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Oliver scheint am Ziel seiner Träume: Als Kolumnist eines großen People-Magazins hat er endlich den Job, den er sich immer gewünscht hat. Doch seine Begeisterung bekommt einen ersten Dämpfer, als er erfährt, dass er keine eigene Kolumne bekommt, sondern als Ghostwriter für die hochschwangere Kolumnistin Meena einspringen soll. Alles, was man ihm in die Hand drückt, ist ein Diktiergerät mit den Audionotizen seiner Vorgängerin und den Tipp: Schreib einfach genau wie sie! Doch wie konstruiert man aus stundenlangen, konfus zusammengewürfelten Aufnahmen eine lesenswerte Kolumne? Und wie fasst man die vielen Worte einer Frau zusammen, die scheinbar alle Talente beherrscht außer der Fähigkeit, auf den Punkt zu kommen? Die Aufgabe, sich in die Gefühlswelt einer Frau zu versetzen, wird zur Mission – und schon bald ist die fremde Stimme auf dem Diktiergerät weit mehr als nur ein Job.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Über das Buch
Kapitel 1: Die Worte vor dem Piep
Kapitel 2: Eine Frau namens Oliver
Kapitel 3: Zickenkrieg?
Kapitel 4: Das Arschloch auf dem Thron
Kapitel 5: Meine Kolumne, deine Kolumne
Kapitel 6: Von der Kunst, auf den Punkt zu kommen
Kapitel 7: Danke, liebes Bauchgefühl
Kapitel 8: Lieber Herr Stellvertreter
Kapitel 9: Überzeugend weiblich
Kapitel 10: Die Sache mit dem Nein
Kapitel 11: Nur ein Job!
Kapitel 12: Liebe Meena
Kapitel 13: Die Kunst zu denken
Kapitel 14: Das echte Leben
Kapitel 15: Endlich zu Hause
Kapitel 16: Der Anfang von allem
Kapitel 17: Meenas Blick aus dem Fenster
Epilog: Zwei Jahre später
Danksagung und Nachwort
Impressum
Nancy Salchow
Ein Ghostwriter zum Verlieben
Liebesroman
Oliver scheint am Ziel seiner Träume: Als Kolumnist eines großen People-Magazins hat er endlich den Job, den er sich immer gewünscht hat. Doch seine Begeisterung bekommt einen ersten Dämpfer, als er erfährt, dass er keine eigene Kolumne bekommt, sondern als Ghostwriter für die hochschwangere Kolumnistin Meena einspringen soll. Alles, was man ihm in die Hand drückt, ist ein Diktiergerät mit den Audionotizen seiner Vorgängerin und den Tipp: Schreib einfach genau wie sie!
Doch wie konstruiert man aus stundenlangen, konfus zusammengewürfelten Aufnahmen eine lesenswerte Kolumne? Und wie fasst man die vielen Worte einer Frau zusammen, die scheinbar alle Talente beherrscht außer der Fähigkeit, auf den Punkt zu kommen? Die Aufgabe, sich in die Gefühlswelt einer Frau zu versetzen, wird zur Mission – und schon bald ist die fremde Stimme auf dem Diktiergerät weit mehr als nur ein Job.
Oliver zog die Seiten erneut aus der dünnen Folie, las den Absatz zum mittlerweile dritten Mal und erwiderte stumm den erwartungsvollen Blick der Frau im gegenüberliegenden Ledersessel.
Ein gewaltiger Mahagonischreibtisch trennte die beiden voneinander, auch wenn ihm der Inhalt auf den Seiten wesentlich gewaltiger erschien. Ghostwriter.
"Und Sie sind sich sicher, dass Sie das ernst meinen?", fragte er.
"Absolut sicher, Herr Staude." Sie lächelte. "Genauso wie ich von der Tatsache überzeugt bin, dass Sie der richtige Mann für diesen Job sind. Ihre Proben haben nicht nur mich, sondern das gesamte Redaktionsteam begeistert. Wir alle sind uns einig, dass als Nachfolger für Meena Teske nur Sie in Frage kommen."
"Aber, ich bin …", er überlegte kurz, "ein Mann."
"Sicher sind Sie das". Sie warf lachend den Kopf in den Nacken. "Aber das muss außer uns doch niemand erfahren, oder?"
"Und wenn Sie meinen Vorschlag über eine Kolumne aus Sicht des typischen Mannes noch einmal überdenken? Die Idee, Ihren Leserinnen jede Woche eine Anekdote aus dem Leben eines Durchschnittsmannes zu präsentieren, bietet meiner Meinung nach eine Menge Potenzial."
