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Frankfurter Krimi-Serie um Kommissar Andreas Rauscher. Bisher erschienen: "Mord auf Bali" 2006 (Neuauflage 2011), "Lauf in den Tod" 2010, "Der Mann mit den zarten Händen" 2010, "Robin Tod" 2011, "Paukersterben" 2012, "Fliegeralarm" 2013, "Abgerippt" 2014, "Bockenheim schreibt ein Buch" (Hrsg.) 2015, "Einzige Liebe – Eintracht-Frankfurt-Krimi" Februar 2017, "Ebbelwoijunkie" Dezember 2017 und "Frau Rauschers Erbe" 2018. Zudem der Thriller "Rotlicht Frankfurt" 2019. Inhalt: Angst und Entsetzen im Frankfurter Niddatalpark. Ein toter Läufer liegt am Ufer der Nidda. Andreas Rauscher, Kommissar und Apfelweinliebhaber, macht sich auf die Jagd nach dem Joggermörder. Er taucht ein in die Welt der Kilometerfresser, Bestzeiten und Endorphine. Die heile Läuferwelt beginnt zu bröckeln und der Fall entwickelt sich zu einem Wettrennen auf Leben und Tod. "Das Läufer Unser" Läufer unser im Himmel! Geheiligt werde dein Laufschuh, dein Runners High komme, dein Trainingsplan geschehe, wie im Himmel so auch auf der Laufstrecke. Unser tägliches Training gib uns heute, und vergib uns den letzten trainingsfreien Tag, wie auch wir vergeben unserem inneren Schweinehund. Und führe uns nicht in die nächste Apfelweinkneipe, sondern erlöse uns von den bösen Schoppen. Denn dein ist das Reich der 10-Kilometer, und des Marathons, und der 100 Kilometer von Biel, in Bestzeit. Amen."(Auszug "Lauf in den Tod"). Für Manchen ist Laufen Glaubensbekenntnis, Weltanschauung, Religion. Was passiert, wenn im Namen dieser Religion getötet wird?
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Seitenzahl: 301
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Gerd Fischer
„Lauf in den Tod“
Krimi
Maincrime No.1
mainbook Verlag
Das BuchAls Anton Wablinski nicht von seiner samstäglichen Laufrunde aus dem Niddatalpark zurückkehrt und tot am Niddaufer gefunden wird, stehen seine Familie und die Polizei zunächst vor einem Rätsel. Wablinski war ein leidenschaftlicher Läufer und in seiner Laufgruppe sehr beliebt.Der Frankfurter Kommissar und Apfelweinliebhaber Andreas Rauscher wollte eigentlich ein ruhiges Wochenende verbringen, doch der Mord im Niddatalpark geht ihn persönlich an. Hat sein Freund Torben Hoffmann, der in der gleichen Laufgruppe wie Wablinski war, etwas mit dem Mord zu tun? Rauscher ist schwer beunruhigt und setzt alle Hebel in Bewegung, um die Spur des Joggermörders aufzunehmen. Im Blut des Toten wird ein mysteriöser Stoff nachgewiesen, der weitere Fragen aufwirft. Rauscher und sein Team tappen im Dunkeln, bis ein weiterer Mord geschieht.Um den Fall zu lösen, muss Rauscher eine Frage beantworten: Wie und warum wird das Laufen zu einer tödlichen Leidenschaft?
Der AutorGerd Fischer hat 10 Marathons, ein Germanistik-Studium und ca.12 Jahre Werbetexterei in den Knochen. Er lebt und arbeitet in Frankfurt-Bockenheim. Sein erster Krimi „Mord auf Bali“ und gleichzeitig Kommissar Rauschers erster Fall wurde 2006 veröffentlicht (Neuauflage 2011 im mainbook Verlag). Weitere Veröffentlichungen: „Der Mann mit den zarten Händen“ (2010) und „Robin Tod“ (2011)
Die Entstehung dieses Buchs zog sich fast wie ein Marathon. Fürs Durchhalten und ins Ziel kommen bedanke ich mich herzlichst bei der wunderbaren Ingeborg für den famosen Schliff.Ebenso bedanke ich mich bei Ute, Elisabeth, Claudia, Familie Ludwig, Frau Z., Andrea und Alex, Barbara und Andreas Egert für den Aphorismus (aus ‚fehlfarbenfroh‘ , Schardt 2002).
