Liebespfade an der Ostsee - Nancy Salchow - E-Book

Liebespfade an der Ostsee E-Book

Nancy Salchow

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Beschreibung

Exklusiv im Summer-Bundle: 6 leidenschaftliche Liebesromane von der malerischen Ostsee zum Vorzugspreis.: Inselsterne verglühen nicht | Der Fake Bad Boy | Reicher Mann, armes Herz | Das Baby, mein Boss und ich | Big Boss, Sweet Baby | The One-Night-Daddy

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Inhaltsverzeichnis

Buch 1: Inselsterne verglühen nicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Buch 2: Der Fake Bad Boy

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Epilog

Buch 3: Reicher Mann, armes Herz

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Buch 4: Das Baby, mein Boss und ich

Widmung

Hinweis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Buch 5: Big Boss, Sweet Baby

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Epilog

Buch 6: The One-Night-Daddy

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Epilog

Impressum

Nancy Salchow

Liebespfade an der Ostsee

Sammelband mit sechs Ostsee-Liebesromanen

Buch 1: Inselsterne verglühen nicht

Ronja liebt ihre Heimatinsel Poel, direkt in der malerischen Ostsee. Doch ein gebrochenes Herz und der Traum von der großen Karriere trieben sie damals in die Großstadt.

Ein gebrochenes Herz ist es auch, dass sie Jahre später zurück auf die Insel zieht. Hier will sie ihre Scheidung verarbeiten und gleichzeitig ihrer Schwester beim Aufbau ihres ersten eigenen Unternehmens helfen.

Das Letzte, was Ronja gebrauchen kann, ist ein neuer Mann in ihrem Leben – und erst recht keinen „alten“. Denn als sie ihre Jugendliebe Sven wiedertrifft, kann sie nicht mehr verstehen, was sie damals an diesem Scheusal von Kerl gefunden hat. War er früher auch schon so arrogant und unfreundlich?

Gott sei Dank versteht sie sich umso besser mit Svens Cousin Siebo, der im Unternehmen ihrer Schwester mithilft. Doch Ronja erkennt schon bald, dass im Leben nicht immer alles nach Plan verläuft – und die Dinge oft anders sind, als sie scheinen.

Der Roman ist in sich abgeschlossen und hat natürlich ein wohlverdientes Happy End.

Anmerkung: Dies ist der erste Roman aus der neuen Ostsee-Reihe von Nancy Salchow: Inselsterne am Ostseehimmel. Handlungsort ist die schöne Insel Poel. Grundsätzlich werden in dieser Geschichte vorrangig Original-Lokalitäten erwähnt, die Protagonisten sind aber fast alle fiktiv.

Kapitel 1

Ronja

________________

Sicher ist es nur Einbildung, aber ich kann das Rauschen der Wellen so deutlich hören wie meinen eigenen Herzschlag, schon allein beim Blick auf das Wasser, das links und rechts von der Straße silberblau in der Sonne schimmert. Das Autofenster ist bereits seit einigen Minuten einen Spalt offen, weil ich es kaum erwarten konnte, so früh wie möglich die aphrodisierende Meeresbrise einzuatmen.

Noch vor einigen Wochen hätte ich dieses Szenario für undenkbar gehalten. Doch jetzt, wo ich mich langsam der Insel nähere, pocht das altvertraute Heimatgefühl so laut in meiner Brust, das mir fast das Herz herausspringt.

Ich bin wieder hier. Nach über sieben Jahren bin ich tatsächlich wieder auf meiner Insel Poel. So eilig ich es damals hatte, hier wegzukommen, so warm wird mir jetzt ums Herz, mit jedem Meter, den ich mich der Brücke nähere.

Links von mir grasen die Pferde auf den Landzungen. Ein Anblick, der mir vertrauter nicht sein könnte. Selbst nach all den Jahren noch.

Wie ein Daumenkino ziehen die orangefarbenen Metallstäbe der Brückenbrüstung in meinem Augenwinkel vorbei, während ich mich dem Begrüßungsschild nähere.

OSTSEEBAD INSEL POEL

Darunter steht auf plattdeutsch

„Peul – wat för Luftsnappers“

Das Schild wird von zwei großen Holzfiguren gehalten, einem Fischer und einem Landwirt, die die sogenannten „Luftschnapper“ auf diese Weise begrüßen. Zu meiner Zeit hatte das Schild eine andere Aufschrift. Und doch weckt es noch immer eine tiefe Vertrautheit in mir. So, als hätten diese beiden Figuren schon immer dort gestanden, nur um mich jetzt wieder zu begrüßen.

So sehr ich auch in den letzten Tagen an meiner Entscheidung gezweifelt habe, hierher zurückzukehren, so schnell verblassen diese Bedenken nun. Es war richtig. Nein, es ist richtig, das wird mir von Sekunde zu Sekunde klarer.

Als ich das Fährdorf-Schild hinter mir lasse und damit den ersten Ort der Insel durchquere, komme ich mir beinahe wie eine Verräterin vor, weil ich so lange nicht hier war. Jetzt, wo ich zurück bin, frage ich mich, warum ich es mir all die Jahre so schwergemacht habe und ständig Ausflüchte gefunden habe, warum mich Marina lieber in Hamburg besuchen sollte, nur damit ich nicht zu ihr auf die Insel kommen musste.

Seitdem unsere Eltern vor sechs Jahren nach München gezogen sind – bedingt durch Papas Geschäftsführer-Posten in einer Möbelfabrik –, ist Marina die Einzige aus unserer Familie, die noch hier lebt. Zumindest war es bisher so. Allein der Gedanke, wieder bei meiner Schwester zu sein, rührt mich beinahe zu Tränen.

Augenblicklich sind auch die Erinnerungen an Sven wieder da. Die Wut und der Schmerz sind nicht mehr so stark wie früher, heute kaum noch nachvollziehbar – und doch ist da noch immer dieses seltsame Gefühl in der Magengegend.

Als ich Niendorf erreicht habe, wandert mein Blick rüber zum Hafen. Die Boote zu sehen, lässt mich unweigerlich tief durchatmen, während ich den Drang zu weinen unterdrücke. Reue und Wut überkommen mich. Vor allem die Wut auf mich selbst, weil ich es einem Mann gestattet habe, meine Entscheidung zu beeinflussen. Damals war Sven der Grund, warum ich regelrecht von der Insel geflohen bin. Ironischerweise ist es jetzt wieder ein Mann, der mich in der Entscheidung für meine Rückkehr beeinflusst hat. Die Scheidung von Paul war es nämlich, die mir die Augen darüber geöffnet hat, dass ich in Hamburg schon lange nicht mehr glücklich war. Und der Gedanke, weiterhin in seinem Architekturbüro zu arbeiten, fühlte sich einfach immer absurder an.

Rechts von mir zieht der Platz der ehemaligen Tankstelle vorbei, die bereits zu meiner Zeit sehr heruntergekommen war. Dass sie inzwischen abgerissen wurde, wusste ich nicht.

So vieles, das ich nicht mitbekommen habe. Und es gibt niemandem, dem ich die Schuld daran geben kann, außer mir selbst.

Als ich die Kirchdorfer Kurve erreicht habe, biege ich rechts ab und stelle im selben Moment fest, dass ich bewusst diese Strecke gewählt habe, um noch mehr von der Insel zu sehen. Denn eigentlich hätte ich Niendorf nicht durchqueren müssen, um an mein eigentliches Ziel zu kommen.

Mit pochendem Herzen fahre ich die schmale Straße entlang, während meine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Es ist erst wenige Wochen her, als Marina – anfangs aus Spaß – am Telefon sagte, dass ich ja bei ihr als Partnerin einsteigen könnte. Ich hatte ihr von meinem Frust erzählt, Paul jeden Tag im Büro zu sehen. Auch wenn wir mehr oder weniger im Guten auseinandergegangen waren, fand ich es befremdlich, weiterhin mit ihm zusammenzuarbeiten. Marinas Geschäft hingegen – ein kleines Rucksack- und Taschen-Label – lief wirklich rasant an. Und da sie mit dem Gedanken spielte, jemanden einzustellen, kam ihr die Idee, das Ganze mit mir weiterzuführen. Sie bräuchte dringend jemanden, der das Marketing und die Werbung übernimmt. Webseite, Türklinken putzen, Online-Shop. Alles Neuland für mich und doch eine aufregende Herausforderung, auf die ich mich freue.

