Liebessehnsucht an der Ostsee - Nancy Salchow - E-Book
SONDERANGEBOT

Liebessehnsucht an der Ostsee E-Book

Nancy Salchow

0,0
6,49 €
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Exklusiv im eBook-Bundle: 3 leidenschaftliche Liebesromane von der malerischen Ostsee zum Vorzugspreis.: Frühlingsliebe an der Ostsee | Sommersüße Kurven | Fallen for a Memory ... Teaser zu "Frühlingsliebe": Was tust du, wenn dir ausgerechnet in deiner neuen Heimat an der Ostsee deine große Liebe wieder begegnet? Kann das Schicksal sein?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Buch 1: Frühlingsliebe an der Ostsee

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Buch 2: Fallen for a Memory

Vorwort

Prolog – Lisa

Kapitel 1 – Lisa

Kapitel 2 – Jan

Kapitel 3 – Lisa

Kapitel 4 – Lisa

Kapitel 5 – Lisa

Kapitel 6 – Lisa

Kapitel 7 – Jan

Kapitel 8 – Lisa

Kapitel 9 – Lisa

Kapitel 10 – Lisa

Kapitel 11 – Jan

Kapitel 12 – Lisa

Kapitel 13 – Lisa

Kapitel 14 – Jan

Kapitel 15 – Lisa

Kapitel 16 – Lisa

Kapitel 17 – Lisa

Kapitel 18 – Jan

Kapitel 19 – Lisa

Kapitel 20 – Lisa

Kapitel 21 – Jan

Kapitel 22 – Lisa

Kapitel 23 – Jan

Epilog – Lisa

Nachwort

Buch 3: Sommersüße Kurven

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Auszug "Inselsterne verglühen nicht"

Danksagung und Nachwort

Impressum

Nancy Salchow

Liebessehnsucht an der Ostsee

Sammelband mit 3 Ostsee-Liebesromanen

Buch 1: Frühlingsliebe an der Ostsee

Was tust du, wenn dir ausgerechnet in deiner neuen Heimat an der Ostsee deine große Liebe wieder begegnet? Kann das Schicksal sein?

Schon seit vielen Jahren schlägt Claras Herz für Kian. Nie hat sie ihn vergessen können, auch wenn sie niemals wirklich zueinander gefunden haben.

Als sie nach der Trennung von ihrem Freund in einer beschaulichen Kleinstadt an der Ostsee einen Neuanfang wagt, läuft ihr ausgerechnet Kian über den Weg, der in einer kleinen Bar als Stammmusiker engagiert ist. Was für ein Wink des Schicksals! Ist das die Chance, auf die Clara immer gewartet hat?

Doch das Wiedersehen mit Kian stellt sich schon bald als ziemlich rätselhaft heraus und wirft Fragen auf, die Claras Glück schnell schmälern. Ist das hier wirklich ihre Chance auf die große Liebe oder nur ein seltsames Spiel, bei dem nichts so ist, wie es scheint? Kann sie Kian trauen? Und was hat Claras Ex-Freund mit alldem zu tun?

Dieser Roman ist in sich abgeschlossen, enthält prickelnde Szenen und natürlich ein wohlverdientes Happy End.

Anmerkung:Fleesenow ist eine von der Autorin erfundene Kleinstadt an der Ostsee, die immer mal wieder in ihren Büchern vorkommt. Angesiedelt wäre Fleesenow, gäbe es den Ort wirklich, vermutlich irgendwo in der Nähe der Insel Poel oder Wismar, der Heimat der Autorin.

Prolog

Kian

________________

Von einem Moment auf den anderen ist alles still. Die Wellen, der Wind – und mein Herz. Als hätte es sich genau das geholt, was es braucht, um endlich zur Ruhe zu kommen: Ihre Lippen auf meinen.

