Liebe im Überfluss - Susanne Schnyder - E-Book

Liebe im Überfluss E-Book

Susanne Schnyder

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Beschreibung

Nähe und Liebe statt Frust und Trigger Negative Muster und Verhaltensweisen bestimmen oft unsere Beziehungen und verdecken das, worum es eigentlich geht: Die Liebe in uns selbst zu spüren und einander zu schenken. Das muss nicht so sein. Entdecke die 8 Schlüssel für Liebe im Überfluss, die deine Partnerschaft erblühen lassen. Lerne dich selbst und deinen Partner neu kennen, lass alte Lasten hinter dir und bring die Liebe in dir und in deiner Beziehung wieder ins Fließen. Die Erkenntnisse und Übungen in diesem Buch unterstützen dich dabei, deine Muster zu erkennen, zu wachsen und dein Herz ganz für die Liebe zu öffnen.

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«Für nichts lohnt es sich je, dein Herz zu verschließen.»

Michael A. Singer

Inhalt

Einführung

Teil 1 – Die Beziehung zu dir selbst.

Schlüssel # 1: Sich selbst kennen & lieben.

1.1 Der Stimme deines Herzens folgen

1.2 Zu deinen Bedürfnissen und Wünschen stehen.

1.3 Selbstliebe und Selbstfürsorge praktizieren

1.4 Deine Lebensaufgabe finden

Schlüssel # 2: Seine Muster & Prägungen transformieren

2.1 Eigene Muster und Trigger erkennen

2.2 Negative Glaubenssätze auflösen

2.3 Dein Bindungsverhalten verstehen.

2.4 Beziehung als Lernfeld sehen

Schlüssel # 3: Emotionen zulassen & regulieren

3.1 Emotionen verstehen

3.2 Emotionen annehmen und fühlen

3.3 Emotionen regulieren lernen

3.4 Emotionen wieder loslassen.

3.5 Eifersucht transformieren

Schlüssel # 4: Loslassen & Verzeihen können

4.1 Unrealistische Erwartungen loslassen

4.2 Vergangenes loslassen

4.3 Deinem Partner verzeihen

4.4. Dir selbst verzeihen

Teil 2 – Die Beziehung zu deinem Partner

Schlüssel # 5: Achtsam miteinander kommunizieren.

5.1 Die Macht der Worte und Gesten erkennen

5.2 Missverständnisse & Interpretationen auflösen.

5.3 Kommunikationsblockaden vermeiden

5.4 Grundlagen der gewaltfreien Kommunikation lernen

5.5 Wünsche und Gefühle statt Forderungen äußern.

5.6 «Teufelsdialoge» erkennen

5.7 Dich verletzlich zeigen.

5.8 Grenzen setzen und Nein sagen.

Schlüssel # 6: Wertschätzung & Engagement zeigen.

6.1 Das Positive in deinem Partner sehen

6.2 Wertschätzung und Dankbarkeit zeigen

6.3 Die Liebessprache deines Partners verstehen

6.4 Balance zwischen Geben und Nehmen finden

6.5 Sich bei Stress gegenseitig unterstützen

6.6 Konflikte gemeinsam bewältigen

6.7 Dein Herz ganz für die Liebe öffnen

Schlüssel # 7: Balance zwischen Nähe & Distanz finden

7.1 Das passende Mass an Nähe und Distanz finden

7.2 Zeit mit dir selbst und mit deinem Partner einplanen.

7.3 Andere Lebensbereiche pflegen.

7.4 Emotionale Distanz überwinden

Schlüssel # 8: Zärtlichkeit & Sexualität leben.

8.1 Wirkung von körperlicher Nähe und Lustlosigkeit

8.2 Deinen Körper akzeptieren und lieben

8.3. Zärtlichkeiten pflegen

8.4 Der Beziehung Sorge tragen für guten Sex

8.5 Über Sex reden

8.6. Sex zur Priorität erklären

8.7 Alternative Formen der Sexualität erkunden

8.8 Grenzen respektieren

Nachwort

«Was ich in meinem Leben will,

ist Einfühlsamkeit, ein Fluss

zwischen mir und anderen, der

auf gegenseitigem Geben von

Herzen beruht.»

Marshall D. Rosenberg

Einführung

Seit meiner Jugendzeit bin ich der Liebe auf der Spur. Was ist dieses Gefühl, von dem die berühmten Hollywood-Schnulzen erzählen und nach dem wir uns wohl alle sehnen? Wieso gehen die einen Paare im hohen Alter noch händchenhaltend durch die Straßen, während bei den anderen schon nach der Verliebtheitsphase die Fetzen fliegen? Und wie können wir uns mit unserem Partner tief verbunden fühlen und die Liebe in unserer Beziehung fließen lassen? Wieso gelingt dies mit gewissen Menschen besser als mit anderen?

Schon die erste Frage ist nicht einfach zu beantworten. Für den griechischen Philosophen Plato war die Liebe eine höhere Form der Vollkommenheit und Schönheit, die jenseits der materiellen Welt existiert. Er betrachtete sie als einen Weg zur Erkenntnis und zur Verbindung mit dem Göttlichen. Aristoteles hingegen verglich zwischen philia (Freundschaft), die auf gegenseitigem Respekt und Tugend beruht, und eros (romantische und leidenschaftliche Liebe), die auf Anziehung und Verlangen basiert. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hingegen erachtete die Liebe als eine bewusste Entscheidung, sich für einen anderen Menschen zu engagieren und Verantwortung für sein Wohlergehen zu übernehmen, während man gleichzeitig dessen Freiheit respektiert. Die berühmten Philosophen sind sich also nicht darüber einig was Liebe ist. Sie scheint ein nicht klar definiertes, vielschichtiges Gefühl zu sein, das menschliche Beziehungen aller Art (nicht nur romantische Liebesbeziehungen) unglaublich stark prägt. Liebe umfasst ganz viele Aspekte und Facetten wie Zuneigung, Verbundenheit, Respekt, Hingabe, Leidenschaft und Fürsorge. Für mich persönlich bedeutet die romantische Liebe vor allem tiefe Zuneigung, emotionale Verbundenheit und körperliche Anziehungskraft zu einem Menschen, aber auch Anbindung an das Göttliche. Mit den berühmten Schmetterlingsgefühlen der Verliebtheitsphase, die viele fälschlicherweise für Liebe halten, hat dies nicht viel zu tun. Diese sind nämlich hormongesteuert und verfliegen nach wenigen Monaten wieder. Was bedeutet Liebe für dich? Welche der genannten Aspekte erlebst und lebst du in Liebesbeziehungen am stärksten?

