Liebe ohne Grenzen - Nora Roberts - E-Book

Liebe ohne Grenzen E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die schönsten Stunden ihres Lebens verbringt die junge Samantha mit dem gut aussehenden Rancher Jack. Endlich glaubt sie sich am Ziel ihrer Wünsche, doch als sie die Wahrheit über Jack erfährt, bricht eine Welt für sie zusammen ...

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Nora Roberts

Liebe ohne Grenzen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Heike Warth

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe Song of the West ist bei Silhouette Books, Toronto, erschienen.
Die deutsche Erstausgabe ist im MIRA Taschenbuch erschienen.
Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © 1982 by Nora Roberts Published by Arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 by MIRA Taschenbuch in der Cora Verlag GmbH, Hamburg Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Fotos von shutterstock/Dean Fikar Satz: Uhl + Massopust, Aalen ISBN: 978-3-641-12107-5 V003
www.penguinrandomhouse.de/nora-roberts

1. KAPITEL

Der Südosten des Staates Wyoming ist voller Gegensätze. Weite Ebenen und sanfte Hügel wechseln sich mit schroffen felsigen Gebirgsketten und dichten Nadelwäldern ab.

Die Aussicht vom Küchenfenster war überwältigend. Samantha Evans unterbrach ihre Arbeit für ein paar Augenblicke, um ihre Umgebung ungestört genießen zu können.

Der Horizont wurde von den Rocky Mountains beherrscht. Obwohl der Monat März schon weit fortgeschritten war, lag noch immer Schnee auf den Gipfeln der Berge.

Samantha hätte gern gewusst, ob sie den nächsten Winter hier noch erleben würde. Sie träumte von langen Spaziergängen in der kalten schneidenden Winterluft und von weiten Ausritten auf einem temperamentvollen Pferd, das mit seinen Hufen den Schnee aufwirbelte. Aber solange es ihrer Schwester nicht wieder so gut ging, dass sie sie allein lassen konnte, blieben ihre Träume unerfüllt.

Samantha dachte an ihre Schwester. Sabrinas wegen war sie nach Wyoming, in das Land der majestätischen Berge und weiten Ebenen, gekommen und hatte die hektische Großstadtatmosphäre Philadelphias hinter sich gelassen.

Sabrina und sie hatten sich immer sehr gut verstanden, sie waren Zwillinge und sahen sich sehr ähnlich. Dabei waren sie keine eineiigen Zwillinge, aber sie waren gleich groß und hatten eine ähnliche Figur. Samanthas Augen waren von einem dunklen Kornblumenblau, während Sabrinas Augen hellgrau waren. Beide Schwestern hatten ein ovales Gesicht und eine kleine, gerade Nase. Samanthas Haar war braun und schulterlang mit goldenen Glanzlichtern, während Sabrinas Gesicht von kurzen aschblonden Locken eingerahmt wurde.

Das Band zwischen den beiden Zwillingsschwestern war fest und dauerhaft. Selbst als Sabrina damals Dean Lomax geheiratet hatte und ihm auf seine Ranch nach Laramie gefolgt war, hatte das an ihrer gegenseitigen Zuneigung und Verbundenheit nichts ändern können.

Lange Telefongespräche und seitenlange ausführliche Briefe halfen Samantha über ihre Einsamkeit hinweg. Und als Sabrina ihr glücklich erzählt hatte, dass sie ein Baby erwartete, freute sich Samantha mit ihr. Sie hatten zusammen gelacht und ausgiebig Pläne für die Zukunft geschmiedet.

Aber dann war wie aus heiterem Himmel Deans Anruf gekommen. Samantha hatte noch geschlafen, als das Telefon sie mit seinem schrillen Klingeln weckte. Sie tastete noch halb im Schlaf nach dem Hörer, war aber sofort hellwach, als sie Deans Stimme erkannte.

