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Das Strahlen der Liebe, die Schatten der Verzweiflung, sonnige Gärten und finstere Kellergewölbe: das ganze Spektrum von Licht und Dunkelheit spiegelt diese Sammlung von Geschichten und Gedichten, verfasst von fünfzehn Autoren aus der Schreibwerkstatt der Universität des Dritten Lebensalters in Göttingen.
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Seitenzahl: 129
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Diese Anthologie entstand im Rahmen der von Ruth Finckh geleiteten Schreibwerkstatt des Dritten Lebensalters an der Universität Göttingen (UDL).
Illustrationen und Bilder lt. Bildtitel
Umschlagfoto Manfred Kirchner
Zu diesem Buch haben beigetragen
Ruth Finckh
Eva Jänecke-Lauke
Hans Jochen Hüchting
Manfred Kirchner
Lore I. Lehmann
Helga Margenburg
Brigitte Rosetz
Hansi Sondermann
Jörg Winkler
Belinda Schantong
Joana McDonald
Lisa Neumann
Albrecht Thiel
Brigitte Rosetz
Martina Maly
Karen von zur Mühlen
Für Anregungen, Fotos und Bilder danken wir
Jari Nestel, Ingrid Hüchting, Dr. Gabriele Gaba Weis
und Jürgen Lauke.
Beschwerde Albrecht Thiel
Nachtforst Hansi Sondermann
Dämmerstunde Eva Jänecke-Laucke
Bordighera Hansi Sondermann
So oder so Helga Margenburg
Lichtspiele Martina Maly
Mittsommernacht Manfred Kirchner
Lichtbilder Brigitte Rosetz
Die Kellerlampe Lore I. Lehmann
Scheinwerfer Eva Jänecke-Laucke
Schreiben mit Licht Jörg Winkler
Feenlicht Belinda Schantong
Das Schicksal der Scheinwerfer Eva Jänecke-Laucke
Licht im Tunnel Eva Jänecke-Laucke
Licht…Licht! Hansi Sondermann
Dämmerung Belinda Schantong
Acht Minuten Helga Margenburg
Schatten Eva Jänecke-Lauke
Lichterloh. Acht Gedichte. Ruth Finckh
Irrlichter Eva Jänecke-Laucke
Novembersonne Manfred Kirchner
Lichtung Eva Jänecke-Laucke
Die alte Villa Hansi Sondermann
Abends Eva Jänecke-Laucke
Rampenlicht Eva Jänecke-Laucke
Im Schatten Lisa Neumann
Das stolze Licht Hansi Sondermann
Weißt du nicht Martina Maly
Zum Licht – eine Fabel für Kinder Hans-Jochen Hüchting
Claire De Lune Hansi Sondermann
Nachts, oder die Frau ohne Alter Eva Jänecke-Laucke
Mondlicht Hansi Sondermann
Das Erbe des Ra Manfred Kirchner
Nocturnes Hansi Sondermann
Vor Sonnenuntergang Helga Margenburg
Abschied Hansi Sondermann
Die Strömung des goldenen Lichts Joana Mac Donald
Wenn der Tag geht Manfred Kirchner
Burkhard Stiller und das Teelicht Albrecht Thiel
Licht des Lächelns Hansi Sondermann
Vexierbilder, aus Licht geboren Karen von zur Mühlen
Letzter Abend Hansi Sondermann
Der Letzte macht das Licht aus Eva Jänecke-Laucke
Luzifer Hansi Sondermann
Die Autoren
Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht (Genesis 1)
Albrecht Thiel
Wir, Lux, Vertreter des Lichts und Nox, Vertreter der Finsternis legen gegen das oben angeführte Dekret Gottes zur Scheidung des Lichts von der Finsternis Beschwerde beim Weltenrat mit folgender Begründung ein:
Wir sind seit etwa sechzehn Millionen Jahren zusammen. Wir waren schon zusammen, als es Gott noch nicht gab. Wir können nicht ohne einander existieren, denn wir gehen Abend für Abend nicht auseinander, ohne uns ausgiebig voneinander zu verabschieden und wir sehen uns Morgen für Morgen wieder, um uns herzlich zu begrüßen. Und wir gehen fließend ineinander über.
