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Jede Menge Chaos und die Liebe auf den ersten Blick: Der Jugendroman „Liebe, Mails & Jadeperlen“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel jetzt als eBook bei dotbooks. Kurz vor Mimis 17. Geburtstag gibt es eine große Überraschung: In den Ferien darf sie ihre Schwester Nicki in Hongkong besuchen. Sonne tanken am Strand, Shoppingtouren und jede Menge Sightseeing erwarten sie. Doch die gute Stimmung ist schnell verflogen, als Nicki erpresst wird. Sofort versuchen die Mädchen, herauszufinden, wer hinter den anonymen Mails steckt – doch das ist gar nicht so einfach. Wie gut, dass sie unerwartet Hilfe bekommen: vom coolen Skater Rory, der Mimi auf Anhieb den Kopf verdreht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Jugendroman „Liebe, Mails & Jadeperlen“ von Erfolgsautorin Sissi Flegel. Freche Mädchenbücher ab 12 Jahren. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 218
Über dieses Buch:
Kurz vor Mimis 17. Geburtstag gibt es eine große Überraschung: In den Ferien darf sie ihre Schwester Nicki in Hongkong besuchen. Sonne tanken am Strand, Shoppingtouren und jede Menge Sightseeing erwarten sie. Doch die gute Stimmung ist schnell verflogen, als Nicki erpresst wird. Sofort versuchen die Mädchen, herauszufinden, wer hinter den anonymen Mails steckt – doch das ist gar nicht so einfach. Wie gut, dass sie unerwartet Hilfe bekommen: vom coolen Skater Rory, der Mimi auf Anhieb den Kopf verdreht …
Über die Autorin:
Sissi Flegel, Jahrgang 1944, hat neben ihren Romanen für erwachsene Leser sehr erfolgreich zahlreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden. Die Autorin ist verheiratet und lebt in der Nähe von Stuttgart.
Die Autorin im Internet: www.sissi-flegel.de
Die bei jumpbooks erschienenen Mädchenbücher von Sissi Flegel findet ihr am Ende dieses Buches.
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eBook-Neuausgabe Juni 2016
Copyright © der Originalausgabe 2001 by K. Thienemanns Verlag in Stuttgart – Wien
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Copyright © 2016 jumpbooks Verlag. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-96053-147-0
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Sissi Flegel
Liebe, Mails & Jadeperlen
Roman
jumpbooks
Um sechs Uhr in der Früh wankte ich ins Bad. Etwas Weiches streifte mein Gesicht. Ich wischte es weg. Sofort war es wieder da, zart und weich und trotzdem grauenvoll. Was war das? Eine Riesenspinne? Ein pelziges Untier? Mit einem Schlag war ich hellwach, tastete nach dem Lichtschalter, blinzelte – und grinste. Die Tanten, natürlich hatten die Tanten das Ding aufgehängt, das da in leuchtendem Knallrot von der Decke baumelte: Heute war Nikolaustag! Bestimmt hatten sie mir quietschbunte Süßigkeiten in den Strumpf gepackt und erwarteten nun einen lauten Begeisterungsschrei.
Neugierig riss ich den Strumpf vom Band. Kein Schokoladennikolaus? Kein staniolglänzender goldener Stern? Kein klebriges Lebkuchenherz? Nur ein weißer Briefumschlag? Die Tanten schrieben mir bestimmt keinen Liebesbrief… Ich öffnete den Umschlag, las und begriff zuerst überhaupt nichts. Dann setzte mein Herz einen Schlag aus und mein Begeisterungsschrei zerriss die morgendliche Ruhe. Ich stürmte in die Küche und fiel meiner Tante Anne um den Hals.
»Ist das euer Ernst? Ist das Flugticket nach Hongkong echt? Habt ihr die Reise wirklich gebucht?«
»Alles echt, alles ernst gemeint, alles gebucht. Freust du dich?«
»Tante Anne! Wie kannst du das fragen!«
Sie schmunzelte. Statt zu antworten, fragte sie: »Willst du gleich frühstücken oder willst du dich zuerst anziehen?«
»Ich muss mich erst mal setzen«, antwortete ich und sank auf einen Hocker.