Aus spiritueller Sicht ist die Liebe die allem zugrunde liegende Kraft im Universum. Sie ist der Stoff, der alles durchwirkt und das Leben auf unserer Erde erschafft. Als Seelen entspringen wir dieser Urkraft, wir sind reine, bedingungslose Liebe. Wir kommen auf die Erde, um neue Erfahrungen als Menschen zu machen und suchen den Kontrast zu dieser göttlichen Liebe, um uns – Schritt für Schritt – wieder daran zu erinnern, wer wir in Wahrheit sind. Denn wenn wir als Menschen inkarnieren, vergessen wir unseren Ursprung. Ohne die Polarität, die wir auf der Erde erfahren, wüssten wir nicht, dass die Liebe die kraftvollste Energie ist. Einfach zu vergleichen, ist dies mit weißer Farbe. Wenn du nur die Farbe Weiß kennst, woher weißt du dann, dass Weiß die reinste und hellste Farbe ist?

Trotz des Schleiers des Vergessens spüren wir eine tiefe Sehnsucht nach dieser allumfassenden und bedingungslosen Liebe.

Und so suchen wir – bewusst oder unbewusst – ständig im Außen danach, allen voran in Liebesbeziehungen, weil wir dort uns und unsere Liebe im anderen gespiegelt sehen. Wir projizieren das Gefühl der Liebe auf unseren Partner und glauben, wir würden ihn oder sie lieben und wir hoffen, dass unsere Liebe erwidert wird. Dabei befindet sich die Liebe in uns selbst und wir spüren unser eigenes Liebesfeuer in der Gegenwart unseres «Geliebten». Wir projizieren ganz viele positive Eigenschaften auf unseren Partner, die wir eigentlich in uns selbst tragen, aber noch nicht erkennen und ausleben.

Die Crux an der Sache ist, dass wir nicht nur die Liebe und positive Eigenschaften auf den anderen projizieren, sondern auch vermeintliche Fehler, negative Eigenschaften und Erwartungen. Ehe wir uns versehen, wird die bedingungslose Liebe, die wir anfänglich deutlich in uns gefühlt haben, getrübt – da legen sich plötzlich schwierige Emotionen, wie Frust, Trauer oder Wut, wie ein Schatten über die Liebe. Von Bedingungslosigkeit kann keine Rede mehr sein, im Gegenteil: Wir fangen an zu streiten, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen oder noch schlimmer; wir reden gar nicht mehr miteinander. Die vielen kleinen und größeren Dramen des Alltags machen der Liebe sozusagen den Garaus. Der nächste Schritt im Beziehungsdrama ist oft der Seitensprung oder die Trennung – in der verzweifelten Hoffnung, die Liebe woanders zu finden. Zwischen all dem vergessen wir unseren Ursprung, verlieren unsere Ausrichtung auf die bedingungslose Liebe und sehen nicht, was uns diese schmerzvollen Situationen lehren wollen, oder wie sie uns helfen möchten, zu wachsen.

Dabei gibt es kaum ein schöneres Gefühl als zu lieben und geliebt zu werden, in all den genannten Facetten: seinem Partner blind zu vertrauen, sich ihm emotional tief verbunden zu fühlen, für ihn da zu sein, ihn zu respektieren oder in körperlicher Ekstase mit ihm zu verschmelzen. Wie auch immer du Liebe definierst und leben möchtest, dieses Buch will dir dabei helfen, mögliche Blockaden aufzudecken und aufzulösen, die den Liebesfluss zwischen dir und deinem Partner behindern und zu Beziehungsdramen führen können. Es zeigt dir auf, wie du mehr Bewusstsein in deine Beziehung bringst, damit du dich deinem Partner emotional und seelisch (wieder) näher fühlst und all die Aspekte der Liebe (er)leben kannst, die für dich wichtig sind.

Dieses Buch ist ein Bund mit Schlüsseln, der dir alle Tore zu einer bewussten Beziehung öffnet, in der du aufblühst und eure Liebe fließt.

Die Reise beginnt allerdings nicht beim Wir oder beim Partner, sondern bei dir. Wenn du dich selbst nicht liebst, kannst du deinen Partner oder deine Partnerin nicht lieben – so einfach und doch schwierig für viele von uns. Teil 1 dieses Buches führt dich deshalb in die Tiefen deiner eigenen Verhaltensmuster, negativen Glaubenssätze, unverarbeiteten Emotionen und unausgesprochenen Wünsche. Denn nur, wenn wir mit uns im Reinen und integer sind, können wir eine Quelle der Freude und Liebe für unseren Partner sein.

Erst Teil 2 beschäftigt sich mit der Gestaltung der Beziehung mit deinem Partner. In diesen Kapiteln geht es darum, was wir tun können, um mehr Nähe und Verbundenheit im täglichen Miteinander zu erleben und die Beziehung zu pflegen.

