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Lena ist entsetzt und nicht mal das Wunschbuch kann ihr jetzt noch weiterhelfen. Lucas kommt zu Besuch und alles sollte ganz perfekt werden, doch die Sache läuft völlig aus dem Ruder. Statt gemeinsam eine schöne Zeit zu haben, ist er auf einmal wütend auf sie. Und dann muss Lena sich schließlich entscheiden: das Wunschbuch oder Lucas?
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Seitenzahl: 275
Stefanie Dörr
Lenas verliebtes Wunschbuch
Glücklich hoch zwei
Weitere Titel von Stefanie Dörr im Arena-Taschenbuchprogramm Lilly sucht die Superfreundin (Band 50458) Majas total verdrehte Welt (Band 50339)
Weitere Titel in dieser Reihe: Lenas geheimes Wunschbuch. Von unerklärlichen Schulhofkatastrophen, oberpeinlichen Liebeserklärungen und besten Freundinnen in Not Lenas urlaubsreifes Wunschbuch. Liebe Grüße aus dem Chaos
Stefanie Dörr,1967 in Stuttgart geboren, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete jahrelang in Werbung und Marketing, bevor sie sich als freie Texterin und Beraterin selbstständig machte. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Frankfurt am Main und schreibt Romane für Kinder und Jugendliche.
1. Auflage als Arena-Taschenbuch 2014 © 2012 Arena Verlag GmbH, Würzburg, Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Frauke Schneider Umschlagtypografie: knaus. büro für konzeptionelle und visuelle identitäten, Würzburg ISSN 0518-4002 ISBN 978-3-401-80407-1
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Kapitel 1
Zappel doch nicht so!«, zischte Hannah, als Lena zum dritten Mal aufsprang, um Goethe von seiner verwickelten Leine zu befreien.
»Meinst du Goethe oder mich?«, fragte Lena und drückte den Po ihres Hundelieblings zum gefühlt hundertsten Mal energisch auf den Boden.
»Euch beide. Es bringt null, wenn du hier rumhampelst. Er kommt, wenn er kommt. Da kannst du lange darüber nachdenken, ob es jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, dass er sich verspätet.« Geschickt fing Hannah ihre Cola auf, die Lena fast umgestoßen hätte.
»Ich bin aber so aufgeregt. Wie es ihm wohl ergangen ist? Ich meine, der erste Tag ist doch wahnsinnig spannend und wichtig für ihn…«
» Du klingst wie seine Mutter«, meinte Hannah trocken und beobachtete Goethe, der auf dem Bauch unter den Nachbartisch robbte, um an einen Muffin heranzukommen, mit dem ihn ein Kind lockte.
»Schau«, erklärte Lena, »ich bin einfach kribbelig, weil ich ihm so viel Gutes gewünscht habe und nicht weiß, ob alles glattläuft. Ich möchte doch bloß, dass diese drei Wochen für Lucas perfekt werden.«
Kurz bevor Goethe sein Ziel erreicht hatte, schnappte sie ihn an der Leine und zerrte ihn energisch zurück. Hund und Kind zogen lange Gesichter, Lena wies beide mit einem strengen Blick zurecht. Ihr riesiger Zottelhund war in dem überfüllten Café schlichtweg eine Plage. Ständig wuselte er um ihren Tisch herum, verwandelte die Sitzgruppe in eine knotige Installation aus Stuhl-, Tisch- und Mädchenbeinen und benahm sich überhaupt ausgesprochen unerzogen. Das trug nicht gerade zu ihrer Beruhigung bei. Und Hannah meckerte bestimmt auch nur, weil sie flattrige Nerven hatten. So wie die seit einer halben Stunde an ihrer Cola nuckelte und ständig zum Eingang hinüberschielte.
Es gab ja auch allen Grund zur Aufregung. Lena konnte es noch immer kaum glauben, dass Lucas endlich bei ihr war. Wochenlang hatte sie darauf gebangt, sich alles in den wildesten Farben ausgemalt und Angstzustände durchlebt. Und gestern endlich war er angekommen: Für ganze drei Wochen gehörte Lucas ihr – nun ja, und dem Sender »Worldradio«, bei dem er ein Praktikum gewonnen hatte.
