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Rainer Lutra widmet sich dem „Super-GAU“ für den Mann und seinen emotionalen Folgen nach der Diagnose Prostatakrebs. Schonungslos offen nimmt er den „Betroffenen“ und die „Co-Betroffene“, also die Ehefrau, Partnerin oder Geliebte, mit auf die Achterbahn der Gefühle. Männer reden nur selten über die eigene Erfahrung der Erektilen Dysfunktion, die noch allzu häufig mit dem Tabu der „Peinlichkeit“ und des „Selbstwertverlustes“ belegt ist. Rainer Lutra schreibt über die Realität, wie schmerzlich sie sich anfühlt, und zeigt aus seiner eigenen Erfahrung auf, wie erfüllend die Liebe und der Sex nach einer Prostatakrebserkrankung für den Mann und auch für die Frau sein kann. Er schildert seinen Weg die Erektile Dysfunktion nach Prostatakrebs zu überwinden, von PDE-5 Hemmer bis zum Schwellkörperimplantat, dem letzten Schritt, gemeinsame und befriedigende Sexualität in jedem Alter zu genießen.
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Seitenzahl: 162
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Geboren 1954 in Aschaffenburg. Kindheit im Vorspessart, auf einem Bauernhof; Hühner, Misthaufen, Feuerwehr, Volksschule, Ministrant. Vater Landwirt, Mutter Hausfrau.
Mit vierzehn den ersten Führerschein, Landwirtschaftslehre, Zweiter Bildungsweg, Fernweh.
Luftwaffe, Offiziersschule, Pilotenausbildung, Jagdbomberpilot, Pensionär, Reservist, Afghanistanveteran.
Lebt mit seiner Partnerin in der Nähe Bonns. Zwei tolle Söhne. 2007 Prostatakrebs.
Für meine beiden Söhne S. und M. ……
Meine Geschichte schildert authentisch meine Krankheit, meine Gedanken und Gefühle in den vergangenen Jahren, seit Dezember 2007. Eine Krebserkrankung ist kein isolierter Vorgang in unserem Körper, sondern wird eingebettet in die menschliche Wärme, Zuneigung und Liebe, aber auch Kummer, Zurückweisung und Verletzungen die wir in dieser Zeit erfahren. In dieser Zeit habe ich zwei wichtige Menschen für mich verloren. Meine ehemalige Partnerin lebt jetzt nicht mehr in Deutschland. Snezana aus Belgrad hat ihren Kampf gegen den Brustkrebs verloren.
Ich schreibe hier über meine emotionalen Erfahrungen. Mögliche Behandlungsmethoden einer Prostatakrebserkrankung werden in zahlreichen verfügbaren medizinischen Ratgebern ausgiebig besprochen. Vor- und Nachteile hängen von unterschiedlichen Faktoren ab und von der persönlichen Präferenz. Jede medizinische Maßnahme muss mit dem eigenen Arzt des Vertrauens und mit dem Menschen, dem „Mann“ am meisten vertraut, gemeinsam besprochen werden. Ob Ehefrau, Partnerin oder dem besten Freund.
Vielen Menschen bin ich zu Dank verpflichtet. Einigen möchte ich jedoch besonders danken, es sind meine Kinder, die mir alleine durch ihre Existenz so viel Zuversicht gaben, auch für sie um mein Leben zu kämpfen. Ich danke meinen Ärzten die mich in den letzten vier Jahren behandelten, und ohne die ich nicht mehr der Mensch wäre, der ich heute bin.
Ganz besonders danke ich auch den Frauen, die mich in den letzten Jahren begleiteten, unterstützen, mir Mut machten, mich liebten, mir in dieser schwierigen Zeit zur Seite standen, und mit mir die heißen Nächte der Leidenschaft teilten. Ohne sie wäre dieses Buch nie entstanden.
Herzlichen Dank an Jürgen und seine Ehefrau, die mein Manuskript aus der Sicht eines Betroffenen und einer Co-Betroffenen begleiteten. Ihre hilfreiche Kritik half mir mein Buch zu beenden.
Alle medizinischen Hinweise und Schilderungen sind ohne Gewähr.
Diagnose
Blitzschlag
Wir sind nicht alleine
Entspannen, Eruieren, Entscheiden
Dezember 2007 - Auf geht’s
Back home again
Reha – Sex – Frust
Use it, or lose it!
