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Laine sucht nach dem Tod der Mutter ihren Vater auf Hawaii auf. Fünfzehn Jahre schien er kein Interesse an seiner Tochter gehabt zu haben. Keinen ihrer Briefe hat er beantwortet. Trotzdem muss sie ihn sehen. Sie ist überrascht, dass der Freund und äußerst attraktive Geschäftspartner des Vaters ihr mit unverhohlenem Misstrauen begegnet. Dabei will Dillon den Freund nur schützen vor der Tochter, die immer nur gierig das Geld von ihrem Vater einzustreichen schien, sich aber nie bei ihm gemeldet hat. Das ist sein Bild der Tochter. Wie kann diese hübsche, nette und sexy Frau, die er wider Willen anziehend findet, nur so kalt gewesen sein?
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Seitenzahl: 184
Nora Roberts
Liebesglück auf der Blumeninsel
Roman
Aus dem Amerikanischen von Sonja Sajlo-Lucich
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
1. KAPITEL
Die Ankunft auf dem Honolulu International Airport entsprach ganz den Beschreibungen aus einem Reisekatalog. Laine wäre es lieber gewesen, mit der Menge zu verschmelzen, aber es schien, dass jeder, der in der Touristenklasse reiste, auch als solcher abgestempelt wurde. Hübsche Mädchen in farbenfrohen Sarongs, mit bronzener Haut und strahlend weißem Lächeln verteilten leis als Willkommensgruß an die Reisenden.
Laine ließ sich den bunten Blütenkranz um den Hals legen und nahm den Begrüßungskuss auf die Wange geduldig hin, bevor sie sich weiter einen Weg durch die Menschenmenge bahnte und nach einem Informationsschalter Ausschau hielt. In dem Gedränge blieb sie am Koffergurt eines Mitreisenden hängen. Das grelle Hemd mit dem üppigen Blumenmuster und die beiden Kameras, die zusammen mit dem lei um seinen Hals hingen, ließen keine Zweifel aufkommen, dass dieser Mann fest entschlossen war, seinen Urlaub hier zu genießen. Unter anderen Umständen hätte sein Aufzug Laine ein Lächeln entlockt, aber die Anspannung, unter der sie stand, verhinderte jeden Anflug von Humor. Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren betrat sie amerikanischen Boden. Doch das schwelgerisch grüne Land mit den imposanten Klippen und Stränden, die sie beim Landeanflug erblickt hatte, hatte keineswegs das Gefühl einer Heimkehr in ihr ausgelöst.
Das Amerika, an das Laine sich erinnerte, bestand nur aus einzelnen Bildern, Szenen aus der Perspektive eines siebenjährigen Kindes. Amerika, das war eine knorrige alte Ulme vor dem Fenster ihres Kinderzimmers. Eine endlose grüne Wiese, gesprenkelt mit den goldenen Tupfen der Butterblumen, ein Briefkasten am Ende einer gewundenen Auffahrt. Aber vor allem verkörperte der Mann Amerika, der sie mit seinen Erzählungen mitgenommen hatte zu Dschungeln und Wüsten und einsamen Inseln.
Hier dagegen wuchsen Orchideen statt Margeriten. Und die anmutigen Palmen und ausladenden Farne waren Laine ebenso fremd wie der Vater, den zu finden sie um die halbe Welt gereist war. Es schien ein ganzes Menschenleben her zu sein, seit die Scheidung ihrer Eltern sie ihrer Wurzeln beraubt hatte.
Das ungute Gefühl, dass die Adresse, die sie in den Papieren ihrer Mutter gefunden hatte, ins Nichts führen würde, nagte an ihr. An dem verknitterten kleinen Zettel ließ sich nicht ausmachen, von wann diese Adresse stammte. Sie wusste nicht, ob Captain James Simmons überhaupt noch auf Kauai lebte. Außer der Anschrift hatte es keine weiteren Hinweise gegeben, keine Briefe, keine Postkarten, nichts, das darauf schließen lassen würde, dass diese Adresse überhaupt noch Gültigkeit hatte. Das Praktischste wäre gewesen, ihrem Vater zu schreiben, und Laine hatte eine ganze Woche lang mit sich gekämpft. Letztendlich war ihre Entscheidung für ein persönliches Treffen gefallen. Ihr gesamtes Erspartes würde gerade mal für eine Woche Kost und Logis ausreichen, und auch wenn sie wusste, dass diese Reise unvernünftig war – wider besseres Wissen war sie losgeflogen. Noch etwas anderes mischte sich in ihre Bedenken: die Angst vor der Zurückweisung, die am Ende dieser Reise stehen mochte.
