"Leben des Galilei" von Bertolt Brecht. Das Drama der Wissenschaft als modernes episch-dialektisches Theaterstück - Hans-Georg Wendland - E-Book

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Hans-Georg Wendland

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, , Sprache: Deutsch, Abstract: "Leben des Galilei" gehört zu den am meisten inszenierten und aufgeführten Dramen Bertolt Brechts. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der anhaltenden Aktualität der im Stück behandelten Probleme zu finden sein, insbesondere die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der menschlichen Gesellschaft. Angesichts der ständig wachsenden Bedrohung durch moderne Massenvernichtungswaffen stellt sich die Frage nach den Grenzen des wissenschaftlichen Fortschritts und der hemmungslosen Weiterverbreitung zerstörerischer Waffensysteme. Aus diesem Blickwinkel heraus könnte man Brechts Drama als Beispieltext einer verhängnisvollen historischen Entwicklung lesen, die im 17. Jahrhundert ihren Anfang nahm und bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren hat. Mit einer solchen verengenden Betrachtungsweise würde man jedoch der Bedeutungsvielfalt des Stückes in keiner Weise gerecht werden. Es erscheint sinnvoll, sich zunächst Brechts Auseinandersetzung mit dem Galilei-Stoff zuzuwenden, um auf diesem Hintergrund die Frage aufzuwerfen, wie er die komplexe Thematik des Stückes auf die Bühne bringt. Für die erste Fassung des Galilei-Dramas, die sogenannte "dänische Fassung", mit dem Titel "Die Erde bewegt sich" (1938/39) spielt die Bedrohung durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt keine entscheidende Rolle. Hier geht es vor allem um das Problem, wie in einer Gesellschaft, deren Verhältnisse vom Machtanspruch staatlicher und kirchlicher Obrigkeiten bestimmt werden, der Wahrheit zum Durchbruch verholfen werden kann. Erst als ihm die Gefahren der Kernspaltung durch die Arbeiten des Physikers Otto Hahn zu Bewusstsein gekommen waren (d. h. nach der Fertigstellung der "dänischen Fassung"), und vor allem nach dem amerikanischen Atombombenabwurf auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945, gewannen die Folgeprobleme unbegrenzten wissenschaftlichen Fortschritts für Bertolt Brecht zunehmend an Bedeutung. Dadurch nahm er zum Stoff eine völlig veränderte Einstellung ein.

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Gliederung

 

1. Das dialektische Verhältnis von Geschichte und Gegenwart

2. Das "Theater des wissenschaftlichen Zeitalters"

2.1. Kritik des aristotelischen Einfühlungstheaters

2.2. Konzeption des epischen Theaters

3. "Leben des Galilei": Zur Struktur des Stückes

3.1. Strukturelemente des traditionellen Dramas

3.2. Strukturmerkmale des epischen Verfremdungstheaters im Stück

4. "Leben des Galilei" als Drama des episch-dialektischen Theaters

4.1. Zum Begriff "dialektisches Theater"

4.2. Dialektik als Strukturprinzip

4.3. Galilei als dialektische Figur

4.4. Dialektik der Sprach- und Stilebenen

4.5. Dialektik des sozialen "Gestus"

4.6. Dialektik der Motive

5. Zusammenfassende Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

 

1. Das dialektische Verhältnis von Geschichte und Gegenwart

 

"Leben des Galilei" gehört zu den am meisten inszenierten und aufgeführten Dramen Bertolt Brechts. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der anhaltenden Aktualität der im Stück behandelten Probleme zu finden sein, insbesondere die Verantwortung des Wissenschaftlers gegenüber der menschlichen Gesellschaft. Angesichts der ständig wachsenden Bedrohung durch moderne Massenvernichtungswaffen stellt sich die Frage nach den Grenzen des wissenschaftlichen Fortschritts und der hemmungslosen Weiterverbreitung zerstörerischer Waffensysteme. Aus diesem Blickwinkel heraus könnte man Brechts Drama als Beispieltext einer verhängnisvollen historischen Entwicklung lesen, die im 17. Jahrhundert ihren Anfang nahm und bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren hat. Mit einer solchen verengenden Betrachtungsweise würde man jedoch der Bedeutungsvielfalt des Stückes in keiner Weise gerecht werden. Es erscheint sinnvoll, sich zunächst Brechts Auseinandersetzung mit dem Galilei-Stoff zuzuwenden, um auf diesem Hintergrund die Frage aufzuwerfen, wie er die komplexe Thematik des Stückes auf die Bühne bringt.

 

Nachdem er sich schon Anfang der Dreißiger Jahre für den Stoff interessiert hatte, begann Brecht 1938 im dänischen Exil an seinem Galilei-Projekt zu arbeiten. Damals beschäftigte ihn die Frage, wie er sich angesichts der politischen Verhältnisse im nationalsozialistischen

 

Deutschland als Dramenautor für den gesellschaftlichen Fortschritt einsetzen könne. Mit dieser Frage hatte er sich schon 1934 in seinem Essay "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit" auseinandergesetzt. Diese aufschlussreiche Schrift kann als Programm und Leitfaden seiner literarischen Arbeit angesehen werden. Sie erörtert Möglichkeiten, wie die Wahrheit unter den Bedingungen eines faschistischen Staates vor den Machthabern versteckt und weiterverbreitet werden kann:

 

Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muß den Mut haben, die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List, sie unter diesen zu verbreiten. (GBA 22, 74)

 

Für die erste Fassung des Galilei-Dramas, die sogenannte "dänische Fassung", mit dem Titel "Die Erde bewegt sich" (1938/39) spielt die Bedrohung durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt keine entscheidende Rolle. Hier geht es vor allem um das Problem, wie in einer Gesellschaft, deren Verhältnisse vom Machtanspruch staatlicher und kirchlicher Obrigkeiten bestimmt werden, der Wahrheit zum Durchbruch verholfen werden kann. Erst als ihm die Gefahren der Kernspaltung durch die Arbeiten des Physikers Otto Hahn zu Bewusstsein gekommen waren (d. h. nach der Fertigstellung der "dänischen Fassung"), und vor allem nach dem amerikanischen Atombombenabwurf auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945, gewannen die Folgeprobleme unbegrenzten wissenschaftlichen Fortschritts für Bertolt Brecht zunehmend an Bedeutung. Dadurch nahm er zum Stoff eine völlig veränderte Einstellung ein:

 

Von heute auf morgen las sich die Biographie des Begründers der neuen Physik anders. Der infernalische Effekt der Großen Bombe stellte den Konflikt des Galilei mit der Obrigkeit seiner Zeit inein neues, schärferes Licht. (GBA 24, 241)