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In 'Landolin von Reutershöfen' von Berthold Auerbach taucht der Leser in die bewegende Geschichte eines jungen Bauernsohns ein, der gegen gesellschaftliche Konventionen und persönliche Hindernisse kämpft, um seine Liebe zu einer Adligen zu verwirklichen. Auerbachs literarischer Stil zeichnet sich durch eine detaillierte Beschreibung der ländlichen Umgebung und eine realistische Darstellung der Figuren aus. Das Buch reflektiert die sozialen und politischen Spannungen des 19. Jahrhunderts und zeigt die Kluft zwischen den verschiedenen Schichten der Gesellschaft auf. Durch die Konfrontation von Tradition und Moderne fordert Auerbach den Leser dazu auf, über die Bedeutung von Liebe, Standeszugehörigkeit und persönlichem Glück nachzudenken. Berthold Auerbach, als erfolgreicher deutscher Schriftsteller und Publizist, war bekannt für seine realistischen Darstellungen des ländlichen Lebens. Seine eigene jüdische Herkunft prägte sein Werk und führte ihn dazu, sich mit gesellschaftlichen Themen und Vorurteilen auseinanderzusetzen. 'Landolin von Reutershöfen' ist ein Meisterwerk des historischen Realismus und bietet einen tiefgreifenden Einblick in die sozialen und emotionalen Konflikte des 19. Jahrhunderts. Dieses Buch ist für Leser empfohlen, die sich für literarische Werke mit historischem Hintergrund und starken Charakteren interessieren und die bereit sind, sich mit zeitlosen Themen wie Liebe, Klassenunterschieden und gesellschaftlichen Normen auseinanderzusetzen.
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Seitenzahl: 287
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Der Frühling ist wieder gekommen über Berg und Thal unserer Heimat. Der Tag erwacht, ein Luftstrom zieht herbkräftig über die Wälder, als müßte er die widerwillige Nacht mit fortnehmen; die Vögel beginnen zu zwitschern, und da und dort wagt ein Buchfink bereits seinen vollen Schlag. Durch die Tannen mit ihren frischgrünen Jahresschossen säuselt und flüstert es. Der Sonnenball ist über den Bergeskamm heraufgekommen und leuchtet in das Thal; die Wiesen und Saatfelder glitzern im Thau, die Kirschbäume strömen ihren Duft aus und Schwarzdornhecken, die in der Nacht aufgebrochen sind, freuen sich des ersten Sonnenstrahls, der bis in den Grund der Blüthenkelche dringt.
Drunten im Thal, wo die Flöße aus geschälten Stämmen und gesägten Brettern rasch dahingleiten, dort bei der Sägemühle, wo das Wehr braust, das Wasser über das Rad spritzt und die Säge schrill tönt, steht ein junger Mann mit weißer Stirn und braunen Wangen an dem oben geöffneten Kammerfenster und schaut hinaus und nickt froh, als grüßte er den erwachenden Tag. Bald tritt der junge Mann ins Freie, er breitet die Arme aus, als müßte er etwas umfangen; er lächelt, als schaute er in ein freudiges liebendes Antlitz. Er nimmt die Soldatenmütze vom Kopf und hält sie weiter schreitend in der Hand; sein Gang ist fest, seine Haltung stramm, und die lautere Redlichkeit und Gradheit schaut aus seinem Gesichte. Er geht durch die Wiesen bergauf die Waldeshöhe hinan, erst hoch oben am Bergeskamm steht er still und schaut weit hinaus; sein Blick haftet an einer Rauchsäule, die in weiter Ferne gradauf zum wolkenlosen Himmel aufsteigt.
»Guten Morgen, Thoma! Du schläfst wohl noch? Wach auf! Unser Tag ist da!« sagte er laut vor sich hin, er hatte eine tief anmuthende, männlich volle Stimme.
Jetzt sprang er in übermüthigen Sätzen wieder bergab, er mäßigte aber bald seinen Schritt und jodelte in die Welt hinein, daß das Echo widertönte, die Vögel rings umher sangen mit. Er war wieder beim elterlichen Hause angelangt, unter der Hausthüre stand der Vater und brockelte den Hühnern Brot vor.
»Guten Morgen, Vater!« rief der junge Mann.
