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Wilhelm Furtwänglers Lesart der 4. Sinfonie von Robert Schumann.
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Seitenzahl: 66
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CALLIAS FOUNDATION BERLIN
Wilhelm Furtwänglers Fassung
der 4. Symphonie
von Robert Schumann
CALLIAS BERLIN
Vorwort
Satz
Satz
Satz
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Folgende Aufzeichnungen sind Teil meiner Suche nach klarem Wissen und sollen dem Leser einen Einblick in den inneren Dialog geben, der mich beim Studium der Eintragungen von Wilhelm Furtwängler und der Partitur von Robert Schumann begleitet hat. Meine Urteile haben in keiner Weise den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und die hier aufgeführten Schlussfolgerungen stellen gewiss nur eine von vielen Möglichkeiten dar, Furtwänglers Entscheidungen zu verstehen. Grundlage für mein Interesse an dieser Auseinandersetzung war mein Bestreben, einen zunächst einmal mir selbst verständlichen Standpunkt auszudrücken. Welchem Publikum dieser eine verständliche Unterstützung von Furtwänglers und zuallererst von Schumanns Motiven sein wird, überlasse ich dem Leser.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich dieses Buch meinen Freunden widmen möchte. Den Menschen, die meine oft schwer nachvollziehbaren Schritte mit einfachem Gottvertrauen begleitet und unterstützt haben. Zu allererst gilt dieser Dank meinen Eltern und meinen beiden besten Freunden, Daniel Gerlach und Rafael Ziegler, ohne die es mich so nicht geben würde.
In Takt 1 der Symphonie notiert Furtwängler eine Fermate. Damit erreicht er, dass das dim. in den Begleitstimmen wirklich bis zum ppp umgesetzt wird, anstatt, wie oft im Konzert zu hören, als ein klingend einfaches pp. Die Fermate gibt Ruhe für diesen ersten Tutti-Akkord. In vielen gängigen Interpretationen wird sofort losgehetzt und das Ohr des Zuhörers hat keine Chance, den Beginn dieser Symphonie innerlich ruhig nachzuvollziehen und sich auf die Farbe des Orchesterklanges einzulassen. Diese bewusste Fermate, das kurze Verweilen auf diesem Anfangsakkord, ermöglicht dem Zuhörer, von der ersten Sekunde an das herrliche Gefühl genießen zu können, welches durch einen schönen Orchesterklang ausgelöst wird. Die Musiker wissen so, dass sie Zeit haben, aus diesem Akkord einen Klang zu formen, den nur sie durch die Beschaffenheit eines großen Klangkörpers gemeinsam schaffen können. Furtwängler schafft mit diesem Verweilzeichen auch die Bedingungen für seinen auf vielen Aufnahmen hörbaren ‘Zzzzaaa’-Klang, der sich von der glatten Klangform eines ‘kategorischen’ und oft innerlich unvorbereiteten, akkurat und sauber geschnittenen ‘Taaas’ einer Papierschneidemaschine unterscheidet.
Die Fermate und das nachdrückliche Fordern eines deutlichen dim. bereiten auf diese Art und Weise rhethorisch sehr überzeugend die Melodie in den Fagöttern/2. Geigen und Bratschen vor. Durch das ppp entsteht ein klarer Hintergrund und ein akustisch deutlich sichtbarer und klanglich hörbarer melodischer Vordergrund. Um dieses klare Klangrelief zu erreichen, macht es Sinn, die Oboenstimme ab dem 6. Schlag in Takt 2 bis Takt 4, 3. Schlag, schweigen zu lassen, wie es Furtwängler fordert, da es für die Oboen schwieriger ist als für die Flöten, ein ppp auch intonationsmäßig als ruhigen und unbeweglichen Orgelpunkt über fast 4 Takte in diesem langsamen Tempo zu halten. Furtwängler hat diese rein aufführungspraktischen Details in seinen Interpretationen immer mitberücksichtigt. Ein weiteres für Furtwänglers Fassung typisches Mittel ist die Doppelung der Holzbläser. Das Hauptmotiv ist hier, den chorischen Klang zu stärken, um zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen, die dynamischen Kontraste so klar wie möglich auszugestalten. 4-fach Fagott in Takt 1 ermöglicht einen Klang, der in seiner Klangtiefe und Ausdruckswärme, wie mehrere Aufnahmen aus dem Archiv der Furtwängler Gesellschaft in Paris und Berlin belegen, nur so zu erreichen ist.
Der Aufstrich in den 1. Geigen ist auch logisch, da das Ziel sein sollte, das cresc. und den punktierten Rhythmus konsequent umzusetzen. Furtwängler läßt sich Zeit, notiert ‘non troppo’ – buchstäblich: ‘nicht zu langsam ziemlich langsam aber auch nicht schnell’ wie in vielen ‘modernen’ Interpretationen, wo der Eindruck entsteht, als hätte das Wort ‘ziemlich’ und ‘langsam’ automatisch eine schwache Bedeutung.