Psyche und Prostatakrebs
Sexuelle Rehabilitation
Den Sex neu entdecken
Intimität und Impotenz
„Do worry – be happy“
Implantat - Die Entscheidung für den Sex
Ich wollte es wissen
Wie sage ich es einer Frau
Erinnerungen aus meinem „Ersten Leben“
Der letzte Flug nach Westen….
Eine Begegnung der „Besonderen Art“
Das Urteil
Defekt
Wieder hergestellt
Literatur
Es geschah an einem Vormittag im Oktober 2007 für mich etwas Unfassbares. Mein Urologe bat mich in sein Sprechzimmer, schloss die Türe hinter sich, bot mir Platz auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch an, und sagte:
„Sie haben Krebs. Prostatakrebs“.
Wir wissen, mehr als 60.000 Männern wird inzwischen jedes Jahr in Deutschland diese Diagnose eröffnet. Es trifft sie, wie der buchstäbliche Blitz: Prostatakrebs.
2007 gehörte ich ebenfalls dazu. Willkommen im Club der älteren Herren? Die meisten Männer sind bei der Diagnose 65, 70, 75 Jahre alt. Ich hatte gerade meinen 53ten Geburtstag hinter mir. Zu jung für das durchschnittliche Prostatakrebsalter aber auch nicht selten. Ab dem 50ten wird es für Männer brenzlig, für wenige bereits vor ihrem 50ten Geburtstag. Mein Urologe redete nicht drum herum. Er sagte „es“ mir einfühlsam, und doch gerade heraus. Er fuhr fort, mir zu erläutern, welche Behandlungsmethoden es jetzt gäbe: Prostatektomie, „Watchful Waiting“, also das kontrollierte Abwarten was passieren würde oder Bestrahlung. Und er fügte ohne Schnörkel hinzu: „Aus meiner Sicht kommt nur die Operation in Frage, sie sind zu jung. Alles andere holt sie irgendwann wieder ein. Der Krebs hört nicht auf zu wachsen, wenn wir weiter zuwarten“. Ich kannte die Eröffnung der Diagnose „Krebs“ von Bekannten, und ich wusste, bei vielen Patienten fällt mit dem Wort „Krebs“ die Klappe. Der Doc könnte eigentlich aufhören zu reden. Die Gedanken kreisen ziellos, hilflos und verzweifelt.
Meine Gedanken überraschten mich in diesem Moment. Nicht nur das Wort Krebs ließ mir Schauer über den Rücken laufen, den Magen verkrampfen, Übelkeit aufkommen. Es waren auch die Gedanken an eine mögliche Inkontinenz und Impotenz. Diese Folgen der Prostatektomie trieben meine Gedanken um. Sicherlich trug in diesem Moment die Tatsache dazu bei, dass ich gerade in Scheidung lebte und meine „(noch) Ehefrau“ nach fast 29 Ehejahren wenige Monate vor der „Diagnose“ aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war. Vier Wochen vor der Diagnose lernte ich eine neue Frau kennen, mit der ich dreimal Sex hatte!
Jetzt hatte ich Prostatakrebs.
In den folgenden Wochen und Monate las ich jedes Buch über Prostatakrebs, welches ich im Buchhandel erwerben konnte. Ich meldete mich auf allen Prostatakrebsforen im Internet an, tauschte mich mit wildfremden, und selbst betroffenen Männern, über meine intimsten Ängste aus, schaute mir sogar Videos von Prostatektomien an. Die Standardoperationen genauso wie die Da-Vinci-Methode mit dem „Operations-Roboter“. Ich fraß jede Information in mich hinein. Das war auch gut so. Allerdings lag es, und liegt es noch immer, in meinem Naturell, ein interessantes oder spannendes Thema, bis zur vollständigen Erschöpfung zu recherchieren. Nur war die Diagnose „Prostatakrebs“ nicht spannend und interessant, sondern ich sah das Thema existenzbedrohend über mir. Nicht was mein Leben und einen möglichen Tod betrifft, sondern mein Leben mit einer Frau, abenteuerlich, hingebungsvoll, befriedigend und grenzenlos glücklich.
Je mehr Bücher ich las, desto mehr wusste ich über alle möglichen Behandlungsmethoden. Über die Chance den Krebs zu besiegen und das Risiko eines Rezidivs, also erneut daran zu erkranken. Über die Anatomie und die Funktionsweise unseres „Sex-Apparates“, der ja im Kopf beginnt und am Zipfel endet. Über Nachsorgekuren und die Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Nur wenig, sogar sehr wenig Literatur fand ich über die psychische Komponente einer „Prostatektomie, Inkontinenz, Impotenz, erektile Dysfunktion, Angst, Depression“. Wie empfindet der „Mann“ wirklich? Und genau so bedeutend:
Wie empfindet die Frau an seiner Seite diese Erkrankung?
