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Eros und Thanatos - Liebe und Tod. Die großen Themen des Lebens und der Literatur, die Jürg Amanns gesamtes Werk prägen, sind in Lebenslang Vogelzug auf berührende Weise miteinander verflochten. Sie werden begleitet von der Frage, wie sie gemeint ist, die Welt, auf der es die Liebe gibt. Und ob sie gemeint ist. Präzise, stilistisch meisterhaft und doch einfach erzählen die Gedichte von der Liebe im Angesicht des unausweichlichen Abschieds und von der Sehnsucht nach dem verlorenen Glauben. Noch vom Dichter selbst zusammengestellt, versammelt dieser Band die Essenz seines schmalen lyrischen Werks. Neben Amanns herausragender Prosa und seiner Dramatik bleiben so auch seine Gedichte lebendig.
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Seitenzahl: 17
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Jürg Amann
Lebenslang
Vogelzug
Gedichte
Für Anna,
meine grosse Liebe
So daliegen, so
mit geöffneten Sinnen, als ob
es schon das Skelett wäre.
Den Luftzug spüren, durch
die geweiteten Augen.
Die Nähe des Steins.
frieden
die stille
wenn der mensch aufhört.
der friedliche
kampf der tiere.
der aufstand
der zertretenen blumen.
Morgen am Meer
Und grosse Vögel gingen
durch das Rot des frühen Tags.
Des Bruders Frühgestalt.
Der Schlaf. Der Sonnen
Aufstand.
wieder ein herbst
wieder ein herbst
als ob
es noch mehr davon gäbe.
ein spätlicht
als ob
es noch frühe.
das ist aber
ein wunsch.
und die gewöhnung
Spätherbst
Das rote Haus wieder,
dort drüben,
wenn es das Licht fängt.
Das helle Braun der Blätter
vor dem Blau des Sees.
Und grosse, mir ganz unbekannte
Vögel.
Der Laubfall. Das Abtreiben
der Blätter.
Und immer noch Boote.
Der Wind
greift nicht mehr
ins Geäst.
Die Zeit
steht still.
Der Himmel
lädt sich auf
mit Blei.
Frühlingstag im Winter
Ganz helle Horizonte. Venezianisches Licht.
Palast der Gebirge, geschichtet, getürmt.
Darunter, davor, zwischen den Hügeln und leuchtend,
Nebelbänder, über dem See.
Gelegentlich Rauch, darunter, darüber.
Die Wiesen noch braun.
Die Bäume noch schwarz und schmal.
Schatten wie von Giacometti
gehen durch andere Schatten hindurch.
Blasse Gesichter von Menschen,
die in die Sonne sehen.
Müde, gefältelte Haut. Ruhige Augen.
Und auch die Kinder noch still.
Winterabend am Wannsee
Wieder nachtet es ein.
Und der Nebel steigt
aus den Wäldern.
Und der See trägt noch, westlich,
einen Anflug von Röte,
den Tag.
Und die Ferne, östlich, nimmt ab.
Wasser und Land verschwimmen.
Alles wird Himmel. Die Äste ragen,
weiss-schwarz, hinein.
Die Vögel fallen
zum Schlaf.
Die Geräusche,
dicht neben mir,
nachts.
Das Knacken,
wenn auf der schwarzen Fensterscheibe
die Eisblumen wachsen,
eine Kristallknospe aufspringt.
Am Morgen
wird man es sehen.
Wieder die Nebelwand.
Wieder am Abend. Wieder
das ferne Läuten der
Glocken in mir.
Aus Traumfurchen
wächst dunkel die Frucht.
Lebenslang Vogelzug
Und Vögel fliegen Zeichen
in die Luft. Ein Rauch
steigt auf. Das Licht
geht unter. Gruft.
Ob, wie
Wenn man nur wüsste, wie