Reichs­ent­schä­di­gungs­amt hab ich mir das also fol­gen­der­ma­ßen aus­ge­dacht: Wenn die die acht­zehn Pro­zent für die Kriegs­gut­ha­ben be­wil­li­gen, zu­züg­lich der Nach­trags­ren­te für Kin­der, ver­stehst du?, und wenn der An­walt dann noch durch­drückt, daß die zwei­te Ent­schä­di­gungs­ra­te von der ers­ten so ab­ge­zo­gen wird, daß die Um­rech­nungs­quo­te bei der Reichs­an­lei­he rauf­ge­setzt wird --: dann kann ich den Ring aus­lö­sen!

Du löst ihn mir ja nicht aus. Sage selbst -- löst du ihn aus? Du sollst ihn auch gar nicht aus­lö­sen. Ich mei­ne bloß so. Aber du löst ihn nicht aus. Guck mal, wo ha­ben sie das auf­ge­nom­men? Wahr­schein­lich in Frank­reich, was? Der An­walt hat aber ge­sagt, er kann nicht ga­ran­tie­ren, daß der Pro­zeß noch die­ses Jahr zu Ende ist -- ich hab ihm ge­sagt, Pe­ter ist heu­te zehn Jah­re, bis zu sei­ner Voll­jäh­rig­keit wart ich noch, aber dann hat mei­ne Ge­duld ein ...

Du lachst! Ich bin eine al­lein­ste­hen­de Frau und muß mir al­les al­lein ma­chen! Na, al­les nicht, Fer­kel. Hat Karl­chen ge­schrie­ben? Nicht? Was? Hat er nicht ge­schrie­ben? Ich wer­de ihm mal schrei­ben: ob er viel­leicht sei­ne Bräu­te so be­han­delt, wie du mich be­han­delst.

Karl­chen ist eben ein Ka­va­lier. Nein, auch von vorn ... laß mir mei­nen Karl­chen! Ja­kopp ist aber auch sehr nett -- über­haupt, ich will dir mal was sa­gen ... wenn dei­ne Freun­de ... All­mäch­ti­ger, was kul­lert die mit den Au­gen! Du himm­li­scher Bra­ten! Wa­rum tut sie denn das? Was? Na, er­klär mir das doch mal -- wozu gehe ich denn mit ei­nem Mann ins Kino!

Sss­st! Was die Leu­te bloß im­mer re­den, wenn sie im Kino sind! Man ver­steht ja gar nichts ...! Du, warum hat die denn so mit den Au­gen ge­kul­lert, was? Die fin­dest du nett? Na, dein Ge­schmack ... Ich fra­ge mich wirk­lich manch­mal, was du ei­gent­lich an mir hast ... Na, ich bin ja dein Irr­tum. Das ist mal si­cher. Blond bin ich nicht, schö­ne Bei­ne habe ich auch nicht, sagst du im­mer -- bit­te, ich hab sehr gute Bei­ne!

So schö­ne, wie dei­ne Put­ti noch al­le­mal! Von Dick­chen gar nicht zu re­den. Und Musch? Hat Musch viel­leicht schö­ne Bei­ne? Spit­ze Schu­he hat sie; kein Mensch trägt mehr ... Dad­dy, hast du zu Hau­se das Licht aus­ge­macht? Na, denn ist gut. Was steht da?

TRETEN SIE ZURÜCK -- NUR ÜBER UNSERE DREI LEICHEN GEHT DER WEG!

Dad­dy, da­bei fällt mir ein, ich muß mir mal von der Käte das Re­zept für die Roh­kost­sup­pe auf­schrei­ben las­sen -- wir ha­ben sie neu­lich bei Mühl­bergs ge­ges­sen, wun­der­bar, ganz schwer, wie Krebs­sup­pe also, das hat einen aus­ge­sproch­nen Krebs­ge­schmack, ist aber ganz ve­ge­ta­risch ... Hast du das ge­sehn? Hast du das ge­sehn? Wie die das Pferd rum­ge­ris­sen hat? Doll. Was? Was spie­len die da? Kre­nek? Mag ich gar nicht. Magst du das? Ich war vo­ri­ges Jahr da mit Hor­ne­mann ... du, der Hor­ne­mann ist jetzt nach Süd­ame­ri­ka ge­gan­gen ... Er schreibt, da tra­gen die Frau­en alle wun­der­vol­le Wasch­sei­de.