Der Alte, ein langgestreckter, hagerer Mann, schaute verwundert auf und erwiderte: »Ei, Du bist schon auf, Anton? Wo bist denn schon gewesen?«
»Ich? Wo? Ueberall. Im Himmel und auf der schönen Welt hier unten. Vater! Es ist mir oft im Sinn gelegen, als erlebte ich den Tag nicht, als müßte ich vorher sterben oder es geschieht sonst was. Jetzt ist der Tag da!«
Der Alte wischte sich mit der flachen Hand über den Mund zweimal, dreimal, denn er hatte sagen wollen: so ist deine Mutter auch gewesen, so zaghaft und wieder so herzfrisch. Aber er schob die Worte weg, er wollte die Glückseligkeit seines Sohnes nicht stören, und endlich sagte er:
»Ja, ja, so ist's, so ist Jungsein. Sag Anton, bist denn im Krieg auch so gewesen, so unruhig und so . . .«
»Nein, Vater, da ist's ganz anders hergegangen . . . Vater, ich meine immer, Ihr hättet nicht die volle Freude an der Thoma.«
»Ich bin eben nicht verliebt wie Du.«
»Nein, ihr habt was.«
»Ich hab' just nichts, aber sie ist mir fast zu –«
»Zu reich, meinet Ihr?«
»Das hab' ich nicht gemeint. Es giebt kein Mädchen, das zu reich ist für einen rechten Bursch. Ich hab' nur gemeint, sie ist zu schön. Ja. lach nur, eine gar so schöne Frau ist eine mühsame Sach. Aber ich glaub', Du kommst damit zurecht, und sie scheint mir der Mutter nachzuarten und nicht dem Landolin in seiner Gewalttätigkeit. Freilich, etwas von seinem Hochmuth hat sie auch, aber ich hoffe, nichts von seinem Unband. In alten Geschichten berichten sie von grimmbösen Riesen, so einer hätt' der Landolin werden können. Es ist nur gut, daß wir in anderen Zeiten leben.«
»Aber Vater! Ihr machet's zu arg, und meine Thoma –«
»Ja, ja, sie hat eine gute Art von der Mutter her. Ich hab' drüber gedacht, ich bin doch, genau gerechnet, fünfzehn Mal in Rotterdam gewesen; in Holland drunten giebt's gar keine so unbändige Menschen, wie der Landolin.«
»Vater, kann sein, weil sie auch in Holland keine Bergbäche haben, lauter ruhige Kanäle.«
»Schau, schau, was die heutigen jungen Leute nicht Alles wissen! Ich hab' nichts Böses über die Thoma sagen wollen.«
»Das werdet Ihr nie können, Vater. Sie hat eins, was Euch besonders freuen wird; es ist noch nie ein unwahres Wort über ihre Lippen gekommen und wird nie.«
»Das sollte eigentlich wenig sein, ist aber viel in der Welt. Aber genug jetzt, Du bist der Mann dazu, der schon Meister werden kann. Ich hab' Dir das Alles nur gesagt, damit Du recht gefaßt bist. Jetzt aber genug! Es giebt Gottlob heut' einen prächtigen Tag.«
»Ja gewiß, prächtig,« entgegnete Anton, er meinte aber nicht das Wetter.
Heute sollte auf dem Frühjahrsmarkt in der Amtsstadt der Verspruch des Sägemüllers Anton mit Thoma (Thomasia), der Tochter des Altschultheißen und Großbauern Landolin von Reutershöfen gehalten werden.
Droben auf der Hochebene steht der Bauernhof Landolins stattlich und breit. Er steht einsam, denn die Bauernhöfe der Gemeinde ziehen sich stundenweit über den Bergrücken hin. Nur das Wohnhaus, in seiner Schindelbekleidung, ist nach der Straße zugekehrt; die im Viereck gebauten Wirthschaftsgebäude liegen rückwärts, wo den steilen Berg hinan noch Wiesen und Ackerfelder weit hinauf reichen bis zu dem Buchenwald, an dem sich erst die im Morgenthau glitzernden braunen Knospen zeigen.
Es ist früh am Tag, im Umkreis des Hofes ist es noch lautlos, nur der Röhrbrunnen mit seinem breiten Strahl plätschert laut; das Freidach ragt weit über den Brunnen weg, denn so kann man im Winter das Stallvieh im Trockenen zur Tränke bringen. In der Nähe des Brunnens liegen Pflastersteine aufgeschichtet, denn man will eine neue Rinne durch den Hof ziehen.
Die Lerchen beginnen allmälig hoch in den Lüften ihren Sang, die Sperlinge auf dem Dache zwitschern, die Kühe brummen, die Pferde klirren mit ihren Ketten, die Tauben im Schlage gurren, die Hühner im Gitter und die Schweine an ihren Koben, ein jegliches beginnt laut zu werden und Lust und Leid kund zu geben. Der große Kettenhund, der seinen Kopf auf die Schwelle seiner Hütte gelegt hat, blinzelt manchmal auf, dann schließt er die Augen wieder, wie wenn er sagen wollte: was für ein wunderliches Getön, was will das Alles sich aber hören lassen neben einem gesunden Bellen? Das ist doch das einzig Schöne und Vernünftige, denn unsereins bellt nie ohne Grund.
Die erste Gestalt, die über den Hof ging, war eine stattliche Bäuerin, wohlbeleibt und noch in den besten Jahren.
Es ist gewiß ein rechtes Haus, wo der Meister oder die Meisterin zuerst wach ist.
Die Bäuerin war eine stille, ehrbare Frau, so was man kurzweg eine aufrechte Bäuerin nennt; weiter ließ sich nicht viel von ihr sagen. Sie war arbeitsam und auf ihren Vortheil bedacht und hielt auch Andere in strengster Aufsicht. Sie hielt den Mann in Ehren, wie sich's gebührt, von Liebe war nie die Rede, weder in den jungen Jahren noch jetzt. Sie war eine Großbauerntochter aus der Nachbargemeinde und hatte standesgemäß geheirathet, wie das nicht anders zu denken war. Zur Zeit, als Landolin Schultheiß gewesen, hatte sie die Ehre des Hauses würdig vertreten; sie hatte unbedingtes Vertrauen zu ihrem Mann, und wenn Leute kamen, die bei ihr zuerst ihre Klage vorbrachten, war ihr gewöhnliches Wort: »seid nur ruhig, mein Mann macht schon Alles richtig.« Sie war ohne Falsch, was sie sprach, das meinte sie auch; sie sprach aber wenig, denn viel reden schickt sich nicht für eine Bäuerin, und nun gar viel denken – dazu war keine Veranlassung, man hält das Haus in Ordnung, man spart, man hält auf Ehre, wie es der Brauch ist, zu denken hat man über Nichts.