Was anderes erwartest du denn? fragte sie sich. Warum sollte der Mann, der sie als Kind zurückgelassen hatte, sich dafür interessieren, was für eine Frau sie geworden war?
Sie lockerte die Finger, die sich um den Henkel ihrer Handtasche verkrampft hatten, und schwor sich zu akzeptieren, was immer sie erwarten mochte. Laine hatte schon vor langer Zeit gelernt, das hinzunehmen, was das Leben ihr bot. Und sie hatte gelernt, ihre Gefühle eisern unter Kontrolle zu halten.
Abrupt setzte sie den weißen Sonnenhut auf die flachsblonden Locken und hob das Kinn. Mit einer Anmut, die ihr nicht bewusst war, ging sie durch die Menge. Niemand hätte hinter dieser würdevollen Haltung ihre Unsicherheit ahnen können. Sie wirkte elegant und souverän im eisblauen Reisekostüm, das sie geerbt hatte und das ihrer schlanken Figur so viel mehr schmeichelte als den üppigen Kurven ihrer Mutter.
Die junge Frau am Informationsschalter war in ein angeregtes Gespräch mit einem Mann vertieft. Laine stand etwas abseits und betrachtete abwesend die kleine Szene. Der Mann war geradezu einschüchternd groß. Ihre Schülerinnen hätten ihn sofort séduisant genannt, hinreißend. Schwarze Locken bildeten den reizvoll unordentlichen Rahmen für ein markantes Gesicht, und die tief gebräunte Haut wies ihn als jemanden aus, der die hawaiische Sonne gewöhnt war. Sein Profil strahlte etwas Verwegenes aus, eine elementare Sinnlichkeit, die Laine zwar erkannte, aber nicht genauer bestimmen konnte. Vielleicht lag es daran, dass seine Nase offensichtlich einmal gebrochen worden war, doch anstatt das anziehende Profil zu zerstören, bereicherte diese Asymmetrie die Ausstrahlung nur. Er war leger gekleidet, in ausgewaschenen Jeans und mit einem Jeanshemd, das die breite Brust und sehnigen Arme noch betonte.
Leicht irritiert bemerkte Laine, wie leicht es ihm fiel, charmant zu wirken, die Lässigkeit, mit der er am Schalter lehnte, das selbstsichere Lächeln, das um seine Lippen spielte. Ich kenne diese Art von Männern, schoss es ihr missbilligend durch den Kopf. Das sind die gleichen, die auch um Vanessa herumschwirrten, wie die Geier um Aas. Und als nur noch ein Schatten an die einstige Schönheit ihrer Mutter erinnerte, war der gierige Schwarm davongestoben, um sich nach jüngerer Beute umzusehen. In diesem Augenblick verspürte Laine tiefe Dankbarkeit, dass ihr Kontakt zum männlichen Geschlecht bisher sehr eingeschränkt gewesen war.
Er drehte sich um und bemerkte Laine. Mit einer hochgezogenen Augenbraue erwiderte er ihren Blick fragend. Unsinnigerweise war sie wütend auf ihn, deshalb wandte sie die Augen nicht ab.
Die schlichte Eleganz des Kostüms betonte die Anmut ihrer jugendlichen Figur. Der Hut beschattete ein feines, fast aristokratisch geschnittenes Gesicht mit ernstem Mund und Augen, die an das Blau des Morgenhimmels denken ließen. Die Wimpern waren so dicht und lang, dass er an deren Echtheit zweifelte. Er ließ sich von der äußeren Erscheinung blenden und schätzte sie als kühle, distanzierte Person ein.
