Küstenteufel - Er sieht dich - Mary-Anne Raven - E-Book
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Küstenteufel - Er sieht dich E-Book

Mary Anne Raven

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Beschreibung

Packender erster Fall für Erdbeerverkäuferin Sophie an der Ostseeküste – Für Fans von Küstenkrimis und Eva Almstädt

Eigentlich wollte Sophie sich nur ein bisschen Geld als Verkäuferin dazu verdienen, doch dann muss sie feststellen, dass ihr Erdbeerstand mitten im Jagdrevier eines brutalen Serienvergewaltigers steht. Ihr Freund Leonard bekniet sie, den Job aufzugeben, aber so einfach lässt Sophie sich nicht in die Flucht schlagen. Sie beginnt selbst zu ermitteln und kommt dem Täter dabei gefährlich nah ...

»Ein einfallsreicher Krimi, der die Spannungsmomente gekonnt in Szene setzt.« ((Leserstimme auf Netgalley))

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Christiane Geldmacher

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Mary-Anne Raven; Freepik (nikitabuida; yingyang)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Prolog

»Wann sind wir endlich da?«

Hubertus unterdrückte ein genervtes Augenrollen und starrte missmutig hinaus auf die links und rechts von Bäumen gesäumte Landstraße. Sie war zwar landschaftlich schön, wollte aber einfach kein Ende nehmen. So langsam bereute er es, dem Vorschlag seiner Frau nachgegeben zu haben, mit der ganzen Familie Campingurlaub an der Ostsee zu machen.

Es hatte damit begonnen, dass sie bereits auf der Hinfahrt wegen diverser Baustellen auf der A7 und bei Hamburg den halben Tag bei praller Sonne im Stau gestanden hatten. Dementsprechend spät erreichten sie ihren Campingplatz an der Wohlenberger Wiek und mussten ihre Zelte müde und erschöpft im Dunkeln aufbauen. Es folgten fünf Tage Dauerregen, die irgendwann das Zelt und den Boden dermaßen aufgeweicht hatten, dass sie bei jedem Schritt im Schlamm zu versinken drohten. Seine Frau hatte die Notbremse gezogen und im Internet eine Ferienwohnung organisiert. Leider lag diese aufgrund der mangelnden Auswahl mitten in der Hochsaison ein gutes Stück vom Strand entfernt. Damit konnten sie jetzt zwar ihre klammen Sachen trocknen und ein wenig Luxus in Form einer Küche, eines eigenen Bades und eines Fernsehers genießen, mussten aber immer, wenn sie zum Strand wollten, fast zwanzig Minuten Autofahrt in Kauf nehmen. Dort hieß es dann erst einmal einen teuren Parkplatz suchen und natürlich die Strandgebühren entrichten.

Unnötig zu erwähnen, dass der Dauerregen schon einen Tag nach ihrem Umzug vom Campingplatz wieder verschwand und strahlendem Sonnenschein Platz machte.

Das war irgendwie nicht der Traumurlaub, wie Hubertus ihn sich vorgestellt hatte.

»Bekomm ich am Strand ein Eis?«

»Janni hat mir meine Taucherbrille weggenommen!«

»Nein, das ist meine Taucherbrille.«

»Gib sie wieder her!«

»Kinder, hört auf zu streiten!«

»Aber er gibt sie mir einfach nicht!«

»Hol sie dir doch!«

Etwas Hartes traf Hubertus am Kopf und ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Das Auto vollführte einen kleinen Schlenker.

»Seid ihr verrückt geworden? Wollt ihr, dass euer Vater gegen einen Baum fährt? Jan Henry Vogt, du hörst jetzt sofort damit auf, sonst …«

Hubertus sah die Person, die plötzlich aus dem Schatten der Bäume auf die Straße wankte, erst im letzten Moment. Entsetzt trat er auf die Bremse und riss das Lenkrad herum.