Copyright © 2010 Mainbook Verlag, Gerd FischerAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Ingeborg BellmannLayout: Anne FußTitelbild (bearbeitet): © Maridav – Fotolia.com
ISBN 978-3-9813571-5-8
Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de
Prolog
Samstag 15.3. 6.30 Uhr
Samstag 15.3. 6.33 Uhr
Samstag 15.3. 7.26 Uhr
Samstag 15.3. 9.04 Uhr
Samstag 15.3. 11.14 Uhr
Samstag 15.3. 12.01 Uhr
Samstag 15.3. 15.24 Uhr
Samstag 15.3. 18.34 Uhr
Sonntag 16.3. 9.38 Uhr
Sonntag 16.3. 10.12 Uhr
Sonntag 16.3. 13.26 Uhr
Sonntag 16.3. 17.14 Uhr
Sonntag 16.3. 17.29 Uhr
Montag 17.3. 1.29 Uhr
Montag 17.3. 7.34 Uhr
Montag 17.3. 7.59 Uhr
Montag 17.3. 10.00 Uhr
Montag 17.3. 11.12 Uhr
Montag 17.3. 12.44 Uhr
Montag 17.3. 15.55 Uhr
Montag 17.3. 16.17 Uhr
Montag 17.3. 17.55 Uhr
Montag 17.3. 17.40 Uhr
Dienstag 18.3. 7.34 Uhr
Dienstag 18.3. 9.11 Uhr
Dienstag 18.3. 11.10 Uhr
Dienstag 18.3 13.55 Uhr
Dienstag 18.3. 14.05 Uhr
Dienstag 18.3. 16.12 Uhr
Dienstag 18.3. 16.44 Uhr
Dienstag 18.3. 17.50 Uhr
Dienstag 18.3. 18.30 Uhr
Dienstag 18.3. 20.12 Uhr
Dienstag 18.3. 22.01 Uhr
Mittwoch 19.3. 6.09 Uhr
Mittwoch 19.3. 6.29 Uhr
Mittwoch 19.3. 7.32 Uhr
Mittwoch 19.3. 8.17 Uhr
Mittwoch 19.3. 9.22 Uhr
Mittwoch 19.3. 10.02 Uhr
Mittwoch 19.3. 10.40 Uhr
Mittwoch 19.3. 11.44 Uhr
Mittwoch 19.3 12.30 Uhr
Mittwoch 19.3 13.40 Uhr
Mittwoch 19.3 14.50 Uhr
Mittwoch 19.3. 16.40 Uhr
Mittwoch 19.3 16.48 Uhr
Mittwoch 19.3. 17.43 Uhr
Mittwoch 19.3. 20.11 Uhr
Mittwoch 19.3. 21.09 Uhr
Donnerstag 20.3. 7.03 Uhr
Donnerstag 20.3. 8.22 Uhr
Donnerstag 20.3. 9.16 Uhr
Donnerstag 20.3. 10.22 Uhr
Donnerstag 20.3. 12.29
Donnerstag 20.3. 15.24 Uhr
Donnerstag 20.3. 18.02 Uhr
Donnerstag 20.3. 19.04 Uhr
Donnerstag 20.3. 20.19 Uhr
Freitag 21.3. 6.17 Uhr
Freitag 21.3. 6.27 Uhr
Freitag 21.3. 6.58 Uhr
Freitag 21.3. 7.12 Uhr
Freitag 21.3. 7.24 Uhr
Freitag 21.3. 8.19 Uhr
Freitag 21.3. 9.01 Uhr
Freitag 21.3. 9.22 Uhr
Freitag 21.3. 10.20 Uhr
Freitag 21.3. 12.23 Uhr
Freitag 21.3. 14.01 Uhr
Freitag 21.3. 16.54 Uhr
Freitag 21.3. 18.38 Uhr
Freitag 21.3. 19.23 Uhr
Montag 24.3. 8.48 Uhr
Montag 24.3. 11.25 Uhr
Dienstag 25.3. 9.14 Uhr
Für Andi und Erhard, meine Marathonis
Der Mann hetzte den Parkweg entlang, sein Puls flog, das Herz pumpte auf Hochtouren.