Eine Scheidung würde bewirken, dass es eine sehr strikte und plötzliche Trennung geben würde, welche verheerende Auswirkungen auf alle Elemente und alle lebenden Organismen hätte. Ein plötzliches Einsetzen der Dunkelheit oder ein plötzliches Einsetzen des Lichts würden bleibende Schäden und Traumata bei Pflanzen und Tieren verursachen.
Gott kann unsere Scheidung nicht per Dekret bestimmen, dazu hat er den Weltenrat und nicht zuletzt auch die Beteiligten zu befragen.
Wir finden die Namensgebung schrecklich, denn wer will schon Tag heißen oder Nacht mit diesem furchtbaren ch-Kehllaut. Die Namen möchten wir selbst wählen; schließlich haben wir schon lange eigene schöne Namen.
Der Weltenrat tritt unter Leitung von Sol wie jedes Jahrhundert einmal auf Wolke vierundzwanzig zusammen. Anwesend sind außerdem die Götter Terra, Aqua, Fauna, Flora und Estrella, Lux und Nox als Beschwerdeführer und Gott als Beschuldigter. Der Weltenrat hat jedes Jahrhundert darüber zu befinden, wie Gott als Exekutiv-Präsident die Welt regiert hat und ob irgendwelche Verfehlungen zu beklagen wären.
Sol stellte in einer langen Rede dar, dass Gott alles in allem seine Sache gut gemacht, aber insbesondere bei Licht und Finsternis seine Kompetenzen überschritten habe. Fauna und Flora bestätigten, dass eine strikte Trennung von Licht und Finsternis gravierende Folgen für Tiere und Pflanzen haben würden. Terra und Aqua wiesen ergänzend darauf hin, dass diese Trennung auch große Auswirkungen auf Land und Meer haben könnten. Auch die Sichtbarkeit der Sterne müsste nach Estrellas Aussage neu geordnet werden.
Nach längerer Beratung wurde der Beschwerde von Lux und Nox stattgegeben. Gott wurde angewiesen, die Scheidung von Licht und Finsternis zurückzunehmen und den alten Zustand wieder herzustellen. Lux und Nox behielten ihre Namen. Glücklich trafen sich die beiden bei der folgenden Tag- und Nachtgleiche und feierten kräftig mit Blitzen und Nordlichtern.
Gott zog sich gedemütigt zurück und überlegte wieder einmal, ob er es trotz dieser Niederlage wagen sollte, den Menschen zu erschaffen.
Hansi Sondermann
Eine Schneise aus Licht
von der Mondaxt geschlagen
durchschneidet den
nachtschwarzen Wald
Silberne Radspuren
der Holzrücke-Wagen
mondhelle Huftapfen der Pferde
im feuchten Sand
In der Nebelfrühe aber
vor dem Morgenlicht schon
erneut das Krachen von Äxten
und das Pfeifen der Stahlblätter
wenn sie durchs Holz gehen.
Foto und Effekte: Manfred Kirchner
Eva Jänecke-Lauke
Jetzt kommt die Zeit, nach der sie sich sehnen, das Tageslicht schwindet, die Nacht wird sie in Dunkelheit und Sicherheit einhüllen, nur der gedämpfte Schein von Laternen lässt sie nicht gänzlich unsichtbar werden.
Es ist nicht die Rede von lichtscheuem Gesindel, wie man es vermuten könnte, nein, es handelt sich um all jene, die nicht im grellen Tageslicht, und schon gar nicht im Rampenlicht gesehen werden wollen, weil sie es nicht mehr ertragen können, von anderen angestarrt oder übersehen zu werden, weil sie zu hässlich oder zu sonderbar sind oder sich auf andere Weise nicht den geltenden Normen zugehörig fühlen.
Alle, die bei Tage keinen kurzen Rock zu tragen wagen, nicht bei hochsommerlicher Hitze im Bikini ins Freibad gehen oder sich mit großem Ausschnitt ins Straßencafé setzen oder sich nicht trauen, extravagante Hüte zu tragen oder als Mann in Frauenkleidung herum zu laufen. Alle, die bei Tage nicht wagen, sie selbst zu sein.
