Lieber neureich als nie reich - Dirk Kessemeier - E-Book

Lieber neureich als nie reich E-Book

Dirk Kessemeier

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Beschreibung

Dieses Buch ist dein Weg zu Wohlstand, Glück und Gesundheit. Anhand meiner Geschichte, mit all ihren Hürden und Tiefen, möchte ich dir helfen, ein wohlhabendes und glückliches Leben zu führen. Fokussiere dich auf deine Lebensqualität, statt auf Frugalismus und eisernes Sparen, um nicht der reichste Pflegefall auf dem Friedhof zu werden. Als Investor und erfolgreicher Unternehmer teile ich mit dir meine erfolgreiche Kombination aus passiven und aktiven Strategien für finanzielle Unabhängigkeit in angemessener Zeit. Ich zeige dir auf unterhaltsame Weise, wie ich diese Strategien selbst umsetzte und mir Zeit für die schönen Dinge des Lebens verschaffte. Obwohl ich mit meinem Hauptschulabschluss aus einem sozialen Brennpunkt kam, entging mir ein Leben als Arbeitssklave. Auch dein Erfolg ist erreichbar. Da du eine ablaufende Lebenszeit hast, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um anzufangen.

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Seitenzahl: 334

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Dirk Kessemeier

Lieber neureich als nie reich!

Wichtiger Hinweis

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasser und Verlag erarbeitet und geprüft. Der Inhalt dieses Buches beruht ausschließlich auf den persönlichen Erfahrungen des Autors und erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Die benutzten Begrifflichkeiten sind wertfrei. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors nicht zulässig. Das gilt gleichermaßen für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Publikation enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben; für diese fremden Inhalte können wir keine Gewähr übernehmen. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung nicht erkennbar.

Auch wenn eine gendergerechte Sprache wünschenswert ist, gibt es aus Sicht des Verlages bisher keine befriedigende, gut lesbare Lösung. Der leichten Lesbarkeit zuliebe haben wir des Öfteren von der Doppelung männlicher und weiblicher Formen Abstand genommen. Selbstverständlich liegt es uns fern, dadurch einen Teil der Bevölkerung zu diskriminieren.

© 2024 NEXT LEVEL Verlag,

NXT LVL GmbH, An der Dornwiese 2, 82166 Gräfelfing

www.next-level-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Co-Autor: Christian Schommers

Redaktion: Torsten Schubert

Schlusskorektur: Dr. Sybille Strobel

Umschlaggestaltung: www.b3k-design.de, Andrea Schneider & diceindustries

Coverfoto: Beine: © VladimirFLoyd / istockphoto.com

Roulette: © Pavel Danilyuk / pexels.com

Spielkarten: © yanina / pexels.com

Bentley: Bentley Motors

Satz: Daniel Förster, Belgern

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print: 978-3-949458-85-9

ISBN ePub: 978-3-949458-87-3

Inhalt

Prolog

»Du bleibst doch sowieso in Hannover«

»Das ist ja schön und gut, aber wir hätten Sie sowieso nicht übernommen«

»MG-Feuer von links!«

»Rien ne va plus«

»Mit der ersten Firma war es doch nicht so einfach, wie ich gedacht habe«

»Adieu Spielbank!«

»Das Timing war perfekt«

»Unser neues Schlösschen war uns damals nicht peinlich«

»Die Probleme anderer zu lösen, kann sehr lukrativ sein«

»Es ist nicht alles Gold, was glänzt«

»Neues Spiel, neues Glück«

»Das erklär mal deiner Frau«

Jetzt geht es der Sonne entgegen – »Mallorca, wir kommen!«

»Ich kann den Spiegel nicht tauschen, da liegt der Lkw drauf«

»Familie kann man sich nicht aussuchen«

In fünf Sekunden auf achtzig Kilometer pro Stunde

Freunde fürs Leben

»Gier frisst Hirn«

»Manchmal ist es angebracht, sich äußerlich zu verändern«

»Ein Smart und ich können einfach keine Freunde sein«

»Als ich ein kleines Vermögen machen wollte«

»Schon blöd, wenn die Bank mit deinem Geld weg ist«

»Ich hoffte für ihn, dass er seine Probleme lösen kann«

»Das war nicht gerade mein Glückstag«

Die seriösen Banker …

»Je höher man kommt, desto tiefer fällt man«

»Du wächst mit den Aufgaben«

»Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben«

»Ich bekam Besuch«

Schockierendes Wiedersehen nach vierzig Jahren

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Es wird Zeit, Investor zu werden

Das Ende des Alterns

Dieses Buch widme ich meinen fünf Kindern, meinen beiden Enkelkindern und allen zukünftigen Enkeln.

Prolog

Ich schreibe dieses Buch, weil ich in meinem Leben viel falsch, einiges aber auch richtig gemacht habe.

Von klein auf musste ich mich durchschlagen und mühsam lernen, ein glückliches Leben zu führen. Dafür bedurfte es vieler Umwege. Wie die meisten Menschen wünschte ich mir zu meinem Glück eine tolle Familie, gute Freunde, Gesundheit und einen gewissen Wohlstand. Ich wollte frei und unabhängig mein Leben entspannt und mit viel Spaß genießen. Nach und nach begriff ich: Um das wirklich zu erreichen, ist es wichtig, die eigenen Träume, Ziele, Werte und Strategien aufeinander abzustimmen.

Aufgewachsen als Arbeiterkind in einem sozialen Brennpunkt von Hannover, hatte ich nicht den leichtesten Start. Durch großen Einsatz und auch Glück brachte ich es vom ziellosen Knirps zum gut verdienenden Angestellten und wurde schließlich mittelständischer Unternehmer mit einem siebenstelligen Jahreseinkommen. Ich kenne Armut und Reichtum. Vor allem aber weiß ich, was es heißt, sich hochzuarbeiten.

Inzwischen bin ich seit 35 Jahren finanziell unabhängig und führe ein selbstbestimmtes Leben. Stress vermeide ich, wo es nur geht. Bei mir klingelt morgens kein Wecker, denn ich stehe auf, wenn ich ausgeschlafen bin. Ich vereinbare keine Termine vor zehn und nach 15 Uhr. Die meiste Zeit des Tages verbringe ich mit meiner Familie oder meinen engsten Freunden. Vier Monate im Jahr befinde ich mich ausschließlich auf Reisen und gehe meinen Hobbys nach.

