Leben im Hotel - Marion Löhndorf - E-Book

Leben im Hotel E-Book

Marion Löhndorf

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Beschreibung

Mehr als ein Jahrhundert lang war das Hotel aus dem gesellschaftlichen Leben nicht wegzudenken. Oft stand es an den schönsten Orten, verhieß Luxus und Unbeschwertheit. Es bot eine Kulisse für den großen Auftritt – und für Ereignisse der Weltgeschichte. Für Reisende spielte es eine Hauptrolle. Auf Kunst, Literatur und Film hat das Leben im Hotel immer wieder inspirierend gewirkt. Als Gegenentwurf zur Alltäglichkeit des ständigen Wohnsitzes fasziniert es bis heute. In jüngster Zeit aber ist es in Bedrängnis geraten. Nicht nur die Wellen der Covid-19-Pandemie mit ihren Lockdowns haben der Hotellerie zugesetzt, sondern auch der wachsende Erfolg von Buchungsportalen für die Vermietung von Privatunterkünften. Doch das Hotel ist weit mehr als nur ein Haus zum Übernachten. Erst seine Gäste machen es zu dem, was es ist: Drehscheibe der Gesellschaft, Sehnsuchts- und Zufluchtsort. Im Schutz seiner Halböffentlichkeit gedeihen weiterhin politische und private Dramen. Allein deshalb bleibt es, wie Marion Löhndorf überzeugend und unterhaltsam argumentiert, ganz einfach unverzichtbar.

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MARION LÖHNDORF

Leben im Hotel

zu Klampen

Marion Löhndorf

arbeitete als freie Publizistin für das Feuilleton der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, war von 2001 bis 2004 Kulturkorrespondentin der dpa in London und im Anschluss daran im Kommunikationsbereich eines deutschen DAX-Unternehmens tätig.

2010 kehrte sie als Kulturkorrespondentin der »Neuen Zürcher Zeitung« zurück nach London, eine Tätigkeit, die sie bis heute innehat.

Sie ist Autorin und Co-Autorin mehrerer Filmbücher.

Bei zu Klampen ist von ihr erschienen: »Geschüttelt, aber ungerührt. Was England anders macht« (2021).

Meinen Eltern

Inhalt

Hotels und ich

Prolog: Künstliches Paradies

I. Ein Rundgang

Ankommen und einchecken

Drinnen und draußen

Auftreten und abtauchen

Fremd und vertraut

Laut und leise

Oben und unten

II. Politischer Schauplatz

Zentrum der Spione

Treffpunkt der Macht

Zufluchtsort

Emigrantenhotel I: Hotel Lux, Moskau

Emigrantenhotel II: Hotel Lutetia, Paris

Häuser der Geschichte: vom Umgang mit der Erinnerung

III. Drehscheibe der Gesellschaft

Tatort Hotel: mit der Leiche durchs Foyer

Audienz im Schlafzimmer: Die Prominenz hält Hof

Paranoiamaschine: Snowden in Hongkong

Unfrohe Verwandte: Krankenhäuser, Gefängnisse

Letzter Seufzer: Dauergäste und ewige Wiederkehrer

Im ständigen Exil: ichter, die dablieben

IV. Bühne für Literatur und Film

Nörgelnde Schriftsteller

Schauplatz der Zeit

Krachende Parkettböden

V. Hoteltypen

Das Businesshotel

Das Erlebnishotel

Das Casinohotel

Kunst und Design im Hotel

Das auratische Milieuhotel

Das Luxushotel

Heartbreak Hotel

VI. Gestern, heute, morgen: vom Grand Hotel zum Airbnb und ins Weltall

Zurück in die Zukunft

Dank

Literatur

Impressum

Hotels und ich

Mein Nachdenken über Hotels begann mit einem Vorurteil. Ich war überzeugt: Das ist eine sterbende Spezies. Das große Foyer hat ausgedient. Das Leben hinter der Drehtür ist tot. Seit Jahren waren immer mehr Reisende in Airbnbs abgestiegen, in den Privatwohnungen anderer Menschen. Dann tobte Covid, die Gasthäuser schlossen, und es wurde alles noch schlimmer.