»Sabrina geht es sehr schlecht«, sagte ihr Schwager ohne Einleitung. »Wir konnten das Baby zum Glück retten, aber Sabrina muss die nächste Zeit sehr auf sich aufpassen. Sie muss den ganzen Tag liegen und braucht jemanden, der sich um sie kümmert. Deshalb suchen wir jemanden, der uns bis ...«

Samantha wurde nur von einem einzigen Gedanken beherrscht. Ihre Schwester, der Mensch, den sie am meisten auf der Welt liebte, war krank und brauchte sie.

»Mach dir keine Sorgen, Dean. Ich fange sofort an zu packen.«

Vierundzwanzig Stunden später saß sie in der Maschine nach Wyoming.

Das Pfeifen des Wasserkessels brachte Samantha wieder in die Gegenwart zurück. Sie brühte schnell einen aromatisch duftenden Kräutertee auf und stellte Tassen und Teller auf ein silbernes Tablett.

»Zeit zum Teetrinken«, rief sie, als sie mit dem Fuß die Wohnzimmertür aufstieß.

Sabrina saß mit einem Berg von Kissen im Rücken auf dem Sofa. Sie lächelte, aber sie war immer noch blass und sah sehr mitgenommen aus.

»Wie im Kino«, stellte sie fest, als Samantha das Tablett vorsichtig auf dem Tisch absetzte. »Nur meine Rolle wird mir allmählich herzlich langweilig.«

»Das kann ich mir vorstellen«, nickte Samantha mitfühlend und goss den Tee ein. »Aber es hilft nichts. Du wirst dich noch mindestens vier Wochen lang damit abfinden müssen.« Sie hob eine große, grau gestreifte Katze von Sabrinas Schoß und reichte ihrer Schwester eine Tasse. Dann setzte sie sich neben sie auf den Teppich. »Hat dir Shylock ein bisschen Gesellschaft geleistet?«

»Ich muss sagen, er ist ein fürchterlicher Snob.« Sabrina lächelte und trank einen Schluck. »Aber er hat mir immerhin gnädig erlaubt, ihn an den Ohren zu kraulen. Ich bin froh, dass du ihn mitgebracht hast. So habe ich wenigstens immer ein bisschen Unterhaltung.« Sie seufzte und lehnte sich in die Kissen zurück. »Entschuldige, Samantha«, fügte sie mit einem schwachen Lächeln hinzu, »ich sollte mich wirklich schämen, einfach hier herumzuliegen und in Selbstmitleid zu zerfließen. Dabei sollte ich mich glücklich schätzen, dass alles so glimpflich ausgegangen ist.« Sie legte mit einer schützenden Geste eine Hand auf ihren Bauch. »Da bekomme ich ein Baby und habe nichts Besseres zu tun, als dir etwas vorzujammern.«

»Das ist dein gutes Recht«, entgegnete Samantha verständnisvoll. »Dieses Herumliegen und Nichtstun ist schließlich nicht leicht, wenn jemand so aktiv ist wie du. Ich weiß überhaupt nicht, wie du das aushältst.«

»Das gibt mir keineswegs das Recht, mich zu beklagen. Du hast schließlich immerhin deine Stellung aufgegeben, nur damit du dich um mich kümmern kannst.« Wieder seufzte sie, und ihre Augen wurden verdächtig feucht. »Wenn Dean mir gesagt hätte, was du vorhast, hätte ich es nie erlaubt.«

»Du hättest mich nicht daran hindern können.« Samantha versuchte, Sabrina etwas aufzuheitern. »Für solche Notfälle sind ältere Schwestern schließlich da.«

»Auf diesen sieben Minuten wirst du dein Leben lang herumreiten.« Sabrinas Gesicht hellte sich auf, sie lächelte sogar ein bisschen.

»Was heißt hier herumreiten? Immerhin geht es um mein Erstgeburtsrecht.«

»Aber du hast einen Beruf, Samantha.«

»Mach dir darüber keine Gedanken.« Samantha machte eine wegwerfende Handbewegung. »Im Herbst finde ich schon wieder etwas Neues. Schließlich gibt es nicht nur eine Schule in Philadelphia, und Sportlehrer werden überall gebraucht. Außerdem hatte ich dringend Ferien nötig.«

»Das nennst du Ferien? Den ganzen Tag sauber machen, kochen und obendrein noch Krankenschwester spielen?« Sabrina sah ihre Schwester ungläubig an.