Sie alle haben nichts verbrochen, brauchten den Tag und die Öffentlichkeit nicht zu scheuen, brauchten sich nicht in den Schatten und das Dunkel zu drücken, aber sie tun es, weil sie noch nicht ertragen können, dass man sie kommentiert, bewertet und über sie tuschelt.
Sollte es sich aber irgendwann in der Dämmerung zu schön anfühlen, wenn der Abendwind um die nackten Beine streicht, es glücklich machen, im letzten Tageslicht nackt in den Baggersee zu steigen oder mit verrückten Kleidern durch die Straßen zu huschen, sich schrill zu überschminken und auf Stöckelschuhen um die Ecken zu klappern, wird es ihnen vielleicht endlich egal sein, was andere über sie denken und reden.
Sie werden kurze Röcke anziehen, ohne Perücke zum Einkaufen gehen, sich im Freibad räkeln, sie werden sie selber sein, ihren Körper spüren und nicht weg sperren.
Und vielleicht werden sie auch gar nicht wahrgenommen von denen, die seit Stunden damit beschäftigt sind, ihren Bauch einzuziehen, die zu ihrem Friseurtermin hetzen, um sich die Haare nachfärben zu lassen oder die noch schnell ein teures Oberteil kaufen, um ihre überflüssigen Pfunde zu kaschieren.
Foto: Eva Jänecke-Lauke
Hansi Sondermann
unter den lichtweißen Gipfeln
der Seealpen,
deine Seele ist ligurisch,
die Riviera dei Fiori
ein botanisches Elysium.
Vor dem harten Licht des Mittags
in die Gassen der Altstadt,
über die Piazza del Popolo
in die schattendunkle Kühle
der Santa M. Maddalena.
San Ampelio huldigen,
der den Samen der Datteln brachte.
Im Giardino Esotico Pallanca
Eukalyptus, Myrten und Mimosen,
Agaven und Kakteen, gelber Ginster
und das Karminrot der Gladiolen.
Zitruspflanzen, Palmenhaine
und schwermütige Zypressen.
Im Lichtnetz der Olivenwäldchen
hundert Jahre alte Ölbäume.
Quirlige Eidechsen in den Mauerfugen
und der betörende Gesang der Amseln,
die in den Pinienzweigen nisten.
Der elegante Flug einer Silbermöwe
überm Hotel Villa Elisa
reißt den Blick hoch ins endlos Blaue,
in die lichtvolle Weite.
Weiter hangaufwärts,
hinter verrosteten Eisengittern,
von Zitronenbäumen gesäumt,
Jugendstilvillen, grandios verfallen.
Vor den Balkonen, auf den Terrassen:
Gelbweiße Markisen im Licht.
Im Ristorante L´Aranceto
köstliche Pigato und Cantuccini,
gefüllte Zitronenblüten
mit Thymian und Rosmarin
und:
Spaghetti – auf snobistische Manier kalt serviert.
Am Nachmittag in der Gelateria
an der Porta della Maddalena
„Hölunder-Lavendel mit weißer Schökölade“.
Ein Eis wie nirgends auf der Welt:
Meravigliosa! Incantevole!
An der Lungomare Arentina:
das Knattern der Piaggios und
der Pfiff des Riviera-Zuges,
bevor er die stazione erreicht.
In unserem Hotel am Capo Sant´ Ampelio:
Fin-de-Siecle. Davidoff - und Champagnerduft,
abgeschirmtes Licht der Art-Deco-Kandelaber.
Das Parkett mit den Intarsien und Mosaiken,
auf dem Danielas High heels wie Hufschläge klicken.
Am späten Nachmittag
ins ligurische Meer,
in die anbrandende,
über die Kiesel krabbelnde,
schmatzende See.
Am Abend auf der Mole
Fischer, steigen in ihre Boote,
zünden die Nachtlichter an,
träumen vom großen Fang.
Nachts unterm Mondlicht
trawlen ihre Kutter küstennah.
Am nächsten Tag schon
Gambas, Miesmuscheln und Seewölfe
in den Ristoranti der Città vecchia
aufgetischt.
Bordigheras Flaniermeile ist
gefällig, animiert zur Ruhe.
Kein Hupen. Kein Geschrei. Gelassenheit.
Gebräunte Signori unterm Sonnenhut,
filmrömerstolz den Corso Italia entlang;
im La Casa Del Caffee´ einen Espresso
oder einen Campari Orange in der Bar Milleluci.
