Leben des Quintus Fixlein - Jean Paul - E-Book

Leben des Quintus Fixlein E-Book

Jean Paul

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Beschreibung

Leben des Quintus Fixlein ist eine Idylle von Jean Paul, die 1794/95 entstanden ist. Erzählt wird die Geschichte des vornehmen Schulmanns Quintus Zebedäus Egidius Fixlein aus Leipzig, der sich in seinem Heimatort in das hausarme, insolvente, 25-jährige Fräulein Thienette verliebt. Doch dann findet er sein wahres Alter heraus ...

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Leben des Quintus Fixlein

Jean Paul

Inhalt:

Jean Paul – Biografie und Bibliografie

Leben des Quintus Fixlein

Billett an meine Freunde

Geschichte der Vorrede zur zweiten Auflage

Mußteil für Mädchen

1. Der Tod eines Engels

2. Der Mond

Des Quintus Fixlein Leben bis auf unsere Zeiten;

Erster Zettelkasten

Zweiter Zettelkasten

Dritter Zettelkasten

Vierter Zettelkasten

Fünfter Zettelkasten

Sechster Zettelkasten

Siebenter Zettelkasten

Achter Zettelkasten

Neunten Zettelkasten

Zehnter Zettelkasten

Eilfter Zettelkasten

Zwölfter Zettelkasten

Dreizehnter Zettelkasten

Vierzehnter Zettelkasten

Letztes Kapitel

Einige Jus de tablette für Mannspersonen

1. Über die natürliche Magie der Einbildungskraft

2. Des Amts-Vogts Josuah Freudel Klaglibell gegen seinen verfluchten Dämon

3. Es gibt weder eine eigennützige Liebe noch eine Selbstliebe, sondern nur eigennützige Handlungen

4. Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg

5. Postskript

Das Leben des Quintus Fixlein, Jean Paul

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849633110

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Jean Paul – Biografie und Bibliografie