Sie liegt fest in meinem Arm und wehrt sich nicht gegen den Kuss. Ganz im Gegenteil, sie scheint dieselbe Sehnsucht zu teilen. Als wäre ihr ebenso klar wie mir, dass es früher oder später hierauf hinauslaufen musste. Sie schmeckt nach Erdbeeren und Freiheit. Eine Freiheit, die ich nicht näher definieren kann – aber das ist es, was dieser Kuss in mir weckt. Eine Ahnung davon, was es heißt, ohne Regeln, ohne Zwänge zu leben. Nur das tun, was das Herz sagt.

Es wirkt so, als hätte allein unser Kuss alles um uns herum in einen Stillstand versetzt. Kein Geräusch, nicht mal ein Windzug, stört diesen Moment. So, als gäbe es nur uns beide.

Ich ziehe sie fest an mich, als würde mich allein das in die Gegenwart zurückholen. Doch je intensiver ich sie spüre, desto weiter entferne ich mich aus dem Hier und Jetzt.

Das Meer küsst den feuchten Sand. Wieder und wieder, wie ein Spiegelbild von uns beiden. Wie ein nicht enden wollender Traum, der uns voll und ganz im Griff hat und nicht mehr freigeben will. Aber das Letzte, das ich möchte, ist, aus diesem Traum zu erwachen.

Möwen kreischen in der Ferne, Flügelschläge durchschlagen den milden Ostseewind. Alles scheint wie in Zeitlupe zu geschehen.

Doch wir beide stehen noch immer hier und geben uns unseren Gefühlen hin. Als wären wir eigentlich gar nicht hier. Wie eine Erinnerung an einen längst vergangenen Frühlingstag.

Ich spüre ihren heißen Atem an meinen Wangen, ihre Finger in meinen. Die Luft, die eben noch so frisch war, brennt jetzt auf meiner Haut.

Wie süß sie schmeckt. Wie warm sich ihre Lippen auf meinen anfühlen. Mir wird schwindelig mit jedem Atemzug, den ich mir abringe. Als würde das alles jemand anderem widerfahren, nur nicht mir. Nicht uns.

Was auch immer mich gerade noch beschäftigt hat, ist jetzt ganz weit weg.

Passiert das hier gerade wirklich?

Kapitel 1

Clara

________________

Die Landstraße schlängelt sich durch die Felder und Schafskoppeln, führt mich über eine kleine Brücke mit rot lackiertem Geländer und vorbei an Feldwegen, die geradewegs in Richtung Ostsee führen. Hier und da zeigt sich abseits der Straße ein glitzernder Streifen Wasser zwischen den Birken. Und über allem liegt eine salzige Meeresbrise, die sich durch das offene Autofenster schleicht.

Ich müsste traurig sein, weil ich männertechnisch wieder mal gescheitert bin. Ja, ich müsste bedauern, dass das mit Julian einfach nicht sein sollte und wir nach fast zwei Jahren einen Schlussstrich gezogen haben – oder besser gesagt ich den Schlussstrich gezogen habe. Doch ich empfinde weder Traurigkeit noch Bedauern, als ich das Ortseingangsschild von Fleesenow hinter mir lasse. Alles, was ich spüre, ist ein wohlig warmes Vertrauen darauf, dass alles gut gehen wird.

Dass ich das Häuschen in dieser kleinen Stadt an der Ostsee einfach so gemietet habe, ohne es vorher live und in Farbe gesehen zu haben, passt eigentlich so gar nicht zu mir. Aber die Sehnsucht, Lüneburg hinter mir zu lassen und damit alle Erinnerungen an die Fehler meines Lebens, war einfach zu groß. Und dass mir zwischen all den Immobilien-Links ausgerechnet dieses wunderschöne Reetdach-Schmuckstück auf die Füße gefallen ist, kann einfach kein Zufall sein. Alles hier schreit danach, mein künftiges Zuhause zu werden: Die rotweiß gestreiften Markisen an den niedlichen Geschäften, die die Hauptstraße säumen. Die kleine Fahne an der örtlichen Eisdiele mit den drei bunten Kugeln darauf. Der Souvenirshop, den ich etwas abseits an einem der Kieselwege sehen kann, die runter zum Strand führen. Blühende Apfel- und Magnolienbäume, die im Augenwinkel an mir vorbeiziehen.