»Du weißt ja, das Wunschbuch macht manchmal, was es will, ich befürchte einfach, dass mal wieder etwas schiefgeht.«
»Gerade weil du nur das Beste für ihn möchtest, hättest du das mit der Wünscherei mal schön lassen sollen. Hast du nicht schon genug Probleme damit, dass du dir Lucas überhaupt herbeigeschrieben hast?«
»Ich habe ihn nicht herbeigewünscht«, ärgerte sich Lena. »Also, nicht direkt jedenfalls. Ich wollte, dass er den Wettbewerb gewinnt und das Praktikum beim Radiosender bekommt, mehr nicht.«
»Und wenn es in einer anderen Stadt gewesen wäre, hättest du ihn dann auch so eifrig bei seiner Bewerbung unterstützt?« Dass Hannah aber auch immer so gemein bohren musste. Ehrlich, Hannah war hier in der Stadt ihre beste Freundin, noch dazu wohnten sie im selben Haus und sie war normalerweise der netteste Mensch, den Lena kannte. Was man gerade gar nicht glauben konnte, wenn man sie so sticheln hörte. Lena holte tief Luft. Die Sache mit Lucas war echt kompliziert. Schon jetzt.
»Als er mir von dem Wettbewerb erzählt hat, wusste ich gleich, was zu tun ist. Ich wollte ihm doch nur eine Freude machen.« Zugegeben, sie klang ein bisschen unsicher und prompt verzog Hannah skeptisch das Gesicht.
» Ah ja, völlig selbstlos mal wieder. Weil du Lucas eigentlich total doof findest und gar nicht willst, dass er hier ist.« Jetzt grinste sie frech. Immerhin wusste Hannah genau, dass Lena Lucas… nun ja, was eigentlich? Dass sie Herzklopfen bekam, sobald nur sein Name erwähnt wurde? Dass sie Lucas-süchtig war, also sozusagen ein winziges Riesenbisschen verknallt? Dass sie am liebsten jeden Tag ausschließlich über ihn redete, mit ihm chattete oder über ihn nachdachte, was selbst Hannah und ihrer allerbesten Freundin Lilli manchmal zu viel wurde. Dass sie sich bei allem, was sie tat und dachte, fragte, was Lucas wohl dazu sagen oder darüber denken würde? Hannah ließ sich so schnell nichts vormachen, sie ahnte sicher, was sich Lena wirklich von diesem Praktikum erhoffte. In den nächsten drei Wochen musste sie unbedingt herausfinden, ob Lucas ähnliche Gefühle für sie hatte oder in ihr nur eine ganz normale Freundin, womöglich sogar nur eine von vielen Ferienbekanntschaften aus dem letzten Sommerurlaub sah.
»Ich kann doch nichts dafür, dass Mam ihm das Gästezimmer angeboten hat«, verteidigte Lena die neue nervenaufreibende Situation, in die sie das Wunschbuch mal wieder gebracht hatte.
»Du hast aber auch nichts dagegen unternommen.«
»Das war mir zu riskant. Er hätte ja sonst wo landen können…«
»Achtung, jetzt wäre ich an deiner Stelle ruhig«, flüsterte Hannah, die Eingangstür des Cafés fest im Blick. » Er kommt.«
Lena schnellte von ihrem Stuhl empor und schaffte in einem Augenblick, was Hannah seit einer halben Stunde zu verhindern versucht hatte: Cola, Eisbecher und Kuchenreste landeten laut klirrend auf dem Boden. Gleichzeitig erwischte Goethe endlich einen Muffinkrümel, zog seine Schnauze schnell durch das matschige Eis und sabberte dem Tischnachbarn die Hose voll. Dann erspähte er ebenfalls Lucas, brachte den Bistrotisch erneut zum Schwanken und ließ Lena über die gestraffte Leine stolpern. Die Aufregung hatte immerhin den Vorteil, dass Lucas ihren Tisch gleich entdeckte. Zielstrebig drängte er sich durch die Menschenmassen und fing Goethe auf, der ihn mit einem Freudensprung begrüßte.