Dad­dy, du könn­test mir ei­gent­lich mal -- nein, kauf mir lie­ber eine Brücke für die Woh­nung, weißt du, so eine ech­te Per­ser­brücke. Na, Dad­dy, du kannst nicht sa­gen, daß ich dich mit Wün­schen be­läs­ti­ge. Ich möch­te mal sehn, was du an­dern Frau­en schenkst ... Na­tür­lich krie­ge ich die Woh­nung. Das heißt: der Wirt legt noch Be­ru­fung ein, weil wir doch Ket­te tau­schen; also Wil­lachs in der Augs­bur­ger Stra­ße ge­ben ihre Woh­nung ge­gen einen Ab­stand an Bern­hardt, und Bern­hardt tauscht mit Wil­ler, wenn Ma­rie ein­ver­stan­den ist, heißt das, sie ist aber nicht ein­ver­stan­den, weil sie sich schei­den las­sen will, sie ist jetzt mit Brom­berg, sie wird sich aber nicht schei­den las­sen, da wäre sie ja schön dumm, und wenn ich nun mit Jo­sen­stein über Hip­pels weg tau­sche und der Wirt vor­her stirbt und wenn Ro­mel sei­ne Woh­nung an mich ab­gibt --: dann krie­ge ich die Woh­nung.

Laß man: der lie­be Gott wird Lott­chen schon nicht ver­las­sen. Ich ken­ne den Mann. Was? Wie? Es ist ko­misch: Män­ner ver­stehn nie, was man ih­nen er­klärt -- Män­ner ver­stehn über­haupt ...

Aus. Schon aus? Das war al­les? Ja, wahr­haf­tig: die Leu­te ste­hen schon auf. Dad­dy, jetzt sag mir aber mal eins -- das hab ich nicht ka­piert:

Wa­rum heißt der Film: Die Jung­frau von Or­leans --?«

1930

Schloß Gripsholm

Ei­ne Som­mer­ge­schich­te

Für IA 47 407

Wir kön­nen auch die Trom­pe­te bla­sen und schmet­tern weit­hin durch das Land; doch schrei­ten wir lie­ber in Mai­en­ta­gen, wenn die Pri­meln blühn und die Dros­seln schla­gen, still sin­nend an des Ba­ches Rand.

Storm

Nachwort des Verlegers zum Vorwort des Autors

Tuchols­ky woll­te sei­ne da­ma­li­ge Liai­son mit Lisa Matt­hi­as nicht pu­blik ma­chen, da­her wid­me­te er die Ge­schich­te nicht ihr, son­dern ih­rem Auto. Der Le­ser be­ach­te das Num­mern­schild.

*

Erstes Kapitel

1

Ernst Ro­wohlt Ver­lag Ber­lin W 50 Pas­sau­er Stra­ße 8/9

8. Juni

Lie­ber Herr Tuchols­ky,

schö­nen Dank für Ihren Brief vom 2. Juni. Wir ha­ben Ihren Wunsch no­tiert. Für heu­te et­was andres.

Wie Sie wis­sen, habe ich in der letz­ten Zeit al­ler­hand po­li­ti­sche Bü­cher ver­legt, mit de­nen Sie sich ja hin­läng­lich be­schäf­tigt ha­ben. Nun möch­te ich doch aber wie­der ein­mal die »schö­ne Li­te­ra­tur« pfle­gen. Ha­ben Sie gar nichts? Wie wäre es denn mit ei­ner klei­nen Lie­bes­ge­schich­te? Über­le­gen Sie sich das mal! Das Buch soll nicht teu­er wer­den, und ich dru­cke Ih­nen für den An­fang zehn­tau­send Stück. Die be­freun­de­ten Sor­ti­men­ter sa­gen mir je­des­mal auf mei­nen Rei­sen, wie gern die Leu­te so et­was le­sen. Wie ist es da­mit?