Träge und bewusst unverschämt lächelte er. Laine hielt dem Blick immer noch stand und schaffte es tatsächlich, nicht zu erröten. Die Frau hinter dem Schalter, die bemerkt hatte, dass die Aufmerksamkeit ihres Gesprächspartners nicht mehr ihr galt, unterdrückte den Ärger und wandte sich dienstbeflissen an den nächsten Kunden.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Den großen Mann ignorierend, trat Laine an den Schalter. »Ja, bitte. Ich muss nach Kauai. Können Sie eine Transportmöglichkeit arrangieren?« Die Andeutung eines französischen Akzents schwang mit, als sie sprach.
»Natürlich, gern. Ein Charterflug nach Kauai geht in …«, sie sah auf die Uhr und wandte sich wieder lächelnd an Laine, »… zwei Stunden.«
»Ich fliege jetzt gleich ab.«
Laine warf einen überraschten Blick auf den Mann neben sich. Sie stellte fest, dass seine Augen grün waren, grün wie chinesische Jade.
»Sie sollten nicht länger als nötig auf dem Flughafen herumhängen.« Sein träges Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Außerdem ist meine kleine Sportmaschine weder so überfüllt noch so teuer wie die Chartermaschine.«
Laines arrogant hochgezogene Augenbraue und der abschätzige Blick hatten vorher ihre Wirkung erzielt, jetzt nicht mehr. »Sie verfügen über ein Flugzeug?«, fragte sie kühl.
»Stimmt genau, ich habe ein Flugzeug.« Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben, und selbst in dieser lässigen Haltung überragte er Laine immer noch um Haupteslänge. »Außerdem kann ich mal eine Abwechslung gebrauchen, anstatt immer nur diese Touristen zu transportieren, die von Insel zu Insel hüpfen.«
»Dillon …«, begann die junge Frau hinter dem Schalter, doch er unterbrach sie mit einem charmanten Lächeln.
»Rose hier kann das bestätigen. Ich fliege für die ›Canyon Airlines‹ auf Kauai.« Er lächelte Rose gewinnend an.
»Dillon, ich meine, Mr O’Brian ist ein sehr guter Pilot.« Rose räusperte sich und warf ihm einen viel sagenden Blick zu. »Wenn Sie nicht warten möchten, so kann ich Ihnen versichern, dass Sie einen angenehmen Flug mit ihm haben werden.«
Der Meinung war Laine nun ganz und gar nicht. Sein breites Lächeln und seine amüsiert funkelnden Augen ließen sie viel eher annehmen, dass der Flug alles andere als angenehm sein würde. Aber ihr Budget war nicht groß, und sie musste zusehen, dass sie das Wenige, was sie hatte, zusammenhielt.
»Nun gut, Mr O’Brian, ich werde Ihre Dienste in Anspruch nehmen.« Er hielt ihr die flach ausgestreckte Hand entgegen, und Laine sah kurz darauf hinunter, bevor sie, erbost über seine Unverschämtheit, den Blick wieder zu seinem Gesicht hob. »Sobald Sie mir Ihren üblichen Preis genannt haben, Mr O’Brian, werde ich nach der Landung für den Flug bezahlen.«
»Ich wollte eigentlich nur Ihren Gepäckschein«, erwiderte er lächelnd. »Das gehört zum Service, Lady.«
Bemüht, sich ihre Verlegenheit nicht anmerken zu lassen, kramte Laine in ihrer Handtasche nach dem Ticket.
»Dann lassen Sie uns gehen.« Er nahm ihr den Schein aus der Hand und fasste sie am Ellbogen, während er über die Schulter zurückrief: »Bis zum nächsten Mal, Rose.«
»Willkommen auf Hawaii«, antwortete Rose aus purer Gewohnheit, dann seufzte sie und zog einen Schmollmund, während sie Dillon nachsah.
