Letzte Ausfahrt Mutterbrust - Norbert Büchler - E-Book

Letzte Ausfahrt Mutterbrust E-Book

Norbert Büchler

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Beschreibung

Irgendwas ist immer, vor allem in den achtzehn schrägen Erzählungen dieser Sammlung. Erfrischend, wie ein Flugsaurier zum Synonym weiblichen Männerfrusts und ein Allgäuer Künstlerhof zur Geldwaschanlage wird, wie eine verhunzte Skulptur ein ganzes Dorf in Rage bringt und in einer Frauenarztpraxis die erste Tangoprobe eskaliert ... Situationen, in die man selbst nur äußerst ungern geraten möchte. Als Leser jedoch verfällt man liebend gerne dem Bann von Büchlers expressivem Sprachwitz.

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Inhaltsverzeichnis

Katastrophen und andere Katastrophen

Letzte Ausfahrt Mutterbrust

Sauhausen

Schreibkurs bei Dallmann

Rooney muss weg

Doro träumt

Guntram der Flugsaurier

Lido

Napoleon

Postmodern

Notartourismus

Gudrun

Schäufeles Taifunbeutel

Sommer 1983

Wabners letztes Fest

Tango

Ausgerechnet Schröder!

Tokyo

Katastrophen und andere Katastrophen

Ich schreibe Katastrophenromane über Frauen, die mir nahestehen. Dass all diese Beziehungen katastrophal enden, kann unmöglich an mir liegen. Meine Verlegerin Peggy ist da zwar anderer Meinung, doch ohne meine Umsätze ginge es ihrem Verlag längst nicht so blendend.

Peggy steht mir nahe und auch das ist eine Katastrophe, denn seit einigen Monaten ist sie unsäglich verliebt in mich. Fatalerweise hält sie mich für eine Frau, obwohl wir schon mal etwas miteinander hatten, aber da war ich noch ein Mann. Das bin ich zwar immer noch, aber mittlerweile ist einiges vorgefallen, weshalb ich ausholen muss.

Peggy hatte mit mir und meinem Schulfreund Tom studiert und war in dieser Zeit zuerst mit ihm und danach mit mir zusammen. Ich weiß bis heute nicht, was daran so schlimm gewesen sein soll, jedenfalls entdeckte Peggy kurz darauf ihre Neigung zu Frauen, die bis heute anhält. Während des Studiums wollten Tom und ich eine Streitschrift über unsere verlorene Generation schreiben, angeregt von Professor Humpe, einem Radikaltheoretiker, der uns aus unerfindlichen Gründen für literarisch begabt hielt. Ich warf jedoch irgendwann hin und sackte in die Unterhaltung ab, während Tom beharrlich blieb und das Buch mit dem Titel Gezeugt und schon verloren alleine vollendete. Auf seine Bitte hin schrieb Humpe das Vorwort, doch ausgerechnet zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte dieser durch seine Teilnahme am RTL-Dschungelcamp seine Reputation und vermutlich auch seinen Verstand verloren.

Peggy, die damals gerade den Verlag von ihrem Vater übernommen hatte, brachte Toms Buch gegen den Rat ihres Lektors heraus. Sie hätte auf ihn hören sollen, denn es wurden nur sieben Stück verkauft. Frustriert schmiss Tom hin und schrieb nie wieder ein Wort, obwohl ich ihn bis heute für talentiert halte. Ich dagegen wurde zu Peggys profitabelstem Autor.

Es begann mit Meine Frau und andere Katastrophen, und seither veröffentlichte ich alle zwei Jahre einen weiteren Band. Nach meiner Frau hatte ich mir meine Zahnärztin, meine Friseuse, meine Therapeutin und meine Anwältin vorgenommen, der sechste Band sollte von meiner Floristin handeln. Alle Frauen existierten wirklich und keine von ihnen will seither noch etwas mit mir zu tun haben. Besonders aufgebracht reagierte die Therapeutin, ich hatte ihren Humor über- und ihren Anwalt unterschätzt, das kostete mich eine Stange Geld. Die Floristin hingegen redet noch mit mir und ist als bislang Einzige begeistert davon, die Hauptfigur meines nächsten Buchs zu werden.

Meine Erfolgsreihe zeigt mittlerweile deutliche Abnutzungserscheinungen, was Peggy jedoch ignoriert. Sie braucht meine Bestseller, um damit andere Projekte zu finanzieren. So bewirkt mein Kram wenigstens etwas Gutes.