Das klingt zu gut, um wahr zu sein? In diesem Buch beschreibe ich meinen Weg. Offen, ehrlich, schonungslos. Nur so kannst du aus meinem Buch für dich etwas Positives ziehen. Eines gleich vorab: Damit sich deine Träume erfüllen, ist es wichtig, die Weichen für dein Leben von Anfang an richtig zu stellen. Zwei Drittel der Menschen in Deutschland biegen auf ihrem Weg falsch ab. Sie erwerben in der Schule ein gewisses Grundwissen, aber niemand vermittelt ihnen finanzielle Kompetenzen. Die normale Schulbildung macht aus dir leider nur einen guten Arbeitssklaven. Im Klartext: Du wirst bis zu deinem 70. Lebensjahr für dein Geld arbeiten müssen und andere damit reich machen. Danach hoffst du, dass der Staat dir eine Rente zahlt, die wenigstens dein Überleben sichert.

Deutschland zieht es vor, die Rentenbeiträge seiner Bürger nicht anzulegen. Das Argument: Wir zocken nicht mit dem Geld unserer Bürger. Lieber veruntreut der Staat die eingezahlten Beiträge komplett. Während ein Land wie Norwegen für seine fünf Millionen Einwohner 1,2 Billionen Euro in einem Fond anlegt, verfügt unsere Rentenversicherung lediglich über 36 Milliarden Euro für 83 Millionen Menschen. Übersetzt bedeutet das: Im Durchschnitt stehen jedem Norweger 220 000 Euro zu – mit steigender Tendenz. Für uns Deutsche bleiben rechnerisch nur 430 Euro pro Person. Schon heute erhalten 40 Prozent der Frauen monatlich eine Rente unter 1000 Euro, obwohl sie ihr gesamtes Berufsleben gearbeitet haben. Wenn unser Staat seine Pensionsverpflichtungen wie jedes Unternehmen bilanzieren müsste, hätte er nicht »nur« 2,4 Billionen Euro Schulden, sondern doppelt so viel. Sind wir also ein wohlhabendes Land?

Dabei leben die Menschen immer länger. Wenn du heute Anfang zwanzig bist, hast du gute Chancen, gesund 100 Jahre alt zu werden. In den kommenden zehn Jahren fließen mehr Milliarden Dollar in die Gesundheits- und Altersforschung als in den gesamten vergangenen 200 Jahren zuvor. Ich selbst bin bisher von Krankheiten verschont geblieben und fühle mich wesentlich jünger, als ich tatsächlich bin. Mit meinen 70 Jahren ist mir das große Glück beschieden, durch meine fünf Kinder und als Investor sehr viel mit jungen Leuten zusammenzukommen – und immer noch von ihnen zu lernen. Das hält mich fit.

Bei Reichtum denken die meisten Menschen an ein dickes Bankkonto. Sie wollen sich dem Konsumrausch hingeben, ohne arbeiten zu müssen. Deshalb ist Lotto gerade in Deutschland so beliebt. Doch die wenigen, die tatsächlich Millionäre werden, verlieren ihren Reichtum meist schnell wieder. Reich zu werden ist manchmal einfacher, als reich zu bleiben. Ich habe mit Anfang zwanzig nicht darüber nachgedacht, reich zu werden. Mir war es wichtig, frei und unabhängig zu sein. Keiner sollte mir etwas zu sagen haben. Ich wollte mich mit dem beschäftigen, wozu ich Lust hatte, und nicht wie meine Eltern jede Mark umdrehen, weil das Geld kaum bis zum nächsten Ersten reichte. Bald verstand ich, dass ich dieses Ziel nie erreiche, solange ich für Geld arbeiten muss. Es galt also einen Weg zu finden, Geld für mich arbeiten zu lassen.

Da du zu den wenigen Menschen gehörst, die noch Bücher lesen, zeigst du mir damit, dass du ernsthaftes Interesse daran hast, deine Träume und Ziele zu verwirklichen. Deshalb nehme ich dich mit auf meine Zeitreise und zeige dir, wie du deinem Ziel näherkommen kannst und Fehler vermeidest.

Ich wünsche dir viel Glück und Erfolg!

»Du bleibst doch sowieso in Hannover«

Kindheit und Jugend

Neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg kam ich am 8. Dezember 1954 in Hannover zur Welt. Bill Haley läutete gerade mit seinem internationalen Hit »Rock around the Clock« die Geburtsstunde des Rock ’n’ Roll ein. Hannover 96, das Lieblingsteam meines Vaters, gewann die Deutsche Fußballmeisterschaft. Das Wunder von Bern versetzte die ganze Nation in einen riesigen Freudentaumel. Zum ersten Mal wurde Deutschland Fußballweltmeister. Ein spürbarer Ruck ging durch das Land. Nachdem die Generation meiner Großeltern hinter dem kleinen Österreicher hergelaufen war und damit sehr viel Elend über die Menschheit gebracht hatte, lag Europa zwar in Schutt und Asche, aber wir kamen plötzlich wieder voran.

Unsere Großstädte sahen teilweise aus wie heute das zerbombte Syrien oder manche Gebiete der Ukraine. Die Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion zerschnitten Deutschland 1945 in vier Besatzungszonen. Gemessen an den Grenzen von 1937 gingen 24 Prozent des Staatsgebiets verloren. Am Ende stand die Teilung in Ost und West: Deutsche Demokratische Republik und Bundesrepublik Deutschland. Fortan konkurrierten die Deutschen als zänkische Nachbarn. Durch eine Mauer getrennt lebten sie auf der einen Seite im Sozialismus und auf der anderen im Kapitalismus. Das Ergebnis dieses »Experiments« wurde 40 Jahre später bei der Wiedervereinigung präsentiert – und wirkt bis heute nach.

Im Westen hatten wir das Glück, Kanzler Konrad Adenauer zu haben. Er gestaltete die Europäische Integration, setzte auf die soziale Marktwirtschaft und trieb die Souveränität der Bundesrepublik voran. Dadurch begann unser sogenanntes Wirtschaftswunder. Aus heutiger Sicht bin ich froh, nicht schon früher geboren zu sein.