Laine bemühte sich um Haltung, während sie neben ihm hertrottete. »Mr O’Brian, ich kann nur hoffen, dass ich nicht bis nach Kauai joggen muss.«
Er hielt an und grinste. Dieses freche Grinsen, so stellte sie fest, schien seine bevorzugte Waffe zu sein, und bis jetzt hatte sie noch nicht herausgefunden, wie sie sich dagegen verteidigen sollte.
»Ich dachte, Sie hätten es eilig, Miss …« Er las den Namen auf dem Gepäckschein. Das Lächeln erstarb. Als er sie jetzt ansah, war aller Humor aus seinem Blick verschwunden, Feindseligkeit funkelte aus seinen Augen. »Laine Simmons?« Es war keine Frage, es war eine Anschuldigung.
»Sie haben richtig gelesen.«
Dillon kniff die Augen zusammen. »Sie wollen zu James Simmons?«
Erstaunt riss sie die Augen auf. Ihre kühle Fassade bröckelte mehr und mehr. Sie unterdrückte den Impuls, die tausend Fragen auszusprechen, die ihr durch den Kopf schossen, nicht zuletzt, weil sein Griff an ihrem Arm so fest geworden war, dass es schmerzte. »Ich wüsste nicht, was Sie das anginge, Mr O’Brian. Oder kennen Sie meinen Vater?« Es fiel ihr schwer, das letzte Wort auszusprechen.
»Ja, ich kenne ihn, wahrscheinlich sehr viel besser als Sie. Nun, Prinzessin«, er ließ sie abrupt los, als sei ihm die Berührung widerwärtig, »es wird sich herausstellen müssen, ob fünfzehn Jahre später besser sind als nie. ›Canyon Airlines‹ steht zu Ihrer freien Verfügung.« Er verbeugte sich übertrieben. »Schließlich kann ich von der verlorenen Tochter des Besitzers kein Geld verlangen.«
Laine folgte ihm schweigend, bestürzt über seine plötzliche Feindseligkeit und verwirrt durch die Neuigkeiten, die sie erfahren hatte.
Ihrem Vater gehörte also eine Fluglinie. James Simmons war ihr nur als Pilot in Erinnerung, der immer von einem eigenen Flugzeug geträumt hatte. Wann war aus diesem Traum Realität geworden? Und warum ging von dem Mann, der jetzt die eleganten Lederkoffer ihrer Mutter so achtlos in die kleine Maschine schleuderte, eine solche Ablehnung aus, seitdem er ihren Namen erfahren hatte? Genau in dem Augenblick, in dem sie den Mund öffnete, um zu fragen, drehte er sich um und warf ihr einen gereizten Blick zu.
»Steigen Sie ein, Prinzessin. Achtundzwanzig Minuten müssen wir einander ertragen.« Er legte ihr die Hände um die Taille und hievte sie, als wäre sie leicht wie eine Feder, ins Cockpit. Als er sich hinter das Steuer setzte und die Motoren anwarf, wurde sie sich seiner beeindruckenden Nähe viel zu sehr bewusst. Sie versuchte, sich auf andere Gedanken zu bringen, indem sie sich ganz darauf konzentrierte, den Sicherheitsgurt anzulegen.
Schon bald lag das Meer unter ihnen. Weiße Strände erstreckten sich endlos, Berge erhoben sich, zerklüftet und rau, majestätisch wie ewige Herrscher der Inseln. Je mehr die kleine Maschine an Höhe gewann, desto unwirklicher sah alles aus. Braun-, Grün- und Blautöne, durchsetzt mit Gelb und Rot, wirkten in ihrer Tiefe fast unecht.