»Meine liebe Sabrina, hast du je versucht, einen übergewichtigen, steifen Teenager in die Geheimnisse des Barrenturnens einzuführen? Ich könnte dir Geschichten erzählen, dass dir die Haare zu Berge stünden. Erzähl mir also nicht, wie ich meine Ferien zu verbringen habe.«

»Wir sind wirklich ein wundervolles Paar, du mit deinen pummeligen Teenagern und ich mit meinen Möchtegern-Mozarts.« Sabrina lachte. »Der liebe Himmel weiß, wie oft ich die Klaviertasten von klebrigen Eis- oder Bonbonrückständen sauber machen musste, bevor mich Dean von diesem Leben erlöste. Glaubst du, dass sich Mama unsere Zukunft so vorgestellt hat, als sie uns zu all diesen Stunden schleppte?«

»Wir befinden uns in bester Gesellschaft.« Samantha musste ebenfalls lachen. »Bist du denn nicht dankbar? Mama hat uns doch immer damit getröstet, dass wir ihr eines Tages für die Klavier- und Ballettstunden noch sehr dankbar sein würden.«

»Und für die Sprechübungen und den Reitunterricht«, ergänzte Sabrina und zählte mit den Fingern mit.

»Und für die Gymnastik und die Schwimmstunden«, fuhr Samantha kopfschüttelnd fort.

»Und den Kochkurs und den Nähunterricht«, schloss Sabrina lachend. »Ich hoffe, wir haben nichts vergessen.«

»Arme Mama.« Samantha schob Shylock fort und setzte sich bequemer hin. »Wahrscheinlich rechnete sie insgeheim damit, dass eine von uns den amerikanischen Präsidenten oder den Kaiser von China heiraten würde. Sie wollte eben, dass wir gut darauf vorbereitet sind.«

»Wir sollten uns nicht über sie lustig machen.« Sabrina wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Schließlich verdienen wir heute unseren Lebensunterhalt damit. Du jedenfalls.«

»Das stimmt. Und ich bringe immer noch ein einwandfreies Spinatsouffle zu Stande.«

»Igitt.« Sabrina verzog das Gesicht.

Samantha hob die Augenbrauen. »Wie bitte?«

»Und deine Olympiamedaillen darfst du auch nicht vergessen«, erinnerte Sabrina ihre Schwester.

»Ja, und meine Erinnerungen daran. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre alles erst gestern gewesen und nicht schon vor zehn Jahren.«

Sabrina lächelte. »Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie aufgeregt ich war, als du dich auf den Stufenbarren schwangst. Dabei hatte ich dir schon hundertmal dabei zugeschaut. Aber ich konnte einfach nicht glauben, dass es wirklich meine Schwester war, die da oben herumturnte. Es war einer der glücklichsten Augenblicke in meinem Leben, als dir deine erste Medaille um den Hals gehängt wurde.«

Samantha schwieg eine Weile, ehe sie versonnen antwortete: »Ich weiß noch, dass ich zu Beginn der Übung dachte, das schaffe ich nie. Vor allem, nachdem ich am Schwebebalken so viel Pech hatte. Ich hatte sogar Angst, dass mir vor allen Leuten schlecht werden und ich mich unsterblich blamieren würde. Aber dann entdeckte ich Mama unter den Zuschauern und musste daran denken, wie viel sie für uns geopfert hatte. Nicht so sehr an Geld«, sagte Samantha, »aber sie hat so viele Entbehrungen auf sich genommen, und das alles nur für diese paar Minuten. Ich musste beweisen, dass es sich gelohnt hatte. Ich musste es ihr irgendwie zurückzahlen, auch wenn ich genau wusste, dass sie nie zugeben würde, wie stolz sie auf mich war.«

»Und du hast bewiesen, dass es sich gelohnt hat.« Sabrina nickte ihrer Zwillingsschwester zu. »Selbst wenn du nicht am Barren und bei den Bodenübungen gesiegt hättest, hättest du es allein durch dein Dabeisein bewiesen. Mama war sehr stolz auf dich, auch wenn sie es nicht zugegeben hat.«