Dieses Buch basiert auf meinem gesamten Wissens-, Erlebens- und Erfahrungsschatz der vergangenen fünfundzwanzig Jahre aus eigenen Beziehungen, Weiterbildungen, Büchern sowie Coachings mit Klienten. Ich vereine darin wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus der Psychologie mit spirituellen Ansichten. Vieles von dem, was ich beschreibe, habe ich selbst erlebt und erfahren; die meisten Übungen habe ich selbst zusammengestellt und schon mindestens einmal ausprobiert.

Ich bin keine Wissenschaftlerin, sondern Praktikerin. Als solche habe ich Wert daraufgelegt, die Inhalte so kompakt, verständlich und praxisnah wie möglich zu erklären. Jedes Kapitel beinhaltet deshalb kurze Zusammenfassungen, Beispiele von Paaren sowie Übungen, die dir helfen, die Inhalte in die Praxis umzusetzen. Die einzelnen Kapitel sind in sich abgeschlossen und können im Prinzip auch unabhängig voneinander gelesen werden. In einigen Kapiteln referenziere ich jedoch auf frühere Kapitel, sodass ich dir dennoch empfehle, das Buch klassisch von vorne bis zum Schluss zu lesen. In welchem Tempo du das machst, ist dir überlassen – wie es für dich passt.

Möge die Liebe in deiner Beziehung fließen!

Namasté!

Susanne Schnyder

PS: Aus rein pragmatischen Gründen der sprachlichen Vereinfachung verwende ich in diesem Buch vorwiegend die männliche Form. Selbstverständlich sind damit alle Geschlechter und Identitäten gemeint.

Teil 1 – Die Beziehung zu dir selbst

«Unsere Aufgabe ist es nicht, nach

Liebe zu suchen, sondern lediglich

alle Hindernisse in uns selbst

aufzuspüren, die wir der Liebe in

den Weg gestellt haben.»

Rumi

Alles beginnt bei dir selbst. Wenn du dich selbst gut kennst, eine positive Beziehung zu dir pflegst und psychisch stabil bist, bist du in der Lage, gesunde und nährende Beziehungen mit anderen einzugehen. Partner, die sich selbst kaum kennen, psychisch instabil sind oder nicht genügend für sich Sorge tragen, können für die Beziehung eine Belastung darstellen. Psychisch stabil zu sein bedeutet, dass du in einer gesunden und ausgewogenen psychischen Verfassung bist; dass du in der Lage bist, Herausforderungen des Lebens zu bewältigen und deine Emotionen zu regulieren. Mit Stress, Angst und anderen belastenden Emotionen kannst du umgehen, ohne deine Handlungs- und Denkfähigkeit zu verlieren. Es bedeutet nicht, dass du immer glücklich bist und keine Probleme hast, sondern, dass du bei Rückschlägen wieder aufstehen und weitermachen kannst. Psychisch stabil zu sein bedeutet auch, dass du ein positives Selbstbild und ein starkes Selbstwertgefühl hast, und dass du deine Stärken und Schwächen akzeptierst und gut für dich selbst sorgst. Dies ermöglicht es dir, mit anderen Menschen gesunde Beziehungen aufzubauen, effektiv zu kommunizieren und Empathie zu zeigen; aber auch, klare Grenzen zu setzen und deinen eigenen Interessen nachzugehen. Der erste Teil dieses Buches hilft dir deshalb dabei, dich selbst besser kennen- und lieben zu lernen, mit all deinen Bedürfnissen, Verhaltensmustern, Unzulänglichkeiten und Wünschen. Es wird darum gehen, diese zu reflektieren, deine Emotionen zu steuern und die Verantwortung für deine Verhaltensweisen zu übernehmen, um «Licht» ins «Dunkel» zu bringen. Dies wird es dir ermöglichen, deinem Partner mit mehr Empathie, Achtsamkeit und Liebe zu begegnen. Ohne diese grundlegenden zwischenmenschlichen Fähigkeiten wirst du nämlich immer und immer wieder in Situationen geraten, in denen du oder dein Partner frustriert, verletzt oder unglücklich seid, weil du Eigenschaften auf deinen Partner projizierst oder ihn für dein eigenes (Un-)Glück verantwortlich machst.

Je mehr «Licht» du in dein eigenes Wesen bringst, desto licht- und liebevoller wird sich deine Beziehung gestalten.

Wenden wir uns liebevoll unseren Mustern, Triggern und Traumata zu und bringen diese in Heilung, reduzieren wir das «Gepäck», das wir in die Beziehung mitbringen, und leisten einen wichtigen Beitrag zur Zufriedenheit in der Partnerschaft. Deshalb geht es im ersten Teil des Buches in erster Linie primär um dich und deine Beziehung zu dir selbst.

Nicht immer sind wir jedoch bereit, uns unseren eigenen Dämonen zu stellen und in den Spiegel zu schauen. Manche Themen sind noch nicht «reif» und brauchen noch etwas Geduld oder liebevolle Zuwendung, bevor wir bereit sind, sie zu verarbeiten und loszulassen. Das ist ok – das Gras wächst nicht schneller, wenn du daran ziehst. Geduld mit dir und Verständnis für dich selbst sind in solchen Situationen essenziell, damit du dich selbst nicht überforderst. Vielleicht brauchst du aber nur einen kleinen Anstoß, um dich mit einem Thema auseinanderzusetzen: Das kann ein Buch sein, das dich zum Nachdenken anregt, oder der Ratschlag einer guten Freundin zu einem heiklen Thema oder auch eine unerwartete Reaktion deines Partners auf etwas, das du gesagt oder getan hast. Je mehr du bereit bist, an dir zu arbeiten und dich zu entwickeln, desto mehr wird auch deine Beziehung erblühen. Dies gilt auch für deinen Platz im Leben und für deine Lebensaufgabe: Wenn du weißt, wer du unabhängig von deinem Partner, bist und wohin du das Schiff deines Lebens steuern willst, desto zufriedener wirst du sein – und desto mehr entlastest du deine Beziehung von überhöhten Erwartungen. In diesem Kapitel findest du deshalb Anregungen, Übungen und Reflexionsfragen zu all diesen Themen.