Der Oberknecht Tobias trat unter die Stallthür, die Beiden nickten einander zu, ohne Wort, und doch hatten Beide den gebührenden Respekt vor einander; denn der Oberknecht stand in seiner Art ebenso für die Ehre des Hauses ein, dafür steht er auch als erster nach dem Bauer und kommt vor dem einzigen Sohn, der freilich auch noch zu jung ist, um zu gelten.
Tobias hatte es bereits fünfzehn Jahre hier im Hause ausgehalten, denn hier bleiben heißt aushalten, und Tobias hatte während dieser langen Zeit noch nie den Beistand der Bäuerin angerufen gegen die Gewaltsamkeiten des Meisters. Er achtete im Stillen die Meisterin, die gar nie etwas für sich verlangte, sondern ständig sich nur dafür auf der Welt hielt, um dem Bauer unterwürfig zu sein. Wenn der Bauer mit seiner schönen und stolzen Tochter über Land und zu Lustbarkeiten fuhr, fand es die Frau selbstverständlich, daß sie nicht mitgenommen wurde, und sie hatte durchaus kein Verlangen nach der Welt draußen; sie war auf einem einsamen Bauernhof aufgewachsen, wo das Hauptvergnügen darin bestand, daß man am Sonntag Nachmittag, während die Sonne schien, schlafen konnte.
»Meisterin,« begann der Oberknecht Tobias, »Meisterin, darf ich was fragen?«
»Ja wohl! Frag' Du nur.«
»Also unsere Haustochter –«
»Wird heute Braut.«
»Gott Lob und Dank,« rief der Oberknecht, »Gott verzeih mir's, ich hab gemeint, er (der Bauer) giebt sie Keinem, Jeder sei ihm zu gering für seine Thoma. Ein feiner, ein rechtschaffener Bursche ist der Anton Armbruster und hat sich ja auch im Krieg so tapfer gehalten, das wird ein rechter Mann –«
Die Bäuerin unterbrach die Darlegung, es konnte Unliebsames gegen Thoma sich anfügen, sie sagte daher nur: »Die Verlobung wird nicht hier im Haus, sie wird heute in der Stadt bei der Schwertwirthin gehalten. Ich gehe auch mit«, schloß sie im Tone bescheidener Dankbarkeit dafür, daß man ihr die Ehre anthue, sie mitzunehmen. Sie ging rascher als sonst in ihrer Art nach dem Hause, weckte die Mägde und stieg dann die obere Treppe hinauf in die große Staatsstube. Da standen zwei hochaufgerichtete Betten, sie enthielten aber Bettzeug für sechs Lagerstätten, denn aus diesem Hause verkaufte man nie Federn und Linnengespinnst. Das zeigte sich auch, als die Bäuerin einen großen blumenbemalten Schrank mit Doppelthüren öffnete. Sie weidete ihr Auge an dem massenhaften Linnen, das hier aufgeschichtet war, und das, was auf der linken Seite des Schrankes mit blauen Bändern zusammen gebunden lag, war die längst vorbereitete Aussteuer Thoma's. Die Mutter legte ihre Hand wie segnend darauf, ihre Lippen bewegten sich.
Jetzt hörte sie, wie es lebhaft in der Wohnstube drunten wurde, sie ging hinab.
In der Stube, wo durch die eng an einander gereihten Fenster das helle Morgenlicht hereindrang und der allzeit geheizte breite Kachelofen eine behagliche Wärme verbreitete, ging der Bauer auf und ab. Er war ein breiter und stattlicher Mann, sein volles Haupthaar war kurz geschoren und die Stoppeln standen aufrecht, was dem mächtigen Kopfe noch einen besondern Ausdruck des Stierhaften gab, und aus feinem glattrasirten Gesichte schaute Selbstgefühl, Trotz und Verachtung gegen die Welt.
Der Bauer, der noch in Hemdärmeln war, hatte übrigens bereits seinen Sonntagsstaat an, nur der kragenlose, einreihige schwarze Sammetrock hing noch am Nagel. Er trug hohe Stiefel, deren Schäfte in Falten herabfielen und noch den weißen Strumpf aus den Kniehosen hervorscheinen ließen, dazu eine buntseidene bis an den Hals zugeknöpfte Weste.
Als die Bäuerin eintrat, nickte er ihr still zu; hinter der Bäuerin drein kam der Sohn Peter, ein verdrossen dreinschauender, vollbackiger junger Bursche, und dann die Knechte und Mägde. Man setzte sich nach dem Gebete zum Morgenimbiß nieder, es wurde Nichts gesprochen, ja, Niemand sagte ein Wort darüber, daß ein Platz leer blieb, nämlich der für Thoma. Nach dem Schlußgebet sagte der Bauer zu dem Oberknecht, er solle nun mit den fetten Ochsen zu Markt fahren und gemach thun.
Er setzte sich in den großen Lehnstuhl nicht weit vom Ofen und schaute nach der Thüre. Thoma darf freilich heute eine Ausnahme machen, denn sonst hat sie den rechten Stolz, daß Niemand in Arbeit früh und spät es ihr zuvorthun darf.