Ich fahre im Schritttempo durch das kleine Örtchen, um kein Detail zu verpassen, sage mir aber im selben Atemzug, dass ich sicher noch mehr als genug Zeit haben werde, mir alles ganz genau anzuschauen. Immerhin wird Fleesenow von jetzt an mein Zuhause sein.

Zuhause. Was für ein schönes Wort. Und doch kommt es mir irgendwie fremd vor. Seitdem sich meine Eltern vor drei Jahren haben scheiden lassen und ihr Haus verkauft haben, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, fühle ich mich ein wenig verloren. Als wäre mit ihrem Umzug auch ein Stück meiner Heimat abhandengekommen.

Ist das albern?

Vielleicht. Oder hat meine Heimat bereits ein kleines bisschen aufgehört, meine Heimat zu sein, als mein Bruder Yannik vor vier Jahren nach Hamburg gezogen ist?

Doch all diese Gedanken schiebe ich weg, je mehr ich mich dem Dünenweg nähere. Dünenweg Nummer 3, um ganz genau zu sein.

In dreihundert Metern rechts abbiegen«, erklärt mir mein Handy, das vor mir in der Halterung meines Autos hängt.

Dreihundert Meter, die mich von meiner Zukunft trennen. Dreihundert Meter, in denen sich ein gewisses Bauchkribbeln in mir ausbreitet. Wie wird es mir hier ergehen? Werde ich schnell Anschluss finden? Oder genieße ich einfach eine Weile das Alleinsein, indem ich mehr oder weniger mein eigenes Ding durchziehe? Immerhin habe ich als Autorin die Möglichkeit, von überall aus zu arbeiten – und endlich nutze ich diesen Umstand aus, um meine Bücher künftig an der schönen Ostsee zu schreiben.

Da ist es endlich, das kleine weiße Reetdachhäuschen mit dem blauen Gartenzaun davor, hinter dem die weißen Köpfe unzähliger Margeriten hervorragen. »Das Tor steht offen«, hatte mir die Vermieterin Frau Glaser am Telefon gesagt. Und sie hat recht: Das Tor zur Einfahrt steht offen und ist gerade breit genug für meinen Wagen, den ich schließlich auf dem Rasen neben dem Haus zum Stehen bringe.

Aus dem Instinkt heraus, so schnell wie möglich das neue Heim zu begutachten, steige ich sofort aus. Es wirkt so, als würde mich eine ganze Schar aufgeregt zwitschernder Vögel höchstpersönlich begrüßen. Vom prächtig blühenden Apfelbaum neben dem Haus, vom Vorgarten hinter dem Gartenzaun – sie scheinen von überall her nach mir zu rufen.

»Oh, Sie sind ja schon da!«, höre ich eine Frauenstimme rufen. Erst im zweiten Moment sehe ich, woher sie kommt. Eine ältere Dame mit modernem Kurzhaarschnitt und gelbem Kleid kommt aus der Hintertür zu meinem Wagen. Das muss Frau Glaser sein.

»Ja, ich bin gut durchgekommen«, rufe ich zurück und gehe lächelnd auf sie zu.

»Ach, kommen Sie, Kind.« Sie nimmt mich wie selbstverständlich in den Arm. »Hören wir am besten gleich mit dem blöden Gesieze auf. Hier in Fleesenow duzt man sich. Ich bin Gerda.«

»Ähm, ich bin Clara«, antworte ich, während ich versuche, mich so gelassen wie möglich zu geben.

»Dann herzlich willkommen in deinem neuen Zuhause, liebe Clara.« Gerda löst sich wieder von mir. »Ich bin so froh, dass ich mein Schmuckstück in liebevolle Hände abgeben kann. Zu wissen, dass du von nun an hier wohnen wirst, bedeutet mir viel. Eine junge Frau, die in der Blüte ihres Lebens steht. Das tröstet mich ein bisschen über den Abschied hinweg.«

»Abschied?«

»Na ja, für mich allein wurde das mit dem Haus auf Dauer einfach zu viel. Ich werde dieses Jahr 70 und möchte kürzertreten. Ich habe jetzt eine niedliche kleine Wohnung im Haus meines Sohnes, da kann ich auch viel besser für meine Enkelkinder da sein.«

»Verstehe. Bleiben Sie … ähm … ich meine, bleibst du denn hier im Ort?«

»Aber sicher«, winkt sie ab. »Keine zehn Pferde würden mich jemals aus Fleesenow wegbekommen.«

Ich lächele, weil mir keine passende Antwort einfällt.