Neue Familie

An meine ersten drei Lebensjahre habe ich keine Erinnerung. Erst später erfuhr ich, dass sich meine Eltern ständig stritten und an meinem dritten Geburtstag geschieden waren. Mein Vater bekam das alleinige Sorgerecht und meine Mutter verließ Deutschland, um sich in Holland ein neues Leben aufzubauen. Mein Vater konnte dem Amt nachweisen, dass ich bei meiner Großmutter bleiben konnte, wenn er bei der Arbeit war. Er heiratete seine Jugendliebe und ich hatte fortan eine Stiefmutter. In der Südstadt von Hannover bezogen wir eine geräumige Jugendstilwohnung. Zwar gehörte die meinem neuen Opa, aber der alte Mann wurde von seinem Schwiegersohn kurzerhand ausquartiert und durfte nur zwei Zimmer behalten. Drei Räume beschlagnahmte mein Vater für uns. Geheizt wurde mit Kohleöfen. Die dünnen Fensterscheiben vereisten im Winter auch von innen. Trotzdem wurden die Öfen nur in Betrieb genommen, wenn wir selbst in dicken Pullovern froren. Einmal in der Woche hatten wir den Waschkeller für uns. Dort stand ein großer Holzkrug mit einem Waschbrett. Im Haus wurde eine Liste geführt, wer den Waschraum gerade benutzen durfte. Einen Fernseher hatten wir natürlich nicht. Das erste Telefon bekam mein Vater erst zwanzig Jahre später, weil er vermeiden wollte, dass sein ältester Bruder ihn anruft. Meinem Vater war sein älterer Bruder zu anstrengend, aber ich schätze ihn als Onkel sehr. Er brachte mir als Kind in Hannover das Fahrradfahren bei. Wenn er uns mal besuchen wollte, musste er zunächst meinem Vater eine Postkarte schreiben. Meistens schrieb mein Vater dann zurück, warum es gerade nicht ging.

Mein Opa war manchmal ein bisschen brummig, aber ich habe mich trotzdem gut mit ihm verstanden und war froh, überhaupt einen Opa zu haben. Wir schossen immer um die Wette mit meinem Spielzeuggewehr. Die Pfeile klebten danach an seiner Wohnzimmertür. Da Opa gerne Pfeife rauchte, wollte ich lustig sein und schob heimlich einen kleinen Silvesterknaller zwischen seinen Tabak. Als nach ein paar Zügen die Pfeife mit lautem Knall explodierte und ihm der Tabak ins Gesicht flog, konnte er allerdings seine Freude über meinen Streich nicht so richtig zeigen.

Weil er lange bei der Molkerei gearbeitet hat, bekam Opa für die damalige Zeit eine stattliche Rente. Außerdem brachte er regelmäßig Butter, Käse und Milch für uns mit nach Hause, die er einmal pro Woche kostenlos bekam. Sein einziges Hobby war Lottospielen. Dafür opferte er Woche für Woche 20 Mark. Tatsächlich gewann er innerhalb von fünf Jahren zweimal 2000 Mark. Mit dem Geld unterstützte er meinen Vater, der von seinen monatlichen 700 Mark gerade so leben konnte. Schließlich hatte der Mann seine einzige Tochter geheiratet. Er kaufte ihm eine Kreidler Florett. Von da an fuhr Vater jeden Tag mit dem Moped zur Arbeit. Später schenkte Opa dem Ehepaar auch noch eine Waschmaschine.

Am Ende des Krieges war mein Vater 14 Jahre alt. Er hatte seinen eigenen Vater, einen Architekten, verloren. Sein Onkel, ebenfalls Architekt, bot ihm eine Ausbildungsstelle als Maurer in seinem Unternehmen an. Nach Abschluss der Lehre sollte es für ihn dort weitergehen. Doch so weit kam es nicht. Nach nur einem Jahr brach mein Vater die Maurerlehre ab. Es dauerte ihm alles zu lange. Außerdem verstand er sich aufgrund seiner cholerischen Art nicht besonders gut mit den anderen Mitarbeitern.

Danach wollte er ins Altpapiergeschäft einsteigen. Er nahm seine bescheidenen Ersparnisse, lieh sich noch Geld und kaufte einen gebrauchten dreirädrigen Goliath-Kleintransporter. Das war ein lustiges Fahrzeug mit 15 PS. Der Borgward-Konzern fertigte bis zu seiner Insolvenz 1963 fast 10 000 Stück davon. So richtig rund lief es aber nicht für meinen Vater. Obwohl er fleißig Papier sammelte, blieb nach Abzug aller Kosten ein Minus. Das war das erste und für lange Zeit letzte Mal, dass er in seinem Leben irgendein Wagnis einging. Von da an ging er meist auf Nummer sicher. Deshalb heuerte er bei den Stadtwerken Hannover als Fahrer an. Das Unternehmen gab ihm eine blaue Latzhose. Bis zu seiner Frührente mit 57 Jahren trug er diesen Arbeitsanzug und war überzeugt, dass nur der ehrliche Handwerker ein guter Mensch ist.

Vor unserer Tür lag der Stephansplatz, zur Hälfte ein großer Spielplatz, auf dem sich alle Kinder aus der Nachbarschaft trafen. Hier verbrachten wir unsere Tage. Ein Park mit Steintischen und Sitzgelegenheiten schloss sich direkt an. Dort trafen sich die Kriegsveteranen aus russischer Gefangenschaft und versuchten ihre kleine Versehrtenrente beim Kartenspiel aufzubessern. Viele saßen in langen Holzrollstühlen, teilweise ohne Bein oder Arm, und ich fragte mich manchmal, wie sie ihre Karten halten konnten.

Meine Schwester Daisy kam 1960 zur Welt. Drei Jahre später folgte meine Schwester Suse. Ich war inzwischen eingeschult und stand nicht mehr im Mittelpunkt der familiären Aufmerksamkeit. Deshalb durfte ich mich abends bis 19 Uhr auf der Straße herumtreiben. Wenn ich nicht mit meinen Freunden Fußball spielte, erforschten wir die Trümmerhäuser und hofften einen Stahlhelm oder andere Schätze zu finden. Leider verschwanden unsere Abenteuerhäuser nach und nach, weil in den 1960er Jahren schon viel gebaut wurde. Leider nur auf Masse. Einen Schönheitspreis haben die neuen Häuser nie gewonnen.

