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"Ich habe immer nach dem Prinzip gelebt, das Etablierte in Frage zu stellen. Denn die Regeln, wie unsere Ausbildung auszusehen hat, stehen im Gedächtnis der Vergangenheit geschrieben, und manchmal - wenn wir versuchen, sie zu durchbrechen - entdecken wir eine Berufung jenseits der Normen. Ich bin ein Autodidakt der Intuition." Francis Mallmann Starkoch Francis Mallmann präsentiert seine warmen oder kalten, herzhaften oder süßen Köstlichkeiten so, dass jeder sie nachkochen und die Genüsse und Geselligkeit Argentiniens mit anderen teilen kann. Trockene Flussbetten, eindrucksvolle Gebirgspanoramen und idyllische Seen dienen dabei als malerische Kulisse für Mallmanns Grillfeuer, über denen er Fleisch, Fisch, Pizza, Pasta, Gemüse, Brot und Nachspeisen zubereitet. In 120 Rezepten kombiniert er das Einfache mit dem Besonderen und verknüpft Innovation mit Tradition, untermalt mit Anekdoten aus einem ganz und gar ungewöhnlichen Leben. Land der Feuer ist nicht nur ein Kochbuch, sondern ein kulinarischer Road-Trip, der den Leser mitnimmt auf eine Reise durch Mallmanns Heimat, Kindheit und Jugend. Eine ideenreiche Hommage ans Kochen und Essen, an das Feuer, die Natur und die Freiheit, aus der Feder eines der besten Köche der Welt
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Seitenzahl: 206
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LAND DER FEUER
LAND DER FEUER
Argentinisch grillen und kochen
Francis Mallmann
FOTOS VON SANTIAGO SOTO MONLLOR
HEEL
HEEL Verlag GmbHGut Pottscheidt53639 KönigswinterTel.: 0 22 23 92 30-0Fax: 0 22 23 92 30-13E-Mail: [email protected]
© der deutschen Ausgabe2015 HEEL Verlag GmbH
First published in Spanish language under the title:Tierra de fuegos: mi cocina irreverente© 2012 Francis Mallmann
Published under license with V&R Editoras S.A., Buenos Aires, Argentina.Photography by Santiago Soto Monllor (except photographs on page 132, 177,199 down right and 240: Photography by Francis Mallmann)Recipe development by Francis Mallmann and Vanina ChimenoMap Illustration (page 10) by Omar TiraboschiSketch of the portable kitchen (pages 286–287) by Manuel Zuleta
Deutsche Ausgabe:Übersetzung: Kirstin SöndgerathSatz: Noch & Noch, MendenLektorat: Claudia Harhammer
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und derÜbersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohneschriftliche Genehmigung nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischemWeg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw.mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.
– Alle Rechte vorbehalten –
eISBN 978-3-95843-147-8ISBN 978-3-86852-907-4
Ohne selbst einer zu sein, möchte ich dieses Buch dem argentinischen Gaucho widmen, der in der Not, die erfinderisch macht, und mit großer Geduld im Stillen dieses Feuer schuf, das mich in enger Umarmung durch die Welt begleitet.
Patagonische Hochebene bei Camarones in der Provinz Chubut nahe der Atlantikküste.
Have you gazed on naked grandeur where there’s nothing else to gaze on,Set pieces and drop-curtain scenes galore,Big mountains heaved to heaven, which the blinding sunsets blazon,Black canyons where the rapids rip and roar?
Have you swept the visioned valley with the green stream streaking through it,Searched the Vastness for a something you have lost?
Have you strung your soul to silence? Then for God’s sake go and do it;
Hear the challenge, learn the lesson, pay the cost.
Have you wandered in the wilderness, the sagebrush desolation,The bunch-grass levels where the cattle graze?
Have you whistled bits of rag-time at the end of all creation,And learned to know the desert’s little ways?