»Kauai ist ein Naturparadies.« Dillon klang wie ein Touristenführer. Entspannt lehnte er sich in den Schalensitz zurück. »Im Norden fließt der Wailua River bis zur Fern Grotto. Die Pflanzen, die dort wachsen, sind einzigartig. Es gibt kilometerlange Strände, Zuckerrohr- und Ananasplantagen. Die Opeakea Falls, Hanalei Bay und Na Pali Coast sind auch sehr sehenswert. Im Süden«, fuhr er fort, »liegt der Kokie Nationalpark und Waimea Canyon. In den Gärten von Olopia und Menehune kann man die tropische Pflanzenwelt bewundern. Auf dieser Insel wird kaum Wassersport betrieben. Warum, zum Teufel, sind Sie also hier?«
Die Frage, so unpassend in der sachlichen Litanei, ließ Laine zusammenzucken. »Um … um meinen Vater zu sehen.«
»Damit haben Sie sich wirklich Zeit gelassen«, murmelte Dillon und musterte Laine durchdringend. »Wahrscheinlich waren Sie einfach zu sehr damit beschäftigt, diese noble Schule zu besuchen, was?«
Laine runzelte die Stirn, als sie an die Klosterschule dachte, die fünfzehn Jahre lang ihr Zuhause gewesen war. Dillon O’Brian konnte nicht bei Trost sein, und es hatte keinen Zweck, einem Irrsinnigen zu widersprechen. »Ihr Verständnis freut mich«, entgegnete sie kühl. »Schade, dass Ihnen eine solche Erfahrung gänzlich fehlt. Es ist wirklich erstaunlich, wie fein man Manieren schleifen kann.«
»Nein danke, Prinzessin. Ehrlichkeit, wenn auch rau, ist mir lieber.«
»Wovon Sie ja ausreichend besitzen, nicht wahr?«
»Oh, ich komme zurecht.« Er lächelte dünn. »Das Inselleben kann manchmal etwas unzivilisiert sein. Ich bezweifle, dass es Ihnen zusagen wird.«
»Ich bin anpassungsfähig, Mr O’Brian.« Sie zuckte mit einer Schulter. »Ich kann auch eine gewisse Zeit lang über Unhöflichkeit hinwegsehen. Achtundzwanzig Minuten dürften gerade noch innerhalb meiner Grenzen liegen.«
»Sagen Sie, Miss Simmons, wie ist das Leben auf dem Kontinent denn so?«
»Einfach wunderbar.« Sie hob das Kinn und sah ihn unter der Hutkrempe hervor an. »Die Franzosen sind so weltgewandt, so galant. Man fühlt sich so …«, sie imitierte die Eleganz, die ihrer Mutter so natürlich war, und warf bewusst ein französisches Wort ein, »… chez soi bei Leuten mit den gleichen Interessen und Neigungen.«
»Wie wahr.« Dillons Ton triefte vor Ironie. »Auf Kauai werden Sie sicher nicht viele Gleichgesinnte finden.«
»Vielleicht nicht.« Laine verdrängte den Gedanken an ihren Vater und warf den Kopf zurück. »Aber vielleicht finde ich Kauai ebenso reizvoll wie Paris.«
»Ich bin sicher, die Männer haben Ihnen besonders gefallen.«
Als Laine an die wenigen Männer dachte, mit denen sie in ihrem Leben Kontakt gehabt hatte, wäre sie fast in lautes Lachen ausgebrochen, aber nur ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Die Männer meines Bekanntenkreises«, in Gedanken entschuldigte sie sich bei Pater Renier, »sind alle sehr höflich und kultiviert, haben die beste Ausbildung genossen, sind intelligent und feinfühlig und haben Geschmack. Eigenschaften, die ich bei den amerikanischen Herren bisher noch nicht in diesem Ausmaß feststellen konnte.«
»Ah. Ist das wahr?«, fragte Dillon leise.
»Ja, Mr O’Brian, in der Tat.«
»Na, dann wollen wir doch Ihre Erwartungen in uns nicht enttäuschen, oder?« Er stellte den Autopiloten ein, und bevor Laine bewusst wurde, was er vorhatte, hatte er sie in seine Arme gerissen und drückte seine Lippen auf ihren Mund.
Sie war gefangen. Ihre Versuche, sich zu befreien, wurden von seinen starken Armen abgewehrt – und von ihren eigenen betäubten Sinnen. Seine Nähe überwältigte sie. Als seine Zunge zwischen ihre Lippen drang und er den Kuss vertiefte, überkam sie eine Schwäche, so dass sie sich nur an sein Hemd klammern konnte.