Die Sonne stand im Zenit, doch gegen mich wirkte sie wie eine matte Glühbirne, während an mir alles strahlte und glänzte. Alles, außer meiner Frau.

So hatte mein erstes Buch begonnen und das Einzige, was nach all den Jahren noch glänzt, sind die Augen meines Bankberaters Müller, für den dieses Buch der Beginn einer wunderbaren, aber einseitigen Freundschaft war. Ich mag ihn nicht und dass er jedes meiner Bücher begeistert verschlingt, macht nichts besser.

Eigentlich wollte ich nie Unterhaltungsautor werden, doch zu mehr hat es nicht gereicht. Fotoberichte über mich wurden grundsätzlich in Peggys Bungalow abgelichtet, denn sie befürchtete Umsatzeinbrüche, sollte die Existenz meiner schäbigen Zwei-Zimmer-Wohnung ans Tageslicht kommen. Doch ich mag diese Absteige und habe sie inzwischen sogar gekauft. Eines der wenigen Dinge, die ich mir von all dem Geld leistete, den Rest verwaltet Müller.

Die Verfilmung meines ersten Buches konnte ich leider nicht verhindern und so hatte Peggy die Filmrechte an den Meistbietenden verkauft. Müllers euphorische Stimme am Telefon ließ mich die Summe, um die es hier ging, erahnen. Als ich erfuhr, wen man für die weibliche Hauptrolle engagiert hatte, betrank ich mich zwei Wochen lang, so eine miserable Besetzung hatte mein Buch wirklich nicht verdient. Damit begannen meine Magenprobleme, die sich rasch verschlimmerten. Ich konsultierte alle möglichen Spezialisten, bis mich nach Monaten schließlich mein Hausarzt aufklärte. Ein Magen, der sich gegen das Schreiben eines solchen Schrotts wehre, sei kerngesund. Krank hingegen seien meine Bücher, ich solle endlich etwas Vernünftiges machen. Seine Diagnose war wie Befreiung für mich und ich beschloss, gleich nach der Floristin, mit der mein Vertrag erfüllt wäre, damit aufzuhören. Dann wäre ich wieder frei.

Meine Floristin war wirklich nett, sie hatte schon oft magenschonend für mich gekocht und die Nacht bei mir verbracht. Doch jedes Mal, wenn ich an ihrem Manuskript saß, rumorte es in meinem Bauch und ich spürte eine Magenkolik nahen. Ich konnte unmöglich weiter daran arbeiten. Da fiel mir Tom und sein brachliegendes Talent ein.

Ich rief ihn an und klagte über mein Elend. Das Buch richte mich zugrunde, doch Peggy bestehe auf Vertragserfüllung.

„Du hast mit diesem Zeug angefangen, jetzt musst du es auch durchziehen.“, verwehrte mir Tom jedes Mitgefühl.

„Aber ich bin am Ende, ich kann nicht mehr.“

„Ich nehme dir diese Krise nicht ab, die hast du seit dem zweiten Band.“

„Wenn du mir nicht glaubst, wer dann?“

„Aber wie sollte ausgerechnet ich dir helfen? Geld hast du doch genug.“

„Es geht nicht um Geld.“

„Um was geht es dann?“

Ich zögerte, und sagte dann leise:

„Die Floristin, schreib du das Buch für mich, dieser Beststeller-Einheitsbrei ist doch ein Kinderspiel für dich.“

„Ich soll als Ghostwriter für dich arbeiten?“, fragte Tom entsetzt, „wir können doch Peggy nicht derart hintergehen. Du kennst sie, wenn sie das entdeckt, fackelt sie uns beide lebendig ab.“

„Ich weiß, ich weiß! Du erhältst natürlich die Tantiemen in bar und ohne Quittung, während ich wie gewohnt alles versteuere, es muss unter uns bleiben.“

Tom kannte meine Auflagenhöhe, mit dem Geld konnte er sich einige freie Jahre finanzieren und doch noch seinen ernsthaften Roman schreiben. Und Peggy konnte weiterhin ihren Gewinn einfahren.

Er bat um Bedenkzeit und ich saß tagelang wie auf Kohlen.

Schließlich sagte er zu.

Wir besprachen alles Organisatorische und ich übergab ihm den Stick mit dem angefangenen Manuskript. Gegenüber meiner Floristin hatte ich Stillschweigen verordnet, sie wäre die Einzige, die nicht mehr mit mir reden würde, weil ich kein Buch über sie geschrieben habe.

