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Betritt die mythische Welt von Asgard, wo die Götter und Riesen in einem ewigen Spiel von Macht und Schicksal miteinander verwoben sind. In dieser faszinierenden Sammlung von Kurzgeschichten erwachen die alten nordischen Legenden zu neuem Leben. Erlebe mit, wie Odin, der weise Allvater, dunkle Geheimnisse lüftet und einer alten Fehde erliegt. Begleite Thor, den mutigen Donnergott, auf ein episches Abenteuer, während er gegen Ungeheuer kämpft und die Welten schützt. Und ziehe mit Tyr durch den Norden und rette die Menschen Midgards. Diese Geschichten voller Mut, Verrat und göttlicher Wunder werden dich in den Bann ziehen und bis zur letzten Seite nicht mehr loslassen.
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Seitenzahl: 213
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Der Donnerdrache
Alter Kriegsgott
Odins Tod
Der Schädel zersprang in tausend Teile. Er holte mit dem Hammer erneut aus und traf den zweiten Riesen voll auf die Nase. Das laute Splittern der Knochen löste ein breites Siegerlächeln aus. Als der Gigant seine blutigen Zähne ausspuckte, widmete er sich schon dem Dritten. Ein Blick zu Heimdall verriet ihm, dass er genauso viel Spaß hatte. Nur Bragi guckte bedeppert drein. Jeder Moment, der ihn von seinen Gedichten und Liedern ablenkte, missfiel ihm. Thor lachte umso mehr und widmete sich wieder dem Riesen, dem er die Nase zerschmettert hatte. Diese Monster waren Schmerzen zu sehr gewohnt, als dass sie eine gebrochene Nase lange aufhalten konnte.
Die gewaltige Keule prallte auf seinen Hammer. In dem Hieb lag mehr Wucht, als Thor erwartet hatte. Scheinbar war der Riese wirklich wütend. Die Energie der Keule ging durch seinen Hammer und zwang ihn auf die Knie. So wie er und die anderen Asen ein eingespieltes Team waren, übten auch die Riesen pausenlos. So hatte ein anderes dieser Ungeheuer seine Chance erkannt und schlug mit seiner Keule genau in dem Moment zu, als Thor in die Knie gegangen war. Sie knallte mit brutaler Wucht gegen Thors Kopf.
Im selben Moment sah Thor Sterne. Auch wenn die Keule nur seinen Helm getroffen hatte, so klingelten sofort die Glocken. Wie ein nasser Sack klappte er zur Seite und wachte im Land der Träume wieder auf. Nackte Walküren, die nicht mehr als Kettenhemden trugen, tanzten um ihn herum und riefen spöttische Wörter. Es reizte ihn. Doch als er sich die erste nackte Kriegerin schnappen wollte, war er wie angewurzelt. Ein Blick nach unten und er merkte, dass seine Füße wie Gummi waren. Jeder Versuch, sich die spöttischen Walküren zu schnappen, endete damit, dass seine Beine zitterten wie ein Gummiwurm. Plötzlich begann die ganze Welt zu beben. Alles drehte und schüttelte sich.
Das Gelächter wurde immer lauter. Aber die Stimmen hatten sich verändert. Aus den lieblichen Stimmen der Walküren waren grobe Männerstimmen geworden und sie kamen ihm bekannt vor. Er öffnete die Augen. Alles war verschwommen. Nur langsam wurde der Blick klarer. Dann erkannte er, zu welchem Gesicht die Männerstimme gehörte.
Es war Heimdall, der ihn schüttelte. Hinter ihm stand Bragi und sah ihn sorgenvoll an. Die Erinnerung kam zurück. Der Hieb hatte ihn auf die Bretter geschickt und die nackten Walküren waren nur eine Illusion gewesen. Benommen blickte er sich um. Die Horde Riesen lag gepfählt und blutend auf dem Boden. Einige zuckten noch. Er erkannte auch den Riesen mit der gebrochenen Nase. Ein riesiges Loch klaffte in seiner Brust.