Seine Frau und die Kinder schrien auf, als der Wagen über die Fahrbahn schlingerte und nur knapp vor einem der Alleebäume zum Stehen kam. Hubertus Herz hämmerte heftig in seiner Brust. »Seid ihr alle okay?«

»Spinnst du? Was sollte diese Vollbremsung?« Seine Frau Elena sah blass aus, wirkte aber unverletzt. Ein schneller Blick auf die Rückbank zeigte ihm, dass es bei Jan und Anna ähnlich aussah.

»Da war jemand auf der Straße.«

»Was? Hast du ihn überfahren?«

»Ich glaube nicht.« Hubertus suchte hektisch die Fahrbahn ab. »Da! Da vorne am Straßenrand. Bleib du hier, bei den Kindern. Ich seh mal nach.«

Er löste den Gurt, riss die Fahrertür auf und eilte zu der Gestalt, die zusammengekauert im Schatten eines Baumes hockte.

Schon von Weitem konnte er sehen, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie hatte die Beine mit den Armen umschlungen und den Kopf darin verborgen. Apathisch wippte sie hin und her. Soweit er es sehen konnte, trug sie keine Kleidung. Zögernd trat er näher an sie heran.

»Hallo? Sind Sie … sind Sie verletzt?«

Er erhielt keine Antwort. Alles, was er hörte, war das leise Wimmern einer Frau.

»Ähm … Entschuldigung kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Schmerzen?«

Hubertus konnte nicht allzu viel von ihrer Statur erkennen, doch sie schien nicht sehr alt zu sein, maximal zwanzig, wenn nicht sogar jünger. Beim Näherkommen glaubte er, Reste von Klebeband an ihren nackten Handgelenken zu erkennen. Auch in ihrem blonden Haar klebten einige Streifen.

»Hallo, brauchen Sie Hilfe?«, versuchte er es noch einmal und berührte sie vorsichtig an der Schulter.

Sie zuckte zusammen, als hätte sie ihn erst jetzt wirklich bemerkt.

Ihr Kopf wandte sich in seine Richtung und er erkannte voller Entsetzen, dass ihr jemand das Klebeband in mehreren Lagen über Mund und Augen gewickelt hatte. Die oberen Lagen waren rot gefärbt von Blut, das aus einer tiefen Wunde auf ihrer Stirn sickerte. Irgendetwas war mit einem scharfen Gegenstand tief in ihre Haut geritzt worden.

Entsetzt wich er zurück. »Oh, mein Gott! Elena? ELENA! Ruf sofort einen Krankenwagen und die Polizei!«

1.

»Hallo, junge Dame, na, was können Sie mir denn heute empfehlen?« Der schon etwas ältere Herr mit dem leichten Überbiss grinste Sophie breit an.

»Tja, wie wäre es denn heute mal mit … Erdbeeren?«, schlug sie mit einem freundlichen Lächeln vor und machte eine einladende Bewegung über den reichlich gefüllten Tresen des kleinen, erdbeerförmigen Verkaufsstandes.

»Na, das klingt doch nach einer guten Idee. Ich hätte gern ein Kilo von den Schönsten«, erwiderte der Kunde und grinste noch eine Spur breiter. Sophie behielt ihr Lächeln aufgesetzt, verpackte zwei große Pappschalen mit Erdbeeren für ihn und kassierte das Geld.

»Bitte sehr und noch einen schönen Tag.« Mit einem amüsierten Kopfschütteln blickte Sophie ihm nach, wie er glücklich von dannen zog.

Sie kannte den älteren Herrn. Er kam regelmäßig an ihren Stand. Erst gestern hatte er ein ganzes Kilo erstanden und vermutlich würde er spätestens übermorgen wieder hier aufschlagen. Was in ihr unweigerlich die Frage aufkommen ließ, ab welcher täglichen Menge der übermäßige Konsum frischer Früchte wohl eine negative Auswirkung auf den Verdauungsapparat hatte. Na ja, vielleicht besaß er ja eine große Familie oder er verteilte seine Erdbeerkäufe auf alle Nachbarn. Man konnte es seinem Magen zuliebe nur hoffen.