Eigentlich Jean Paul Friedrich Richter, unter dem Namen Jean Paul berühmt gewordener Schriftsteller, geb. 21. März 1763 in Wunsiedel als Sohn eines Rektors und Organisten, gest. 14. Nov. 1825 in Bayreuth, verbrachte seine Kindheitsjahre, seit 1765, in dem Dorfe Joditz bei Hof, besuchte erst seit 1776 in dem nahen Schwarzenbach, wohin sein Vater versetzt worden war, regelmäßig die Schule, gewann aber die wesentlichsten Anregungen aus einer von früh an lebhaft, freilich auch wahllos betriebenen Lektüre, über die er in dicken Folianten ausführliche Auszüge eintrug. Um Ostern 1779 bezog er das Gymnasium in Hof. Durch den bald darauf erfolgten Tod des Vaters und der Großeltern geriet er mehr und mehr in materielle Bedrängnis, die ihn aber nicht hinderte, Ostern 1781 die Universität Leipzig zu besuchen, um Theologie zu studieren. Doch nahm er es mit den Studien (nur der Philosoph Platner fesselte ihn eine Weile) nicht sehr ernst und wandte sich bald ausschließlich der literarischen Tätigkeit zu, durch die er sich auch leichter über die äußere Not hinweghelfen zu können hoffte. Von bekannten Schriftstellern wirkten jetzt außer Hippel, der schon auf der Schule sein Lieblingsautor gewesen war, Rousseau und die englischen Humoristen und Satiriker stark auf ihn ein. Für sein erstes Buch, das nach des Erasmus' »Encomium moriae« verfaßte »Lob der Dummheit«, in dem er die Dummheit redend einführt, fand er keinen Verleger (es wurde erst lange nach Jean Pauls Tode bekannt). Besser ging es den des Dichters Eigenart schon deutlich verratenden »Grönländischen Prozessen«, die wenigstens einen Verleger fanden (Berl. 1783), wenn sie auch von dem Publikum und der Kritik sehr kühl aufgenommen wurden. Um den drängenden Gläubigern zu entrinnen, begab sich R. Ende 1784 heimlich von Leipzig hinweg und traf vom Frost erstarrt in Hof bei der Mutter ein, von wo es ihm auch in den nächsten Jahren nicht gelingen wollte, literarische Beziehungen anzuknüpfen, die seiner Not hätten ein Ende machen können. Erst zu Anfang 1787 bot sich dem Dichter wenigstens ein Unterkommen als Hauslehrer dar, er übernahm den Unterricht eines jüngeren Bruders seines Freundes Örthel in Töpen. Seine dortige Stellung war jedoch unbehaglich, und schon im Sommer 1789 kehrte er nach Hof zurück. Inzwischen schrieb er neue Satiren u. d. T.: »Auswahl aus des Teufels Papieren« (Gera 1789), die ebenso wenig Aufsehen erregten wie Jean Pauls Erstlingswerk. Im März 1790 übernahm er aufs neue ein Lehramt. Einige Familien in Schwarzenbach beriefen ihn zum Unterricht ihrer Kinder, und jetzt betrieb der Dichter sein Amt in angenehmen persönlichen Verhältnissen mit wahrhaft begeisterter Freudigkeit. Die Sonntagsbesuche in Hof gewährten erquickliche Erholung, und in dem damals mit seinem dortigen Freund Otto immer inniger geschlossenen Herzensbund erwuchs ihm ein köstlicher Besitz für sein ganzes späteres Leben. Um jene Zeit entstanden einige kleinere Humoresken: »Die Reise des Rektors Fälbel und seiner Primaner«, »Des Amtsvogts Freudels Klaglibell über seinen verfluchten Dämon« und das »Leben des vergnügten Schulmeisterleins Maria Wuz in Auenthal«. Sogleich nach Vollendung des »Wuz« begann R. einen großen Roman, dessen Plan ihn schon länger beschäftigte. Während der Arbeit zwar verflüchtigte sich der ursprüngliche Plan, die »Unsichtbare Loge« (Berl. 1793, 2 Bde.) blieb unvollendet; »eine geborne Ruine« nannte der Dichter selbst sein Werk, in dem neben einzelnen unvergleichlich schönen Stellen bereits die ganze Unfähigkeit Jean Pauls zu plastischer Gestaltung, die maßlose Überwucherung der phantastischen Elemente und alles, was sonst den reinen Genuß an seinen Dichtungen stört, zutage trat. Gleichwohl bildet das Erscheinen des Buches in Jean Pauls Leben einen Wendepunkt günstigster Art. Im Herbst 1792 legte er seine Hand an ein neues Werk, den »Hesperus« (Berl. 1795), der sich gleich der »Unsichtbaren Loge« eines großen Erfolgs beim Publikum erfreute. Seit dem Frühling 1794 wieder in Hof bei der Mutter weilend, schrieb er in den nächstfolgenden Jahren: »Das Leben des Quintus Fixlein« (Bayr. 1796), ein humoristisches Idyll wie das »Leben Wuz'«, nur in breiterer Anlage; die »Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin« (Berl. 1796), ein Romantorso mit satirischem Anhang; die »Blumen-, Frucht- und Dornenstücke, oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten Siebenkäs« (das. 1796–97, 4 Bde.), in gewissem Sinne die beste Schöpfung des Dichters, der in den Persönlichkeiten des sentimentalen Siebenkäs und des satirischen Leibgeber die entsprechenden Elemente seiner eignen Natur zu verkörpern versuchte. Noch während der Arbeit an dem letztgenannten Roman empfing Jean Paul eine briefliche Einladung nach Weimar, von weiblicher Hand geschrieben. In der Ilmstadt, meldete die Briefstellerin, die sich Natalie nannte (welchen Namen der Dichter alsbald einer Gestalt im »Siebenkäs« anheftete), seien die besten Menschen von Jean Pauls Werken entzückt. Ohne Verzug folgte dieser dem Ruf. Seine Aufnahme übertraf alle seine Erwartungen; vor allen andern begegnete ihm Charlotte v. Kalb (die pseudonyme Briefschreiberin) mit glühender Verehrung. Jean Paul hat von ihr manche Züge für die Schilderung der hypergenialen Linda im »Titan« entlehnt. Zurückhaltender empfingen Goethe und Schiller den Hesperusverfasser, der sich in Weimar meist im Kreis des ihm wahlverwandten Herder bewegte. In jene Zeit fallen die Anfänge des »Titan«, die Abfassung des »Jubelsenior« (Leipz. 1797) und die Schrift »Das Kampanertal, oder: Die Unsterblichkeit der Seele« (Erfurt 1798). Im Sommer 1797 trat eine neue weibliche Gestalt auf die Lebensbühne des Dichters, Emilie v. Berlepsch, eine junge und schöne Witwe, mit der Jean Paul eine Reihe wunderlich exaltierter Szenen durchmachte. Fast hätte eine (vermutlich unglückliche) Heirat den dramatischen Abschluß gebildet. Im Oktober 1797 führte eine Reise nach Leipzig den nun berühmt Gewordenen auf den Schauplatz seiner einstigen Kümmernis, und jetzt drängten sich die Bewunderer um ihn. 1798 folgte auf Einladung der Herzogin Amalie ein abermaliger Besuch in Weimar. Nach einem kurzen Aufenthalt in Hildburghausen (Frühjahr 1799), wo er vom Herzog den Titel eines Legationsrats erhielt, ging Jean Paul nach Berlin, in der Absicht, sich dort dauernd niederzulassen. Im Mai 1801 verheiratete er sich daselbst mit der Tochter des Tribunalrats Meyer, aber eine vom König erbetene Versorgung blieb versagt. Von den damals entstandenen Werken sind hervorzuheben: »Palingenesien« (Gera 1798, 2 Bde.); »Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf« (das. 1799; unter den hier vereinigten kleinern Aufsätzen seien erwähnt: »Der doppelte Schwur der Besserung« und die »Neujahrsnacht eines Unglücklichen«) und die »Clavis Fichtiana« (Erfurt 1800), eine Satire auf den Fichteschen Idealismus; er widmete sie F. H. Jacobi, den er als den größten Philosophen der Zeit bewunderte. In Berlin behagte es dem Dichter nicht auf die Dauer; bald nach seiner Hochzeit nahm er seinen Wohnsitz in Meiningen, wo er zum Herzog Georg in vertraute Beziehungen trat und den »Titan« (Berl. 1800–03, 4 Bde.) vollendete. Doch schon im Mai 1803 verließ er Meiningen wieder und siedelte sich nach kurzem Aufenthalt zu Koburg in Bayreuth an, wo er bis zu seinem Tode wohnen blieb. Das nächste größere Werk des fortan in nur selten unterbrochener idyllischer Zurückgezogenheit lebenden Dichters war ein philosophisches, die »Vorschule der Ästhetik« (Hamb. 1805, 3 Bde.; Tübing. 1813), ein Buch voll geistreichster Einfälle, wertvoll in den über die Theorie des Komischen handelnden Abschnitten. Danach folgte die Abfassung der »Flegeljahre« (Tübing. 1804–05, 4 Bde.). Auch in diesem Roman, der zu den genialsten Schöpfungen Jean Pauls gehört und ihm selbst die liebste blieb, hat er die eigne Doppelnatur, die Gemütsinnigkeit und die humoristische Neigung seines Wesens, jene in dem weich gestimmten Walt, diese in dessen Zwillingsbruder Vult, zur Darstellung bringen wollen. In der »Levana, oder Erziehungslehre« (Braunschw. 1807, 3 Bde.; Stuttg. 1815, 4. Aufl. 1861; neue Ausg. von R. Lange, Langensalza 1893) sollten die in der »Unsichtbaren Loge«, im »Titan« und in den »Flegeljahren« in Romanform dargelegten Grundsätze theoretisch ausgeführt wiederkehren. Während der Zeit der französischen Fremdherrschaft schrieb Jean Paul zu eigner und seines Volkes Erheiterung die Humoresken: »Des Feldpredigers Schmälzle Reise nach Flätz« (Tübing. 1809) und »Doktor Katzenbergers Badereise« (Heidelb. 1809, Bresl. 1823), zwei Erzählungen von derbster Komik. Aber auch in ernsthafteren, wenngleich an satirischen Schlaglichtern reichen Schriften suchte er den gesunkenen Mut der Nation auszurichten, so in der »Friedenspredigt in Deutschland« (Heidelb. 1808) und den »Dämmerungen für Deutschland« (Tübing. 1809). Das letztere Buch, gedruckt in der Zeit, als Davout das Bayreuther Land besetzt hielt, legt auch deshalb ein schönes Zeugnis für Jean Pauls männlichen Mut und edlen Sinn ab, weil er es veröffentlichte, nachdem ihm soeben durch den ganz von dem französischen Imperator abhängigen Fürst-Primas v. Dalberg eine Jahrespension von 1000 Gulden ausgesetzt worden war. Nachdem diese Pension mit dem Großherzogtum Frankfurt 1813 zu Ende gegangen, bezog der Dichter seit 1815 einen gleichen Jahresgehalt von dem König von Bayern. Aus den spätern Lebensjahren Jean Pauls sind zu verzeichnen als bedeutendere Schriften: »Das Leben Fibels« (Nürnb. 1811), »Der Komet, oder Nikolaus Marggraf« (Berl. 1820–22, 3 Bde.), die beiden letzten größeren Arbeiten des Dichters in der komischen Gattung; ferner das Buch »Selina, oder: Über die Unsterblichkeit der Seele« (Stuttg. 1827, 2 Bde.) und endlich das Fragment einer Selbstbiographie, das unter dem im Gegensatz zu Goethe gewählten Titel: »Wahrheit aus Jean Pauls Leben« (Bresl. 1826) erschien und die Jugenderinnerungen des Dichters enthält. Einen tiefen Schatten warf auf Jean Pauls Lebensabend der Tod seines einzigen Sohnes, der 1821 als Student in Heidelberg starb. Seitdem kränkelte er und war zuletzt über Jahresfrist des Augenlichts fast gänzlich beraubt. König Ludwig I. von Bayern ließ ihm 1841 in Bayreuth ein Erzstandbild (von Schwanthaler) errichten.