Bragi half ihm auf. Dabei sprach er einen Vers, in dem es um den Donnergott ging, der sich von einem halbstarken Riesen auf die Bretter hatte schicken lassen. Thor rümpfte die Nase. Es kratzte an seiner Ehre. Noch nie war ihm so etwas passiert. Falls es sich herumsprach und das war bei Bragis Dichtkunst gewiss, würde er seinen Nimbus verlieren. Etwas Schlimmeres gab es für einen Krieger nicht.
Tatsächlich hatte er sich nicht getäuscht. Als sie abends in der Walhalla seines Vaters zum Trunk saßen, schien bereits jeder die Neuigkeit gehört zu haben. Tyr hatte ihn darauf angesprochen. Selbst Freyr der Wane hatte sich einen Kommentar nicht verkneifen können und das kratzte an seinem Ego. Er war Thor, der Donnergott. Er hatte in tausenden Abenteuern und endlosen epischen Schlachten bewiesen, dass er der Stärkste war. Kein einziges Mal hatte er sich auf die Bretter schicken lassen: bis zum heutigen Tag. Wütend knallte er den Krug auf den Tisch, nachdem er ihn geleert hatte. Er hielt es nicht mehr aus. Die Blicke der Einherjer waren unerträglich. Noch nie hatten sie ihn so angesehen. An jedem anderen Tag glomm die Ehrfurcht in ihren Augen, wenn sie den Donnerer erblickten. Doch heute waren neben Bewunderung auch Blicke des Spotts dabei, wie es einem Gott Asgards und Sohn Odins hatte passieren können, dass ihn ein einfacher Riese aus den Latschen gehauen hatte.
Unter wildem und zugleich frustriertem Löwengebrüll verließ er die Walhalla. Vor dem großen Tor der Halle seines Vaters trat er gegen einen Stein, sodass er weit durch die Luft flog. Dieser flog weit und Thor sah ihm hinterher, bis er hinter dem nächsten Hügel verschwand. Plötzlich zerriss ein Schmerzensschrei die Luft. Seine Augen wurden groß und er hastete den Weg entlang, um zu sehen, wen er mit seinem Stein getroffen hatte.
Als er den höchsten Punkt des Hügels erreichte, sah er Njord auf einem Baumstumpf sitzen und sich den Kopf reiben. Wütend greinte er ihm. Nachdem sich der Donnerer beim edlen Wanen entschuldigt hatte, fragte dieser, warum er wütend Steine durch die Gegend schoss. Thor setzte sich neben den hohen Gott und erzählte ihm die ganze Geschichte.
"Dein Problem ist groß. Wenn du nichts dagegen tust, wirst du bald eine Witzfigur sein. Vielleicht hilft dir eine Geschichte, die sie sich in den Häfen des Apfelkontinents erzählen: Der letzte Drache soll sich in die hohen Berge zurückgezogen haben. Wenn du den besiegst, dann wird dein Name wieder mit Ehrfurcht in den Hallen der Gefallenen erklingen!"
Thor lächelte. Diese Geschichte war genau nach seinem Geschmack. Wenn er mit dem Zahn eines toten Drachen als Trophäe zurück in die Walhalla kam, dann würden alle Spötter verstimmen. Sein Name würde wieder für Ruhm und Manneskraft stehen. Ohne weiter zu zögern, riss er seinen Hammer Mjöllnir in die Höhe. So laut wie er konnte, rief er Heimdalls Namen. Kaum eine Sekunde später traf der Strahl des Regenbogens die oberste Spitze seines Hammers und verschluckte ihn.
Der Gestank von vergammelten Fischen drang an seine Nase. Er hasste diesen Geruch, aber das war der Ort, den ihm Njord genannt hatte. Er musste sich unter dem Volk der Seefahrer umhören. Sie würden ihm den Weg zeigen. Am Ende des Piers lag eine Spelunke. Mit ein paar Bier lockerte sich jede Zunge, dachte Thor und so stiefelte er mit stampfenden Schritten bis zum Wirtshaus.
