Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der tragische Tod von Black Sabbath, der Hauskatze von Familie Burkhardt, setzt in dem kleinen Dorf Keltenberg im schönen Wienerwald eine Mordserie in Gang, wie sie der ehrgeizige Inspektor Paul Junghans noch nicht erlebt hat. Seine Ermittlungen kommen aber leider nur schleppend voran. Das liegt zum einen an der resoluten Chefinspektorin Lena Schwertführer, die man ihm aus Wien vor die Nase gesetzt hat, aber auch an der neuen Haushaltshilfe von Familie Burkhardt. Denn Rentnerin Gertrud Klampfl versteht es vortrefflich, mit ihrem ausgeprägten Putzfimmel und ihrer Leidenschaft als Hobbykriminologin nicht nur der Polizei den letzten Nerv zu rauben …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 306
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Cover: Michael Schubert
Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.
ISBN E-Book: 978-3-95835-538-5
Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf Ihrem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn Sie uns dies per Mail an [email protected] melden und das Problem kurz schildern. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um Ihr Anliegen.
Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Vermaledeite Zeitumstellung!
Kaum hatte sich Gertrud Klampfl daran gewöhnt, dass es am Abend länger hell blieb, drehten sie auch schon wieder die Zeit zurück. Ihr kam vor, als wäre es gestern gewesen, dass alle Medien die Sommerzeit trommelten und damit das Vorrücken der Uhren um eine ganze Stunde. War es ein Phänomen, dass die Zeit schneller verging, wenn man die sechzig erst überschritten hatte?
Es war Ende Oktober und schon um halb sieben Uhr abends so finster wie sonst nur in der Nacht. Der Regen prasselte auf die Kapuze ihres grauen Regenmantels nieder, die hohen schlanken Pappeln am Rande der schmalen Dorfstraße rauschten und schwankten gespenstisch im Sturm. Papierfetzen fegten über den Gehweg. Eine leere Plastikflasche hüpfte laut knisternd vorbei. Der Einkaufswagen, den Gertrud hinter sich herzog, war klatschnass, und das Wasser der vorbeifahrenden Autos spritzte ihr bis über die Knie. Hinter dem Steuer drehten ihr die Menschen ihre weißen Zombiegesichter zu und Gertrud schnitt ihnen eine Grimasse.
Der Blitz, der in diesem Augenblick über den schwarzen Himmel zuckte, erleuchtete kurz die Straße, aber in diesen wenigen Sekunden sah Gertrud etwa fünfzig Meter vor sich eine männliche Gestalt im Regenmantel über die Straße eilen und hinter einer Straßenbiegung verschwinden. Dem Blitz folgte ein Donnerschlag und Gertrud Klampfl bekam es mit der Angst zu tun. Zwar sagten sie, dass der Blitz zuerst in die hohen Bäume einschlug, aber hielt sich der Blitz auch daran? Nur noch dreihundert Meter bis zu ihrer kleinen Wohnung, dachte sie bange, dann war sie hoffentlich in Sicherheit.
Plötzlich durchdrang ein furchtbares Kreischen die Nachtluft und Gertrud Klampfl stockte beinahe das Herz. Es hatte sich angehört, als ob ein Kind schrie. Unwillkürlich hielt sie im Gehen inne. Das Kreischen kam von einem Wesen, das furchtbare Schmerzen erleiden musste. Gertrud fasste sich ein Herz, um zu sehen, was passiert war, denn schließlich war das ihre staatsbürgerliche Pflicht. Und da – schon wieder! Dieses Mal war es ein einziger blutgerinnender Schrei, der langsam in ein ersticktes Gurgeln überging.
Gertrud setzte sich in Bewegung und erschrak. Vor ihr überquerte der Mann im Regenmantel schon wieder die Straße, diesmal in die andere Richtung. Und jetzt konnte sie direkt in seine fiesen kleinen Augen sehen, die einen böse funkelnden Blick herüberwarfen.
Vor dem Mann fürchtete sich Gertrud nicht. Sie fürchtete sich eher vor dem, was sie finden würde. Mit eingezogenem Kopf verschwand der Mann in einem alten Haus auf der anderen Straßenseite und Gertrud versuchte mit zusammengekniffenen Augen die Hausnummer zu lesen. Es war die Nummer 32. Dort wohnte der alte Wallner. Dessen Junior war schon vor Jahren ins nahe Mödling geflohen, wahrscheinlich weil er es neben seinem asozialen und bösartigen Vater nicht länger ausgehalten hatte.
Wer oder was aber hatte vorhin so schlimm geschrien?
Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, und als sie die Straßenbiegung erreichte, blieb sie einige Meter dahinter abrupt stehen. Neben einer Gartenmauer lag, wie weggeworfen, ein schwarzes wimmerndes Bündel. Gertrud bückte sich, um zu sehen, wen es da erwischt hatte. Es war eine Katze! Eine noch junge schwarze, schwer verletzte Katze.
Eigentlich mochte sie selbst keine Haustiere, weil sie so viel Dreck machten, und Katzen mochte sie am wenigsten, besonders keine schwarzen, denn die brachten Unglück. Andererseits brachte sie es nicht über sich, das arme Tier so halbtot im Regen liegenzulassen. Vielleicht gehörte es der Familie, die hier wohnte? Gertrud trat an das Gartentor und las das Namensschild: Burkhardt. Sie kannte die Familie vom Sehen. Einmal hatte sie sie bei einem Grätzelfest gesehen und einige Male beim Einkaufen im Supermarkt. Eine noch relativ junge und nette Familie.
Die schneeweiße Fassade eines einstöckigen modernen Einfamilienhauses schimmerte durch zwei hohe Silbertannen in die Schwärze des Abends. Neben dem Namensschild war ein gelbes Plastikschild montiert, auf dem stand in schwarzer Schrift: Achtung Kampfkatze! Das war wohl eines dieser Spaßschilder, die man in Papiergeschäften kaufen konnte. Die Kampfkatze hatte vorläufig ausgedient, so wie es aussah.