Mit einem leichten Seufzen ließ Sophie sich zurück auf ihren Stuhl sinken. Zum Glück war heute ein etwas regnerischer Tag mitten in der Woche, an dem sich der Betrieb an ihrem kleinen Erdbeerstand in Grenzen hielt und sie zwischendurch auch ein bisschen Zeit fand, durchzuatmen und in dem faszinierenden Buch über Forensik zu lesen, das sie erst kürzlich in der Bücherei entdeckt hatte.

Der Job als Erdbeerverkäuferin war nicht gerade ihr Traumberuf, aber er war immer noch besser, als zu Hause untätig auf dem Sofa zu liegen und den ganzen Tag nichts zustande zu bringen, außer im Internet Katzenvideos anzuschauen.

Leonard hatte zwar mehr als einmal angedeutet, dass sie den Job nicht machen müsste, da er genug verdiente, um sie beide durchzufüttern, doch das entsprach nicht Sophies Weltbild. Trotz aller Liebe zu ihrem Freund, für den sie Job und Wohnung in ihrer alten Heimat aufgegeben hatte, um hierher zu ziehen, wollte sie sich weiter ihre Unabhängigkeit bewahren. Die Rolle des Heimchens hinter dem Herd, das rund um die Uhr nur kochte und putzte und dessen Tageshighlight es war, wenn der Mann von der Arbeit nach Hause kam, entsprach weder ihren Fähigkeiten noch ihrer Vorstellung von einer gleichberechtigten Beziehung. Außerdem wäre ihr den ganzen Tag allein zu Hause über kurz oder lang die Decke auf den Kopf gefallen.

Da das Arbeitsamt nur bedingt hilfreich war und mit einer »Kreativen« wie ihr ohnehin nicht viel anfangen konnte, hatte sie sich kurz entschlossen auf diese Saisonstelle am Erdbeerstand beworben, um wenigstens ein bisschen Einkommen zu haben. Damit war sie für den Sommer erst mal versorgt und bis zum Herbst, wenn die Erdbeersaison endete, würde sich vielleicht etwas anderes ergeben, das mehr ihrer Ausbildung entsprach.

Bis dahin blieb ihr viel Zeit für Charakterstudien an den unterschiedlichen Menschentypen, die an ihren Stand kamen, und für das ein oder andere Buch zwischendurch.

Die nächste Kundin war eine alte Bekannte. Eine Stammkundin, die ebenfalls regelmäßig Erdbeeren bei ihr kaufte. Sophie hätte sie fast nicht wiedererkannt. In ihrer Erinnerung war die junge Frau eine lebensbejahende, immer gut gelaunte Person gewesen, doch die Gestalt, die jetzt an ihren Tresen trat, hatte nicht mehr viel damit gemein.

Sie wirkte blass und mitgenommen. Unter ihren Augen zeichneten sich tiefe Schatten ab. Trotz sommerlicher Temperaturen von mindestens 25 Grad trug sie eine Wollmütze auf dem Kopf, unter der auf einer Seite ein Verband hervorschaute. Ihr bisher langes blondes Haar war auf Kinnlänge gekürzt und braun gefärbt worden.

Vielleicht war sie krank gewesen oder hatte einen schweren Unfall erlitten. Auf jeden Fall sah sie so aus, als könnte sie etwas seelischen Beistand gebrauchen. Also versuchte Sophie besonders fröhlich zu klingen, als sie die junge Frau begrüßte.