Sie ha­ben bei uns noch 46 RM gut -- wo­hin sol­len wir Ih­nen die über­wei­sen?

Mit den bes­ten Grü­ßen Ihr (Rie­sen­schnör­kel) Ernst Ro­wohlt

*

10. Juni

Lie­ber Herr Ro­wohlt,

Dank für Ihren Brief vom 8. 6.

Ja, eine Lie­bes­ge­schich­te ... lie­ber Meis­ter, wie den­ken Sie sich das? In der heu­ti­gen Zeit Lie­be? Lie­ben Sie? Wer liebt denn heu­te noch? Dann schon lie­ber eine klei­ne Som­mer­ge­schich­te.

Die Sa­che ist nicht leicht. Sie wis­sen, wie sehr es mir wi­der­strebt, die Öf­fent­lich­keit mit mei­nem per­sön­li­chen Kram zu be­hel­li­gen -- das fällt also fort. Au­ßer­dem be­trü­ge ich jede Frau mit mei­ner Schreib­ma­schi­ne und er­le­be da­her nichts Ro­man­ti­sches. Und soll ich mir die Ge­schich­te viel­leicht aus­den­ken? Phan­ta­sie ha­ben doch nur die Ge­schäfts­leu­te, wenn sie nicht zah­len kön­nen. Dann fällt ih­nen viel ein. Un­serei­nem ...

Schrei­be ich den Leu­ten nicht ih­ren Wunsch­traum (»Die Grä­fin raff­te ihre Sil­ber-Robe, wür­dig­te den Gra­fen kei­nes Blickes und fiel die Schloß­trep­pe hin­un­ter«), dann bleibt nur noch das Propp­lem über die Ehe als Zim­mer-Gym­nas­tik, die »mensch­li­che Ein­stel­lung« und all das Zeug, das wir nicht mö­gen. Wo­her neh­men und nicht bei Vil­lon steh­len?

Da wir gra­de von Ly­rik spre­chen:

Wie kommt es, daß Sie in § 9 un­se­res Ver­lags­ver­tra­ges 15 % ho­no­rar­freie Exem­pla­re be­rech­nen. So­viel Re­zen­si­ons­exem­pla­re schi­cken Sie doch nie­mals in die Welt hin­aus! So ja­gen Sie den sau­ren Schweiß Ih­rer Au­to­ren durch die Gur­gel -- kein Wun­der, daß Sie auf Samt sau­fen, wäh­rend un­serei­ner auf har­ten Bän­ken dün­nes Bier schluckt. Aber so ist al­les.

Daß Sie mir gut sind, wuß­te ich. Daß Sie mir für 46 RM gut sind, er­freut mein Herz. Bit­te wie ge­wöhn­lich an die alte Adres­se. Üb­ri­gens fah­re ich nächs­te Wo­che in Ur­laub.

Mit vie­len schö­nen Grü­ßen Ihr Tuchols­ky

Ernst Ro­wohlt Ver­lag Ber­lin W 50 Pas­sau­er Stra­ße 8/9

12. Juni

Lie­ber Herr Tuchols­ky,

vie­len Dank für Ihren Brief vom 10. d. M.

Die 15 % ho­no­rar­freie Exem­pla­re sind -- also das kön­nen Sie mir wirk­lich glau­ben -- mei­ne ein­zi­ge Ver­dienst­mög­lich­keit. Lie­ber Herr Tuchols­ky, wenn Sie un­se­re Bilanz sä­hen, dann wüß­ten Sie, daß es ein ar­mer Ver­le­ger gar nicht leicht hat. Ohne die 15 % könn­te ich über­haupt nicht exis­tie­ren und wür­de glatt ver­hun­gern. Das wer­den Sie doch nicht wol­len.

Die Som­mer­ge­schich­te soll­ten Sie sich durch den Kopf ge­hen las­sen.

Die Leu­te wol­len ne­ben der Po­li­tik und dem Ak­tu­el­len et­was ha­ben, was sie ih­rer Freun­din schen­ken kön­nen. Sie glau­ben gar nicht, wie das fehlt. Ich den­ke an eine klei­ne Ge­schich­te, nicht zu um­fang­reich, etwa 15--16 Bo­gen, zart im Ge­fühl, kar­to­niert, leicht iro­nisch und mit ei­nem bun­ten Um­schlag. Der In­halt kann so frei sein, wie Sie wol­len.