Gertrud Klampfl schob ihren Einkaufswagen unter den Schutz der Tannen nahe an die hüfthohe Steinmauer, die das Grundstück eingrenzte, und bückte sich, um das Kätzchen hochzuheben. Da entdeckte sie, dass man dem Tier beide Hinterbeine abgehackt hatte, und Gertrud hätte es beinahe vor Schreck fallen gelassen. Furchtbar verstümmelt, aber immer noch am Leben.
Mit einem Mal wurde es Gertrud richtig schlecht. Der Anblick des armen Tieres und das röchelnde Wimmern gingen ihr nahe. Die gequälten Augen bohrten sich direkt in Gertruds Herz und vertieften dort die Abscheu vor der Menschlichkeit, die sie ihr ganzes Leben mit sich herumgetragen hatte. Irgendjemand wollte dieses arme Tier nicht nur töten, sondern erst furchtbar leiden lassen. Ratlos hielt es Gertrud in den Armen, während über beide der Regen strömte.
Irgendetwas musste sie jedoch unternehmen, sagte sie sich, und so läutete sie kurz entschlossen am Gartentor. Der Blutverlust war enorm und das Tier würde es wohl nicht mehr lange machen. Endlich ging im Flur das Licht an. Die Haustür öffnete sich und eine attraktive blonde Frau um die vierzig trat heraus.
»Ja, bitte?«, fragte sie mit heller Stimme.
Gertrud räusperte sich. »Entschuldigen Sie die Störung. Mein Name ist Gertrud Klampfl. Ich wohne am Ende der Straße. Besitzen Sie vielleicht eine schwarze Katze?«
Die blonde Frau erschrak. »Jaaa«, antwortete sie leise. »Ist etwas passiert?« Die Frau spannte einen bunten Regenschirm auf und kam zögernd ans Gartentor. Ihr hübsches Gesicht drückte Sorge aus.
»Bevor Sie sie ansehen, muss ich Sie warnen. Sie ist … wie soll ich sagen … es ist nur mehr die Hälfte übrig – quasi.«
»Was soll denn das heißen?«, rief Frau Burkhardt erschrocken, während sie hastig das Gartentor öffnete.
»Möglicherweise ist sie in eins dieser illegalen Fangeisen getappt oder jemand hat ihr mit einer Axt …« Noch während Gertrud sprach, spürte sie, wie das kleine unschuldige Lebewesen sich kurz aufbäumte, zuckte, und mit einem letzten Gurgeln in ihren Armen sein Leben aushauchte.
»Ich glaub«, sagte Gertrud Klampfl betrübt, »sie ist soeben gestorben.«
Frau Burkhardt wagte sich einen halben Schritt näher und warf einen entsetzten Blick auf das triefende Bündel im Arm der Frau. »Das ist Black Sabbath!«, stammelte sie unter aufschießenden Tränen. »Der Kater von Stefanie.«
»Ihre Tochter?«
Die blonde Frau nickte.
»Und was machen wir jetzt mit ihm?«, fragte Gertrud ratlos. »Wollen Sie ihn vielleicht begraben?«
Frau Burkhardt rang mit sich selbst. Sie verspürte eine natürliche Abscheu vor dem Tod. Andererseits konnte sie die fremde Frau mit dem toten Tier nicht vor ihrem Haus stehenlassen.
»Kommen Sie doch bitte herein«, bat sie. »Wenn Stefanie das erfährt, bricht es ihr das Herz.«
Gertrud erinnerte sich an ein etwa sechzehnjähriges Mädchen, das schon öfters mit dem Rad an ihr vorbeigefahren war. Stets schwarz gekleidet, lange schwarz gefärbte Haare, schwarze Lippen und viel Metall im Gesicht. Na ja, ihre Tochter war es ja nicht. Ging sie auch überhaupt nichts an. Dafür war ihre Mutter umso sympathischer.
Frau Burkhardt lief ins Badezimmer, um ein Handtuch zu holen und Black Sabbath darin einzuwickeln. Verzweifelt bemühte sie sich dabei, das verstümmelte Tier nicht ansehen zu müssen.
»Sobald der Regen nachlässt, werde ich ihn begraben«, sagte sie und trug Black Sabbath in den Wintergarten. Sie legte das tote Kätzchen behutsam auf den Fliesen ab und begab sich zurück ins Vorzimmer, wo Gertrud wartete.
»Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«, fragte Frau Burkhardt. »Sie holen sich sonst eine Erkältung!«
Erschrocken sah sie, dass ein rotes Bächlein Blut von Gertruds Regenmantel auf den Vorzimmerboden tropfte.
Gertrud blickte dem Blut hinterher und ihr blieb beinahe das Herz stehen. »Ich mach Ihnen alles voller Dreck!«, rief sie entsetzt. »Entschuldigung …«
»Ich bitte Sie! Sie können doch nichts dafür.«
»Wenn Sie mir zeigen, wo Ihre Putzlappen sind, mach ich das sofort wieder weg!«
»Soweit kommt‘s noch!«, rief Frau Burkhardt. »Geben Sie mir bitte den Mantel, ich werde ihn im Badezimmer abwaschen.«
Gertrud schlug die Kapuze zurück und schälte sich, von schlechtem Gewissen geplagt, aus dem Mantel. Sie war klein und untersetzt, aber von kräftiger Statur. Die kleinen braunen Augen in dem farblosen Gesicht sahen aus wie Rosinen in einem Kuchen.
»Bitte kommen Sie weiter«, bat Frau Burkhardt, während sie den triefenden Mantel in der Hand hielt.
Gertrud Klampfl fragte schüchtern: »Darf ich vorher meinen Einkauf hereinholen? Er steht immer noch vor Ihrem Haus.«
»Um Gottes willen! Bei diesem Regen! Warten Sie bitte hier, ich hole ihn sofort herein.«
Frau Burkhardt nahm ihren Regenschirm und eilte nach draußen. In der Zwischenzeit entledigte sich Gertrud ihrer Schuhe.