»Na, freust du dich über das, was dir der Nikolaus gebracht hat?«, fragte auch Tante Lise, die gerade in die Küche kam.
»Der Nikolaus!«, rief ich. »So ein Quatsch! Ihr seid die Nikoläuse!«
»Na, na«, meinte Tante Anne. »Klar war das der Nikolaus. Wir haben ihm nur einen Tipp gegeben.«
»Klasse Tipp. Absolut cool!« Ich rührte meinen Kakao um, damit sich keine Haut bilden konnte. Haut mag ich nicht. Aber das Ticket! Die Reise …! Meine Schwester Nicki jobbt seit Herbst als Aupair- Mädchen in Hongkong. Sie wollte vor Beginn des Studiums etwas von der Welt sehen und landete dort. Sie hat absolutes Glück, ihre Gastfamilie ist super. Sara, die Mutter, ist jung, schick, sportlich und cool. Sie hat Verständnis für Nicki und für die Probleme, die sich in ihrem Alter schon mal ergeben können. Wenn da nämlich ein Verehrer auf der Matte steht, den meine Schwester grässlich findet, sagt Sara, Nicki müsse jetzt arbeiten. Aber wenn Nick, ihr neuer Freund kommt, übernimmt sie abends das Baby und wünscht den beiden einen fetzigen Abend in ihrer Lieblingsdisko. Die heißt »Catwalk«, liegt mitten im Nachteulen-Viertel und muss ‘ne grelle Mischung aus Karaoke-Bar und irrer südamerikanischer Musik sein. Und das in Hongkong! Bald werde ich auch dort sein.
»Kind, der Kakao wird kalt«, riss Tante Lise mich aus meinen Träumen.
»Macht nichts«, entgegnete ich noch ganz in Gedanken. »Wie seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen, mir einen Flug nach Hongkong zu schenken?«
»Es war der Nikolaus«, erinnerte mich Tante Anne. »Ganz einfach deshalb, weil du Sehnsucht nach deiner Schwester hast. Im Übrigen haben dich Nickis Gasteltern eingeladen und auch Nicki scheint Heimweh nach dir zu haben. Da dachten wir, als Nikolaus- und Weihnachtsgeschenk zusammen wäre so eine Reise doch nicht schlecht, oder?«
»Bestimmt nicht«, sagte ich.
»Wir knüpfen allerdings eine Bedingung daran«, sagte Tante Lise.
»Keine Bummelei in der Schule«, antwortete ich prompt.
»Genau das.«
»Auf Ehre und Gewissen«, versprach ich. »Ich werde lernen, bis mir der Kopf raucht.«
»Auf den Rauch legen wir keinen Wert«, sagte Tante Anne. »Gute Ergebnisse wollen wir sehen.«
Das brachte mich zum Lachen. So sind die Tanten: Den Blick fürs Wesentliche verlieren sie nie! Damals, als unsere Eltern bei einem Unfall in der Türkei ums Leben kamen, nahmen sie meine Schwester und mich sofort unter ihre Fittiche. Seitdem leben wir bei ihnen in dem großen Haus auf dem Land. Tante Lise kümmert sich um uns, den Haushalt und den Garten und begleitet nur noch selten ihre Schwester Anne, die Reiseschriftstellerin und Fotografin ist.
Uns allen steckt die Reiseleidenschaft im Blut – deshalb auch der heiße Tipp an den Nikolaus!
»Nicki hat wieder eine Mail geschickt«, sagte Tante Lise zwischen zwei Bissen. »Sie scheint hin und weg zu sein von ihrem neuen Freund Nick, dem Jungen, den sie im Englisch-Intensivkurs kennen gelernt hat.«
»Auf den bin ich mal gespannt«, sagte ich. »Neulich schrieb sie, er sei in Hongkong aufgewachsen, habe einen deutschen Vater und eine französische Mutter und als Berufsziel: Will die ganze Welt sehen.« Ich kicherte.
»Was ist daran so komisch?«, fragte Tante Anne.