Auf der Horst

Da mir mein Vater kein Taschengeld gab, plante ich jeden Tag eine Stunde ein, um Geld ranzuschaffen. Das brauchte ich für Schokolade, Lakritz und Weingummi. Dafür klapperte ich die Supermärkte der Umgebung ab. Kunden bekamen damals beim Einkauf Rabattmarken. Die klebte man in ein kleines Heftchen und löste sie für drei oder fünf Mark ein. Weil einige Kunden darauf keinen Wert legten, blieben immer Marken an den Kassen liegen. Die schnappte ich mir. Außerdem inspizierte ich die Kellerroste. Viele Leute kramten vor den Läden schon hektisch im Kleingeld. Manche Münze fiel dabei durch. Mit dem richtigen Stock und fetter Penatencreme gelang es mir meist, das Geld herauszufischen. An den Markttagen Dienstag und Freitag durfte ich mittags an zwei Ständen helfen: Erdnüsse sortieren und Beutel befüllen, Obst einräumen und ausräumen. Im Dezember trug ich den Leuten zusätzlich ihre Tannenbäume nach Hause. Die meisten waren kurz vor Weihnachten sehr großzügig und ich verdiente gutes Trinkgeld.

Wenn ich genug Beute gemacht hatte, suchte ich schnurstracks unseren Kiosk auf. Schon auf dem Weg lief mir das Wasser im Munde zusammen. Am Stephansplatz stand eine von 80 Nebgen-Buden, die sich über Hannover verteilten. Da eine Bude nur ungefähr zwölf Quadratmeter maß, gab es ein Vordach für Trinker und Raucher, damit sie bei Regen trocken blieben. Hinter dem Häuschen befand sich ein kleines Getränkelager mit einem Bastzaun für das Leergut. Gerne griff ich vor meinem Einkauf kurz hinüber, schnappte mir ein paar leere Flaschen und gab sie vorne für Pfand ab. Nebgen-Buden waren über Jahrzehnte eine Institution in Hannover. Ursprünglich seit 1890 in Köln beheimatet und dort Vorläufer der heutigen Kiosklandschaft, expandierte das Unternehmen Carl Nebgen noch im Kaiserreich nach Hannover. Leider meldete es 1979 Konkurs an. Hoffentlich lag es nicht an mir.

Ich war kein guter Schüler. Mich ärgerte, dass mich die Schule vom Spielen abhielt. Diese Einstellung schlug sich natürlich in meinen Noten nieder. In der Grundschule bekam ich in vielen Fächern nur deshalb noch eine Vier, weil unsere Klassenlehrerin ungern Fünfen vergab. Religion und Englisch waren damals Wahlfächer. Mein Vater meinte: »Warum willst du Englisch lernen, du bleibst doch sowieso in Hannover.« Mit Religion hatte er eh nichts am Hut. Deshalb bin ich weder getauft noch konfirmiert. Um mir einen schönen Lenz zu machen und nicht in der Parallelklasse Unterricht zu haben, ging ich dann aber doch zum Religionsunterricht. Prompt bekam ich dort eine Fünf. Mein Vater stellte wutentbrannt den Religionslehrer zur Rede: »Sie können meinem Sohn doch keine Fünf im Zeugnis geben.« Darauf der Lehrer: »Was soll ich denn machen, ihr Sohn wusste ja noch nicht mal, dass Jesus tot ist.« Da antwortete mein Vater: »Das müssen sie doch verstehen. Wir lesen keine Zeitung und haben keinen Fernseher. Wir wussten gar nicht, dass er krank war.« Viele Ältere in meinem Jahrgang erzählen heute, sie hätten damals kein Abitur machen können, weil die Zeiten anders waren. Das ist schlicht gelogen. Ich bin deshalb nicht zur weiterführenden Schule gegangen, weil ich einfach dumm und faul war.

Wenn es an manchen Tagen besonders schlecht für mich lief, fiel mir regelmäßig meine Lieblingstante ein, die Schwester meines Vaters. Sie wohnte nur 500 Meter entfernt. Verheiratet mit dem damals bekannten Schauspieler Günther Neutze, führte sie ein recht mondänes Leben. Von ihr bekam ich stets eine Limonade und zwei Mark mit auf dem Weg. Das heiterte mich wieder auf. Günther Neutze spielte damals in den Serien »Die Gentlemen bitten zur Kasse« und »Dem Täter auf der Spur«. Außerdem war er Tatortkommissar. Deshalb nannte ich ihn nur meinen Filmonkel. Weil er auch noch einen Porsche 356b fuhr, was bei uns im Viertel eine Sensation war, gab ich gerne mit ihm an. Die Kinder meiner Tante, Cousin Michael und Cousine Brigitte, waren zehn Jahre älter. Von Michael durfte ich mir öfter ein paar Klamotten aussuchen, die er nicht mehr trug. Lebhaft erinnere ich mich an ein blaues Blumenhemd, das ich sehr geliebt habe. Cousine Brigitte war mit ihren langen blonden Haaren und Körbchengröße D die Obergranate. Wenn wir zusammen Eis essen gingen, stockte an jeder Baustelle der Betrieb, weil die Arbeiter ihr lange hinterherschauten.

Eines Tages kam mein Vater nach Hause, rief uns alle im Wohnzimmer zusammen und meinte: »Wir haben Glück und ziehen in eine neue städtische Wohnung. Der Junge bekommt sein eigenes Zimmer, damit er nicht mehr bei seinen kleinen Schwestern schlafen muss.« Das hörte sich gut an. Denn Daisy und Suse hatten die Angewohnheit, alle meine Sachen neu zu sortieren. Danach fand ich nichts mehr. Deshalb freute ich mich auf mein eigenes Reich.

Inzwischen hatte Opa meinem Vater für 4400 Mark einen nagelneuen VW Käfer 1300 gekauft. Also unternahmen wir sofort einen Ausflug zur neuen Wohnung. Ich dachte: Warum gehen wir nicht zu Fuß? Dann gefiel es mir aber ganz gut, die paar Meter im neuen Familienauto zu sitzen. Panik bekam ich erst, als wir aus Hannover herausfuhren und immer noch zwanzig Kilometer vor uns lagen. Eine halbe Ewigkeit später stellte sich heraus, dass wir in eine Plattenbausiedlung für 10 000 Menschen mitten auf der grünen Wiese zogen. Der Gewerkschaftskonzern hatte dort mit seiner Firma »Die neue Heimat« groß gebaut. Die Siedlung bestand aus einer breiten Hauptstraße, von der rechts und links kleine Straßen als Sackgassen abzweigten. Die trugen Namen wie Plutohof oder Leierhof. Unsere Straße hieß Herkuleshof. Die ganze Siedlung nannte sich »Auf der Horst«. Die ersten beiden Höfe waren für die Arbeiter der Stadt reserviert, der Rest für Familien mit Berechtigungsschein – die Vorgänger der Hartz-IV-Bewegung. Ich bekam tatsächlich ein eigenes Zimmer am Ende des Gangs. Es war drei Meter tief, zweieinhalb Meter breit und hatte in der Tür eine große Glasscheibe. Jeder konnte zu mir hineinsehen. Da ich in einem Klappbett schlief, wirkte der Raum tagsüber größer. Wir zogen in den Sommerferien ein. Wenn man im Internet »Brennpunkt auf der Horst« eingibt, wird auf den ersten Blick klar, dass sich dort seit 60 Jahren nichts geändert hat. Nur die Namen der Bewohner klingen heute südländischer.