Nach drei Monaten überreichte er mir das Manuskript. Seinem Zustand nach schien er eine grässliche Zeit hinter sich zu haben. Ich las den Text und war zufrieden:

„Du kannst also auch Schrott.“, lobte ich ihn.

Tom erwiderte, er sei bestürzt darüber und könne mich und die Qualen bei der Verfassung fünf solcher Höllenwerke, nun verstehen. Dann deutete er erste Magenprobleme an. Ich gab ihm eine Liste meiner Medikamente.

Ein halbes Jahr später kam Meine Floristin und andere Katastrophen mit dem üblichen Werbeaufwand heraus und wurde erneut ein Erfolg. Ich organisierte im Verlag ein Abschiedsfest, zu dem ich natürlich auch Tom einlud. Peggy, die von unserem Schwindel nichts ahnte, war gut gelaunt und stieß mit uns an.

Danach gingen wir noch in eine Bar, wo Tom mir von seinem Psychologen berichtete, der ihn nach diesem Schreibtrauma wiederaufgerichtet habe. Es freute mich, dass es ihm wieder besser ging. Dann berichtete ich, dass Peggy mir einen Vertrag über sechs weitere Bände angeboten hatte.

„Du hast doch hoffentlich abgelehnt?“, fragte Tom besorgt.

Ich nickte nur. Dann unterhielten wir uns lange über unsere Magenbeschwerden, die bei uns beiden etwas nachgelassen hatten.

Ich genoss meine Freiheit, nichts mehr schreiben zu müssen und verbrachte meine Tage zumeist antriebslos in der Wohnung. Die Floristin, die soeben eine neue Filiale eröffnet hatte und all ihre Energie in ihr Geschäft steckte, konnte meine Apathie irgendwann nicht mehr ertragen und verließ mich.

Nach Wochen der Trauer um sie kam mir eine Idee für ein neues Buch, eine Art Selbstreinigung, die meinen Magen möglicherweise wieder vollständig heilen würde. Leider musste Peggy dazu ein weiteres Mal hintergangen werden. So begann ich erneut mit dem Schreiben.

Im Herbst erschien das Buch einer bis dahin unbekannten Autorin mit dem Titel Mein Schriftstellermann und andere Katastrophen. Es war eine Persiflage auf meinen ersten Romanerfolg. Peggys Verlag hielt sich strikt an den Wunsch der Autorin nach Anonymität. Das schmale Buch, es hatte nur knapp neunzig Seiten, wurde ein Erfolg, weil es meinen Katastrophenroman mitleidlos auf die Schippe nahm. Da ich als fiktive Autorin unerkannt bleiben musste, war Peggy das Manuskript über einen Rechtsanwalt zugeleitet worden, der ein verlässlicher Bekannter von mir war. Peggy hatte keine Ahnung, dass ich dahintersteckte.

Ich war damit wieder Inhaber eines tadellos funktionierenden Magens, nicht zuletzt, weil ich mich mit meinem Bankberater Müller überworfen hatte und mein Geld nun selbst verwaltete.

Tom hatte dank meiner Tantiemen seinen Job gekündigt und akzeptierte allmählich seine Fähigkeit, Schundromane schreiben zu können, auch wenn er sich dies strikt verbot. Ich hingegen nahm mir mein Buch über die Zahnärztin vor und beendete innerhalb weniger Monate den zweiten Band Mein Schriftstellerpatient und andere Katastrophen.

Ich würde mir, solange die Reihe sich verkaufte, Buch für Buch vornehmen, außer jenes über meine Floristin, denn das hatte sie nicht verdient.

Das Einzige, was mir mittlerweile Sorgen machte, war der Zustand von Peggy. Sie schwärmte permanent von der neuen Autorin und ihrem Humor und was das für eine umwerfend tolle Frau sein müsse. Schließlich gestand sie mir, dass sie sich in sie verliebt habe, ein Gefühl, dem sie machtlos gegenüberstehe. Die Sache bekam immer mehr Dringlichkeit, ein Buschfeuer hatte sich bei ihr entfacht und im Verlag begann man sich, Sorgen zu machen. Ihre zunehmend wahnhafte Suche nach dieser Autorin wurde zum Problem.