Je mehr ich mich Gollwitz nähere, desto nervöser werde ich. Fast wie bei einem Date. Es war immer klar, dass ich die rechte Hälfte unseres Elternhauses beziehen würde, wenn ich jemals zurückkehren sollte. So lautete der Wunsch meiner Eltern, und irgendwie schwebte diese Tatsache immer in der Luft, selbst in der Zeit, als ich sicher war, für immer mit Paul in Hamburg zu bleiben. Dass Marina meine Hälfte in der Zeit meiner Abwesenheit an Touristen vermietete, war zwar in den letzten Jahren eine schöne Nebeneinkunft für uns alle geworden, viel wichtiger war es Marina jedoch, mich wieder „zu Hause zu haben“. Das waren ihre Worte. Worte, die wie ein Echo über mir schweben, als ich endlich das Ortseingangsschild von Gollwitz erreiche.

Fast wie in Trance durchquere ich meinen Heimatort. Eine Fahrt, die sich ein bisschen wie ein Traum anfühlt.

Ich bin wirklich wieder hier. Nach all den Jahren. Kaum zu glauben.

Das ganze Dorf ist ein regelrechtes Zentrum für Ferienwohnungen geworden. Doch natürlich sind sie auch hier zu finden, die Einheimischen, die das Unkraut in der Einfahrt zupfen oder sich mit dem Nachbarn am Gartenzaun unterhalten.

Ist das die alte Frau Gerner dort hinten an der Scheune? Hat sie denn niemanden, der ihr beim Beladen des Strohs helfen kann? Ist ja kaum mitanzusehen, wie sie sich mit der Schubkarre quält. Dann hat sie sicher noch immer ihre Hühner, so wie früher schon.

Trotzdem wende ich meinen Blick von ihr ab. Wenn sie mich jetzt erkennt, fühle ich mich zu einem Gespräch verpflichtet. Und ich bin noch nicht bereit, mit jemandem zu reden oder neugierige Fragen zu beantworten. Zumindest jetzt noch nicht.

Etwas abseits der anderen Häuser, nicht weit vom Strand, entdecke ich es endlich auf der rechten Seite: Das puderzuckerweiße Haus mit dem prächtigen Reetdach und den rabenschwarzen Holztüren. Im Vorgarten blühen die Pfingstrosen und Hortensien und strecken ihre Köpfe über den weißen Gartenzaun.

Mein Herz wird warm, meine Augen feucht.

Mit einem übergroßen Kloß im Hals fahre ich durch das offene Tor aufs Grundstück und komme schließlich auf dem Hinterhof zum Stehen.

Kaum habe ich den Motor abgeschaltet, steht Marina auch schon in der offenen Küchentür, die nach hinten auf den Hof führt. Schon vom Wagen aus kann ich sehen, dass sie weint.

„Ach, komm her, du verlorenes Inselkind.“ Schluchzend nimmt sie mich in den Arm, als ich aus dem Wagen steige. „Ich habe mich nicht getraut zu glauben, dass du das wirklich durchziehst.“

„Dachtest du etwa, ich komme nicht?“, frage ich, ebenfalls heulend. „Ich habe es dir doch versprochen. Außerdem sind doch meine Möbel längst hier.“

„Ich weiß.“ Sie drückt mich noch ein bisschen fester. „Ich habe es mir wohl einfach zu sehr gewünscht, um es wirklich glauben zu können. Vielleicht denkt ein Teil von mir immer noch, dass du nur kurz hier bist und bald wieder das Weite suchst.“

Dass ich wirklich hier bin, um zu bleiben, kann ich selbst noch nicht so recht glauben. Aber diese Tatsache behalte ich für mich.

„Keine Sorge“, verspreche ich, „ich bleibe. Hamburg war nie wirklich meins. Aber ich war so verliebt in Paul, dass ich mir eingeredet habe, dort unheimlich gern zu wohnen. Doch je älter ich werde …“

„Hey“, sie schlägt lachend mit dem Handrücken gegen meine Brust, „pass auf, was du sagst. Wenn du dich mit 29 als alt bezeichnest, was bin ich dann mit 31?“

„Du weißt, was ich meine.“ Ich lache. „Je älter ich werde, desto klarer wird mir, wo meine Wurzeln sind.“

„Ach, ich freue mich so.“ Wieder umarmt sie mich. „Ohne dich war es hier viel zu still.“

Es ist einer dieser Momente, in denen ich mich frage, warum Marina noch immer Single ist. Seit Jahren lebt sie hier allein, hat zwar Freunde und viele Bekannte auf der Insel – aber die letzte richtige Beziehung ist Ewigkeiten her. Es ist ein offenes Geheimnis – zumindest für mich –, dass sie sich mehr zu Frauen hingezogen fühlt, aber irgendwie hat sie sich nie getraut, diese Tatsache offen auszuleben. Etwas, das ich bisher nie verstanden habe. Ob es an der Engstirnigkeit alteingesessener Inselbewohner liegt?

Aber die Insel besteht doch nicht nur aus altmodisch denkenden Menschen, das müsste Marina doch eigentlich selbst klar sein. Und selbst wenn es so wäre, ist sie doch eine Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht und sich normalerweise nicht um die Meinung anderer kümmert. Wie passt das zu der Tatsache, dass sie seit Jahren ein Geheimnis aus ihrem Privatleben macht? Oder hat sie wirklich keines, wie sie mir immer weismachen will?

„Ich habe ein bisschen für Ordnung in deiner Wohnung gesorgt“, erklärt sie fröhlich. „Frische Blumen auf dem Küchentisch. Ach ja, und ich war gestern noch bei der Satower Mosterei und habe dir ein paar Kisten von deinem Lieblings-Apfelsaft mitgebracht. Du sollst dich einfach voll und ganz wieder wie zu Hause fühlen.“

„Moment mal, du warst extra wegen mir in Satow?“ Meine Augen werden größer. „Und du hast aufgeräumt? Was soll das denn, Marina? Du hast doch so schon mehr als genug zu tun.“

„Ich wollte es so, basta!“, winkt sie ab. „Heute ist eben ein wichtiger Tag. Der muss gefeiert werden.“

Sie strahlt regelrecht, als sie das sagt, wobei das leuchtende Blau ihrer Augen besonders gut zur Geltung kommt. Zusammen mit ihrem langen weizenblonden Haar war Marina schon immer der Traum vieler Jungs – und später Männer – aus der Nachbarschaft. Eine Tatsache, die sie jedoch niemals aus der Ruhe gebracht hat.

„Ach, Schwesterherz!“ Ich nehme sie wieder in den Arm. „Ich habe dich so vermisst. Tut mir leid, dass ich so eine treulose Tomate war. Von jetzt an wird sich alles ändern. Versprochen.“

Tränen verschleiern meinen Blick, weil mir in diesem Augenblick noch bewusster wird, was für eine Schande es ist, dass ich sieben ganze Jahre lang nicht hier war. Und das nur, weil mir allein der Gedanke, auch nur einen Fuß auf die Insel zu setzen, jedes Mal das Herz zerrissen hat. Die Insel war mit der Zeit einfach zum Synonym für Sven geworden. Für Sven und all den Schmerz, den ich so lange nicht vergessen konnte.

„So“, Marina löst sich von mir und streicht sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen, „genug rumgeheult. Das ist ja nicht zum Aushalten.“

Ich lache. „Du sagst es.“ Ich öffne meinen Kofferraum und ziehe zwei große Reisetaschen heraus. „Das ist der Rest, den ich noch in Hamburg hatte.“

„Kaum zu glauben, dass du endlich bei Paul ausgezogen bist.“

„Das war längst überfällig“, seufze ich, während Marina mir eine Tasche abnimmt und wir nebeneinander zur Hintertür meiner Haushälfte gehen. „Wir haben uns seit der Scheidung irgendwie arrangiert. Er hatte das Dachgeschoss, ich habe unten gewohnt. Aber wir sind uns halt ständig über den Weg gelaufen. Und dann auch noch die Arbeit im Büro. Irgendwie fühlte es sich an wie ein ständiger Blick auf meine Vergangenheit, die mich daran hindert, nach vorn zu schauen. Ja, wir kommen klar, Paul und ich. Aber das kann einfach kein Dauerzustand sein. Neulich hatte er ein Date, ich habe sie gehört, weißt du?“

„Etwa beim …“

„Nein, sie haben nur geredet und gelacht. Aber es war so absurd. Niemand sollte mit seinem Ex-Partner unter einem Dach leben. Das bremst einen auf Dauer nur aus.“

„Zum Glück ist das ja jetzt Vergangenheit.“ Marina öffnet die Tür mit theatralischem Schwung. „Tadaaaa! Willkommen zu Hause, liebe Ronja!“

Mit großen Augen stehe ich im Flur meines alten – neuen – Zuhauses.

„Das ist ja der Wahnsinn, Marina“, staune ich, „du hast ja einfach an alles gedacht.“

Völlig fasziniert beginne ich meinen Streifzug durch die Wohnung, in der Marina bereits all meine Möbel aufgestellt hat. Eigentlich war es abgemacht, dass ich mich selbst darum kümmere, aber da sie in etwa wusste, was ich wohin stellen wollte, hat sie mir diese Arbeit bereits abgenommen.