Gangs und fliegende Fäuste

Meine leibliche Mutter heiratete inzwischen einen holländischen Berufsmusiker, der mit einer Band in den Nachtclubs Tanzmusik spielte. Sie bekamen einen Sohn, meinen Halbbruder Patrick. Von da an besuchte ich meine Mutter jede Sommerferien in Hilversum. Obwohl ihr Mann gut verdiente, war das Geld auch dort knapp. Der Musiker spielte öfter an den Einarmigen Banditen.

Nach den Ferien ging es für mich zur neuen Hauptschule auf der Horst. Ich war erstaunt, mit fast 50 Kindern in der fünften Klasse zu sein. Einige saßen zu zweit an einem Schultisch. Die Sonderschule befand sich noch im Bau und 15 Hilfsschüler wurden für zwei Monate bei uns geparkt. Im Unterricht ging deshalb alles drunter und drüber. Wahrscheinlich hatten wir damals ähnliche Zustände, wie sie heute in Berlin alltäglich sind. Egal. Ich hatte mir vorgenommen, mir bei meinem Neuanfang in der Schule mehr Mühe zu geben. Schon am ersten Tag hängte ich mich bei den Schularbeiten richtig rein und war mächtig stolz, der einzige Junge zu sein, der seine Schularbeiten vorzeigen konnte. Die anderen Jungs warfen sich vielsagende Blicke zu. Als ich in der großen Pause auf den Schulhof kam, kreisten mich sofort fünf Sonderschüler ein. Der erste Schlag traf die Rippen. Ein anderer bohrte sich in die Magengrube. Dann rammte mir einer sein Knie unter das Kinn. Ich ging zu Boden. Der Anführer, einen Kopf größer als ich und schon zweimal sitzengeblieben, stellte sich über mich und erklärte unmissverständlich: »Jungs in dieser Klasse machen keine Schularbeiten.«

Nach zwei Monaten verschwanden die Sonderschüler. Wir restlichen Fünftklässler bekamen einen neuen Klassenlehrer. Ein echter Glücksfall für mich. Denn er versprach: »Jeder von euch wird am Ende der Schulzeit ordentlich lesen, schreiben und rechnen können.« In der letzten Stunde hatten wir bei ihm meist Mathe und paukten die Grundrechenarten bis zum Abwinken. Kurz vor Unterrichtsende übte er mit uns Kopfrechnen. Wer eine Aufgabe löste, durfte nach Hause gehen. Damit packte er meinen Ehrgeiz. Einmal war ich nur Drittbester und ärgerte mich darüber total. Unser Klassenlehrer war auch Rektor der Schule und später Bürgermeister von Garbsen. An ihn erinnere ich mich mit Dankbarkeit.

Ab und zu hatte ich eine Art Heimweh und traf ein paar alte Schulfreunde vom Stephansplatz. Dafür nahm ich entweder das Rad oder fuhr mit dem Bus zur Stadtgrenze und dann mit der Straßenbahn quer durch Hannover. Wenn ich während der Fahrt von einem, der mich kannte, gefragt wurde, wo ich jetzt wohne, und ihm zurief: »Auf der Horst!«, wurde es auf einmal ganz still in der Straßenbahn. Jeder hatte davon gehört und alle schauten mich an, um zu sehen, wie ein Junge aussieht, der auf der Horst wohnt.

Zu Hause lief es nicht immer harmonisch. Da ich meiner Stiefmutter deutlich zu verstehen gab, dass ich eine eigene Mutter hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit verstärkt meinen Schwestern zu. Das bedeutete: Wenn ich Mist baute, erzählte sie es am Abend meinem Vater. Da der immer schlecht gelaunt von der Arbeit kam, weil er als Fahrer bei den Stadtwerken seiner eigenen Ansicht nach so ziemlich auf der untersten Stufe der Hierarchie stand, wurde es für mich schnell ungemütlich. Mein Vater schlug sehr präzise zu. Manchmal war ich aber schneller. Einmal duckte ich mich weg und er schlug mit solcher Kraft in einen Glasbilderrahmen, dass Splitter in seiner Hand steckten. Ein anderes Mal konnte ich noch schnell genug den Pelikanfüller hochreißen und durch den kraftvollen Schlag bohrte sich die Spitze tief in seine Hand und brach ab. Als unser Sportlehrer einen Pantoffelabdruck auf meinem Rücken entdeckte und sogar die Schuhgröße erkannte, wurde mein Vater zum Gespräch in die Schule einbestellt. Ich lernte, ihm aus dem Weg zu gehen und möglichst erst um 19 Uhr nach Hause zu kommen, wenn er sich halbwegs beruhigt hatte. Heute bin ich 1,93 Meter groß und wiege 93 Kilogramm. Aber damals war ich ein zierlicher Junge. Erst mit 16 Jahren schoss ich in die Höhe.

Die ganze Horst war in Gangs aufgeteilt. Herkuleshof und Leierhof bildeten eine Gruppe. Die älteren Jungs trainierten Kampfsport und brachten uns anderen einiges für den Straßenkampf bei. Ich hatte nur die Wahl, ein Wolf oder ein Schaf zu sein. Doch im Ernstfall beißt man besser als Erster zu, bevor man zum Opfer wird. Diese Fähigkeit habe ich mir bis heute bewahrt. Da ich aber auch ein rhetorisches Talent besitze, bewege ich mich ganz entspannt in jedem Milieu. Fairerweise wurde damals alles mit Fäusten ausgetragen. Niemand bekam Tritte, wenn er am Boden lag oder sich ergab. Messer brutalisierten die Kämpfe erst, als später neue Leute auf die Horst zogen.

