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Sie sind zwei ungleiche Schwestern, die Amalfiküste und der Cilento. Die Postkartenschönheit Amalfi sonnt sich im Ruhm ihrer großen Vergangenheit als Seemacht, kubische Häuser würfeln sich vom Meer die steile Küste hinauf, immer wieder von Künstlern entdeckt, von Reichen besucht. Ein wunderschöner Flecken Erde; die malerischen Meerblicke und die kurvige Küstenstraße ziehen ein internationales Publikum an. Im Cilento hingegen, dem zweitgrößten Nationalpark Italiens, sind die Einheimischen in der Mehrzahl - manchmal sitzt kein einziger Fremder auf der Piazza in dem Bergdorf oder in der Strandbar am Meer. Der Cilento hat eine ruhmreiche Vergangenheit, von der die Tempel von Paestum und die Ruinen von Velia zeugen. Doch vor allem lebt er im Rhythmus des süditalienischen Alltags. Barbara Schaefer lauscht den melancholischen Liedern des Cilento, durchwandert das Hinterland der Amalfiküste und berichtet von den Mythen aus Odyssee und Aeneis, die sich an diesem Landstrich ereignet haben sollen. Durch ihre Begegnungen wird deutlich, dass Land und Leute mehr als eine Reise wert sind.
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Seitenzahl: 139
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Für meine Eltern, die mir die Liebe zu Italien vererbt haben
Copyright © 2007 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Umfassend überarbeitete Neuausgabe 2014 Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Arcangelo Piai/SIME/Schapowalow Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5206-2 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at
Auf dem Weg vom Dorf in den Weinberg war da diese Kurve. Egal, in welche Richtung ich schaute, es gab nur zwei Farben: Grün und Blau. Der Himmel stand im Dunkelblau des späten Nachmittags, rundum verharrten grüne Bergflanken mit mediterraner Macchia, Olivenbäumen und Weinbergen. Und unten bis in die Unendlichkeit das blau glitzernde Meer. Nach ein paar Schritten trat etwas Braun-Wuscheliges ins Bild, Patrizias Hund. Und dann sahen wir das Dorf: Raito. Ein Ortsteil von Vietri sul Mare.
Wir hatten die lebhafte Amalfiküste verlassen, waren ins Hinterland gefahren, nur eine Straße den Berg hinauf und schon war alles anders als unten am Meer. Ruhiger. Intensiver. Es sollte nur ein kurzer Besuch am Nachmittag sein, bei dem uns Patrizia Malanga durch ihr Weingut führen wollte. »Hier war nur Wildwuchs«, sagt sie, und geht den steilen Hang hinauf. »Alles war verlassen, vermüllt, ungepflegt. Dazwischen standen ein paar alte Zitronenbäume, sonst nichts.«
Der steile Hang sei das Problem dieses Grundstücks, das sie 2001 gekauft hatte. Ihr Weingut »Le Vigne di Raito« ist bio-zertifiziert, sie arbeitet ohne Kunstdünger. »Ich pflanze Klee als Gründüngung, aber den schneiden wir nur; er wird nicht eingegraben.« Die dünne Erdkrume werde durchs Umgraben aufgebrochen. »Wenn es regnet, rauscht alles den Berg hinunter«, sagt die Neuwinzerin.
Auf den Terrassen hängt der Wein an Pergolen, die Pfeiler sehen verwittert aus. »Kastanienholz«, seufzt Patrizia Malanga, »ist im Grunde nicht geeignet für Stützpfeiler.« Doch aus Landschaftsschutzgründen dürfe sie weder Betonpfeiler noch Steinpfeiler setzen. »Früher waren diese Holzstützen normal, oben waren die Wälder, die Menschen lebten davon, die Stangen zu verkaufen. Die Dinger sehen jetzt schon aus, als wären sie dreißig Jahre alt, sie verrotten schnell.« Bald müsse sie diese ersetzen. »Nun ja«, fügt sie an, »so unterstützen wir eben die Monti Lattari, das Hinterland.«
Ihr Hund tollt zwischen den Reben umher, will Aufmerksamkeit, aber wir hören lieber der Winzerin zu. »Aglianico, Piedirosso«, poetische Namen für einheimische Trauben. Ein junger Önologe berät sie. »So einer mit Piercing …«, sagt sie. Das ist in Süditalien noch eine Bemerkung wert.
An Zitronenbäumen vorbei gehen wir wieder bergab, als Geländer dient ein altes Schiffstau. In ihrem Haus am Hang stehen ein langer, moderner Korbtisch, weiße Stühle, davor Olivenbäume. »Nun müssen wir den Wein probieren«, sagt sie. »Ragis« hat sie ihn genannt, sie entkorkt eine Flasche. Wir fallen in die Mattigkeit des späten Nachmittags. Warum Rotwein, fragen wir die Winzerin. »Für mich ist Wein rot, ich wollte einfach roten Wein anbauen«, sagt sie und schenkt nach. Und warum Bio? »Nicht, um ihn teurer verkaufen zu können«, sagt die Winzerin. Ohnehin verkorkt sie nur fünftausend Flaschen im Jahr, damit kommt man nicht in die Gewinnzone. Ihr Mann, der gerade an den Tisch gekommen ist und sich ein Glas einschenkt, habe »noch einen anderen Beruf«.
