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Lenz E-Book

Georg Büchner

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Beschreibung

Ein fragmentarischer, aus dem Nachlass stammender Text, wurde zu einem Lehrstück deutscher Kurzprosa. Der Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz will sich beim Pfarrer Oberlin in Obhut begeben, denn er fürchtet um seinen Geisteszustand. Schon auf der Wanderung in das abgelegene Bergdörfchen erfassen ihn Wahn und Visionen. Sichtlich geschwächt droht er geistig und körperlich zugrunde zu gehen. Null Papier Verlag

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Georg Büchner

Lenz

Eine Erzählung

Georg Büchner

Lenz

Eine Erzählung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 3. Auflage, ISBN 978-3-954188-94-9

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

Lenz

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Georg Büchner bei Null Papier

Die er­folg­rei­che di­gi­ta­le Werk­samm­lung zu Ge­org Büch­ner

Dan­tons Tod, Lenz, Leon­ce und Lena, Woy­zeck, Lu­cre­tia Bor­gia, Ma­ria Tu­dor u.a.

978-3-95418-365-4 (Kind­le 978-3-95418-366-1 (Epub) 978-3-95418-367-8 (PDF)

0,99 €

null-pa­pier.de/buech­ner

Lenz

Den 20. Jän­ner ging Lenz durchs Ge­birg. Die Gip­fel und ho­hen Berg­flä­chen im Schnee, die Tä­ler hin­un­ter grau­es Ge­stein, grü­ne Flä­chen, Fel­sen und Tan­nen.

Es war nass­kalt; das Was­ser rie­sel­te die Fel­sen hin­un­ter und sprang über den Weg. Die Äste der Tan­nen hin­gen schwer her­ab in die feuch­te Luft. Am Him­mel zo­gen graue Wol­ken, aber al­les so dicht – und dann dampf­te der Ne­bel her­auf und strich schwer und feucht durch das Ge­sträuch, so träg, so plump.

Er ging gleich­gül­tig wei­ter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf-, bald ab­wärts. Mü­dig­keit spür­te er kei­ne, nur war es ihm manch­mal un­an­ge­nehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konn­te.

An­fangs dräng­te es ihm in der Brust, wenn das Ge­stein so weg­s­prang, der graue Wald sich un­ter ihm schüt­tel­te und der Ne­bel die For­men bald ver­schlang, bald die ge­wal­ti­gen Glie­der halb ent­hüll­te; es dräng­te in ihm, er such­te nach et­was, wie nach ver­lor­nen Träu­men, aber er fand nichts. Es war ihm al­les so klein, so nahe, so nass, er hät­te die Erde hin­ter den Ofen set­zen mö­gen. Er be­griff nicht, dass er so viel Zeit brauch­te, um einen Ab­hang hin­un­ter zu klim­men, einen fer­nen Punkt zu er­rei­chen; er mein­te, er müs­se al­les mit ein paar Schrit­ten aus­mes­sen kön­nen. Nur manch­mal, wenn der Sturm das Ge­wölk in die Tä­ler warf und es den Wald her­auf dampf­te, und die Stim­men an den Fel­sen wach wur­den, bald wie fern ver­hal­len­de Don­ner und dann ge­wal­tig her­an­braus­ten, in Tö­nen, als woll­ten sie in ih­rem wil­den Ju­bel die Erde be­sin­gen, und die Wol­ken wie wil­de, wie­hern­de Ros­se her­an­spreng­ten, und der Son­nen­schein da­zwi­schen durch­ging und kam und sein blit­zen­des Schwert an den Schnee­flä­chen zog, so­dass ein hel­les, blen­den­des Licht über die Gip­fel in die Tä­ler schnitt; oder wenn der Sturm das Ge­wölk ab­wärts trieb und einen licht­blau­en See hin­ein­riss und dann der Wind ver­hall­te und tief un­ten aus den Schluch­ten, aus den Wip­feln der Tan­nen wie ein Wie­gen­lied und Glo­cken­ge­läu­te her­auf­summ­te, und am tie­fen Blau ein lei­ses Rot hin­auf­klomm und klei­ne Wölk­chen auf sil­ber­nen Flü­geln durch­zo­gen, und alle Berg­gip­fel, scharf und fest, weit über das Land hin glänz­ten und blitz­ten – riss es ihm in der Brust, er stand, keu­chend, den Leib vor­wärts ge­bo­gen, Au­gen und Mund weit of­fen, er mein­te, er müs­se den Sturm in sich zie­hen, al­les in sich fas­sen, er dehn­te sich aus und lag über der Erde, er wühl­te sich in das All hin­ein, es war eine Lust, die ihm wehe tat; oder er stand still und leg­te das Haupt ins Moos und schloss die Au­gen halb, und dann zog es weit von ihm, die Erde wich un­ter ihm, sie wur­de klein wie ein wan­deln­der Stern und tauch­te sich in einen brau­sen­den Strom, der sei­ne kla­re Flut un­ter ihm zog. Aber es wa­ren nur Au­gen­bli­cke; und dann er­hob er sich nüch­tern, fest, ru­hig, als wäre ein Schat­ten­spiel vor ihm vor­über­ge­zo­gen – er wuss­te von nichts mehr.