»Nichts«, versicherte ich schnell. »Das wollen wir ja auch, Nicki und ich. Da haben wir wohl die gleichen Interessen, aber kleidermäßig favorisiert er anscheinend schwarze Rollkragenpullis und außerdem trägt er oft ‘ne schwarze Baskenmütze. Nicki findet das abartig, aber was will man machen? Eine Macke hat jeder.« Ich stand auf. »Wenn ich mich beeile, kann ich Nicki noch schnell vor der Schule zurückmailen, o.k.?«
Ich wusch mich und zog mich in Windeseile an. Dann setzte ich mich an den Familien-Laptop und tippte für Nicki die gute Kunde rasch in den Rechner.
In der Schule fragte ich meine Freundin Thea: »Na, was hat dir der Nikolaus gebracht?«
Sie schaute mich entgeistert an, tippte sich zuerst an die Stirn und fragte dann: »Hast du ‘ne unfreiwillige Zeitreise gemacht und bist im Kindergarten gelandet?!«
»Hat dir der Nikolaus wirklich nichts gebracht?«, beharrte ich.
»Nö. Dir vielleicht?«
Ich nickte.
»Was denn?« Jetzt war Thea neugierig geworden.
»Och, eine Reise…«, antwortete ich ausweichend.
»Was? Eine Reise? Find ich toll. Wohin geht’s denn? In die Berge zum Skifahren?«
»Nein, leider nicht. Trotzdem – die Reise ist nicht schlecht«, entgegnete ich und räusperte mich leicht. »Es ist ein Flug.«
»Nun rück schon raus! Wohin fliegst du? Und wann? Kann ich mitkommen?«
»Wann ist klar. In den Weihnachtsferien.«
»Und wohin?«
»Nach Hongkong.«
»Nach Hong… – sagtest du Hongkong?«
»Ja. Zu meiner Schwester Nicki.«
»Wow!«
»Klasse Nikolaus, was?«, entgegnete ich grinsend.
Als ich aus der Schule kam, hatte meine Schwester tatsächlich schon eine Antwort geschrieben. »Freue mich irrsinnig auf deinen Besuch. Hoffe, in dieser Zeit nicht so viel auf Jo aufpassen zu müssen. Arbeite ein Besichtigungsprogramm aus! Mal sehen, wie dir Nick gefällt. Er ist einfach umwerfend, er ist lustig und ernst, klug und kindisch. Liebste Grüße von deiner Nicki.«
Ich mailte umgehend zurück. »Liebe Nicki, ist Nick eine Person oder hast du zwei Lover? Bei uns ist das Klo wieder verstopf, die Katze hat in die Küche gek…, es schneit und stürmt, aber in mir scheint die Sonne: Ich freue mich auf dich, auf Hongkong, auf alles Neue! Herzlich, deine Mimi.«
Das stimmte. Ich freute mich dermaßen, dass mich nicht mal die bevorstehende Mathearbeit aus der Ruhe brachte. Selbst als Tante Anne berichtete, dass sie einen wichtigen Auftrag vermasselt hatte, konnte ich kein echtes Mitgefühl aufbringen. In Gedanken war ich schon in Hongkong.
Doch dann riss mich Nickis letzte Mail vor meinem Abflug – das war zwei Tage vor Silvester – aus meinen rosaroten Träumen.
»An Heiligabend – er wird hier mit Partys gefeiert –«, schrieb sie, »habe ich eine Riesendummheit gemacht. Sie ist nicht ohne schlimme Folgen geblieben. Es ist furchtbar, ich ärgere mich so sehr über mich, dass ich mir jedes Haar einzeln ausreißen könnte! Gut, dass du bald hier bist!!!«
So schlimm, dachte ich, wird die Riesendummheit nun auch wieder nicht sein. Vielleicht befürchtete sie, schwanger geworden zu sein? Eine Schwangerschaft wäre für ihre Pläne natürlich das pure Gift, aber eine solche Dummheit traute ich meiner Schwester eigentlich nicht zu. Vielleicht hatte sie den Pass verloren oder ihr ganzes Geld ausgegeben …
Jedenfalls beschloss ich, mich von dieser Mail nicht übermäßig beunruhigen zu lassen.