Plötzlich stand der Bauer auf, trat auf den nach dem Hof führenden Söller und rief dem Oberknecht zu, er solle auch die Preiskuh zum Markt herrichten. »Vater,« rief eine kräftige Mädchenstimme aus dem Kammerfenster, das nach dem Söller ging, »Vater, wollt Ihr denn die Preiskuh auch verkaufen?«
Mit halber Wendung des Kopfes schaute Landolin nach dem Fenster, er hielt es aber nicht für nöthig, etwas zu erwidern; er rief vielmehr dem Knechte zu, nicht zu vergessen, daß man im »Schwert« einstelle.
Die Ochsen wurden herausgeführt, sie gingen wie halbverschlafen, standen still und schauten um, wie wenn sie vom Hofe Abschied nehmen wollten. Ein Musterstück von einer Kuh kam hinterdrein, es war echter Simmenthaler Schlag, aber hier im Hause auferzogen. Die Augen der Kuh funkelten, als wüßte sie, daß sie beim letzten landwirtschaftlichen Feste den ersten Preis bekommen habe.
Landolin ging die steinerne Freitreppe in den Hof hinab, und jetzt stand er da mit ausgespreizten Beinen, sich manchmal auf den Beinen wiegend, und betrachtete die Thiere und sein ganzes stattliches Heimwesen mit vollem Behagen.
»Guten Morgen, Vater!« rief jetzt die kräftige Mädchenstimme vom Söller, »ich bin erst gegen Morgen eingeschlafen. Vater, wollt Ihr denn wirklich die Preiskuh verkaufen?«
»Du bist doch nicht so gescheidt, wie man meinen sollte,« entgegnete Landolin lachend, »man will just nicht Alles verkaufen, was man zu Markte bringt; man zeigt sich doch auch gern.«
»Ihr habt recht,« entgegnete das Mädchen und schüttelte die aufgelösten langen blonden Haare in den Nacken zurück, während sie einen Blick auf die in der Nacht aufgebrochenen Nelken warf; ihre Wangen waren fast so roth wie die frischen Nelken. Der Sägemüller da drunten hatte recht, das Mädchen war fast zu schön, das sich jetzt auf dem Söller niedersetzte, die Haare zöpfte und leise dabei sang. Oftmals hörte sie plötzlich auf zu singen und schaute mit ihren großen blauen Augen wie traumverloren ins Weite hinein, sie dachte wol an Anton drunten im Thale an der Sägemühle.
Mit dem Sammetrock bekleidet, den breiten Hut mit der hohen silbernen Schnalle auf dem Kopfe und den Dornstock in der Hand kam Landolin auf den Söller und sagte:
»Thoma, ich geh voraus, komm mit der Mutter bald nach.«
Er ging davon, wartete indeß noch eine Weile unter dem Hofthore und ließ die zuvorkommend grüßenden kleinen Leute vorüberziehen; es schickt sich nicht für ihn, sich solchen anzuschließen, die eine armselige Kuh, ein Rind oder Ziege zu Markte treiben oder auch leer gehen, um Dies oder Jenes einzukaufen. Der Galopp-Kübler grüßte in raschem Lauf, es war ein hagerer Mann, seines Handwerks ein Kübler, der immer eilig ging und daher den Namen hatte. Der Bannwart (Wildschütz) grüßte, die Hand an die Mütze legend. Landolin dankte herablassend, diesen Mann hat er ja selber angestellt zur Zeit, als er Schultheiß war. Die Schaubkäther, eine alte Frau bräunlichen Antlitzes, mit rothem Kopftuch, die eine Menge vielfarbiger Polster zum Tragen der Kopflasten, sogenannte Schaube, trug, grüßte nicht; sie war bös auf Landolin und konnte ihren Zorn nicht anders auslassen, als indem sie nicht grüßte. Endlich als der Oberbauer daher kam und rief: »Gehst mit, Landolin?« nickte Landolin und schloß sich dem Ebenbürtigen an.
Wir sind hier in der Gegend, wo noch die großen geschlossenen Bauernhöfe bestehen, und wie diese von Geschlecht zu Geschlecht vererbt werden, so erbt sich auch eine Ausschließlichkeit gegen diejenigen, die man hier zu Lande mindere Leute nennt; selbst im Wirthshause gilt es als unverbrüchliches Gesetz, daß die Großbauern an besonderem Tische sitzen, und Häusler und Handwerker für sich. Das Dorf, zu dem der Hof Landolins gehört, besteht aus zweiunddreißig großen Bauernhöfen, die zerstreut inmitten ihrer Feldgebreiten liegen, nur bei der Kirche, der Schule und dem Wirthshause haben sich mehrere kleine Häuser angesammelt.
»Wo ist denn Dein Weibervolk?« fragte der Oberbauer, nachdem man eine Strecke schweigend nebeneinander gegangen war.
»Sie kommen nach, sie fahren,« antwortete Landolin.
Der Oberbauer hatte auch gehört, daß heute am Markttage in der Stadt noch etwas anderes vor sich gehen solle, als der Verkauf des Viehes, aber als echter verhaltener Bauer, der sich auch nichts drein reden läßt und unnöthiges Fragen verschmäht, unterließ er jedes weitere Wort.