Aber nachdem sich die erschöpfte Menschheit zum Ende der Pandemie geschleppt hatte, erlebte das Hotel ein Comeback. Neue Häuser wurden gebaut, alte öffneten wieder, als wäre nichts geschehen. Experten prophezeien dem Hotel-Business eine glänzende Zukunft.

Denn es wird wieder gereist. Zeit ist zum Luxusgut avanciert, Besitz ist inzwischen weniger erstrebenswert als das Erleben. Diese Entwicklungen zeichneten sich schon vor der Pandemie ab, aber die Erschütterungen und Ungewissheiten der Massenerkrankung und der Lockdowns vertieften sie noch. Und dies, obwohl die Preise gestiegen sind, das Bahnreisen beschwerlich geworden ist und die Flughäfen immer voller werden. Die Menschen geben ihre Ferien nicht auf. Sie sind bereit, fürs Reisen einiges auf sich zu nehmen.

Wenn nicht gerade praktische Bedürfnisse die Bedingungen vorgeben – wie die Dauer des Aufenthalts und die Konstellation der Reisenden –, ist eine neu erwachte Lust auf das Hotelleben zu beobachten. Warum? Haben wir genug vom Leben zu Hause und in Ferienwohnungen oder Airbnbs, die versuchen, an fremden Orten ein Gefühl von Häuslichkeit und Zugehörigkeit aufkommen zu lassen?

Im Gegensatz zum Airbnb mit seiner Suggestion des Alltäglichen hat das Hotel sein Spiel mit Schein und Sein nie verleugnet. Es simuliert alles Mögliche: das Schlichte, das Luxuriöse, das Außerordentliche. Die Gründe, die ein Leben im Hotel attraktiv oder zweckdienlich erscheinen lassen, sind natürlich vielfältiger. Das gilt für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, für Krisen, Krieg und Frieden.

Die Liebe zur Natur habe ihre enthusiastischen Verehrer, schreibt die New Yorker Essayistin Fran Lebowitz. Doch gehe sie selbst lieber zurück ins Hotel als zurück aufs Land. Ich kenne das Gefühl und ahnte: Das ist mehr als ein witziges Bekenntnis zur Bequemlichkeit. Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und fragte mich, was das Hotel so fremd und so besonders, so anziehend oder abstoßend macht. Wie kommt es zu den Geschichten, Skandalen und historischen Ereignissen in seinen Räumen? Warum inspiriert es bis heute Kunstwerke, und was bewegt Künstler dazu, ein halbes Leben zwischen Hotelwänden zu verbringen?

Und was mich selbst betraf, wollte ich wissen, was eigentlich so schön daran sei, sich fremden Räumen zu überlassen – Räumen, die Türen zu unbekannten Welten öffnen und zugleich vor ihnen schützen? Ich machte mich auf den Weg.

Meine Gedankenreisen zum Hotel – und meine Selbstversuche vor Ort, an vielen Orten – steuern kein bestimmtes Ziel an. Doch in der Zusammenschau aller Details wird vielleicht ein bestimmter Puls spürbar werden, ein Gefühl für das Besondere dieser Lebens- und Wohnform, für Räume und Menschen.

London, im März 2024

M. L.

Prolog: Künstliches Paradies

»I love hotel suites. They make me feel like King Farouk in exile. I bestow mystic status on L. A. hotel suites.«

James Ellroy

Als ich ankomme, liegt ein handgeschriebener Zettel auf dem Nachttisch: »Dial 0 for anything« – »Wählen Sie die 0 für alles«, eine Wunscherfüllungsformel. Wenn das keine Einladung ist. Wenn alles im Leben so einfach wäre. Die Null auf dem Hoteltelefon habe ich am Ende nur gewählt, um mir den Gebrauch der Kaffeemaschine erklären und Eis bringen zu lassen. Aber die Möglichkeiten!

Draußen pulsiert die Nacht. Hinter acht Fenstern flimmern die Lichter von Los Angeles, und weiter unten verschwinden Pool und Palmen fast unter einer Werbetafel, die so breit ist wie ein mittleres Hochhaus. Die Fenster lassen sich auch auf der 7. Etage öffnen, und es gibt einen Aschenbecher, den man benutzen kann. Keine Spur von Schutz und Warnung, Rauchverbot und Sturzgefahr. Das alte Haus, in dem mein Zimmer liegt, kennt noch eine Etikette aus risikofreudigeren Tagen. Der Verkehrslärm aus mittlerer Entfernung hört nie auf, aber er stört nicht. Er unterbricht den Stillstand, das Zeitkapselgefühl aller Hotelzimmer, und erinnert daran, dass vor den Fenstern, am Ende des Gartens, das Leben weiterrauscht.