»Hoppla, der hat mich ja richtig vermisst«, grinste Lucas und versuchte, das kolossale Tier wieder auf den Boden zu befördern und zu beruhigen.
»Hi Hannah«, er nickte Hannah zu und wandte sich an Lena. »Kann ich dir helfen, Lena? Alles in Ordnung mit dir?«
Hilfe, war er nicht einmalig goldig? Hilfe, was für eine peinliche Situation. Ihre Schuhe – ihre nagelneuen Stiefeletten mit richtigem Absatz, die superlange Beine machten! – hatten einen ordentlichen Schluck Cola abbekommen, aber mit Serviette und Taschentüchern konnte sie den Schaden begrenzen. Und dass etwas Cola in die Schuhe reingelaufen, war, nun das konnte man ja nicht sehen. Mit puterroten Wangen richtete sich Lena auf. Jetzt erst mal ruhig Blut und die Lage in den Griff bekommen. »Nee, geht schon, alles klar. Goethe ist ein wenig unruhig geworden. Es ist eben ziemlich voll hier.«
Lucas schaute sich um. »Ordentliches Getümmel. Ist das immer so?« Öh, keine Ahnung, hätte Lena ehrlicherweise sagen müssen. Sie und Hannah waren zum ersten Mal hier, aber das musste sie ja nicht gleich rausposaunen. Es verschlug sie selten in diese Ecke der Stadt. In diese angesagte Ecke, sollte man hinzufügen. Denn hier hatte sich der hippe Radiosender » Worldradio« eingerichtet.
» So voll habe ich es noch nie erlebt«, meinte sie also unverbindlich. »Lange hält Goethe auch nicht mehr durch. Mindestens zehn Leute sind ihm schon auf die Pfoten getreten.«
»Und mindestens zwanzig Leuten hat er dafür mit seinem Schlabber die Hosen versaut«, ergänzte Hannah.
»Sorry, ich bin ein bisschen spät«, entschuldigte sich Lucas, während er sich einen frei gewordenen Stuhl schnappte. »Aber es war einfach nur cool. Einfach genial, ich hätte den ganzen Abend dortbleiben können, die mussten mich eben regelrecht rauswerfen. Das ist ja so megascharf, was die so alles auf die Beine stellen, und überall, wirklich überall darf ich reinschauen. Sogar als sie die Billboards für die neue Kampagne ausgesucht haben, war ich dabei, oder als ein Aircheck herausgesucht werden musste, Mann, der PD hat mir einen fett gefüllten Wochenplan aufs Auge gedrückt, schaut mal hier…« Er wühlte in seinem Rucksack und knallte ein Stück Papier auf den Tisch. »Da, Musikredaktion, Presse, Marketing und Events, Moderation und, na ja, Archiv muss eben auch sein…«
Das klang gut. Wirklich sehr gut. Hannah nickte Lena zu, obwohl sie wahrscheinlich genauso wenig verstanden hatte wie sie. Siehst du, alles ist prima, sagte ihr Blick aufmunternd. Ein mittelgroßer Stein platschte von Lenas Herzen auf den klebrigen Boden. Dann hatte das Wunschbuch wenigstens hier keinen Blödsinn angerichtet. Konnte man ja nie genau wissen, bei dem Ding. Es ging mittlerweile so viel schief, dass sie mehr Einträge brauchte, um die Folgen missratener Wünsche wieder in Ordnung zu bringen, als neue Wünsche reinschreiben zu können. Das lag nicht nur daran, dass man die Wünsche äußerst genau formulieren musste, sondern hauptsächlich an Goethes Vernichtungsschlag, den er vor den Sommerferien gegen das Buch geführt hatte. Weiß der Himmel, was ihn dazu getrieben hatte, das Wunschbuch samt zugehörigem Stift als Kauknochen zu verwenden und die Überreste anschließend in der Wohnung zu vergraben. Kurz vor Lenas Nordseeurlaub vergangenen Sommer hatten sie und Hannah die zerstörten Teile entdeckt, geborgen und wieder zusammengeflickt – nur leider musste man sich seitdem beim Wünschen auf allerhand Überraschungen gefasst machen. Lena konnte trotzdem nicht die Finger davon lassen. Gerade jetzt nicht, wenn in ihrem Leben, in ihrer Wohnung, in ihrer Gefühlswelt der absolute Lucas-Ausnahmezustand herrschte. Ohne Buch ging da gar nichts. Zum Beispiel hatte sie heute Morgen dafür sorgen müssen, dass Lucas unbedingt nach ihr aufstand, sodass sie längst perfekt gestylt beim Frühstück saß, als er aus seinem Zimmer kam. Man musste sich nur mal die Peinlichkeit vorstellen, er würde sie morgens erwischen, wie sie im Schlafshirt, verwuschelt und mit muffeligem Atem und zerknautschten Wangen zur Toilette wankte. Undenkbar! Für solche Fälle war das Wunschbuch der Knaller – wenn es funktionierte.