Ge­gen Abend kam er auf die Höhe des Ge­birgs, auf das Schnee­feld, von wo man wie­der hin­ab­stieg in die Ebe­ne nach Wes­ten. Er setz­te sich oben nie­der. Es war ge­gen Abend ru­hi­ger ge­wor­den; das Ge­wölk lag fest und un­be­weg­lich am Him­mel; so­weit der Blick reich­te, nichts als Gip­fel, von de­nen sich brei­te Flä­chen hin­ab­zo­gen, und al­les so still, grau, däm­mernd. Es wur­de ihm ent­setz­lich ein­sam; er war al­lein, ganz al­lein. Er woll­te mit sich spre­chen, aber er konn­te nicht, er wag­te kaum zu at­men; das Bie­gen sei­nes Fu­ßes tön­te wie Don­ner un­ter ihm, er muss­te sich nie­der­set­zen. Es fass­te ihn eine na­men­lo­se Angst in die­sem Nichts: er war im Lee­ren! Er riss sich auf und flog den Ab­hang hin­un­ter.

Es war fins­ter ge­wor­den, Him­mel und Erde ver­schmol­zen in eins. Es war, als gin­ge ihm was nach und als müs­se ihn was Ent­setz­li­ches er­rei­chen, et­was, das Men­schen nicht er­tra­gen kön­nen, als jage der Wahn­sinn auf Ros­sen hin­ter ihm.

End­lich hör­te er Stim­men; er sah Lich­ter, es wur­de ihm leich­ter. Man sag­te ihm, er hät­te noch eine hal­be Stun­de nach Wald­bach.

Er ging durch das Dorf. Die Lich­ter schie­nen durch die Fens­ter, er sah hin­ein im Vor­bei­ge­hen: Kin­der am Ti­sche, alte Wei­ber, Mäd­chen, al­les ru­hi­ge, stil­le Ge­sich­ter. Es war ihm, als müs­se das Licht von ih­nen aus­strah­len; es ward ihm leicht, er war bald in Wald­bach im Pfarr­hau­se.

Man saß am Ti­sche, er hin­ein; die blon­den Lo­cken hin­gen ihm um das blei­che Ge­sicht, es zuck­te ihm in den Au­gen und um den Mund, sei­ne Klei­der wa­ren zer­ris­sen.

O­ber­lin hieß ihn will­kom­men, er hielt ihn für einen Hand­wer­ker: »Sein Sie mir will­kom­men, ob­schon Sie mir un­be­kannt.«

»Ich bin ein Freund von Kauf­mann und brin­ge Ih­nen Grü­ße von ihm.«

»Der Name, wenn’s be­liebt?«

»Lenz.«

»Ha, ha, ha, ist er nicht ge­druckt? Habe ich nicht ei­ni­ge Dra­men ge­le­sen, die ei­nem Herrn die­ses Na­mens zu­ge­schrie­ben wer­den?«

»Ja, aber be­lie­ben Sie, mich nicht da­nach zu be­ur­tei­len.«