„Ach, das war doch gar nichts“, sie schließt die Tür hinter uns, „außerdem hatte ich Hilfe von Siebo.“

„Siebo?“

„Ich habe dir doch von ihm erzählt. Er hat ein kleines Fuhrunternehmen und hilft mir, wo er kann, macht Besorgungen für mich usw. Aber er ist auch ein guter Freund geworden.“

„Verstehe?“ Ich hebe grinsend die Augenbrauen.

„Doch nicht so eine Art von Freund.“ Sie haut mir spielerisch mit der Hand gegen die Brust. Schon das zweite Mal heute.

Ist es wirklich so absurd zu glauben, dass sie sich auch in einen Mann verlieben könnte?

„Na ja, du redest ja nie über dein Liebesleben“, verteidige ich mich. „Wenn ich da nicht etwas nachhake, erfahre ich doch nichts.“

„Weil es auch nichts zu erfahren gibt.“ Marina rollt mit den Augen. „Ich bin mit meiner Arbeit verheiratet. Und irgendwie auch mit der Insel. Das reicht mir.“

„Schon klar.“

Wir gehen voraus in die Küche, wo sie – passend zu den pastellblauen Blumensträußen auf der weißen Tapete – auch die Tischdecke und die Sitzkissen ausgewählt hat.

„Wie du siehst, ist die Küche noch genauso wie vorher. Du kennst sie ja von den Bildern. Die Urlauber waren immer begeistert davon.“

„Sie ist ja auch einfach wunderschön.“ Ich lasse meine Hand über die Arbeitsplatte des weißen Küchenschranks gleiten, der im Landhausstil gehalten ist. Auch die vier weißen Holzstühle und der große runde Tisch passen optisch perfekt dazu. „Ich kann noch immer nicht glauben, dass ich jetzt wirklich hier wohnen werde.“ Ich gehe zu der cremefarbenen Vase auf dem Tisch und bewundere den Trockenstrauß aus Strohblumen, Färberdisteln und Setaria. „Erinnerst du dich noch daran, wie es hier aussah, als wir klein waren? Die Küche war so alt, dass ständig die Schranktüren gequietscht haben. Und trotzdem konnte sich Mama nicht davon trennen.“

„Es hat sich viel verändert“, antwortet sie mit verklärtem Blick. „Mama und Papa freuen sich sehr, dass wir nun wieder zu zweit hier wohnen und wollen spätestens an Weihnachten kommen. Aber sie fühlen sich tatsächlich wohl in München. Und das als Insel-Urgesteine.“

„Wer hätte das gedacht?“, antworte ich gedankenverloren, während ein Teil von mir der eigenen Kindheit nachtrauert. Viel zu schnell sind die letzten Jahre vergangen.

„Dein Kleiderschrank ist schon oben im Schlafzimmer“, erklärt Marina. „Siebo hat ihn auch schon aufgebaut.“

„Oh Mann, ich habe ein ganz schlechtes Gewissen deswegen.“

„Ach, musst du nicht. Er hat es selbst angeboten.“

„Dabei kennt er mich ja noch nicht mal.“

„Na ja, er hat Verwandte hier auf Poel und wohnt seit ein paar Jahren nun auch hier. Da ist er auch irgendwie einer von uns. Und hier hilft man sich halt gegenseitig.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Du weißt doch, wie das ist.“

„Ich hatte es fast vergessen.“ Ich lasse mich auf einen der Stühle fallen. Dabei wandert mein Blick rüber zu dem Deko-Spiegel an der Wand zwischen den beiden Küchenfenstern. Eingefasst in ein hölzernes Steuerrad war er schon in meiner Kindheit in Familienbesitz. An diesem Vormittag bietet er jedoch vor allem eines: Einen ungeschönten Blick auf mich selbst.

Mein schulterlanges rostbraunes Haar fällt mir locker ins Gesicht, das irgendwie blass wirkt. Auch meine Augenränder sind tiefer, als ich gedacht hätte. Die Frau, die ich in diesem Spiegel sehe, wirkt beinahe fremd auf mich.

Dünn bin ich geworden. Etwas zu dünn. Aber warum eigentlich? Früher war ich viel kurviger – und ich hatte nie ein Problem damit. Liegt es an der vielen Arbeit im Büro, dass ich so abgenommen habe?

Kaum zu glauben, dass all das jetzt wirklich hinter mir liegt. Das Architekturbüro, die langen Tage am Schreibtisch. Ich war zwar „nur“ für die Buchhaltung zuständig, habe aber trotzdem fast genauso viel gearbeitet wie Paul, manchmal sogar mehr.

„Ich kann es kaum erwarten, dir die Arbeitsstätte von Miss Poely zu zeigen.“

„Du meinst die Scheune?“ Ich zwinkere ihr grinsend zu.

„Oh, eine Scheune war es vielleicht früher mal.“ Marina lehnt sich gegen die kleine Kommode neben der Tür. „Aber jetzt ist es das pulsierende Zentrum meines Babys.“

„Ich kann es immer noch nicht glauben, was du da auf die Beine gestellt hast. Dein eigenes Label – und dann auch noch so erfolgreich.“

„Oh, es könnte noch viel erfolgreicher sein. Und genau dafür brauche ich dich. Ich will endlich auch außerhalb von Poel, Wismar und Umgebung verkaufen. Aber mir fehlt einfach die Zeit, auch außerhalb die Werbetrommel zu rühren, Türklinken zu putzen. Und für diesen ganzen Online-Kram habe ich einfach absolut kein Händchen.“ Sie seufzt. „Die Leute bestellen im Moment per Kontaktformular oder telefonisch bei mir. Es wird höchste Zeit, dass ich einen richtigen Shop bekomme.“

„Dafür hast du ja jetzt mich.“ Ich lege die Hand auf ihre. „Und ich kann es kaum erwarten, dir unter die Arme zu greifen.“

„Was das Gehalt angeht“, beginnt sie. „Ich meine, es läuft gut, aber am Anfang kann ich dir nicht so viel zahlen und …“

„Marina, bitte.“ Ich rolle mit den Augen. „Fang doch nicht schon wieder damit an. Erstens muss ich ja nun keine Miete mehr zahlen, zweitens habe ich ein bisschen was gespart und drittens“, ich räuspere mich theatralisch, „ist es nur eine Frage der Zeit, bis du mit Miss Poely die Weltherrschaft an dich gerissen hast.“

„Du meinst, wir.“ Sie lacht.

„Von mir aus auch das. Aber es ist und bleibt dein Baby.“

„Hallo?“

Eine fremde Männerstimme ertönt von der Hintertür aus.

„Wir sind hier!“, ruft Marina wie selbstverständlich zurück und zuckt im selben Moment zusammen. „Ich hoffe, es ist okay, wenn ich ihn einfach hereinbitte.“ Sie schaut mich besorgt an. „Es ist ja jetzt offiziell deine Wohnung.“

„Klar ist das okay.“ Ich beuge mich flüsternd vor. „Und wen hast du gerade hereingebeten?“

„Na, Siebo natürlich“, kichert sie.

„Natürlich“, antworte ich augenzwinkernd.

Und da steht er auch schon im Rahmen der Küchentür.

„Moin“, begrüßt er uns freundlich.

„Moin“, antworte ich lächelnd und stehe wie von selbst auf.

Vor mir steht ein recht großer, etwas schlaksiger Kerl mit hellblondem Haar und Drei-Tage-Bart.

„Du musst Siebo sein“, begrüße ich ihn, während er meinen Handschlag mit einer Kraft erwidert, die mich kurz zusammenzucken lässt. „Wie kann ich dir nur danken, dass du hier so geholfen hast, meine Wohnung vorzubereiten?“

„Ach, das war doch nun wirklich kein Ding“, winkt er ab und scheint es wirklich so zu meinen. „Ich freue mich einfach, dass Marina jetzt endlich nicht mehr allein in diesem großen Haus wohnt.“

„Ich bin auch wieder froh, hier zu sein“, antworte ich.

„Na dann“, er schiebt die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans, „herzlich willkommen auf der Insel.“

„Nun tu mal nicht so, als wärst du ein Alteingesessener.“ Marina kneift Siebo spielerisch in den Oberarm. „Wenn hier jemand irgendwen begrüßen darf, dann Ronja dich. Immerhin ist sie im Gegensatz zu dir hier aufgewachsen.“

„Ist ja schon gut.“ Siebo lacht. „Wenn sie sich so lange in der Weltgeschichte herumtreibt, muss sie auch damit rechnen, dass sie den Einheimischen-Status vorübergehend verliert.“

„Weltgeschichte?“ Ich grinse. „Hamburg ist ja nun nicht gerade eine Weltreise, oder?“

„Stimmt auch wieder.“ Er zuckt mit den Schultern, dann wendet er sich Marina zu. „Ich habe die Stoffe, die du wolltest. Wo soll ich sie abladen? Die Scheune ist abgeschlossen.“

„Ach, echt? Hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Warte, ich komme gleich mit.“

Sie geht mit ihm durch die offene Hintertür. Instinktiv folge ich den beiden über den frisch gemähten Rasen rüber zu der Scheune. Während ich mit Siebo darauf warte, dass sie aufschließt, frage ich mich, warum er mir so seltsam bekannt vorkommt. Ich bin mir sicher, ihm nie zuvor begegnet zu sein, aber etwas an ihm ist mir irgendwie vertraut. Eine Vertrautheit, die sich verstärkt, als er mir ein freundliches Lächeln zuwirft.