Ich wür­de Ih­nen viel­leicht in­so­fern ent­ge­gen­kom­men, daß ich die ho­no­rar­frei­en Exem­pla­re auf 14 % her­un­ter­set­ze.

Wie ge­fällt Ih­nen un­ser neu­er Ver­lags­ka­ta­log? Ich wün­sche Ih­nen einen ver­gnüg­ten Ur­laub und bin mit vie­len Grü­ßen

Ihr (Rie­sen­schnör­kel) Ernst Ro­wohlt

*

15. Juni

Lie­ber Meis­ter Ro­wohlt,

auf dem neu­en Ver­lags­ka­ta­log hat Sie Gul­brans­son ganz rich­tig ge­zeich­net: still sin­nend an des Ba­ches Rand sit­zen Sie da und an­geln die fet­ten Fi­sche. Der Kö­der mit 14 % ho­no­rar­frei­er Exem­pla­re ist nicht fett ge­nug -- 12 sind auch ganz schön. Den­ken Sie mal ein biß­chen dar­über nach und ge­ben Sie Ihrem har­ten Ver­le­ger­her­zen einen Stoß. Bei 14 % fällt mir be­stimmt nichts ein -- ich dich­te erst ab 12 %.

Ich schrei­be die­sen Brief schon mit ei­nem Fuß in der Bahn. In ei­ner Stun­de fah­re ich ab -- nach Schwe­den. Ich will in die­sem Ur­laub über­haupt nicht ar­bei­ten, son­dern ich möch­te in die Bäu­me gu­cken und mich mal rich­tig aus­ruhn.

Wenn ich zu­rück­kom­me, wol­len wir den Fall noch ein­mal be­brü­ten. Nun aber schwen­ke ich mei­nen Hut, grü­ße Sie recht herz­lich und wün­sche Ih­nen einen gu­ten Som­mer! Und ver­ges­sen Sie nicht: 12 %!

Mit vie­len schö­nen Grü­ßen Ihr ge­treu­er Tuchols­ky

Un­ter­schrie­ben -- zu­ge­klebt -- fran­kiert -- es war ge­nau acht Uhr zehn Mi­nu­ten. Um neun Uhr zwan­zig ging der Zug von Ber­lin nach Ko­pen­ha­gen. Und nun woll­ten wir ja wohl die Prin­zes­sin ab­ho­len.

2

Sie hat­te eine Alt­stim­me und hieß Ly­dia.

Karl­chen und Ja­kopp aber nann­ten jede Frau, mit der ei­ner von uns drei­en zu tun hat­te, »die Prin­zes­sin«, um den be­tref­fen­den Prinz­ge­mahl zu eh­ren -- und dies war nun also die Prin­zes­sin; aber kei­ne and­re durf­te je mehr so ge­nannt wer­den.

Sie war kei­ne Prin­zes­sin.

Sie war et­was, was alle Schat­tie­run­gen um­faßt, die nur mög­lich sind: sie war Se­kre­tä­rin. Sie war Se­kre­tä­rin bei ei­nem un­för­mig di­cken Pa­tron; ich hat­te ihn ein­mal ge­sehn und fand ihn scheuß­lich, und zwi­schen ihm und Ly­dia ... nein! Das kommt bei­nah nur in Ro­ma­nen vor. Zwi­schen ihm und Ly­dia be­stand je­nes merk­wür­di­ge Ver­hält­nis von Zu­nei­gung, ner­vö­ser Dul­dung und Ver­trau­en auf der einen Sei­te und Zu­nei­gung, Ab­nei­gung und dul­den­der Ner­vo­si­tät auf der an­dern: sie war sei­ne Se­kre­tä­rin. Der Mann führ­te den Ti­tel ei­nes Ge­ne­ral­kon­suls und han­del­te an­sons­ten mit Sei­fen. Im­mer la­gen da Pa­ke­te im Büro her­um, und so hat­te der Di­cke we­nigs­tens eine Aus­re­de, wenn sei­ne Hän­de fet­tig wa­ren.