Das Erste, was ich sah, als ich nach elf Stunden verschlafen und mit tauben Beinen die Gangway herunter und ins Flughafengebäude tappte, war eine riesige Reklametafel.
Life is a journeyTravel it well
las ich und war sofort hellwach. Das schreibe ich über mein Leben, schwor ich mir und beeilte mich, der Herde zur Passkontrolle und zum Gepäckband zu folgen.
Während ich wartete und das riesige, völlig neue Gebäude – in dem alles super sauber und viel moderner ist als bei uns – betrachtete, fiel mein Blick auf die Tafel, auf der die nächsten Flüge angezeigt wurden: Shanghai, Beijing, Taipeh, Kunming, Surabaya … Schon die Namen rochen nach exotischen Ländern, nach unbekannten Gegenden und geheimnisvollen Bräuchen und Lebensgewohnheiten. Am liebsten wäre ich gleich weitergeflogen!
Das Flughafengebäude ist so riesig, dass man in einen speziellen Zug steigen muss, den Airport Express, um zum Gepäckband zu kommen. Es dauerte, bis ich mich einigermaßen zurechtgefunden hatte, aber als ich endlich mein Gepäck vom Band genommen und die Passkontrolle hinter mir hatte, war ich verdammt stolz auf mich.
Den Rucksack auf dem Rücken, den Koffer hinter mir herziehend, trat ich in die Halle – und sofort sah ich jemanden die Arme hochreißen und mit Winken die Luft zu einem Taifun mittlerer Stärke aufwirbeln: Da war sie, Nicki, meine Schwester, zurzeit Aupair-Girl in Hongkong.
Als ich sie da stehen und Windmühle spielen sah, merkte ich plötzlich, wie sehr sie mir gefehlt hatte: klar, dass wir uns um den Hals fielen!
»Wie war der Flug? Geht’s dir gut? Ich freu mich ja so, dass du endlich da bist!«, sagte sie ohne Luft zu holen.
»Hallo, Schwesterherz! Wo hast du denn dein Pflegekind gelassen?«, fragte ich. »Hast du’s nicht mitgebracht?«
»Wo denkst du hin! Du wirst den Kleinen noch früh genug sehen – und hören!«, meinte sie und hakte sich unter. »Komm, wir nehmen den Zug in die Stadt, dann steigen wir um in den Bus.«
Ich nickte.
»Schnell«, rief Nicki. »Der Zug kommt gerade!«
Wir stiegen in ein modernes, total gestyltes Transportmittel. Das Ding raste wie eine U-Bahn und hielt an nur wenigen Stationen, die auf Chinesisch und Englisch angesagt wurden. Aber leider konnte ich kaum etwas sehen, denn meistens fuhren wir durch beinahe endlose Tunnel.
An der Endstation stiegen wir aus.
Als wir ins Freie traten, blieb mir die Luft weg. Solche Hochhäuser hatte ich noch nie gesehen.
Ein Doppeldeckerbus kam, wir wuchteten den Koffer rein, schoben den Rucksack nach, kletterten nach oben und fanden ganz vorn zwei freie Plätze.
»Toll«, sagte ich hingerissen, »einfach toll!« Nach den breiten Straßen, an denen links und rechts supermoderne Hochhäuser aufragten, fuhren wir durch ein altes Viertel mit jeder Menge chinesischer Reklametafeln, mit Wäsche vor den Fenstern, verkümmerten Blumenstöcken, vergammelten Fassaden, merkwürdigen Auslagen in den Schaufenstern – und Gehwegen, auf denen sich die Menschen fast totdrückten. Ich konnte gar nicht schnell genug schauen, um alles mitzukriegen.
Nicki lachte. »So ging’s mir anfangs auch. Aber pass auf, es kommt noch viel besser.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf – aber es kam tatsächlich noch besser. Inzwischen fuhr der Bus nämlich eine enge, kurvige Straße hoch, immer höher – und plötzlich sah ich links das Meer. Das Südchinesische Meer.
Nicki zeigte aus dem Fenster. »Das ist die Deep Water Bay«, erklärte sie.