Wieder gingen die Beiden eine große Strecke dahin, stumm und stolz, denn sie hatten beide das Gefühl: da gehen zwei Männer, die zusammen dreihundert Morgen Feld und Wiese und nahezu ebensoviel Wald bedeuten. Als der jüngere und der noch dazu jetzt Bürgermeister war, begann indeß der Oberbauer wieder:
»Hast Du noch altes Heu?«
»Nein, hab's verkauft.«
»Zu gutem Preis?«
»Ja. Du auch?«
»Freilich.«
Die Beiden thaten mit einander so harmlos, als hätte keiner von ihnen je über das Erträgniß seines Ackers hinausgedacht, und doch war der Zauberdrache, genannt Aktie, auch über dieses Thal geflogen und hatte hier gewürgt und dort Federn ausgerupft. Diese beiden Männer hatten ein namhaftes Stück Geld in einer zu Grunde gegangenen Landesbank und in amerikanischen Eisenbahnaktien verloren, aber keiner wollte es dem andern gestehen oder gar klagen; jeder dachte für sich: ich kann's schon eher ertragen. Der eine meinte: ich bin jünger, und der andere: ich bin älter, und der eine meinte: wie konnte der junge Mann so was wagen, und der andere wieder: wie konnte der alte so unerfahren sein? Nur in Einem dachten sie beide gleich, sie wollten sich von keiner Verführung mehr verleiten lassen, sondern beim festen und langsamen Erträgniß ihrer Feldarbeit sich begnügen.
»Wir sind ein bisle spät dran,« sagte der Oberbauer wieder.
»O,« entgegnete Landolin und stand still – er stand immer still, wenn er sprach – »was ich zu kaufen habe, das wartet auf mich. Ich hab' mein Vieh nur hingeschickt, damit der Markt auch nach was aussieht. Wie ich höre, sollen viel Händler aus dem Elsaß 'rüber kommen.«
Der Oberbauer sah Landolin von der Seite an, er hätte ihm gern gesagt: ich weiß, Du willst, daß der Sägemüller mit seinem Sohn zuerst da sei und auf Dich warte; aber ich thue Dir den Gefallen nicht, Dir zu zeigen, daß ich Deinen pfiffigen Stolz verstehe.
Das Fuhrwerk Landolins mit den beiden Rappen kam bei den Wandelnden an. Droben saßen, sonntäglich geschmückt, Mutter und Tochter. Der Oberbauer nickte mehrmals schnell und schmunzelte, als er Thoma sah: es ist wahr, sie ist die schönste und mächtigste landauf und landab. Thoma fragte, ob die Männer nicht mitfahren wollten, denn es war noch ein zweiter Sitz auf der Schaarenbank – so nennt man hier zu Lande die char à banc, die nun das Bernerwägelein verdrängt. Die Männer lehnten ab, und das Fuhrwerk rollte weiter.
Berg und Thal kommen zusammen! Drunten am Strom entlang wandert Anton mit seinem Vater und droben von dem Berge kam Thoma mit den Ihren.
Es sind erst wenige Wochen, seit Anton und Thoma sich für einander erschlossen; hat's aber im Frühling erst einmal zu grünen begonnen, dann geht's mächtig und unaufhaltsam fort.
Der Schnee lag noch schwer auf den Bergen und in den Schluchten, auf den Feldgebreiten begann er indeß bereits zu schmelzen, da kamen eines Sonntags drei Bursche, die Soldatenmützen trugen, in Landolins Hof an. Sie begrüßten kameradschaftlich den Knecht Fidelis, der im Hofe die Pferde striegelte und ebenfalls eine Soldatenmütze trug.
»So?« fragte Fidelis, »Ihr wollt es also wagen, unsere Haustochter aufzufordern?«
»Ja freilich.«
»Ich glaub' nicht, daß sie mitthut – oder eigentlich, daß der Bauer einwilligt, aber es wird ihnen recht sein, daß man ihnen die Ehre angeboten hat.«
»Komm mit, Fidelis,« sagte Anton, »Du gehörst ja auch zu uns.«
Die beiden anderen Burschen, Söhne von Großbauern, sahen verwundert drein, sagten aber nichts.
»Wie Du meinst,« entgegnete Fidelis, »wartet nur, ich will meinen Sonntagsrock anziehen.«
Er begleitete die Drei in das Haus, aber in der Stube blieb er an der Thür stehen und ließ die Bauernsöhne sich dem Meister nähern, der sie willkommen hieß, sich aber rasch wieder setzte und fragte:
»Was ist Euer Begehr?«
Der Sohn des Großbauern Titus von der jenseitigen Hochebene – der Gäukönig genannt – ein hochgewachsener Bursch mit breiter Brust und einem kindlichen Ausdrucke im Gesicht, meldete wie einen Rapport, den er offenbar sich vorher zurecht gelegt hatte, daß man die Jungfrau Thoma ehrerbietigst einlade, als Ehrenjungfrau bei Uebergabe der Fahne an den Krieger-Verein zu erscheinen.
»Wer soll denn außerdem noch zu den Ehrenjungfrauen gehören?« fragte Landolin.