»Du hast mich immer verstanden und unterstützt, Sabrina. Hör also auf damit, dass ich dir einen Gefallen getan habe, indem ich hergekommen bin. Ich wollte kommen. Ich gehöre zu dir.«

»Samantha.« Sabrina streckte eine Hand nach ihr aus. »Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich täte. Das war schon so, als wir noch Kinder waren. Ohne dich wäre ich immer ganz hilflos gewesen, vor allem jetzt.«

»Du hättest es schon geschafft.« Samantha drückte liebevoll Sabrinas Hand. »Und jetzt hast du ja Dean.«

»Ja.« Sabrina lächelte. »Um diese Zeit vermisse ich ihn immer am meisten. Aber er müsste bald nach Hause kommen.« Sie sah auf die große Wanduhr über dem Kamin.

»Er wollte heute die Zäune nachsehen, soviel ich weiß«, sagte Samantha. »Dabei habe ich mir zu Hause immer vorgestellt, dass er hauptsächlich Viehdiebe jagt oder gegen Indianer kämpfen muss.«

Sabrina lachte. »Da spricht die typische Städterin. Weißt du, dass ich mich manchmal nicht einmal mehr daran erinnern kann, wie Philadelphia aussieht? Merkwürdig! Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass ich selbst dort gelebt habe.« Sie schüttelte den Kopf. »Jack Tanner wollte Dean übrigens heute auf seiner Inspektionsrunde begleiten, falls er Hilfe braucht.«

»Wer ist Jack Tanner?« erkundigte sich Samantha mehr aus Höflichkeit als aus Interesse.

»Richtig, du kennst ihn ja noch gar nicht. Unsere und seine Ranch stoßen im Nordwesten aneinander. Unser Land würde allerdings mehrmals in seines passen. Ich glaube, ihm gehört halb Wyoming.«

»Aha, dann ist er so eine Art Landgraf«, meinte Samantha.

»Fast. Ich habe noch nie eine Ranch wie seine gesehen. Es ist unglaublich, mit welchem Erfolg er sie führt. Dean sagt, dass Jack nicht nur ein hervorragender Rancher, sondern auch ein sehr guter Geschäftsmann ist.«

»Das klingt ziemlich langweilig«, fand Samantha. »Willst du wissen, wie ich ihn mir vorstelle? Ein wettergegerbtes Gesicht, von stahlgrauem Haar umrahmt, dazu ein breiter Schnurrbart, überhängender Bauch ...«

Sabrina musste lachen. »Falsch geraten -- in jeder Hinsicht. Jack Tanner ist alles andere als langweilig. Als verheiratete Frau kann ich gefahrlos zugeben, dass er absolut hinreißend aussieht. Da er nebenbei auch noch reich, erfolgreich und allein stehend ist, umschwirren ihn sämtliche weiblichen Wesen wie die Wespen den Honig.«

»Eine lohnende Beute, wie es scheint«, meinte Samantha trocken. »Mama wäre vermutlich ganz begeistert von ihm.«

»Keine Frage«, stimmte ihr Sabrina zu. »Bis jetzt ist es Jack allerdings gelungen, allen ausgeworfenen Netzen zu entkommen. Aber laut Dean genießt er die Jagd selbst durchaus.«

»Er scheint nicht nur langweilig, sondern auch noch eingebildet zu sein. Vermutlich hält er sich für unwiderstehlich.« Samantha kraulte Shylock am Bauch.

»Du kannst es ihm nicht übel nehmen, wenn er nimmt, was man ihm anbietet«, verteidigte Sabrina ihren Nachbarn. »Aber ich nehme an, dass er sich trotzdem auch bald in den Hafen der Ehe begeben wird. Lesley Marshall hat nämlich die Fühler nach ihm ausgestreckt. Ihrem Vater gehört die Ranch auf der anderen Seite. Sie ist sehr zielbewusst und ziemlich verzogen, wenn du mich fragst. Aber sie hat furchtbar viel Geld.«

»Dann ist es doch die ideale Verbindung«, meinte Samantha.