Die Teppiche in Zimmer 76 sind angestaubt, das Badezimmer wurde 1927 zusammengeklempnert, und man sieht es. Den Hang zur Perfektion kann man an der Rezeption abgeben. Auf dem Tisch, neben einer Flasche Rotwein und schwarzen Pralinen, liegt ein Brief mit den Worten: Willkommen zu Hause. Willkommen in der Tat. Ich bin im Paradies.

Das Paradiesgefühl an Orten wie diesen ist natürlich kein Zufall. Es ist pure Erfindung. Ein sorgfältig kuratierter Traum. Er entsteht, weil der Besitzer oder die Besitzerin, der Architekt und die Innenausstatterin es genau so und nicht anders wollen. Weil die Angestellten umsichtig sind, weil der Manager den richtigen Ton bei den Gästen trifft und die richtigen Zimmer an die richtigen Personen vergeben werden. Weil der Zimmerservice diskret ist und alle, die vor und hinter den Kulissen regieren, für reibungslose Abläufe sorgen. Die Geräuschkulisse wird durch Playlists bestimmt, die Stille durch schallgedämpfte Wände erzeugt. Hotels parfümieren sich auch und lassen ihre Gäste durch die Nase träumen. Gezielt durch Duftsysteme freigesetzte Wohlgerüche wirken aufs Unterbewusste: Nichts löst Erinnerungen so zielsicher aus wie Geruchserlebnisse. Um das zu wissen, muss man nicht Proust gelesen haben.

Alles harte Arbeit also, die Fabrikation des Hoteltraums. Oder ist da doch noch mehr im Spiel, bei dem, was den Charakter eines außerordentlichen Gästehauses ausmacht? Und was ist das überhaupt, ein gutes Hotel? Daniel Roger war bis 2021 fast zwanzig Jahre lang Geschäftsführer der 200 Hotels führenden Gruppe Fattal. Viel Zeit also, um über das nachzudenken, was ein Gasthaus auszeichnet: »Wenn man sich wie zu Hause fühlen kann. Dann kommt man zurück. Denn niemand fühlt sich gern fremd.« Die erste Person, die einen in Empfang nehme, sei dabei von zentraler Bedeutung. Entspannte Gäste seien auch bereit, kleine Mängel zu vergeben. Fremdsein und Dazugehören sind große Themen des Lebens im Hotel.

Die pragmatischen Grundbedürfnisse der Gäste seien einfach, sagt Roger, »ein sauberes Zimmer, freundlicher Service, ein gutes Frühstück und dass alles funktioniert«. Das gilt für die MotelOne-Hotelkette mit ihren koffergroßen, aber patent ausgestatteten Räumen im türkis-grauen Farb-Delirium bis hin zu Unterkünften für Leute, die Üppigeres oder einfach anderes wollen. Aber es geht um mehr als nur um Äußerlichkeiten: »Irgendwo Tourist zu sein, ist eine emotionale Erfahrung«, sagt Daniel Roger. Denn wer ist die wichtigste Person im Hotel? »Der Gast.« Wo der Gast auftritt, hört die Berechenbarkeit jedes noch so sorgfältig geplanten Hoteluniversums auf. Dann wird das Zusammenspiel aller Elemente des Hauses unwägbar.

Hotelgäste reisen mit Gepäck im Kopf an, mit Glücks- oder Schreckenserinnerungen an einzelne Unterkünfte. Außerdem bringen sie ihre eigene Biographie, ihre Gemütslage, ihre Bedürfnisse und Erwartungen mit, Müdigkeit und Vorfreude, Schlaflosigkeit und Ängste. Beim Hotel ist es wie beim Film: Unsere Gefühle werden Teil der Erfahrung. Und wie bei der Literatur, die sich erst in der Lektüre verwirklicht und die jeden Leser, wenn er liest, eigentlich zum Leser seiner selbst macht. Hotelgeschichten gibt es zu Tausenden. Wir alle können mindestens eine aus dem Stand abrufen. Literatur, Kunst und Film tun es andauernd.