»Also, ich brauche jetzt etwas zu trinken. Hält Goethe noch eine Coke aus?«, fragte Lucas und Hannah und Lena nickten einträchtig. Solange Goethe halb über Lucas’ Schoß liegen und ihm gelegentlich Küsschen geben durfte, würde er noch Stunden durchhalten.
»Klar, wir haben Zeit. Mam kommt gegen sieben nach Hause, dann gehen wir zum Essen, und wenn du möchtest, können wir ihre Werbeagentur besichtigen oder…«
»Nee, lass mal. Ich will morgen fit sein, da bin ich bei der Redaktionskonferenz dabei und dann geht’s in die Technik.« Lena schluckte. Auch recht. Sie hatte noch keine genaue Vorstellung, was sie drei Wochen lang jeden Abend mit Lucas anstellen sollte. Seit Monaten hatten sie beinahe jeden Tag gechattet oder via Skype geredet. Ihre Pinnwand zierten Schnappschüsse aus dem Sommerurlaub, die sie sich gegenseitig zugeschickt hatten. Sie glaubte, ihn inzwischen so gut zu kennen wie ihre besten Freundinnen Lilli und Hannah. Wirklich alles hatte sie ihm anvertraut – nur nicht ihre Gefühle für ihn. Nie hätte sie gedacht, dass es einen so großen Unterschied machte, ihn jetzt live neben sich zu haben. Es war sogar komplett anders als damals an der Nordsee: Dort hatte sie ihn zwar kennengelernt, war aber selten mit ihm allein gewesen. Warum auch – erst am Ende des Urlaubs hatte sich herausgestellt, dass sie in Kontakt bleiben würden. Sie seufzte. Eigentlich hätte ihr es genügt, gemeinsam Abend zu essen, Goethe auszuführen oder ins Kino zu gehen oder einfach nur mit ihm zusammen zu sein, aber ob Lucas das reichte? Nicht auszudenken, wenn Lucas später sagen würde: Och, damals bei Lena, was habe ich mich gelangweilt. Schrecklich dort, so eine dröge Tussi.
Nachdem Lucas seine Cola geleert hatte, machten sie sich auf den Heimweg. Weil es Lucas’ erster Tag im Sender gewesen war, hatte Lena ihn heute früh mit dem Fahrrad begleitet und nun eben wieder abgeholt. Netterweise durfte Lucas während seines Aufenthalts das Mountainbike von Lars benutzen, das sparte Unmengen von Bustickets. Lars wohnte im selben Haus wie Lena und Hannah und war inzwischen der feste Freund von Hannahs Mutter – und auch ein bisschen Lenas Freund. Natürlich ganz anders als Lucas, aber Lars war trotz seines Alters ein cooler Typ und wusste manchmal Rat, wenn Lena eigentlich ihren Pa gebraucht hätte. Der tingelte meist irgendwo in der Welt herum und erledigte wichtige Geschäfte, und nebenbei bemerkt, wohnte er sowieso nicht mehr bei ihnen.