Es stank noch mehr als draußen. Nur stank es nicht mehr nach Fisch. Stattdessen war es der sehr faulige Geruch verschwitzter Kleidung und ungewaschener Körper. Beim Wirt bestellte er eine Lokalrunde. Jubel war sein erster Lohn. Dann hielt er einen funkelnden Rubin in die Höhe und versprach ihn jedem, der ihn zum Berg des Drachen führte.
Betretenes Schweigen war die Antwort. Sie zog sich in die Länge, bis sich plötzlich ein alter Mann erhob, dessen Kleider wie alte Lumpen aussahen. Gestützt auf seinen Stock humpelte er zum Donnergott. Als er ihm nahe kam, nahm Thor den fürchterlichen Gestand wahr. Doch der Alte ließ sich nicht davon abbringen, dass Thor mit seiner göttlichen Nase rüffelte. Wie angewurzelt blieb er vor ihm stehen und wedelte mit der Hand, um Thor verstehen zu geben, dass er sich zu ihm runterbeugen sollte. Dann flüsterte er dem asischen Hünen etwas ins Ohr.
Was er sagte, war nicht, was Thor sich erhofft hatte. Aus der Kneipe würde ihn niemand führen, wie ihm der Alte verraten hatte. Zu viele waren in den letzten Monden aufgebrochen, um den Drachen zur Strecke zu bringen. Keiner war zurückgekehrt. Es gab nur einen in der Hafenstadt, der verrückt genug wäre, ihn zu führen und der auch bereits den Aufstieg ins Drachenhorst gewagt hatte. Er gab dem Alten etwas für seine Hilfe und verließ die Spelunke.
Die warme Meeresluft spielte mit seiner Nase. Es war ihm zu heiß. Er liebte die nordischen Gefilde, denn das Wetter passte besser zu seiner kämpferischen Natur. Er sah sich um. Die Beschreibung des Alten war wage gewesen. Zuerst sollte er zum großen Tempel der Stadtgötter und von dort dem Pfad der Hütten folgen, bis er die Gefährlichste gefunden hätte. Mehr hatte er nicht gesagt und voran er die Gefährlichste erkennen sollte, war ihm nicht klar. Doch das würde er sicher herausfinden.
Eine große Statue mit dem Kopf eines Elefanten lächelte ihn an, als er dem Tempel näherkam. Daneben gab es viele kleine Statuen von Göttinnen, die mit nackten Brüsten wild tanzten. Betende Männer saßen still davor oder verrenkten sich. Doch Thor hielt sich nicht lange damit auf, den Tempel zu begutachten. Er war nicht als Tourist hier, sondern weil er der Welt seinen Heldenmut beweisen wollte. Die Hütten am Tempel waren nicht zu übersehen. Er bog in die Gasse ein und eine Myriade an Gerüchen kitzelte seine Nase. Die Hütten waren nur bunt bemalte Bretterverschläge. Jedoch sahen die Kinder glücklich aus und das war das Wichtigste im Leben, wusste Thor.
Ein Ball aus Stoffresten rollte ihm vor die Füße. Er hob ihn mit seiner Riesenpranke hoch. Plötzlich kam eine Horde Kinder angerannt und umringte ihn. Kreischend forderten sie ihn auf, mit ihnen zu spielen. Der Donnergott lachte, dann warf er den Ball zu dem Kind, welches am weitesten von ihm weg stand. Augenblicklich drehte sich die kleine Horde zu dem Kind um und rannte auf ihn zu. Kurz bevor die Gruppe ihn erreicht hatte, warf das Kind den Ball zurück zu Thor und wieder rannte die Gruppe Kinder auf ihn zu. Kurz bevor sie ihn erreichten, warf er den Ball zu einem anderen Kind, das sich besonders weit von ihm weg gestellt hatte.