Auch die Unterkünfte selbst haben Geschichten, und der Hunger ihrer Kundschaft darauf wächst, speziell in Europa. »Heritage Hotels«, Häuser mit ererbter Vergangenheit, boomen. Die Prognosen für die Zukunft sind günstig. Die Reisenden wollen etwas über deren Innenleben wissen, das Personal, den Standort. Es sind historische Orte, die nicht nur zu besichtigen, sondern auch zu bewohnen sind. Mag sein, dass die Gäste dabei zu Voyeuren der Vergangenheit und der Gegenwart werden. Aber zugleich sind sie immer auch Akteure, Teile des Ganzen und nie nur neutrale Beobachter, eingebunden ins Gestern, Heute und Morgen. Auch wenn es sich bloß um eine Statistenrolle im Fahrwasser einer facettenreichen Vergangenheit handelt. »Die seltsamen Pfeiler im Kellergeschoss des Chateau Marmont stützen seine Vergangenheit ab«, notierte die US-amerikanische Künstlerin und Autorin Eve Babitz in »Slow Days, Fast Company«, ihrer Liebeserklärung an Südkalifornien. Ein altes Hotel ist eine Zeitmaschine.

Die beim Reisepublikum wachsende Vorliebe für Herbergen mit Vergangenheit gilt nicht nur Häusern, die auf ein bewegtes Hotelleben zurückblicken können. Genauso gefragt sind zweckentfremdete Gebäude, die einen Karrierewandel hinter sich haben, Bibliotheken, Gefängnisse, Bordelle oder Banken. »Seit rund sieben Jahren liegen bei jüngeren Gästen auch Lifestyle-, Themen- und Designhotels im Aufwärtstrend«, sagt Daniel Roger. Traditionelle Ketten wie Marriott oder Hilton werden immer populär sein. Denn da weiß man in etwa, was einen erwartet. Aber zunehmend ist Einzigartigkeit gefragt, »um sich selbst einzigartig zu fühlen«, so Roger. Auch Themenhotels stehen hoch im Kurs. Sie erschaffen Kulissen, die begehbaren Computerspielen oder Abenteuerfilmen ähneln. In einer immer komplizierter werdenden Wirklichkeit treiben sie den uralten Hang des Hotels, Paralleluniversen und virtuelle Realitäten zu schaffen, auf die Spitze.

Ein bleibendes Faszinosum sind die unterschiedlichen Ausprägungen von Herbergen. Es geht weit über den offensichtlichen Graben zwischen Palasthotel und Einsternehaus hinaus. (Wobei die Sterne – Indikatoren eines qualitativen Gefälles – nur bedingt Auskunft geben über Güteklasse und Schönheit. Sie variieren auch von Land zu Land.) Selbst noch so einheitlich geplante Hiltons, Motel Six’ oder Premier Inns nehmen an ihren jeweiligen Standorten eigene Erscheinungsformen an. Geographische Lage, Entstehungszeit, Geschichte, Klientel und Management sorgen dafür. Nicht alle dieser Stimmungsfaktoren sind austauschbar.

Der Schweizer Architekt Peter Zumthor besteht in seinem Buch »Atmospheres« auf dem Gefühlserlebnis, das ein Haus schon im Moment des Betretens auslösen kann, und spürt ihm nach. Die Hotelatmosphäre ist zeitgebunden und so flüchtig, dass sie aufeinanderfolgende Aufenthalte im selben Etablissement zu sehr ungleichen Erlebnissen machen kann. So, wie man auch niemals dieselbe Aufführung einer Theaterinszenierung an unterschiedlichen Abenden sieht. Das Hotel ist ein Möglichkeitsraum. Immer wieder kommt eine gemischte Gesellschaft von Fremden zusammen, vom Zufall zusammengeweht, manches könnte passieren, nichts ist vorhersehbar. Die Atmosphäre ist die Essenz des Hotels, das nicht Greifbare, das nicht Erarbeitete, das Sublime – oder der Schrecken.