»So.« Sie nimmt mich bei der Hand. »Und jetzt zeige ich dir erst mal alles.«

Die Vertrautheit, mit der sie mich begrüßt, ist verwirrend und angenehm zugleich, weil sie mir damit sofort alle Hemmungen nimmt. So, als wäre ich bereits nach wenigen Sekunden als neue Einwohnerin integriert, ohne irgendetwas dafür getan zu haben.

»Die vordere Haustür nutze ich eigentlich nur für den Postboten«, lacht sie, während wir das Haus durch den Hintereingang betreten. »Mein Besuch kommt generell durch die Hintertür. Wird bei dir sicher genauso sein, wenn du erst mal die ersten Freundschaften geschlossen hast. Und wer hier wohnt, schließt automatisch Freundschaften. Altes Fleesenower Gesetz.«

Ich folge ihr schweigend, während ich darüber nachdenke, ob ich wirklich so schnell Bekanntschaften, geschweige denn Freundschaften schließen werde. Eigentlich steht mir gerade viel mehr der Sinn nach Ruhe und Abgeschiedenheit, um die neuen Reize ganz ungefiltert auf mich einwirken zu lassen.

Wir sind sofort in der hübschen, lichtdurchfluteten Küche mit den schneeweißen Möbeln im Landhausstil. Von Fotos kenne ich diesen Raum bereits, doch jetzt, wo ich leibhaftig darin stehe, muss ich erst einmal schlucken.

Auf dem runden weißen Holztisch steht eine blaue Keramikvase mit Margeriten darin. Die vier umstehenden Stühle passen mit ihren blauen Sitzpolstern perfekt dazu. Ebenso wie die blauen Töpfe und Kellen an dem Hängeregal neben dem Herd.

»Oh mein Gott«, seufze ich lächelnd, »das alles ist so wunderschön. Aber … brauchst du die Töpfe und das alles nicht selbst?«

»Nein nein«, winkt sie ab. »Ich habe mehr als genug in der neuen Wohnung. Das, was du hier siehst, sind nur die Reste meiner Sachen. Aber dass ich das Haus möbliert vermiete, wusstest du doch.« Sie legt die Hand an meinen Unterarm. »Oder?«

»Ähm, ja, stimmt. Das wusste ich.« Ich räuspere mich. »Aber wenn ich das alles live und in Farbe sehe, ist es einfach noch überwältigender.«

»Doch wohl hoffentlich im positiven Sinne?« Gerda lacht.

»Natürlich.« Ich berühre eine der Margeriten mit der Fingerspitze. »Es rührt mich einfach, wie liebevoll alles hergerichtet ist. Die Blumen, die Einrichtung.«

»Und dabei hast du erst ein Zimmer gesehen«, winkt Gerda ab. »Komm, ich zeige dir das Wohnzimmer.«

An der Treppe vorbei gehen wir ins nächste Zimmer, wo ein cremefarbenes Leinensofa mit blauen Kissen sofort meinen Blick einnimmt. Auch dieses Schmuckstück kenne ich bereits von Bildern, und doch wirkt alles viel intensiver, jetzt, wo ich hier bin.