Bist du bereit für die Reise zu dir selbst?

Schlüssel # 1: Sich selbst kennen & lieben

Ein gesunder Selbstwert, Selbstliebe und Selbstfürsorge gehören zu den Grundpfeilern von psychischer Stabilität. Wie in der Einleitung bereits erklärt ist psychische Stabilität eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde und nährende Beziehung. In diesem Kapitel befassen wir uns deshalb ausführlich damit, wie wir uns selbst besser kennen und lieben lernen und gut für uns Sorge tragen können. Wir lernen, der Stimme unseres Herzens zu folgen, unsere eigenen Bedürfnisse zu erkennen und unsere Lebensaufgabe zu verwirklichen.

1.1 Der Stimme deines Herzens folgen

«Man sieht nur mit dem Herzen gut.

Das Wesentliche ist für die Augen

unsichtbar.»

Antoine de Saint-Exupéry

Unser Herz ist ein Wunderwerk der Natur, denn es versorgt nicht nur unseren ganzen Körper mit Blut, sondern auch mit einer Weisheit und Intelligenz, die den besten Kompass für unser Leben bilden. Der Stimme unseres Herzens zu folgen ist deshalb so wichtig, weil sie uns Hinweise darauf gibt, was unsere tieferliegenden Bedürfnisse sind, wie wir gut für uns sorgen können und was unsere Lebensaufgabe ist. Unser Herz bringt uns zu unserem inneren Kern und in die Selbstliebe, was eine wichtige Grundvoraussetzung ist, um andere lieben zu können.

Hand aufs Herz – wie oft überhörst du deine innere Stimme und orientierst dich stattdessen an deinem Verstand? Vermutlich genauso oft wie ich. Mein Verstand übernimmt immer wieder das Ruder, selbst in Situationen, in denen ich bereits körperliche Symptome habe, weil mein Herz mir lautstark etwas sagen will.

Dabei passiert etwas Wunderbares in unserem Körper, wenn wir auf unser Herz hören: Wir werden innerlich ruhiger, Verstand und Herz sprechen eine Sprache und unsere Herzratenvariabilität (HRV) normalisiert sich. Wir spüren es also auf körperlicher Ebene, ob uns etwas guttut oder nicht.

HERZRATENVARIABILITÄT

Die Herzratenvariabilität bezeichnet die Variation der Abstände zwischen zwei Herzschlägen, gemessen in Millisekunden. Je größer der Unterschied zwischen den Abständen unserer Herzschläge ist, desto besser. Denn um flexibel auf die verschiedenen alltäglichen Anforderungen zu reagieren, muss sich unser Herz schnell umstellen können. Daher sind unregelmäßige Abstände zwischen Herzschlägen, also hohe HRV-Werte, ein Anzeichen für ein gesundes Herz.

Wenn wir die Stimme unseres Herzens zu lange ignorieren, werden wir immer unglücklicher, depressiver und im schlimmsten Fall körperlich krank.

Und es kann Auswirkungen auf unsere Partnerschaft haben. Wenn uns «etwas auf dem Herzen liegt», sollten wir unbedingt genau hinhören und es ansprechen – egal wie schwer uns das fällt oder wie viel Angst wir vor der vermeintlichen Reaktion unseres Partners haben. Wir tun uns und der Beziehung auf lange Sicht keinen Gefallen, wenn wir Dinge für uns behalten, die uns wichtig sind – sei es etwas, das uns in der Beziehung sauer aufstößt oder ein Bedürfnis, das nicht erfüllt wird. Es kann nämlich dazu führen, dass diese Themen im Unterbewusstsein schwelen und dich, sowie die Beziehung, immer mehr belasten. Wenn du dich aber nicht getraust etwas anzusprechen, verstrickst du dich gedanklich in Dialoge, die mit der Realität meist wenig zu tun haben. Was dazu führen kann, dass sich deine Stimmung immer mehr verschlechtert oder du gereizt in ein Gespräch gehst. Oder du suchst das Gespräch erst dann, wenn das Fass bereits am Überlaufen ist. Du kannst die Reaktion deines Partners zwar nicht vorhersehen, egal wie gut du ihn oder sie kennst, aber du kannst dir ein Herz fassen und das ansprechen, was dir auf dem Herzen liegt. Je offener und ehrlicher du auf deinen Partner zugehst, desto offener reagiert in der Regel auch dein Gegenüber. Es geht darum, ganz bei dir selbst anzukommen – bei deinem innersten Wesenskern – dich selbst authentisch zu zeigen und deine Wünsche zu äußern – auch auf die Gefahr hin, dass dein Gegenüber vielleicht andere Bedürfnisse hat.

Wie aber kannst du sicher sein, dass du deinem Herzen folgst und in jeder Situation die für dich richtige Entscheidung triffst?

Die Sprache deines Herzens äußert sich durch Gefühle und Körperempfindungen:

Leichtigkeit:

Wenn eine Situation oder Entscheidung richtig für dich ist, fühlt sie sich körperlich leicht an. Zum Beispiel kannst du dann freier atmen, oder der Druck auf deinen Schultern lässt nach, oder deine Muskeln entspannen sich.

Innerer Frieden:

Es stellt sich ein Gefühl von tiefem, innerem Frieden ein, wenn eine Entscheidung für dich richtig ist.