Als Frau Burkhardt zurückkam, stellte sie den Einkaufswagen im Vorzimmer ab und ging Gertrud ins Wohnzimmer voran: »Ich bringe nur schnell den Mantel ins Badezimmer«, sagte sie. »Darf ich Ihnen etwas anbieten? Tee oder Kaffee?«
Gertrud überlegte. »Tee, aber nur, wenn ich keine Umstände mache.«
Während Frau Burkhardt enteilte, ließ Gertrud Klampfl ihre flinken Augen über die gediegene Einrichtung wandern – alles nur vom Feinsten. Kunstdrucke dekorierten die Wände, ein flauschiger Teppich zierte einen teuren Parkettboden, auf dem eine große Sitzlandschaft stand. Über einem Esstisch mit acht Stühlen hing ein schwarzweißes Gemälde von Wien, das mindestens zwei Meter lang und eineinhalb Meter hoch war. Erstaunt stellte Gertrud fest, dass darauf die Leute noch in Pferdekutschen fuhren. Vor dem Panoramafenster an der gegenüberliegenden Seite des Raums stand eine Zimmerlinde in Hydrokultur, und von da, wo Gertrud stand, blickte sie in eine ultramoderne Küche. Eine schwungvolle Wendeltreppe aus hellem Holz führte in den ersten Stock, wo sicherlich die Schlafzimmer lagen.
Gertrud zog die Mundwinkel herab. Sie dachte an ihre Einzimmerwohnung mit Kochnische und einem Bad, so winzig, dass sie sich aufs Klo setzen musste, wenn sie duschen wollte – und das für vierhundertneunzig Euro im Monat! Von ihrer Rente blieben ihr genau vierhundertsiebzig Euro zum Überleben.
Ihre trüben Gedanken wurden von der Hausherrin unterbrochen, die ins Wohnzimmer trat, um nach ihr zu sehen. »Bitte nehmen Sie Platz! Das Teewasser muss gleich heiß sein. Ich bin sofort wieder zurück und dann plaudern wir ein wenig, ja?«
Gertruds Blick kreiste weiter durch das Zimmer. In der Wohnlandschaft kam sie sich irgendwie verloren vor, außerdem fürchtete sie, den hellen Stoff der Couch schmutzig zu machen. Also hockte sie sich auf einen Sessel am äußersten Ende des Esstischs.
Mit einem Tablett, auf dem ein schneeweißes Teeservice aus feinstem Porzellan stand, kehrte Frau Burkhardt ins Wohnzimmer zurück. »Wollen Sie es sich nicht auf der Couch bequem machen?«, fragte sie und blieb unschlüssig in der Mitte des Raums stehen. »Dort ist es doch viel gemütlicher.«
Gertrud erhob sich nur zögernd, denn die geschmackvolle Eleganz in diesem Haus erschlug sie fast.
Frau Burkhardt stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und füllte Tee in die Tassen. Gertrud Klampfl ließ sich so vorsichtig auf dem Rand der Couch nieder, dass ihr halber Hintern in der Luft schwebte. Mit Kennerblick registrierte sie sofort, dass die Kekse in dem Schüsselchen keineswegs selbstgemacht, sondern teuer eingekauft waren. Draußen zuckte ein Blitz über den Himmel und für einen Augenblick begann das Licht im Haus zu flackern.
»Sehr schön haben Sie es hier«, sagte Gertrud schließlich bewundernd.
Frau Burkhardt senkte bescheiden den Kopf. »Es macht uns auch viel Freude hier zu wohnen. Ursprünglich kommen wir ja aus Wien, das Haus haben wir vor zwölf Jahren gekauft und seitdem muss mein Mann jeden Tag nach Wien pendeln. Er ist Historiker im Wiener Stadt- und Landesarchiv.«
Gertrud lauschte ehrfürchtig. »Sind Sie auch berufstätig?«, fragte sie.
»Ich arbeite in Mödling für einen Geschichtsverlag. Mein Mann und ich haben uns ja schon mit achtzehn beziehungsweise zwanzig während des Geschichtsstudiums kennengelernt.« Und lachend fügte sie hinzu: »Das war’s dann. Seitdem waren wir keinen Tag getrennt.«
Gertrud nickte feierlich. »Liebe auf den ersten Blick!«
Frau Burkhardt wurde ein wenig verlegen. Sie wusste, dass ihr eigenes Glück von anderen nicht immer neidlos aufgenommen wurde.
Gertrud Klampfl beobachtete sie neugierig. Sie war eine wirklich attraktive Erscheinung. Langbeinig und von schlanker Gestalt, mit schmalen Hüften, straffem Busen und kornblumenblauen Augen.
»Schön, wenn die Liebe so einschlägt zwischen Mann und Frau«, seufzte sie ein wenig säuerlich. »Mir war das leider nicht vergönnt.«
»Das tut mir leid. Leben Sie allein?«
»Ja. In dem heruntergekommenen Mietshaus am Ende der Straße. Dort hab ich eine Vierzig-Quadratmeter-Wohnung für vierhundertneunzig Euro im Monat.«
»Das ist unverschämt teuer«, rief Frau Burkhardt und fühlte sich unbehaglich, weil sie selbst in einem schönen Haus leben durfte.
»Ich bin ja schon in der Rente«, berichtete Gertrud offenherzig, »und bekomm grad mal neunhundertsechzig Euro im Monat, obwohl ich fünfunddreißig Jahre geschuftet hab.«
Frau Burkhardt blickte ihr Gegenüber betreten an und suchte nach den passenden Worten.