„Darf ich vorstellen?“ Marina öffnet die zweiflügelige Eingangstür. „Die Geburtsstube von Miss Poely.“

Siebo, der die Scheune sicher mehr als einmal gesehen hat, widmet sich seinem Lieferwagen, der auf dem Kiesweg zwischen den Rasenflächen parkt und holt mehrere Kisten heraus. Ich hingegen betrete mit ehrfürchtigem Blick die Scheune und schaue mich beeindruckt um.

„Wow, Schwesterchen! Du hast ja echt Gas gegeben in den letzten Monaten, das muss man dir lassen.“

An den Seiten erheben sich schwere Metallregale in die Höhe mit unzähligen Aufbewahrungsboxen darin. In der Mitte des großen Raumes stehen zwei lange Arbeitstische, auf denen mehrere Nähmaschinen, Stoffreste und Papiermuster platziert sind. Auf dem ersten Blick wirkt alles etwas chaotisch, aber Marina hat sicher ihr ganz eigenes System, hier durchzublicken.

„Schau mal.“ Sie nimmt ein kleines Stück Stoff aus einer Plastikkiste. „Das sind die neuen Aufnäher. Das Logo ist etwas detaillierter geworden und viel einprägsamer.“

Ich betrachte das kleine rot-weiße Steuerrad mit dem „Missy Poely“-Schriftzug in der Mitte.

„Wunderschön“, schwärme ich. „Und das hast du komplett allein entworfen?“

„Klar. Ist doch nichts dabei.“

„Nun spiel das mal nicht herunter, Marina.“ Ich gebe ihr den Aufnäher zurück. „Du kannst echt stolz auf dich sein. Du hast das alles aus dem Nichts erschaffen. Und das Ganze ist so zum Selbstläufer geworden, dass du sogar deinen Job als Floristin aufgeben konntest.“

„Soooo …“, brummt Siebo vor sich hin, während er mehrere Kisten auf einmal vor einem der Regale platziert. „Da haben wir’s.“

Er reibt die Hände aneinander, als müsste er sich Dreck von den Fingern klopfen. „Melde dich, wenn wieder was ist, okay?“

„Mach ich.“ Marina klopft ihm auf die Schulter. „Und vergiss nicht, mir mal wieder eine Rechnung zu schreiben. Nicht alles, was du tust, sollten Freundschaftsdienste sein. Denk bitte dran, okay?“

„Ja ja“, winkt er ab, „mache ich. Keine Sorge.“ Er wirft mir einen freundlichen Blick zu. „Und dir noch mal herzlich willkommen, Ronja. Sicher sehen wir uns jetzt öfter.“

„Danke“, antworte ich.

„Ich muss dann mal“, erklärt er, den Blick wieder auf Marina gerichtet, „Sven braucht mich heute den ganzen Tag.“

Sven?

Er wird doch wohl nicht DEN Sven meinen?

Mein Herz schlägt allein beim Erwähnen seines Namens bis zum Hals. Dass tatsächlich DER Sven gemeint ist, wird mir klar, als Marina Siebo plötzlich seltsame Blicke zuwirft und komisch mit dem Kopf wackelt.

Siebo lächelt gequält. „Ähm … ich werd dann mal los.“

Ohne ein weiteres Wort geht er zu seinem Lieferwagen, schließt die Heckklappe und steigt ein. Schon eine Sekunde später startet er den Motor und verlässt das Grundstück, als wäre er auf der Flucht.

„Was war das denn eben?“ Fragend schaue ich Marina an, die nervös auf ihrer Unterlippe knabbert.

„Na ja …“, murmelt sie, während sie wieder die Scheune verlässt.

„Hat er gerade von Sven Thaler gesprochen?“, hake ich nach, ihr folgend.

„Um ehrlich zu sein“, sie schließt die Tür hinter uns, „ist Siebo Svens Cousin.“

Mein Herz bleibt für einen Moment stehen. Ich hatte mir geschworen, mich nicht so schnell aus der Ruhe bringen zu lassen und dass ich die Insel als das betrachten würde, was sie ist: Meine Heimat – und nicht als den Ort, mit dem ich den größten Schmerz verbinde, den ich je gespürt habe.

Und jetzt? Jetzt genügt schon allein sein Name, um mich aus der Fassung zu bringen.

„Sein Cousin?“, frage ich mit einem Räuspern.

Sie nickt. „Tut mir leid, dass ich es dir jetzt erst erzähle, aber ich weiß nie, wie ich das Thema Sven bei dir ansprechen soll. Und ich hatte Angst, dass du es dir mit deiner Rückkehr noch mal überlegst, wenn du erfährst, dass ich mit Svens Cousin zusammenarbeite.“

„So ein Blödsinn“, winke ich ab. „Ich werfe doch nicht meine kompletten Pläne um, nur weil dieser Siebo sein Cousin ist. Das wäre ja lächerlich!“

„Ist es so abwegig, das zu glauben?“ Marina legt den Kopf schief und betrachtet mich mit skeptischem Blick. „Immerhin war Sven auch der Grund dafür, warum du all die Jahre nicht hier warst.“

„Das kannst du so nicht sagen. Ich hatte in Hamburg einfach nur viel zu tun. Außerdem war da ja auch noch Paul und das Büro und …“

„Schon klar“, unterbricht sie mich, „deshalb hat sich in sieben Jahren auch kein einziges Zeitfenster finden lassen, in dem du mal kurz auf die Insel kommen konntest.“

Ich öffne meinen Mund, um ihr zu widersprechen, erkenne aber im selben Atemzug, dass sie recht hat. Und natürlich kennt sie mich gut genug, um zu wissen, wie empfindlich ich noch immer auf dieses Thema reagiere.

„Sven hat inzwischen eine eigene Malerfirma und recht gut zu tun“, sagt Marina beinahe beiläufig, während wir zurück zum Haus gehen. „Manchmal sogar so viel, dass Siebo ihm unter die Arme greift, obwohl er ja eigentlich gar nicht vom Fach ist. Aber sie stehen sich halt nahe und …“ An der Hintertür angekommen hält sie inne. „Siehst du.“ Sie lächelt gequält. „Und genau deshalb wollte ich es dir nicht erzählen.“

„Wieso? Ich habe doch gar nichts gesagt.“

„Das musst du auch gar nicht. Deine Augen sagen mehr als genug.“

Sie nimmt meine Hände und drückt sie fest. Dabei atmet sie tief ein und wieder aus.

„Hör zu, Ronja, ich weiß, wie schwer das alles für dich war. Glaub mir, ich habe keine der durchgeheulten Nächte vergessen. Nicht eine.“ Sie seufzt. „Und es ist nicht so, dass ich deinen Schmerz nicht verstehe. Aber es gibt Tage, da bin ich schon ein bisschen wütend darüber, dass diese Sache mir so lange meine Schwester genommen hat.“

Tränen steigen in mir auf, doch ich versuche, sie zu unterdrücken. Dass Marina selbst unter der Situation gelitten hat, war mir nie so bewusst wie in diesem Moment.

Ich atme schwer ein und wieder aus, während ich versuche, die aufkommenden Gedanken an Sven zu verdrängen.

Ich möchte etwas sagen, doch mir fehlen die Worte. Oder habe ich einfach nur Angst, dass meine Tränen sie ersticken würden? Stattdessen nehme ich Marina einfach so fest es geht in den Arm.

Ich höre sie leise schluchzen, während ich meinen eigenen Drang zu weinen ignoriere. Fast so, als wäre nun die Zeit gekommen, endlich wieder für SIE da zu sein, nachdem ich mich so lange rar gemacht habe.

In diesem kostbaren Augenblick spüre ich, dass da sehr viel mehr auf den Schultern meiner Schwester lastet. Dafür sind ihre Tränen zu überwältigend, ihr Schluchzen zu laut. Doch was auch immer es ist, das sie mit sich trägt, ich bin fest entschlossen, ihr einen Teil dieser Last abzunehmen.