»Meine Schwester und die Tochter des Bezirksförsters.«
Landolin schmunzelte, dann fragte er, auf welchen Tag die Feier anberaumt sei. Jetzt nahm Anton das Wort und sagte, daß man den 15. Juli, als Tag der Kriegserklärung, dazu bestimmt habe, und der falle just geschickt auf einen Sonntag. Er fügte hinzu, daß man den Schreckenstag zum Freudentag machen wolle.
Landolin schaute verwundert auf bei der sichern und festen Vortragsweise Antons, dann heftete er sein Auge auf den Gäuprinz, der, statt selber das Wort zu behalten, den Sohn des Sägemüllers reden ließ.
»Ihr denkt weit hinaus, von heut bis Mitte Juli ist noch lang. Aber sei's! Wir können nicht mitthun, wir danken für die Ehre,« sagte Landolin entschieden.
»Dann sagen wir: Nichts für ungut! und gehen um ein Haus weiter,« sprach hoch erröthend der Gäuprinz und wendete sich um.
»Mit Verlaub,« fiel Anton ein, »wenn ich den Herrn Altschultheiß recht verstanden habe, so will er auch seine Tochter uns das Wort gönnen lassen.«
Der Bauer preßte die Lippen schelmisch zusammen, dann sagte er:
»Ja, ja, hast recht. Schaut! Ich sag' ihr kein Wort vorher, aber gebt Acht, sie sagt wie ich.«
»Darf man fragen warum?« warf der Gäuprinz ein.
»Fragen darf man,« schloß der Bauer, ging nach der Thüre, öffnete sie und rief Thoma, sie solle Wein und einen Imbiß bringen.
Thoma schien das vorbereitet zu haben, denn sie kam sofort, und die drei Burschen sahen sie mit großen Augen an; sie schenkte ein, man stieß an, und kaum hatte Anton begonnen, nochmals den Wunsch vorzutragen, als sie ihn unterbrach: »Du kannst Deine Reden sparen.« Anton erblaßte und Thoma erröthete, die Blicke Beider begegneten sich, Thoma schlug die Wimpern nieder, dann schaute sie frei auf und fuhr fort: »Ich hab' Alles gehört, was gesprochen worden ist.«
»Das ist brav!« rief Anton, »ich glaube, daß Wenige Dir das nachthun und ehrlich eingestehen, wenn sie gehorcht haben. Allen Respekt!«
Thoma sah den Sprechenden verwundert an. Wie kommt er dazu, sie zu loben und für etwas derart?
Mit fester Stimme erwiderte sie:
»Ich dank Dir für Dein Lob, aber ich meine, ehrlich sein verdient kein Lob.«
Der Bauer öffnete den Mund weit und hob vor Freude die Schultern. Der hat's! dachte er, die zahlt baar aus. Zum Vater gewendet, fuhr Thoma fort:
»Vater! Ihr wollet gewiß auch aufrichtig, daß ich meine Meinung sagen soll.«
»Gewiß. Was Du sagst, ist recht.«
»So sag' ich Ja. Ich nehme die Ehre mit Dank an.«
Fidelis an der Thüre biß sich in die Lippen, um nicht laut aufzulachen, die drei Burschen und der Vater sahen betroffen drein. Der Gäuprinz und der andere Bauernsohn gaben Thoma dankend die Hand; als aber Anton ihr die Hand darbot, machte sie sich schnell mit den Tellern und Gläsern zu schaffen.
Die Bäuerin war, ohne daß man's merkte, auch hereingekommen, und als man sich jetzt an Speise und Trank gütlich that, sprach sie mit Allen, sie kannte ja deren Mütter. Zu Anton gewendet, sprach sie ihr Beileid über den Tod seiner Mutter aus und sagte, was für eine grundbrave Frau sie gewesen und wie sie doch noch das Glück gehabt habe, ihren einzigen Sohn gesund und geehrt aus dem Kriege heimgekehrt zu sehen.
Als die drei Burschen weggegangen waren, sagte die Bäuerin:
»Der Anton ist ein Prachtbursch, der gefällt mir doch am besten.«
Dir auch? wollte der Bauer seine Tochter fragen, aber er hielt an sich und sagte nur:
»Er hat ein Maulwerk wie ein Advokat, ein echter bestandener Bauer ist doch nur der Hoferbe vom Titus da drüben.«
Thoma verließ ohne ein Wort zu sagen die Stube, und was Landolin mit Schreck geahnt hatte, traf ein. Thoma und Anton sahen sich von da an heimlich und offen, am hellen Tage und in stiller Nacht, und als endlich Thoma dem Vater ihre Liebe gestand, hielt ihr dieser ruhig vor, daß das keine ebenbürtige Ehe sei, und er zu ihr das Vertrauen habe, sie sei zu stolz, um herunter zu steigen. Als er aber merkte, daß der Beschluß in ihr feststand, bezwang er seinen Widerstand und war klug genug, seine Einwilligung zu geben, wobei er Dank erntete, statt daß er unter Verdruß und Aerger hätte nachgeben müssen; denn die Liebe und Ehre, die ihm Thoma widmete, ging ihm über Alles.
So kam es, daß heute die Verlobung der stolzen Tochter des hochmüthigen Landolin mit dem ehrenhaften aber, wie gesagt, nicht eigentlich ebenbürtigen Anton stattfinden sollte.