»Aber vor kurzem hab ich beschlossen, mir eine Nebenbeschäftigung zu suchen. Ab sechzig darf man das ja, ohne dass einem diese Halsabschneider von Politiker auch noch die Rente kürzen. Jetzt such ich eine Stelle, wo ich wenigstens für ein paar Stunden in der Woche arbeiten darf und mir nebenher was dazuverdiene. Alles andere ist ja kein Leben!«
Frau Burkhardt durchzuckte ein plötzlicher Gedanke. Seit Jahren schon hatte sie versucht, eine Haushaltshilfe zu finden. Bisher aber waren die Vorstelligen nicht vertrauenswürdig genug gewesen oder so schlampig, dass sie sie wieder wegschicken musste. Mit dem großen Haus, zwei Kindern und ihrer Verlagsarbeit fühlte sie sich schon seit längerem überlastet. Warum also nicht Frau Klampfl eine Chance geben? Sie schien eine ordentliche Person zu sein und wohnte nur wenige hundert Meter entfernt. Eigentlich ideal.
»Hm«, begann sie, »ich suche seit längerem eine nette Frau, die mir beim Saubermachen hilft. Ich meine, wenn Ihnen diese Arbeit nicht zu …« Sie suchte nach den richtigen Worten, schließlich wollte sie Frau Klampfl nicht beleidigen. Vielleicht war Putzen und dergleichen niedere Tätigkeiten ja nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Aber ihre Sorge schien unbegründet. Frau Klampfl war Feuer und Flamme.
»Damit würden Sie mir eine große Freude machen!«, rief sie. »Ich versichere Ihnen, dass ich eine ehrliche und reinliche Person bin.«
»Und Sie finden putzen und so was in der Art nicht zu … zu gewöhnlich? Ich meine …«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen! Ich putze richtig gern. In meiner kleinen Wohnung gibt‘s eh nix zu tun.«
Frau Burkhardt lächelte erfreut. »Tja, wenn Sie das so sehen …«
»Ich kann Ihnen auch beim Kochen behilflich sein. Ich hab früher als Köchin bei der Caritas gearbeitet. Ich wasche und ich bügle. Putz nix die Fenster, gibt’s bei mir nicht! Ich mach alles.«
Frau Burkhardt erschrak fast ein wenig über diesen Enthusiasmus. »Wenn Sie zehn Stunden in der Woche kommen für zehn Euro die Stunde, wäre das für Sie akzeptabel?« Sie sah ihr Gegenüber unsicher an, aber mehr konnte sie sich schlicht nicht leisten.
»Sie würden mich zum glücklichsten Menschen machen!«, rief Gertrud. »Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie zufrieden sein werden.«
Frau Burkhardt streckte Gertrud spontan die Hand hin. »Ich heiße Carla«, lächelte sie.
Gertruds Finger umklammerten die dargebotene Hand. »Und ich bin die Gertrud«, erwiderte sie dankbar.
Aus dem Vorzimmer drangen polternde Geräusche herein, dann betrat ein Mädchen das Wohnzimmer. »Hi, Mami!«
Beim Anblick von Frau Burkhardts Tochter zuckte Gertrud Klampfl zusammen. Klatschnasse blauschwarz gefärbte Haare, auf Vampir geschminkte Augen und viel Metall im Gesicht. Über die tätowierten Handgelenke tropfte Regenwasser direkt auf den schönen Teppich, und Gertrud musste gegen das akut auftretende Bedürfnis ankämpfen, augenblicklich aufzustehen und den Teppich trockenzuwischen. Nur mit eisernem Willen krallte sie sich an der Couch fest.
»Stefanie«, sagte Carla Burkhardt mit leiser und sanfter Stimme, denn jetzt musste sie ihrer Tochter die traurige Nachricht vom Tod ihres Katers beibringen. »Das ist Frau Gertrud.«
»Hi!«, sagte Stefanie.
»Frau Gertrud wird mir zukünftig im Haushalt helfen.«
»Cool. Hoffentlich hält wenigstens sie länger als zehn Tage durch.«
Carla Burkhardt blickte verlegen zu Gertrud hinüber, aber Gertruds Gesicht blieb ausdruckslos. Nur eine steile Falte hatte sich zwischen ihren Brauen gebildet. Was für eine vorlaute Rotznase! Gertrud sog den Atem so tief ein, dass sie husten musste. Wenn das ihre Tochter wäre, hätte sie ihr längst die Ohren langgezogen! Und ihr dieses scheußliche Metall im Gesicht verboten, das sie regelrecht entstellte. Aber immerhin stand dem Mädchen eine schlimme Nachricht bevor, was Gertruds Unmut etwas milderte.
»Steffi«, begann Carla behutsam, »du musst jetzt ganz stark sein. Ich habe eine schlimme Nachricht.«
Stefanie zupfte verunsichert an ihrem linken Ohr, das aussah wie ein Minenfeld. »Ist was passiert?«
»Ja. Wir haben Black Sabbath gefunden.«
Unter ihrer Schminke wurde das Mädchen kalkweiß. »Sag jetzt nicht, dass er tot ist!«
»Leider ja. Es tut mir so leid, Schatz …«
»Wo ist er?«, schrie Stefanie.
»Es ist besser, wenn du ihn nicht …«
»Habt ihr ihn der Tierkörperverwertung gegeben?«
»Aber nein! Wir werden ihm im Garten ein schönes Begräbnis bereiten. Mit einem kleinen Grabstein und so …«
»Wo ist er?«
»Im Wintergarten«, seufzte Carla.
Stefanie riss die Terrassentür auf und stürmte hinaus. Bald schon hörten die beiden Frauen einen Aufschrei, der sie zusammenfahren ließ.
Als Stefanie wenige Minuten später ins Zimmer trat, war sie wie versteinert. »Wer hat ihn bloß so furchtbar zugerichtet?«, flüsterte sie.
Carla zuckte hilflos mit den Schultern.
Niemand hatte Stefanies Bruder Tobias gehört. Er betrat das Zimmer und ein Blick auf die Gesichter der Anwesenden, ließ ihn ausrufen: »Kommt ihr von einem Begräbnis?« Dabei ahnte er nicht, wie nahe er der Wahrheit kam.