Freude:

Du empfindest Freude beim Gedanken an eine Situation, Tätigkeit oder Entscheidung. Freude kann sich körperlich in Form von Kribbeln zeigen, dein Herz schlägt vielleicht schneller, oder du strahlst übers ganze Gesicht.

Intuition oder Bauchgefühl:

Da ist eine tiefe Gewissheit, dass eine Situation oder Entscheidung richtig für dich ist. Die einen Menschen spüren das tatsächlich als wohlig-bejahendes Gefühl im Bauch, während es beim anderen ein tiefes, inneres Wissen ist.

Leidenschaft:

Du verspürst große Motivation, Leidenschaft und Energie für eine Sache oder Tätigkeit.

Authentizität:

Was du tust oder entscheidest, ist im Einklang mit deinen tiefsten Überzeugungen und Werten. Du bist dann innerlich ruhig und ausgeglichen, und da sind auch keine Stimmen in dir, die etwas Negatives sagen.

Harmonie:

Deine Handlungen führen nicht nur für dich, sondern auch für dein Umfeld, zu mehr Harmonie und Konfliktfreiheit.

Um zu fühlen, ob etwas für dich stimmig ist, stellst du dir die betreffende Situation oder Entscheidung einfach vor und beobachtest, was für Körperempfindungen und Gefühle hochkommen. Wenn du eine oder mehrere der oben beschriebenen Reaktionen zeigst, bist du auf dem richtigen Weg. Manchmal musst du auch einfach einmal etwas ausprobieren, um zu spüren, was du wirklich willst. Oft reicht es schon, wenn du dir bewusst Zeit für dich und deine Fragen nimmst und auf deine Intuition oder dein Bauchgefühl vertraust. Wenn dein Verstand zu stark mitredet und dich nicht zur Ruhe kommen lässt, könnte es hilfreich sein, dir Unterstützung zu holen (zum Beispiel durch einen Psychologen, einen Coach oder Ähnliches). Falls dies alles nicht zum Ziel führt, hilft dir vielleicht die Meditation im Anschluss an dieses Kapitel: Sie führt dich tief in deinen Herzraum.

Sandra war mit ihrem Freund Leo schon 10 Jahre liiert, als sie sich entschlossen, zu heiraten. Sandra war 29 Jahre alt und wollte unbedingt Kinder haben, sie hörte die berühmte «Uhr» ticken. Die Beziehung zu ihrem Freund war von vielen Aufs und Abs geprägt, und in den Monaten vor der Hochzeit ging es Sandra zusehends schlechter. Ihr Körper signalisierte ihr mit Übelkeitsanfällen und Panikattacken immer häufiger, dass die Hochzeit nicht der richtige Weg war. Sie ignorierte diese Anzeichen jedoch und heiratete ihren damaligen Freund. 10 Jahre später endete die Ehe in einer leidvollen Trennung, von der auch zwei Kinder betroffen waren. Insgesamt fehlte es an seelischer Nähe und aufrichtiger Liebe in ihrer Beziehung. Wenn Sandra auf ihre körperlichen Signale und auf ihr Herz gehört hätte, hätte sie nie in die Heirat eingewilligt. Ihr Herz sagte ihr nämlich, dass es auf einer emotionalen und seelischen Ebene nicht für eine langfristige Bindung reicht.

ÜBUNG 1 – Begegnung mit deinem Herzen für mehr Verbindung zu dir selbst

Wenn du Mühe hast, die Stimme deines Herzens zu hören, kann dir diese Meditation helfen. Stelle sicher, dass du dafür während 10–15 Minuten ungestört bist.

1. Setze dich bequem auf einen Stuhl, mit geradem Rücken; anlehnen ist ok. Nimm ein paar tiefe Atemzüge und versuche, dich bestmöglich zu entspannen.

2. Beobachte deinen Atem – spüre, wie der Atem durch deine Nase in den Brustkorb und in den Bauch ein- und ausströmt. Entspanne dich mit jedem Atemzug mehr.

3. Lege deine Hand aufs Herz. Nimm deinen Herzschlag und die Wärme bewusst wahr.

4. Richte nun deine Aufmerksamkeit auf dein Herz und frage es: Wie geht es dir? Was willst du mir sagen? Höre, was dein Herz dir sagen will; da können Bilder hochkommen, Gefühle, Worte etc. – zensuriere diese nicht, sondern nimm wahr und hör hin.

5. Danke deinem Herzen, dass es für dich schlägt und dich mit seiner Weisheit durchs Leben führt. Spüre die Wärme, Leichtigkeit und die Dankbarkeit, die sich in dir ausdehnen.

6. Verweile ein wenig in deinem Herzraum, bevor du dich verabschiedest.

Zusammengefasst:

Wer die Stimme seines Herzens ignoriert, wird auf lange Sicht krank und depressiv.

Die Sprache des Herzens ist die der Gefühle und Körperempfindungen (wie etwa Herzflattern, Panikattacken, Übelkeit o. ä.).

Fass dir ein Herz und sprich deine Wahrheit – dir und der Beziehung zuliebe.

Folgst du deinem Herzen, kannst du deinem Partner in Wahrhaftigkeit begegnen und eine Partnerschaft auf Augenhöhe führen.

1.2 Zu deinen Bedürfnissen und Wünschen stehen

«Frieden beginnt damit, dass jeder von

uns sich jeden Tag um seinen Körper

und seinen Geist kümmert.»