»Mutter,« sagte Thoma im Weiterfahren, »der Vater muß doch auch als junger Bursch der prächtigste gewesen sein.«
»Freilich, aber wild und unbändig, gar wild; Du kriegst einen viel sanfteren Mann, bei Euch ist's umgekehrt wie bei uns.«
Thoma sah erstaunt auf ihre Mutter, sie war's nicht gewöhnt, daß die Mutter so viel dachte und so viel sprach; ihr Staunen wuchs aber noch, als die Mutter hinzufügte:
»Wenn Dein Vater auch Soldat gewesen wär', wie der Anton, dann hätt' er eben auch gelernt, sich in andere Menschen zu schicken und nicht immer zu meinen, er sei allein auf der Welt. Unser Herrgott soll mir's verzeihen, ich hab' eigentlich nicht von Deinem Vater reden, ich hab' nur Dir sagen wollen, Du mußt eben jetzt auch lernen, Dich in andere Menschen zu schicken; wenn man verheirathet ist, ist's aus und vorbei mit dem Eigenwillen.«
Die Hochachtung, die Thoma bei der ersten Rede der Mutter empfand, verschwand wieder, da der Schluß Mahnung und Tadel für sie enthielt; sie bewegte trotzig die Lippen, sprach aber nichts.
Vom Thale herauf vernahm man bereits den Lärm des Jahrmarkts, Trommeln und Trompeten der Musikbanden ans den Schaubuden, Brüllen der Kühe und Ochsen und Wiehern der Pferde von der großen Wiese am Fluß.
Am Fuße des Berges, wo der Radschuh ausgehenkt wird, winkte Thoma einem Bettler, der am Wege saß und seinen Armstumpf ausstreckte. Sie gab ihm ein nagelneues Markstück.
»Das freut mich,« sagte die Mutter, als man weiter fuhr, und Thoma entgegnete, ihre Stimme war hell wie der Morgen: »Ja Mutter, heute, an meinem Freudentag darf ich an dem ersten Bettler nicht ohne Gabe vorüber. Und schauet,« rief sie, sich zurückwendend, »schauet, wie er uns nachwinkt; ersieht erst jetzt, was er bekommen hat und zeigt es den Anderen. Wenn ich nur die ganze Welt glücklich machen könnte. so glücklich wie ich bin. O Mutter! Es muß doch schrecklich sein! Da sitzt ein Mensch am Weg und schickt seinen um Erbarmen bittenden Blick hin und her, die Menschen gehen vorüber, der giebt nichts, und der auch nichts, es ist ihnen zuviel, in die Tasche zu langen und den Beutel aufzumachen, und der Arme jammert mit trockenem Munde.«
Die Mutter nickte glückseligen Antlitzes, sie hätte gern gesagt: Du hast doch nicht Alles von Deinem Vater, Du hast doch auch was von mir. Aber sie unterdrückte die Worte, sie ärgerte sich noch über sich selber, daß sie ganz gegen Gebühr und Gewohnheit etwas gegen den Bauer gesagt hatte.
»Grüß Dich Gott, Thoma, und grüß Gott, Mutter!« tönte plötzlich die helle Stimme Antons. Er reichte die Hand und fuhr fort:
»Komm, richt' Dich auf, steig ab.«
»Nein, sitz' Du herauf.«
»Ich gehe schon nebenher,« entgegnete Anton und schritt, die Hand auf das Geländer gehalten, neben dem Wagen. Die Mutter entschuldigte, daß man habe warten lassen und der Bauer käme zu Fuß nach.
Als Landolin auf die Marktwiese kam, wurde er zuerst von dem Großbauer Titus, dem sogenannten Gäukönig von der jenseitigen Hochebene, begrüßt. Der Gäukönig bot eine namhafte Summe für die Preiskuh, Landolin lehnte schelmisch ab. Bald war er von einer großen Schaar Bauern umringt, die theils im Ernst, theils im Scherz ihn schalten, daß er durch Aufstellung der Preiskuh den Markt verderbe, denn neben dieser erschienen alle anderen armselig. Landolin lächelte, er hatte eigentlich nur für sich selber stolz sein wollen, aber daß er den Anderen den Markt verdarb, das schmeckte ihm wie der beste Schoppen, und besonders behagte ihm der Aerger des Gäukönigs. Denn Landolin und der Gäukönig standen im Wettbewerb um die oberste Geltung im Bezirk. Die anderen Großbauern hatten eigentlich keinen Ehrgeiz, ihr Sinnen und Treiben war auf Erwerb gerichtet; das war bei den Wettbewerbern nun wol auch der Fall, aber sie wollten dazu noch besonderes Ansehen haben.
Der Gäukönig Titus war besser dran, er verachtete die Welt und gab das überall zu verstehen, und wer das thut, dem läuft die Welt nach. Er that so, als ob er von Niemand auf der Welt etwas verlange, und vielleicht war's auch so; er hatte eine bäuerisch vornehme Gleichgiltigkeit, er konnte siebenmal seinen Namen hinter sich nennen hören, er wendete den Kopf nicht, um zu sehen und zu hören. wer und was man von ihm spreche. Er sprach selten mit Jemand, aber wenn er's that, war der Angeredete glücklich: der Gäukönig hat eben mit mir gesprochen und so lang und so manierlich; – wer das erzählen konnte, war stolz und bevorzugt. Landolin dagegen verachtete die Welt nicht minder wie der Gäukönig, aber er war gierig nach Lob und Anerkennung und suchte sie aus den Menschen heraus zu hören, wenn sie ihm nicht entgegengebracht wurden; er war prahlerisch und zeigte sich gern herablassend oder ließ merken, daß ihm an der Wohlmeinung Dieses oder Jenes gelegen sei, und damit verscherzte er die gewünschte Geltung.