Gertrud betrachtete ihn neugierig. Er war etwas älter als seine Schwester, groß und schlaksig, noch lange kein Mann, aber auch kein Kind mehr, irgendwas dazwischen halt. Mit den blonden Haaren und den kornblumenblauen Augen kam er ganz nach seiner Mutter.
»Black Sabbath ist tot!«, schrie Stefanie ihn an, so als wäre er schuld.
»Ach du Scheiße! Wurde er überfahren?«
»Mein Blacky wurde zu Tode verstümmelt!«
»Furchtbar! Wo ist er jetzt?«
»Draußen im Wintergarten. Du kannst ihn dir ansehen.«
»Lieber nicht …« Ihm war nicht nach verstümmelten Haustieren. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf den fremden Besuch, der mit verschlungenen Händen und neugierigen Rosinenaugen auf der Couch saß.
Carla stellte den Besuch vor: »Tobias, das ist Frau Gertrud, sie wird mir künftig im Haushalt helfen.«
Die kleine dickliche Gestalt auf dem Sofa schien in ihrem Wohnzimmer so deplatziert, dass Tobias Mühe hatte, nicht blöd zu grinsen. Er hielt Gertrud über den Tisch die Hand hin und sagte artig: »Ich bin der Tobias.«
»Jetzt hab ich fast die ganze Familie kennengelernt«, stellte Gertrud fest. »Es fehlt nur noch der Vater.«
»Entschuldigt mich«, sagte Tobias, »aber ich bin hundemüde. Ich geh auf mein Zimmer.« Während er sich die Wendeltreppe hinaufschleppte, wollte er wissen: »Gibt’s bald was zu essen?«
»Ich bin heute nicht zum Kochen gekommen, aber ich könnte uns etwas aus der Tiefkühltruhe aufwärmen«, erwiderte Carla.
»Ruf mich, wenn das Essen auf dem Tisch steht.«
Gertrud musste schon wieder die Stirn runzeln. Zwei fast erwachsene Kinder, die sich anscheinend von ihrer Mutter von vorn und hinten bedienen ließen. Vielleicht konnte sie später einmal, wenn sie sich besser kannten, diesbezüglich korrigierend eingreifen.
Als Martin Burkhardt weit nach zwanzig Uhr nach Hause kam, war Carla bereits leicht nervös. So spät kam ihr Mann fast nie heim, obwohl, wenn sie recht überlegte, es in letzter Zeit doch auffällig oft vorgekommen war.
Gertrud erhob sich neugierig und verließ ihren Platz auf der Couch.
»Martin«, stellte Carla vor, »das ist Frau Gertrud Klampfl. Sie wohnt in unserer Straße und ich konnte sie heute dafür gewinnen, mir im Haushalt zu helfen.«
Unauffällig ließ Martin Burkhardt seine Augen über die kleine nichtssagende Frau wandern. »Wie erfreulich für dich, Carla! Willkommen in unserem Haus, Frau Klampfl!« Er lächelte charmant.
Martin Burkhardt war groß gewachsen mit brünetten, leicht gewellten Haaren, klugen braunen Augen, einem schmalen schneidigen Mund und einer scharfen Nase. In dem hellbraunen Jackett aus englischem Tweed sah er aus, wie sich Gertrud einen richtigen Professor vorstellte. Ein ausgesprochen attraktiver Mensch, dachte sie bewundernd, wie überhaupt die ganze Familie – mit Ausnahme der Tochter. Als sie Herrn Burkhardt dann etwas scheu die Hand gab, reichte ihre Nasenspitze gerade mal an seine Brust heran.
Stefanie, die die letzten zwanzig Minuten damit verbracht hatte, ihren Freunden auf Facebook zu posten, welch grausamen Tod ihr Blacky erleiden musste, polterte jetzt die Wendeltreppe herunter, getrieben von dem Wunsch, ihrem Vater die furchtbare Nachricht persönlich zur Kenntnis zu bringen. Mit Grabesstimme verkündete sie: »Dad, Black Sabbath ist tot!«
Martin Burkhardt, etwas angeschlagen von einem arbeitsreichen Tag und mit dem Aktenkoffer noch in der Hand, stand mitten im Wohnzimmer. »Wie? Wurde er überfahren?«
»Nein! Er wurde meuchlings ermordet!« Stefanie warf sich weinend in seine Arme.
Martin Burkhardt streichelte seiner Tochter über den Kopf. »Das tut mir so schrecklich leid, Steffi. Weiß man, wer das getan haben könnte?«
»Keine Ahnung! Mami will die Polizei ja nicht einschalten, wen kümmert schon eine Katze!«
Nun schlug Gertruds Stunde.
Sie holte kräftig Luft, blies ihren Körper zu voller Breite auf und verkündete: »Möglicherweise kann ich zur Aufklärung beitragen!«
Alle Familienmitglieder wandten ihr überrascht die Köpfe zu.
Erfreut, einmal im Mittelpunkt zu stehen, und genau deswegen plötzlich ein wenig verlegen, erzählte Gertrud von ihrer Begegnung mit Herrn Wallner.
»Kennen Sie den alten Wallner von der Nummer 32? Den hab ich in sein Haus verschwinden sehen, kurz bevor ich Blacky gefunden hab.«
»Herr Wallner?«, wiederholte Carla. »Den kennen wir natürlich. Zwar nur flüchtig, aber wir sehen ihn ab und zu auf der Straße und grüßen.«
»Ich glaub, der hat was mit Blackys Tod zu tun!«, prophezeite Gertrud düster.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, meinte Carla skeptisch. Sie kannte den alten Wallner zwar als eigenbrötlerischen Nachbarn, aber als bösartigen Tierquäler? Auch hatten sie nie Streit mit ihm gehabt.
»Wenn er es war, bring ich ihn um!«, schrie Stefanie unbeherrscht.