Eine malerisch geschwungene Bucht reihte sich an die andere, da waren der weiße Strand, das blaue Wasser, auf dem Dschunken und schmale längliche Boote und Jachten und Segler aller Art dümpelten. Die Hügel waren sattgrün. Als wir um eine Kurve bogen, zogen sich am Hang zu unserer Linken wieder Hochhäuser hin und da – ich beugte mich vor –, da war eines, geschwungen wie ein elegantes S, das hatte ein Loch in der Fassade. Tatsächlich. Mehrere Stockwerke fehlten einfach! Das Loch sah aus wie ein riesiges quadratisches Fenster. Durch die Lücke sah man den Berg, die Bäume, die an seinem Hang wuchsen, und ein Stück Himmel samt einer kleinen weißen Wolke.
»Was soll denn das?«, fragte ich verblüfft.
»Das ist das Drachenfenster«, antwortete Nicki völlig ernsthaft. »Weißt du, in jedem Berg wohnt hier ein Drache. Der grämt sich und vielleicht wird er sogar wütend, wenn er keinen freien Blick aufs Meer hat. Um ihn also nicht zu verärgern, hat der Architekt für ihn ein Aussichtsloch im Gebäude ausgespart. Clever, was?«
»Komm, das ist doch Aberglaube!«
»Für uns ja … Oh, hier müssen wir aussteigen … Pass auf, dass du mit dem Rucksack nicht hängen bleibst.«
Ich passte auf, Nicki sprang raus, ich folgte – und nach wenigen Schritten standen wir auf einem Platz zwischen zwei hohen Wohnhäusern.
»Wir sind da!«
Nicki blieb vor einer großen, doppelflügeligen Eingangstür stehen. Links davon befand sich eine Art Schalttafel. Meine Schwester tippte ein paar Ziffern ein. »Das ist unser Code, weißt du«, meinte sie beiläufig.
Die Tür sprang auf, ich staunte und kam mir vor wie das dumme Lieschen vom Land. Einen Augenblick später staunte ich noch viel mehr. Boden und Wände der Eingangshalle waren aus poliertem Marmor, ein riesiges Blumenbouquet leuchtete in einer Vase aus goldglänzendem Messing, alles war derart gestylt, dass es mir fast peinlich war, wenn ich an den Eingang in unserem Tantenhaus dachte.
»Hallo«, sagte Nicki. »Das ist meine Schwester Mimi.«
Jetzt erst sah ich den geschwungenen Tresen. Dahinter saß ein älterer Chinese, der freundlich grinste und etwas sagte, was ich natürlich nicht verstand, und dann hörte ich das Zwitschern. Über seinem Kopf baumelte ein zierlicher, runder, kunstvoll geflochtener Käfig aus Bambus. Auf einem Stäbchen schaukelte das winzigste Vögelchen, das ich je gesehen hatte. Es war gelb-braun gefiedert und sang und trillerte in einer – für seine Größe – unglaublichen Lautstärke.
Nicki bemerkte meinen Blick und erklärte: »Es gehört Wan Ping. Er ist der Portier, und wenn du ‘ne Frage hast oder Hilfe brauchst, dann ist er der Mann für dich. Aber nun komm endlich.«
Sie drückte auf den Aufzugs knöpf, die Türen glitten auseinander und in den vielen Spiegeln sah ich mein eigenes staunendes Gesicht. Nicki drückte auf die 16 und wir schwebten aufwärts. Dort oben, im sechzehnten Stock, wartete Sara, Frau Wilder, mit dem Baby auf dem Arm.
Sie legte ihren freien Arm um mich und zog mich kurz an sich. »Hallo! Herzlich willkommen! Wie schön, Nickis kleine Schwester zu Besuch zu haben! Fühl dich bei uns wie zu Hause.«
Der Kleine guckte mich skeptisch an. Er streckte den Finger in den Mund, dann, so schnell kann kein Mensch denken, fuhr er mit beiden Händen in meine Haare, zog mal kurz – und krähte erfreut über die Ausbeute.
»Du Scheusal«, schimpfte Sara. »Das darf man nicht tun, Jo. Gib Mimi einen Kuss, ja?«
Jo sabberte Spucke auf meine Backe. »Mimi? Mimi!«, sagte er strahlend.