Es gab gerade eine Handvoll „Eigene Erfahrungsberichte“ auf dem Büchermarkt, die den Betroffenen helfen können. Darunter gab es nahezu keine Literatur, die die Betroffenheit der Ehefrau oder Partnerin, (im Internet wird oft die Bezeichnung „Co-Betroffene“ gebraucht) in vollkommener Offenheit schildert. Nicht einen einzigen Ratgeber fand ich, der von der Erfahrung berichtet, wie man als Prostatakrebsbetroffener eine Partnerschaft neu beginnt, aus der Sicht des Mannes und aus der Sicht einer Frau. Damit meine ich nicht die Liebe, Zuneigung und Intimität mit Impotenz, sondern erfüllende Erotik und Sex - trotz Prostatakrebs.
Manche Menschen geben sich auf, wenn sie nur das Wort „Krebs“ hören. Schei…., das war’s!, denken sie. So muss es nicht sein, und so darf es nicht sein. Aber die Wahrheit ist: Unsere Denkweise beeinflusst unseren Kampfeswillen und mit welchen Kräften sich unser Körper wehrt, oder eben nicht wehrt.
Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich war die Diagnose „Krebs“ ein Schock. Er machte sprachlos, fassungslos, zunächst auch mutlos. Und wären wir alle gefühlskalt, würden unsere Nerven nicht blank liegen. Es gibt jedoch zwei Arten damit umzugehen:
der Eine versucht wie ein Berserker alles über Prostatakrebs in Erfahrung zu bringen, liest sich nächtelang durchs Internet, verschlingt jeden Ratgeber, der ihm zu diesem Thema auf dem Büchermarkt zum Kauf angeboten wird,
und der Andere sitzt wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange, zunächst unfähig zu denken, weiterzudenken, überlässt Informationen und Entscheidungen anderen, dem Arzt, der Partnerin, dem Chirurgen. Er spielt Vogel „Strauß“ und steckt den Kopf in den Sand.
Wenn Sie zur zweiten Gruppe gehören, haben Sie sich schon fast aufgegeben, finden sich bereits damit ab, an Prostatakrebs zu sterben. Inkontinenz wird für Sie sicherlich schlimm sein, Sex brauchen Sie ja eh‘ nicht mehr, sparen Sie dem Beitragszahler Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge indem Sie nichts mehr unternehmen keine weiteren Kosten verursachen und auf den Tod warten.
Ich gehörte zur ersten Gruppe.
Wenn du den Feind und dich selbst kennst,
brauchst du den Ausgang
von hundert Schlachten nicht zu fürchten,
wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst,
wirst du in jeder Schlacht unterliegen.1
Viele Männer, Frauen und Ärzte sehen Prostatakrebs als eine Erkrankung des Mannes an.
Falsch!
Prostatakrebs, wie auch Brustkrebs bei einer Frau, betrifft immer BEIDE, den Mann und die Partnerin, also alle Menschen um den Betroffenen herum. Eine israelische Studie stellte fest:
Partner von Krebspatienten leiden unter erheblichen psychologischen Druck und haben oft größere Anpassungsprobleme als der Patient selbst. Bezogen auf Prostatakrebspatienten und ihrer Ehefrauen waren die Auswirkungen des psychologischen Stresses auf die Frau sogar erheblich größer als bei ihren Männern.2
Mein Buch schrieb ich für den betroffenen Mann und seine Ehefrau bzw. seine Partnerin. Ich schrieb das Buch für den Mann, der spürt wie wichtig ihm die Frau an seiner Seite ist, mit der er die Tage und die Nächte teilt, und ihr ein erfüllendes Sexleben als Selbstverständlichkeit zubilligt.
Wir Männer müssen uns bewusst sein, dass in dem Moment, in dem uns der Arzt die Diagnose „Prostatakrebs“ eröffnet, das Leiden unserer Frauen mitbeginnt. Alles was nach der Diagnose passiert, ist auf den „Mann“ abgestellt, sein Arzt behandelt ihn, seine Partnerin pflegt ihn, seine Mutter hat Mitgefühl und leidet mit ihm, …… und die Frau an seiner Seite, wer denkt an sie?