»Er ist eine ganze Zeit lang vor Ihrem Haus gestanden«, berichtete Gertrud. »Ich konnte ihn zwar hinter der Straßenbiegung nicht direkt sehen, aber bevor er zurück in sein Haus ging, hab ich die arme Mieze schreien gehört. Und außer mir und ihm war kein Mensch auf der Straße. Ich sag Ihnen, der Mann hat Ihre Katze auf dem Gewissen!«
Noch während Gertrud sprach, war Stefanie aus dem Zimmer gestürmt. Sie hörten die Haustür zuschlagen und Carla konnte ihr nur noch hilflos hinterhersehen.
»Hoffentlich macht sie jetzt keine Dummheiten!«, seufzte sie ängstlich.
Gertrud stand neben Herrn Burkhardt und verschränkte zufrieden die Arme.
Herr Burkhardt bemerkte: »Noch haben wir keine Selbstjustiz!« Er wandte sich der Treppe zu.
»Wohin willst du, Martin?«
»Ich habe ein paar dringende Unterlagen zu bearbeiten. Übrigens, gibt es heute noch etwas zu essen?«
Carla, die wusste, wenn ihr Mann einmal in seinem Arbeitszimmer verschwand, war er blind und taub für alles andere, was im Haus geschah, wollte sich in Gertruds Gegenwart nicht mit ihm streiten.
»Warte doch wenigstens, bis Steffi wiederkommt«, bat sie.
Herr Burkhardt stellte den Aktenkoffer ab. »Steffi übertreibt«, sagte er. »Natürlich ist Black Sabbaths Tod für sie persönlich eine Tragödie, aber sie kann doch jetzt nicht herumlaufen und den Nächstbesten beschuldigen.«
»Ich finde halt«, warf Gertrud ein, »dass man der Sache wenigstens auf den Grund gehen sollte. Wenn es eins dieser verbotenen Fangeisen war, können wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Es könnten sich auch andere Tiere darin verfangen, im schlimmsten Fall sogar kleine Kinder. Finden Sie das wirklich so harmlos, Herr Burkhardt?«
Martin Burkhardts Blick wanderte zu der kleinen fremden Frau, die ihn mit vorwurfsvollen Rosinenaugen taxierte.
»Natürlich nicht«, erwiderte er und fühlte sich von der neuen Hilfskraft schon jetzt bevormundet. »Ich bin heute nur etwas überarbeitet und habe Hunger.«
»Ich dachte, du hättest unterwegs eine Kleinigkeit gegessen«, sprach ihn seine Frau mit einem leichten Unterton in der Stimme an. »Ich meine nur – weil es heute so spät geworden ist.«
»Ich kam nicht zum Essen.«
»Ich kann für uns alle eine Pizza machen«, bot Carla an.
Gertrud war dem Gespräch der beiden mit Neugierde gefolgt. Herr Burkhardt sah zwar etwas müde aus, aber ihn schien weder das Schicksal der Katze und schon gar nicht Herr Wallner besonders zu interessieren. Solange sein Umfeld reibungslos funktionierte, dachte sie, war er zufrieden. Sobald aber ein Ereignis eintrat, das diese Harmonie störte, geriet sein Alltag ins Wanken. Typisch Mann! Da konnte auch die zivilisierte Fassade nicht darüber hinwegtäuschen. Und dann auch noch Fertigpizza! Wenn Frau Carla ihr den Kühlschrank, oder besser noch die ganze Küche überlassen würde, könnte sie in Null-Komma-nix ein richtiges Abendessen zaubern.
Stefanie trampelte ins Zimmer herein. »Dieses Stinktier macht die Tür nicht auf!«, schrie sie. »Ich weiß aber, dass er zu Hause ist!«
»Darf ich mich einmischen?«, wollte Gertrud wissen. »Ich persönlich finde halt, dass man die Polizei verständigen sollte. Wenn es ein Fangeisen war und es dem alten Wallner gehört, muss er dafür zur Rechenschaft gezogen werden, denn die sind illegal.«
»Da gebe ich Gertrud recht«, sagte Stefanie unter Tränen. »Mein Blacky ist mitten auf der Straße verreckt, bei diesem Gewitter … ich möchte mir das gar nicht vorstellen!«
Gertrud fuhr dem Mädchen einmal scheu und unbeholfen über die Wange, darauf achtend, sich nicht in ihrem silbernen Nasenring zu verfangen. Trotz ihrer aufsässigen Art hatte sie es nicht verdient, schon in so jungen Jahren Bekanntschaft mit dem Tod machen zu müssen.
»Die ganze Welt ist voller Arschlöcher!«, brachte Stefanie es auf den Punkt, und Gertrud nickte heftig ihre Zustimmung.
In dieser Hinsicht hatte sie mit dem Mädchen eine Gemeinsamkeit gefunden.
Auf Drängen von Gertrud und Stefanie wurde zwei Tage später doch die Polizei eingeschaltet. Sie erschien in Gestalt eines jungen Inspektors namens Paul Junghans und einer Polizistin in Uniform namens Maja Fröschl.
Und tatsächlich, hinter einer verdorrten Hibiskushecke auf dem leeren Grundstück neben ihrem Haus, wurden die Reste von Blackys Körper gefunden – zwei schlanke schwarze Hinterbeinchen. Ob durch eine Falle oder ein Werkzeug vorsätzlich abgetrennt, stand noch nicht fest.
Vor Stefanie hielt man den grausigen Fund fern, aber für Stefanie war der Fall ohnehin klar: Der Mörder war der bösartige Wallner! Gertrud hatte ihn ja eindeutig identifiziert. Noch ehe die Polizei sich dazu bequemte, Herrn Wallner ins Verhör zu nehmen, nahm sie die Sache selbst in die Hand. Gleich nach der Schule stellte sie ihr Fahrrad vor dem Haus Nummer 32 ab. Argwöhnisch beobachtete sie das nahe Umfeld und hoffte, durch die offenen Vorhänge die Visage des Katzenmörders zu erblicken. Durch die schmutzigen Fenster blickte sie aber nur in eine altmodische Küche und ein leeres Wohnzimmer. Vielleicht aber schlief er ja, der alte Bösewicht, hielt ein Nickerchen und träumte schon vom nächsten Mord an einem unschuldigen Tier.