„Ich bin jetzt hier“, flüstere ich ihr zu. „Und ich gehe nicht mehr weg. Versprochen!“

Kapitel 2

Sven

Nachmittags

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Es ist der letzte Arbeitstag vor meinem langersehnten Jahresurlaub. Seitdem ich mich vor fünf Jahren selbstständig gemacht habe, hatte ich keinen richtigen Urlaub mehr. In diesem Jahr wollte ich es zum ersten Mal anders machen und mir endlich mal ein bisschen Ruhe gönnen.

„Danke, dass du heute mitgeholfen hast“, sage ich zu Siebo, während ich die letzten Utensilien im Lieferwagen verstaue. „Ich hatte schon Angst, dass wir morgen noch mal anrücken müssen. Aber dank dir sind wir rechtzeitig fertiggeworden. Wir können echt stolz auf uns sein.“

„Kein Ding.“ Siebo nimmt einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche und steigt damit auf der Beifahrerseite ein.

Ich schließe die Heckklappe und steige ebenfalls ein. „War nun echt ungünstig, dass Benny schon auf den Malediven ist und Kurt die Zahn-OP hat. Wärst du nicht gewesen, dann wäre ich heute echt aufgeschmissen gewesen.“

„Wie gesagt, Alter, kein Ding.“

„Na ja, du hast ja auch zu tun und …“

„Heute war ein ruhiger Tag“, unterbricht er mich. „Ich habe vormittags nur kurz was für Marina abgeholt. Mehr stand nicht an.“

Dass ich innerlich zusammenzucke, wann immer er Marina erwähnt, ist schon eine ganze Weile vorbei. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass er für Ronjas Schwester arbeitet.

„Na ja, und dann …“, fährt er fort, hält aber sofort inne.

Ich bin damit beschäftigt, mit dem Van zurückzustoßen, um das Grundstück des Kunden zu verlassen, während Siebo merkwürdig herumdruckst.

„Alles okay?“, frage ich.

„Schwer zu sagen. Bei Marina bin ich bereits ins Fettnäpfchen getreten, weil ich dich erwähnt habe.“

„Ähm … weil du mich erwähnt hast?“

Er nickt. „Es ist halt ein schwieriges Thema. Deshalb habe ich bisher ja auch dir gegenüber nichts erwähnt. Aber inzwischen denke ich, dass ich es dir doch sagen sollte. Irgendwann wirst du es ja so oder so erfahren.“

„Ähm, tut mir leid, Siebo, aber ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen.“ Ich fahre auf die Hauptstraße des Dorfes, in das uns mein Auftrag geführt hat, nur wenige Kilometer von der Insel entfernt. Es ist das erste Mal, dass ich hier in Blowatz einen Job an Land gezogen habe – und dann auch noch die Renovierung eines ganzen Hauses. Während ich noch darüber nachdenke, ob dieser Auftrag weitere nach sich ziehen wird, fährt Siebo mit seiner seltsamen Ansprache fort.

„Du weißt ja, dass Marina und ich uns ganz gut verstehen und auch befreundet sind“, sagt er.

Ich grinse. „Jaaaa, das weiß ich.“

„Dein blödes Grinsen kannst du dir klemmen. Wir sind nur Freunde.“

„Schon klar.“

„Was ich dir eigentlich sagen will: Ich habe Marina in der letzten Zeit nicht nur auf beruflicher Ebene geholfen, sondern auch auf privater.“

„Verstehe.“

„Nein, das denke ich nicht.“ Er seufzt genervt. „Was ich eigentlich sagen wollte: Ich habe ihr geholfen, ein paar Möbel reinzutragen und aufzubauen. Also, in der Haushälfte, die sie bisher an Urlauber vermietet hat.“

„Nett von dir“, murmele ich vor mich hin, während wir das nächste Dorf durchqueren. Und wie so oft – vermutlich eine Art natürlicher Instinkt – wandert mein Blick über die verschiedenen Häuserfassaden. Dabei frage ich mich jedes Mal unweigerlich, ob im Inneren dieser Mauern demnächst eine Renovierung anstehen könnte.

„Was ich versuche, dir zu sagen“, fährt er räuspernd fort. „Ich habe Marina deshalb geholfen, weil sie von jetzt an nicht mehr allein in dem Haus wohnt. Ihre Schwester ist heute nämlich wieder eingezogen.“

Seine Worte brauchen einen Moment, um voll und ganz bei mir anzukommen. Erst als das Wodorfer Ausgangsschild hinter uns liegt, fange ich langsam an zu begreifen.

Ronja.

Sie ist zurück. Nach wie vielen Jahren? Sechs? Oder sieben?

Ich spüre, wie sich mein Hals zuschnürt und mein Puls wie von selbst zu rasen beginnt. Eine Tatsache, die mich vollkommen überrascht. Eigentlich hatte ich diese Gefühle doch lange hinter mir gelassen.

„Ronja ist wieder hier?“, frage ich, den Blick fest auf die Straße vor uns gerichtet, während ich versuche, so ruhig wie möglich zu bleiben.

„Sie steigt in Marinas Unternehmen mit ein“, erklärt er.

Tausend Fragen stürmen auf mich ein. War sie nicht verheiratet mit irgendeinem Architekten, irgendwo in Hamburg? Sind sie denn getrennt? Oder lebt er jetzt etwa auch hier auf der Insel?

„Das ist wohl so eine Art Neuanfang nach der Scheidung“, kommt er meiner Frage zuvor. „Das weiß ich natürlich alles nur von Marina. Ronja selbst habe ich erst heute kennengelernt. Und auch nur kurz.“

Mein Unterkiefer zittert, während ich versuche, mein eigenes Gefühlschaos zu verstehen. Ich war doch eigentlich drüber hinweg, bin gut klargekommen. Sogar eine richtige Beziehung hatte ich, seitdem Ronja damals die Insel verlassen hat: Ganze drei Jahre war ich mit Ela zusammen. Und auch als Single kam ich in den letzten Monaten ganz gut zurecht. Warum wirft mich also allein so eine kleine Neuigkeit aus der Bahn?

Trotzdem versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen drehe ich wortlos das Radio lauter, in dem Bryan Adams gerade den „Summer of 69“ besingt.

„Hör zu, Sven“, redet Siebo geradezu behutsam auf mich ein, „ich weiß, dass Ronja dein wunder Punkt ist. Aber ich dachte, es ist besser, wir reden jetzt drüber, damit wir das Ganze schnell abhaken können. Je eher wir wieder in der Normalität ankommen, desto besser.“

„Mein wunder Punkt?“ Ich lache bitter. „Ich war damals gerade mal 23, Ronja sogar noch jünger. Das ist so lange her. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich ihr immer noch hinterhertrauere?“

Siebo scheint seine eigene Theorie zu haben, denn anstatt mir zu antworten, presst er die Lippen fest aufeinander und schaut aus dem Seitenfenster, fast wie, um meinem Blick auszuweichen.

„Wie auch immer deine Version der Geschichte ist“, antwortet er schließlich, „ich weiß, dass ihr beide nicht ohne Narben aus dieser Sache herausgegangen seid. Nicht umsonst kam es einem kleinen Erdbeben gleich, als ich heute früh versehentlich deinen Namen in Ronjas Gegenwart erwähnt habe. Ich glaube, Marina hätte mich am liebsten unangespitzt in den Boden gerammt.“

„Wieso? Was hat Ronja denn gesagt?“

„Es war vielmehr ihr Blick, der etwas gesagt hat. Und Marinas nervöse Zuckungen, weil ich eben voll ins Fettnäpfchen getreten bin, haben mir dann den Rest gegeben. War so nicht geplant, aber … na ja … ich bin halt auch nur ein Mensch.“

Tausend Fragen schießen mir gleichzeitig durch den Kopf.

„Marina war sichtlich sauer – und Ronja kreidebleich“, erklärt er. „Was auch immer damals geschehen ist, sie scheinen es bis heute nicht verwunden zu haben.“ Er seufzt. „Du bist offenbar noch immer wie ein rotes Tuch für sie.“

Wir durchqueren Groß Strömkendorf, das letzte Dorf vor der Insel, während mich die altvertraute Wut überkommt.

Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr darüber nachzudenken, aber Siebos Kommentar wühlt einiges in mir auf.

„Es ist nicht zu fassen“, brumme ich vor mich hin.

„Was meinst du?“

„Es ist so viel Zeit vergangen und noch immer unterstellt man mir, schuld an allem zu sein.“

„Wer unterstellt dir so etwas?“

„Du hast doch gerade selbst gesagt, dass ich ein rotes Tuch für die beiden bin.“

„Das war mein Eindruck, ja. Aber was weiß ich schon? Du redest ja nie über damals.“

Ich ringe um Fassung, während sich meine Finger immer fester ums Lenkrad krallen.

„Das hat auch seine Gründe“, antworte ich wütend. „Und jetzt lass uns bitte das Thema wechseln.“

„Von mir aus.“ Siebo hebt abwehrend die Hände.