Vorwärts, schneller!
Er lief, als wäre der Teufel hinter ihm her, die Augen starr nach vorne gerichtet.
Nur weg, dachte er, nur weg!
Das Gesicht des Mannes war grau wie das Wetter. Schweiß rann ihm über Stirn und Nase, brannte in den Augen. Das Laufshirt klebte auf seiner Haut. Sein Blick sauste über den Niddauferweg und die danebengelegene Wiese.
Nebel, dachte er, nichts als Nebel.
Er kam fast ins Stolpern, als er einer riesigen Pfütze ausweichen wollte.
Warum musste das ihm passieren, ausgerechnet ihm?
Während des Laufs begegnete ihm kein Mensch, kein Vogel flog. Am Horizont unter tiefliegenden Wolken, der Messeturm. Seine Atemzüge überschlugen sich. Der gepflasterte Weg, der nach Bockenheim führte. Nur noch wenige Meter bis zum Ende des Parks. Er lief und lief, wie durch einen Tunnel. Raus aus dem Park, nur raus. Ohne nach rechts oder links zu schauen, lief er über die erste Straße, die Ginnheimer.
Ein Auto bremste scharf und hupte. Der Fahrer öffnete das Fenster und schrie: „Sind Sie irre oder was?“
Der Mann rannte weiter, hatte nichts bemerkt. Ein letzter Spurt. Der Bockenheimer Altbau, endlich. Keinen Meter weiter wäre er gekommen. In seinem Kopf flammte ein loderndes Feuer. Die Augen pochten. Seine Lunge brannte. Er kochte innerlich, kotzte eine graugrüne Flüssigkeit aufs Trottoir und schleppte sich mit letzter Kraft zur Tür.
„Ringgggggggggggggggg“.
Andreas Rauscher wusste nicht, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Heute ist doch Samstag, dachte er und in diesem Moment spürte er auch schon seinen Kopf.
„Ringgggggggggggggggg“.
Lena, dachte er, Scheiße! Er taumelte aus dem Bett. Sein Schädel dröhnte wie ein Presslufthammer. Er erreichte den Flur, drückte den Öffner und zog die Tür auf. Von unten hörte er die Haustür aufgehen und wieder zu fallen.
Rauscher fuhr sich durch die abstehenden Haare und bemerkte erst jetzt seinen trockenen Hals. Warum hatte er gestern nicht auf die letzten vier oder fünf Ebbelwoi verzichtet? Er ging ins Treppenhaus und schaute nach unten.
Verdammt, wie lange brauchte sie denn für die drei Stockwerke? Keine zehn Sekunden später stand sein Freund Torben vor ihm.
„Du? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“ Torben starrte ihn an.
„Kommst du von der Nidda?“ Torben nickte.
„Ich muss auch mal wieder laufen. Hätte ich echt Lust.“
Rauscher fasste sich an den Bauch. Ganz schön robust, hatte Lena neulich gesagt. Okay, Fünf bis sechs Kilo zu viel, das wusste er selber.
„Komm rein, aber zieh dir die Schuhe aus.“ Torben streifte die Schuhe ab, ließ sie einfach liegen. Beide gingen hinein.