AUSSCHNITT AUS DEM GEDICHT „THE CALL OF THE WILD“ VON ROBERT W. SERVICE (1874–1958)
Inhaltsverzeichnis
Eine kulinarische Reise durch das Land der Feuer
Intuition und Eigenwilligkeit
Danksagung
Der Weg des Feuers
Gaumenfreuden & argentinische Picadas
Pizza & Brot
Vorspeisen & Salate
Fleisch
Fisch & Meeresfrüchte
Geflügel
Gemüse
Pasta
Nachspeisen
Basisrezepte
Wie man eine mobile Kochstelle baut
Alphabetischer Index
Eine kulinarische Reise durch das Land der Feuer
Francis – der wie immer völlig unpassend gekleidet war, denn an manchen Tagen wirkte er, als wollte er mitten in Palermo (einem belebten Viertel von Buenos Aires) aufs Pferd steigen, während er mitten auf dem Land einen elegant-urbanen Anzug trug – tauchte zum ersten Mal im Verlag V&R Editoras auf, als wir mit der spanischen und portugiesischen Ausgabe von Seven Fires begonnen hatten.
Nach dieser ersten gelungenen Publikation beschlossen wir, ein neues kulinarisches Buchprojekt mit Francis anzugehen, um tiefer in seine Rezepte und sein Leben einzutauchen.
So entstand Über den Feuern Südamerikas, eine kulinarische Reise durch die südamerikanische Landschaft. Mallmann kochte spontan an jedem der ausgewählten Orte, immer getreu seinem Motto der unorthodoxen Küche, immer an der frischen Luft und immer authentisch, frisch, anspruchsvoll und köstlich.
Ein Produktionsteam wurde zusammengestellt aus dem Fotografen Santiago Soto Monllor, drei Film- und Foto assistenten, vier Logistikmanagern, Freunden, die bei dem einen oder anderen unserer Abenteuer hinzukamen, und der verantwortlichen Verlegerin.
Nachdem wir über die geographischen Alternativen und die dafür am besten geeigneten Jahreszeiten nachgedacht hatten, fiel die Wahl auf drei Orte, die gleichermaßen weit vom Herzen des Kontinents entfernt lagen: der Strand José Ignacio in Uruguay im Februar, der Jahreszeit mit dem reichsten Angebot an Obst und Gemüse; der Lago La Plata in der Provinz Chubut, mitten in Patagonien in der zweiten Aprilhälfte, wenn die Blätter der Südbuchen mit den kräftigsten Rot- und Gelbtönen des Herbstes glänzen; und zum Ende des Winters hin die Finca Rancagua, nur Minuten von Cachi, einem malerischen Dorf in der Hochebene von Salta, entfernt – ein majestätischer Ort, friedvoll und klar, mit tiefblauem Himmel und köstlichen Naturprodukten.
Auf dem Sand von José Ignacio kochte Francis gigantische Speckmuscheln a la plancha. Und er verzückte uns mit seinem Lieblingssommergericht: goldgelbe Gnocchi mit Rucola und Ibérico-Schinken. Als er dann noch seine Schokoladen-Profiteroles zubereitete, sind wir fast umgefallen.
Die Vorbereitungen in der großen Küche des Restaurants Los Negros rund um die besten Zutaten der Jahreszeit begannen am frühen Morgen. Mit Sorgfalt kontrollierten wir Menge, Zeit und Gewicht, um alle Schritte in der Küche in klare Anweisungen für das jeweilige Rezept zu bringen. Es waren intensive Tage. Die Sonne machte sich rar und mehr als einmal betrachteten wir beim Kochen den Regen über dem Meer.
Um zum Lago La Plata zu gelangen, flogen wir von Buenos Aires nach Comodoro Rivadavia, ca. 1700 km Richtung Süden. Der patagonische Wind fegte uns beinahe zu Boden, als wir das Flugzeug verließen, um unsere 400 km lange Wegstrecke in Richtung Anden zu beginnen. Mit Einbruch der Dunkelheit erreichten wir den See bei Alto Río Senger. Die Vegetation hatte sich verändert; von der Steppe waren wir in üppige patagonische Wälder gelangt. Die gemütlichen Holzhütten der Hostería Huente Co waren so ziemlich unser letzter Kontakt mit der Zivilisation während des gesamten Aufenthaltes. Computer, Mobiltelefone, Strom, alles ließen wir zurück. Eingemummt wie bei einer Antarktisexpedition stieg das gesamte Produktionsteam in das große Schlauchboot, um sich von unserem Gastgeber, Führer, Koch und Autoren Francis Mallmann bei höchster Geschwindigkeit gekonnt für eineinhalb Stunden über den See fahren zu lassen.