»Hallo! Sie waren ja eine Ewigkeit nicht mehr hier. Wo Sie doch meine beste Kundin sind. Wie kann ich Ihnen heute etwas Gutes tun?«

»Etwas Gutes?« Die junge Frau versuchte ein schwaches Lächeln zustande zu bringen, was ihr allerdings kläglich misslang. »Ich … hätte gern …« Von einem Moment auf den anderen brach sie in Tränen aus. Sophie wusste gar nicht, wie ihr geschah. Zum Glück waren gerade keine anderen Kunden am Stand. Schnell öffnete sie die Seitentür der Erdbeere, trat neben die schluchzende Frau und strich ihr vorsichtig über den Rücken. »Ganz ruhig, kein Grund zur Panik. Kommen Sie, setzen Sie sich erst mal hin und atmen Sie tief durch.« Sie zog ihren Hocker aus dem Stand und bot ihn der Frau zum Hinsetzen an. Mit zitternden Knien nahm sie darauf Platz. »Hier, nehmen Sie ein paar Erdbeeren. Die sind gut für die Seele. Geht aufs Haus.«

Die Frau rang noch immer um Fassung, nahm aber tapfer eine der angebotenen Erdbeeren und steckte sie in den Mund. Sophies Zuwendung schien ihr gut zu tun. Zumindest beruhigte sie sich wieder etwas.

»Entschuldigen Sie, ich … ich dachte, ich wäre schon wieder bereit für die Welt hier draußen, aber offenbar bin ich es doch nicht«, brachte sie stockend hervor.

Sophie fühlte sich ein wenig hilflos in dieser Situation. Ohne konkrete Anhaltspunkte konnte sie nur raten, welches Trauma die junge Frau erlitten hatte.

»Ganz ruhig. Sie machen das gut. Das ist nur eine kleine Panikattacke. Das kann schon mal passieren, nach einem schweren Unfall …«, plapperte Sophies Mund einfach drauflos.

»Ich wünschte, es wäre ein Unfall gewesen. Dann müsste ich mich dafür nicht schämen und könnte mit jemandem darüber reden.«

Ein kalter Schauer lief Sophies Rücken hinunter. Die Indizien setzten sich plötzlich zu einem unschönen Bild zusammen. Ein furchtbarer Verdacht, was mit der jungen Frau passiert sein mochte, keimte in ihr auf.

Die Zeitungen waren in den letzten Wochen voll davon gewesen. Eine Serie von Überfällen, die sich in der ländlichen Region zwischen Lübeck, Schwerin und Wismar ereignet hatten. Die Opfer waren immer schlanke blonde Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren gewesen. Sie wurden am helllichten Tag auf offener Straße vermutlich mit einem Elektroschocker betäubt und in ein Fahrzeug gezerrt. Der Täter klebte ihnen Mund und Augen zu, entkleidete sie vollständig und verging sich dann an ihnen. Anschließend ritzte er seinen Opfern mit einem scharfen Gegenstand ein Auge in die Stirn und legte sie dann irgendwo am Straßenrand ab. Nackt, hilflos und für das Leben gezeichnet. Das letzte Opfer war beinahe von einem Auto überfahren worden, und soweit Sophie wusste, hatte es mindestens einen Selbstmord in Zusammenhang mit diesen Taten gegeben. Eine wirklich furchtbare Verbrechensserie, die alle Frauen der Region in Angst versetzte.

War ihre Stammkundin auch ein Opfer dieses Täters geworden? Es deutete alles darauf hin. Aber wie um Himmelswillen sollte Sophie damit umgehen? Ein wenig hilflos strich sie der jungen Frau über die Schulter.

»Ich finde es toll, dass Sie den Schritt nach draußen gewagt haben. Egal, was Ihnen passiert ist. Es ist wirklich mutig, sich nicht vom Leben abhalten zu lassen.«

Die Stammkundin zog hörbar die Nase hoch und sah Sophie einen Augenblick lang nachdenklich an.

»Ich hab mich seit Wochen nicht mehr vor die Tür gewagt. Die Leute sehen mich alle so komisch an, als wüssten sie genau, was mit mir passiert ist. Ich kann das nicht ertragen.«

»Sie sind eine starke, junge Frau. Sie schaffen das bestimmt.«

»Nein, ich bin nicht stark, sonst wäre mir das nicht passiert.«

»Tun Sie sich das nicht an. Sie haben diesen … Angriff nicht provoziert. Sie haben diesem Mann nicht erlaubt, was er getan hat. Wenn jemand schwach und erbärmlich ist, dann er, der sich an einer wehrlosen Frau vergeht, nicht Sie.« Diese Worte waren ein Schuss ins Blaue, der nicht ohne Risiko war, doch offenbar hatte Sophie ins Schwarze getroffen.

