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Reclams "Fremdsprachen-Lektüreschlüssel" folgen dem bewährten Aufbau- und Darstellungsprinzip der Lektüreschlüssel zur deutschen Literatur. Sie beziehen sich auf den fremdsprachigen Originaltext (wenn möglich in Reclams Roter Reihe), sind aber auf Deutsch verfasst und unterstützen ebenso die Lektüre der deutschen Übersetzung. Eine "Checkliste" enthält Aufgaben zur Verständniskontrolle in der Fremdsprache. Unter dem Darstellungstext stehen Übersetzungshilfen und Schlüsselbegriffe in der Fremdsprache, um die Bearbeitung dieser Aufgaben und ein fremdsprachiges Referieren über das Werk zu erleichtern. Lektüreschlüssel erschließen einzelne literarische Werke. Um eine Interpretation als Zentrum gruppieren sich 10 wichtige Verständniszugänge: * Erstinformation zum Werk * Inhaltsangabe * Personen (Konstellationen) * Werk-Aufbau (Strukturskizze) * Wortkommentar * Interpretation * Autor und Zeit * Rezeption * "Checkliste" zur Verständniskontrolle * Lektüretipps mit Filmempfehlungen * Raum für Notizen Das Aufeinanderprallen von traditionellen islamischen Werten mit denen moderner laizistischer Gesellschaften hat in Frankreich als ehemaliger Kolonialmacht besondere Brisanz. Die in den Einwandererfamilien aus dem Maghreb entstehenden Konflikte betreffen vor allem die Mädchen. In "Nées en France" sammelt Wolfgang Ader Zeugnisse in Frankreich geborener junger Musliminnen, die ›auszubrechen‹ versuchen und dabei erschütternde Schicksale erleiden.
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Seitenzahl: 73
Nées en France
Jeunes musulmanes dans la société laïque
Von Pia Keßler und Tülin Aytimur
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe in der Originalsprache: Nées en France. Jeunes musulmanes dans la société laïque. Textes et dossier. Hrsg. von Wolfgang Ader. Stuttgart: Reclam, 2005. (Universal-Bibliothek. 9139.)
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2015
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960860-0
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015445-8
www.reclam.de
Inhalt
Vorwort zum Thema
A
Née en France. Histoire d’une jeune beur
A 1 Erstinformationen zum Werk und zu den Autorinnen
A 2 Inhalt
A 3 Personen
A 4 Handlungsstruktur und Erzähltechnik
B 1
La Fatiha. Née en France, mariée de force en Algérie
B 1.1 Erstinformationen zum Werk und zur Autorin
B 1.2 Inhalt
B 1.3 Personen
B 1.4 Struktur und Erzähltechnik
B 2
Ils disent que je suis une beurette
B 2.1 Erstinformationen zum Werk und zur Autorin
B 2.2 Inhalt
B 2.3 Die Familie
B 3
Bas les voiles!
B 3.1 Erstinformationen zum Werk und zur Autorin
B 3.2 Inhalt
B 3.3 Textsorte und Erzähltechnik
C 1
Les jeunes Africaines
C 2
Les mariages forcés
C 3
Une loi? Non
D
Ni Putes Ni Soumises!
Schlusswort
Dossier pédagogique
Lektüretipps und Medienempfehlungen
Anmerkungen
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
Vorwort zum Thema
Die Bilder auf den beiden folgenden Seiten verdeutlichen bereits die gesamte Thematik von Nées en France – Jeunes musulmanes dans la société laïque. Wie auch immer sich muslimische Frauen in der westlichen Welt verhalten, sie müssen sich positionieren. Sie müssen sich positionieren zu ihrem Vater, zu ihrem Partner oder Ehemann, zu ihrer Familie, zur Gesellschaft im Allgemeinen. Ob nun die Diskussion über Schleier, Kopftuch, Burkini, westliche Kleidung – es geht immer um die Auseinandersetzung mit zwei Kulturen, mit zwei Religionen, mit zwei Weltanschauungen, auch, wenn die Frau schon der dritten Einwanderergeneration angehört. Die Texte, die unter dem Titel Nées en France zusammengestellt sind, stammen allesamt aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts und sollten nicht dazu verleiten, in Klischees abzurutschen. Es gibt sie, die muslimischen Frauen, die den Spagat geschafft haben, die – verschleiert oder unverschleiert – ihre Position in Frankreich oder allgemeiner in der westlichen Welt gefunden haben und diese auch behaupten, in der Schule, in der Universität, im Beruf. Auch wenn die Textauswahl nahelegen könnte, dass es nur Schwarz oder Weiß, nur unterdrückte und zwangsverheiratete Musliminnen auf der einen Seite und freie, selbstbestimmte westliche Frauen auf der anderen geben könnte.