»Vielleicht.« Sabrina klang nicht ganz überzeugt. »Lesley kann zwar sehr nett sein, wenn es ihr gerade passt, und es wird auch allmählich Zeit, dass Jack heiratet und eine Familie gründet. Aber es wäre mir lieber, er würde sich eine Frau mit mehr Wärme und Gefühl suchen. Verdient hätte er es.«

»Da spricht die altgediente weise Ehefrau.« Samantha strich über Shylocks weiches Fell. Er schlief schon halb und interessierte sich nicht im geringsten für Jack Tanner. »Kaum ist sie ein Jahr verheiratet, kann sie den Anblick allein stehender Menschen schon nicht mehr ertragen.«

»Das stimmt. Und du bist als nächste dran«, sagte ihre Schwester ungerührt.

»Danke für die Warnung.«

»Wyoming ist voll von gut aussehenden Cowboys und attraktiven Ranchern im passenden Alter.« Sabrina lächelte, denn Samantha verzog das Gesicht. »Du könntest dich in einer schlimmeren Gegend niederlassen.«

»Ich habe ja gar nichts gegen Wyoming. Es gefällt mir hier sogar immer besser, wenn ich ehrlich bin. Aber in meinen unmittelbaren Zukunftsplänen kamen eigentlich weder Cowboys noch Rancher vor, auch wenn sie noch so gut aussehen.« Sie stand auf. »Ich muss mich um den Braten kümmern. Hier.« Sie gab ihrer Schwester den Roman, der aufgeschlagen auf dem Tisch gelegen hatte. »Lies lieber deine Liebesgeschichten weiter, du unverbesserliche Romantikerin.«

»Wenn du dich erst einmal selbst verliebt hast, bist du auch nicht mehr so zynisch«, prophezeite Sabrina mit der Weisheit der Erfahrung.

»Bestimmt nicht.« Samantha lächelte nachsichtig. »Dann läuten die Glocken und explodieren die Sternchen, und die Trompeten schmettern den Triumph in die Welt hinaus.« Sie tätschelte ihrer Schwester die Hand. »Und die Engelein singen, und himmlische Harfen erklingen.«

»Warte nur ab«, rief Sabrina hinter ihr her.

Samantha fing an, das Gemüse für das Abendessen zu putzen und zu schneiden. Liebe, dachte sie abfällig. Die einzigen Erfahrungen, die sie bisher damit gemacht hatte, hatten sich darin erschöpft, die unerwünschten Annäherungsversuche allzu eifriger Verehrer abzuwehren.

Nicht ein Mann hatte bis jetzt einen Funken in ihr entfacht, der nur annähernd etwas mit Liebe zu tun hatte. Aber was dieses Gefühl auch sein mochte, bei Sabrina hatte es Wunder bewirkt.

Ihre jüngere Zwillingsschwester war immer zarter und unselbstständiger als sie gewesen. Trotz ihrer nach außen hin zur Schau getragenen Tapferkeit und Zuversicht wusste Samantha, dass Sabrina sich immer noch vor einer Fehlgeburt fürchtete. Sie brauchte Deans Liebe und Hilfe und musste seine Nähe spüren.

Im selben Augenblick, als sei es Gedankenübertragung gewesen, sah Samantha zwei Reiter auf das Haus zukommen. Sie nahm ihre dicke Jacke vom Haken der Küchentür, schlüpfte hinein und lief ins Freie.

Als Dean mit seinem Begleiter nahe genug war, winkte ihm Samantha grüßend zu. Selbst auf diese Entfernung hin war ihr aufgefallen, dass er einen besorgten Eindruck machte. Aber als er seine Schwägerin jetzt sah, lächelte er, und sein Gesichtsausdruck entspannte sich.

»Wie geht es Sabrina?« erkundigte er sich und hielt sein Pferd an.