»Aber ich konnte ihn auch nicht davon abhalten und jetzt werde ich bei jedem Blick in den Spiegel daran erinnert, was er mir angetan hat.« Die junge Frau deutete auf ihre Stirn. »Die Ärzte meinen, die Narbe wird vermutlich nie ganz verschwinden. Er hat mich lebenslang gezeichnet.«

Sophie schluckte. Dieser Satz galt wohl nicht nur für die äußerlich sichtbaren Narben. Es war leider sehr wahrscheinlich, dass die Frau auch innerlich eine lebenslange Wunde mit sich tragen würde. Sie hatte es bewusst vermieden, ihr zu sagen, dass sie Glück gehabt hatte, zu überleben. Denn das stimmte nicht. Sie würde sich von nun an immer mit dieser scheußlichen Tat arrangieren müssen. Mit seelischen Narben, die schlimmer waren als jede körperliche Verletzung, denn sie waren nicht sichtbar und wurden von der Gesellschaft nur oberflächlich wahrgenommen und akzeptiert. Es war einfach leichter, jemanden für seinen verletzten Arm zu bemitleiden, als um etwas, dass man weder sehen noch ganz verstehen konnte, wenn man es nicht selbst erlebt hatte. Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertsein, das entstand, wenn jemand sich mit Gewalt das nahm, was nur einem selbst gehören sollte: die Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

Sophie konnte der jungen Frau ihren Schmerz nicht abnehmen, aber sie konnte zumindest versuchen, ihr Schicksal ein winziges bisschen erträglicher zu machen.

»Vielleicht sollten Sie die Wollmütze gegen etwas tauschen, das mehr zu dieser Jahreszeit passt. Das würde die komischen Blicke der Leute bestimmt reduzieren«, schlug sie sanft vor. »Wie wäre es mit einem Basecap oder es gibt doch so hübsche Schlauchschals, die man auch als Kopftuch über den Haaren tragen kann. Hier gleich um die Ecke ist ein Modeladen. Vielleicht finden Sie dort etwas Passendes.«

»Meinen Sie, das könnte helfen?«

»Es schadet nicht, es zu versuchen. Probieren Sie es doch einfach. Hier, ich schenke Ihnen eine Schale Ihrer Lieblingserdbeeren. Lassen Sie es sich schmecken!«

Die junge Frau lächelte zaghaft. Ein Lächeln, das zumindest ein bisschen echter wirkte als ihr erster Versuch.

Sophie erwiderte ihr Lächeln und winkte ihr zum Abschied, bis sie tatsächlich in dem kleinen Textilladen um die Ecke verschwand. Als die junge Frau außer Sicht war, musste sie erst einmal tief durchatmen. Das war wirklich harter Tobak gewesen, auch wenn es nicht die erste tragische Geschichte war, die sie in den letzten Wochen während ihrer Arbeit zu hören bekommen hatte.

Offenbar war sie als Verkäuferin so etwas wie eine öffentliche Sorgenbox, zumindest schienen einige Menschen das so zu sehen. Sie hatte schon unzählige Gespräche mit ihr völlig fremden Personen geführt, die ihr unaufgefordert Geschichten aus ihrem Leben erzählt hatten. Sei es der einsame Mann mittleren Alters, der ihr von seinem Sohn berichtete, der nicht mit dem neuen Lebenspartner seiner Frau zurechtkam, oder die Sockenoma, die ihr des Öfteren Geschichten aus ihrer Zeit als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt erzählte und immer wieder darüber klagte, wie anders doch früher alles gewesen war.

