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Begegnungen führen bisweilen zu lang dauernden Geschichten. Manchmal sind aber kurze Episoden besonders intensiv und regen zu einer Darstellung wie unter einer Lupe an. Bizarres findet dabei seine Ausdrucksform in kurzen und kompakten Texten. Oft geht es um Ungewöhnliches im Gewohnten. Ob Liebespaare oder Begegnungen unter Wasser, Treffen alter Freunde, oder Begegnungen mit Unerwartetem: stets sind es exclusive Ereignisse mit eigenem Glück, eigener Melancholie, Kompliziertheit, Tragik oder Komik.
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Seitenzahl: 85
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Der jungen Frau im blauen Trenchcoat gewidmet
Selfpublishing
Bestseller
Im Lesesaal
Begegnung mit kleinem Aquarell
Am See
Tauchgang
Begegnung im Meer
Begegnung im Bett
Das Leerzimmer
Nasse Begegnung
Der Pilot
Der Beobachter
Die Bahnfahrt
4 Minuten und 33 Sekunden
Klavierkonzert
Die Rolltreppe
Stillstunde am Mittag
Heikle Entscheidungen
Leserbriefe
Baumschnitt
Im Wartezimmer
Hilferuf
Der Füllfederhalter
Begegnung in Bremen
Kopftuch
Maler und Modell
Küchenschatten
Erklärung
Missverständnis an der Kasse
Budapest
Die kleinen Quadrate
Virtuell
Der alte Senator
Der Besuch
Roland von Bremen
Sterbedatum
Schrott
Siesta
Als der Autor eines Selfpublishing-Verlags bei der Begegnung mit seinem Publikum erkannte, dass er sich auch selbst vorstellen, die Anwesenden selbst herzlich begrüßen, nach ihrem Befinden fragen und sich selbst bedanken musste, dass sie sich auf den Weg zu dieser Lesung gemacht hatten, sowie, dass er eben keinen Moderator, einen Buchhändler zum Beispiel, oder jemanden aus der Stadtbibliothek an seiner Seite hatte, der oder die in das Motto des heutigen Abends einführen würde, welches Begegnung lautete und all ihre Möglichkeiten und Tücken umfassen sollte, schließlich darüber informierte, dass die Lesung etwa eine Stunde dauern würde, aber dann noch ein wenig Zeit bliebe, um ins Gespräch zu kommen, war die Zeit der Lesung schon zu weit fortgeschritten, um jetzt noch mit der Lektüre seiner Texte zu beginnen, weshalb der Autor seinem Publikum noch einmal für seine Anwesenheit dankte und es mit dem Wunsch für einen guten Heimweg entließ.
Während sie ihn aus den Augenwinkeln musterte, wurde sie Zeugin, wie der Mann schnell einige Bücher vom Stapel in eine große Einkaufstüte aus kräftigem roten Papier schob, wie er dann in diskreter Eile die offene Zone des Buchgeschäfts mit den Podesten der gestapelten Bücher verließ und sich schnell im Kaufpublikum auf der Shoppingmall verlor. In einer spontanen Regung folgte sie ihm, und trotz vieler roter Tüten hatte sie das Glück, wie sie empfand, ihn mitten in der Menge zu entdecken, während er sie bei seinen schnellen Blicken in alle Richtungen auch bemerkte, da er sie während seines gewagten Buchdiebstahls ebenfalls mit einem Seitenblick gesehen und wegen ihres auffallend dunklen Haars, das auf einen türkisfarbenen Mantelkragen fiel, interessant gefunden hatte.
Als sie sich nicht mehr ausweichen konnten und dies offenbar auch nicht wollten, standen sie sich jetzt unvermittelt gegenüber. Er machte eine beschwichtigende Handbewegung, in der auch eine Begrüßung lag, doch als er gerade nach passenden Worten suchte, gab sie sich einen Ruck und sagte: „Wie kommen Sie dazu, einfach Bücher zu stehlen“, wobei sie außer seinem verlegenen, aber nicht sehr ertappt wirkenden Minenspiel seine sympathische Ausstrahlung und anziehende Erscheinung zur Kenntnis nahm. Nach einem kleinen Zögern, das ihm Zeit ließ, seinen Eindruck von seiner Verfolgerin zu vertiefen und das Bedürfnis aufkommen zu lassen, ihr über die Schulter zu streichen, antwortete er: „Um es kurz zu machen: ich habe es einfach satt, meine eigenen Bücher als Massenware ausgestellt zu sehen, wodurch mir jedes Wertgefühl für meine Romane und Novellen abhandenkommt und eine Abneigung gegen mein eigenes Schreiben sich bis ins Unerträgliche steigert!“ Sie schwieg, ging einen Schritt auf ihn zu, sah ihm durchdringend in die Augen, wobei der Blick zuletzt zärtlich wurde, und gab ihm einen Kuss, den er erwiderte, nachdem er die rote Tüte auf dem Fliesenboden abgestellt hatte.