Plötzlich spürte er zwei Augen auf sich brennen. Als er sich umsah, entdeckte er am Ende der Gasse eine einzelne Hütte. Sie stach heraus. Denn ihr Dach war mit edlen Schilden verziert, die viele Furchen von den Kämpfen trugen. Vor der Hütte saß ein Mann kerzengerade im Schneidersitz, sah ihn an und lächelte. Thor spürte sofort, dass dieser Mann nicht wie die anderen eine harmlose Gestalt war. Es steckte ein Feuer in seinem Blick, das die Luft zum Brennen brachte, obwohl sein Blick an sich freundlich war.
Er spielte noch einige Zeit mit den Kindern, dann verabschiedete er sich, wobei sich ein knuddelnder Knäuel aus Kindern um seine muskulösen Oberschenkel wickelte. Nach einiger Zeit ließen sie ihn los und wandten sich wieder ihrem Ball zu. Thor erwiderte endlich den Blick des Mannes am Feuer. Noch immer lächelte der Mann mit dem Blick eines Löwen. Angekommen bat er ihn, sich mit ans Feuer zu setzen. Aus einem Beutel zog er eine Handvoll Nüsse und reichte sie Thor.
Thor knackte die erste Nuss und schlang sie herunter. Dann erzählte er dem Mann am Feuer, was ihn hergeführt hatte. Stumm hörte sich der Mann alles an und kaute seine Nüsse. Auch als Thor mit seiner Geschichte fertig war, kaute er schweigend weiter auf seinen Nüssen und schmatzte. Thor ließ sich davon nicht irritieren. Er kannte viele Einherjer. Oft waren die Mutigsten die Wortkargsten. Sie sagten nicht viel, aber wenn sie etwas sagten, dann hatte es Gewicht und sie würden eher sterben, als zuzulassen, dass ihre Taten ihre Worte Lügen straften. Denn Ehre war für die Mutigen alles. Ein Mann, dessen Worte nicht aufrecht waren, besaß keine Ehre.
Nach einiger Zeit stand der Mann auf. Er entfachte ein kleines Feuer und hängte einen kleinen Kessel darüber. Aus einem langen Schlauch goss er eine gelbe Flüssigkeit in den Kessel und aus einem Lederbeutel, der neben der großen Schwertscheide an seinem Gürtel hing, fischte er Kräuter hervor. Er zog sein Schwert und drehte es um. Mit dem Knauf zerrieb er die Kräuter in einer metallenen Schale und schüttete sie in den Kessel. Dann sagte er zu Thor: "Heute trinken wir und morgen beim ersten Sonnenstrahl brechen wir auf." Thor antwortete mit einem Lächeln und blickte dann zu dem goldenen Gebräu, welches zu brodeln begann. Nebenbei knackte er eine weitere Nuss in seiner Hand. Er fischte die essbaren Teile zwischen den Resten der Schale heraus und steckte sie sich in den Mund. Sein Gastgeber kramte derweil in seiner Hütte und reichte ihm dann einen metallischen Becher.
Er rührte noch einige Zeit und langsam verbreitete sich der Duft. Es roch holzig warm. Thor glaubte, einige der Kräuter am Geruch erkennen zu können. Doch darunter war auch ein Duft, der giftig roch und er fragte sich, ob er dem Mann vertrauen konnte? Als der jedoch zum Testen seinen Becher in das Gebräu tauchte und nach längerem Pusten einen ersten Schluck nahm, entspannte er sich.
Wie es schien, war ihr Trunk fertig. Der Becher wärmte seine Hand, nachdem er ihn gefüllt hatte. Noch war er ein wenig unschlüssig. Denn etwas an dem Geruch war anders und unbekannt. Als dann der Mann seinen Becher mit einem Zug leerte und sofort wieder füllte, wartete er auch nicht länger.