Wenn ich in den Spiegel schaute, erblickte ich einen Jungen von 13 Jahren mit abstehenden Ohren, verschnittenen Haaren und Klamotten aus dem Angelshop. Hätte ich gebrannt, wäre ich ein Versicherungsschaden von höchstens 20 Mark gewesen. Im Sommer trug ich eine kurze Lederhose, im Winter eine dreiviertellange Knickerbocker. Bei den Mädchen, die mit Miniröcken und weißen Kunstlederstiefeln in die Schule kamen, sich schminkten und den Busen puschten, hatte ich mit dem Outfit natürlich keine Chance. Deshalb überredete ich meinen Vater, mir eine lange Cordhose zu kaufen. Meine leibliche Mutter schenke mir das dazu passende Hemd.

Mir war klar, dass ich vor allem Geld verdienen musste. Ohne Moos war schon damals nichts los. Also wurde ich Zeitungsausträger für den Bauer Verlag. In meinem Bestand befanden sich Neue Revue, Quick, Praline, Bravo und so weiter und so weiter. Jede Woche gab ich donnerstags fünf Stunden Gas. Zusätzlich musste ich bei den Kunden monatlich das Zeitungsgeld kassieren. Die größten Assis auf der Horst hatten natürlich das ganze Programm bestellt. Bezahlen konnten sie oft nicht. Der ganze Ärger für 100 Mark im Monat! Eine besondere Herausforderung für mich war, dass die Höfe meiner Kunden total im Feindesland lagen. Beim ersten Austragen im Plutohof verschwanden gleich meine Satteltaschen mit den Zeitungen. Geistesgegenwärtig teilte ich dem Oberhaupt einer sehr bekannten Familie mit, leider könne er seine Zeitungen nicht wie gewohnt bekommen. Danach wartete ich ungefähr 30 Minuten, bis seine beiden ältesten Söhne die Angelegenheit geregelt hatten. Ich bekam meine Taschen zurück und hatte fortan meine Ruhe. Übrigens fiel mir bei meinen Touren erstmals auf, dass Ehepaare sich mit der Zeit immer ähnlicher werden. Wenn ich an der Tür klingelte und beide mir öffneten, wusste ich manchmal nicht, wer die Frau und wer der Mann war. Sie trugen über ihrem Bauch den gleichen Trainingsanzug, an den Füßen Gummischlappen und hielten eine große Tüte Chips in der Hand.

Im Niemandsland

Kurz vor meinem 14. Lebensjahr fuhr ich mit einem Freund auf dem Radweg neben einer breiten Schnellstraße. An einer Ausfahrt bog er rechts ab, während ich geradeaus weiterfuhr, denn ich wollte unbedingt vor ihm ankommen. Der Fahrer des VW Käfers, der mit circa 70 Stundenkilometern von der Schnellstraße in die Ausfahrt einbog, erkannte mein Manöver zu spät. Obwohl ich Vorfahrt hatte, erwischte er mich frontal. Erst im Krankenhaus erwachte ich wieder. Mein Vater saß neben mir auf dem Bett. Zum Glück hatte das Auto nur mein Fahrrad getroffen. Der Verkehrsunfalldienst ermittelte, dass ich rund zehn Meter über den Käfer geflogen war. Wie durch ein Wunder hatte ich mir nichts gebrochen, musste aber mit einer schweren Gehirnerschütterung sechs Wochen das Bett hüten. Sehr viel später realisierte ich erst, wie gut das Schicksal es an diesem Tag mit mir gemeint hat.

Eines Tages hatte mein Vater wieder einen seiner grandiosen Einfälle. Zusammen mit meiner Stiefmutter erwarb er mitten im Niemandsland 50 Kilometer außerhalb von Hannover ein kleines Stück saure Wiese. Dafür nahm er einen Kredit über 2000 Mark bei der Sparkasse auf. Das kleine Vermögen wurde in 50-Mark-Scheinen bar ausgezahlt. Zu Hause bei uns im Wohnzimmer warf mein Vater das ganze Bündel in die Luft und freute sich über den Wohlstandsregen. Nie zuvor hatten die beiden so viel Geld in ihren Händen gehalten. Auf dem Grundstück ließ er ein tiefes Loch baggern, bis Grundwasser hochkam. Fertig war sein Teich. Dann organisierte er von der Stadt Hannover zwei ausrangierte Bauwagen. Von da an durfte ich mir jedes Wochenende einen Bauwagen mit meinen Schwestern teilen. Wir schliefen in Hochbetten und sie gingen mir gehörig auf die Nerven. Das Wochenendelend begann bereits mit dem scharfen Einparken unserer Familienkutsche vor der Schule. Während meine Mitschüler an den freien Tagen Fußball spielten und ihre ersten Freundinnen in der Badeanstalt knutschten, musste ich hinten im VW Käfer über dem Mitteltunnel Platz nehmen, meine Schwestern rechts und links neben mir. Die gesamte Fahrt über qualmten meine Eltern bei geschlossenen Fenstern ihre filterlosen Zigaretten Marke Overstolz. Bald konnte ich die beiden durch den Nebel nicht mehr sehen. Mein Vater betätigte zusätzlich regelmäßig die Scheibenwaschanlage, die er mit Brennspiritus gefüllt hatte. Der beißende Geruch vermischte sich mit dem Rauch und den Ausdünstungen der Plastiksitze. Meine kleine Schwester Suse übte sich im Singen. Ihre schrille Stimme klang wie eine Katze in höchster Not. Das alles war zu viel für mich. Sobald wir ankamen, übergab ich mich am nächsten Baum.

Im Gegensatz zu meinen Schwestern, die mit ihrer Mutter viel Spaß hatten, fand ich es an unserem Teich sterbenslangweilig. Obwohl ein kleines Dorf in der Nähe lag, lernte ich dort keine Mädchen kennen. Da war man als Junge mit 14 Jahren schon leicht erregt, wenn nur irgendwo ein Damenrad herumstand. Eine Tortur! Auf dem Acker und im Wald fand ich auch keine Freunde. Deshalb las ich meistens Romane wie Jerry Cotton und Lassiter. Mein Vater merkte mir natürlich die fehlende Begeisterung an. Aber er sah das ganz entspannt und meinte nur: »Sobald du volljährig bist, kannst du leben, wie du willst.«