Jetzt zum Beispiel hätte sie einen dieser guten Ratschläge brauchen können. Was machte man mit dem süßesten aller Jungs, wenn man noch eine halbe Stunde hatte, in der man sich eigentlich für den Restaurantbesuch duschen und umziehen musste, aber diesen Traumtypen nicht allein auf dem Sofa vergammeln lassen wollte? Nachdem sich Hannah verabschiedet hatte, trottete Lena zögernd hinter dem immer noch ununterbrochen erzählenden Lucas die Treppen hinauf bis ins Dachgeschoss, das sie mit ihrer Mutter bewohnte – und Goethe natürlich. Normalerweise. Jetzt bewohnte sie es mit ihrer Mutter und Goethe – und Lucas.
Kaum hatten sie jedoch die Wohnung betreten, zückte Lucas sein Handy. »Komm, ich zeig dir mal den Sender. Ich durfte ein wenig fotografieren. Siehst du, hier ist der Empfang und dort oben kann man das Studio erkennen. Das rote Licht bedeutet, dass der Moderator auf Sendung ist.« Rasch scrollte er weiter durch die Bilder. »Da ist das Archiv – hast du jemals schon so einen Haufen CDs und LPs gesehen? Dabei läuft alles digital, unglaublich, oder? Und das ist der Moderator vom Vormittagsprogramm, total nett und überhaupt nicht arrogant oder so.«
Obwohl es Lena genoss, mit Lucas über das Handy gebeugt am Küchentisch zu sitzen, Fotos zu bestaunen und alberne Kommentare abzugeben, wurde ihr doch allmählich die Zeit knapp. Da ließ er ohne Vorwarnung das Handy wieder in seiner Hosentasche verschwinden.
»So, das war’s. Sag mal, hast du was dagegen, wenn ich meinen Laptop einrichte, bis deine Mutter kommt? Ich bin gestern Abend nicht mehr dazu gekommen und muss dringend E-Mails checken und mich mal auf Facebook melden«, meinte Lucas zögernd. Sie hätte ihn knutschen können. Nur so gedanklich, natürlich. Nie, nie würde sie sich trauen, darüber nachzudenken, ihn wirklich… Aber war das nicht süß, wie er sich dafür entschuldigte, seine Mails zu prüfen, nur weil er glaubte, sie würde lieber weiter mit ihm quatschen? Das musste sie gleich ihrer besten Freundin Lilli erzählen. Lilli, die absolute Lucas-Kennerin und zuverlässigste Ratgeberin in Sachen Lucas. Lilli, die ihn kannte, da sie gemeinsam an der Nordsee gewesen waren. Lena versank in ihren schwärmerischen Gedanken.
»Äh, Lena, hallo?« Jetzt strich er sich verlegen eine Strähne aus dem Gesicht. Vor einigen Wochen hatte er fast schulterlange Haare getragen, die er mit einem Stirnband zurückgebunden hatte. Cool piratig, irgendwie »Fluch der Karibik«-mäßig, hatten Lilli und Lena befunden. Aber eher passend für die Nordsee und nicht unbedingt großstadttauglich. So mit Seitenscheitel und langem Pony, durchgestuften Locken und fast ordentlich gekämmt, gefiel er Lena noch viel besser. Nie hätte sie gedacht, dass das überhaupt möglich wäre. Aber nun war wohl eine Reaktion von ihr gefragt, denn er schaute sie auffordernd und mit einem fragenden Blick an: »Wie? Klar doch. Wir haben W-LAN, weißt du ja. Wenn es Probleme gibt, dann ruf mich einfach.« Ha, eine Viertelstunde Zeit für das Styling – und um diesen Blick ganz fest in ihrem Gedächtnis zu verankern. Sie stürzte in ihr Zimmer. Schnell die colagetränkten Stiefeletten ausgezogen, Strumpfhose, Rock und alles andere hinterher und ab ins Bad. Sie hielt den Türgriff schon in der Hand. Halt! Sie konnte wohl kaum nackt in der Wohnung herumhüpfen, wenn Lucas da war. Suchend schaute sie sich um. Handtuch? Fehlanzeige. Langes T-Shirt ohne Slip und Oberteil und dann Lucas begegnen? Da konnte sie ja gleich nackig bleiben. Ihr Blick blieb an der Bettdecke hängen. Genau richtig, beschloss sie und hüllte sich in den plüschigen Stoff.