Zuerst brannte es in seiner Kehle. Es war ein stärkeres Gesöff als erwartet. Dann schmeckte er den Honig heraus, was ihn an Odins Halle erinnerte. Als Drittes schob sich ein unbekannter Geschmack darunter. Als der Mann bemerkte, wie Thor sein Getränk analysierte, sagte er etwas von Flugkräutern, bevor er sich schallend auf den Oberschenkel schlug. Thor erwiderte sein Lachen. Eine Wahl blieb ihm eh nicht. Deshalb kippte er sich den Rest des Bechers hinter die Birne.
Sein Gastgeber zögerte nicht lange und füllte Thors Becher wieder. Dieser kippte direkt den zweiten auf Ex. Diesmal kramte der Mann ein paar Mangos hervor, warf sie Thor zu und verriet ihm endlich, dass sein Name Arjuna war. Thor fing die Mango lachend auf und biss hinein. Schmatzend aß er die süße Frucht, während Arjuna seinen Schlauch wieder hervorholte und mehr von dem goldenen Gesöff in den Kessel goss. Thor schlug Arjuna ein Trinkspiel vor, dass er oft mit den Einherjern spielte. Arjuna war sofort begeistert.
Dann stellte er drei Becher auf und erklärte Arjuna die Regeln. Sie warfen kleine Steine in die Becher. Doch beide waren gute Schützen und trafen fast immer. Deshalb kam das Spiel nicht in Fahrt. Also entschieden sie sich, nachdem Arjuna einen zweiten Schlauch aus seinem Vorrat im Kessel mit Kräutern verkocht hatte, auf das klassische Wetttrinken.
Plötzlich setzte die Wirkung ein und Thor krachte auf einmal nach hinten, weil ihn der Rausch der Kräuter für einen Moment auf die Bretter schickte. Es funkelte vor seinen Augen und in seinem Kopf drehte sich ein Tornado. Arjunas Lachen drang an sein Ohr, aber er verstand nicht, was er sagte, weil das Rauschen in seinen Ohren wie die Wellen in einer felsigen Brandung war.
Dann sah er einen Tunnel aus Licht. Er folgte ihm, auch wenn er nicht wusste wie, denn er spürte, dass sein Körper auf dem Boden lag. Als er das Ende des Tunnels erreichte, wurde es stockfinster, bis er plötzlich Rinde unter seinen Füßen spürte. Dann roch er etwas. Als er sich umdrehte, schälten sich schattenhafte Formen aus der Dunkelheit. Plötzlich sah er ein kleines loderndes Feuer. Etwas brodelte, daran gab es keinen Zweifel. In dem alten Kessel über dem Feuer brodelte es und drei Schatten mit langen Mänteln standen um den Kessel herum.
Es schrie. Jemand hatte ihm ins Gesicht geschlagen. Das Dunkel verflog und verschwommen kam Arjunas Gesicht zum Vorschein. Es schmerzte wieder. Doch diesmal erkannte er, dass es Arjuna war, der ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Er fluchte. Arjuna lachte und er erklärte ihm, dass er von den Kräutern ohnmächtig geworden war. Dann steckte er Thor eine Mango in den Mund, setzte sich wieder ans Feuer und trank aus dem dritten Schlauch, den er mittlerweile herausgeholt hatte.
Thor setzte sich auf. Er spürte, wie es in seinem Magen brodelte. Für einen Moment erinnerte er sich an die Bilder aus seiner Vision. Doch als Arjuna ihm den Schlauch zuwarf, vergaß er sie und nahm einen großen Schluck, bevor er sich um die süße Mango kümmerte.
Arjuna erklärte ihm dann, dass seine Kräuter magische Wirkungen hätten. Sie konnten dem Geist Tore in andere Welten öffnen. Thor hörte zu. Er hatte keinen Zweifel, dass Arjunas Kräutergemisch magische Kräfte hatte. Aber er kam nicht drauf, was die Vision ihm sagen wollte. Stattdessen ließ er sich den Beutel mit Nüssen geben und überreichte Arjuna zugleich mehrere große Goldklumpen als Bezahlung für seine Dienste als Führer. Dieser besah sich das Edelmetall. Als er es für gut genug befunden hatte, ließ er es in einer kleinen Truhe verschwinden.
