Lebenslang Vogelzug - Jürg Amann - E-Book

Lebenslang Vogelzug E-Book

Jürg Amann

4,8

Beschreibung

Eros und Thanatos - Liebe und Tod. Die großen Themen des Lebens und der Literatur, die Jürg Amanns gesamtes Werk prägen, sind in Lebenslang Vogelzug auf berührende Weise miteinander verflochten. Sie werden begleitet von der Frage, wie sie gemeint ist, die Welt, auf der es die Liebe gibt. Und ob sie gemeint ist. Präzise, stilistisch meisterhaft und doch einfach erzählen die Gedichte von der Liebe im Angesicht des unausweichlichen Abschieds und von der Sehnsucht nach dem verlorenen Glauben. Noch vom Dichter selbst zusammengestellt, versammelt dieser Band die Essenz seines schmalen lyrischen Werks. Neben Amanns herausragender Prosa und seiner Dramatik bleiben so auch seine Gedichte lebendig.

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Jürg Amann

Lebenslang

Vogelzug

Gedichte

Für Anna,

meine grosse Liebe

So daliegen, so

mit geöffneten Sinnen, als ob

es schon das Skelett wäre.

Den Luftzug spüren, durch

die geweiteten Augen.

Die Nähe des Steins.

frieden

die stille

wenn der mensch aufhört.

der friedliche

kampf der tiere.

der aufstand

der zertretenen blumen.

Morgen am Meer

Und grosse Vögel gingen

durch das Rot des frühen Tags.

Des Bruders Frühgestalt.

Der Schlaf. Der Sonnen

Aufstand.

wieder ein herbst

wieder ein herbst

als ob

es noch mehr davon gäbe.

ein spätlicht

als ob

es noch frühe.

das ist aber

ein wunsch.

und die gewöhnung

Spätherbst

Das rote Haus wieder,

dort drüben,

wenn es das Licht fängt.

Das helle Braun der Blätter

vor dem Blau des Sees.

Und grosse, mir ganz unbekannte

Vögel.

Der Laubfall. Das Abtreiben

der Blätter.

Und immer noch Boote.

Der Wind

greift nicht mehr

ins Geäst.

Die Zeit

steht still.

Der Himmel

lädt sich auf

mit Blei.

Frühlingstag im Winter

Ganz helle Horizonte. Venezianisches Licht.

Palast der Gebirge, geschichtet, getürmt.

Darunter, davor, zwischen den Hügeln und leuchtend,

Nebelbänder, über dem See.

Gelegentlich Rauch, darunter, darüber.

Die Wiesen noch braun.

Die Bäume noch schwarz und schmal.

Schatten wie von Giacometti

gehen durch andere Schatten hindurch.

Blasse Gesichter von Menschen,

die in die Sonne sehen.

Müde, gefältelte Haut. Ruhige Augen.

Und auch die Kinder noch still.

Winterabend am Wannsee

Wieder nachtet es ein.

Und der Nebel steigt

aus den Wäldern.

Und der See trägt noch, westlich,

einen Anflug von Röte,

den Tag.

Und die Ferne, östlich, nimmt ab.

Wasser und Land verschwimmen.

Alles wird Himmel. Die Äste ragen,

weiss-schwarz, hinein.

Die Vögel fallen

zum Schlaf.

Die Geräusche,

dicht neben mir,

nachts.

Das Knacken,

wenn auf der schwarzen Fensterscheibe

die Eisblumen wachsen,

eine Kristallknospe aufspringt.

Am Morgen

wird man es sehen.

Wieder die Nebelwand.

Wieder am Abend. Wieder

das ferne Läuten der

Glocken in mir.

Aus Traumfurchen

wächst dunkel die Frucht.

Lebenslang Vogelzug

Und Vögel fliegen Zeichen

in die Luft. Ein Rauch

steigt auf. Das Licht

geht unter. Gruft.

Ob, wie

Wenn man nur wüsste, wie