Thích Nhất Hạnh

Unser Herz gibt uns Hinweise darauf, was für uns in jedem Moment stimmig ist – und insbesondere auf unsere Bedürfnisse und Wünsche, die wir hegen. Dabei meine ich nicht in erster Linie physische Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Wärme, Schlaf oder Luft. Ich meine damit unsere psychologischen Grundbedürfnisse (nach Klaus Grawe):

Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

Das Bedürfnis nach Lustgewinn resp. Unlustvermeidung

Das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit

Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung respektive -schutz

Beim Bedürfnis nach Kontrolle geht es einerseits darum, dass wir Dinge selbst entscheiden und unser Leben eigenbestimmt gestalten können; die meisten von uns mögen es nicht besonders, wenn andere über unser Leben bestimmen. Gleichzeitig sehnen wir uns nach Orientierung und Zielen, die uns eine Richtung und Halt im Leben geben. Beim Bedürfnis nach Lustgewinn geht es darum, lustvolle Erfahrungen zu machen und negative Emotionen, wie Angst, Schmerz, Enttäuschung etc. zu vermeiden. Den Umgang mit wenig lustvollen Aufgaben oder Situationen müssen wir als Kinder erst erlernen, d. h. wir müssen Frustrationstoleranz und Disziplin entwickeln, um unsere Ziele zu erreichen und Hindernisse zu überwinden. Wenn unser Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit aktiviert ist, wollen wir dazugehören und akzeptiert werden – sei das in einer Familie, einer Gemeinschaft oder eben in einer Beziehung. Beim Thema Selbstwerterhöhung geht es darum, dass wir uns wertvoll für andere Menschen und kompetent fühlen. Alle diese Grundbedürfnisse versuchen wir, in unterschiedlicher Ausprägung in einer Partnerschaft zu erfüllen. Wir möchten uns jemandem zugehörig fühlen, mit ihm durchs Leben gehen, Lebensziele, wie eine Familie oder ein Haus erfüllen, und für diesen Menschen wichtig sein.

Im Laufe unseres Lebens entwickeln wir Strategien, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen, oder um Frust, weil diese nicht erfüllt werden, zu vermeiden: Wir versuchen entweder aktiv, unsere Bedürfnisse zu befriedigen oder passiv, uns vor Verletzung und Enttäuschung zu schützen, wie Grawe erklärt. Wenn du zum Beispiel Kinder möchtest, wirst du versuchen, einen Partner zu finden, der diesen Wunsch teilt; das wäre dann aktive Bedürfnisbefriedigung. Wenn du hingegen mit einem Partner liiert bist, der keine Kinder möchte, vermeidest du das Thema vielleicht bewusst, um nicht immer wieder frustriert zu werden, wenn ihr darüber redet – das wäre dann die Vermeidungsstrategie.

LISTE MIT BEDÜRFNISSEN

Nebst den psychologischen Grundbedürfnissen gibt es eine Reihe weiterer, physischer, sozialer und emotionaler Bedürfnisse, die Menschen haben. Auf der folgenden Seite eine Auswahl (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Akzeptanz

Anerkennung

Autonomie

Bindung

Empathie

Frieden

Geborgenheit

Gesundheit

Harmonie

Humor

Kommunikation

Lebensfreude

Leidenschaft

Liebe

Nähe

Offenheit

Ordnung

Partnerschaft

Respekt

Ruhe

Sinnhaftigkeit

Spaß

Selbstachtung

Stabilität

Toleranz

Unabhängigkeit

Unterstützung

Verbundenheit

Verständnis

Verwirklichung

Wachstum

Wertschätzung

Würde

Zuneigung

Zuneigung

Zuverlässigkeit

Wenn wir unseren Bedürfnissen über längere Zeit nicht genügend Beachtung schenken, entstehen häufig psychische Störungen oder sogar körperliche Leiden – genauso wie wir anfällig für Krankheiten werden können, wenn wir unsere physiologischen Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wärme, Atmung und Schlaf vernachlässigen.

Unsere eigenen Bedürfnisse zu erkennen und für sie einzustehen, ist essenziell für unser psychisches Wohlergehen …

… und damit auch für das Wohlergehen unserer Beziehung. Sich zurückzuziehen, um Frust durch unbefriedigte Bedürfnisse zu vermeiden, führt früher oder später in die Sackgasse. Denn wenn du deine Bedürfnisse (deinem Partner zuliebe) zu lange ignorierst oder unterdrückst, kann es sein, dass du in der Beziehung immer unglücklicher wirst und irgendwann ausbrichst. Oder dass du deinem Partner (implizite oder explizite) Vorwürfe machst, dass er zu wenig auf deine Bedürfnisse eingeht, was zu Verbitterung führen kann. Es geht also darum, deine Bedürfnisse und Wünsche selbstbewusst und authentisch zu vertreten, und dich nicht vorschnell an die vermeintlichen Erwartungen und Vorstellungen deines Partners anzupassen.

Um deine Bedürfnisse und Wünsche in einer Partnerschaft äußern und erfüllen zu können, musst du aber erst einmal spüren, was du willst, und mit deinem Herzen Verbindung aufnehmen (wie im vorherigen Kapitel beschrieben).

Ist vermutlich einfacher gesagt als getan. Wie gut kennst du deine Bedürfnisse und Wünsche? Wie oft ignorierst du die Bedürfnisse, die dein Körper oder dein Herz dir signalisieren? Sagt dir diese Stimme vielleicht auch, dass ein Bedürfnis nicht legitim oder wichtig ist?