Inzwischen haben wir auch das letzte Dorf vor der Insel hinter uns gelassen und nähern uns der Überfahrt wie in Zeitlupe. Eigentlich fahre ich nicht wirklich langsam, sondern genauso schnell wie immer. Und doch fühlt es sich so an, als würde irgendetwas an mir zerren und mich daran hindern, mein Ziel zu erreichen. Wie in einem Traum, in dem das Vorankommen fast unmöglich scheint.

Doch so wütend ich auch bin, es schleicht sich auch ein anderes Gefühl in meine Sinne. Ein Gefühl, von dem ich dachte, dass ich es vor langer Zeit hinter mir gelassen hatte. Ein Gefühl, das bisher nur eine Frau in mir auslösen konnte. Und genau diese Frau ist wieder da. Einfach so, ohne jede Vorwarnung.

Kapitel 3

Ronja

Zur selben Zeit

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Kaum zu glauben, dass mein Schlafzimmer gleichzeitig mein altes Kinderzimmer ist. Die Aussicht von hier oben war schon damals ein Traum, weil ich direkt zum Strand schauen konnte und die Ostsee zu jeder Zeit bewundern konnte. Heute jedoch ist der Ausblick unbezahlbar.

Ob es daran liegt, dass ich ihn nach meiner langen Abwesenheit einfach viel mehr zu schätzen weiß?

Ich wende mich vom Fenster ab und betrachte das alte Bett aus weiß lackiertem Holz, das ich aus Hamburg habe liefern lassen. Zusammen mit der pastellblauen Tagesdecke, die ich extra für den Umzug bestellt hatte, passt sie einfach perfekt zu der weißen Wandfarbe und der blauen Bordüre.

Auch die zwei weißen Kleiderschränke links und rechts von der Tür bilden zusammen mit der kleinen Kommode vor dem Fenster eine harmonische Einheit. Dass einer der Schränke mein eigener aus Hamburg ist, fällt kaum auf. Es scheint, als hätte er schon immer hier gestanden. Die Tatsache, dass Marina überall an den Wänden Küsten-Aquarelle angebracht hat, erinnert mich wieder daran, dass dies bis vor kurzem noch eine Ferienwohnung war.

Ich setze mich zurück aufs Bett und ziehe den Laptop auf meine Beine, mit dem ich bereits seit mehr als zwei Stunden hier oben bin. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Bedürfnis, mich der Arbeit nicht im Wohnzimmer oder der Küche zu widmen, sondern hier oben. So wie ich es auch früher getan habe, wenn ich meine Ruhe haben wollte. Auch wenn wir als Familie damals das gesamte Haus bewohnt haben, lag mein Zimmer schon immer in dieser Hälfte des Gebäudes. Wenigstens ein Detail, das sich nicht verändert hat.

Ich versuche, mich auf die geöffnete Webseite zu konzentrieren, doch die Einrichtung des „Miss Poely“-Shops stellt sich als nicht ganz so unkompliziert heraus, wie ich gedacht hatte. So viele rechtliche Dinge, die zu beachten sind. Und so viele verschiedene Module, von denen ich das beste auswählen muss. Gar nicht so leicht.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus den Gedanken.

„Sorry, dass ich einfach so hereinplatze“, entschuldigt sich Marina. „Aber du hast noch keine Klingel und …“

„Hör auf, dich zu entschuldigen. Ist ja nicht so, als hätte ich gerade Herrenbesuch oder so.“ Ich lache.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich ein paar Stunden unterwegs bin. Habe mich ein bisschen mit den Terminen verkalkuliert.“

„Was steht denn an?“

„Na ja, ich habe einen Termin in Warnemünde. Die zeigen Interesse an Miss Poely und wollen mich heute treffen. Ich hatte das in all den Umzugsvorbereitungen völlig vergessen. Und dann muss ich noch – wahrscheinlich auf dem Rückweg – Ware zum Kiosk am Strand bringen. Die brauchen dringend Nachschub.“

„Aber irgendetwas davon kann ich doch auch übernehmen.“ Ich schiebe den Laptop zur Seite. „Deswegen bin ich doch hier. Damit du eben nicht mehr alles allein stemmen muss.“

„Wirklich lieb von dir, Ronja, aber es ist dein erster Tag in der Heimat. Da solltest du erst mal so richtig ankommen.“

„So ein Blödsinn.“ Ich stehe auf. „Ich will dir unter die Arme greifen – und zwar nicht erst nach einer Schonzeit. Wenn du willst, kann ich die Lieferung zum Kiosk übernehmen. Und später kaufe ich dann noch was Leckeres für heute Abend ein. Ich dachte, ich mache uns eine Lasagne.“

„Ronjas weltbeste Lasagne?“ Marina legt die Hand auf die Brust. „Ist ja nicht zu fassen! Da sage ich natürlich nicht nein.“

„Wieso lädst du nicht auch diesen Siebo ein? Er scheint sehr nett zu sein und hat ja auch mit den Möbeln geholfen. Da ist es das Mindeste, wenn ich mich mit einem Essen bedanke.“

„Klar. Warum nicht?“

„Prima. Dann wäre das auch geklärt. Sagen wir halb acht?“

„Ich frage ihn.“

„Wo sind denn die Sachen, die zum Kiosk sollen?“

„Schon in meinem Kofferraum.“

„Okay.“ Ich reibe die Hände aneinander. „Dann lade ich sie schnell in meinen Wagen. Wird Zeit, dass ich wieder voll und ganz zur Insulanerin werde.“

„Da hast du dir aber was vorgenommen.“ Marina lacht.

„Ich weiß.“

Ich zwinkere ihr zu, während ich das Zimmer verlasse und so aufgeregt die Treppe herunterlaufe, als hätte ich ein Date. Aber irgendwie stimmt das sogar. Ein Date mit meiner Heimat, die ich viel zu lange im Stich gelassen habe.

Kapitel 4

Sven

Später Nachmittag

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Eigentlich müsste ich mich auf meinen Urlaub freuen. Im Gegensatz zu vielen anderen brauche ich keine Reise in die Ferne, um wirklich zu entspannen. Die Aussicht auf drei freie Wochen, in denen ich auf meinem Hof werkeln und einfach entspannte Tage am Strand verbringen kann, reicht mir völlig aus. Zumindest war es bisher so. Doch seitdem ich von Ronjas Rückkehr erfahren habe, rotieren die Gedanken unaufhörlich in meinem Kopf.

Ich stehe vor der Tiefkühltruhe, um mir meine Lieblingspizza herauszuholen – oder nehme ich gleich mehrere mit? Mein Blick wandert in den fast leeren Einkaufswagen vor mir, während ich mich bei einer Appetitlosigkeit ertappe, die ich selbst nicht an mir kenne.

Getränke. Ich brauche noch Wasser. Und Bier habe ich auch keins mehr zu Hause.

„Hey Sven!“, höre ich eine vertraute Stimme von irgendwoher. Als ich aufschaue, ist es mein alter Kumpel Louis, der gerade im Nebengang steht und mir mit einer Packung Küchenrollen zuwinkt.

„Moin!“, rufe ich zurück. „Alles klar?“

„Muss ja“, tönt er und winkt lachend ab.

Das sind sie, die typischen Unterhaltungen, wie man sie ständig irgendwo auf der Insel führt, weil hier einfach jeder jeden kennt. Nach den kurzen Smalltalks geht dann wieder jeder seiner Wege, es sei denn, der neueste Tratsch muss ausgewertet werden.

In diesem Moment wird mir klar, dass ich wohl selbst bald ein Teil des neuesten Tratsches sein werde, sobald sich Ronjas Rückkehr herumgesprochen hat. Alle wissen, wie nah wir uns früher mal standen. Und vermutlich hat jeder hier seine eigene Version der Ereignisse von damals.

Genervt von meinen eigenen Gedanken, die sich schon wieder in verbotene Richtungen verirrt haben, fällt mein Blick auf eine Cornflakes-Packung, die gerade reduziert ist. Brauche ich sie? Mag ich die Dinger überhaupt?

Offenbar bin ich gerade mit den einfachsten Entscheidungen überfordert. Also lege ich die Packung in den Wagen und schiebe ihn weiter durch die Gänge.

Neben dem Hundefutter sehe ich zwei ältere Damen aus der Nachbarschaft, Frau Gerner und Frau Teichmann, die sich angeregt unterhalten. Eigentlich kein ungewöhnlicher Anblick, aber sofort sind all die Erinnerungen wieder da und mit ihnen auch die so lange unterdrückte Wut. Was, wenn sie gerade über mich reden? Oder ist das, was vor sieben Jahren geschah, längst vergessen? Werde ich langsam paranoid?

Ach, da fällt es mir wieder ein. Getränke! Beinahe hätte ich sie doch vergessen. Doch als ich die eingeschweißten Wasserflaschen ansteuere, glaube ich für einen Moment an die Macht meiner eigenen Gedanken.