Sophie konnte oft nicht viel mehr tun, als ihnen zuzuhören und ab und zu vielleicht ein Aha oder ein wissendes Nicken einzuschieben. Aber den meisten genügte das völlig. Sie brauchten einfach nur jemanden, der ihnen zuhörte und der ihnen das Gefühl gab, nicht allein auf der Welt zu sein. Eine Aufgabe, die Sophie gern übernahm, abgesehen davon, dass sie ohnehin keine Wahl hatte. Denn im Gegensatz zu einer Verkäuferin in einem großen Markt konnte sie in ihrer kleinen Bude nicht einfach mal eben wo anders hin flüchten, wenn ein Kunde anfing zu nerven.

Aber eine so schlimme Geschichte wie die gerade hatte sie noch nie zu hören bekommen. Die arme Frau tat ihr unendlich leid. Sie konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was sie durchgemacht hatte und noch immer durchmachen musste. Zumal der Täter nach wie vor auf freiem Fuß war.

Betrübt blickte sie auf die Tür des Modeladens. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr gelang, diese Krise zu überstehen. Sie war jung und hatte noch ihr ganzes Leben vor sich, doch dieser Vorfall würde für immer einen Schatten darauf werfen.

Die Ermittlungsbehörden arbeiteten mit Hochdruck an diesem Fall. Es war sogar eine Sonderkommission eingerichtet worden, zu der auch Sophies Freund Leonard gehörte. Doch bisher gab es noch keine nennenswerten Erfolge zu verzeichnen und das ausgerechnet jetzt, in der Urlaubssaison.

Die Region kämpfte auch so schon um jeden Touristen, da war ein frei herumlaufender Serienvergewaltiger die denkbar schlechteste Werbung, die man sich vorstellen konnte. Kein Wunder also, dass die Politik der Polizei im Nacken saß und gewaltigen Druck ausübte. Traurig nur, dass es dabei primär um den guten Ruf der Region zu gehen schien und nicht um die armen Frauen, die dieses Schwein gequält hatte. Jeder weitere Tag ohne Festnahme bedeutete ein weiteres potenzielles Leben, das zerstört wurde und ein Klima der Angst, in dem sich keine Frau mehr wirklich sicher fühlen konnte.

Während sich Sophies Arbeitstag langsam dem Ende neigte, konnte sie nicht aufhören, immer wieder an ihre Stammkundin zu denken. Sie hätte der jungen Frau so gern geholfen, ihr gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Aber so einfach war das leider nicht. Das wusste sie aus eigener Erfahrung. Ihre Schulfreundin Lilli war damals auch Opfer einer Gewalttat geworden und sie hatte sich bis heute nicht ganz davon erholt. »Die Erinnerung verblasst vielleicht mit der Zeit, aber sie wird nie ganz verschwinden«, hatte sie ihr einmal gesagt.

Es war beunruhigend zu sehen, wie leicht es war, einem Menschen den Boden unter den Füßen wegzuziehen und sein Leben aus dem Gleichgewicht zu bringen. War es die Gier nach diesem Machtgefühl über andere, die den Täter antrieb? War sein Selbstbewusstsein so verkümmert, dass er sich nur dann als Mann fühlen konnte, wenn er hilflosen Frauen seinen Willen aufzwang? Sophie konnte nichts als Verachtung für einen solchen Menschen empfinden.

2.

Als Sophie gegen Abend gerade dabei war, den Erdbeerstand abzuschließen, trudelte eine Nachricht von Leonard auf ihrem Handy ein: »Sorry, Schatz, wird heute wieder später.«

Sie seufzte. Diese Überstunden wurden langsam zur Gewohnheit und sie würden wohl nicht weniger werden, solange dieses Schwein weiter frei herumlief. Ihr Blick fiel auf die Schale mit Erdbeeren, die sie extra für ihren Freund gekauft hatte. Wenn sie schon nicht den Feierabend mit ihm genießen konnte, so wollte sie zumindest ein bisschen zur Verbesserung seiner Laune beitragen. Also nahm sie ihr Fahrrad, das sie neben dem Stand geparkt hatte, und fuhr zur Polizeiwache, die am östlichen Ende der kleinen Stadt lag.