Die Nacht setzte ein und der wolkenlose Nachthimmel offenbarte eine strahlende Mondsichel. Arjuna bestand darauf, früh schlafen zu gehen, da er mit den ersten Sonnenstrahlen aufbrechen wollte. Er bereitete sein Reisegepäck vor und war kurz verwundert, dass Thor fast nichts für eine Reise dabei hatte. Also warf er ihm einen leeren Rucksack zu und erklärte ihm, dass er die Vorräte schleppen sollte, die sie morgen besorgen würden.
Arjuna schnarchte, kaum dass sie sich hingelegt hatten. Seine Hütte hatte kaum Platz für einen zweiten Mann, darum schlief Thor draußen am Feuer, während Arjuna hinter den Decken seiner Hütte das nächtliche Holz sägte. Der Alkohol wirkte bei Thor noch immer. Da er die Finger vom Kessel gelassen und nur noch aus den Schläuchen getrunken hatte, war die Kräutermagie längst verflogen. Dennoch fragte er sich, was er in seiner Vision noch gefunden hätte, wenn Arjuna ihn nicht mit den Ohrfeigen zurückgeholt hätte.
Die feuchte Nase eines Hundes weckte ihn. Hinter sich hörte er das Kramen Arjunas. Durch den Vorhang konnte er nicht sehen, was er tat. Aber ein Blick zum Himmel verriet ihm, dass die Sonne bald aufgehen würde und es Zeit war, sich für den Aufbruch vorzubereiten. Einen Augenblick später reichte Arjuna mehrere Fladen durch den Vorhang und wies Thor an, das Feuer zu entfachen. Der nordische Hüne schürte ein kleines Feuer. Arjuna, der kurz darauf aus der Hütte gekommen war, füllte einen kleinen Kessel mit Wasser. Sie warteten, bis das Wasser kochte. Dann bereitete Arjuna zwei Becher Tee vor und sie begannen, die Fladen zu essen.
Der Tee duftete. Sein Aroma stimulierte und weckte jede Muskelfaser in Thors Körper. Der Donnergott wusste nicht, was das für ein Gemisch war, aber es war mächtig und trug Magie in sich. Er fragte nicht nach, denn er kannte die Kräuterhexen des Nordens. Weder verrieten sie ihre Geheimnisse außerhalb ihrer Zirkel, noch leugnete jemand im Norden ihre enormen magischen Fähigkeiten.
Die ersten Sonnenstrahlen streichelten Thors Augen. Verglichen mit der Wintersonne im Norden waren sie unglaublich warm. Zudem wehte eine Brise vom Meer her und kitzelte seine Nase. Arjuna reinigte wortkarg die Becher, verstaute sie im Rucksack, verschnürte alles und schulterte ihn. Dann warf er Thor einen halbleeren Rucksack zu und verknotete die Decken, die seine Hüttentür darstellten. Mit einem Kopfnicken Richtung Thor stiefelte er los.
Thor selbst blickte seinem Führer noch kurz hinterher. Arjuna gefiel ihm. In ihm loderte das Feuer eines Berglöwen und trotz der wenigen Worte, die er sagte, spürte er, dass Arjunas Geist flink wie der eines Hasen war. Er schaute noch einmal auf die Hütte, wandte sich dann aber wieder Arjunas Rücken zu und lief ihm hinterher.
Ihr Weg führte sie zuerst zum Hafen. Die angereisten Händler schliefen bei ihren Ständen, sodass sie auch in der Früh alles kaufen konnten. Sie besorgten sich Vorräte, wobei beide gute Jäger und auch des Sammelns kundig waren und sie sich das meiste auf dem Weg besorgen würden. Arjuna wusste genau, was er wollte. Außerdem war er ein geschickter Händler. An jedem der drei Stände, an denen sie etwas kauften, feilschte er sehr vorteilhaft. Nachdem sie alles hatten, wählten sie die Straße, die sie aus der Hafenstadt hinaus in die Wildnis führte.