Rauscher schaute Torben an, der immer noch keinen Pieps von sich gegeben hatte. Und jetzt erst registrierte er Torbens wirren Blick, seine aschfahle Gesichtsfarbe, sein glänzendes Haar. Sein Freund zitterte wie Espenlaub.
„Ist was passiert?“ Torben reagierte nicht. „Du schwitzt ja wie verrückt. Du brauchst ein Handtuch.“ Plötzlich sackte Torben nach unten weg, ging in die Knie, fiel nach vorne und es sah aus, als würde er ohnmächtig werden. Rauscher fing ihn gerade noch auf.
„Ach du Scheiße! Torben, hey, was ist los?“ Rauscher schleppte ihn ins Wohnzimmer und hievte ihn auf die Couch. Torbens ausdrucksloses Gesicht machte Rauscher Angst. Seine Augen sahen durch ihn hindurch. Hin und wieder zwinkerte er. Rauscher griff nach seinem Handy, das auf dem Wohnzimmertisch lag, wählte die Notarztnummer und bestellte einen Krankenwagen. Dann legte er seine Hand auf Torbens Stirn, versuchte ihn zu beruhigen:
„Ganz ruhig. Gleich kommt ein Arzt. Ich fahr mit ins Krankenhaus. Kleinen Moment …“ Rauscher sprintete ins Schlafzimmer, zog sich im Schnellverfahren die Klamotten von gestern Abend an, hastete in den Flur, setzte sich eine Basecap auf und entschied sich für ein paar Sneaker, in die er nur hineinschlüpfen musste. Er spürte den Restalkohol. Ein Blick ins Wohnzimmer, Torben lag reglos auf der Couch, zusammengekauert, die Arme vor der Brust verschränkt.
Leichenblass sah er aus. Gespenstisch, dachte Rauscher.
Als er sich einen Pulli überzog, klingelte es. Rauscher lotste die beiden Rettungssanis ins Wohnzimmer und steckte sein Handy ein.
Fünf Minuten später saß er im Einsatzwagen neben Torben, der auf der Liege lag, und hielt seine linke Hand.
„Dauert nur ne Minute. Das Markus-Krankenhaus ist gleich um die Ecke.“
Torben war wie weggetreten. Rauscher spürte, wie sein Freund zitterte. Noch immer traten Schweißtropfen auf seine Stirn. Torbens Puls war extrem hoch. Was war nur passiert? Kam einfach angeschneit und war vollkommen neben der Spur.
Torben war vom Laufen gekommen. Er trug noch die volle Läufermontur. Wahrscheinlich aus dem Park, denn dort lag seine bevorzugte Strecke. Ein eigenartiges Gefühl ergriff Rauscher.
Der Notarztwagen bog in die Wilhelm-Eppstein-Straße und hielt vorm Krankenhaus. Die beiden Rettungssanis transportierten Torben auf der Liege ab und Rauscher sah zu, dass er an seiner Seite blieb.
In der Notfallaufnahme kümmerte sich gleich eine Ärztin um ihn, Dr. Mittag, erkannte Rauscher anhand ihres Schildes. Er beobachtete, wie die Ärztin Torbens Blutdruck maß und seine weißunterlaufenen Augen inspizierte.
„Wie heißt er?“, fragte sie ihn.
„Torben Hoffmann. Ein Freund von mir“, antwortete Rauscher.
„Und Sie?“
„Andreas Rauscher, Kriminalkommissar.“
„Was ist passiert?“
„Keine Ahnung. Er hat vor fünfzehn Minuten bei mir geklingelt. Sieht aus, als sei er gejoggt.“
Dr. Mittag hatte einen Zettel in der Hand, Rauscher las mit: Rettungsdienst, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Vitalparameter.
„Neurogener Schock. Ich gebe ihm jetzt eine Beruhigungsspritze, dann wird er erst mal schlafen“, sagte die Ärztin. „Ich werde ihn vorsichtshalber hier behalten. Zur Beobachtung.“ Rauscher nickte. Nachdem sich Frau Dr. Mittag von Rauscher verabschiedet hatte, wurde Torbens Liege von einem Pfleger ins Nebenzimmer geschoben.