Er führte uns zu einem wahren Kleinod der Stille: einem komplett aus Holz gebauten Haus an dem Ort, an dem er – so oft er kann – Zeit verbringt und so glücklich wie nirgendwo sonst ist, wie er uns verriet. Die alte holzbefeuerte Küche, die dicken Daunenbetten, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen, das Frühstück bei Sonnenaufgang, die erwachende Energie des Tages und die strahlende Sonne bestimmten diese unvergesslichen Tage.
In kulinarischem Höhenflug kreierte Francis auf seiner runden, gusseisernen Kochstelle Kartoffeln in allen denkbaren Varianten, eine legendäre Pizza Margarita, die wir in diesem Buch vorstellen werden, Pflaumen, die durch langsames Karamellisieren zu einer saftigen, über Kopf gebackenen Torte wurden, und andere Köstlichkeiten. Wir haben ihn beim Abenteuer des Fliegenfischens begleitet und die zahlreichen Möglichkeiten entdeckt, wie man frisch gefangene Forellen genießen kann.
Die dritte Etappe der kulinarischen Reise fand im August statt, dem letzten noch kalten Wintermonat. Diesmal begaben wir uns 1.600 km Richtung Norden, in die Provinz Salta. Wir verbrachten einen Nachmittag und einen Morgen damit, in der Stadt einzukaufen, und begleiteten Francis bei der Auswahl der Produkte, die er zubereiten wollte.
Wir durchquerten alte Markthallen mit hohen Decken und den von befreundeten Einheimischen empfohlenen Fleischständen, die unerwartete Delikatessen in Konserven boten, und probierten Käse direkt vom Bauernhof. Am Morgen besuchten wir den Ost- und Gemüsemarkt, wo die Verkäufer gerade anfingen, Kürbisse, riesige Karottenbündel, Grapefruitnetze, Kisten voller Chilischoten, Tomaten, Bohnen, Knoblauchzöpfe und Petersilienberge feilzubieten.
Mit zwei Lieferwagen, vollgepackt mit unseren Einkäufen und dem gesamten Produktionsteam, fuhren wir die Cuesta del Obispo hinauf zum höchstgelegenen Punkt der Calchaquí-Täler, um gegen Mittag das pittoreske Dorf Cachi zu erreichen. Dort erlebten wir tagsüber die pralle Sonne und nachts die Kälte der Puna. Diese einst zum Inka-Imperium gehörige Hochebene war die Kulisse der extremen Kochkunst.
Am Ufer eines Baches mit Kieselsteinen weihte Francis seine tragbare Eisenküche ein, die er extra bei dem Schmied von Cachi in Auftrag gegeben hatte und deren Aufbau wir am Ende des Buches beschreiben. Damit grillten wir Paprika, Oliven, Fenchel, Artischocken, Zucchini und Zwiebeln in immer wieder überraschenden und exquisiten Geschmackskombinationen.
An einem Sonntag kochte er in den weißen Straßen von Cachi, am nächsten Tag im Quincho (Grillhütte) der Finca und dann erwartete uns das Abenteuer im ausgetrockneten Flussbett. An diesem Tag brachen wir mit drei Lieferwagen und einem Traktor mit Anhänger auf. Darauf befanden sich die ganze Ausrüstung, das Holz, der Grill, Tische, Bänke, Tischdecken und drei für diese Gelegenheit geschlachtete Tiere: ein Spanferkel, ein Lamm und ein Bock. Im Zickzack bewegte sich die Karawane in der Morgensonne durch das Flussbett bis zu einer geschützten Stelle, an der Francis entschied, die Zelte aufzuschlagen. Dort wurde die Feuerstelle aufgebaut und die Tiere wurden auf einer Holzkonstruktion langsam gegart. Die verschneiten Anden lagen im Hintergrund und unsere Augen gewöhnten sich bereits an das Außergewöhnliche dieses Moments. Gut gelaunt aßen wir im Schatten eines Akazienbaums zu Mittag und stießen auf das Ende dieser kulinarischen Reise an, auf das Herzstück dieses Buches.