Am Horizont thronten die Berge. Thor lief Arjuna hinterher und genoss den Blick. Sie wirkten majestätisch und er fragte sich, warum er nie zuvor hier gewesen war. Auf der Straße wanderten sie nicht allein. Viele Bauern und Holzsammler waren unterwegs. Händler transportierten ihre Waren mit Büffeln. Selbst eine Gruppe Schausteller kreuzte ihren Weg. Sie marschierten den ganzen Tag, bis sie ihr Nachtlager an einem Platz aufschlugen, an dem auch einige Händler nächtigten.
Sie sammelten zuerst ihren Teil Holz fürs Feuer. Dann kochte Arjuna sein goldenes Gesöff mit der magischen Kräutermischung. Die Händler schienen zu wissen, was sie erwartete und waren dankbar für die kleine Abwechslung. Als Dank teilten sie ihre Speisen mit den beiden Reisenden. Dann gingen die Becher herum. Selbst Thor probierte die Mischung ein zweites Mal. Doch diesmal war er vorbereitet. Als die Visionen einsetzten, ließ er sich freiwillig nach hinten fallen, damit ihn die Bilder davon tragen konnten. Wie ein Schamane verwandelte er sich in einen Adler. Mit weiten Flügeln ließ er sich in den Himmel tragen. Die Wolken spielten mit seinen Federn und sein Flug führte ihn zu dem Gebirge, das vor ihnen lag. Sanft trugen ihn die kalten Winde zu den felsigen Klüften. Unter ihm zogen Händler mit ihren Yaks dahin. Dann verschwanden die letzten Sträucher. Es gab nur noch Schnee und Stein. Doch seine Schwingen trugen ihn immer weiter. Bis ein Röhren die Stille zerriss.
Ein Zittern ging durch sein Gefieder. Er wusste nicht, was es war oder woher es kam. Nur dass es mächtig war, konnte er spüren. Plötzlich verdunkelte sich die Sonne. Zuerst dachte er, die Nacht würde einsetzen. Doch als er nach vorn sah, blitzten die Berggipfel in hellem Tageslicht. Denn spürte er die Hitze und im nächsten Moment schoss ein Feuerstrahl über ihm durch die Luft.
Er legte eine akrobatische Drehung hin und dann sah er ihn. Sein Bauch war schuppig. An manchen Stellen war er vernarbt. Diese Art Narben kannte er. Sie stammten von Schwerthieben und Speerspitzen. Als Nächstes fielen ihm die riesigen Zähne auf und dann stieß das Ungetüm erneut einen kräftigen Feuerball aus. Doch statt heiß zu werden, wurde er nass.
Verwundert schüttelte sich Thor und öffnete die Augen. Über ihm stand Arjuna mit einem leeren Becher in der Hand. Hinter ihm schienen die Händler zu lachen. Wie er ihrem Gemurmel entnahm, lachten sie über ihn, weil Arjuna einen Becher kaltes Wasser genutzt hatte, um ihn aus seiner Ohnmacht zu reißen.
Mühsam richtete sich Thor wieder auf. Das Gift der Kräuter steckte noch immer in seinen Knochen und er spürte, wie es seine Muskeln lähmte. Arjuna klopfte ihm hart auf die Schulter und drückte ihm einen Fladen in die Hand. Während er den Fladen verzehrte, hörte er den Geschichten der Händler zu. Diese Karawane war über die hohen Pässe gezogen. Sie erzählten von einer Tempelstadt in den Bergen, in der alte, weise Männer herrschten. Einer der Händler berichtete von den Schneemenschen, die in den höchsten Gipfeln hausten. Thor lauschte aufmerksam. Als seine Neugier nicht befriedigt wurde, fragte er nach dem Drachen.