Jean Paul nimmt eine eigentümliche und schwer zu bezeichnende Stellung innerhalb unsrer klassischen Literaturperiode und zwischen den sich drängenden Richtungen seit dem Beginn des 19. Jahrh. ein. Unzweifelhaft vom besten Geiste des 18. Jahrh., von dem »Ideal der Humanität«, beseelt, schloss er sich doch in seiner Darstellungsweise weit mehr an die frühern Schriftsteller als an Lessing, Goethe oder Schiller an. Die Engländer, vor allen Swift und Sterne, die Franzosen Voltaire und Rousseau, die ostpreußische Schriftstellergruppe Hamann, Hippel und Herder beeinflussten die Entwickelung seines Talents und führten ihn im Verein mit seinem eignen Naturell und seinem persönlichen Schicksal auf wunderliche Abwege. Gemeinsam mit unsern großen Dichtern blieben R. die Überzeugung von der Entwickelungsfähigkeit des Menschengeschlechts und ein freiheitlicher Zug; aber er gelangte niemals zu einer Entwickelung im höheren Sinne des Wortes. Der Abstand zwischen seinen frühesten und spätesten Werken ist ziemlich unwesentlich; die Widersprüche des unendlichen Gefühls und des beschränkten realen Lebens bildeten den Ausgangspunkt aller seiner Romane; aus ihnen gingen die weichen, wehmut- und tränenvollen Stimmungen hervor, über die er sich dann durch seinen unter Tränen hell lachenden Humor erhob. In der empfindsamen Zeit, in der Jean Paul auftrat, musste er den größten Erfolg haben; die schreienden Mängel seiner Darstellung wurden geleugnet; ja, sie scheinen in den meisten Kreisen gar nicht empfunden worden zu sein. R. gelangte nur in dem Idyll und in den besten Episoden seiner größeren Romane zu wirklich künstlerischer Gestaltung; meist wurden bei ihm Handlung und Charakteristik unter einer wuchernden Fülle von Einfällen, reflektierenden Abschweifungen, Episoden und fragmentarischen Einschiebseln verdeckt und erstickt. Verhängnisvoller noch ward für ihn die oben schon erwähnte Vielleserei, in der er ein Gegengewicht gegen die Enge seiner Verhältnisse gesucht hatte, und in ihrer Folge die leidenschaftliche Bilderjagd und Zitatensucht. Alle diese Mängel vereint drückten seinem Stil mit endlosen Perioden und unzähligen Einschachtelungen den Charakter des Manierierten auf, den der Dichter nur da abstreift, wo er von seinem Gegenstand aufs tiefste ergriffen und in innerster Bewegung ist. Gegenüber dem Enthusiasmus, der R. eine Zeitlang zum gefeiertsten Schriftsteller der Nation erhob, heftete sich die spätere Kritik wesentlich an die bezeichneten Unvollkommenheiten seiner Erscheinung. Während in seinen ausgedehnteren Werken, der »Unsichtbaren Loge«, dem »Hesperus«, dem »Titan« und »Komet«, nur einzelne glänzende Beschreibungen, humoristische Episoden oder jene zahlreichen »schönen Stellen« noch zu fesseln vermögen, von denen mehrmals besondere Sammlungen veranstaltet wurden, gewähren alle in ihren Hauptteilen idyllischen oder entschieden humoristischen Dichtungen einen weit reinern Genuss und lassen das Talent und die tieferen Eigentümlichkeiten besser hervortreten. Immer steht die liebevolle, reine Teilnahme bei ihm an allen Mühseligen und Beladenen, an den Armen, Bedrückten und Bedrängten im Vordergrund. Sein Blick für das Köstliche im Unscheinbaren, das Große und Ewige im Beschränkten ist tief und beinahe untrüglich; auch seine Naturliebe verleiht allen seinen Werken Partien von bestrickendem Zauber. Seine scharfe Beobachtung des Komischen wirkt unwiderstehlich, und alle diese Vorzüge erwecken lebhaftes Bedauern, daß dem Dichter das Erreichen klassischer, künstlerisch vollendeter Form versagt blieb. Richters Werke erschienen gesammelt in erster, aber ungenügender Ausgabe in 60 Bänden (Berl. 1826–38), besser in 33 Bänden (das. 1840–42; 3. Ausg. 1860–62, 34 Bde.) sowie in Auswahl in 16 Bänden (2. Ausg., das. 1865); ferner in der Hempelschen Ausgabe, mit Biographie von Gottschall (das. 1879, 60 Tle.; Auswahl 31 Tle.) und eine Auswahl in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur« (hrsg. von Nerrlich, Stuttg. 1882 ff., 6 Bde.). Nach des Dichters Tod erschien noch »Der Papierdrache« (hrsg. von seinem Schwiegersohn Ernst Förster, Frankf. 1845, 2 Bde.). Von verkürzenden Bearbeitungen, die den Dichter der Gegenwart näher bringen wollen, sei erwähnt die des »Titan« von O. Sievers (Wolfenbüttel 1878). Von seinen Briefen sind zu nennen: »Jean Pauls Briefe an Friedrich Heinrich Jacobi« (Berl. 1828); »Briefwechsel Jean Pauls mit seinem Freund Chr. Otto« (das. 1829–33, 4 Bde.); »Briefwechsel zwischen Heinrich Voß und Jean Paul« (hrsg. von Abr. Voß, Heidelb. 1833); »Briefe an eine Jugendfreundin« (hrsg. von Täglichsbeck, Brandenb. 1858). Die »Briefe von Charlotte v. Kalb an Jean Paul und dessen Gattin« (Berl. 1882) und »Jean Pauls Briefwechsel mit seiner Frau und Christian Otto« (das. 1902) gab Nerrlich heraus. Aus der zahlreichen Literatur über R. heben wir hervor: Spazier, Jean Paul Friedrich R., ein biographischer Kommentar zu dessen Werken (Leipz. 1833, 5 Bde.); die Fortsetzung von »Wahrheit aus Jean Pauls Leben« von Otto und Förster (Bresl. 1826–33, 8 Hefte); E. Förster, Denkwürdigkeiten aus dem Leben von Jean Paul (Münch. 1863, 4 Bde.); Henneberger, Jean Pauls Aufenthalt in Meiningen (Meiningen 1863); Planck, Jean Pauls Dichtung im Licht unsrer nationalen Entwickelung (Berl. 1868); Vischer, Kritische Gänge, neue Folge, Bd. 6 (Stuttg. 1875); Nerrlich, Jean Paul und seine Zeitgenossen (Berl. 1876) und Jean Paul, sein Leben und seine Werke (das. 1889); Jos. Müller, Jean Paul und seine Bedeutung für die Gegenwart (Münch. 1894), Die Seelenlehre Jean Pauls (das. 1894) und Jean Paul-Studien (das. 1899); Hoppe, Das Verhältnis Jean Pauls zur Philosophie seiner Zeit (Leipz. 1901); Reuter, Die psychologische Grundlage von Jean Pauls Pädagogik (das. 1902): Allievo, Gian Paolo R. e la sua Levana (Tur. 1900); Czerny, Sterne, Hippel und Jean Paul (Berl. 1904); F. J. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung Fibel und Komet (das. 1901) und Jean Pauls Jugend und erstes Auftreten in der Literatur (das. 1905). Eine begeisterte, formvollendete »Denkrede auf Jean Paul« verfaßte Börne (1825).

Leben des Quintus Fixlein

Billett an meine Freunde

anstatt der Vorrede

Kaufleute, Autoren, Mädchen und Quäker nennen alle Leute, mit denen sie verkehren, Freunde; und meine Leser sind also meine Gast- und Universitätsfreunde. Nun beschenk' ich zwar so viele hundert Freunde mit ebenso vielen hundert Freiexemplaren – und die Buchhandlung hat den Auftrag, jedem nach der Messe seines auf Verlangen auszuliefern gegen ein elendes Gratial und don gratuit für Setzer, Drucker und andere Leute –; aber da ich die ganze Auflage nicht wie die französischen Autoren zum Buchbinder schicken konnte: so fehlt natürlich vornen das leere Buchbinderblatt, und ich konnte also dem Empfänger des Geschenks nichts Schmeichelhaftes daraufschreiben. Ich ließ deswegen nach dem Titel einige leere Blätter einziehen; auf diese wird hier gedruckt.

Mein Buch zerfällt, wie die Buße, in drei Teile.

Den ersten oder sogenannten Mußteil, der aus zwei Erzählungen besteht und den die Reichserbküchenmeisterin der Phantasie mit Blumenwerk und Blumenmehl (wenigstens bestellt' ichs so) garnieren sollte, bescher' ich, lieben Freunde, bloß lieben Freundinnen: wahrhaftig mit beiden Erzählungen werd' ich ihnen eine ebenso große Freude machen, als brächt' ich ihnen von Leipzig anstatt dieses Meßpräsentes ein ganzes Ohrrosen-Bouquet oder Visitenbilletts auf holländischem Papier silbern gerändelt mit – oder ein Trauernegligé oder doch einen Fächer von Sandelholz mit einem Medaillon. Sie sind geborne Blumistinnen und selber gut gezeichnete Blumenstücke und lieben mithin auch in Büchern, was sie so oft begießen, sticken und brechen, – Blümchen. Das Schicksal, als Weginspektor, bestecke damit auch euere staubige Lebens-Kunststraße, und Freudenrosen sollen euere Wegmesser und Werstenzeiger sein: ich wüßte keinen bessern Einhaucher oder inhalery gegen tiefere Brustschmerzen, als der Wundarzt Mudge mit der Maschine jenes Namens lindert, keinen bessern Einhaucher, sag' ich, als eueren tröstenden Mund; und eben darum schenke euch der Himmel, indes unsere Fußsohlen im heißen Sand an dem Krater des bürgerlichen Lebens waten, tiefer unten die stille fruchtbare blumige Region an diesem Vesuv und setze besonders euern Männern oder Vätern, wie die Kalendermacher der Sonne, ein menschliches Antlitz an, das auf eine schöne Weise das männliche wie das solarische Blenden mildert.