»Gut«, antwortete Samantha. »Sie ist nur ein bisschen rastlos und nervös. Sie konnte es kaum noch erwarten, bis du endlich kommst.«

»Hat sie heute mehr Appetit gehabt?«

Samantha lächelte, und dieses Lächeln verlieh ihrem Gesicht so viel Wärme, dass sie schön wirkte.

»Ja, sie hat viel besser gegessen. Sie gibt sich große Mühe.« Samantha strich über die weiche Flanke von Deans Hengst. »Jetzt braucht sie vor allem dich.«

»Ich bringe nur schnell das Pferd in den Stall, dann bin ich sofort bei ihr.«

»Lass das doch deinen Mann hier erledigen. Oder ich kümmere mich darum, wenn er keine Zeit hat. Sabrina ist wichtiger als das Pferd.«

»Aber ...«

»Schon gut, Boss«, sagte der andere Reiter. Samantha streifte ihn mit einem flüchtigen Blick. »Ich sorge schon für das Pferd. Gehen Sie nur ruhig rein zu Ihrer Frau.«

Dean lachte und sprang aus dem Sattel. »Danke«, sagte er, als er dem Mann die Zügel übergab. Dann drehte er sich zu Samantha um. »Kommst du mit?«

»Nein.« Sie zog ihre Jacke enger um sich. »Ein bisschen Zweisamkeit tut euch beiden gut, und ich kann jetzt etwas frische Luft brauchen.«

»Danke, Samantha.« Dean kniff ihr mit einer brüderlichen Geste in die Wange und lief dann zum Haus.

Samantha wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann ließ sie sich erschöpft auf den dicken Block sinken, der sonst zum Holzhacken diente, und lehnte sich an den Zaun dahinter. Sie atmete die kalte, klare Luft tief ein. Die Arbeit auf der Ranch kostete doch mehr Kraft, als sie erwartet hatte. Sie musste sich nicht nur um ihre Schwester kümmern und ihr Gesellschaft leisten, sondern zusätzlich den ganzen Haushalt führen, kochen und am frühen Morgen für Deans Frühstück sorgen, wenn er auch regelmäßig dagegen protestierte.

Sie schloss die Augen. In ein paar Tagen hatte sie sich bestimmt besser an ihre neue Aufgabe gewöhnt und war wieder mehr sie selbst. Sie ließ den Kopf zurücksinken und den kühlen Wind über ihre Wangen streichen.

»Komischer Ort für eine Siesta.«

Samantha wachte mit einem Ruck auf und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie sich befand. Da entdeckte sie den Mann, der vor ihr stand, und ließ ihren Blick zu seinem Gesicht hinaufwandern.

Es war ein schmales, sonnengebräuntes Gesicht mit markanten kantigen Zügen. Die Augen lagen tief und waren von dichten Wimpern beschattet. Selten hatte Samantha in so faszinierende Augen geblickt. Es war ihre Farbe, dieses tiefe Jadegrün, das sie nicht losließ. Trotz des alten, breitkrempigen Stetson konnte sie erkennen, dass der Mann lockige blonde Haare hatte.

»Guten Abend, Ma’am.«

Obwohl er mit einer respektvollen Geste an seine Hutkrempe fasste, wirkten sein Blick und seine Haltung leicht spöttisch.

»Guten Abend«, antwortete Samantha, bemüht, würdevoll auszusehen.

»Man kann sich leicht erkälten, wenn man sich um diese Tageszeit zu lange und ohne sich zu bewegen im Freien aufhält. Es kommt ein Wind auf.«

Der Mann sprach langsam und gedehnt, mit einem breiten Akzent. Er stand mit leicht gespreizten Beinen da und hatte die Hände tief in die Taschen gesteckt.

»Sie sollten wenigstens etwas auf dem Kopf tragen«, fuhr er fort.

»Mir ist nicht kalt.« Hoffentlich begann sie nicht ausgerechnet jetzt, mit den Zähnen zu klappern und sich zu verraten. »Ich ... ich wollte nur etwas frische Luft schnappen.«

»Ja, Ma’am.« Er nickte und sah an ihr vorbei auf die Berggipfel, die von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne in ein leuchtendes Rot getaucht wurden. »Genau der richtige Abend, um einen Sonnenuntergang zu beobachten.«

Ihre Augen blitzten bei seinem spöttischen Ton auf. Es war ihr peinlich, dass er sie beim Schlafen überrascht hatte. Er lächelte leicht, und dabei vertieften sich die Grübchen in seinen Wangen. Ohne es zu wollen, erwiderte Samantha sein Lächeln.