Rauscher griff sich einen Stuhl, setzte sich neben ihn und nahm wieder seine Hand. Bevor der Pfleger das Zimmer verließ, sagte er:
„Wenn er über Nacht bleiben muss, wird er in ein anderes Zimmer verlegt.“
Stille. Rauscher hörte Torbens Atem. Er kam ihm holprig vor.
„Hey Zwinkel“, sagte er und musste lachen über den Spitznamen, den er ihm persönlich gegeben, den er aber seit längerer Zeit nicht mehr benutzt hatte. Torben drehte, kaum wahrnehmbar, den Kopf.
„Geht’s dir besser? Kannst du sprechen?“
Rauscher hatte das Gefühl, dass sein Freund die Augen bewegen wollte, was ihm offensichtlich schwer fiel.
„Wir kriegen dich wieder hin.“
Torben weitete die Augen und brachte mühevoll ein kurzes Nicken zustande. Rauscher drückte seine Hand fester, was Torben durch den Ansatz eines Lächelns quittierte. Rauscher schöpfte Hoffnung, zu erfahren, was seinem Freund widerfahren war. Er blickte ihm tief in die Augen:
„Was war los heute Morgen?“
Eine Minute verging, in der Torben keinerlei Regung zeigte. Dann vernahm Rauscher den Ansatz eines Räusperns, doch Torben blieb still. Es sah aus, als koste es ihn unendlich viel Kraft, zu reden. Der Kommissar wartete und als es wieder ganz ruhig im Zimmer war, flüsterte er:
„Hey Torben, weißt du noch, wie wir im Sommer durch den Park gejoggt sind? Man waren wir fit!“ Jetzt drehte Torben den Kopf zu ihm, schaute ihn eindringlich an:
„An … an der Nidda …“ Rauscher nickte. „Am … am kleinen Bootshaus …“
„Wo wir immer vorbei joggen?“ Torben nickte:
„Da musst du hin.“
Torbens Gesicht verlor die letzte Farbe, er würgte. Dann kotzte er auf die Liege. Rauscher sprang auf, öffnete die Tür und rief nach einem Pfleger, der sofort zu Hilfe eilte und sich um Torben kümmerte. Rauscher strich Torben über die klebrigen Haare:
„Ich bin gleich wieder da. Ich beeile mich.“
Rauscher nahm sich ein Taxi und dirigierte den Fahrer zur Brücke zwischen Hausen und Praunheim, die etwa 200 Meter vom Bootshaus entfernt die Nidda überquerte.
Auf der Fahrt, die flott voran ging auf Frankfurts Straßen, meldete sich auch wieder sein Kopf. Er pochte. Ein dumpfes Gefühl. Scheiße, dachte er, die Sauferei und ausgerechnet wegen Lena. Er ärgerte sich. Heute Nachmittag würde er sie treffen. Mit ihr reden. Das Taxi hielt und Rauscher stieg aus.
Es war fast hell, nur die winterdämmerige Luft war um diese Zeit noch diesig. Im Osten türmten sich Wolkenberge am Horizont, gen Westen waren ein paar wolkenfreie Flecken zu sehen. Der Tag kündigte sich mit besserem Wetter an.
Vor Rauscher lag der Park. Etwas stimmt hier nicht, empfand er, als er an der Nidda stand, dem Fluss seiner Jugend. Eine Welle der Erinnerung spülte ihn zurück an die Ufer seiner Kindheit. Der Fluss, in dem er gebadet hatte, als er noch klares Wasser führte, an dessen Ufern er mit Freunden und Freundinnen gespielt hatte, schwamm leise vor sich hin. Er konnte nicht genau erfassen, was es war. Die Stille? Kein Mensch weit und breit. Eigentlich logisch, sagte er sich, samstags um diese Uhrzeit.