Vielleicht geht es dir manchmal wie mir früher, dass du gar nicht spürst, was du brauchst oder wünschst. Ich war so stark in meinem Kopf verankert, dass ich meine Bedürfnisse oft gar nicht wahrnahm. Oder ich drückte sie gleich wieder weg, weil ich (unbewusst) glaubte, dass ich sie eh nicht befriedigen könnte. Zum Beispiel unterdrückte ich lange Zeit das Bedürfnis nach mehr seelischer und emotionaler Nähe in meiner Beziehung, weil ich spürte, dass dies mit meinem damaligen Partner nicht möglich war. Anfangs hatte ich noch versucht, mehr Nähe zu kreieren, aber mit der Zeit gab ich es auf und unterdrückte das Bedürfnis. Das ist ein Selbstschutz-Mechanismus resp. die oben erwähnte Vermeidungsstrategie: Wenn man keine Wünsche oder Bedürfnisse hat, kann man auch nicht enttäuscht werden. Dies ist aber ein großer Trugschluss, denn unbewusst erwarten wir ja trotzdem, dass jemand – oft unser Partner – unsere Bedürfnisse befriedigt. Und dann hegen wir einen Groll gegen die Person, die das nicht weiß und nicht entsprechend handelt. Wenn wir es aber (beide) schaffen, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und gegenseitig zu kommunizieren, kennen wir uns selbst und unseren Partner besser, und wir können einander darin unterstützen, diese zu erfüllen. Wir sind dann als Individuen und als Paar zufriedener, ausgeglichener, innerlich stabil, authentisch und integer.

Wie gut wir unsere Bedürfnisse wahrnehmen und auch äussern können, hängt unter anderem davon ab, wie gut unsere engsten Bezugspersonen unsere Grundbedürfnisse in der frühen Kindheit befriedigt hatten, wie Demi Charf in ihrem Buch «Auch alte Wunden können heilen» anschaulich schildert. Denn als Kinder sind wir von unseren engsten Bezugspersonen abhängig und darauf angewiesen, dass diese unsere grundlegenden Bedürfnisse nach Wärme, Nahrung und Geborgenheit befriedigen. Ein Baby oder Kleinkind muss die innere Sicherheit entwickeln können, dass es Bedürfnisse haben darf und diese erfüllt werden. Tun dies unsere engsten Bezugspersonen gemäß Charf nur mangelhaft oder unzuverlässig, bilden wir spezifische Muster, die wir durch unser Leben tragen. Wenn wir in unseren frühesten Jahren zum Beispiel einen Mangel an Zuwendung und Bedürfnisbefriedigung erleben, tun wir uns mitunter schwer damit, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und anderen gegenüber zu äußern. Dies kann dazu führen, dass wir in einem dauernden Mangelzustand leben und das Gefühl haben, nie genug zu bekommen. Da können Glaubenssätze entstehen wie «Ich weiß nicht, was ich brauche», oder «Es gibt nie genug», oder «Niemand ist für mich da». Dabei ist das in der Realität oft eine verzerrte Wahrnehmung, da unsere engsten Bezugspersonen oft sehr wohl willens und in der Lage sind, unsere Bedürfnisse (bestmöglich) zu befriedigen.

Wie Charf erklärt, gehen wir mit dem erlebten Mangel auf zwei verschiedene Arten um: Die einen Menschen erleben noch als Erwachsene den Mangel nicht gelebter Bedürfnisse und suchen ständig nach deren Erfüllung. Wenn ihre Bedürfnisse dann aber befriedigt werden könnten, können sie es nicht annehmen oder es ist gefühlt doch nie genug. Sie haben oft Mühe, ihre Bedürfnisse überhaupt zu spüren und aktiv dafür einzutreten. Sie fühlen sich in ihren Beziehungen oft hilflos, bedürftig und nicht gesehen, Zum Beispiel passen sie sich ihrem Partner an, sind dann aber enttäuscht, wenn dieser keine Rücksicht auf die eigenen Wünsche nimmt. Oder sie glauben, vom Partner abhängig zu sein oder ohne ihn nicht leben zu können. Damit wiederholen sie das Drama, das sie von früher kennen, in ihrer aktuellen Partnerschaft. In der Folge fühlen sie sich leer, unausgefüllt und isoliert. Kommt dir das bekannt vor?

Der Partner spürt, wenn wir das Gefühl haben, nie wirklich genug zu bekommen oder er es uns «eh nie recht machen kann» und zieht sich nicht selten zurück, sodass ein Teufelskreis entsteht: Je mehr wir von unserem Partner (unbewusst) erwarten, desto mehr zieht sich dieser zurück. Dabei braucht es in der Realität meist viel weniger als wir meinen, um einen Zustand der Befriedigung und Erfüllung zu erreichen. Wenn diese Menschen lernen würden, ihre Bedürfnisse willkommen zu heißen und ihrem Partner gegenüber zu äußern, würden sie die Erfahrung machen, dass diese (zumindest bestmöglich) befriedigt würden, und das Gefühl des Mangels würde mit der Zeit verschwinden.

Die anderen Menschen, die in ihrer frühen Kindheit Mangel erlebten, haben die Tendenz ihre Bedürfnisse zu verleugnen oder gar abzulehnen, wie Charf weiter ausführt. Sie hatten zwar die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse ansatzweise befriedigt zu bekommen, jedoch nur mit großer Anstrengung oder psychischem Schmerz. Zum Beispiel mussten sie als Kinder um Dinge betteln oder brav sein oder gute Noten in der Schule schreiben etc. Dadurch haben sie früh angefangen, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken. Sie haben viel Misstrauen entwickelt und weisen Menschen zurück, die ihnen etwas zuliebe tun oder geben wollen. Zum Beispiel lehnen sie in einer Partnerschaft jegliche Hilfe im Haushalt oder mit anderen Aufgaben ab. Manchmal opfern sie sich sogar für den anderen auf. Damit bestätigen sie ihren Glauben, dass sie sowieso nichts bekommen und alles allein machen müssen. Geht es dir vielleicht auch so?

Diese Menschen haben große Angst davor, ihre Bedürftigkeit zu spüren, weil ihre Verletzlichkeit und das Gefühl des Ausgeliefertseins in den Vordergrund tritt.