»Also gut, ich gebe es zu. Ich bin eingeschlafen. Sie glauben mir wahrscheinlich doch nicht, wenn ich behaupte, ich hätte die Augen nur zugemacht, um ein bisschen abzuschalten.«

»Nein, Ma’am.«

»Nun, gut.« Samantha stand auf und stellte fest, dass sie immer noch ein ganzes Stück nach oben schauen musste, wenn sie ihm in die Augen sehen wollte. »Wenn Sie mir versprechen, keinem etwas davon zu erzählen, bekommen Sie ein Stück von dem Apfelkuchen, den ich für heute Abend gebacken habe.«

»Das ist ein verführerisches Angebot.« Er strich sich mit langen schmalen Fingern nachdenklich übers Kinn. »Ich habe nämlich eine ausgesprochene Schwäche für Apfelkuchen. Es gibt nur ein oder zwei Dinge, die mir noch lieber sind.«

Dabei ließ er seine Blicke so gründlich und ausgiebig über ihre Figur wandern, dass Samanthas Herz unwillkürlich schneller schlug.

Dieser Mann ist eigenartig, dachte sie. Trotz seines trägen Lächelns und seiner langsamen, gedehnten Sprechweise war er sehr lebendig. Jetzt schob er seinen Hut weiter in den Nacken zurück, und seine Locken kamen zum Vorschein.

»Abgemacht.« Er hielt ihr eine Hand zur Bekräftigung hin, und Samantha schlug ein.

»Danke.«

Ihre Stimme kam ihr selbst ganz fremd vor. Hastig zog sie ihre Hand zurück. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er sie so durcheinander brachte?

»Entschuldigen Sie, wenn ich vielleicht vorhin etwas unhöflich und kurz angebunden war«, sagte sie schnell, um ihre Verwirrung zu verbergen. Sie verstand sich selbst nicht mehr.

»Dazu besteht nicht der geringste Anlass«, sagte er. Die Wärme in seiner Stimme war wohltuend und irritierend zugleich. »Wir haben Mrs. Lomax alle sehr gern.«

»Ja, ich ...« Samantha fing an zu stammeln. Auf einmal hatte sie das Bedürfnis, möglichst schnell einen sicheren Abstand zwischen sich und diesen merkwürdigen Mann zu legen. »Ich gehe besser wieder hinein. Dean hat bestimmt Hunger.« Sie sah an dem Mann vorbei und bemerkte, dass sein Pferd immer noch gesattelt war. »Sie haben Ihr Pferd noch nicht in den Stall gebracht. Sind Sie denn mit der Arbeit noch nicht fertig?«

Überrascht stellte sie fest, dass echte Besorgnis aus ihrer Stimme klang. Ich muss verrückt geworden sein, dachte sie. Was geht mich dieser Mann an?

»Doch, Ma’am, ich bin fertig.«

Es war eindeutig ein Lachen, das aus seiner Stimme hörbar wurde, aber Samantha ignorierte es vorsichtshalber. Ihre Aufmerksamkeit galt jetzt ganz seinem Pferd.

Es war ein wunderschönes Tier, mit einem schimmernden kastanienbraunen Fell. Es hatte eine volle Mähne und einen stolzen edlen Kopf. Ein Araber. Samantha kannte sich mit Pferden aus und wusste, wann sie einen vollblütigen Hengst vor sich hatte. Wie, um alles in der Welt, kam dieser Mann zu solch einem Pferd?

»Das ist ein Araber«, sagte sie.

»Ja, Ma’am«, gab er ihr bereitwillig Recht.

Samanthas Augen wurden schmal, als sie ihn misstrauisch ansah.