Trotz des Fortschritts
Fischerdorfromantik,
noch etwas Riviera-Bohéme,
Belle époque und späte Moderne.
Die stilistische Noblesse jedoch:
Tempi passati.
Das unvergleichliche Licht
Bordigheras
hat den Bildern
Claude Monets und Pompeo Marianis
ihren letzten Zauber gegeben.
Und:
Im Bogenschatten der Porta Sottana
das lichtweiße Elfenbein
und das verführerische Rotlicht
deines Mundes, Daniela!
Bild: Hansi Sondermann
Helga Margenburg
„Hier wird mich sö schnell niemand finden“, dachte Anne, als sie ihre kleine Reisetasche packte. Wer sollte sie auch finden wollen? Es gab ja niemanden, der ihr wirklich nahe stand.
Diese winzige Insel in der Nordsee war genau richtig für das, was sie vorhatte. Hier gab es nur wenige Pensionshäuser und kaum noch Feriengäste um diese spätherbstliche Jahreszeit. Die meisten Häuser hatten bereits geschlossen. Einsamkeit breitete sich jetzt auf der Insel aus, das hatte Anne im Internet recherchiert.
Bewusst hatte sie sich diese Jahreszeit ausgesucht. Sie passte zu ihrer Stimmung, zu ihren düsteren Gedanken. Wie oft hatte sie versucht, Licht und Gelächter dazwischen zu stopfen, doch sie waren nicht heller geworden. Vielleicht hätte es geholfen, wenn jemand gemeinsam mit ihr gelacht hätte?
Das Haus ‚Dünenblick‘, das Frau Käthe gehörte, hatte nöch geöffnet und Anne hatte dort ein Zimmer bekommen. Für acht Tage hatte sie gebucht und im Voraus bezahlt.
Die Anreise war beschwerlich, es herrschte ein rauer Wind und die Fähre schaukelte stark. Trotzdem stand Anne an Deck und sah zu, wie sich hohe Wellen am Bug brachen. Sie hielt sich an der Reling fest, kalte Gischt spritzte ihr ins Gesicht und wirbelte ihre kurzen dunklen Haare durcheinander. Sie empfand ein Gefühl der Freiheit, das sie beruhigte und irgendwie glücklich machte.
Als sie erschöpft ankam, war es bereits Abend. Ohne Mühe fand sie das alleinstehende dunkelrote Backsteinhäuschen mit dem tief herunter gezogenen Reetdach, das sich zwischen Sanddornbüsche und Strandhafer tief in die Dünen duckte. Frau Käthe erwartete sie bereits. Mit einem kritischen Blick auf Annes kleine Reisetasche fragte sie „Ist das alles?“. Typisch für diesen Menschenschlag, fand Anne, bloß kein Wort zuviel. Nun, vielleicht wurde man sö, wenn man in dieser Einsamkeit lebte. „Ja“, antwörtete Anne ebenso knapp. Sie wollte nicht reden, sondern früh zu Bett gehen. Ein wenig freundlicher fügte sie hinzu „Ich brauche nicht viel.“ Diese Tasche beherbergte alles, was vön ihrem Leben übrig geblieben war, nachdem sie ihre Arbeitsstelle und Wohnung gekündigt und ihren ohnehin spärlichen Hausstand aufgelöst hatte.
Der Frühstückstisch am nächsten Morgen war reichlich und liebevöll gedeckt. „Ich denke, Sie können ein bisschen was auf die Rippen vertragen“, sagte Frau Käthe mütterlich, als sie Rühreier mit gebratenem Speck servierte. Anne wurde fast schlecht von diesem Geruch. Es war schon lange her, seit sie so etwas hatte essen können. Jetzt wurde ihr bereits beim bloßen Anblick schwindelig. Mühsam aß sie lediglich eins der frischen Brötchen, nicht weil sie hungrig war, sondern mehr, um Frau Käthe nicht zu enttäuschen.