Landolin und der Gäukönig thaten biederherzig mit einander, während sie sich tief haßten.
Jetzt standen sie aber vor einem Dritten, der Jedem von ihnen Ehre zu geben hatte. Der Kreisgerichtsrath, mit Namen Pfann, ein Mann feinen Antlitzes, der eine goldene Brille trug, ging mit seiner Frau am Arm durch das Marktgewühl, bald da, bald dort grüßend; Jetzt trat er auf die Beiden zu und sagte ihnen, daß sie morgen beide das Ausschreiben erhalten würden, das sie zu Geschworenen beruft:
»Es läßt sich leider nicht anders machen,« fügte er hinzu, »die nächste Schwurgerichtssitzung fällt in die Erntezeit.«
»Es ist einmal so,« rief Landolin, »dafür, daß man hohe Steuern bezahlt, darf man auch wochenlang wie angenagelt sitzen.«
Er glaubte so stolz als allgemein wohlgefällig gesprochen zu haben und schaute beifallsammelnd um, aber Niemand nickte ihm zu.
»Euch darf man ja gratuliren,« sagte die Kreisgerichtsräthin zu Landolin, »wie ich höre, wird Eure Tochter Braut mit des Sägemüllers Anton von Rothenkirchen. Das ist ein prächtiger junger Mann, so hellauf und so gut geschult und tapfer.«
Landolin schien an diesem Lobe nicht genug zu haben, und selbst auf Kosten seines künftigen Schwiegersohnes konnte er es nicht lassen, ruhmredig zu erwidern: »Die jungen Leute haben einander so arg gern, daß ich die Einwilligung gegeben hab'! Ich kann mir's Gottlob schon erlauben, einen Minderen zum Schwiegersohn zu nehmen. Und es ist ein Mensch, der Offizier hätt' werden können. Aber ich muß jetzt Ade sagen. Ich hab' mich versäumt. Sie warten im Schwert auf mich.«
Er ging rasch davon. Als der Kreisgerichtsrath sich durch das Gewühl in eine stille Ecke gefunden hatte. sagte er:
»Da hast Du nun wieder Deine gradsinnigen Volksfiguren! Gedankenlosigkeit oder pfiffige Rohheit ist ihr Entweder – Oder. Die Rohheit schlägt drauf los, ohne sich je zu besinnen, wie der Getroffene den Schlag empfindet. Verschmäht es der Landolin nicht, seinen braven künftigen Schwiegersohn klein zu machen, nur um selber um so größer daneben zu erscheinen!«
»Und doch halte ich dran fest,« entgegnete die Frau, »daß das Herz dieser Menschen unverfälscht ist und oft besser als ihr Reden und Thun. Der Landolin wollte eigentlich nichts gegen Anton sagen; er wollte nur seinem alten Widerpart, dem Titus, eins versetzen, denn Titus hätte den Anton auch gern zum Schwiegersohn gehabt.«
Der Kreisgerichtsrath lächelte über die neue Kunde seiner Frau; daß sie sich in ihrem Wohlmeinen durch Nichts erschüttern ließ, darüber staunte er nicht mehr.
Die Beiden gingen weiter, und fast noch ehrerbietiger als der Kreisgerichtsrath wurde die Frau begrüßt; sie nickte Diesem und Jenem besonders freundlich zu und für Manchen hatte sie auch ein flüchtiges gutes Wort.
Jenseits des Flusses brauste und tobte das Marktgewühl, und hier unter den Weiden und Erlen saßen Anton und Thoma vor aller Welt verborgen auf einer Bank und herzten und küßten einander.
»Jetzt sei gescheidt und red' auch was,« sagte endlich Thoma.
»Ich mein', ich kann gar nichts mehr reden und brauch' gar nichts mehr zu reden, Alles, was ich sagen will, weißt Du schon,« entgegnete Anton, und doch erzählte er jetzt von seinem Erwachen vor Tag und von seinem Morgengang und wie er Thoma ins Weite hinein gegrüßt habe.
Sie lächelte glückselig und senkte die Augen; sie hatte Anton gewiß auch von Herzen gern, aber daß er solche tiefquellende Liebe habe, wie sie jetzt aus ihm sprudelte, hatte sie doch kaum geahnt.
»Da drüben ist der Markt,« nahm er wieder auf, »da kann man Alles haben, ich möcht' Dir auch was kaufen, aber ich mein', Dir kann man gar nichts geben, Dein ist schon Alles.«
»Just doch nicht Alles,« lächelte sie, »aber Du hast recht, kauf' mir nichts; ich will nichts als Dein Herz, und so eins kann man nicht kaufen für alles Geld in der Welt. Und weißt Du, was das Beste ist an Allem, was Du sagst?«
»Was?«
»Ich glaub' Dir jedes Wort. Ich glaub' nicht, daß aus Deinem Mund heraus je ein unwahres Wort kommen kann.«
Sie saßen wieder still, Hand in Hand, ein wonniges Lächeln zog über das Antlitz Antons, und Thoma sagte:
»Worüber lachst Du jetzt? Sag', was ist's?«