»Kein Rancharbeiter reitet auf einem Pferd herum, für das er mindestens einen halben Jahreslohn hinlegen müsste.« Er erwiderte ihren Blick ungerührt. »Wer sind Sie?«

»Jack Tanner, Ma’am.« Wieder tauchte dieses Lächeln zuerst in seinen Mundwinkeln auf und breitete sich dann langsam über sein ganzes Gesicht aus. Er zog den Hut. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.«

Der »Landgraf«, dem die Frauen zu Füßen lagen. Samanthas Augen wurden dunkel vor Zorn.

»Warum haben Sie das nicht gesagt?«

»Das habe ich doch gerade«, entgegnete er.

Sie schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. »Sie wissen sehr gut, wie ich das gemeint habe. Ich hielt Sie für einen von Deans Männern.«

»Ja, Ma’am.« Er nickte.

»Und hören Sie auf, mich ständig ›Ma’am‹ zu nennen«, fuhr sie ihn an. »So ein gemeiner Trick. Sie hätten den Mund aufmachen und mir sagen müssen, wer Sie sind. Dann hätte ich Deans Pferd selbst in den Stall gebracht und abgesattelt.«

»Aber es hat mir nichts ausgemacht.« Sein Gesichtsausdruck wurde ärgerlicherweise immer liebenswürdiger. »Es war kaum Arbeit, und Sie konnten sich in der Zwischenzeit ein bisschen ausruhen.«

»Nun, Mr. Tanner, Sie haben sich auf meine Kosten offenbar recht gut amüsiert. Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht«, sagte Samantha kühl.

»Ja, Ma’am.« Er lachte. »Großen Spaß.«

»Ich habe gesagt, Sie sollen aufhören ...« Samantha unterbrach sich und biss sich verärgert auf die Unterlippe. »Ach, lassen wir das lieber.« Sie wandte sich abrupt um und ging ein paar Schritte auf das Haus zu. Dann drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Ich stelle fest, dass Ihre Sprache sich verändert hat, Mr. Tanner. Sie ist nicht mehr so gedehnt.«

Er gab ihr keine Antwort, sondern blieb einfach stehen. Immer noch hatte er die Hände in den Hosentaschen. Sein Gesicht lag im Schatten. Samantha drehte ihm mit einer heftigen Bewegung den Rücken zu und stapfte wütend zum Haus.

»He«, rief er ihr nach, und sie drehte sich gegen ihren Willen noch einmal um. »Bekomme ich trotzdem ein Stück Apfelkuchen?«

Als Antwort warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu.

Sein fröhliches Lachen verfolgte sie bis ins Haus.

2. KAPITEL

Der Knall, mit dem Samantha die Tür ins Schloss warf, hallte im ganzen Haus wider. Sie zog ihre Jacke aus und marschierte mit entschlossener Miene ins Wohnzimmer.

Nach einem Blick auf ihre Schwester rutschte Sabrina unwillkürlich tiefer in die Kissen und nahm schnell wieder ihren Roman zur Hand, um sich scheinbar darin zu vertiefen.

Dean kannte die Zeichen des Sturms in den blauen Augen und auf den geröteten Wangen seiner Schwägerin noch nicht. Er lächelte ihr arglos zu.

»Wo hast du denn Jack gelassen?« Er sah an ihr vorbei. »Sag nur nicht, er ist ohne eine Tasse Kaffee nach Hause geritten. Das sähe ihm gar nicht ähnlich.«

»Er kann sich zum Teufel scheren und seinen Kaffee dort trinken«, schimpfte Samantha.

»Vermutlich wollte er zu Hause sein, bevor es dunkel wird«, meinte Dean, aber seine Augen glänzten dabei verdächtig.

»Spiel nicht das Unschuldslamm, Dean Lomax«, warnte Samantha und kam auf ihn zu. »Wie kannst du mich in dem Glauben lassen, dass er einer deiner Angestellten ist, und dann ...« Hinter den aufgeschlagenen Romanseiten war ein Kichern zu vernehmen. »Ich freue mich, dass wenigstens du es lustig findest, wenn deine eigene Schwester zum Narren gehalten wird.«