Der zweite und größte Teil des Buches enthält das Leben eines Schulmanns, das – neun oder zehn Kapitel ausgenommen – schon weniger für Mädchen passet: desto besser für sie und für mich, wenn ich mich über die sechs oder fünf andern Kapitel betrüge. Mit dieser Biographie will nun der Verfasser euch, lieben Freunde, nicht sowohl ein Vergnügen machen als euch lehren, eines zu genießen. Wahrlich Xerxes hätte nicht auf die Erfindung neuer Freuden, sondern auf eine gute Methodologie und Haustafel, die alten zu genießen, Preismedaillen bieten sollen.

Ich konnte nie mehr als drei Wege, glücklicher (nicht glücklich) zu werden, auskundschaften. Der erste, der in die Höhe geht, ist so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, daß man die ganze äußere Welt mit ihren Wolfsgruben, Beinhäusern und Gewitterableitern von weitem unter seinen Füßen nur wie ein eingeschrumpftes Kindergärtchen liegen sieht. – Der zweite ist; – gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, daß, wenn man aus seinem warmen Lerchennest heraussieht, man ebenfalls keine Wolfsgruben, Beinhäuser und Stangen, sondern nur Ähren erblickt, deren jede für den Nestvogel ein Baum und ein Sonnen- und Regenschirm ist. Der dritte endlich – den ich für den schwersten und klügsten halte – ist der, mit den beiden andern zu wechseln. –

Das will ich jetzt den Menschen recht gut erklären.

Der Held – der Reformator – Brutus – Howard – der Republikaner, den bürgerliche Stürme, das Genie, das artistische bewegen – kurz jeder Mensch mit einem großen Entschluß oder auch nur mit einer perennierenden Leidenschaft (und wär' es die, den größten Folianten zu schreiben), alle diese bauen sich mit ihrer inneren Welt gegen die Kälte und Glut der äußern ein, wie der Wahnsinnige im schlimmern Sinn: jede fixe Idee, die jedes Genie und jeden Enthusiasten wenigstens periodisch regiert, scheidet den Menschen erhaben von Tisch und Bett der Erde, von ihren Hundsgrotten und Stechdornen und Teufelsmauern – – gleich dem Paradiesvogel schläft er fliegend, und auf den ausgebreiteten Flügeln verschlummert er blind in seiner Höhe die untern Erdstöße und Brandungen des Lebens im langen schönen Traume von seinem idealischen Mutterland.... Ach! wenigen ist dieser Traum beschert, und diese wenigen werden so oft von fliegenden Hunden1geweckt! –

Diese Himmelfahrt ist aber nur für den geflügelten Teil des Menschengeschlechts, für den kleinsten. Was kann sie die armen Kanzleiverwandten angehen, deren Seele oft nicht einmal Flügeldecken hat, geschweige etwas darunter – oder die gebundnen Menschen mit den besten Bauch-, Rücken- und Ohrenfloßfedern, die im Fischkasten des Staates stille stehen und nicht schwimmen sollen, weil schon der ans Ufer lang gekettete Kasten oder Staat im Namen der Fische schwimmt? Was soll ich dem stehenden und schreibenden Heere beladener Staats-Hausknechte, Kornschreiber, Kanzelisten aller Departements und allen im Krebskober der Staats-Schreibstube aufeinandergesetzten Krebsen, die zur Labung mit einigen Brennesseln überlegt sind, was soll ich solchen für einen Weg, hier selig zu werden, zeigen? –

Bloß meinen zweiten; und das ist der: ein zusammengesetztes Mikroskop zu nehmen und damit zu ersehen, daß ihr Tropfe Burgunder eigentlich ein rotes Meer, der Schmetterlingsstaub Pfauengefieder, der Schimmel ein blühendes Feld und der Sand ein Juwelenhaufe ist. Diese mikroskopischen Belustigungen sind dauerhafter als alle teuern Brunnenbelustigungen.... Ich muß aber diese Metaphern erklären durch neue. Die Absicht, warum ich Fixleins Leben in die Lübecksche Buchhandlung geschickt, ist eben, in diesem Leben – daher ichs in diesem Billett wenig brauche – der ganzen Welt zu entdecken, daß man kleine sinnliche Freuden höher achten müsse als große, den Schlafrock höher als den Bratenrock, daß man Plutos Quinterne seinen Auszügen nachstehen lassen müsse, einen NNd'or dem Notpfennig, und daß uns nicht große, sondern nur kleine Glückszufälle beglücken. – – Gelingt mir das: so erzieh' ich durch mein Buch der Nachwelt Männer, die sich an allem erquicken, an der Wärme ihrer Stuben und ihrer Schlafmützen – an ihrem Kopfkissen – an den heiligen drei Festen – – an bloßen Aposteltagen – an den abendlichen moralischen Erzählungen ihrer Weiber, wenn sie nachmittags als Ambassadricen einen Besuch auf irgendeinem Witwensitz, wohin der Mann nicht zu bringen war, gemacht hatten – am Aderlaßtage dieser ihrer Novellistinnen – an dem Tage, wo eingeschlachtet, eingemacht, eingepökelt wird gegen den grimmigen Winter und so fort. Man sieht, ich dringe darauf, daß der Mensch ein Schneidervogel werde, der nicht zwischen den schlagenden Ästen des brausenden, von Stürmen hin- und hergebognen unermeßlichen Lebensbaumes, sondern auf eines seiner Blätter sich ein Nest aufnähet und sich darin warm macht. – Die nötigste Predigt, die man unserm Jahrhundert halten kann, ist die, zu Hause zu bleiben.

Der dritte Himmelsweg ist der Wechsel mit dem ersten und zweiten. Der vorige zweite ist nicht gut genug für den Menschen, der hier auf der Erde nicht bloß den Obstbrecher, sondern auch die Pflugschar in die Hände nehmen soll. Der erste ist zu gut für ihn. Er hat nicht immer die Kraft, wie Rugendas mitten in einer Schlacht nichts zu machen als Schlachtstücke und wie Bakhuisen im Schiffbruche kein Brett zu ergreifen als ein Zeichenbrett, um ihn zu malen. Und dann halten seine Schmerzen so lange an als seine Ermattungen. Noch öfter fehlet der Spielraum der Kraft: nur der kleinste Teil des Lebens gibt einer arbeitenden Seele Alpen – Revolutionen – Rheinfälle – Wormser Reichstage – und Kriege mit Xerxes, und es ist so fürs Ganze auch besser; der längere Teil des Lebens ist ein wie eine Tenne platt geschlagener Anger ohne erhabene Gotthardsberge, oft ein langweiliges Eisfeld ohne einen einzigen Gletscher voll Morgenrot.

Eben aber durch Gehen ruhet und holet der Mensch zum Steigen aus, durch kleine Freuden und Pflichten zu großen. Der siegende Diktator muß das Schlacht-Märzfeld zu einem Flachs- und Rübenfeld umzuackern, das Kriegstheater zu einem Haustheater umzustellen wissen, worauf seine Kinder einige gute Stücke aus dem Kinderfreund aufführen. Kann er das, kann er so schön aus dem Weg des genialischen Glücks in den des häuslichen einbeugen: so ist er wenig verschieden von mir selber, der ich jetzt wiewohl mir die Bescheidenheit verbieten sollte, es merken zu lassen – der ich jetzt, sag' ich, mitten unter der Schöpfung dieses Billetts doch imstande war, daran zu denken, daß, wenn es fertig ist, die gebacknen Rosen und Holundertrauben auch fertig werden, die man für den Verfasser dieses in Butter siedet.