Mein ganzes Leben habe ich den Büchern gewidmet, doch kein bisheriges Projekt war dermaßen inspirierend und in seiner Produktionsphase genauso großartig wie in seinem Ergebnis. Unser Ziel war es, allen Lesern Zugang zu ermöglichen zu dieser Art zu kochen: ehrlich, einfach und rigoros, aber letztendlich frei und kreativ. Wir wollten Francis Mallmann so zeigen, wie wir ihn erlebt haben, wie er sich nachts überlegte, was er am nächsten Morgen kochen würde, während wir zu stillen Beobachtern des Wunders wurden. Wir hoffen, dass Sie Gefallen an der Reise finden, die diese Seiten festhalten und wieder aufleben lassen, wann immer ein Koch oder eine Köchin sich dazu entscheidet, eines dieser Rezepte zuzubereiten. Genießen Sie es und lassen Sie es sich langsam auf der Zunge zergehen.
Trini Vergara
Argentinien, südamerikanisches Festland.
Intuition und Eigenwille
Schon als Kind beschloss ich, dass Nonkonformität die Sprache sein sollte, welche mein Leben bestimmte. In diesem Alter spürte ich, dass all die Werkzeuge, die man mir anbot und die zu meiner Bildung beitragen sollten (Wissen, Schule und zentnerweise feste Regeln), nichts für mich waren. In mir brannte ein Licht, ein Ruf nach Freude, der mich eine Freiheit fühlen ließ, die sich nicht über die nächsten vierundzwanzig Stunden hinaus scherte. Motto: Freiheit. Plan: keiner, nur genießen. Alles, was zeitlich darüber hinausging, erschien mir unverständlich.
Es war nicht leicht, gegen all die Dinge anzukämpfen, die mein Leben bestimmen sollten: Mathematikarbeiten, die unendlich langen Nachmittage, an denen ich mit meiner Mutter die Wege des Hotels Llao Llao entlanggegangen bin und französische Verben konjugieren musste, aber auch das Verbot, meine Freunde zu besuchen, wenn ich die Schule vernachlässigte. Den Freundschaften der Kindheit wohnt eine Reinheit inne, die wir verlieren, wenn wir älter werden. Das erste Lehrgeld zahlte ich für meine Freiheit, indem ich mit ansah, wie sich meine von ihren Eltern aufgehetzten Freunde von mir abwandten.
Doch das spielte keine Rolle, ich war zu allem bereit. Wie sollte ich mir darüber Gedanken machen, ob ich vielleicht Architekt werden wollte, wenn an diesem Morgen die Sonne schien, wenn gerade die neue Doppel-LP der Beatles rausgekommen war, wenn meine rosagestreifte Hose und mein Blumenhemd auf demselben Stuhl lagen wie die Schuluniform (bestehend aus bordeauxfarbenem Jackett und einer Krawatte aus Samt, grauer Hose und schwarzen Schuhen)? Meine Uniform war eine andere. Eine, die meine Seele zum Schwingen brachte, mit langen Haaren und Stiefeln mit Absätzen, mit Liedern, die gegen den Vietnam-Krieg anspielten, der so weit weg schien für ein Kind aus Patagonien, jedoch so nah war. Diese Lieder hörte ich tagein, tagaus, Melodien und Stimmen, die mich zu Tränen rührten.
Wie also hätte ich einen anderen Weg einschlagen sollen? Wussten wir eigentlich, was mit uns geschah? Es war eine Wiedergeburt, der Beginn des Wassermannzeitalters: Jimi Hendrix und Black Sabbath, Kaleidoskope und ultraviolettes Licht, eine Sprache, die sich Tag für Tag neu erfand.
Während ich dies schreibe, weine ich wie ein Kind, wenn ich mich an die Kämpfe auf den Blumenfeldern unter dem Schutz von Woodstock erinnere, an Yellow Submarine, die Isle of Wight, die Ashrams von Berkeley, das Blue Bird Café auf Santa Barbara, wo ich wenige Jahre später Bob Dylan hören sollte, wie er die Verse – nur von seinem Gitarrenspiel untermalt – aus tiefster Seele hervorbrachte und gemeinsam mit Joan Baez protestierte. Und so wurde ich Koch, nach so viel Freiheit schien dies der korrekte Weg für einen ehemaligen Hippie. Mit achtzehn war ich bereits ein alter Hase unter den jungen: Ich war die kalifornische Küste entlanggereist und jedem Akkord gefolgt, den ich hören wollte, hatte Gelegenheitsjobs angenommen und hier und dort gelebt … Ein Abenteurer der Liebe.