»Oh«, sagte meine Schwester, »deinen Namen spricht er besser aus als meinen. Zu mir sagt er nämlich immer ›Niddi‹.«
Ich fühlte mich sofort richtig heimisch.
Plötzlich stand Herr Wilder neben uns, groß, wuchtig, mit einem Bürstenhaarschnitt und breitem Lächeln, streckte seine Pranke aus und fand es »wonderful«, endlich Tante Annes »young ducken« kennen zu lernen. Sara ist Deutsche, ihr Mann, Herr Wilder, ist Amerikaner und Chef einer High-Tech-Firma. Tante Anne bekam vor einiger Zeit den Auftrag, einen Bericht über irgendeine Region in China für seine Firma zu schreiben; daher kennen sie sich.
Bob Wilder drückte mir ein Glas Saft in die Hand und zog mich zur Fensterfront. Die reichte von der einen Seite der Wand bis zur anderen und präsentierte eine überwältigende Aussicht auf die Bucht.
»Abends musst du das erst mal sehen«, meinte Nicki und rollte den Koffer in ihr und – für die Dauer meines Aufenthalts – auch mein Zimmer.
Darin befanden sich ein Schreibtisch und ein eingebauter Schrank. Ein rundes schwarz lackiertes Tischchen und zwei kleine Sessel standen vor dem Fenster – und dann war da noch ein einziges breites Bett. »Für uns«, meinte Nicki grinsend.
»Für mich reicht’s«, sagte ich gähnend. »Ich schlaf mal ‘ne Runde.«
»Kommt nicht infrage. Jetzt gehen wir ans Wasser und schwimmen«, meinte sie energisch. »Schlafen kannst du später.«
»Schwimmen? Jetzt, Anfang Januar?«
»Das Wasser ist kühl, aber immer noch wärmer als die Nordsee im August. Wo ist dein Badeanzug?«
»Im Koffer.« Ich rappelte mich auf.
Wir zogen uns um. Nicki reichte mir einen tollen rotorangefarbenen Seidenkimono. »Den hat Sara für dich besorgt«, sagte sie und zeigte mir, dass sie einen ähnlichen besaß. »Damit können wir auf die Straße und runter zum Strand.«
Das Wasser war kalt, aber nach dem Schwimmen war meine Müdigkeit wie weggeblasen. Wir setzten uns auf eine Bank und ließen uns von der Spätnachmittagssonne trocknen.
Ich streckte meine Beine aus. »Die Familie ist in Ordnung«, sagte ich. »Sara ist super, richtig herzlich und so, dass man sich in ihrer Gegenwart gleich wohl fühlt. Das Baby habe ich mir kleiner vorgestellt, aber mit achtzehn Monaten liegt man wohl nicht mehr oft im Wägelchen und schläft friedlich, oder?«
Nicki lachte lauthals. »Jo kann toben wie ein Wilder! Manchmal hat er so viel Energie, dass ich am Abend völlig erschöpft bin. Der Einzige, der ihn in aller Ruhe aushält, ist sein Vater, Bob. Bob ist der einzige ruhige Mensch in dieser Familie.«
»Das habe ich mir gedacht«, nickte ich. »Aber nun erzähl, welche Dummheit du gemacht hast. Deine Mail hat mich ziemlich aufgeregt, bis ich mir gesagt habe, dass du bestimmt übertreibst. Bist du schwanger?«
»Schwanger?« Nicki sah mich so fassungslos, so entsetzt an, dass ich vor Verlegenheit kicherte.
»Könnte doch sein, oder?«
»Quatsch. Das wäre zwar ‘ne Dummheit, aber für so ‘ne Dummheit bin ich dann doch nicht dumm genug. Wie kannst du nur so was von mir denken, Mimi!«
»Da bin ich beruhigt. Was ist es dann?«
Nicki seufzte tief.