Da ich zu diesem Billett noch ein Postskript (am Ende des Buchs) anstoßen will: so spar' ich einiges, was ich noch über den dritten, halb satirischen, halb philosophischen Teil des Werks zu sagen hätte, absichtlich für die Nachschrift auf.

Hier lässet der Verfasser, aus Achtung für die Rechte eines Billetts, seine halbe Anonymität fahren und unterschreibt sich zum ersten Male mit seinem ganzen wahren Namen. Hof im Voigtland, den 29. Jun. 1795.

Jean Paul Friedrich Richter

Geschichte der Vorrede zur zweiten Auflage

Ein Schweizer voltigierte (nach dem Berichte Stolbergs) einst so heftig als er konnte von der Stube auf den Sessel und von diesem wieder herunter – da man ihn darüber befragte, gab er an: »er mache sich lebhaft«. – Aber Normänner wie ich brauchen schon halbe Tagreisen, wenn sie so feurig werden wollen, daß sie den Plan eines Kapitels glücklich entwerfen. Schon Erasmus arbeitete sein Lob der Narrheit auf dem Sattel aus (da er nach Italien ritt), und der englische Dichter Savage sein Trauerspiel Overbury auf den Londner Gassen – wiewohl sein Leben selber eines war, kein bürgerliches, sondern ein adeliges, da er sich von seiner natürlichen Mutter, der Gräfin von Macclesfield, jährlich 200 Pf. auszahlen ließ, damit er kein Pasquill auf sie machte, sondern eben dadurch nur eines auf sie wäre –; von mir aber ist gar bekannt, daß ich vor einigen Jahren die große Tour machte, bis ich gleich einem jungen Herrn mit dem Risse oder Knochengebäude der »Mumien« wiederkommen konnte; ja sollt' ich mich einmal zu einem epischen Werke wie die Odyssee entschließen, so müßte sich wohl der Sänger so lange auf seiner pittoresken Entdeckungsreise aufhalten als der Held selber.

Hingegen zur Zeugung einer Vorrede zur zweiten Auflage hab' ich nie mehr nötig erachtet als eine Fußreise von Hof nach Baireuth, einen Katzensprung über drei Poststationen. Ich such' aber etwas darin, wenn ich das Erstaunen der Nachwelt und ihrer Vorfahren dadurch erregen kann, daß ich beide auf die baireuthische Kunststraße mitnehme, auf der ich hinlaufe – im Webstuhl der Vorrede eingesperrt und mit dem Weberschiffchen werfend –, ohne doch etwas Rechtes herauszubringen. Ich trug nämlich die offne Schreibtafel vor mir her, um die Vorrede, wie sie mir Satz für Satz entfiel, darin aufzufangen; aber wenige Autoren wurden noch so in ihren Vorreden gestört. Ich will es ausführlich erzählen.

Der moralische Gang des Menschen gleicht seinem physischen, der nichts ist als ein fortgesetzter Fall.

Schon der Höfer Schlagbaum, unter dem man den Chausseezoll erlegt und der hinter dem Vis-à-vis einer Dame niedersank, die ihn abgetragen, fiel hart wie ein Stoßvogel und Eierbrecher auf den Kopf des Vorberichts: denn ich wollte der Dame durchaus vorlaufen, um ihr ins Gesicht zu sehen; und mithin wurde unter dem Nachdringen wenig an die Weberei der Vorrede gedacht, wiewohl ich dem Vis-à-vis fruchtlos nachsetzte. Mit unbekannten Frauenzimmern ists ganz anders wie mit unbekannten Büchern. Ich nehme nie ein Buch, das ich noch nicht gelesen, in die Hände, ohne wie ein Rezensent vorauszusetzen, es sei elend. Hingegen bei einer unbekannten Frau nimmt jeder Mann, gesetzt er hätte schon 30 000 Abgöttinnen2kennen und vergessen gelernt, von neuem an, diese 30 001ste sei erst die echte unverfälschte heilige Jungfrau – die Gottesgebärerin – die Göttin selber. Das nahm ich gleichfalls an auf dem Straßendamm; wenigstens konnt' ich doch eine Frau, an deren gepuderten und aufgelockten Hinterkopf die Morgenröte so deutlich anfiel, zu den gebildeten weiblichen Köpfen zählen, welche – da nach Rousseau Eisen und Getreide die Europäer kultivieret haben – den feinern Fabrikaten aus beiden, den Haarnadeln und dem Puder, jene Bildung verdanken, die nun, hoff' ich, unter den weiblichen Köpfen bürgerlichen Standes schon etwas Gemeines ist. Gegen diese äußere Kultur einer Frau sollte sich kein Ehemann sperren, der an der seinigen eine gutgemachte papinianische Kochmaschine – eine Schäferische Waschmaschine – eine englische Spinnmaschine – und eine Girtannerische Respirationsmaschine besitzen will: er zeigt sonst, daß er eine unschuldige Ausbildung mit der innern, von der überhaupt Honoratiorinnen im ganzen frei sind, verwechsele. Kultur ist, gleich dem Arsenik, den Blei-Solutionen und den Wundärzten, bloß äußerlich gebraucht etwas Herrliches und Heilsames: innen im weiblichen Kopf, der so leicht brennend wird, schneuzet oder bläset der Ehemann das Licht aus Vorsicht aus, so wie man aus derselben Vorsorge nachts nie ein physisches in die kaiserliche Bibliothek in Wien einlässet. – –

Nun schlang gar der Wald die Dame hinein, und ich stand leer auf der offnen Chaussee. Mein Verlust brachte mich auf die Vorrede zur zweiten Auflage zurück. Ich fing sie in der Schreibtafel an; und hier folgt sie, so viel als ich davon nahe bei Hof fertigbrachte.

Vorrede zur zweiten Auflage

»Der Poet trägt sehr oft wie ein gebratener Kapaun unter seinen Flügeln, womit er vor allen besetzten Fenstern der gelehrten Welt aufsteigt, rechts seinen Magen, links seine Leber. Überhaupt denkt der Mensch hundertmal, er habe den alten Adam ausgezogen, indes er ihn nur zurückgeschlagen, wie man die Negerschwarte des Schinkens zwar unterhöhlet und aufrollet, aber doch mit aufsetzt und noch dazu mit Blumen garniert.«...

Allein jetzt ging hinter mir die Sonne auf. – Wie werden vor dieser Erleuchtung des ewigen, sich selber aus- und ineinander schiebenden Theaters voll Orchester und Galerien die Vorreden und das Krebsleuchten der Rezensenten und die phosphoreszierenden Tiere, die Autoren, so blaß und so matt und so gelb! Ich hab' es oft versucht, vor der jährlichen Gemälde-Ausstellung der langen unabsehlichen Bildergalerie der Natur an Buchdruckerstöcke, an Finalstöcke, an Schmutzblätter und an Spatia der Buchdrucker zu denken – – aber es ging nicht an, ausgenommen mittags, hingegen abends und morgens nie. Denn gerade am Morgen und am Abende und noch mehr in der Jugend und im Alter richtet der Mensch sein erdiges Haupt voll Traum- und Sternbilder gegen den stillen Himmel auf und schauet ihn lange an und sehnet sich bewegt; hingegen in der schwülen Mitte des Lebens und des Tages bückt er die Stirn voll Schweißtropfen gegen die Erde und gegen ihre Trüffeln und Knollengewächse. So ist die mittlere Lage einer Spielkarte aus Makulatur gemacht, nur die zwei äußersten Lagen aber aus feinem Druckpapier; oder so richtet sich der Regenbogen nur in Morgen und Abend, nie in Süden auf.