© picture alliance / dpa-Zentralbild
Assia Djebar
© picture alliance / dpa
»J’écris, comme tant d’autres femmes écrivains algériennes avec un sentiment d’urgence, contre la régression et la misogynie« (Assia Djebar1).
Die Biographie und das Werk der im Februar 2015 verstorbenen algerischen Schriftstellerin Assia Djebar zeigen beispielhaft zum einen den Kampf der maghrebinischen Frauen um Gleichberechtigung, zeigen aber auch, dass das oben erwähnte Schwarz/Weiß längst durchbrochen ist.
Assia Djebar ist die bekannteste und renommierteste maghrebinische Romanautorin, Theaterschriftstellerin, Filmemacherin, Historikerin. Sie war seit 2006 Mitglied der Académie française, lebte in Paris und New York und thematisierte immer ihre algerische Herkunft, ihre traditionelle Sozialisation und den »clash of cultures«. Ein besonderes Anliegen war ihr in jedem ihrer Werke die Rolle der Frau im Maghreb, in Algerien. Sie hat für Gleichberechtigung gekämpft und geschrieben. Sie fühlte sich den Frauen, um die es in dieser Textsammlung geht, in jeder Hinsicht sehr verbunden.
Der erste Text »Née en France. Histoire d’une jeune beur« thematisiert den »clash of cultures« zwischen den Einwanderern der ersten Generation und den Töchtern, die in Frankreich geboren wurden. Es geht um den Konflikt zwischen privatem und öffentlichem Leben von Aïcha, um das »Drinnen« im Gegensatz zum »Draußen«, um das Leben in der traditionellen Familie und den Schulbesuch eines staatlichen Gymnasiums in Frankreich und um die psychischen Probleme, die ein solches Leben mit sich bringen kann. Im zweiten Text »La Fatiha« geht es um die Ausübung elterlicher – vor allem mütterlicher – Gewalt. Die Mutter, die im Maghreb männlich dominierte Verhaltensweisen und Unterdrückung erlebt hat, überträgt diese unkritisch auf ihre Tochter. Im dritten Text »Ils disent que je suis une beurette« spielen sowohl die Mutter als Traditionswahrerin und verlängerter Arm des autoritären Vaters als auch der gewalttätige und ebenfalls stark unter dem »clash of cultures« leidende ältere Bruder eine wichtige Rolle. Im vierten Text »Bas les voiles!« geht es um die Frage der Verschleierung der islamischen Frau und die Reaktionen der westlichen Frauen darauf. Die drei Zeitungsartikel »Les jeunes Africaines, nouvelles championnes de l’intégration«, »Les mariages forcés déchirent des familles issues de l’immigration« und »Une loi? Non«, sowie der Aufruf »Ni Putes Ni Soumises!« regen die Diskussion über die Thematik »Verschleierung, Kopftuch, Zwangsehe, Integration« an. Die Textsammlung kann den Austausch über diese Themen, die längst auch in Deutschland heftig diskutiert werden, beflügeln und die Schüler/innen zu einer Stellungnahme jenseits von Klischees und unverrückbaren Meinungen herausfordern.
verdeutlichen: expliquer
sich positionieren, Stellung beziehen: prendre position (f.)
Schleier: le voile (islamique)
Kopftuch: le foulard (islamique)
Burkini: le burkini; la burka et le bikini – maillot de bain pour les femmes musulmanes
Weltanschauung: la conception du monde
Einwanderergeneration: la génération d’immigrants (m.); einwandern: immigrer; Einwanderer: un immigrant / une immigrante; Einwanderung: l’immigration (f.)
abrutschen in: sombrer dans
Spagat: le grand écart
verschleiert: voilé, e
unterdrücken: opprimer; Unterdrückung: l’oppression (f.)