Sie kann auf unerfreuliche Art interessant sein. Erzeugt durch laute Menschen hinter papierdünnen Wänden (Leonard Cohen widmete dem Effekt 1977 seinen Song »Paper-Thin Hotel«), dröhnende Musik, schmutzige Bettwäsche, abblätternde Wandfarbe, Ungeziefer, mysteriöse Schalter und Gerätschaften, die auch bei korrekt entschlüsselter Bedienungsweise nicht funktionieren. Meine erste Londonreise führte in ein Hotel in der nobelsten Gegend der Stadt. An den Namen erinnere ich mich nicht. Gesänge betrunkener Rugby-Fans mit Wikingerhelmen erfüllten die Lobby, das Zimmer wimmelte von Kakerlaken, und die kochplattenheiße Heizung widersetzte sich jedem Regulierungsversuch. Aber das sind, wie man so sagt, Luxusprobleme. Jedenfalls für den, der sie gerade nicht hat.

Auf einer ganz anderen Ebene des Schreckens liegt der Aufenthalt in Hotels, die zu beklemmenden Wartesälen werden oder die in Kriegszonen prekäre Zufluchtsorte bieten. Jene, die während der Pandemie als Covid-Quarantäne-Stationen bei der Einreise in bestimmte Länder dienten, und solche, die zwangsweise Emigranten einquartieren, die auf Einreisegenehmigung oder Abschiebung warten. In diesen Fällen rückt das Genre des Hotels in die Nähe artverwandter Aufenthaltsorte, an denen niemand gern Zeit verbringt: Krankenhäuser, Asyle und Gefängnisse. Davon später mehr.

Eine bestimmte Sorte von Gästehäusern ist besonders intensiv mit Wunschträumen und Fernweh verknüpft. Das Hotel Pellicano in Porto Ercole sei das einzig Wahre »in terms of a fantasy of somewhere luxurious and sexy«, sagt die Modeschöpferin Bella Freud, Tochter des Malers Lucian Freud und Urenkelin des Begründers der Psychoanalyse. »Checkst Du ins Hotel ein? Oder checkt der Zustand des Hotels in Dich ein?« fragt Wayne Koestenbaum sinngemäß in seinen labyrinthischen Meditationen unter dem Titel »Hotel Theory«, die das Hotelzimmer als Möglichkeitsraum präsentieren, als einen fluktuierenden Schwebezustand, in dem alles möglich scheint und der sich ständig im Wandel befindet.

Sie haben recht, Woolrich, Babitz, Koestenbaum und all die anderen: Hotels verändern ihre Besucher. Die Möglichkeiten sind fast endlos. Jeder, der ins Savoy komme, werde es hoch zufrieden wieder verlassen, versprach Richard D’Oyly Carte, der den Luxuspalast Ende des 19. Jahrhunderts in London bauen ließ, zur Blütezeit des Grand Hotels. Entgegen heutiger Gewohnheiten stiegen damals auch Londoner im Savoy ab und nutzten das Haus in der Art eines Gentlemen’s Club.

Die Strahlkraft des Savoy reichte weit über die unmittelbare Umgebung hinaus und wirkte sich nicht nur auf seine Gäste aus: Es prägte und veränderte die Wahrnehmung der ganzen Stadt, die bis zu seiner Eröffnung nicht zum Repertoire betuchter Reisender gehörte. Auf einmal konnte »die große Welt«, die Reichen und auch die Halbseidenen, die es immer in den Bannkreis der einschlägigen Gästehäuser gezogen hatte, standesgemäß absteigen, dinieren und sich amüsieren. Als sich rund ein halbes Jahrhundert später der Tourismus demokratisierte, war London längst als Reiseziel etabliert.

D’Oyly Carte kannte die transformative Kraft des Hotels aus einem anderen kulturellen Milieu, in dem er sich hervorgetan hatte: dem Theater. Bevor er einem Stück trostlosen Brachlands an der Themse Londons ersten Hotelpalast abringen konnte, hatte er sich als erfolgreicher Operetten-Impresario und Hotelier in die Geschichte seiner Stadt eingeschrieben. D’Oyly-Carte wusste, dass ein großes Hotel zum Sehen und Gesehenwerden da ist, wie Fred Astaire in »Putting on the Ritz« sang: »Dressed up like a million-dollar trouper / Trying hard to look like Gary Cooper (super duper)«. Es ist ein Laufsteg, ein zur Übertreibung neigendes, glitzerndes Ding, wie der Titel von F. Scott Fitzgeralds Erzählung »Ein Diamant, so groß wie das Ritz« andeutet.