Es macht Sinn, ihm, dem Mann, erst wieder einmal ein krebsfreies Leben zu ermöglichen. Aber wir Männer dürfen nicht so tun, als ob danach erst die Leidenszeit der Frau beginnen würde, sie beginnt tatsächlich mit dem Tag der Diagnose! Mit der Diagnose „Prostatakrebs“ verlieren wir viel in unserem gemeinsamen Leben. Wir können Vieles oder manchmal sogar Neues hinzugewinnen, und unser zukünftiges Leben bereichern. Tatsächlich lernte ich erst durch meine Krebserkrankung, wie viel Zuneigung Mann und Frau sich täglich zeigen und wieder geben können, wie reich das Leben miteinander werden kann. Dabei sehe ich mitnichten nur die „gewachsene Beziehung“, die durch Kinder „gestärkte“ lange Ehe. Diese Beziehungen sind genauso beständig oder gefährdet, wie eine zukünftige Beziehung beides, Chancen und Risiken, beinhalten wird.
Es gibt unzählige Frauen und Männer, die eine Prostataerkrankung „gemeinsam überlebten“ und sich in ihrer Beziehung erfüllter und glücklicher wahrnahmen als vor der Krankheit. Es gab und gibt Beziehungen, die nach der Erkrankung scheitern, und es wird Beziehungen geben, die neu gegründet werden, und von purem Glück und Zufriedenheit erfüllt sind. Glück und Leid habe ich erfahren und beides kann mir, kann jedem Mann, ob durch eine Prostatakrebserkrankung oder auch nicht, jedem Paar, widerfahren. Das ist nicht das Ende der Welt. Es darf nicht das Ende eines Lebens sein. Es ist der Beginn einer neuen Lebensphase.
1 Sunzi, Die Kunst des Krieges. Sunzi schrieb diesen Satz ca. 500 v.Ch. im antiken China.
2 Navon, Liora, Morag. Advanced Prostate Cancer Patients‘ Ways of Coping….Sexuality, and Spousal Ties.
Fast drei Stunden Flugzeit lagen bereits hinter mir, nur noch 25 Minuten, und ich würde meine Räder in Fürstenfeldbruck aufsetzen, dem Flugplatz, den ich aus Portugal kommend ansteuerte. Die Wettervorhersage war herbstlich, stürmisch, jedoch ausreichend für die geplante Landung. Noch schien die Sonne in 30.000 Fuß Höhe, wie auf der gesamten bisherigen Flugroute. Die Pyrenäen waren wolkenlos gewesen, ich genoss den Blick auf die Bucht der Biskaya, sah gelegentlich die Flüsse und Hügel im Zentralmassiv in Frankreich, flog über einer geschlossenen Wolkendecke als ich die Grenze nach Deutschland nahe Colmar überflog. Über Ulm bekam ich die Freigabe der Flugsicherung, den Militärflugplatz Fürstenfeldbruck direkt anzufliegen, reduzierte meine Triebwerksleistung auf 80% und drückte die Nase 5 Grad nach unten und begann den Anflug. Bei 28.000 Fuß verschluckten mich die Wolken, es wurde dunkler und turbulent. Ich fragte die Bodenkontrolle nach dem aktuellen Wetter und bekam als Hinweis, „embedded Thunderstorms“, also Gewitter in den Wolken. „You are cleared to circumnavigate the thunderstorms“, wie sollte ich das Gewitter umfliegen, wenn ich kein Radar an Board hatte? Zusätzlich wurde mir der Treibstoff knapp und es war kurz vor der Platzschließungszeit. Es gab keine Chance mehr für mich, einen Ausweichflugplatz mit besseren Bedingungen anzufliegen. Ich flog weiter, die Nadel des Navigationsinstrumentes zeigte zur Landebahn und ich sank weiter der Erde entgegen. Die Luft um mich herum bebte, meine Maschine wurde geschüttelt und gerüttelt, in einer Heftigkeit, die mir zeitweise das Ablesen der Instrumente unmöglich machte. Ich hielt den Knüppel fest in meiner rechten Hand, unter meinem Handschuh waren die Knöchel bestimmt blaß, ich spürte die Anstrengung in meinen Händen. In einem Bruchteil einer Sekunde wurde es hell, sehr hell und es knallte, als würde meine Maschine in Stücke zerrissen werden. Ein Blitz hatte in mein Flugzeug eingeschlagen, ich wusste nur nicht wo an meinem Flugzeug. Jetzt mit dem Schleudersitz auszusteigen wäre tödlich gewesen, todsicher! Weiter Kurs halten, weiter die Landebahn ansteuern. Das Triebwerk lief, ich korrigierte das Auf und Ab. Die Radaranflugkontrolle übernahm und korrigierte mich auf den erforderlichen Gleitwinkel zurück. Immer weiter, auf Kurs, der rettenden Landebahn entgegen. Dann war ich am „Entscheidungspunkt“ angekommen und hier endete die Radarunterstützung, die Landebahn sollte in Sicht sein. War sie nicht. Ich flog weiter, ich sank weiter. Das war jenseits jeder Vorschrift. Ich sah keine Landebahn und hatte weder Treibstoff noch Zeit zu einem Ausweichflugplatz. Meine Augen rasten zwischen Instrumenten und Frontscheibe hin und her….., 1, 2, 3 Sekunden, dann erkannte ich in den grauen Regenwolken die Anfluglichter, sie „rannten“ zur Landebahn hin. Ich wusste, nach dem letzten Licht kommt Beton. Da wollte ich hin, da setzte ich mein Flugzeug auf.