Dillon hob den Kopf und runzelte die Stirn, als er die Verletzlichkeit auf dem jungen Gesicht sah. Die Augen aufgerissen, starrte sie ihn an, verstört über die unbekannten Gefühle, die sie empfand. Er zog sich von ihr zurück, schaltete wieder auf Handbetrieb und konzentrierte sich auf das Steuern. »Es scheint, als hätten Ihre französischen Liebhaber Sie nicht auf die amerikanische Technik vorbereitet.«
Verletzt und wütend über ihre eigene Schwäche, drehte Laine sich im Sitz zu ihm hin. »Ihre Technik, Mr O’Brian, ist ebenso grobschlächtig wie alles andere an Ihnen.«
Er grinste nur. »Seien Sie dankbar, Prinzessin, dass ich Sie nicht einfach aus dem Flugzeug gestoßen habe. Gegen diesen starken Drang kämpfe ich schon seit zwanzig Minuten – bisher ohne Erfolg.«
Im gleichen Moment drückte er die Nase der Maschine abrupt nach unten. Die Wasseroberfläche kam immer schneller auf sie zu, während das kleine Flugzeug in engen Kreisen nach unten stieß. Das Meer und der Himmel verschmolzen zu einem Strudel aus Blau und Weiß. Laine klammerte sich an den Sitz und schloss die Augen. Sich zu beschweren war unmöglich. Das Herz klopfte ihr im Hals, und sie konnte nur hoffen, dass ihr Magen durchhielt. Schließlich flog die Maschine wieder gerade dahin, und Dillon lachte lauthals.
»Sie können die Augen jetzt wieder öffnen, Miss Simmons. Wir landen in einer Minute.«
Das Flugzeug mochte wieder gerade fliegen, aber in ihrem Kopf wirbelte immer noch alles durcheinander. Laine atmete tief durch. »Mr O’Brian, Sie sind der widerwärtigste Mensch, dem ich je begegnet bin«, presste sie eisig hervor.
»Danke, Prinzessin.« Scheinbar geschmeichelt, begann er vor sich hin zu summen.
Laine zwang sich, die Augen offen zu halten, während sie zum Landeanflug ansetzten. Sie sah das Grün der Pflanzen und das Blau der See, dann die kleine Bergkette, und schließlich setzten sie auf und rollten auf der Landebahn aus. Verwundert bemerkte sie die erstaunliche Anzahl von Sportmaschinen und Passagierflugzeugen, die vor einer großen Flugzeughalle standen. Das muss ein Fehler sein, dachte sie, das kann unmöglich alles meinem Vater gehören.
»Machen Sie sich nur keine Hoffnungen, Prinzessin«, knurrte Dillon grob, als er ihren erstaunten Blick sah. »Sie haben Ihren Anteil längst erhalten. Selbst wenn der Captain unter einer Anwandlung von Großzügigkeit leiden sollte – sein Partner hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wenn Sie auf leichte Beute aus sind, müssen Sie sich etwas anderes aussuchen.«
Während Laine ihn noch erbost anstarrte, war er aus dem Cockpit gesprungen und lief um das Flugzeug herum. Selbstbewusst griff er Laine um die Taille und hob sie heraus.
»Achten Sie also genau darauf, was Sie tun.«
Laine trat von ihm zurück, sobald sie Boden unter den Füßen spürte. Seine Augen hielten sie gefangen, und sie wusste, dass seine letzten Worte eine Drohung gewesen waren. »Mr O’Brian, würden Sie mir bitte sagen, wo ich meinen Vater finde.«
Er musterte sie schweigend, und für einen Moment glaubte sie, er würde sich weigern und einfach weggehen. Dann zeigte er hinter sich auf ein flaches, weißes Gebäude.
»Sein Büro ist da drinnen«, knurrte er und marschierte mit weit ausholenden Schritten davon.