Resolut betätigte sie die Glocke am Gartentor. Sie läutete Sturm, aber nichts rührte sich. Kurz entschlossen drückte sie die Klinke herunter und fand sich in einem vernachlässigten Vorgarten. Sie hämmerte an die Haustür, aber niemand öffnete. Schließlich kämpfte sie sich durch das Unkraut zur Hinterseite des Hauses, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte durch eines der Fenster. Gleich darauf prallte sie zurück und wäre beinahe über einen verdorrten Brennnesselstrauch gestolpert.
Um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht bloß etwas eingebildet hatte, stellte sie sich erneut auf die Zehenspitzen und drückte sich die Nase an der halbblinden Fensterscheibe platt. Und dort, auf dem verdreckten Linoleumfußboden, lag der alte Wallner in seinem Blut! Rund um seinen Kopf hatte sich ein kleiner roter See gebildet, der schon ein wenig eingetrocknet zu sein schien.
Im ersten Moment wurde Stefanie beinahe schlecht, aber es dauerte nicht lange, bis der kurzfristige Schock von hämischer Schadenfreude abgelöst wurde. Irgendjemand hatte dem Mörder den Garaus gemacht. Im Stillen sprach sie, wem auch immer, ihren Dank dafür aus.
Es war fünfzehn Uhr und sie schob ihr Fahrrad über die Straße zu ihrem Haus. Dort gab ihre Mutter der neuen Putze gerade Anweisungen.
»Stell dir vor, Mami!«, rief Stefanie aufgeregt. »Der alte Wallner ist tot!«
»Steffi!«, rief ihre Mutter entsetzt. »Was redest du denn da?«
Nur Gertrud schien sich ehrlich mit ihr zu freuen.
Carla Burkhardt hielt diese Nachricht für bloßes Wunschdenken ihrer Tochter. Entsetzt war sie nicht so sehr über den wahrscheinlich ohnehin nur eingebildeten Tod des Nachbarn, sondern über die offene Freude darüber. Sie umklammerte den Griff eines Staubsaugers, denn sie war gerade dabei gewesen, Gertrud zu erklären, wie das Gerät funktionierte. Nach Gertruds apathischem Gesicht zu schließen, schien dieser die Handhabung eines gewöhnlichen Staubsaugers jedoch sonnenklar zu sein.
»Dann geh doch selbst rüber«, forderte Stefanie ihre Mutter auf. »In seinem Schlafzimmer liegt er – mausetot.«
»Entschuldigen Sie mich, Gertrud«, wollte Carla dem Spuk ein Ende setzen und fasste ihre Tochter am Arm. »Du gehst jetzt mit mir zu Herrn Wallner und klärst die Sache auf.«
Stefanie schnitt eine Grimasse in Vorfreude auf das, was ihre Mutter erwartete, und fragte: »Wollen Sie mitkommen, Gertrud?«
Gertrud wischte sich erst einmal gründlich an ihrer Kleiderschürze die Hände ab und grinste gut gelaunt: »Da komm ich doch glatt mit! So was lass ich mir doch nicht entgehen! Wenn der alte Wallner wirklich tot ist, weine ich ihm keine einzige Träne nach.«
Es war zwar ziemlich dunkel, da der Himmel wolkenverhangen war, aber Gertrud und ihre Mutter würden noch genug sehen, wie es um den alten Wallner stand. Stefanie freute sich bereits über das Gesicht ihrer Mutter.
Carla läutete einige Male vergeblich am Gartentor und Stefanie stand mit verschränkten Armen und rollenden Augen daneben. Ihre Mutter konnte hier bis zum Nimmerleinstag warten, davon wurde der Katzenmörder auch nicht wieder lebendig.
Mit ihrer Geduld am Ende drückte Stefanie die Klinke herunter und schritt durch das Tor.
»Du kannst doch nicht …«, fiel Carla ihrer Tochter in den Arm.
»Willst du nun die Wahrheit sehen oder nicht?«
Als von ihrer Mutter nur ein Seufzen kam, schritt sie energisch voran, durch den vorderen Garten bis zur Hinterseite des Hauses. Dort zeigte sie stumm mit dem Finger auf das Fenster.
Da Carla Burkhardt um einen Kopf größer als ihre Tochter war, musste sie sich nicht erst auf die Zehenspitzen stellen. Ein Blick genügte und sie erkannte, dass Stefanie die Wahrheit gesagt hatte. Herr Wallner lag mit verrenkten Gliedmaßen auf dem Fußboden neben seinem Bett und um seinen Kopf herum hatte sich eine Blutlache gebildet. Entsetzt wandte sie sich ab und musste sich kurz an Gertrud festhalten.
Gertrud wollte ungeduldig wissen: »Was ist? Ist er tot?«
Stefanie grinste. »Tot wie ein Sargnagel!«
»Wir müssen sofort die Polizei verständigen!«, stieß Carla hervor.
»Na, glaubst du mir jetzt? Hab ich zu viel versprochen?«
Bei Gertrud nützte selbst ein Sich-auf-die-Zehenspitzen-stellen nichts. »Ich will ihn auch sehen!«, murrte sie und reckte den Hals.