Gleich nach dem Frühstück brach sie auf. In der Nacht hatte es geregnet und noch immer hingen dunkle Wolken am Himmel. Er war genauso grau wie das Meer und wirkte wie zugemauert. Sie stemmte sich gegen den Wind und ging langsam am Flutsaum entlang, die Hände tief in den Taschen ihrer Regenjacke vergraben. Das Laufen fiel ihr schwer, sie fühlte sich matt. Seit Wochen spürte sie selbst, wie sie täglich weniger wurde seit sie die Diagnöse bekömmen hatte. ‚Unheilbar‘. Warum söllte sie sich dagegen auflehnen? Das Schicksal hatte entschieden. So oder so.
Fest konzentrierte sie ihre Gedanken auf das, was sie morgen vorhatte. Heute würde sie die perfekte Stelle auskundschaften und den Tidenhub beöbachten. Dabei musste sie an ‚Papillön‘ denken, der vor seiner Flucht von der Gefangeneninsel lange das Spiel der Wellen beobachtet und herausgefunden hatte, dass nur jede siebte Welle stark genug war, um ihn wegzutragen in die Freiheit. Wie es hier wohl war?
„Mörgen ist mein Tag“, dachte sie. „Mörgen tue ich es.“ Sölange sie noch selbst über ihr Leben bestimmen konnte, würde sie tun, was sie für das Beste hielt. Längst hatte sie diesen Entschluss gefasst. Er würde ihr viel Leid ersparen.
„Ich werde mich nicht mehr umdrehen, söndern nur zum Hörizont schauen, dorthin, wo Himmel und Meer zusammentreffen. Sobald sich der Himmel zu mir herab senkt, werde ich mich einfach den Wellen überlassen. Das Wasser ist ja noch warm genug. Ganz einfach wird das sein.“ Anne sprach sich selbst Mut zu.
„Kömmt nicht alles Leben aus dem Wasser und sollte deshalb auch dort enden? War das nicht so? Und stand das nicht sogar in der Bibel?“ Dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.
Frau Käthe würde sie als vermisst melden und die Einheimischen würden sagen „Immer diese unvörsichtigen Urlauber“. Schließlich passierte es öfters, dass Menschen, die sich nicht mit den Gezeiten auskannten, bei Ebbe schwimmen gingen und von der Strömung ins offene Meer gezogen wurden, weil sie die Gefahr der Unterströmung unterschätzten. Manchmal wurden sie Stunden später wieder an den Strand gespült. Meistens aber nicht.
Als Anne am späten Nachmittag in die Pension zurückkehrte, sah sie, dass Frau Käthe bei einer Tasse Tee in der Wohnstube saß. Eine dünne Porzellankanne stand auf einem Stövchen und wurde von einem hellen Teelicht darunter warm gehalten. Auf dem Tisch lag ein Deckchen aus gehäkelter Spitze, eine dicke Kerze brannte und verbreitete Wärme. Ihr flackerndes Licht warf einen hellen Schein auf Frau Käthes hochgestecktes graues Haar und ihre rosigen Wangen. Die Lachfältchen um ihre hellblauen Augen verstärkten sich, als sie Anne einlud, sich zu ihr zu setzen. Sie müsse doch ganz durchgefroren sein. Außerdem freue sie sich über ein wenig Gesellschaft, denn jetzt sei es doch recht einsam auf der Insel. „Wissen Sie“, sagte sie, „jetzt ist die Zeit, in der das Leben auf der Insel einen Gang zurück schaltet“.
„Schön hat sie das gesagt“, dachte Anne und lächelte. Döch als Frau Käthe ein zweites Teegedeck holen wollte, lehnte Anne dankend ab.
Am nächsten Morgen machte sie sich noch vor dem Frühstück auf dem Weg. Noch einmal könnte sie den Geruch von Eiern und Speck nicht ertragen.
Sie hatte gestern die perfekte Stelle für ihr Vorhaben gefunden, am Ende der Insel, wo so schnell niemand hinkam. Fast wie von selbst fanden ihre Füße den Weg. Bereits nach einem Tag auf der Insel fühlte sie sich schon ein wenig kräftiger. Der Wind blies ihr heftig ins Gesicht und rötete ihre Wangen. Die salzige Luft war feucht und schwer, auch in der vergangenen Nacht hatte es geregnet, und noch immer war der Himmel grau und ohne Licht. Dunkle Wolken hingen über dem Meer und passten zu ihrer Stimmung. Perfektes Wetter für einen Abschied, fand sie.