Dort blieb sie allein zurück, als am Abend das Publikum die Shoppingmall verließ und sich auf den Heimweg machte.
Er gab sich alle erdenkliche Mühe, ihr den Inhalt seiner Bücher zu erklären, die er im Laufe der letzten Jahre geschrieben und veröffentlicht hatte. Sein Katalanisch reichte vielleicht für alltägliche Dinge, für den augenblicklichen Zweck der literarische Kommunikation mit der Bibliothekarin, die in liebenswürdiger Geduld bei neuen Begriffen katalanische Übersetzungen vorschlug, dabei aber immer häufiger einen Blick auf die Uhr über dem Eingang des Lesesaals warf, war er in der mallorquinischen Sprachwelt, die hier das Klima bestimmte, noch zu wenig bewandert. Gerade versuchte er der Dame die Einsicht in das von ihm verarbeitete Motiv für einen Mord, oder wenigstens für die bewusste Tötung eines vielleicht sogar sehr nahestehenden Mitmenschen zu vermitteln, wobei er auch noch ein kurz vor der Veröffentlichung stehendes weiteres Werk ankündigte, als sie ihm, einem Mittsiebziger, wiederholt einen Blick in Richtung des Computerbildschirms nahelegte. Bis er schließlich begriff, dass es dabei nicht um einen literarischen Bericht im Internet ging, auf den ihn, wie er dachte, die Bibliothekarin aufmerksam zu machen versuchte, weil er es so verstand, als stünde dieser in Zusammenhang mit der Veröffentlichung des erwähnten Buches, sondern dass sie ihn, der schon seit einiger Zeit im Begriff war, sich zu verabschieden und den Lesesaal zu verlassen, nur immer wieder auf seinen Gehstock hinzuweisen bemüht war, der gelangweilt am Computertisch lehnte, wo er, nachdem er bei der Ankunft sich seiner entledigt, ihn aus dem Blick und aus dem Bewusstsein verlor, wäre es fast zu spät gewesen, den beredten Herrn noch freundlich zu verabschieden, denn der Bibliothekarin brannte eine Verabredung zum Mittagessen mit einem lieben
Bekannten, vielleicht ihrem Geliebten, schon seit geraumer Zeit unter den Fingernägeln, die sich jetzt als fünffach lackiertes Muster auf seiner Schulter befanden, daran auf dekorative Weise beteiligt, ihn sanft an den anderen, bereits geräumten Lesetischen vorbei aus dem Saal zu schieben.
Der zärtliche Respekt, mit dem er die Nähe der neben ihm wartenden unbekannten jungen Frau empfand, blieb sein Geheimnis. Mit parallel aneinander stehenden Füßen leicht vor und zurück schwankend blickte sie abwechselnd an ihrem blauen Trenchcoat hinab auf ihre Schuhspitzen und mit blauen Augen in die Ferne , während sie, obwohl er ihr vorher auch nie begegnet war, mit einem verhaltenen Lächeln spürte, wie seine Gegenwart auf einem Stuhl neben ihr sie mit dem Gefühl einer Vertrautheit und Nähe erfüllte, die ihr ebenso angenehm wie rätselhaft erschien. Mit einem schnellen, wachen Blick zu ihm hinüber hatte sie registriert, dass der Mann zwar anziehend aussah, jedoch eine halbe Generation älter zu sein schien. Sie ließ, ohne ihr Vor- und Zurückschwanken zu unterbrechen, ihre Zunge ein wenig nervös kurz zwischen ihre Lippen gleiten, bevor sie schließlich zögernd ihren Platz verließ, wobei sie die Blicke des Älteren in ihrem Rücken spürte. Gerade als sie den Eingang des Saals erreichte, in welchem die Veranstaltung, die sie beide an diesen Ort geführt hatte, beginnen sollte, war der Unbekannte mit zwei drei schnellen Schritten an ihrer Seite, öffnete seine Jacke und zog aus der Innentasche ein kleines gerahmtes Aquarell, das sie selbst darzustellen schien, wie sie, auf irgendetwas wartend, im Gespräch mit einem älteren Mann war, der ein wenig die Gesichtszüge des vor ihr Stehenden besaß. Er überreichte ihr das Bild und wandte sich lächelnd mit einer Gebärde dem Ausgang des Gebäudes zu, die sie als eine Art Entschuldigung auffasste in inniger Verbindung mit einer Einladung zu einem Wiedersehen.