Die Stelle, die Torben beschrieben hatte, kannte er. Oft genug war er dort gejoggt. Das alte, würfelförmige Bootshaus lag direkt am Niddaufer. Die graue Farbe an den Außenwänden war an einigen Stellen abgeblättert, hatte Wind, Schnee und Regen des langen Winters nicht standhalten können. Ein schmaler, asphaltierter Weg führte auf einen kleinen Parkplatz, der von Bäumen eingegrenzt wurde. Einige Weiden ließen ihre Äste ins kalte Wasser fallen. Ein Nebelteppich lag auf den angrenzenden Wiesen, hüllte das graue Grün ein, als läge darin ein Geheimnis verborgen.
Nirgends war ein Fahrzeug zu sehen, kein Vogel flog.
Da musst du hin. Torbens Worte gingen Rauscher nicht aus dem Kopf. Er stand jetzt direkt vorm Bootshaus und konnte die Szenerie gut überblicken. Er ging weiter. Der sumpfige Boden spuckte Wasser bei jedem Tritt. Da entdeckte er etwas, neben dem Gebäude. Ein Mensch lag im nassen, grauen Gras, kurz vor der Uferböschung. Einen Schritt weiter und Rauscher sah Blut.
Als Lena Stoltze auf ihre bevorzugte Laufrunde ging, nahm sie sich vor, sich heute Nachmittag besonders hübsch zu machen. Sie schmunzelte, wie schön!
Sie durchquerte den Brentano-Park in Rödelheim, vorbei am 250 Jahre alten Ginkgo-Baum, unweit der Niddabrücke, dem Goethe eigens ein Gedicht gewidmet hatte. Die Strecke führte weiter in den Niddatalpark bis Ginnheim und wieder zurück. Lena joggte gerne früh morgens. Sie genoss die frische Luft an der Nidda und fand gerade die Zeit zu Beginn des Frühjahrs sehr schön, beobachtete Bäume, Sträucher und Gartenanlagen, die sich bereit machten zu sprießen.
Lena bog ab auf den breiten Fuß- und Radweg an der Nidda. Auf der einen Seite spiegelte sich das langsam fließende Wasser, auf dem im Sommer Enten und Schwäne neben Seerosenfamilien schwammen und an dessen Rand Schilf wuchs. Auf der anderen Seite genoss sie die Aussicht auf die weiten Grünflächen, die jetzt eher grau waren, die wildverstreuten Bäume, die Frankfurter Skyline und den Messeturm, dessen Spitze am Himmel blinzelte. Sie wunderte sich immer, wenn jemand Mainhattan als hässliche Stadt der Banker und Börsianer bezeichnete.
Gerade kam sie an ihrem Lieblingsplatz vorbei, eine kleine Wiese zwischen Bäumen und Büschen, direkt an einem der vielen Nidda-Nebenarme. Im Sommer fiel hier die Sonne so ein, dass man ins Träumen geraten konnte und die Natur noch mehr liebte.
Der Grüngürtel entlang der Nidda ist die Lunge Frankfurts. Abseits der Innenstadt mit ihren Bürotürmen und Großbanken, durchfließt sie die Stadt von Nordosten nach Westen und absorbiert den Feinstaub der Blechlawine, die sich tagtäglich durch die Stadt zieht. Von der Niddaquelle auf dem Taufstein im Vogelsberg, über Karben und Bad Vilbel, zieht sie sich durch die Niddaauen, an Harheim und Berkersheim vorbei, und trifft in Heddernheim auf die eigentliche Stadt. Erst ein ganzes Stück weiter, in Eschersheim, beginnt der Niddatalpark, der sich bis Ginnheim, Bockenheim, Hausen und Praunheim erstreckt. Danach fließt sie durch den Brentanopark bei Rödelheim, schlängelt sich an Nied vorbei bis sie schließlich bei Frankfurt-Höchst, nach 98 Kilometern, eins wird mit dem Main.