1998 - trotz Blitzschlag angekommen. Ein Blitzschlag den ich morgens, als ich die Wärme des Ehebettes verließ, nicht erwartet hatte.
September 2007. Die Luft im voll besetzten Wartezimmer war stickig, ich las in einem Buch. Bis zum heutigen Tage habe ich immer ein Buch bei mir wenn ich zum Arzt gehe, um die Wartezeit zu überbrücken. Ein genereller Check-Up war angesagt, dazu gehörte schon seit Jahren der Gang zum Urologen; Ultraschall, Digitale Untersuchung – oder auch die „Große Hafenrundfahrt“ genannt und seit einigen Jahren ein PSA-Test. Ich machte mir keine allzu große Gedanken, eigentlich gar keine Sorgen, obwohl ein Urologe bereits 18 Jahre vorher bei mir eine über dem Durchschnitt liegende Größe meiner Prostata festgestellt hatte. Hätte ich hellhörig werden müssen? Es war beim obligatorischen dreimaligen Ejakulat-Test, um nach meiner Vasektomie noch Spermien nachzuweisen, bzw. keine Spermien mehr nachzuweisen. Ich erinnerte mich wieder daran, dass mein damaliger Urologe 1990 sagte: „Manche Männer haben eine große Nase, andere Männer eine kleine Nase, so verhält es sich auch mit der Prostata“.
2005 hatte ich einen PSA-Wert von 3,04.
Oktober 2007. Die Praxis des Urologen rief bei mir zu Hause an, um einen Termin abzusprechen, der „Doktor“ wolle noch einmal mit mir persönlich sprechen.
Oh je, ich wusste natürlich sofort, das Ergebnis war nicht wie es sein sollte. Dr. A. eröffnete mir das Laborergebnis, der PSA-Wert war auf 3,81 angestiegen. Er verschrieb mir ein Antibiotikum, denn es könnte sich ja um eine Prostatitis handeln, dann ginge der PSA-Wert wieder zurück.
Vier Wochen später war der PSA-Wert bei 3,91 - es bedeute keinen signifikanten Anstieg, jedoch auch keine Beruhigung.
Dr. A. schlug eine Biopsie vor, um sicher zu gehen, dass sich da kein Prostatakarzinom entwickelt. Die übliche Sprachregelung, positive Formulierung, die Hoffnung nicht aufgeben, da sei nichts Bösartiges.
Als Termin schlug er einen Donnerstag, bereits zwei Wochen später, vor. Ich stimmte dem Termin ohne weitere Überlegungen zu.
Für mich begann die Zeit des Recherchierens, des Nachdenkens, mir das „Unmögliche“ vorzustellen. Obwohl ich mich anstrengte eine mögliche Diagnose „Prostatakrebs“ zu verdrängen, begann unwillkürlich die erste gedankliche Auseinandersetzung mit den Begriffen „Inkontinenz“ und „Impotenz“.
Mein Leben war bis zu diesen Tagen geprägt vom „Funktionieren“. Funktionieren im Beruf, Funktionieren in der Familie, Funktionieren in meiner Ehe. Ich verfügte über eine trainierte und funktionierende Blase und der Sex funktionierte schon bei den winzigsten erotischen Gedanken. Nach einer landwirtschaftlichen Lehre im elterlichen Betrieb, ich sollte den elterlichen Bauernhof übernehmen, und meinem Schulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg, bewarb ich mich bei der Luftwaffe als Jetpilot und wurde zur Überraschung aller, mich eingeschlossen, angenommen. Damit begann meine Lebenserfahrung, dass mein Körper „unverwundbar“ sein musste, um die Belastung der nächsten 30 Jahre klaglos wegzustecken. Wird mein Körper jetzt versagen? Ich erinnerte mich wieder an das Motto der Offiziersschule der Luftwaffe bis zum heutigen Tage:
ICH WILL!