»Kommen Sie!«, bot Stefanie ihr an. »Ich mach Ihnen die Räuberleiter.«
»Stefanie …!«, stammelte Carla bestürzt. »Da drinnen liegt ein Toter, das ist doch keine Show!«
»Ich finde es nur gerecht, wenn er tot ist. Wer weiß, wie viele arme Tiere dieser Bösewicht noch auf dem Gewissen hat, von denen wir gar nichts wissen.«
Gertrud raffte ihren Kittel hoch und stellte sich vorsichtig auf Stefanies verschränkte Arme. »Denken Sie, Sie können mein Gewicht tragen?«, erkundigte sie sich vorsichtshalber. »Ich bin schließlich nicht gerade eine Gazelle.«
»Klammern Sie sich einfach am Fenstersims fest, dann wird’s schon gehen. Ich pushe, Sie ziehen. Go!«
Mit einem kräftigen Schubs stieß sie Gertruds Hinterteil hoch und Gertrud fing an zu kichern. An dieser Stelle hatte sie schon sehr lange niemand mehr angefasst. Sie warf einen flackernden Blick ins Zimmer und verzog gleich darauf das Gesicht. »Ei, ei, wer liegt denn da? Schöne Grüße an die Hölle, Herr Wallner …«
Carla Burkhardt traute ihren Augen und Ohren nicht. Ihre neue Hilfskraft mitsamt der eigenen missratenen Tochter schienen am Tod eines Menschen geradezu Gefallen zu finden!
»Wir verständigen sofort die Polizei!«, rief sie energisch.
Stefanie ließ Gertrud ziemlich unsanft zu Boden gleiten. Als Gertruds Füße die Erde berührten, hatte ihr Gesicht richtig Farbe bekommen. Sie richtete sich schnell die Kleiderschürze zurecht, die durch diese Gymnastik anstößig weit hinaufgerutscht war und den Blick auf ihren baumwollenen Liebestöter preisgegeben hatte. Unter anderen Umständen wäre ihr das jetzt furchtbar peinlich gewesen, aber im Augenblick war ihr selbst das egal. So viel Schadenfreude hatte sie nämlich schon seit langem nicht mehr empfunden.
Inspektor Paul Junghans nahm den Anruf auf seinem Diensthandy entgegen. In seiner eigenen Gemeinde, in Keltenberg, in der Kirchgasse Nummer 32, soll eine männliche Leiche gefunden worden sein! Er selbst war gerade im idyllischen Gießhübl im Wienerwald unterwegs, wo vor kurzem auf der A21 ein Unfall mit Personenschaden und anschließendem Raufhandel stattgefunden hatte. Trotz Magenverstimmung und Restalkohol von letzter Nacht gab er sich Mühe, vor den Kollegen nicht unangenehm aufzufallen. Nach den unumgänglichen Amtshandlungen und der Festnahme der beiden Übeltäter, wollte er sich sofort auf den Weg machen. Er telefonierte sicherheitshalber schon nach einem Sanitätswagen und der Spurensicherung, bevor der Tatort verunreinigt wurde. Denn die Anruferin, eine gewisse Gertrud Klampfl, war ziemlich sicher, dass es sich um Mord handelte. Unfall war ausgeschlossen! Es musste unbedingt Mord sein. Manche Leute schienen sich das direkt herbeizuwünschen.
Eine Leiche aber, ob Mord oder Selbstmord, mitten in seinem Zuständigkeitsbereich, wäre dennoch sensationell! Die erste Leiche in seinen achtundzwanzig Lebensjahren und den sechs Jahren bei der Polizei – mit Ausnahme der zahlreichen Schnapsleichen! Zwar war er erst vorgestern zu einer echten Leiche gerufen worden, dann hatte sich aber herausgestellt, dass es sich um eine tote Katze gehandelt hatte! Manche Leute machten da echt keinen Unterschied.
Bis jetzt hatte er es bloß mit quakenden Fröschen in Bioteichen zu tun gehabt, die die Nachbarn nervten, einem Einbruch oder den üblichen Wirtshausschlägereien. Raub war bereits die Ausnahme. Er sah das alles ziemlich entspannt, bis auf ein einziges Mal. Da hatte es im Ort eine Vergewaltigung gegeben. Ein junges Mädchen war unter Drogen gesetzt und von einer Gang missbraucht worden. Vergewaltigung war das einzige Delikt, das Paul Junghans richtig ausrasten ließ. Sexualstraftätern gegenüber konnte er knallhart sein. Die Bande hatte folglich auch nicht viel zu lachen gehabt und würde sich an den jungen Inspektor noch sehr lange erinnern.
Aber Mord war eine ganz neue Kategorie!
Paul Junghans stieg in seinen noch fast neuen Passat Touran, schlug den hochgestellten Kragen seiner schwarzen Lederjacke zurück und kontrollierte im Rückspiegel noch schnell seine Erscheinung. Dunkelblonder Kurzhaarschnitt, lachende bernsteinfarbene Augen – heute ein wenig rot unterlaufen von der Party letzte Nacht – ein schlankes markantes Gesicht mit einer natürlichen Bräune, einen Viertagebart und schön geschwungene volle Lippen. Seine Wirkung auf Frauen war verheerend – meist für die Frauen, die sich schon nach wenigen Minuten Hals über Kopf in ihn verknallten. Aber Paul Junghans war wählerisch.
Er fuhr sich einmal kurz und selbstverliebt über die modische Frisur. Bislang war es noch keiner Frau gelungen, ihn dauerhaft an sich zu binden, denn seine Ambitionen bezüglich Frauen und Beruf blieben nicht auf seinen Bezirk Mödling beschränkt – sein erklärtes Ziel war, in Wien Karriere zu machen!
Halbwegs zufrieden mit seinem Erscheinungsbild stieg er auf das Gaspedal. Bis zur Karriere in Wien würde er sich allerdings noch ein wenig mehr anstrengen müssen, daher käme eine echte Leiche gerade sehr gelegen.
Mit dem Gas geben wurde es vorerst nichts, denn er geriet mitten in einen Stau. Aus dem Handschuhfach nahm er das Blaulicht mit der Magnethalterung und knallte es auf das Wagendach. Dann raste er, sofern man bei den Wagenkolonnen von Rasen sprechen konnte, nach Keltenberg zurück. Punkt sechzehn Uhr dreißig stellte er den Wagen vor dem Haus in der Kirchgasse Nummer 32 ab.