Das Kochen war eine Leidenschaft für mich; in der Küche fand ich all die Freiheit, die ich mir immer gewünscht hatte.
Und auch hier gibt es bereits Erinnerungen aus der Kindheit, als ich etwa neun Jahre alt war. Eine meiner ersten kulinarischen Erinnerungen überhaupt ist die an einen legendären Teller Bandnudeln nach einer Wanderung hoch zur Berghütte Frey. Diese Hütte auf derselben Bergkette, wo sich auch der Berg Cerro Catedral befindet, war für uns von klein auf der Inbegriff von Freiheit. Man startete den Aufstieg über einen steilen Weg in Richtung Süden oder am Fuß des Berges über endlose Kieswege, von denen aus man immer einen Blick auf das Tal hatte. Die Wanderung schloss eine bis zwei Übernachtungen ein. Unser Bergführer, Organisator und Gastgeber war der sagenhafte Jo Hardt, der einen starken Eindruck hinterließ bei den Jugendlichen, die ihm und seiner Familie im Bariloche der Sechziger Jahre nahe standen. Als wir an jenem Nachmittag die Hütte erreichten, kochte Jo zusammen mit seiner Frau Bonnie auf einem offenen Feuer aus Südbuchenzweigen in einem 100-Liter-Topf Bandnudeln mit einer Sauce aus Tomaten und Zwiebeln. Wir waren eine Schar von 20 hungrigen Halbwüchsigen, die vier Stunden lang bergauf gelaufen waren, und fielen darüber her wie wilde Tiere.
Ich erinnere mich auch, wie ich verschreckt in seinem Jeep Willys auf dem Beifahrersitz mitfuhr, eingeklemmt zwischen der Schaltung und seiner Frau Bonnie, da er entschieden hatte, den ersten Teil des Wegs mit dem Auto zu fahren, um die Rucksäcke so nah wie möglich an den Gipfel zu bringen. So kämpfte er gegen die gedrungenen Buchen, deren Blätter herbstlich verfärbt waren, auf der Suche nach einem Weg … Doch es gab keinen. Immer kurz vor dem Umkippen bewegten wir uns nur durch seinen eisernen Willen zwischen Steinen, Bächen und Buchenwäldern hindurch.
Der lange Tisch im Freien am Ufer des grünen Toncek-Sees an einem sonnigen Tag und Jo, der voller Inbrunst jodelte – dieses Bild brannte sich für immer ein in unser Gedächtnis.
Der Vater von vier Kindern, unseren Klassen- und Spielkameraden, war für uns eine wichtige Bezugsperson. Seine immerwährende Ungezwungenheit lehrte uns vor allem, das Leben von ganzem Herzen zu lieben. Seine Erlebnisse verwahrte er, glaube ich, in stillem Schmerz, geprägt von den Schicksalsschlägen des Zweiten Weltkriegs, bei dem er eine schwere Beinverletzung davongetragen hatte, zusammen mit einem anderen Soldaten aus einem russischen Gefangenenlager geflohen und durch einen eisigen Fluss mitten im sibirischen Winter geschwommen war. Sicherlich wurde sein außergewöhnlicher Optimismus genährt von dem, was er in seiner Jugend durchmachen musste. Welchen besseren Lehrmeister hätte es geben können, um unsere Liebe und unseren Respekt vor den Bergen, dem Leben, der Freiheit, dem Schnee und vor allem der Existenz an sich zu wecken? Dieser Mann, der die schroffen Abgründe und Ängste des Krieges kennengelernt hatte, war der Vater meiner Freunde und teilte seine Gabe des Lebens mit uns.
Von beeindruckender Statur, das Gesicht gerötet von gleißender Sonne und Glühwein, führte er mit deutschem Akzent seine Kinder, Freunde und alle anderen, die das Glück hatten, einen Tag mit ihm zu verbringen. Er liebte es, exzessiv zu essen und zu trinken, und so bleibt er bis heute eine Erinnerung voller Dankbarkeit. Besonders mochte ich das deutsche Frühstück, das er in seinem Haus servierte, mit allen möglichen Sorten von Käse, Aufschnitt, Süßem und Brot.