Auf Zehenspitzen tappte sie auf den Flur. Goethe kam interessiert näher und schnupperte unter die Bettdecke. »Schschsch, weg da Goethe, geh in dein Körbchen.« Aber keiner konnte mit den Augen besser betteln wie er. »Hunger?«, fragte Lena. Zustimmend leckte er sich mit der Zunge über die Nase und winselte kläglich. »Autsch, ich habe glatt dein Abendessen vergessen.« Sie zögerte kurz, raffte dann die Decke fester um sich und lief in die Küche. Einhändig zog sie Goethes Schüssel aus der Hundeschublade, füllte Trockenfutter hinein und lauwarmes Wasser hinzu. Schnell noch den Wassernapf auffüllen und…
»Ist dir kalt?«
Lena fuhr herum. In der Tür, ihren Fluchtweg versperrend, stand Lucas und schaute sie neugierig an.
»Ach, nee, ich wollte nur gerade ins Bad und dann kam mir der hier dazwischen.« Sie stupste lässig Goethe mit den nackten Zehen in die Seite. Es half nichts, sie wurde rot wie ihr neuer Lippenstift »Magenta-fuchsrot-metallic Nr. 275«. Lucas lachte sich bestimmt kaputt über ihren Auftritt. Doch der ging geradewegs zum Kühlschrank. »Habt ihr hier irgendwas zu essen? Brot? Butter? Salami? Ich komme um vor Hunger.« Butter? Das fette Zeug? Salami? Total ungesund. Brot? Jeden Monat brachte sie Lilli eine riesige Tüte mit vertrocknetem Brot für deren Pferd Bosco.
»Wenn du einen Augenblick warten kannst…?« Bis ich die Bestellung in das Wunschbuch geschrieben habe, fügte Lena stumm hinzu. Laut sagte sie: »Sonst haben wir noch Müsli. Bananen gibt es jede Menge und Joghurt…« Lena las in seinen Augen, dass sie eine lange Liste in ihr Wunschbuch schreiben musste. Eine Liste von Dingen, die Jungs gerne aßen.
»Ich nehme mir ’ne Packung Kekse, geht das?«, meinte er nach einem kurzen Blick in den Vorratsschrank.
»Ja klar, aber wir haben noch ein paar Sachen im, ähm, Keller…« Das verflixte Bettzeug entwickelte ein Eigenleben und rutschte unablässig nach unten. Verzweifelt raffte sie es über ihrer Brust zusammen.
»Geht schon, nur keine Umstände.« Kämpfte er mit einem Lachanfall oder bildete sie sich das nur ein?
»Teller sind da oben, Gläser hier rechts und Besteck ist gleich hier vorne, aber das brauchst du ja nicht…«, dirigierte sie, schon halb zur Tür hinaus. Wie konnte man jetzt, eine halbe Stunde vor dem Restaurantbesuch, noch Kekse essen?
»Ich geh mal duschen, bis gleich dann!« Nichts wie weg. Hätte sie nur wunschbuchmäßig vorgesorgt, dann wäre ihr diese Blamage erspart geblieben. Mist aber auch, sie konnte doch nicht jeden Schritt vorausplanen. Aber sie konnte dafür sorgen, dass Goethe zukünftig rechtzeitig sein Trockenfutter vorfand. Gleich nach dem Duschen würde sie einen Eintrag machen und die Wunschbuch-automatisierte Hundefütterung einführen. Warum war sie nur noch nicht früher darauf gekommen?