Genau wie meine leibliche Mutter war mein Vater ein hochgradiger Egoist. Durch den Krieg in ihrer Kindheit und die ständige Angst vor Bomben waren sie schon gefühlskälter. Das bekam ich täglich zu spüren, obwohl ich sicher nicht den schlechtesten Vater hatte. Meine Mutter war inzwischen von ihrem Holländer geschieden und arbeitete als Bardame. Sie hörte sich die traurigen Geschichten der Männer an und verführte sie zum teuersten Alkohol. Dafür bekam sie eine Umsatzbeteiligung. Heute ist der Beruf der Bardame fast ausgestorben. Obwohl meine Mutter sehr gut verdiente, kam sie nie auf die Idee, meinem Vater auch nur einen Pfennig Unterhalt für mich zu zahlen. Bis zu meinem 15. Lebensjahr besuchte ich sie in den Sommerferien. Sie kaufte mir bei C&A Hose, Hemd und Schuhe. Zu Weihnachten und meinen Geburtstagen bekam ich eine Karte von ihr, in der meist ein kleiner Geldschein lag. Allerdings kam es auch vor, dass sie mir am Ende schrieb: »Mein lieber Junge, ich wollte Dir noch 20 Mark reinlegen, aber leider habe ich den Umschlag schon zu gemacht.«

Wildbraten, Sturmflut und Hippiebewegung

Von meinem Vater lernte ich Pünktlichkeit, Disziplin und Ordnung. In dieser Beziehung bin ich auch heute noch ein totaler Spießer und gehe damit meinen Töchtern so richtig auf den Geist. Sie sind mit meinen diesbezüglichen Ansprüchen absolut überfordert. Mein Vater hat sich auch bemüht, unsere Wünsche zu erfüllen, solange sie sein Budget nicht sprengten. Er war als Handwerker sehr begabt und konnte alles selbst reparieren – von der Waschmaschine über Möbel bis zum Lichtschalter. Alle zwei Jahre ließ er für 300 Mark ein Schwein schlachten. Auf diese Weise hatten wir 100 Kilo Wurst und Schinken. Kartoffeln wurden direkt als Nachlese vom Feld geholt, weil der Bauer die kleineren Erdäpfel mit seiner Maschine nicht abräumen konnte. Wir gingen als Familie in den Wald, um Blaubeeren und Himbeeren zu sammeln. In der Pilzzeit machten wir uns auf die Suche nach Maronen und Steinpilzen. Außerdem hatte mein Vater reichlich Jungfische in seinen Teich gesetzt. So kamen bei uns regelmäßig Forellen, Aale und Karpfen auf den Tisch. Wenn wir bei unseren Trips einen überfahrenen Hasen oder sogar einen Rehbock am Straßenrand fanden, gab es Wildbraten.

Nur bei unseren ostdeutschen Nachbarn sah es in den 1960er Jahren nicht mehr so gut aus. Nachdem unter der sowjetischen Besatzungsmacht 1949 die DDR gegründet und zum sozialistischen Staat erklärt wurde, gingen sämtliche Geschäfte, Unternehmen und Mietshäuser in staatlichen Besitz über. Die Parteien SPD und KPD wurden zur neuen Sozialistischen Einheitspartei SED zusammengelegt und die Wähler, wie im Kommunismus üblich, entmündigt. Bereits 1950 wurde das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gegründet. Es verfügte über 17 eigene Untersuchungsgefängnisse. Der Parteiführung der DDR unterstellt, überwachte es die eigenen Bürger und spürte Menschen auf, die den Sozialismus ablehnten, um sie auf die eine oder andere Weise auszuschalten. Allein bis 1961 verließen 2,5 Millionen Deutsche die DDR in Richtung Westen. Als die DDR-Regierung unter Walter Ulbricht merkte, dass hauptsächlich die Leistungsträger und selbstständig denkenden Menschen flüchteten, riegelten am 13. August 1961 Mitglieder der Kampftruppen, Grenz- und Volkspolizisten die Grenze ab. Der Staat errichtete eine hohe Mauer, die Berlin in zwei Teile zerschnitt. Wer nach dem Mauerbau noch einen Fluchtversuch wagte, wurde von den Grenztruppen gnadenlos erschossen. In den 28 Jahren der Mauer starben auf diese Weise 140 Bürger der DDR. Die restlichen rund 17 Millionen blieben eingesperrt. Erst 1989 wurde die Mauer durchlässig und alle Welt sah ein Volk, das es nicht erwarten konnte, endlich in Freiheit leben zu dürfen.

Deutschland sollte ursprünglich 320 Milliarden US-Dollar als Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg leisten. Diese Summe jedoch war nicht zu erbringen und wurde mit Unterstützung der Amerikaner gegenüber den anderen Westalliierten nach 1945 zunächst auf 16,2 Milliarden Deutsche Mark reduziert und schließlich 1952 auf sieben Milliarden Deutsche Mark Nachkriegsschulden sowie auf 7,3 Milliarden Deutsche Mark für Vorkriegsschulden. (Quelle Statista) Weil wir diese Summe ohne Kredite aus den Handelsüberschüssen bezahlen durften, ist unser Wirtschaftswunder überhaupt erst möglich geworden.

Im Jahr 1962 fegte die schlimmste Sturmflut über die Küsten hinweg, die Deutschland je erleben musste. Mit 130 Stundenkilometern wütete der Orkan. Er zerstörte Hausdächer, entwurzelte Bäume – und die Sturmflut kam die Elbe hoch. Nachdem an 60 Stellen die Deiche einbrachen, traf es Hamburg besonders schlimm. Die traurige Bilanz: über 300 Tote.

Mitte der 1960er Jahre eroberte ein neuer Musikstil auch die deutsche Jugend. In den Hitparaden tauchten plötzlich Bands wie die Beatles, Rolling Stones und Bee Gees auf. Sie landeten zum Entsetzen unserer Eltern einen Hit nach dem anderen. Wir tapezierten die Wände unserer Zimmer mit den Starschnitten der Musikidole aus der Bravo. Zur selben Zeit wurde im fernen Dallas 1963 der amerikanische Präsident John F. Kennedy, ein Hoffnungsträger für viele Menschen, erschossen. Wir teilten das weltweite Entsetzen. Zwei Jahre später begann für die Vereinigten Staaten der Krieg in Vietnam. Als 1968 die Kundgebungen dagegen immer lauter wurden, flammte auch in Westdeutschland der Protest der Studentenbewegung auf. Die sogenannte außerparlamentarische Opposition (APO) protestierte zudem gegen atomare Aufrüstung und den Kapitalismus und setzte sich für eine umfassende Bildungsreform ein.

Parallel entstand die Hippiebewegung. Hippies waren ebenfalls gegen Kriege und für eine neue Weltordnung ohne Klassenunterschiede, Leistungsnormen und Unterdrückung. Sie trugen lange Haare, kleideten sich meist in bunten Stoffen mit Blumenmustern und standen auf Musik, Sex und Drogen. Friedliche Typen, nicht besonders politisch. Ihr Frühstück konnte schon mal aus Cannabis bestehen und man spülte mit einer Bluna oder Afri Cola nach. Aber erst ein ehrlicher LSD-Trip brachte sie richtig in Stimmung.