Ich lebte 2007, getrennt nach fast 29 Ehejahren, alleine mit meinem jüngsten Sohn. Unsere Scheidung war eine beschlossene Sache, wir warteten nur auf den Scheidungstermin. Im „Dating Café“ lernte ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Frau über das „Internetdating“ kennen. Wir kamen uns sehr schnell näher, sicherlich auch, weil wir beide die Zweisamkeit sehr vermissten. Erst einmal über 50 Jahre alt, muss die „Flirtphase“ ja auch nicht mehr unnötig ausgedehnt werden. Wir wissen was wir wollen und was wir suchen. Drei Wochen kannten wir uns, waren dreimal zusammen intim gewesen, und ich deutete völlig unverbindlich an, dass ich noch einmal zum Urologen musste. Er wollte bezüglich meines PSA-Wertes eine mögliche Krebserkrankung ausschließen. Meine Schauspielqualitäten sind offensichtlich bis heute miserabel, deshalb sah ich auch die besorgten Augen die mich anblickten, aber nichts erwiderten.
November 2007. Es kam der Tag der Biopsie. Eine Stanzbiopsie. Hohlnadeln werden durch den Enddarm in die Prostata gebohrt, geschossen, wie auch immer, es ist ein sehr kurzer Moment und das Material welches in den Hohlnadeln verbleibt, wird danach im Labor untersucht.
13 Hohlnadeln schoss mir Dr. A. in meine Prostata. Der dabei entstehende Schmerz war nicht angenehm aber auszuhalten. Spätestens nach der sechsten Hohlnadel wartete ich auf den „Schuss“, und trotzdem überraschte er mich immer wieder.
„Fertig“ sagte Dr. A. zu mir.
Ich stieg vom Stuhl, ähnlich einem Gynäkologenstuhl und spürte meine Prostata zum ersten Mal in meinem Leben, sie schmerzte. Ich bekam noch kostenlose Schmerztabletten, konnte es kaum glauben, wirklich ohne Bezahlung! Ich sollte mein Antibiotikum, das ich schon einen Tag vor der Biopsie einnahm, noch ein paar Tage weiter einnehmen. Eine Endzündung der Prostata durch die Biopsie musste verhindert werden.
Dr. A. wies mich noch vorsorglich darauf hin, dass noch ein paar Tröpfchen Blut aus dem Anus fließen könnten, auch der Enddarm war ja jetzt perforiert, und dass beim Geschlechtsverkehr das Sperma noch ein „paar wenige Tage“ Spuren von Blut aufweisen könnte. Dieses wäre vollkommen ungefährlich und verginge mit der Zeit. Meine neue und vielleicht zukünftige Partnerin begleitete mich und gab mir Kraft und Zuversicht,
„Alles wird gut“.
In meinem Leben ging ich nie kleinlich mit meinem Körper um, dies ließ auch mein Beruf gar nicht zu. Ich erinnerte mich, als ich das erste Mal eine so genannte „Anti-G Hose“ anzog. Eine Hose die wirklich hauteng an den Beinen anliegt und ebenfalls hauteng am Bauch und an der unteren Rückenpartie. In Jetflugzeugen, ich war 1975 in Texas zum Jetpiloten ausgebildet worden, wird diese Hose beim Kunstflug angezogen. Später wird sie im Ausbildungsprogramm und bei täglichen Übungsflügen wie auch beim Luftkampf getragen. Sie verhindert das Absacken des Blutes in den unteren Körperbereich, um mehr Blut zur Versorgung des Hirns und der Augen sicherzustellen. Am Wichtigsten ist sie für die Durchblutung der Augen, um einen „Blackout“ zu verhindern, zunächst den Tunnelblick, und Sekunden später das Schwarzwerden vor den Augen. Der Körper wird im Luftkampf mit einer bis zu 7-facher Erdanziehungskraft beschleunigt, das bedeutet, der Körper wird bis zu 7x so schwer, (die Prostata wiegt statt 20 Gramm 140 Gramm). Die Zentrifugalkraft wirkt nach unten, in Richtung Beine. Deshalb tragen Piloten diese Hose. Würde ich diese Hose noch tragen, so würde mir wohl kein Blut aus dem Hintern rinnen, ging es mir durch den Kopf.