zwangsverheiratet: marié, e de force; jdn. zwangsverheiraten: marier qn de force
selbstbestimmt: autonome
une urgence: Notwendigkeit
la misogynie: Frauenfeindlichkeit
unter etwas leiden: souffrir de qc
Verschleierung: le port du voile (islamique)
Zwangsehe: le mariage forcé
schwerpunktmäßig: particulièrement
mit Migrationshintergrund: issu, e de l’immigration
denen die Integration gelungen ist: qui ont réussi à s’intégrer
Ursprungsland: le pays d’origine
A Aïcha Benaïssa / Sophie Ponchelet: Née en France. Histoire d’une jeune beur
A 1 Erstinformationen zum Werk und zu den Autorinnen
Die französische Journalistin Sophie Ponchelet beschäftigt sich schon seit vielen Jahren schwerpunktmäßig mit dem Thema »Biographien von Frauen mit Migrationshintergrund«, denen die Integration in Frankreich gelungen ist. Im Jahr 1999 hat sie unter dem Titel Françaises zusammen mit der Journalistin Valérie Dumeiges die Biographien von sechs Frauen veröffentlicht, die entweder aus ihrem Ursprungsland nach Frankreich gegangen sind oder deren Eltern oder Großeltern Immigranten waren. Es ist ein Thema, das ihr offensichtlich am Herzen liegt.2 Im Jahr 19903 hat sie eine Umfrage zu den »beurettes« gemacht und in diesem Zusammenhang Aïcha Benaïssa kennengelernt. Der Name ist ein Pseudonym, weil die Autorin von ihrer Familie nicht identifiziert werden wollte aus Angst vor Strafen. Sophie Ponchelet konnte die junge Frau nach einigem Zögern dazu bewegen, ihre Geschichte mitzuteilen, sie zu veröffentlichen. Es geht ihr nicht darum, ihren Eltern Vorwürfe zu machen, sie möchte sie nur verstehen.
Wichtig ist ihr zu betonen, dass die Eltern weder in ihren Traditionen fundamentalistisch noch in irgendeiner Weise fanatisch sind, höchstens verwurzelt. Hier allerdings wird der Zusammenhang mit der Rolle Frankreichs deutlich: »Ces parents sans doute d’autant plus accrochés à leurs coutumes et à leurs traditions, qui’ils se sentent aujourd’hui de plus en plus rejetés par la société française et en totale rupture avec leurs propres enfants« (TI, S. 137).
*A 2 Inhalt
Das kabylische Sprichwort, das der autobiographischen Erzählung vorangestellt ist, bringt die Problematik der Erzählung auf den Punkt: »Une fille, on l’élève pour la maison des autres« (11,5). Thema ist die Rolle eines traditionell erzogenen muslimischen Mädchens in der Gesellschaft.
Ein Brief an den Schulleiter Brief an den Direktor ihres Gymnasiums dient als Exposition. Er ist eine Art Hilferuf und erklärt die verzweifelte Situation Aïchas: Ihre Eltern haben sie während einer Reise in deren Heimatland Algerien gegen ihren Willen dort gelassen und ihre Rückkehr nach Frankreich verhindert. Sie erklärt zunächst den Auslöser: Aïcha hat ihnen ihren Freund Antonio, den der Direktor offensichtlich kennt, vorgestellt, was den Vater zu diesem Schritt bewogen hat. Er hat ihr seinen Entschluss am Telefon mitgeteilt. Aïchas Pass wird von ihrer Mutter, die sich ebenfalls mit ihr in Algerien befindet, unter Verschluss gehalten und der Vater droht ihr für den Fall einer Zuwiderhandlung mit dem Tod.
Es ist offensichtlich, dass Aïcha sich an niemand anderen wenden kann, weshalb sie in höchster Verzweiflung den Direktor mehrmals um Hilfe Hilferuf anfleht (12,14 f.; 13,11 f., 23 f.). Sie wird rund um die Uhr bewacht, soll zwangsverheiratet werden und will Algerien um jeden Preis verlassen. Sie warnt den Direktor sowohl vor ihrem Vater als auch vor den algerischen Behörden.
Auch dem anschließenden Rückblick Rückblick ist ein Spruch vorangestellt, der die Rolle der Frau bzw. hier des Mädchens thematisiert: »Attention aux garçons« (15,2). Wir erfahren etwas zu Aïchas Herkunft, sie gehört zur zweiten Generation kabylischer Einwanderer in Frankreich, sie ist das älteste von fünf Kindern, vier Mädchen und einem Jungen. Sie betont, dass ihre Eltern sie immer geliebt haben, dass allerdings ihre Vorstellungen von dem, was für sie gut sei, nicht mit den ihren übereinstimmten.
Sehr früh hat sie den Kulturunterschied Kulturunterschiede