Als mich die Straße immer höher über die Täler hob, wurd' ich zweifelhaft, wem ich treu bleiben sollte – ob der erhabenen Allee und Kolonnade von Bergen, die ich linker Hand, oder dem magischen Vis-à-vis mit dem gebildeten Kopfe, das ich geradeaus vor mir hatte – ich sah ein, auf der linken Tabor-Berg-Kette verkläre sich der Geist und stehe in ausgehauenen Fußtritten weggeflatterter Engel fest, aber im Vis- saß ja der herabgeflogene Engel selber.

An Vorberichte war nicht zu denken. Zum Glück nahm ich unweit Münchberg neben den großen Gerüsten der Natur, welche die Seele wie Reben stengeln, noch eines wahr, das sie zur Kriech- und Zwergbohne eindrückt, nämlich den Rabenstein und einen wohlgekleideten Herrn, der darauf botanisierte. – Beiläufig! kein Gras auf Rasenbänken oder in Festungen oder auf Wouvermans Leinwand ist ein so schönes bowling-green als das auf Rabensteinen, das gleichsam ein Ernte- und Belagerungkranz (corona obsidionalis) der siegenden Menschheit ist. Ach es stehen ohnehin so viele rote Wolken voll Blutregen über der Erde und tropfen! – Ich fassete mich jetzt als Vorredner und stellte mir vor: »Es ist nicht zu verhehlen, daß du vor der ersten Station, vor Münchberg, stehest und noch wenig mehr von dem Vorbericht herausgetrieben hast als den ersten Schuß: auf diese Art wirst du durch Gefrees, durch Berneck und Bindloch kommen ohne den geringsten Zuwachs der Vorrede, besonders wenn du darin kein Wort sagen willst, als was zu einem vorigen und künftigen wie ein Zwickstein passet. Steht es dir denn nicht frei, wie Herr von Moser zu arbeiten (der Gevatter und Vorläufer deiner Zettelkästen), der in seinem Leben keinen zusammenhängenden Bogen geschrieben, sondern nur Aphorismen, Gnomen, Sinnsprüche, kurz nichts mit Flechtwerk?« Ich mußte mir recht geben; und fuhr demnach bandfrei wie gute Klaviere und in thesibus magistralibus, ohne andere Verbindungen und Bastpflanzen als denen auf dem Rabenstein, so fort in der

Vorrede zur zweiten Auflage

»Es ist eine ewige Unart der Menschen, daß sie alle Schrammen und Pockengruben ausgestandener Jahrhunderte, alle Nachwehen und Feuermäler der vorigen Barbarei nie anders wegschaffen lassen als zweimal – erstlich durch die Zeit, dann zweitens (obgleich bald darauf, oft im nächsten Jahrhundert) durch Edikte, Kreisschlüsse, Reichsabschiede, Landtagabschiede, pragmaticas sanctiones und Vikariatkonklusa – – dergestalt, daß unsere verdammten skorbutischen, rostigen, kanigen Narrheiten und Gebräuche gänzlich den fürstlichen Leibern gleichen, die ebenfalls zweimal begraben werden, das erstemal heimlich, wenn sie stinken, das zweitemal öffentlich in einem leeren zweigehäusigen Paradesarg, dem Trauerfahnen, Trauermäntel, Trauerstuten niedergeschlagen folgen.« –

Die Fortsetzung der Vorrede folgt.

Der Botaniker der Galgen-Flora hatte mich unter dem Schreiben eingeholt und gestört. Ich erstaunte, den Herrn Kunstrat Fraischdörfer aus Haarhaar3vor mir zu haben, der nach Bamberg ging, um von einem Dache oder Berge irgendeiner zu hoffenden Hauptschlacht zuzusehen, die er als Galerieinspektor so vieler Schlachtstücke, ja selber als Kritiker der homerischen nicht gut entbehren kann. – Mein Gesicht hingegen war ihm ein unbekanntes inneres Afrika. Ein Mann muß sich wenig in der literarischen Weltgeschichte umgesehen haben, dem man es erst zu sagen braucht, daß der Kunstrat sowohl in der neuen allgemeinen deutschen bibliothekarischen als in der haarhaarischen, scheerauischen und flachsenfingischen Rezensier-Faktorei mitarbeite als einer der besten Handlungdiener. Wie man einen Kürbis in einen Karpfenteich als Karpfenfutter einsetzt: so senkt er seinen nahrhaften Kopf in manches ausgehungerte Journalistikum ein als Bouillonkugel. Da nun der Kunstrat, dem ich doch nie etwas zuleide getan, schon an mehren Orten deutliche Winke fallen lassen, er wolle mich in kurzem rezensieren: so war mir fatal zumute; denn es gibt zwischen nichts eine größere Ähnlichkeit und Antipathie zugleich als zwischen einem Rezensenten und Autor, wiewohl derselbe Fall auch beim Wolf und Hunde ist. Ich münzte daher meinen Namen als mein eigner Falschmünzer um und sagte mich als einen ganz andern Menschen an: »Sie sehen hier« sagt' ich zum Kunstrat, »den bekannten Egidius Zebedäus Fixlein vor sich, von dessen Leben mein Herr Gevatter Jean Paul der Welt eine zweite Auflage zu schenken gesonnen – wiewohl ich täglich noch fortlebe und mithin immer neues Leben, das man beschreiben kann, nachschieße.«- Die Seele des Kunstrates war jetzt nicht wie die nachgestochene im orbis pictus aus Punkten zusammengesetzt, sondern aus Ausrufungzeichen; andere Seelen bestehen aus Parenthesen, aus Gänsefüßen, die meinige aus Gedankenstrichen. Er forschte mich, da er mich für den Quintus hielt, nun aus, ob mein Charakter und mein Haushalten zu dem gedruckten paßten. Ich teilte ihm viele neue Züge von Fixlein mit, die aber in der zweiten Auflage stehen, weil er mir sonst öffentlich vorwirft, ich hätte mein Original mager porträtiert. Er brachte alle meine Straßenreden sogleich zu Pergament, weil er nichts behalten konnte; daher hatt' er einige hauptstärkende Kräuter zu einer Kräutermütze auf dem Rabensteine gesammelt. Fraischdörfer gestand mir, steckte einer seine Studierstube mit den Exzerpten und Büchern in Brand, so wären ihm auf einmal alle seine Kenntnisse und Meinungen geraubt, weil er beide in jenen aufbewahre; daher sei er auf der Straße ordentlich unwissend und dumm, gleichsam nur ein schwacher Schattenriß und Nachstich seines eignen Ichs, ein Figurant und curator absentis desselben.

Überhaupt ist der Tempel des deutschen Ruhms eine schöne Nachahmung des athenischen Tempels der Minerva, worin ein großer Altar für die Vergessenheit stand.4Ja wie die Florentiner sich ihren Pandekten nur ehrerbietig in einem Staatkleide und mit Fackeln nähern, so nehmen wir aus derselben Ehrfurcht die Werke unserer Dichter nur in Bratenröcken in Gesellschaft zur Hand und nähern solche selber den Kerzen und fachen damit das Feuer in allen guten Köpfen aus – Meerschaum an. – Ich bin oft gefragt worden, woher es komme, daß der alternden Welt, in deren Gedächtnis sich doch die ältesten Werke von tausend Messen her, die eines Plato, Cicero, sogar Sanchuniathons, erhalten, gleichwohl die allerneuesten, z.B. die Ritterromane von den letzten Messen, kantianische, wolffianische, theologische Streitschriften, Bunkels Leben, die besten Inauguraldisputationen und pièces du jour, Hirtenbriefe und gelehrte Zeitungen, oft in dem Monate entfallen, worin sie davon hört. Meine Antwort war gut und hieß: da es wohl keine mystische Person von einem solchen Alter gibt als die Welt, die ein wahrer alter eingerunzelter Kopf von Denner ist und die nun anfängt (wie es wohl kein Wunder ist), vor Marasmus schwach und fast kindisch zu werden: so ist sie natürlicherweise von dem Übel alter Personen nicht frei, die alles, was sie in ihrer Jugend gehört und gelesen, trefflich festhalten, hingegen was sie in ihren alten Tagen erfahren, in einer Stunde vergessen. Daher denn unsere Bücher den Lumpen in der Papiermühle gleichen, von denen sie genommen sind, unter welchen der Papiermüller die frischen allzeit früher zur Fäulnis bringt als die alten. –

Im Grunde hätt' ich das als einen abgesonderten Satz in der Vorrede zur zweiten Auflage aufstellen können.