Dies sind in der Regel sehr großzügige Menschen, die selbst sehr gerne geben und anderen helfen. Falls du zu diesen Menschen gehörst, darfst du lernen, deine Bedürfnisse, deine Bedürftigkeit und auch Unterstützung anzunehmen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Stärke und Reife.

In seiner Beziehung mit Claudia versucht Thorsten ständig, es ihr recht zu machen, statt ihr mitzuteilen, was er wirklich möchte. Immer wieder bringt er sich selbst dadurch in Situationen, in denen er am Ende frustriert ist, weil er seine Bedürfnisse ignoriert hat. Zum Beispiel überlässt er Claudia meistens die Wahl des Restaurants, obwohl er das Essen an manchen Orten nicht sonderlich mag. Oder er getraut sich nicht, ihr zu sagen, dass er ab und zu abends lieber eine Sportsendung als Claudias Lieblingsserie schauen würde. Manchmal ist er deswegen regelrecht sauer auf sich selbst – und unbewusst auch auf Claudia, was er sie spüren lässt. Er wird dann schnippisch zu ihr oder auch mal ausfällig. Sie versteht in solchen Momenten nicht, weshalb er wütend auf sie ist, da er es ihr auch nicht erklären kann. Als er sich mit seiner Lebensgeschichte auseinanderzusetzen beginnt, erkennt er, dass er in seiner Kindheit seine eigenen Bedürfnisse oft denen seiner Eltern untergeordnet hat, dem Hausfrieden zuliebe. Erst als er lernt, seine Bedürfnisse Claudia gegenüber authentisch mitzuteilen, entspannt sich die Situation. Und Claudia ist mehr als bereit, auf seine Bedürfnisse einzugehen.

Wie wir erörtert haben, ist die Befriedigung unserer Bedürfnisse wichtig für unsere psychische Gesundheit; denn sie bestimmen weitgehend unsere Motive sowie unser Handeln und gehören zu unserer Erfahrung als Menschen.

Unsere Bedürfnisse haben ihre Daseinsberechtigung und sind legitim – das heißt: Wir müssen uns dafür nicht schämen oder sie verstecken. Wenn wir sie nicht genügend erfüllen, werden wir auf Dauer unglücklich und können auch keine guten Partnerschaften führen. Wir sind dann nicht authentisch und nicht bei uns.

Und wir sind es wert, nach der Befriedigung unserer Bedürfnisse zu streben! In spirituellen Kreisen geht der Irrglaube um, dass wir keine Bedürfnisse haben sollten, oder dass wir sie loslassen sollten, wenn wir wahrhaft glücklich sein wollen. Das ist deshalb ein Irrglaube, weil das Menschsein eine zutiefst spirituelle Erfahrung ist, wozu eben auch Wünsche und Bedürfnisse gehören. Sie sind (der göttliche) Ausdruck unserer individuellen Persönlichkeit sowie unseres Herzens. Und unser Herz sagt immer die Wahrheit!

Wenn wir uns mehr und mehr danach ausrichten, was unser Herz uns sagt und was positive Gefühle in uns auslöst, sind wir mehr im Einklang mit unserem Höheren Selbst.

Und wir fühlen uns insgesamt glücklicher und zufriedener, was sich positiv auf unsere Beziehung auswirkt.

Die alles entscheidende Frage ist, wie du deine Bedürfnisse und Wünsche erkennst. Vor allem, wenn du es nicht gewohnt bist, diese wahrzunehmen oder gar zu äußern. Einen wichtigen Hinweis auf deine (psychologischen) Bedürfnisse liefern dir deine Emotionen: Wenn du wütend oder traurig wirst, kann das zum Beispiel ein Hinweis darauf sein, dass jemand eine Grenze überschritten hat oder ein für dich wichtiges Bedürfnis nicht erfüllt ist.

Vielleicht ärgerst du dich zum Beispiel über deinen Partner, der nachts laut die Wohnung aufräumt, während du müde im Bett liegst. Dein Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf wird in dem Moment gestört. Oder vielleicht reagierst du mit Unverständnis, wenn dein Partner seine Sachen in der ganzen Wohnung liegen lässt, die du dann wieder wegräumen musst. Du hast nämlich ein Bedürfnis nach Ordnung und Sauberkeit in der Wohnung.

Wenn du hingegen Freude empfindest, ist das in der Regel ein Zeichen dafür, dass ein wichtiges Bedürfnis oder ein Wunsch Erfüllung gefunden hat. Vielleicht seid ihr endlich in das langersehnte Haus gezogen, oder dein Partner hat dich in ein Restaurant ausgeführt, das du schon lange einmal besuchen wolltest, und die Freude darüber ist groß. Achte also ganz besonders auf deine Emotionen.

Dein Körper gibt dir ebenfalls wichtige Hinweise auf Bedürfnisse, zum Beispiel in Form von Müdigkeit, innerer Unruhe oder Anspannung, wenn ein Bedürfnis nicht erfüllt wird.

Zusätzlich kannst du dir auch deine Vorstellungskraft zunutze machen, um deine Bedürfnisse zu erkennen: Wenn sich die Befriedigung eines Bedürfnisses in deiner Vorstellung gut und leicht anfühlt, bist du auf dem richtigen Weg.

Um das zu erkennen, kannst du dir in allen Farben vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn dein Wunsch in Erfüllung geht: Wo bist du gerade? Wer ist bei dir? Was macht ihr da? Was sagt dein Gegenüber zu dir? Was siehst und riechst du?

Solche Visualisierungen sind ein wirksames Instrument, um innere Klarheit zu erlangen, aber auch, um deine Wünsche Wirklichkeit werden zu lassen. Denn alles beginnt mit einem Gedanken!