Jo war ein großer Förderer des Skisports, Gründer des Ski-Clubs Bariloche und Betreiber des ersten Schlepplifts, an dem wir alle unsere ersten Berglektionen lernten, dank dieser Pioniere des Südens, die uns am Feuer und bei Spaziergängen für unser Leben geprägt hatten.
Jo war der geborene Organisator. Er geizte nicht mit Komplimenten für die eine oder andere Schönheit, die ihm ein Lächeln und nur allzu menschliche Wünsche entlockte. Manchmal fragt mich ein Journalist: „Und was hat es mit dem Feuer auf sich?“ Dann schließe ich die Augen, und in meiner Erinnerung spult sich ein Film ab mit dem Kindheitspanorama voller Berge und Seen, Schnee und Sonne ab, welches meine Seele warm umfing zwischen den gelegentlichen Umarmungen von Menschen wie Jo, die ein tiefes und wunderschönes Gefühl für die Berge ausströmten.
Um die Berge zu lieben, braucht man Lehrmeister.
Man kommt nicht allein dorthin; um sie kennen und verstehen zu lernen, muss man in der Sprache der Berge angeleitet werden. Jo Hardt, Otto Meiling, Otto Veiskop, Hans Sprecher und Teddy Wesley waren die Helden unserer Kindheit, und wir hatten das Glück, sie kennenzulernen. Einige waren präsenter als andere, doch alle waren sie Vorbilder unserer Anden-Ambitionen. Wenn ich an Jo denke, wie er am Ufer des Toncek-Sees mit einem Buchenstock die Bandnudeln in dem riesigen Topf umgerührt und dabei Gejodel oder Anzüglichkeiten von sich gegeben hat, merke ich, dass meine Ungezwungenheit und mein Eigenwille in Bezug auf das Fernsehen viel mit ihm zu tun haben: Diese Bilder haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt und strömen nun im Erwachsenenalter heraus, in Form einer Leidenschaft, die unter der Schirmherrschaft von Männern wie ihm geprägt wurde. Ich danke Dir, Jo.
Ich habe immer gespürt, dass der Mensch einem bestimmten vorgezeichneten Weg folgt. Mein Leben besteht aus Kurven, in denen ich mich immer wieder von diesem Weg entferne oder mich ihm annähere.
Ich habe immer nach dem Prinzip gelebt, das Etablierte in Frage zu stellen. Alle Regeln, wie unsere Ausbildung auszusehen hat, stehen im Gedächtnis der Vergangenheit geschrieben, und manchmal, wenn wir versuchen sie zu durchbrechen, entdecken wir wie ich eine Berufung jenseits der Normen. Ich bin ein Autodidakt der Intuition.
Danksagung
Es gibt so vieles, wofür ich dankbar bin: für eine Umgebung, die mich schauen, fühlen, riechen und machen ließ.
Ich erinnere mich an ein Café in Salzburg, ein Brauhaus in München, einen Kuss in Arnhem, die Gärten des Keukenhof, einem Pariser Bistro, wo ich mit Servietten und Brotkrümeln geehrt wurde. An die Frauen, die morgens mit Eimer und Schrubber sämtliche Bürgersteige meines Landes putzten. An diese Frau, die durch Hanoi schlurfte. An ein kleines bescheidenes Hotel in San Francisco, wo ich mit 17 einmal abgestiegen bin, an mein Mansardenzimmer mit Dachluke und Waschbecken in Paris, meine Vormittage im . An eine philippinische Insel, auf der ich sehr glücklich war. An Patagonien und seine endlose, wunderschöne Stille. Ich denke an meine Kinder, die Licht in die Plätze meiner Träume bringen. An José, der Tränen in den Augen hatte, als er das erste Mal Boot fuhr, an meine eigenen Tränen und Lachanfälle, an die Frauen, die ich umarmt habe. An die Männer, die ich selbst noch nach ihrem Verrat mochte. An die Harmonien von Graham Nash und an die 5. Sinfonie von Mahler. An die Stimme und Poesie von Luis Alberto Spinetta. An Borges und seine Vorträge in Harvard. So viele Dinge haben mein Leben bewegt, manchmal erschüttert und sehr oft behutsam und wohlwollend begleitet.
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