2. KAPITEL
Es war ein Holzhaus, umgeben von Fächerpalmen und Anthurien. Ihre Hand zitterte, als Laine die Tür öffnete und eintrat. Ihr Herz klopfte wild, und sie hatte das Gefühl, als würden ihre Beine jeden Moment unter ihr nachgeben. Was sollte sie zu dem Mann sagen, der sie fünfzehn Jahre lang mit ihrer Einsamkeit allein gelassen hatte? Welche Worte waren die richtigen, um die Kluft zu überbrücken und all die Sehnsüchte auszudrücken, die sie nie verlassen hatten? Würde sie Fragen stellen müssen, oder konnte sie vergessen? Jedes Warum zurückdrängen und einfach akzeptieren?
Ihr Bild von James Simmons war so lebendig, als wäre ihr letztes Treffen erst gestern gewesen. Er ist älter geworden, erinnerte sie sich, ich bin auch älter geworden. Sie war nicht mehr das Kind, das gebannt an den Lippen seines Idols hing, sie war eine Frau, die ihren Vater besuchte. Vielleicht war das sogar ein Vorteil.
Das Vorzimmer war leer. Laine nahm nur kurz die Korbmöbel und Kokosteppiche wahr. Sie sah sich um, verloren und unsicher. Und dann, wie von einem Geist aus der Vergangenheit, hörte sie die Stimme ihres Vaters durch eine offen stehende Tür. Zögernd ging sie darauf zu und sah ihren Vater an seinem Schreibtisch sitzen, telefonierend.
Die Spuren, die das Alter auf seinem Gesicht hinterlassen hatte, waren nicht zu übersehen, aber ihre Erinnerung hatte sie nicht getäuscht. Seine Haut war dunkler geworden in der Sonne, die Linien tiefer, doch die Züge waren immer noch die gleichen. Seine buschigen Augenbrauen waren jetzt grau, wölbten sich jedoch immer noch genauso eindrucksvoll über den braunen Augen, die Nase sehr gerade über dem schmalen Mund. Auch das Haar war grau geworden, aber noch voll, und die Geste, mit der er sich jetzt durch das Haar fuhr, war ihr nur zu vertraut.
Sie presste die Lippen zusammen, als er den Hörer zurücklegte, und schluckte. »Hallo, Cap«, sagte sie leise.
Ruckartig blickte er sich um, und sie sah die Überraschung auf seiner Miene, die Flut der Gefühle in seinem Blick, und irgendwo, zwischen dem Anfang und dem Ende, sah sie den Schmerz. Er erhob sich, und leicht verwirrt stellte sie fest, dass er nicht so groß war, wie ihre Kinderaugen ihn für sie gemacht hatten.
»Laine?« Die Frage kam zögernd, zweifelnd, mit einer Zurückhaltung, die ihren Impuls, zu ihm zu rennen und ihn zu umarmen, erstickte. Sie spürte, dass er sie nicht mit offenen Armen empfangen würde, und diese Zurückweisung drohte ihr vorsichtiges Lächeln zu zerstören.
»Schön, dich zu sehen.« Sie hasste diese unpersönliche Floskel, noch während sie die Worte sprach. Mit ausgestreckter Hand ging sie in den Raum hinein.
Es dauerte einen Moment, bevor er die Hand nahm. Er hielt sie nur kurz. »Du bist erwachsen geworden.« Er musterte sie langsam, sein Lächeln erreichte seine Augen nicht. »Du siehst deiner Mutter ähnlich. Wo sind die Zöpfe geblieben?«
Das Lächeln erhellte ihr Gesicht so sehr, dass auch der Blick ihres Vaters wärmer wurde. »Die trage ich schon lange nicht mehr. Es war niemand da, der daran zog.« Sie sah, wie seine Miene sich wieder verschloss. Verkrampft suchte Laine nach etwas, um das Gespräch in Gang zu halten. »Du hast also endlich deinen Flugplatz. Du musst sehr glücklich sein. Ich möchte gern mehr davon sehen.«
»Das lässt sich sicher machen.« Seine Stimme klang höflich und unpersönlich, und jedes Wort war wie eine Ohrfeige für sie.
Laine ging zum Fenster und starrte mit tränenblinden Augen hinaus. »Es ist wirklich sehr beeindruckend.«
»Danke. Wir sind auch stolz darauf.« Er räusperte sich. »Wie lange wirst du auf Hawaii bleiben?«