Der halbnackte Mann, der auf einem kleinen Segelboot die Taue ordnete, fiel ihr ins Auge, als sie, auf einem größeren Boot, einer Yacht, unweit jenes kleineren Bootes, leicht hin-und her schwankend infolge der durch ein vorbeigleitendes Motorboot hervorgerufenen Dünung einen Eimer an einem dünnen Tau von der Reling aus in das trübe Wasser des Sees fallen ließ. Möglichst unauffällig versuchte sie dabei, zu dem Mann auf dem Boot hinüber zu blicken. Er hatte fast weißes welliges Haar, das sich malerisch von seiner gebräunten Haut abhob.
Als sie sich später einmal bei tiefstehender Sonne und leichtem Wind auf dem Holzsteg, an dem beide Boote festgemacht waren, zufällig trafen, fragte sie ihn, woher er komme. Sie lege regelmäßig hier an, ihn habe sie aber noch nie gesehen. Sie müsse vorsichtig sein, sagte sie.
„Das tut mir leid“, antwortete der Mann, der sich ein graues T-Shirt übergeworfen hatte, unter dem sich sein muskulöser Oberkörper abzeichnete, „ich wusste nicht, dass mein einmaliges und für Sie neues Hiersein einschließlich eines Teils meiner gewöhnlichen Umgebung, die ich ja überall hin mitnehme, wo ich anlege, einen Tatbestand darstellt, der Sie zu dieser Bemerkung veranlassen könnte“. „Dieser Tatbestand Ihres Hierseins, das mir aufgefallen ist, weil ich mit unserer Yacht sonst stets allein an diesem Steg liege, ist nicht allein der Grund, warum ich mich auf diesem kurzen Weg vom Steg zum Ufer an Sie gewandt habe“, entgegnete sie leicht spöttisch, „es ist vielmehr der Kontrast zwischen ihrem fast weißem Haar und Ihrer Bräune, der meinen Blick während meiner Verrichtungen an Bord unserer Yacht wiederholt auf sich gezogen hat. Ich teile Ihnen dies übrigens mit in der Hoffnung, dass ich Ihnen dadurch nicht zu nahe getreten bin“. Sie wartete einen Augenblick, während der Mann sie ruhig mit graublauen Augen betrachtete, aus denen das Meer und ein hintergründiges Licht zu leuchten schienen. „Für diesen Fall würde ich mich entschuldigen“, setzte sie ihre Erklärung fort. „Sie müssen wissen, dass ich mich nach dem Tod meines Mannes vor einigen Monaten der Malerei zugewandt habe, ich besitze an Bord sogar ein kleines Atelier. Und ich stelle inzwischen fest, dass mich diese Tätigkeit sehr unterstützt, Dinge zu sehen, die mir früher nicht so aufgefallen wären und die ich sehr anziehend finde, manchmal sogar schön.“
Darauf antwortete der Mann, der dazu einen an seinem Unterarm hängenden Eimer in die Hand des anderen Arms wechselte: „Machen Sie sich keinen Vorwurf, weil Sie nicht nur einen, wenn auch nur vorübergehenden, neuen Nachbarn am Anlegesteg gesehen, sondern sich auch mit dessen Erscheinung so sehr beschäftigt haben, dass Sie dies gleich bei dieser ersten Begegnung mitteilen wollen. Ich selbst war zu sehr mit meinen Tauen beschäftigt, die vom letzten Ankern in einer Lagune mit türkisfarbenem Wasser, das an den Rändern in Ultramarin überging, an der Ostküste, ungeordnet an Deck herumlagen,