»Los, was hast du angestellt?«
»Nichts«, antwortete meine Schwester empört. »Ich habe nichts angestellt. Nur – hast du die chinesische Kommode in der Diele bemerkt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Auf dieser Kommode direkt neben der Wohnungstür stehen das Telefon, das Faxgerät und der kleine Laptop. Es ist Saras PC, er ist meist angeschaltet, denn auf dem Bildschirm werden die eingegangenen Mails angezeigt. Jeder, der nach Hause kommt, schaut nach, ob Nachrichten angekommen sind.«
Jetzt war ich gespannt. »Du hast doch ein eigenes Gerät, oder? Warum beschreibst du Saras PC so ausführlich?«
»Wart’s ab«, sagte meine Schwester. »Weil Sara immer wieder vergisst, ihr Handy aufzuladen, schickt Bob oft eine Mail, wenn er sich abends verspätet oder überraschend Gäste mitbringt. Das kommt häufig vor. Oder ihre Freundin fragt an, ob ich nicht mal ihr Baby mithüten kann, wenn sie niemanden zum Aufpassen hat. Es ist also eigentlich kein privates, sondern eher ein Familiennachrichtenübermittlungsgerät. Jeder liest die eingegangenen Mails.«
»Aha. Und du hast zufällig eine Mail gelesen, die dich nichts angeht«, kombinierte ich messerscharf.
»Nein«, widersprach Nicki. »Die Mail war an mich adressiert.«
»Was? Sie war an dich adressiert? Aber sie betraf dich nicht, stimmt’s?«
»Doch. Sie betraf mich.«
Ich schaute sie verständnislos an.
Nicki runzelte die Stirn und strich sich die Haare glatt. »Die Mail war an mich adressiert und lautete: ›Du heißt Nicki. Du bist die amah‹ – das ist der Name für ein Kindermädchen – ›die amah der Familie Wilder. Ich weiß, dass du schlecht für das Baby sorgst. Du lässt es allein und gehst mit deinem Freund an den Strand. Wenn du nicht willst, dass ich das der Familie sage, bezahle den Betrag von hundert Hongkong-Dollar. Lege das Geld in einen Umschlag und verberge diesen unter dem Mülleimer, der sich am Strand neben dem Eiscafé an dem hohen Baum befindet. Bezahle. Wenn nicht, wirst du es bereuen.‹«
»Waaas? Das ist Erpressung!«, rief ich empört. »Hundert Hongkong-Dollar, das sind dreihundertfünfzig Mark!«
Meine Schwester nickte bekümmert.
»Hast du Sara die Mail gezeigt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil… es war so. An Heiligabend sind Sara und Bob abends ausgegangen. Sie waren vielleicht eine Viertelstunde aus dem Haus, als es klingelte. Ich ging zur Sprechanlage. Es war Nick, er sagte, er habe ein Geschenk für mich, und fragte, ob wir Weggehen könnten. Ich sagte, nein, das geht nicht, Wilders sind nicht da. Er fragte, ob er raufkommen könnte. Aber das wollte ich nicht.«
Ich nickte. Das hätte ich auch nicht getan; es wäre gegenüber Sara und Bob ein Vertrauensbruch gewesen.
»Jo hatte gegessen, war gebadet und gewickelt und schlief tief und fest. Also fuhr ich runter und ging mit Nick an den Strand. Er schenkte mir ein Buch über China und sagte, er … äh … er sagte, er fände mich toll und überhaupt – na, du kannst dir denken, was er noch gesagt hat.«
Ich nickte. »Er mag dich, was?«
»Ja, sehr. Jedenfalls – ich war etwa zwanzig Minuten weg. Als ich zurückkam, schlief Jo noch immer ganz fest.«
»Aber jemand hat beobachtet, dass Wilders weggegangen waren. Jemand wusste, dass du mit dem Baby allein warst. Jemand hat gesehen, dass du mit deinem Freund – ohne Jo – zusammen warst. Mist. So gesehen, hast du wirklich einen Fehler gemacht, Nicki.«
Sie nickte. »Es ist aber nichts passiert, absolut nichts.«
»Das ist nicht der Punkt«, antwortete ich langsam. »Hast du das Baby schon öfter allein gelassen?«
»Nein, es war das erste und einzige Mal. Es ist aber nicht bei der einen Mail geblieben. Heute, bevor ich wegfuhr, um dich abzuholen, kam schon wieder eine. Woher will ich wissen, dass die beiden Mails die einzigen sind? Vielleicht hat mich der anonyme Schreiber schon mehrmals verleumdet? Jedenfalls, Sara ist seit einigen Tagen anders geworden. Reservierter. Kühler. Wie gehemmt. Und überhaupt – sie ist längst nicht mehr so fröhlich wie früher. Deshalb denke ich, sie könnte die Mails auch gelesen haben.«
Ich dachte nach. »Kam mir aber nicht so vor, als ob sie dir gegenüber reserviert ist. Mir ist jedenfalls nichts aufgefallen. Aber natürlich kenne ich sie erst seit wenigen Stunden. Da kann ich mir kein Urteil erlauben … Wirst du zahlen?«
»Nie im Leben!«, rief Nicki empört.
