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Austernbänke und Apfelgärten, Fachwerkhäuser und Fischerhäfen, traditionsreiche Seebäder und dramatische Küstenlandschaft: Nur zwei Autostunden jenseits der Stadtgrenzen von Paris beginnt mit der Normandie eine der reizvollsten und abwechslungsreichsten Regionen Frankreichs. Die Impressionisten stellten hier ihre Staffeleien auf, um das Wechselspiel von Licht und Wolken einzufangen, und auch Dichter und Denker ließen sich von Klippen und friedlichem Hinterland inspirieren. Nicht zuletzt entschied sich in der Normandie immer mal wieder das Schicksal Europas. Stefanie Bisping wandert auf Küstenpfaden und besucht Frankreichs berühmtesten Klosterberg. Sie macht sich auf die Spuren der Schriftsteller Gustave Flaubert und Marcel Proust, sie probiert Cidre, Calvados und Camembert und trifft normannische Austernzüchter und Aristokraten. Ihre Porträts und Reportagen zeichnen das facettenreiche Bild einer Region, der man dank reicher Geschichte, hoch entwickelten Savoir-vivres und landschaftlicher Schönheit sogar ihr launisches Wetter nachsieht.
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Seitenzahl: 125
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Für Annette und Rüdiger
Copyright © 2013 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Guido Schiefer Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5168-3 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at
»Der Maler Paul Signac bewohnte dieses Haus von 1932 bis 1935. Er liebte die Gesellschaft der Fischer, wenn er am Meer oder beim Leuchtturm Pointe de Barfleur arbeitete«, so steht es an einer Fassade in Barfleur zu lesen. Der Großmeister des Pointillismus wird gewusst haben, was er tat. Noch heute ist Barfleur eines der besonders reizvollen Fischerdörfer der Normandie. Vor allem, wenn es in hellem Sonnenschein liegt. Schlägt das Wetter um, scheint sich das Grau der aus Granit und Schiefer erbauten Häuser auszubreiten, bis es Straßen, Meer und Himmel einhüllt. Den Fischern macht es nichts aus. Und auch Signac arbeitete unverdrossen weiter.
Von launischen Wetterlagen wird noch gelegentlich die Rede sein. Insbesondere dann, wenn sie sich zu ergiebigen Niederschlägen stabilisieren. Aber es geht auch anders. Es gibt Sommertage, an denen ist es in Cabourg nicht ein Grad kühler als in Nizza. Zugegeben: Solche Tage sind die Ausnahme. Doch die Künstler des 19. und des 20. Jahrhunderts reisten nicht wegen des Wetters in die Normandie. Auch die Schriftsteller, die hier epochale Romane schrieben und in manchen Fällen gleich für immer blieben, waren nicht auf der Suche nach tropischen Cocktails und Sonnenbräune (sie hätten beides auch nicht gefunden). Die Normandie besitzt andere Vorzüge: eine Küste, an die das Meer donnert und nicht plätschert; salzige Luft und weite Blicke; erhabene Kathedralen, die von der eindrucksvollen Geschichte des Landes am Ärmelkanal zeugen; Dörfer aus Fachwerk- oder Granithäusern, in denen noch immer Fischer und Bauern fast so leben wie viele Generationen vor ihnen – all das gehört zu den Reizen der Region wie der Wind, der nicht selten eben auch Regen bringt.
Der eine oder andere Künstler fand gelegentlich dennoch den Weg ans Mittelmeer. Und man hat auch schon von Urlaubern gehört, die, zermürbt vom dritten Regentag in Étretat oder Trouville-sur-Mer, das Auto wieder bepackten. Was machen wir nun, fragten sie sich: Über den Kanal nach England, wo das Grundproblem womöglich bliebe? Oder doch lieber nach Südfrankreich? Schnell ist ein Entschluss gefasst. Spätestens ab Lyon begleitet die Reisenden heller Sonnenschein, bis sie in goldenem Abendlicht im Hafen von Saint-Tropez sitzen und kühlen Pastis trinken. Manchmal braucht es dann einige Sommer in Sonne, Trubel und Staus des Midi, bis die Reisenden den Weg zurück in die Normandie finden. Eines Tages ziehen sie dann aus den Tiefen des Kleiderschranks ein fast schon vergessenes Stück: die blau-weiß gestreifte Fischerjacke, erstanden an einem windigen Tag in Le Havre oder Cherbourg. Sofort ist alles wieder da: Das Geschrei der Möwen; Spaziergänge über Steilklippen und an menschenleeren Stränden; der Geschmack von nussigem Camembert und salziger Butter; das von reichlich Rosé begleitete Mittagessen im verwunschenen Garten eines Restaurants in Pierrefitte-en-Auge; die verschlafenen Hafenbars an der Küste. Da ist die Sache fast schon entschieden. Denn: Fast alle Normandie-Reisenden kommen wieder. Irgendwann.
Die Luft riecht nach Salz und Tang, doch vom Meer ist nichts zu sehen. Vor der Küste schwebt die Silhouette von Blainville in feinem Dunst. Jean François Mauger steht im Schlick und dreht schwere Säcke um. »Die unteren wachsen langsamer«, erklärt der Austernzüchter. Deshalb werden sie regelmäßig gewendet. Plötzlich blickt er auf. »Das Meer kommt!«, schreit er und rennt zum Traktor, der bereits in einer großen Pfütze tuckert. Und nun in einem kleinen See. Jean François klettert auf den Sitz und wendet eilig.
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