Bio-Anbau also. »Weil ich daran glaube, weil ich denke, dass wir etwas tun müssen für die Umwelt.« Bei ihren Weinproben werde das Wasser nicht in Plastikbechern ausgeschenkt, sie habe keine Plastikteller, kein Plastikbesteck. Das mag selbstverständlich klingen. Aber in Süditalien kommt in den Bars das Wasser zum Espresso im Plastikbecher, in Privathaushalten wird auf der Terrasse mit Plastiktellern gegessen. Plastik ist allgegenwärtig, auch als Müll in der Macchia.
Weil die Winzerin merkt, dass wir etwas träge werden, bringt sie Häppchen herbei. Weißbrot, Oliven und alici, die kleinen Sardellen der Amalfiküste. Die Flasche Rotwein ist längst leer, sie bringt einen Rosé, er heißt »Vitamenia«, »so hieß dieser Hang hier immer schon«. Sie habe trotz ihrer Vorliebe für Rotweine auch einen frischen Rosé keltern wollen, der jung getrunken wird. Aber auch dieser helle Wein hat dreizehn Prozent, »die Sommer sind zu heiß, weniger Alkohol wäre mir lieber«, sagt Patrizia Malanga und schenkt ein. Kondenswasser perlt bald an den Gläsern.
Ihre Weine werden in Agropoli gekeltert, sie hat auf ihrem kleinen Grundstück keinen Platz dafür. Aber danach reife der Wein in den Flaschen nach. Sie zeigt auf ein kleines Gebäude unterhalb der Terrasse: unverputzte Mauern, Terrakotta-Ziegel in unterschiedlichen Erdtönen. »Dort ist mein Weinkeller, dort veranstalte ich Weinproben. Eigentlich ist das eine halbe Ruine, kaum restauriert. Aber die Amerikaner mögen das«, sagt sie ohne jeden Zynismus.
Nordamerika ist ihr größter Absatzmarkt, und wie aufs Stichwort einer Theaterinszenierung, die den Zuschauern alle Facetten der Weinkultur vorführen soll, hupt unterhalb der Terrasse ein Auto. Patrizia holt noch einen Stuhl an den Korbtisch, ein junges Mädchen nimmt Platz, »meine Nichte aus Baltimore«. Sie reise gerade mit ihrem Vater durch Italien. Auch Freundinnen der Winzerin erzählten von solchen Besuchen. »Jemand kommt einfach vorbei, klopft und sagt: ›Hallo, wir sind Verwandte!‹« Daraus hätten sich richtig schöne Bekanntschaften entwickelt.
Auch der Holländer, der mit am Tisch sitzt und Reisen nach Süditalien organisiert, weiß dazu eine Geschichte. Neulich habe ihn ein Amerikaner mit italienischem Namen angerufen. Er wolle mit seiner Frau nach Sant’Agata, er solle ihm ein Fünf- oder mindestens Viersternhotel buchen. Er habe ihm gesagt: »Wissen Sie, von dort sind Ihre Vorfahren weggegangen! Da gibt es nichts! Es gibt nur ein Dreisternhotel, das kann ich buchen.« »Ouh«, meinte der dann, »ob meine Frau damit zurechtkommt …« Wochen später ruft er an, von dort, ist begeistert: »Das ist das erste Mal, dass jemand mein Italienisch versteht!«, sagt er euphorisch. Was kein Wunder ist. Der Italo-Amerikaner sprach den starken Dialekt seiner Eltern, damit war er aufgewachsen; modernes Italienisch hatte er nie gelernt.
Sie erzählen von diesen »sentimental journeys«, von den Reisen der Kinder und Enkel der Auswanderer, die zu Besuch kommen in den mezzogiorno, nach Süditalien. Das jetzt wieder in eine wirtschaftliche Krise geriet. Wieder gibt es keine Arbeit, wieder überlegen viele, wegzugehen. »Aber jetzt gehen die, die eine Ausbildung haben, auf der Uni waren, einen guten Schulabschluss haben. Das ist für Italien noch schlechter«, seufzt Patrizia Malanga.
Sie schaut in die Runde. »Schluss mit Häppchen«, sagt sie. Sie mache jetzt pasta. Nur schnell etwas Einfaches, die Nichte müsse pasta mit colatura kennenlernen. Dies ist eine Art Fischsauce, die colatura di alici di Cetara wird aufwendig aus eingesalzenen Sardellen mittels Fermentation hergestellt. Sehr würzig sei diese, so Malanga, und wir müssten alle mitessen.
So könnte es nun lange gehen, einer dieser wunderbaren Abende, mit Blick aufs Meer, Essen, Wein und Gesprächen, deretwegen wir Italien immer wieder verfallen. Doch wir lehnen ab, mühen uns aus den Korbstühlen, brechen auf. Ich darf hinten auf der Vespa aufsitzen. Wir fahren in der Dämmerung durch Raito, durch enge Gassen, unter Torbögen hindurch. Wie selbstverständlich treten die Menschen auf die Seite, machen einen Schritt auf die Treppen in den Hauseingängen, um uns durchzulassen.