Als Lena ein Stück gelaufen war, spürte sie, wie kalt und feucht die Luft heute war. Sie verzichtete darauf, weiter direkt am Fluss entlang zu laufen und genoss stattdessen die Vorfreude auf ihr Date mit Andreas Rauscher, ihrem Kommissar. Der Gedanke wärmte sie, das Laufen ging besser.
Lena umlief sechs oder sieben Pfützen. Die letzte Pfütze, eine besonders breite, lag noch vor ihr. Sie sah den glatten Wasserspiegel und es schien ihr, als würde darin der graue Himmel eine Grimasse schneiden. Ein Meter Anlauf genügte und sie sprang mit beiden Füßen hinein, dass es nur so spritzte, lachte laut, drehte sich um die eigene Achse und mit pitschnassen Schuhen stieg sie aus der Pfütze.
Reiß dich zusammen, sagte sie sich und blickte sich peinlich berührt um. Niemand war zu sehen. Komisch, dachte sie, hier läuft doch sonst immer jemand. Schulterzuckend setzte sie ihren Lauf fort.
Während des Joggens konnte sie sich ganz auf ihren Körper konzentrieren, jeden Muskel spüren, jeden noch so kleinen Schmerz wahrnehmen. Sie mochte besonders jene Momente, in denen man wie von alleine läuft, einen Schritt vor den anderen setzt, und denkt, das ginge schier endlos so weiter.
Die dazu nötige Fitness hatte sie sich im Laufe der Jahre antrainiert. Selbst ein Lauf über zehn, zwölf oder fünfzehn Kilometer machte ihr nichts mehr aus. Im Gegenteil: Für Lena waren solche Läufe pure Entspannung. Sie fühlte sich schwerelos, jung und attraktiv, brauchte diese reinigenden Minuten und Stunden, dachte dabei an Julian, ihren Sohn, den sie über alles liebte. Sechs Jahre war er schon alt. War das nicht irre? Wie die Zeit vergeht. Ende des Sommers würde er in die Schule kommen. Sie war so stolz, schließlich hatten sie schwierige Zeiten erlebt. Als Kleinkind musste sie mit ihm von Arzt zu Arzt rennen, hatte Monate in Krankenhäusern verbracht, aber die Ärzte hatten nicht herausgefunden, was mit ihm war. Einmal hing sogar sein Leben am berühmten seidenen Faden.
Jochen, ihr Ehemann, hatte sie mit allen Kräften unterstützt, war stets für sie da gewesen, obwohl er einen Job als Abteilungsleiter einer großen Versicherung hatte. Gemeinsam hatten sie es schließlich geschafft. Mit Julian ging es aufwärts und sie konnten ihr Leben wieder genießen. Ein überdurchschnittliches Leben. Großes Haus, zwei Autos und zweimal Urlaub pro Jahr im fünf Sterne Hotel.
Lena lief ihr gewohntes Tempo und wischte sich ein paar Tropfen von Stirn und Augen. Ihr halblanges blondbraunes Haar war hinten zum Pferdeschwanz gebunden. Für ihre glatte reine Haut erntete sie oft bewundernde Blicke. Ein Leben ohne Wellness-Wochenenden, Massagen, Kosmetikerin und Fitnessstudio konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen. Aber ihr Ein und Alles war das Shoppen. Sie genoss ausgiebige Touren durch die Boutiquen der Stadt, das Schauen, Fühlen, Anprobieren, Bewundern und bewundert werden. Kein neues Geschäft, das sie nicht sofort besuchte. Kein Modetrend, den sie verschlief. Kein neuer Duft, den sie nicht ausprobierte. Sie liebte es, nicht aufs Geld schauen zu müssen und sich einfach zu nehmen, was ihr gefiel.
Aber da gab es einen Bereich, der sie ganz und gar nicht befriedigte: Sie mochte Sex und ihr Mann konnte nicht. Obwohl er erst 41 war.