Der Ge­ne­ral­kon­sul hat­te ihr in ei­ner An­wand­lung fürst­li­cher Frei­ge­big­keit fünf Wo­chen Ur­laub ge­währt; er fuhr nach Ab­ba­zia. Ges­tern abend war er ab­ge­fah­ren -- wer­de ihm der Schlaf­wa­gen leicht! Im Büro sa­ßen sein Schwa­ger und für Ly­dia eine Stell­ver­tre­te­rin. Was gin­gen mich denn sei­ne Sei­fen an -- Ly­dia ging mich an.

Da stand sie schon mit den Kof­fern vor ih­rem Haus -- »Hal­lo!«

»Du bi­scha all do?« sag­te die Prin­zes­sin -- zur gren­zen­lo­sen Ver­wun­de­rung des Ta­xichauf­feurs, der die­ses für Ost­chi­ne­sisch hielt. Es war aber Mis­singsch.

Mis­singsch ist das, was her­aus­kommt, wenn ein Platt­deut­scher Hoch­deutsch spre­chen will. Er krab­belt auf der glatt ge­boh­ner­ten Trep­pe der deut­schen Gram­ma­tik em­por und rutscht alle Nase lang wie­der in sein ge­lieb­tes Platt zu­rück. Ly­dia stamm­te aus Ro­stock, und sie be­herrsch­te die­ses Idi­om in der Vollen­dung. Es ist kein bäu­ri­sches Platt -- es ist viel fei­ner. Das Hoch­deutsch dar­in nimmt sich aus wie Hohn und Ka­ri­ka­tur; es ist, wie wenn ein Bau­er in Frack und Zy­lin­der aufs Feld gin­ge und so acker­te. Der Zy­lin­der ischa en fi­nen stat­schen Haut, över wen dor nich mit grot worn is, denn rutscht hei üm­mer wer­rer aff, dat deit he ... Und dann ist da im Platt der gan­ze Hu­mor die­ser Nord­deut­schen; ihr gut­mü­ti­ger Spott, wenn es ei­ner gar zu toll treibt, ihr fest zu­pa­cken­der Spaß, wenn sie falschen Glanz wit­tern, und sie wit­tern ihn, un­fehl­bar ... die­se Spra­che konn­te Ly­dia bei Ge­le­gen­heit spre­chen. Hier war eine Ge­le­gen­heit.

»Kann mir gah­nich gie­nug wun­nern, das­se den Zeit nich ver­schla­fen hass!« sag­te sie und ging mit fes­ten, ru­hi­gen Be­we­gun­gen dar­an, mir und dem Chauf­feur zu hel­fen. Wir pack­ten auf. »Hier, nimm den Da­ckel!« -- Der Da­ckel war eine fet­te, bis zur Al­bern­heit lang ge­zo­ge­ne Hand­ta­sche. Und so pünkt­lich war sie! Auf ih­ren Na­sen­flü­geln lag ein Hauch von Pu­der. Wir fuh­ren.

»Frau Krem­ser hat ge­sagt«, be­gann Ly­dia, »ich soll mir mei­nen Pelz mit­neh­men und vie­le war­me Män­tel -- denn in Schwe­den gibt es über­haupt kei­nen Som­mer, hat Frau Krem­ser ge­sagt. Da wär im­mer Win­ter. Ische woll nich möch­lich!« Frau Krem­ser war die Haus­häl­te­rin der Prin­zes­sin, Stu­ben­mäd­chen, Rein­ma­che­frau und Groß­sie­gel­be­wah­re­rin. Ge­gen mich hat­te sie noch im­mer, nach so lan­ger Zeit, ein lei­se schnüf­feln­des Miß­trau­en -- die Frau hat­te einen gu­ten In­stinkt. »Sag mal ... ist es wirk­lich so kalt da oben?«