Es begann damit, dass mein Rechtsanwalt merkwürdige Anrufe erhielt und schließlich bei ihm eingebrochen wurde. Er beruhigte mich, Peggy könne bei dieser Aktion unmöglich etwas gefunden haben. Ein paar Tage später rief er mich aufgeregt an, dass sie auf dem Weg zu mir sei. Peggy habe ihn mit einer Waffe bedroht und er aus Not gestanden, dass ich die Autorin kennen würde. Sie werde in Kürze bei mir auftauchen.

Ich wusste von ihrer Waffe, zu deren Kauf sie mich damals mitgenommen hatte, nachdem in ihrem Bungalow eingebrochen worden war. Sie würde zweifelsohne Gebrauch davon machen. Da läutete es.

Ich öffnete und in ihrem Liebeswahn zielte Peggy mit der Pistole auf mich. Ich bat sie, sich zu setzen und schenkte ihr einen Scotch ein, den sie auf einen Zug austrank.

„Peggy, ich weiß, warum du gekommen bist. Du musst jetzt stark sein.“

Sie wurde leichenfahl und hauchte:

„Die Autorin ist verheiratet und hat fünf Kinder?“

„Nein, sie ist unverheiratet und ungebunden.“

Sie atmete auf.

„Du kennst sie und warst schon mal mit ihr zusammen.“, sagte ich.

„Was?!?!“

„Das ist lange her.“

„Wer ist sie?“

Ich bat sie, zuerst die Pistole zur Seite zu legen, was sie auch tat, dann sagte ich:

„Sie ist ein Mann.“

Das versetzte ihr einen Schlag.

„Ist es Tom?“

Ich schüttelte den Kopf.

Es dauerte nicht lange, da traf mich ihr fester Blick:

„Du bist es.“

Dann griff sie zur Waffe.

Ich konnte das Krankenhaus nach zwei Wochen wieder verlassen. Ich fragte Tom, ob er etwas von Peggy gehört habe, doch er verneinte. Sie sei verschwunden und der Verlag derzeit führungslos.

Im Krankenhaus hatte ich mich geweigert, der Polizei gegenüber Angaben zu der Person zu machen, die mir zwei Schüsse in die Schulter verpasst hatte, auch lehnte ich es ab, Anzeige zu erstatten. Die eingeschaltete Staatsanwältin befragte mich mehrmals am Krankenbett und beim Hinausgehen bewunderte ich jedes Mal ihre roten Haare, deren Lockenpracht sie mit einem raffinierten Zopf zu bändigen wusste.

Ich sah Peggy erst nach einigen Monaten wieder. Sie kam unangekündigt in meine Wohnung und meinte, dass wir nun quitt seien. Ich hätte sie schamlos belogen, sie mich dafür angeschossen, ich sie aber nicht angezeigt, weshalb sie mich weiterhin als Autorin verlegen würde, zumal die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Sande verlaufen seien. Weitere Erörterungen könnten wir uns deshalb ersparen, wenn ich einverstanden sei. Das war ich. Zufrieden stand sie auf und ging.

Vom Balkon aus sah ich sie meinen Wohnblock verlassen. Sie lief zu ihrem Auto, ein Cabrio mit offenem Verdeck, wo auf dem Beifahrersitz eine rothaarige Frau mit Löwenmähne saß. Sie küssten sich, bevor Peggy mit quietschenden Reifen davonfuhr.

Ein Jahr später schickte ich ihr einen kurzen Manuskriptentwurf mit dem Titel Meine Verlegerin und andere Katastrophen, ein Projekt, das ich ausnahmsweise unter eigenem Namen herauszubringen bereit sei. Peggy lehnte eine Veröffentlichung ab und drohte mir, nicht mehr danebenzuschießen, sollte ich es bei einem anderen Verlag versuchen.

Schade, es hätte ein Bestseller werden können.

Letzte Ausfahrt Mutterbrust

Mein Freund Hugo wohnte mit knapp fünfzig Jahren noch immer bei seiner Mutter, die ihn nicht nur mit diesem Namen, sondern auch charakterlich verhunzt hatte. Im Gegensatz zu mir wirkte Hugo wie ein Kind, ich hingegen bin gereift durch drei gescheiterte Ehen und einer in Fachkreisen hochgelobten Modelleisenbahn. Hugo war entwicklungsbedingt ausgestattet mit allem, was Frauen nicht mögen, hatte aber dennoch Affären, was an seinem vorteilhaften Äußeren lag. Doch sobald seine Wohnsituation ans Tageslicht kam, war Schluss. Absolut nicht hinnehmbar hieß es dann von Seiten der Verflossenen. Neben seiner Mutter hatte keine zweite Frau Platz in Hugos Leben, was ihn zumindest vor einer Ehe schützte, die er ohnehin einem Lebend-Begräbnis gleichsetzte.