»Dann sprich mit Sara. Gib zu, dass du Jo zwanzig Minuten allein gelassen hast, sag, dass nichts passiert ist und dass das nie mehr Vorkommen wird. Sag ihr, dass dich jemand beobachtet hat und nun erpressen will.«
»Oh Gott, wie fies das ist!«, rief Nicki.
»Gegen Fiesheit kann man nur mit Ehrlichkeit was ausrichten«, antwortete ich und gähnte. »Die Tanten würden das auch sagen.«
»Da hast du Recht.« Nicki schaute auf die Uhr. »Wir müssen rauf«, sagte sie und stand auf.
Ich blieb sitzen. »Was wirst du tun?«
»Ich will herausfinden, wer hinter den Mails steckt. Und ich werde mit Sara sprechen müssen«, antwortete sie widerstrebend. »Aber nicht, wenn Bob zu Hause ist.«
»Schieb es nicht zu lange hinaus. Was ist, wenn noch ‘ne Mail kommt und Sara die abfängt? Jede neue Mail macht die Sache schlimmer.«
»Ich weiß …«
»So was wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht«, sagte ich erschüttert. »Und ausgerechnet meine Schwester Nicki muss einem Erpresser in die Finger geraten! Ich fasse es nicht…«
Wir überquerten die Straße. »Ich werde die Augen offen halten«, sagte ich und gähnte schon wieder. »Verdammter Jetlag«, knurrte ich. »Ich bin so müde, dass ich nicht mehr denken kann. Morgen –«
Jemand kam auf einem Skateboard den Hang heruntergeschossen, hielt direkt auf uns zu, legte sich im allerletzten Augenblick in die Kurve und sprang ab. »Hallo!«, sagte der Boarder fröhlich, stieg wieder auf sein Brett und fuhr weiter.
Normalerweise hätte ich einen solchen Raser empört darauf hingewiesen, dass er eine Gefahr für harmlose Spaziergänger darstellt. Heute lag es wohl am Jetlag und an Nickis Erpresser-Mails, dass ich darauf verzichtete und nur kurz dachte: Eigentlich ein ganz netter Typ, so wie er aussieht mit seinen Jeans und dem Hemd. Und skaten kann er wirklich.
Dann dachte ich wieder an Nicki. Diese Mails! Die ganze Sache war ziemlich verfahren … Ob Sara was wusste? Ich konnte es mir nicht vorstellen.
»Weißt du«, sagte ich zu Nicki, »wenn Sara was von diesen Mails wüsste, hätte sie dich bestimmt darauf angesprochen. Sie ist offen und herzlich. Jemand wie sie verstellt sich nicht; sie würde dich sofort nach dem Warum und Weshalb fragen.«
Oben warteten Sara und Bob bereits mit dem Abendessen auf uns.
Während des Essens überlegte ich weiter, wie ich meiner Schwester helfen könnte. Hundert Hongkong-Dollar waren eine Menge Geld für Nicki. Das war das eine. Was noch viel schlimmer war, war, dass Saras Vertrauen auf dem Spiel stand.
»Na, der Jetlag hat wohl voll zugeschlagen, was, Mimi? Sieben Stunden Zeitverschiebung ist keine Kleinigkeit. Aber morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus«, meinte Bob und lachte mich verständnisvoll an.
Wenn der wüsste!, dachte ich. Seit einer halben Stunde sieht die Welt für mich anders aus, und daran ist ganz gewiss nicht der Jetlag schuld!