Unser Ziel liegt am Ortsende, eine einfache, aber legendäre bruschetteria. An Sommerabenden stehen die Menschen Schlange. Hier oben ist es frischer, der Ort ein Fluchtpunkt, wenn unten am Meer die Hitze steht. Die Menschen stellen sich auf die Straße, lehnen an der Leitplanke. Wir essen im fahlen Straßenlampenschein an kleinen Tischen bruschetta bella donna, mit alici, rucola, getrockneten Tomaten. Dazu eine Flasche lokaler Wein, rot, ohne Etikett.
Als ich morgens in Vietri aufwache, nun wieder am Meer, zieht der Geruch von frischen cornetti ins Zimmer. Im Palazzo Suriano, einem Palast aus dem 18. Jahrhundert und heute ein Bed & Breakfast, flutet Licht die Räume. Vor der Frühstücksterrasse breiten sich ein Strand, dahinter Hügel, dahinter die geschwungene Küste des Cilento aus. Mein Süden, ich komme!
Es war ein perfekter Tag. Juniwarm. Wir liehen uns Vespas aus und fuhren von Marina di Casalvelino zum Strand, der Spiaggia dell’Arco Naturale. In sanften Kurven wiegt sich die Straße Richtung Süden. Ich ließ mich treiben, blickte durch eine große Divensonnenbrille auf die alten Männer vor der Bar, auf brennend blühende Bougainvilleen, auf flirrende Meerfetzen.
Wind und Wellen haben aus der karstigen Küste des Cilento den Arco Naturale, einen Steinbogen, herausgeschnitten, daneben schmiegt sich ein kiesiges Rund an die Steilwände. Einige große Boote, Jachten vielleicht, dümpelten schon in der Bucht. Das Wasser war erfrischend, sollte es im Sommer bleiben. Unweit fällt das Mittelmeer auf dreitausend Meter ab, seine tiefste Stelle. Schon nach ein paar Schwimmzügen ist seine Farbe von tiefem azzurro.
Wir schwammen sachte dahin, tauchten nach Muscheln, dann legten wir uns auf Riesenkiesel, brieten in der Sonne und plauderten. Es war ein perfekter Tag, und das war mein Lieblingsstrand. Jedenfalls für diesen Tag. Es gibt Tage für Zitroneneis und solche für Schokoladeneis, wobei beides nicht gut zusammenpasst. Der wilde Strand am Arco ist ein Zitroneneisstrand. Frisch, belebend, so einer tut immer gut.
Aber an manchen Tagen mag ich es klebriger, weniger perfekt, lebenspraller. Für den Traumstrand so eines Tages hätten wir mit der Vespa gar nicht erst losfahren müssen, so einer liegt in Marina di Casalvelino und ist ein Stadtstrand, keine verschwiegene Bucht, kein piniengesäumter Geheimtipp, kein Versteck für Verliebte, sondern eine offene Bühne, und: ein Loch in der Zeit.
Urlauber plumpsen an dem breiten Sandstrand in ein Caterina-Valente-Italien, so weit im Süden scheint Europa noch nicht angekommen zu sein, jedenfalls nicht am Strand. Keine Frau legt sich oben ohne hin, kaum jemand kommt allein. Familien rücken an, jeden Tag an dieselbe Stelle. Dort steht der Sonnenschirm von gestern, um ihn herum aufblasbares Getier, Stühle, Spiele. Das soll nicht so bleiben, befand die Gemeinde, der Strand müsse abends geräumt werden. Eines Nachts rückte ein Bagger an, schob alles zusammen. Am nächsten Tag zeigte die Strandbelegschaft die Gemeinde an, wegen Sachbeschädigung.
An einem echt italienischen Strand darf natürlich auch er nicht fehlen: der gegelte Mann. Ungeniert stellt er sich hin, breitbeinig, glotzt auf Bikinis und greift sich immer wieder an das Herz in der Hose. Putzig.
Aber vor allem liegen und lagern hier Familien. »Fabio! – Fabio! – Fabio!« Die mamma ruft es immer wieder, der Junge im Wasser hört nichts. Hier können die Geheimcodes italienischer Kommunikation studiert werden. Gestenreich, laut, in endlosen Wiederholungen, aber oft monologisch.
»Fabio, vieni qua.« Fabio, komm her. Immer noch kein Grund für den Jungen, auf seine Mutter zu hören. Und es stört sich auch niemand an den ansteigenden Rufen. Aber Fabio hat ein feines Gehör, wenn Mamas Stimme ins Keifende kippt, spurtet er zum gestreiften Sonnenschirm, um nun seinerseits in quengeligem Ton wiederholt zu verkünden: »Voglio un gelato! Voglio un gelato!« Ich will ein Eis! Denn das ist überhaupt das Beste an diesem Lieblingsstrand: Vier gelaterie, gleich über der Straße, und in einer gibt es Nutellaeis.
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