Kann das da vorn an der Kasse wirklich Ronja sein oder sieht sie ihr einfach nur ähnlich?

Habe ich einfach so oft an sie gedacht, dass sie mir früher oder später tatsächlich über den Weg laufen musste? Oder ist es nur logisch, dass ich ihr auf so einer kleinen Insel recht schnell begegne?

Unweigerlich bleibe ich stehen, während mein Blick auf ihr verharrt, als wäre sie direkt von einem Ufo an der Supermarktkasse abgesetzt worden.

Meine Finger krallen sich um den Griff des Einkaufswagens. Ich bin unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, selbst das Atmen fällt mir schwer.

*

Ronja

Ich lege die geschälten Tomaten Dose für Dose auf das Band, als hätte ich dies gerade erst gestern das letzte Mal getan. Als wäre es vollkommen normal, dass ich hier einkaufe, weil es eben immer so war. Alles ist so vertraut, als wäre ich nicht einen einzigen Tag weggewesen.

Doch die augenscheinliche Normalität weicht einem kleinen Schock, als mein Blick rüber zu den Getränken wandert.

Sven.

Ist er es wirklich?

Nein, das wäre wirklich eine geradezu lächerliche Ironie des Schicksals! Doch je länger ich zu diesem Mann schaue, desto klarer wird mir, dass ein Irrtum ausgeschlossen ist. Schon allein an der Intensität, in der er meinen Blick erwidert, erkenne ich, dass er es ist.

Selbst von hier aus laufe ich Gefahr, mich in seinen Augen zu verlieren. Auch wenn ich nicht nah genug dran bin, habe ich sofort das altvertraute Wasserblau vor mir, das mich von Anfang an in seine endlose Tiefe gezogen hat. So wie das Meer höchstpersönlich. Er trägt das dunkelblonde Haar inzwischen raspelkurz, was seine markanten Gesichtszüge besonders zur Geltung bringt. Mit dem Zehn-Tage-Bart und dem durchtrainierten Körper, der trotz Latzhose und dem karierten Arbeitshemd deutlich zu erkennen ist, sieht er noch immer genauso gut aus wie früher, wenn nicht sogar besser.

Und wenn schon! Aussehen ist nicht alles. Außerdem waren diese Wahnsinnsaugen schließlich der Anfang von all dem Chaos, in das mich dieser Mann gestürzt hat.

Aus dem ersten Instinkt heraus will ich so tun, als hätte ich ihn nicht erkannt. Einfach bezahlen, den Supermarkt verlassen und diese Begegnung so schnell wie möglich wieder vergessen. Aber dann wird mir klar, dass es vermutlich von jetzt an ständig solche Zufälle geben wird – und ich werde nicht jedes Mal davonlaufen können, jetzt, wo ich wieder hier lebe.

Reiß dich zusammen, Ronja! Was auch immer zwischen euch war, ist Vergangenheit. Du musst nach vorn schauen und dich endlich wie eine Erwachsene verhalten. Er hat keine Macht mehr über dich. Und je gelassener du dich gibst, desto klarer wird ihm werden, dass er nur noch ein Bekannter für dich ist. Nicht mehr und nicht weniger.

In der Theorie klingt mein Plan ganz passabel, doch die Tatsache, dass er mich noch immer anstarrt, als wäre ich das achte Weltwunder, vernebelt mir den Verstand.

„Das macht 32,48“, holt mich die Kassiererin schließlich in die Gegenwart zurück.

„Ähm, mit Karte, bitte“, antworte ich beinahe erschrocken und ziehe meine Geldkarte aus der Handtasche. Dabei wandert mein Blick unweigerlich wieder in Svens Richtung.

Wo ist er hin? Ist er ebenso erschrocken wie ich? Gerade eben stand er doch noch da.

Gedankenverloren halte ich meine Karte auf das Lesegerät und lege die restlichen Waren vom Band in den Korb zurück. Wieder wandert mein Blick rüber zu den Gängen, aber ich kann Sven nirgendwo entdecken.

Für einen flüchtigen Moment zweifele ich schon an meinem eigenen Verstand. Habe ich mir nur eingebildet, ihn zu sehen?

Nein, er war es! Irrtum ausgeschlossen.

Verdammt, warum schlägt denn mein Herz bis zum Hals? Und warum ist mein Hals so trocken? Schafft es allein sein Anblick selbst nach all den Jahren noch, mich so aus der Bahn zu werfen?

Ich straffe meine Schultern, wie um mich selbst daran zu erinnern, was für eine taffe und selbstbewusste Frau ich geworden bin – doch als ich hinaus auf den Parkplatz trete und Sven neben seinem Lieferwagen stehen sehe, bin ich sofort wieder die Unsicherheit in Person.

Wie zum Teufel ist er so schnell nach draußen gekommen? Er war doch mitten im Einkauf, oder nicht? Hat ihn mein Anblick in die Flucht geschlagen?

Ruhig bleiben! Bleib, verdammt noch mal, ruhig! Das alles war in einem anderen Leben und spielt jetzt keine Rolle mehr.

Mit diesen Gedanken im Kopf steuere ich meinen eigenen Wagen an, der nur zwei Autos von seinem entfernt parkt. Da sehe ich bereits, wie er mich erneut entdeckt.

Sein Blick ist starr, sein Gesicht seltsam blass. Doch seine Mundwinkel zucken, fast wie bei einem Lächeln, also fühle ich mich in meinem Plan bestärkt. Denn wenn ich jetzt keinen Schritt auf ihn zugehe, werde ich diese Begegnung nur immer wieder aufs Neue hinauszögern. Auf einer kleinen Insel wie dieser kann man sich einfach nicht dauerhaft aus dem Weg gehen.

„Hallo Sven“, sage ich mit dünner Stimme, während ich auf ihn zugehe. „Dann habe ich also doch richtig gesehen. Warst du nicht eben noch im Supermarkt?“

„Ähm, ja.“ Er lächelt mechanisch. „Ich … ich habe was im Wagen vergessen.“

Er nimmt sein Portemonnaie aus der offenen Tür seines Vans und hält es wie ein Beweisstück hoch.

„Verstehe“, antworte ich, weil ich nicht so recht weiß, was ich sagen soll.

Für einen Moment verliere ich mich wieder in seinem Blick, der alles und nichts bedeuten kann. Sofort sind all die Schmerzen wieder da, die ich damals durch ihn erfahren habe. Schmerzen, über deren Intensität er sich vielleicht niemals wirklich bewusst war. Oder wollte er sich diese Schmerzen schlichtweg nicht bewusstmachen? Hat er diesen Teil der Geschichte ausgeblendet, weil es am bequemsten war?

Und doch kann ich in diesem unwirklichen Augenblick alles nachempfinden, als wäre es erst gestern gewesen: Die tiefe Liebe, die ich für ihn gespürt habe und die mich nie ganz losgelassen hat. Letztendlich konnte sie aber nichts gegen die Wut ausrichten, die ich selbst jetzt noch in meiner Brust fühle.

Sei vernünftig, Ronja! Ihr seid jetzt reifer und das alles ist so lange her. Du solltest ihm mit aller Freundlichkeit und Souveränität begegnen.

„Du wohnst jetzt wieder bei Marina“, sagt er.

Es klingt eher wie eine Feststellung und nicht wie eine Frage. Sicher hat er es von Siebo erfahren. Oder hat es sich bereits rumgesprochen?

„Stimmt“, antworte ich, „na ja, es war ja immer unser Haus, das Haus unserer Familie. Ich war nur … na ja … eine Weile nicht hier.“

Dabei lächele ich irgendwie verlegen, fast schon unbeholfen und ärgere mich über meine eigene Nervosität. So oft habe ich mir diesen Moment ausgemalt. Unzählige Male habe ich mir vorgestellt, was ich sagen oder tun würde, wenn ich ihm noch einmal gegenüberstehen sollte. So viel Wut war bei diesen Tagträumen im Spiel, aber in keinem davon habe ich ihn dämlich angegrinst und freundliches Geplänkel von mir gegeben.

Nach allem, was war, hat er es nicht mal verdient, dass ich mit ihm rede.

Aber schon im nächsten Augenblick wird mir klar, dass die verletzte Seele von damals aus mir spricht. Ich bin erwachsen und sollte über den Dingen stehen.

Wieder straffe ich meine Schultern, als wäre es die ultimative Geheimwaffe gegen unreifes Verhalten.

„Schon klar“, murmelt er und schiebt dabei seine Hände in die Hosentaschen. Dabei wirkt er unnahbar und beinahe schon desinteressiert.

„Und du?“, hake ich dennoch nach. „Die Geschäfte laufen gut?“ Dabei deute ich auf den Schriftzug seiner eigenen Firma, der auf der Seite seines Vans prangt.