"Ihre Begeisterungsfähigkeit imponiert mir, Herr Staude. Und ich möchte Ihrem Vorschlag keinesfalls den Glanz nehmen. Aber zunächst müssen wir die Lücke füllen, die Meena hinterlassen hat. Und zwar möglichst so, dass niemand merkt, dass es eine Lücke gibt." Sie räusperte sich. "Im Laufe der Jahre ist in den Köpfen unserer Leserinnen ein ganz bestimmtes Bild von Meena entstanden. Die Single-Frau, die ihren Alltag auch ohne Mann meistert, anderen Alleinstehenden Mut macht und auch ohne Kind und Kegel einen Sinn in ihrem Leben findet. Sie verstehen, dass es sich da nicht gut machen würde, wenn plötzlich ihre Schwangerschaft an die Öffentlichkeit käme."
Er nickte, denn eine passende Antwort fiel ihm nicht ein. In der gläsernen Tür des Wandschranks hinter ihrem Schreibtisch erhaschte er einen kurzen Blick auf sein eigenes Spiegelbild. Wieder keimte der Ärger über die Entscheidung auf, direkt vor dem Vorstellungsgespräch den Friseur aufzusuchen. Wieso hatte er sich nur dazu überreden lassen, sich das Haar derart kurz schneiden zu lassen? Das Dunkelblond wirkte durch die Kürze nun eher braun und das morgendliche Abrasieren seines Dreitagebartes, ebenfalls eine Spontanentscheidung, ließ ihn zusätzlich jünger wirken. Aber wollte er überhaupt jung aussehen? Wäre es nicht eher von Vorteil gewesen, älter zu erscheinen? Älter und erfahrener?
"Ihr Vertrag würde über ein Jahr laufen", fuhr sie fort. "Aber ganz sicher werden wir auch danach ein Plätzchen in unseren Reihen für Sie finden. Wenn Sie sich erst einmal etabliert haben, versteht sich."
In unseren Reihen. Für einen Moment fegten diese drei kleinen Worte alle Skrupel beiseite. Noch vor wenigen Wochen hätte er nicht zu träumen gewagt, ein Vorstellungsgespräch bei einem Magazin wie dem Ariella’s Choice zu bekommen und nun war er sogar die erste Wahl. Die erste Wahl des gesamten Teams. Und die erste Wahl der Chefredakteurin Raja Markert, die ihn auf seltsame Weise an Meryl Streep erinnerte.
Nach all den Enttäuschungen der letzten Jahre, in denen er sein mühsam gepflegtes Talent in Provinzblättern vergeudet hatte, war dies die erste wirkliche Chance. Und sie wollten ihn. Seine Arbeit war es, die sie überzeugte.
"Ich verstehe einfach nicht, wie das funktionieren soll", antwortete er, als er seine Gedanken halbwegs sortiert hatte. "So gerne ich auch schreibe und mich in die Menschen hineinversetze, die Gefühlswelt einer Frau ist mir dann doch schon allein aus biologischen Aspekten nicht so vertraut wie die eigene."
"Also, da sehe ich wirklich überhaupt kein Problem." Sie zog die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf und holte einen gepolsterten Umschlag heraus. "Meena arbeitet grundsätzlich Monate im Voraus und speichert all ihre Ideen und Gedanken auf einem Diktiergerät. Erst in den letzten Tagen vor Redaktionsschluss sucht sie sich dann die entsprechenden Häppchen zusammen und entscheidet sich für ein Thema."
Sie schob den Umschlag über den Tisch. "Das Einzige, das Sie tun müssen, ist, besagte Häppchen zu einem großen Ganzen zusammenzufügen. Ganz im Stil von Meena. Und glauben Sie mir, diese Aufnahmen bieten Potenzial für tausend Kolumnen."
Er griff nach dem Umschlag und zog ein unscheinbares Diktiergerät heraus.
Das sollte er also sein, sein erster Schritt zur eigenen Kolumne. Eine Kolumne, von der niemals jemand erfahren würde, dass sie aus seiner Feder stammt.
"Meena ist aufgrund von Schwangerschaftsproblemen die letzten Wochen bis zur Geburt ans Bett gefesselt. Es geht ihr nicht sehr gut. Ziemlich blöde Sache."
"Blöde Sache", wiederholte er ungeschickt.
Er warf erneut einen Blick auf den Vertrag. Während der Absatz mit dem bösen Wort Ghostwriter langsam verblasste, verdrängten die beeindruckenden Zahlen am Ende des wichtigen Papiers die letzten Zweifel.
"Also gut", sagte er schließlich, "wo soll ich unterschreiben?"