Über Münchberg erbosete sich der Kunstrat ungemein: entweder die Häuser oben auf dem Berge oder die unten sollten weg; er fragte mich, ob Gebäude etwas anders als architektonische Kunstwerke wären, die mehr zum Beschauen als zum Bewohnen gehörten und in die man nur mißbrauchsweise zöge, weil sie gerade wie Flöten und Kanonen hohl gebohret wären, wie die Bienen sich im hohlen Baum ansetzen, anstatt um dessen Blüten zu spielen. Er zeigte das Lächerliche, sich in einem Kunstwerk einzuquartieren, und sagte, es sei so viel, als wollte man Heems5Gefäße zu Käsenäpfen und Federtöpfen verbrauchen, oder den Laokoon zum Baßgeigenfutteral und die mediceische Venus zur Haubenschachtel aushöhlen. Er wunderte sich überhaupt, wie der König Dörfer leiden könnte; und gestand frei, es mach' ihm als Artisten eben kein Mißvergnügen, wenn eine ganze Stadt in Rauch aufginge, weil er alsdann doch die Hoffnung einer neuen schönern fasse.

Er war nicht von mir wegzubringen: jetzt griff er, außerhalb Münchberg, statt der Münchberger mich selber an und stäupte meine opera. Ach die Vorrede zur zweiten Auflage sowohl als das fliehende Vis-à-vis ließen mich und meine Wünsche immer weiter hinter sich, und ich hatte von der ganzen Dame wie von einer gestorbnen nichts mehr im Auge als den fernen nachfliegenden Staub, den ich indes für viel Märzenstaub und Punsch- und Demantpulver nicht weggegeben hätte. Der Kunstrat und Fraisherr kielholte und säckte jetzt meinen Gevatter – Jean Paul, denn mich hielt er, wie gesagt, für den Quintus – und verdacht' es jenem, daß er seinen biographischen Brei nicht wie Landleute recht glatt auftrage, und daß er sich überhaupt nicht vor dem Spiegel der Kritik anputze. Ich nahm mich des gekränkten abwesenden Mannes an und sagte, so viel ich aus seinem Munde wisse, so heb' er sich gerade auf den Schwungbrettern und an den Springstäben und Steigeisen der Kritik mehr als mit den Oberflügeln seiner Psyche auf, ja er habe kritische Briefe unter der Feder, worin er die Kritik auf Kosten der Kritiker preise und übe – eben diese kritische Manipulation schwelle seine Werke so sehr auf, wie die Nasen größer und langer werden durch häufiges Schneuzen. Und wahrhaftig so ist es: ich begreif' es nicht, wie ein Mensch ein Werkchen schreiben kann, das kaum ein halbes Alphabet stark ist; ein Bogen in der Ferne breitet sich ja notwendig in der Nähe zu einem Buche aus, und ein Buch zum Ries: ein opus, das, wenn ich es eben hinwerfe, gleich einem neugebornen Bären nicht größer ist als eine Ratze, leck' ich mit der Zeit zu einem breiten Landbären auf. Der Kritiker sieht freilich nur, wie viel der Autor behalten hat, aber nicht, wie viel er weggeworfen; daher zu wünschen wäre, die Autoren hingen ihren Werken hinten für die Rezensenten die vollständige Sammlung aller der elenden dummen Gedanken an, die sie vornen ohne Schonen ausgestrichen, um so mehr, da sie es ja, wie z.B. Voltaire, bei der letzten Herausgabe ihrer opera wirklich tun und hinten für feinere Leser einen Lumpenboden des Auskehrigs der ersten Editionen anstoßen und aufsparen, wie etwan einige preußische Regimenter den Pferdestaub zurücklegen und vorrätig halten müssen, zum Beweise, daß sie gestriegelt haben. –

Jetzt säuerte er allmählich aus Bieressig zu Weinessig: er sagte mir geradeheraus: »Sie wissen nicht, für wen Sie fechten: Ihr Herr Gevatter hat Dero Kniestück selber zu einer Bambocchiade gemacht und Sie nicht mit den intellektuellen Vorzügen ausgesteuert und ausgestellt, die Sie doch, wie ich jetzt höre, wirklich haben. Ich konnte auf dem Druckpapier wenigen Anteil an Ihro Hochehrwürden nehmen, erst auf der Chaussee.« Ich wünschte, er zöge auch diesen zurück, und fiel absichtlich aus meinem Fixleinischen Charakter heraus, indem ich pikiert sagte: »Wenn Leser, zumal Leserinnen meinen komischen Charakter oder überhaupt einen unvollkommen nicht goutieren, so erklär' ich mir es gut: sie haben keinen Geschmack an schreibenden Humoristen, geschweige an handelnden; auch wird es einer engen Phantasie schwerer, sich in unvollkommne Charaktere zu denken als in vollkommne und sich für sie zu interessieren – endlich hat der Leser einen Helden lieber, der ihm ähnlich ist, als einen unähnlichen; unter einem ähnlichen meint er aber allzeit einen herrlichen Menschen.« – Gewiß! Denn wie Plutarch in seinen Biographien jeden großen Mann gegen einen zweiten großen wiegt und vergleicht, so hält der Leser jeden großen Charakter einer Biographie leise mit einem zweiten großen zusammen (welches seiner ist) und gibt acht, was dabei herauskömmt. Aus diesem Grunde schätzen Mädchen eine vollkommene weibliche Schönheit und Grazie ungemein hoch in der Schilderei des Romans (so sehr verschönert der Dichter das Fatalste), und sehnen sich wenig danach in der Plastik und Skulptur der Wirklichkeit – so wie häßliche Dinge, Eidechsen und Furien, nur von der Malerei, aber nicht von der Bildhauerkunst gefallend darzustellen sind –; für das Mädchen ist nämlich der Roman ein treuer Spiegel, und es kann darin die Heldin sehen.

Der Kunstrat tat jetzt vor dem Dorf, »die drei Bratwürste« genannt, den Wunsch, Ziegenmilch darin zu trinken. Ich fragte ihn, ob ers wie die vornehmen Leute mache, die – weil Huart einen achttägigen Trank von Ziegenmilch als ein Hausmittel vorschlägt, ein Genie zu zeugen – sich eben deshalb zum Geiß-Kordial entschließen und dann sehen, wozu es führt. Daß sie, wenigstens die Fürsten, ihn nicht der Schwindsucht halber trinken, beweisen wohl die Versuche, die sie nachher machen. Aber der Kunstrat wurde nur darum der Milchbruder Jupiters, weil die Parzen den Lebensfaden völlig von den Spindeln seiner Beine abgeweifet hatten: er stand gleichsam schon als ein ausgebälgter, gutgetrockneter, mit Äther gefüllter Vogel im Naturalien-Glasschrank da. Er sagte, man müßte entweder sich und die Bücher oder die Kinder aufopfern, so wie der Landwirt, setzt' ich hinzu, eines von beiden schlecht annehmen muß, entweder den Leindotter oder den Flachs.