Umso unverständlicher dann seine plötzliche Ankündigung, er wolle heiraten. Ich würde seine künftige Frau bald kennenlernen und ihn dann verstehen. Er nannte mir ihren Namen, den ich, weil ich ihm kein Wort glaubte, schnell wieder vergaß.

Einige Wochen später läutete es an meiner Wohnungstür. Ich öffnete und da stand er: Hugo und neben ihm eine unglaublich hinreißende Frau, die er mir als seine Verlobte vorstellte. Sie begrüßte mich mit strahlendweißen Zähnen und einem Blick, der mir durch und durch ging. Mein Hirn ratterte Dutzende von Frauennamen durch, in der Hoffnung, auf ihren zu stoßen, doch vergeblich. Ich wusste nur noch, dass es irgendetwas mit „e“ war.

Wir öffneten seinen mitgebrachten Champagner und stießen auf die bevorstehende Trauung an. Irgendwann ließ er ihren Namen fallen - sie hieß Paula, war Anfang Vierzig und außerordentlich glücklich geschieden, wie sie betonte und dabei betörend lachte. Doch wie ich Hugo kannte, würde ihr dieses Lachen bald vergehen, weshalb ich sie auf keinen Fall ungebremst in ihr Unglück rennen lassen durfte. Also empfahl ich ihr, die verbleibenden Wochen noch zu genießen, bevor Hugos Mutter das Steuer übernehme, eine Bemerkung, die ihm sichtlich unangenehm war. Er erwiderte zu Paula gewandt, dass sie meine Drohung als Kompliment und Zeichen meiner rasenden Eifersucht verstehen dürfe, womit er ziemlich richtig lag. Außerdem, fuhr er fort, wäre ich in solchen Fragen befangen, schließlich sei ich aus meinen Ehen - im Gegensatz zu Paula - äußerst unglücklich hervorgegangen, was ihn noch immer in gute Laune versetze, da er mir seit Jahrzehnten nichts anderes prophezeit habe. Ich erwog, nun meinerseits Prophezeiungen abzugeben, da begann Paula von der gemeinsamen Wohnungssuche zu berichten, welche zwingend nötig sei, da sie nicht vorhabe, mit ihrer künftigen Schwiegermutter zusammenzuleben, was bei Hugo ein nervöses Augenzucken auslöste.

Das mit ihm konnte sie vergessen, dachte ich, er würde seine Mutter nie im Stich lassen und schon gar nicht für eine andere Frau. Im Grunde konnte er Paula gleich bei mir lassen, es würde ihr viel Ärger ersparen und zudem mein Alleinsein beenden. Sie schien das Ausmaß seines Mutterproblems zu unterschätzen, aber das würde noch kommen. Derweil gratulierte ich Hugo zu seiner ersten eigenen Wohnung und fragte, wie seine Mutter auf diese freudige Nachricht reagiert habe. Er warf mir einen vernichtenden Blick zu, der, wie zuvor schon sein Augenzucken, Paulas feinen Antennen nicht entging. Hugo erwiderte, seine Mutter sei natürlich einverstanden. Dies sei höchst verwunderlich, erleichtere aber vieles, gratulierte ich, doch so etwas wie Erleichterung war ihm in keiner Weise anzusehen. Vielmehr schien er den Besuch bei mir mittlerweile zu bereuen, zumal Paula nun nachhakte, ob seine Mutter in ihrem Alter überhaupt noch alleine leben könne oder ob sie nicht besser in ein ... da unterbrach er sie und mahnte zum Aufbruch, sie hätten schließlich noch einiges vor. Das schien zu stimmen, denn Paula widersprach nicht und kurz darauf verließen sie meine Wohnung.

Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt war ich bereits verliebt in Paula und ich hätte die Sache nun einfach laufen lassen können, schließlich kannten Hugo und ich uns seit der Schulzeit und diese Freundschaft ist mir ein hohes Gut. Doch am nächsten Tag stand seine Mutter vor der Tür und bat freundlich um Einlass. Das wunderte mich, denn seit Jahrzehnten versuchte ich, Hugo aus ihren Krallen zu befreien, weshalb sie mir irgendwann Hausverbot erteilt hatte. Nun saß sie vor mir und ich machte ihr einen Kräutertee, den sie dankend annahm. Mit ihren zweiundachtzig Jahren wirkte sie noch immer hellwach, und was ihren Sohn betraf, entging ihr sowieso nichts. Mit meiner Frage, was sie zu mir führe, öffneten sich gleichsam Schleusen. Was habe sie nicht alles für Hugo getan, ihr Leben für ihn geopfert, seine Launen ertragen, ihn durchgefüttert, seine Wäsche gewaschen, ihm alle Freiheiten gelassen und das alles danke er ihr nun mit diesem Weibsstück, die womöglich nicht mal ordentliche Krautwickel hinbekomme, da frage sie sich schon, was ihr Sohn mittwochs und sonntags künftig essen solle, man könne solche Rituale nicht einfach aufgeben, das sei ungut für seinen Körper, auch wenn der dank ihrem Sauerkraut noch sehr gesund sei, vor allem seine Verdauung, auf die sie immer schon ein Auge gehabt habe. Und nun dieses Miststück, das vorne rum freundlich tue und ihn hinten rum in eine Zwangsehe treibe, in der es vorbei wäre mit der Freiheit, wie er sie ein Leben lang gehabt habe. Das werde sie nicht zulassen und bitte mich deshalb um Hilfe, die ich als Hugos ältester Freund nicht verweigern könne.

Ich war verblüfft über ihre Verwegenheit, ausgerechnet mich darum zu bitten. Mir fiel unser heftiger Streit an Hugos dreißigstem Geburtstag ein, wo ich ihr vorgeworfen hatte, ihn nie wirklich abgestillt zu haben, weswegen er im Freundeskreis als ein an der Mutter nuggelndes Riesenbaby belächelt werde. Ob sie wirklich wolle, dass er dauerhaft als Gespött ende, von wegen Letzte Ausfahrt Mutterbrust? Sie hatte mich damals verständnislos angeblickt und erwidert, dass ihr Sohn jederzeit ausziehen könne, wenn er es wünsche, doch er wünsche es nun mal nicht. Solle sie ihn wegen ein paar idiotischer Lästermäuler auf die Straße setzen? Ihrem Sohn fehle es an nichts, außer an wirklichen Freunden, denn solche wie mich könne er vergessen. So oder so ähnlich war es seit jeher gelaufen, genützt hatte es jedoch nichts, er blieb bei ihr wohnen. Immerhin schlief er schon mit Achtzehn nicht mehr in ihrem Bett, entsorgte mit Mitte Dreißig seine Kindermöbel, und bekam vor drei Jahren einen eigenen Fernseher. Trotzdem, den Schlüssel für sein Zimmer rückte sie noch immer nicht raus.

Auf meine Antwort wartend, saß sie vor mir und blickte mich nervös an. Es hatte sie gewiss Überwindung gekostet, mich aufzusuchen, doch die bevorstehende Kindesentführung ließ ihr keine Wahl.

Was sollte ich tun?

Wenn ich Hugos Heiratsabsicht unterstützte, würde das zwei Frauen ins Unglück stürzen und Hugo gleich mit. Wenn ich hingegen diplomatisch vorging und Paula auf mich überleitete, würde das zwei Frauen plus mich glücklich machen. Im Ergebnis hieß das: Drei Unglückliche gegen drei Glückliche.

Diplomatie hat schon viel Leid verhindert und gilt daher als im höchsten Maße erstrebenswert. Warum also sollte ich diesen aufrechten Weg unversucht lassen? Hugos Leben war nun mal in eine Art mütterlicher Gusseisenform gepresst und dort unumkehrbar ausgehärtet. Daran würde sich selbst Paula ihre strahlendweißen Zähne ausbeißen, so viel war sicher. Der Gedanke an sie erfüllte mich, so dass ich Hugos Mutter antwortete:

„Ich sage es ungern, aber diese Paula tut Ihrem Sohn nicht gut.“

Man hörte Gesteinsmassen von ihrem Herzen fallen, während ihre Gesichtszüge sich entspannten. Sie hatte verstanden.

„Was sollen wir tun?“, fragte sie.

An dieses verschwörerische „wir“ aus ihrem Munde musste ich mich noch gewöhnen, zumal es mir widerstrebte, einfach so die Fronten zu wechseln, doch hier ging es um Höheres. Manchmal muss man Opfer bringen.