*
Sie müssen einfach nur die Häppchen zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Die Worte von Frau Markert liefen in Dauerschleife durch seinen Kopf, wo sie sich langsam zu einem unliebsamen Mantra verschworen. Diese Frau schien tatsächlich dem Irrglauben zu erliegen, dass ein guter Schreibstil allein genügte, um in die Rolle einer anderen Person zu schlüpfen. Einer Person anderen Geschlechts. Einer Person, die sich in den letzten sechs Jahren eine gigantische Fangemeinde innerhalb der Leserschaft des Magazins aufgebaut hatte. Und ebendiese Fangemeinde bei der Stange zu halten, sollte nun seine bescheidene Aufgabe werden. Glaubte seine neue Chefin denn tatsächlich, dass die einzige Gemeinsamkeit, die darin bestand, dass sowohl er als auch seine Vorgängerin Mittdreißiger in einer Großstadt waren, als Grundlage für das nahtlose Fortsetzen ihrer Kolumne genügte?
Er betrachtete erneut das Diktiergerät neben seinem Laptop und den Stapel ausgedruckter Kolumnen von Meena Teske, mit deren Hilfe er versuchen sollte, ihren Stil zu verinnerlichen. Auch die Tatsache, dass Frau Markert ihm zugesichert hatte, ihm bei der Wahl seines ersten Themas zunächst freie Hand zu lassen, wollte ihn nicht so recht zuversichtlich stimmen. Allein der Hinweis, dass Meena die Aufnahmen ursprünglich für sich selbst gemacht hatte, um dann auch selbst daraus eine Kolumne zu konstruieren, schüchterte ihn ein. Wie konnte irgendjemand erwarten, dass die Anhaltspunkte, die sie ausschließlich zur eigenen Verwendung aufgenommen hatte, auch für einen Außenstehenden brauchbar sein würden?
Seine ohnehin sehr bescheidene Zuversicht begann zu bröckeln.
Oliver drückte die Play-Taste und lauschte der fremden Stimme.
Was für ein beschissener Tag. Meine Erfahrung ist die, dass es immer die beschissensten Tage sind, die die lehrreichsten Anekdoten mit sich bringen und am Ende der Ursprung für meine besten Kolumnen waren. Allein deshalb habe ich trotz grauenhafter Laune die Record-Taste gedrückt.
Festhalten, Meena, sagt Raja immer. Du musst es festhalten. Alles! Jeden Gedanken, jede Emotion, bevor sie weg ist. Das Lebensnahe, das Echte, nennt sie es. Das ist es, was die Leserinnen wollen. Aber was ich will, interessiert wieder mal niemanden.
Ich will, verdammt noch mal, endlich diesem Scheiß-Singledasein ein Ende bereiten. Dass diese deprimierenden Dates mit Psychopaten, Perverslingen und Versagern endlich ein Ende haben.
Raja liebt mein Drama. Sie sagt, das ist es, was die Leserinnen dazu bringt, mich als Eine von ihnen zu betrachten. Aber will man als Leserin wirklich auch noch in einer Kolumne ständig daran erinnert werden, dass man so beschissen allein ist? Außerdem sind die Leserinnen doch nicht alle alleinstehend. Oder kaufen glücklich Verheiratete keine Zeitschriften? Tun es womöglich gerade die Verheirateten, um sich über ein bemitleidenswertes Objekt wie mich zu amüsieren? Bin ich für sie so etwas wie die Versager-Freundin, die sie brauchen, um das eigene Leben schöner zu finden?
Aber ich wollte auf den Punkt kommen: Beschissener Tag. Um genauer zu sein: Beschissenes Date! Drei Wochen lang habe ich mit diesem Typen, David heißt er, gemailt. Endlich mal jemand, der mit den Rechtschreib- und Grammatikregeln vertraut ist, noch dazu humorvoll und charmant. Sogar sein Foto gefiel mir. Kein hirnloser Schönling oder pseudointellektueller Grusel-Nerd. Einfach von allem das richtige Maß. So schien es zumindest.
Wir hatten uns auf einer Single-Plattform kennen gelernt und er war der erste Typ seit langem, der mich nicht langweilte oder anwiderte. Weder seine Nachrichten noch sein Foto. Mit jeder Mail fand ich ihn interessanter und auch das Foto wurde mit jedem Blick schöner. Seit heute weiß ich allerdings, dass ein gutes Aussehen eben nur die halbe Miete ist – und bei diesem Kerl noch nicht mal ein Viertel.
Unser Date war so was von furchtbar. Er hat echt geschlagene zwei Stunden nur von sich geredet. Und wenn er nicht über sich gesprochen hat, war es seine Mutter, seine Ex oder seine Schwester. Ich begreife einfach nicht, wie der Eindruck, den ich in den Mails gewonnen habe, so wenig mit der Realität übereinstimmen kann.