„Klar“, antwortet er kurzsilbig, „man schlägt sich eben so durch.“

Mehr sagt er nicht. Nicht nur, dass ich ihm jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen muss, nein, er weicht meinem Blick regelrecht aus.

Gerade als ich noch darüber nachdenke, was ich als nächstes sagen kann, kommt er mir geradezu gehetzt zuvor.

„Hör zu, Ronja“, er ringt sich ein mechanisches Lächeln ab, „ich habe jetzt leider keine Zeit mehr. Wir sehen uns sicher ein anderes Mal wieder.“

„Ähm, sicher …“, entgegne ich verwirrt.

Dann wendet er sich so schnell von mir ab, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Wie erstarrt schaue ich ihm hinterher, während er zurück in den Supermarkt läuft.

Ich bin hin- und hergerissen zwischen der Fassungslosigkeit über seine kühle Distanz und den Gefühlen für einen Mann, den ich nie ganz vergessen konnte. Aber hat dieser Mann wirklich noch etwas mit dem Typen zu tun, für den ich einst mein Leben gegeben hätte?

Der Sven, den ich kannte, war immer charmant, liebevoll und aufmerksam.

Doch im selben Moment wird mir klar, dass das alles schon damals nur Show war und ich ihn eigentlich nie wirklich durchschaut habe. Das musste ich vor sieben Jahren nur allzu schmerzhaft erfahren. Warum also wundere ich mich jetzt über sein arrogantes Verhalten?

Am allermeisten ärgere ich mich allerdings über mich selbst. Denn so wütend ich noch immer auf ihn bin, die Wut auf mein pochendes Herz ist größer. Denn es hat noch immer keine Ahnung, wie dumm es ist. Selbst in all den Jahren hat es nichts dazugelernt.

Kapitel 5

Sven

Etwas später

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Ich bin innerlich so aufgewühlt wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Mit schnellem Atem und trockener Kehle fahre ich am Hafen vorbei, während die salzige Ostseebrise das ganze Auto ausfüllt. Das Fenster habe ich heruntergefahren, wie um mich selbst aus einem sehr skurrilen Tagtraum aufzuwecken. Doch es funktioniert einfach nicht, egal wie angestrengt ich es versuche.

Was zum Teufel geht nur in dieser Frau vor? Glaubt sie wirklich, nach all den Jahren einfach hier auftauchen und mit mir ein nettes Geplänkel vor dem Supermarkt führen zu können? Nach allem, was ich wegen ihr durchgemacht habe? Einen Scheiß hat sie sich für mich interessiert. Die Konsequenzen ihrer Flucht waren ihr völlig egal. Und jetzt? Steht sie einfach so vor mir und will mit mir „über die Geschäfte“ reden?

Ich atme tief ein und wieder aus, doch gegen das Chaos in meiner Brust lässt sich nichts ausrichten.

Als ich das Ortseingangsschild von Niendorf erreiche, bin ich eigentlich noch gar nicht bereit, nach Hause zu fahren. Viel lieber würde ich noch eine Weile ziellos umherfahren, um einen freien Kopf zu bekommen. Doch noch bevor ich in den schmalen Weg einbiege, der zu meinem Haus führt, sehe ich bereits Siebo und Kurt in der Einfahrt stehen. Kurt mit einem Bier in der Hand, Siebo mit einer Flasche Cola, offenbar angeregt über irgendetwas diskutierend.

Eigentlich steht mir nicht der Sinn nach Gesellschaft, aber ich versuche, mir meine schlechte Laune nicht anmerken zu lassen.

„Moin zusammen!“, begrüße ich die beiden durch das offene Autofenster, während ich die Einfahrt befahre. „Habt ihr kein Zuhause, oder was?“

Ich lache dabei, auch wenn mir eigentlich nicht danach zumute ist. Vor meiner Garage bringe ich den Lieferwagen zum Stehen. Unweigerlich wandert mein Blick in den Innenspiegel, in dem mein Haus zu sehen ist.

Vor fünf Jahren habe ich es in einem stark renovierungsbedürftigen Zustand gekauft und mithilfe tatkräftiger Freunde auf Vordermann gebracht. Jetzt strahlt die hellblaue Fassade mit dem Sommerhimmel um die Wette.

Heute jedoch fühlt sich der Blick auf dieses Haus irgendwie fremd an. Fast so, als wäre es eine Erinnerung an das Leben, das ich hätte haben können, wenn …

Ich verbiete mir jeden weiteren Gedanken an die Vergangenheit und steige nach einem tiefen Atemzug aus dem Wagen.

„Und?“, frage ich Kurt. „Zahn-OP gut überstanden?“

„Hör bloß auf.“ Er legt die Hand auf seine Wange. „Gibt kaum was Schlimmeres als eine Weisheitszahn-OP.“

„Und dann trinkst du jetzt schon wieder Bier?“, frage ich erstaunt.

„Ach, die OP war doch heute Morgen.“

„Nimmst du denn keine Tabletten?“

„Gerade ist das Bier meine Schmerztablette“, grinst er und schaut dabei zu Siebo. „Wie ich höre, hat dein Cousin mich heute tatkräftig vertreten. Das weiß ich echt zu schätzen.“

„Alles gut“, winke ich ab. „Jetzt haben wir alle erst mal Urlaub. Wurde auch Zeit, oder? Du und Benny habt tolle Arbeit in den letzten Monaten geleistet. Aber irgendwann muss man auch mal durchatmen.“

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kurt bereits auf mich wartet, wenn ich unterwegs war. Er ist wie ich schon eine Weile Single, weiß im Gegensatz zu mir aber oft nicht so recht etwas mit seiner Freizeit anzufangen. Als Angestellten weiß ich ihn sehr zu schätzen, als Freund finde ich ihn aber manchmal etwas aufdringlich, weil er offenbar nicht gut allein sein kann.

Warum Siebo auf mich wartet, verstehe ich allerdings nicht so ganz. Ihm sieht das eigentlich nicht ähnlich.

„Habt ihr euch hier zufällig getroffen?“, frage ich Siebo. „Oder hast du schon wieder Sehnsucht nach mir? Wir haben uns doch vorhin gerade gesehen.“

„Na ja“, er kratzt sich am Hinterkopf, „du bist nicht ans Telefon gegangen. Da bin ich selbst hergekommen.“

„Ach ja?“ Ich denke nach. „Habe gar nicht gesehen, dass du angerufen hast. War denn was Wichtiges?“

Siebo wirkt irgendwie unsicher, offenbar wegen Kurts Anwesenheit. Etwas nervös tritt er von einem Fuß auf den anderen.

„Ähm, ist das ne Sache, die wir unter vier Augen besprechen müssen?“, frage ich ihn.

Siebo verzieht die Mundwinkel. „Kann sein.“

„Ey, was stimmt nicht mit euch?“ Kurt klopft lachend mit der Hand gegen Siebos Schulter. „Wir haben doch sonst keine Geheimnisse voreinander.“

„Ist nichts Persönliches“, erklärt Siebo. „Aber ich glaube, Sven und ich gehen mal kurz rein, okay?“

Kurt zuckt mit den Schultern. „Wie ihr wollt.“

Dann setzt er sich mit seiner Bierflasche auf die kleine Bank hinter meinem Haus und lehnt sich zufrieden zurück. Mehr braucht er offenbar nicht zum Glücklichsein. Was das angeht, ist er recht einfach gestrickt. Aber wie sage ich ihm, dass mir heute so gar nicht nach Gesellschaft zumute ist? Dass ich viel lieber meine Ruhe hätte? Und überhaupt muss er endlich damit aufhören, ständig auf mich zu warten, wenn er wieder mal Langeweile hat. Langsam fängt es an zu nerven, ihn auch nach der Arbeit immerzu um mich zu haben. Eine Tatsache, die mir heute ganz besonders bewusst wird.

„Also?“, beginne ich, während ich den Schlüssel in die Hintertür stecke. „Was gibt’s denn so Wichtiges?“

„Na ja“, seufzt Siebo, „eigentlich keine große Sache, aber irgendwie fand ich es richtig, vorher mit dir zu reden.“

„Vorher?“ Ich öffne die Tür. „Vor was?“

„Marina hat mich vorhin angerufen“, erklärt er.

„Ach ja?“ Ich schließe die Tür hinter uns und bleibe neben der schmalen Treppe stehen, die ins Obergeschoss zum Schlaf- und Badezimmer führt.

„Sie hat mich für heute Abend eingeladen“, antwortet er.

Ich weiß, dass er sich auch privat gut mit Marina versteht, ahne aber, dass es einen bestimmten Grund gibt, warum er mir ausgerechnet von dieser Einladung erzählt.

„Und?“ Ich gehe den schmalen Flur entlang in Richtung Küche. „Kommt doch öfter vor bei euch, oder?“