»Das ist ja schön und gut, aber wir hätten Sie sowieso nicht übernommen«

Lehrjahre

Mit dem Hauptschulabschluss in der Tasche wurde ich 1969 aus der Schule entlassen. Zuvor führte unser Klassenlehrer mit allen Eltern intensive Gespräche. Dabei gab er Empfehlungen für die Ausbildungen. Bei mir war er der Meinung, ich solle mich auf jeden Fall für eine kaufmännische Ausbildung bewerben. Mit meinem guten Abschlusszeugnis wäre es damals kein Problem gewesen, Automobilkaufmann zu werden. Später wurden dafür nur noch junge Menschen mit Abitur eingestellt. Zu meiner Zeit gab es diese Anforderung nicht. Für meinen Vater war das aber keine Option. Da er Kaufleute überhaupt nicht mochte und sich selbst für einen Handwerker hielt, wollte er einen soliden Kfz-Mechaniker aus mir machen. Ein heiß begehrter Beruf unter den Jungs. Für mich aber schlichtweg ein dreieinhalbjähriger Albtraum.

Schmerzensschrei und Führerschein

Ehe ich mich versah, war ich einer von 100 Kfz-Lehrlingen bei der Daimler Benz AG in Hannover. Vier Lehrjahre standen mir bevor. Im ersten Lehrjahr waren wir 23 Lehrlinge, die von drei Ausbildungsmeistern betreut wurden – dazu noch 200 Gesellen in der Werkstatt. Um meine eineinhalb Stunden Anfahrtsweg zu bewältigen, saß ich morgens schon um sechs Uhr bei meinem Vater im Auto. Er brachte mich zur Straßenbahn. Während der Fahrt musste ich mir seine politischen Meinungen aus Sicht der Arbeiter anhören. Auf dem Werksgelände unserer Niederlassung befanden sich unsere Stahlspinde in den Katakomben, muffigen dunklen Kellergewölben. Im Spind lagen Blaumann, Sicherheitsschuhe und Waschpaste. Die Werkstatthalle war riesig. Unter den Gruben verlief ein Labyrinth von Gängen, das alle miteinander verband. Jede Arbeitsgruppe bestand aus einem Gruppenleiter und fünf bis sechs Automechanikern. Hinzu kamen drei Lehrlinge. Der zuständige Kfz-Meister verteilte die Aufträge an den Gruppenleiter. Gearbeitet wurde nach einem Akkordsystem, bei dem es für jede Arbeit Punkte gab. Auf diese Weise verdiente sich die ganze Gruppe bis zu 30 Prozent Prämie auf ihr Gehalt. Vorausgesetzt, sie arbeitete schnell, fleißig und ohne Ausfälle.

Leider verfüge ich über keinerlei technisches Verständnis. Als ich zum ersten Mal an einem Mercedes 280 SE 3.5 die Bremsklötze selbstständig einbaute, war ich mir nicht mehr sicher, welche Seite ich mit Molykote einschmieren sollte. Da habe ich es gut gemeint und beide Seiten kräftig eingestrichen. Beim Rausfahren aus unserer Halle hielt der Gruppenleiter wie immer auf den Holzschreibtisch zu, um dann scharf zu bremsen und die Kurve zu kriegen. Doch diesmal ist er geradeaus durch den Schreibtisch gefahren. Die Bremswirkung war durch das viele Fett gleich Null. Ein anderes Mal stand mein Geselle unter einem älteren Auto und versuchte mit einer Knarre die angerosteten Schrauben vom Auspuffkrümmer zu lösen. Ich hatte nur die Aufgabe, mit einem Zehner-Ringschlüssel die Schraubenmutter vom Motorenraum festzuhalten. Als dann aber die Pausenklingel zum Frühstück rief, war klar, dass ich den Schlüssel sofort abzog. Der Schmerzensschrei meines Gesellen war Markerschütternd. Da der Widerstand durch mein Loslassen schlagartig wegfiel, riss er sich unter dem Auto die Hand auf. Erst mein dümmlicher Gesichtsausdruck beruhigte ihn ein wenig, weil er einsah, dass ich wirklich so dämlich war.

Viele Jahre später haben mich meine Söhne gefragt, warum ich mich bei meinem Vater nicht durchsetzen konnte und mir diese für mich vollkommen ungeeignete Lehre angetan habe. Das ist nur aus der Zeit heraus zu verstehen. Was der Vater damals als Oberhaupt der Familie anordnete, musste von Ehefrau und Kindern umgesetzt werden. Bis 1958 benötigte eine Frau sogar die Erlaubnis ihres Mannes, um den Führerschein zu machen. Berufstätig werden durfte sie vor 1977 nur mit seinem Einverständnis. Das hat sich durch die Gleichberechtigung zurecht verändert. Allerdings trug der Mann auch damals für die Familie alleinige Verantwortung, sie finanziell abzusichern und der Frau die Möglichkeit zu geben, sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Wenn man sich bei der heutigen Generation die sogenannte Emanzipation der Frauen anschaut, kann ich nicht erkennen, dass die Frauen dadurch in der Gesamtbilanz einen Vorteil haben. Wenn sie morgens schon bei Regen und Schnee mit dem Lastenrad ihre verwöhnten Blagen in ihren beheizten Thermoanzügen zur Schule bringen, und danach ohne große Karrierechancen ihren Halbtagsjob antreten, damit der Familienstandard gehalten wird. Danach können sie wieder ihre Kinder abholen und sich um den Einkauf und den Haushalt kümmern. Wenn sie dann abends die ganze Familie bekocht, die Kinder ins Bett gebracht und aufgeräumt haben, liegt ihr Versager-Mann schon im Bett und erwartet, dass sie freudestrahlend ihre ehelichen Pflichten erfüllt. Um sich ihr eigenes Elend schönzureden, erzählen sie dann noch ihrer entspannten Freundin, die bei der Auswahl ihres Mannes besser aufgepasst hat, dass sie ohne ihre »anspruchsvolle Arbeit« nicht leben können.

Die meisten Lehrlinge hatten zwischen ihrem 16. und 18. Lebensjahr ein Moped. Hochbegehrt waren die Kreidler RS und die Herkules. Mit ihren jeweils 6.25 PS erreichten sie bis zu 85 Stundenkilometer.