Als sie eine gute Stunde später mit Lenas Mama im » Lieblingslokal um die Ecke« saßen, musste Lena beobachten, wie der arme Lucas nach allen Regeln der Interviewkunst gelöchert wurde. Das hatte den Vorteil, dass sie punktgenaue Tipps erhielt, wo es im Lucas-»Dauersonnenscheinundallesistsupiperfekt«- Programm noch Punkte gab, bei denen sie mit dem Wunschbuch nachhelfen musste. Denn eines war klar: Nur ein glücklicher Lucas würde sich über seine Gefühle für Lena klar werden. Nur ein glücklicher Lucas würde sich – hoffentlich – in Lena verlieben.
»Nee, wirklich, alles glatt. Nur, vielleicht, na ja, ich glaube, die Mittagspausen werden eher zäh. Oder die Pausen überhaupt. Man kann ja nie sagen, wann man mal Zeit hat, was zu essen. Andauernd schreit einer nach etwas, hat jemand eine Meldung nachzurecherchieren oder einen Song, der gesucht werden muss. Mann, ich glaube, das wird ganz schön hektisch.«
Für weniger Hektik sorgen, notierte sich Lena in ihr Kopf-Notizbuch, bevor Lucas fortfuhr. »Ich meine, ich liebe diese Hektik. Momentan stehe ich rum wie ein Pinguin, der sich an den Nordpol verirrt hat, aber wenn ich mal durchblicke, wird’s bestimmt genial.«
Nein, also hektisches Treiben ist doch gut, korrigierte sich Lena verwirrt.
»Ich meine eher, dass es keine Leute gibt, die mit mir Pause machen. Mit denen ich mal reden kann. Mann, die sind alle viel älter als ich. Ich bin mit Abstand der Jüngste.«
Lena grübelte. Sie konnte die Angestellten des Senders schlecht einfach jünger machen. Ein Trupp Vierzehnjähriger würde den Sender bei aller Begeisterung vermutlich in den Ruin treiben. Hm, das musste sie später mit Lilli oder Hannah besprechen.
»Selbst die Azubis sind ja mindestens sechzehn. Die wollen nichts von mir wissen, die nehmen mich nicht für voll«, erzählte Lucas und Mam hörte gewissenhaft zu, nicht ohne zustimmend zu nicken oder gezielt nachzubohren wie ein Holzwurm im Dielenschrank.
Das war doch ein prima Ansatz. Es gab also Auszubildende, doch die kümmerten sich nicht um Lucas. Wie auch, nachdem er heute den ersten Tag gehabt hatte. Sie war nun seit einem knappen Jahr in der neuen Schule und hatte kaum Freunde gefunden! Aber bei Lucas konnte das Wunschbuch bestimmt helfen. Lena nahm sich vor, später am Abend einen entsprechenden Satz zu verfassen, der Lucas zum umschwärmten Liebling der gesamten Sender-Belegschaft machen würde. Dann wäre er dort so zufrieden, dass er sich anderen, viel wichtigeren Themen widmen konnte, und sie wäre auch glücklich, denn nichts wünschte sie sich mehr, als dass sich Lucas bei ihr wohlfühlte.
»Und wer ist für dich zuständig? Gibt es eine Art Chef oder so? Wer hat deinen Ausbildungsplan erstellt und wer kümmert sich darum, dass alles glattläuft?« Aha, Mam wusste Bescheid. Immerhin beschäftigte sie in ihrer Werbeagentur nicht nur Auszubildende, sondern vergab auch Schülerpraktika – und zwar nicht nur an Lena und ihre Freundinnen, wie sie immer wieder augenzwinkernd betonte.
»Äh, keine Ahnung. Da blicke ich noch nicht so ganz durch. Heute hat mich Kathy, die Marketingassistentin, am Empfang abgeholt und mitgenommen. Sie meinte, ab Mittwoch sei der Chef zurück, da habe ich dann einen Termin.«
Mittwoch also. Lena nahm sich vor, dass ab Mittwoch für Lucas sämtliche Türen und Herzen des Senders offenstehen würden.
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