Während der Milchkur wurden wir beide einander noch verhaßter, als wirs schon waren, und das eingeschluckte Krötenlaich unserer Antipathie wurde durch die gelinge Wärme der edeln Teile zu ordentlichen Kröten ausgebrütet. Ich wurde ihm gram, weil ich hier in den drei Bratwürsten stehen mußte und allem Anschein nach in Gefrees ankam, ohne irgend etwas Schönes gesehen oder geschrieben zu haben (ich rede von dem Vis-à-vis und der Vorrede), und überhaupt weil Fraischdörfer zugleich Mattgold, Katzengold und Platzgold war. Eine elendere Mixtur gibt es nicht. Zog er nicht sogar unter dem Käuen sich wie ein Dentist seine Schneidezähne aus, weil bloß die Hundzähne echt waren und genuin? Konnt' ich nicht, als er den Rock aufknöpfte, deutlich sehen, daß der Bauch seiner Weste seiden und marmoriert, hingegen der Rücken derselben weiß und leinen war, als wär' er ein Dachs, der, wie Buffon bemerkt, als Widerspiel aller Tiere lichtere Haare auf dem Rücken hat und die dunklern unter dem Bauch? – Und was seinen Zopf anlangt, so ist wohl gewiß, daß seiner nur an der Spitze eignes Haar aufzeigt und übrigens lang und falsch ist, meiner aber klein und echt, gerade als hätte uns die Natur und Linnäus wie zwei bekannte Tiere unterscheiden wollen.6

Er für seine Person setzte gleichfalls den Lavendelessig des Ingrimms auf einer guten Essigmutter an und wollte mich damit wie einen Pestkranken besprengen: er bildete sich nämlich ein, ich belög' ihn oder hätt' ihn zum Narren und wäre gar der Quintus nicht, wofür ich mich gab, sondern etwan wohl mein Gevatter selber. Er schloß das aus meinem Scharfsinn. Um hinter mich zu kommen, so ließ er den Lumpenhacker seiner Mühle los und stieß damit unter alle meine Werke auf einmal. Ich werde sogleich seine eignen Worte hersetzen. Ich habe zwar oft den Himmel gebeten, mir einen Hahn in die gelehrten Anzeigen zu schicken, der krähete, wenn ich als literarischer Petrus falle, und der über den Fall mich zu Tränen brächte – oder doch einen bloßen Kapaun, der, wie andere Kapaunen, meine Küchlein aussäße und herumführte; aber um diesen Greifgeier derselben hab' ich ihn nie ersucht, und ich seh' es ein, ich wurde erhitzt. Er fing denn schon bei den drei Bratwürsten an und hielt damit aus bis nach Gefrees – wobei er doch mich immer Se. Hochehrwürden und Jean Paul meinen Herrn Gevatter hieß – und behauptete, »es gebe weiter keine schöne Form als die griechische, die man durch Verzicht auf die Materie am leichtesten erreiche –.7(Daher bewegt man sich jetzt nach der griechischen Choreographie am besten, wenn man das wissenschaftliche Gepäck der spätern Jahrhunderte abwirft und sich es sozusagen leicht macht.) – Auf den Kubikinhalt komm' es der Form so wenig an, daß sie kaum einen brauche, wie denn schon der reine Wille eine Form ohne alle Materie sei (und sozusagen im Wollen des Wollens besteht, so wie der unreine im Wollen des Nichtwollens, so daß die ästhetische und die moralische Form sich zu ihrer Materie verhält wie die geometrische Fläche zu jeder gegebenen wirklichen). – Daher lasse sich der Ausspruch Schlegels erklären, daß, so wie es ein reines Denken ohne allen Stoff gebe (dergleichen ist völliger Unsinn), es auch vortreffliche poetische Darstellungen ohne Stoff geben könne (die sozusagen bloß sich selber täuschend darstellen). – Überhaupt müsse man aus der Form immer mehr alle Fülle auskernen und ausspelzen, wenn anders ein Kunstwerk jene Vollkommenheit erreichen solle, die Schiller fordere, daß es nämlich den Menschen zum Spiele und zum Ernste gleich frei und tauglich nachlasse (welchen hohen Grad die erhabenen Gattungen der Dichtung z.B. die Epopöe, die Ode, wegen der Einrichtung der menschlichen Natur unmöglich anders ersteigen als entweder durch einen unbedeutenden leeren Stoff oder durch die leere unbedeutende Behandlung eines wichtigen. Da aber gerade diese nur bei platten Kunstwerken anzutreffen ist: so haben die schlechten demnach mit den vollkommensten das Unterscheidungzeichen von mittelmäßigen gemein)8. – Vollends Humor, dieser sei ebenso verwerflich als ungenießbar, da er bei keinem Alten eigentlich anzutreffen sei«...

Fraischdörfer soll sogleich fortfahren, wenn ich nur dieses eingeschoben habe: ich werde einmal in einem kritischen Werkchen geschickt dartun, daß alle deutsche Kunstrichter (den neuesten ausgenommen) den Humor nicht bloß jämmerlich zergliedern, sondern auch (was ich nicht vermutet hätte, da das Vergnügen an der Schönheit durch die Unwissenheit in ihrer Anatomie sosehr gewinnt) noch erbärmlicher genießen, wiewohl sie als Richter in der Finsternis den Areopagiten gleichen, denen verboten war, über einen Spaß zu lachen (Äschin. in Timarch.) oder einen zu schreiben (Plut. de glor. Athen.) – ferner daß die krumme Linie des Humors zwar schwerer zu rektifizieren sei, daß er aber nichts Regelloses und Willkürliches vornehme, weil er sonst niemand ergötzen könnte als seinen Inhaber – daß er mit dem Tragischen die Form und die Kunstgriffe, obwohl nicht die Materie teile – daß der Humor (nämlich der ästhetische, der vom praktischen so verschieden und zertrennlich ist wie jede Darstellung von ihrer dargestellten oder darstellenden Empfindung) nur die Frucht einer langen Vernunft-Kultur sei und daß er mit dem Alter der Welt so wie mit dem Alter eines Individuums wachsen müsse. Fraischdörfer fuhr fort: »halte man an diesen Probierstein die Werke meines Herrn Gevatters, in denen fast nur auf Materie gesehen werde: so begreife man nicht, wie der Rezensent der Literaturzeitung ihn noch dazu wegen der Wahl solcher zweideutiger Materien wie z.B. Gottheit, Unsterblichkeit der Seele, Verachtung des Lebens usw. preisen können.«

– Bei diesen Worten wanderten wir gerade in Gefrees ein, und ich sah die mir halb bekannte Dame wie eine Netzmelone sich wieder in ihren Schleier wickeln und abfahren: hätte also der Unglückvogel, der Kunstrat, nicht seinen Geiß-Scherbet in den drei Bratwürsten eingenommen, so würd' ich das Glück errungen haben, sie gerade bei Herrn Lochmüller zu ertappen, als sie dem Kutscher und den Pferden etwas geben ließ. So aber hatt' ich nichts. Ich fuhr entsetzlich auf in meinem Herzen und tat innerlich folgenden Ausfall gegen den Kunstrat: »Du elende frostige Lothssalzsäule! Du ausgehöhlter Hohlbohrer voller Herzen! Ausgeblasenes Lerchen-Ei, aus dem nie das Schicksal ein vollschlagendes' auffliegendes, freudentrunknes Herz ausbrüten kann! Sage, was du willst, denn ich schreibe, was ich will. – Du sollst weder meine Reißfeder noch mein Auge von dem Eisgebirge der Ewigkeit abwenden, an dem die Flammen der verhüllten Sonne spielen, noch vom Nebelstern der zweiten Welt, die so weit zurückliegt und nur die Parallaxe einer Sekunde hat, und von allem, was die fliegende Hitze des fliegenden Lebens mildert und was den in der Puppe zusammengekrümmten Flügel öffnet und was uns wärmt und trägt!« –