Stille kehrte in der Gruppe ein. Plötzlich blickten alle betreten auf den Boden. Nur Arjuna schaute weiter entspannt drein. Thor war verwundert und fragte erneut. Wieder blieb es still. Also fragte er erneut; nur diesmal fragte er, ob sie Männer oder Feiglinge wären, die sich nicht einmal trauten, über einen Drachen zu sprechen. Nur einer der Männer räusperte sich. Dann begann er leise zu erzählen.
Thor erfuhr, dass es einige Pässe in den Bergen gab, auf denen der Drache eine Blutspur hinterlassen hatte. Seit ein paar Jahren zogen nur noch die Verrückten und Ungläubigen über diese Pässe. Viele von ihnen wurden nie wieder gesehen und die, die es schafften, berichteten von den zerstörten Wagen, die sie auf dem Pässen fanden und deren Besitz sie sich angeeignet hatten. Thor hörte aufmerksam zu. Ein solcher Drache war nach seinem Geschmack. Denn er versprach jedem, der ihn bezwang, großen Ruhm.
Arjuna schwieg und erzählte nichts. In der Hafenstadt hatten sie ihn an Arjuna verwiesen, weil er diese Reise bereits mehrfach unternommen hatte. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, um zu der Erzählung über den Drachen etwas beizusteuern. Doch sein Bergführer blieb stumm. Erst als ein Schatten über Arjunas Gesicht huschte, fragte sich Thor, welche Geheimnisse sein Führer mit sich herumtrug. Denn er wusste mehr als diese Händler. Was also hatte er erlebt?
Der Schlaf holte ihn bald, denn das giftige Gebräu steckte noch in seinen Blutbahnen. Der Schlaf war tief und traumlos. Als er die Augen aufschlug, zog die Dämmerung gerade auf. Ein kleines Feuer loderte. Als er sich umsah, fand er alle schlafend außer Arjuna. Der saß am Feuer und kaute auf einer Wurzel. Als ob er Augen im Rücken hatte, drehte er sich wie der Blitz um, als Thor seinen Blick auf ihn gerichtet hatte. Ein kaum sichtbares Nicken folgte und Thor wusste, dass es Zeit zum Aufbrechen war.
Sie zogen los, als gerade die ersten Händler erwachten. Arjuna hatte Thor einige Momente zum Trinken und Essen gegönnt, aber dann zur Eile gedrängt. Er verstand ihn, auch er mochte es nicht, zu lange zu rasten, wenn die Wildnis nach ihm rief und noch hatten sie Tage vor sich, bis sie in die Gegend des Drachen kommen würden.
Die nächsten drei Tage verliefen ruhig. Sie wanderten. Kleine Bergbäche schenkten ihnen frisches Wasser und ihre Bögen füllten die Bäuche. Am dritten Abend gelangten sie an eine Höhle und es wirkte so, als hätte Arjuna sie bewusst angesteuert. Auf einmal erkannten sie einen alten Mann mit langem Bart. Er saß im Eingang der Höhle auf einem großen Stein. Seine Augen waren geschlossen und sein Rücken war gerade wie ein Brett. Je näher sie kamen, desto mehr spürte Thor die Aura des Mannes. Aber er sah auch, wie abgemagert er war. Sein langes Haar und der Bart hatten es erst überdeckt. Doch die Gestalt auf dem Felsbrocken bestand nur aus Haut und Knochen.
Arjuna begann sich wie eine leise Katze zu bewegen. Thor war beeindruckt. Krieger hatten diese Gabe. Nur dass Arjuna besser war als die meisten. Immer öfter fragte er sich, was sein Führer gemacht hatte, bevor er begonnen hatte, Wanderer durch die Berge zu führen. Aber erstmal ging es darum, es seinem Begleiter gleichzumachen und so bewegte sich auch Thor auf leisen Sohlen.