»Es ist doch merk­wür­dig«, sag­te ich. »Wenn die Leu­te in Deutsch­land an Schwe­den den­ken, dann den­ken sie: Schwe­den­punsch, furcht­bar kalt, Ivar Kreu­ger, Zünd­höl­zer, furcht­bar kalt, blon­de Frau­en und furcht­bar kalt. So kalt ist es gar nicht.« -- »Also wie kalt ist es denn?« -- »Alle Frau­en sind pe­dan­tisch«, sag­te ich. -- »Au­ßer dir!« sag­te Ly­dia. -- »Ich bin kei­ne Frau.« -- »Aber pe­dan­tisch!« -- »Er­lau­be mal«, sag­te ich, »hier liegt ein lo­gi­scher Feh­ler vor. Es ist ge­naues­tens zu un­ter­schei­den, ob pro pri­mo ...« -- »Gib mal’n Kuß auf Ly­dia!« sag­te die Dame. Ich tat es, und der Chauf­feur nu­ckel­te leicht mit dem Kopf, denn sei­ne Schei­be vorn spie­gel­te. Und dann hielt das Auto da, wo alle bes­sern Ge­schich­ten an­fan­gen: am Bahn­hof.

3

Es er­gab sich, daß der Ge­päck­trä­ger Nr. 47 aus War­ne­mün­de stamm­te, und der Freu­de und des Ge­re­des war kein Ende, bis ich die­se lands­män­ni­sche Idyl­le, der Zeit we­gen, un­ter­brach. »Fährt der Ge­päck­trä­ger mit? Dann könnt ihr euch ja viel­leicht im Zug wei­ter un­ter­hal­ten.« -- »Olln Dös­kopp! Heww di man nich so!« sag­te die Prin­zes­sin. Und: »Wi hemm noch ban­nig Tid!« der Ge­päck­trä­ger. Da schwieg ich über­stimmt, und die bei­den be­gan­nen ein em­si­ges Pala­ver dar­über, ob Korl Dü­sig noch am »Strom« wohn­te -- wis­sen Sie: Dü­sig -- näää ... de Olsch! So, Gott sei Dank, er wohn­te noch da! Und hat­te wie­der­um ein Kind her­ge­stellt: der Mann war achtund­sieb­zig Jah­re und wur­de von mir, hier an der Ge­päck­aus­ga­be, au­ßer­or­dent­lich be­nei­det. Es war sein sech­zehn­tes Kind. Aber nun wa­ren es nur noch acht Mi­nu­ten bis zum Ab­gang des Zu­ges, und ... »Willst du Zei­tun­gen ha­ben, Ly­dia?« -- Nein, sie woll­te kei­ne. Sie hat­te sich et­was zum Le­sen mit­ge­bracht -- wir un­ter­la­gen bei­de nicht die­ser merk­wür­di­gen Krank­heit, plötz­lich auf den Bahn­hö­fen zwei Pfund be­druck­tes Pa­pier zu kau­fen, von dem man vor­her ziem­lich ge­nau weiß: Ma­ku­la­tur. Also kauf­ten wir Zei­tun­gen.

Und dann fuh­ren wir -- al­lein im Ab­teil -- über Ko­pen­ha­gen nach Schwe­den. Vor­läu­fig wa­ren wir noch in der Mark Bran­den­burg.

»Finns­te die Ge­gend hier, Pe­ter?« sag­te die Prin­zes­sin. Wir hat­ten uns un­ter an­derm auf Pe­ter ge­ei­nigt -- Gott weiß, warum.

Die Ge­gend? Es war ein hel­ler, win­di­ger Ju­ni­tag -- recht frisch, und die­se Land­schaft sah gut auf­ge­räumt und ge­rei­nigt aus -- sie war­te­te auf den Som­mer und sag­te: Ich bin karg. »Ja ...«, sag­te ich. »Die Ge­gend ...« -- »Du könn­test für mein Geld wirk­lich et­was Ge­schei­te­res von dir ge­ben«, sag­te sie. »Zum Bei­spiel: die­se Land­schaft ist wie er­starr­te Dicht­kunst, oder sie er­in­nert mich an Fi­u­me, nur ist da die Flo­ra ka­tho­li­scher -- oder so.« -- »Ich bin nicht aus Wien«, sag­te ich. »Gott sei Dank«, sag­te sie. Und wir fuh­ren.

Die Prin­zes­sin schlief. Ich den­kel­te so vor mich hin.