Alles Mögliche hatten sie ausprobiert: Stimulierungstechniken, Pornos, Reizwäsche, nichts half ihm, steif zu werden. Selbst diese Pillen, die es überall zu kaufen gab, sogar im Internet konnte man sie bestellen, halfen nicht. Es war wie verhext. Er brachte zwar eine Art Erektion zustande, aber sobald er in sie eindringen wollte, war es vorbei. Eine Sperre im Kopf, ein Hindernis, das er nicht überwinden konnte. Er war blockiert. Also hatte Lena Abhilfe geschaffen und sich einen Liebhaber gesucht.
Als sie über die Niddabrücke am Brentanobad lief, dachte sie wieder an Andreas Rauscher.
Er war ihr zufällig wieder über den Weg gelaufen. Sie kannten sich von früher, hatten in den frühen Zwanzigern eine zweijährige Beziehung geführt.
Lena war erstaunt gewesen, dass er nach fast sieben Jahren, in denen sie nichts miteinander zu tun hatten, immer noch so lebte wie damals. Sein Appartement in einem Bockenheimer Altbau, das sie inzwischen ihre Oase nannte, sah fast aus wie früher. Er hatte sich mittlerweile zwar ein paar neue und wirklich schöne Teakholzmöbel zugelegt, aber überall standen noch die Ikea-Regale in Buche natur, die sie damals zusammen gekauft hatten. Irgendwie schnuckelig, fand Lena.
Schnell hatte sie festgestellt, dass sie seine ungezwungene Art immer noch mochte. Sie konnte mit ihm über alles reden, und es dauerte nicht lange, da kam auch das Thema Impotenz auf den Tisch. Und da traf es sich, dass Rauscher Single war. Gleich am ersten Abend landeten sie im Bett. Das war jetzt vier Jahre her. Vier tolle, ausgefüllte Jahre.
Heute Nachmittag würde sie ihn treffen, wie jeden Samstag. Puhhhh! Wenn sie nur daran dachte, verlor sie ein wenig ihr inneres Gleichgewicht und bekam eine Gänsehaut. War das eigentlich normal? Sie war Mitte dreißig. Da sollte man doch langsam weniger heiß sein? Aber sie küsste ihren Kommissar eben so gerne. Er hatte einen weichen Mund, schmale Lippen und babyzarte Haut. Natürlich nur, wenn er rasiert war.
Sie versuchte, Rauscher aus dem Kopf zu kriegen und sich auf das Laufen zu konzentrieren. Lena schaute in den bedeckten Himmel. Irgendetwas lag in der Luft. Soweit sie sich erinnern konnte, war es noch nie vorgekommen, dass ihr auf der gesamten Strecke kein Mensch begegnet war. Dunst und Nebel zogen auf. Sie spürte Regentropfen im Gesicht.
Nur weg hier, dachte sie, warum musste sie immer vor sich hin träumen? Obwohl sie leicht außer Puste war, gab sie Gas.
Als sie von weitem ihr Haus sah, sprintete sie die letzten Meter einen kleinen Pfad entlang, trieb den Puls höher und lief in ihre Toreinfahrt. Sie schaute auf die Uhr. Keine schlechte Zeit. Und genau das war das Schöne am Laufen. Sie konnte sich jederzeit entweder vollkommen Auspumpen oder maximal Entspannen. Ein irres Gefühl der Selbstkontrolle.
Mit einem Fingerschnippen öffnete sie die Tür. Heute Nachmittag würde sie federleicht in Rauschers Armen liegen und ihre Selbstkontrolle verlieren. Sie freute sich darauf, denn da verlor sie sie extrem gerne.
„Und das auf nüchternen Magen“, entfuhr es Rauscher. Er konnte sich einfach nicht an diese grausigen Anblicke gewöhnen. Und Blut war ihm schon immer zuwider. Zum Glück überfiel ihn kein Brechreiz.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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