Auf das 1. Viertel in Takt 5 schreibt F. für alle Instrumentengruppen einen Staccato-Punkt. Also kurze Viertel plus Semikolon vor dem Sforzato. Damit bündelt er die Energie des Crescendos so, dass sich dieses präzise auf dem Sforzato des nächsten Akkordes entlädt. Daraus wird ersichtlich, wie genau Furtwängler die Möglichkeiten eines Orchesters verstanden hat. Es geht nicht darum, ein Crescendo nur als eine dynamische Verstärkung der Lautstärke zu betrachten, sondern das ‘cresc.’ bezweckt die Vorbereitung eines Sforzatos, einer sprichwörtlichen Entladung nach einer Verdichtung der dynamischen Intensität. Das Sforzato ist somit auch nie nur ein scharfer Akzent, sondern ist in der Wirkung für den Zuhörer Ausdruck einer seelischen Erschütterung, Reaktion auf eine Veränderung in der Intervallstruktur, auch wenn das sicherlich nicht jeder so empfindet. Im Gegensatz zu vielen nur dynamisch ausgedrückten Sforzati, bricht in Furtwänglers Lesart innerlich etwas auf und vermittelt enorme Achtsamkeit gegenüber jeder kleinsten Veränderung des musikalischen Geschehens. ‘Was passiert genau…was kommt als Nächstes…was wäre logisch…?’ fragt sich der Hörer intuitiv und neugierig, wenn das Tempo nicht zu schnell die Entwicklung vorwegnimmt. Furtwängler äußert mit dieser Lesart auch sein tiefes Verständnis für das Bedürfnis des Zuhörers, mit der harmonischen und motivischen Entwicklung mitgehen zu können, ohne innerlich überrannt zu werden. Furtwängler notiert nach diesem Tuttiakkord wieder ein Semikolon, was im Verhältnis zu dieser Absicht im Dialog mit einem mitdenkenden und mitfühlenden Zuhörer logisch erscheint. Das Frage-Antwort Spiel der musikalischen Rhetorik braucht in einer solchen Exposition Zeit. Dass Furtwängler da eingreift ist nur oberflächlich betrachtet der Fall, da Schumann diese Qualität des Dialoges bei Interpreten und Publikum sicher vorausgesetzt hat. In Takt 6 streicht F. wieder die Oboen und läßt sie für 5 Takte zuhören. Bei der zweiten Einführung des Themas notiert F. nicht nochmal ppp. Er geht davon aus, dass die Grundidee von Vordergrund und Hintergrund dem Zuhörer inzwischen klar ist. In Takt 7 notiert er ‘espressivo’ über den 2. Geigen. F. ist ein Praktiker, der seine Musiker kennt und auch die Gefahr, diese sehr gesangliche Legatolinie flach zu spielen und dann mit einer lauter-leiser-Welle zu schmücken. Das Espressivo ist ein Ziel und es geht ihm m.E. um die Bedeutung dieser Halbtonschritte, dem Verstärken und Abschwächen der Intensität (Klangwärme bei gleichmäßig hohem Aufmerksamkeitsrhytmus), ohne gleich lauter zu werden oder innere Gleichgültigkeit mit Muskelspiel zu kompensieren. In Takt 9 notiert F. ein dim. statt cresc. dim wie Schumann. Auch diese Entscheidung ist logisch, da der Zuhörer instinktiv beim 4. Mal eine Veränderung erwartet. Es lässt sich darüber streiten, ob Schumann diese Erwartung bewusst nicht bedienen wollte, oder ob er darüber nicht nachgedacht hat. F. betont bei diesem 4. Mal die Veränderung in der Paukenstimme: das d auf dem 5. und 6. Schlag. Den Hörer darauf aufmerksam zu machen scheint ihm wichtig zu sein. Und das ergibt Sinn, denn von da an singt die Pauke mit den Achteln mit. Um dieses ‘Solo’ der Pauke zu unterstreichen, notiert Furtwängler den 1. Geigen, Kl. und Fg. pianissimo. Auch hier zeigt sich sein tiefes Verständnis von den Möglichkeiten eines Orchesters, einen Klang mit vielen Tiefengraden und einem Relief von Vordergrund und Hintergrund zu schaffen. So ist es nicht einfach nur ein platter Teppich, sondern es gibt immer ein Element, das dominiert. So entsteht wie bei einem 3-D-Bild ein Klangraum. In dieser Situation tritt aus dem Hintergrund für einen Moment die Pauke in den Vordergrund und die Anderen treten dynamisch für einen Moment zurück, lassen der Pauke den Vortritt. Dass F. die Wiederholung des Themas in den Streichern mit einem Abstrich beginnt, unterstreicht, dass er alles tut, um einen natürlichen Fluss der Musik und ein Gefühl der Selbstverständlichkeit bei den Musikern zu erzielen. Alles geht so wie es gehen soll, ohne jede Übertreibung, die sich der natürlichen Gestalt in den Weg stellen könnte. In dieser Passage bleibt Furtwängler bei seiner Entscheidung, die Pauke in den Vordergrund zu rücken, auch, weil die Pauke das Legato in den Streichern und Holzbläsern bis Takt 14 mit seinem pochenden Puls, das in ein Tremolo mündet, sehr gut ergänzt und als festen Grund und Boden stützt.
In Takt 13 unterbricht Furtwängler den von Schumann ausgeschriebenen Legatobogen mit einem Aufstrich auf dem 4. Schlag und unterteilt in 3 - 3 um das cresc. mit großem Bogen zu erzielen. Eine Feinheit ist, dass F. den Einsatz der Pauke (Vordergrund) in Takt 9 als Brücke nutzt, um den Einsatz des Themas in den Streichern und Holzbläsern ohne ein Loch durch das pianissimo