Als er zur gefühlt hundertsten Anekdote über den Urlaub mit seiner Exfreundin ansetzte, habe ich den letzten Schluck meines mittlerweile kalten Kaffees getrunken, bin aufgestanden und habe mit den Worten "Tut mir leid, aber zwei Stunden Dauergespräch über andere Frauen sind nicht unbedingt ein guter Start" das Café verlassen.
Das Allerschärfste war allerdings die SMS, die ich vorhin von ihm bekommen habe. Moment, ich les sie mal eben vor ... "Schade, dass du so abrupt aufgestanden bist. Bei solchen Ansprüchen müsst ihr Single-Frauen euch nicht wundern, dass ihr alleine bleibt."
Was zum Teufel meint er? Erstens kann man eine Flucht nach zwei Stunden wohl kaum als abrupt bezeichnen und zweitens verstehe ich nicht, was er mit Ansprüchen meint. Den Anspruch, einen erwachsenen, unabhängigen Mann haben zu wollen? Den Anspruch, ein Gespräch zu führen, in dem nicht nur er redet, sondern zumindest hin und wieder auch ich? Nicht nur, dass mir dieser Kerl zwei Stunden meines Lebens gestohlen hat, mal abgesehen von der Zeit, die ich in unsere Mails investiert habe, nein, er wagt es auch noch, hinterher mir die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Und was heißt hier überhaupt "Ihr Single-Frauen"? Ist er denn kein Single-Mann? Ist er denn nicht ebenfalls auf der Suche nach der berühmten besseren Hälfte?
Manche Kerle leiden echt an einer Selbstwahrnehmung, an der man sich Hände und Füße wärmen kann. Meine Füße allerdings hätten sich vermutlich viel besser in seinem Hintern gemacht. Ein kräftiger Tritt stellvertretend für alle wahrnehmungsgestörten Idioten dieser Welt!
Wie ich aus dieser Erfahrung und meinen zusammenhanglosen Wutausbrüchen eine Kolumne basteln soll, ist mir allerdings gerade schleierhaft. Ich glaube, ich gönne mir erst mal ein großes Glas Rotwein. Besser noch: zwei.
Ein Piepton verkündete das Ende der Aufnahme. Sein Finger wanderte zur Stopp-Taste.
Single-Dasein? Rotwein? Wie alt waren denn diese Aufnahmen, wenn Meena sich mittlerweile hochschwanger im Beschäftigungsverbot befand? Er schob das Diktiergerät zur Seite und ließ seinen Kopf auf die Handflächen fallen, während ihn der leere Bildschirm des Laptops strafend ansah.
Niemand erwartete von ihm, am allerwenigsten er selbst, dass er gleich in der ersten Aufnahme den passenden Stoff für eine Kolumne finden würde. Abgesehen davon würde der Großteil seiner Arbeit ohnehin daraus bestehen, die bisher erschienenen Kolumnen zu prüfen, um keinen der Inhalte zu wiederholen. Trotzdem erwischte er sich bei dem Versuch, die Aufnahme gedanklich nach einem potenziellen Thema abzuklopfen.
Dabei war es allerdings weniger der Inhalt selbst, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie diesen präsentierte, die ihn verwirrte. Diese Frau hatte eine Stimme, die einen selbst aus der tiefsten Lethargie reißen konnte. Dieser nervöse und gleichzeitig selbstbewusste Unterton. Die Worte, die sie so leichtfüßig aneinanderreihte, als würde sie sie singen. Fast schien es, als würde sie mit den Gedanken jonglieren. Ohne Publikum. Ohne Seil und doppelten Boden. Nur für sich. Und vielleicht gerade deshalb so faszinierend.
Statt die gedankliche Suche nach einem möglichen Thema für die Kolumne fortzusetzen, gab er dem Drang nach, das Gerät erneut einzuschalten.
Derselbe Piepton. Dieselbe Stimme.
Vielleicht wird es Zeit, das öffentliche Interesse am Jammern zu teilen oder zumindest vorzutäuschen.
Jeder regt sich auf. Okay, ich tue es auch. Aber meistens nur über Menschen, die mich in meiner Routine stören, sich taktlos benehmen oder sich nach anfänglichen Traumprinzambitionen in Schleimfrösche verwandeln.
Ansonsten rege ich mich nicht auf. Weder über die Gesellschaft noch über meine Mitmenschen. Auch nicht über zu teuren Käse. Oder zu lange Schlangen an der Kasse. Eigentlich nicht mal über das Wetter. Potenzielles Thema für die Kolumne: Das Talent, die Welt zu mögen. So wie sie ist. Oder doch für einen Artikel das Jammern üben? Die erhobene Faust gegen alles und jeden einstudieren?