»Ach, wie schön.« Ich lege die Hand auf meine Brust. »Ich glaube, hier werde ich mich ganz besonders wohlfühlen.«

»Den Fernseher musst du dir erst besorgen«, seufzt Gerda. »Aber das hatte ich dir ja schon am Telefon gesagt.«

»Natürlich muss ich das. Dass du mir sogar den zur Verfügung stellst, wäre wohl ein bisschen viel verlangt.« Ich lache. »Außerdem komme ich wohl sowieso so schnell nicht dazu, irgendwelche Serien zu schauen. Ich habe viel zu tun, muss dringend an meinem aktuellen Manuskript weiterarbeiten. Die Umzugsvorbereitungen haben dann doch mehr Zeit geschluckt, als ich dachte.«

»Ach ja, das Manuskript.« Gerda wirkt beeindruckt. »Wir haben ja jetzt eine echte Schriftstellerin im Ort. Das ist so zauberhaft. Sicherlich wird sich auch mal so etwas wie eine Lesung ergeben, oder? Vielleicht direkt an der Strandpromenade oder so.«

»Ähm«, ich ringe mir ein Lächeln ab, »darüber habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht nachgedacht. Meinen Sie … ich meine … meinst du, dass da überhaupt Interesse bestünde? Also, in der Bevölkerung?«

»Aber sicher doch.« Sie tätschelt meine Hand. »Wir bekommen es hier nicht so oft mit Autoren zu tun. So etwas ist einfach sehr aufregend für alle.« Sie verlässt das Wohnzimmer wieder und geht zur Treppe. »Außerdem schreibst du wirklich ganz ausgezeichnet, Liebes. Geradezu malerisch.«

Während ich ihr nach oben folge, hallen ihre Worte noch eine Weile nach.

»Du hast etwas von mir gelesen?«, frage ich verwirrt.

»Oh, na, sicher habe ich das.« Oben angekommen dreht sie sich zu mir um und greift nach meinen Händen. »Und wenn ich ehrlich sein soll, hat das auch den entscheidenden Ausschlag gegeben, das Haus an dich zu vermieten und nicht an diesen hochnäsigen Geschäftsmann, der es ursprünglich haben wollte. Als ich ‚Inselsterne verglühen nicht‘ gelesen habe, wusste ich einfach, dass du die Richtige für mein Haus bist.«

Insgeheim muss ich grinsen, weil mir tatsächlich eines meiner Bücher dabei geholfen hat, den Mietvertrag zu bekommen. Aber es erfüllt mich gewissermaßen auch mit Stolz.

»So, dann komm mal mit.« Gerda macht eine flüchtige Handbewegung. »Das Wichtigste kommt nämlich erst hier oben.« Sie geht einen Schritt bis zur offenen Tür des ersten Zimmers und nickt ins Rauminnere. »Darf ich vorstellen?

Zögerlich setze ich einen Fuß in das Zimmer. Als erstes fällt mir das breite Holzbett auf, das sogar frisch bezogen ist.

»Du hast sogar das Bett bezogen?«, frage ich erstaunt. »Aber das hier ist kein Hotel. Das wäre doch nun wirklich nicht nötig gewesen.«

»Ja, ich weiß. Die Bezüge sind nicht gerade die modernsten, aber ich wollte eben, dass du dich an deinem ersten Tag nicht mit solchen Dingen herumplagen musst.«

»Die Bezüge sind toll. Ich liebe die kleinen Gänseblümchen darauf.« Ich lächele gerührt. »Und all die Mühe, obwohl du mich gar nicht kennst.«

»Ich wollte es eben so.« Wieder tätschelt sie meine Schulter auf diese ganz spezielle mütterliche Weise. »Außerdem hat es mir auch viel Freude gemacht, alles für dich vorzubereiten.«

»Ich weiß noch immer nicht so recht, was ich sagen soll.« Ich gehe am breiten Kleiderschrank vorbei zum Fenster. Von hier aus kann man direkt zum Meer schauen. Ein unverstellter Blick über Apfel- und Kirschbäume hinweg, bei dem mir ganz warm ums Herz wird.

Aus einem Instinkt heraus, den ich selbst nicht so ganz durchschaue, schiebe ich die himmelblauen Vorhänge zur Seite und öffne das Fenster. Meine Augen fallen wie von selbst zu, während ich einen tiefen Atemzug nehme. Die intensive Meeresbrise wird zum Teil von mir und hüllt mich regelrecht mit Leben aus. In diesen wenigen Sekunden fühle ich mich zum ersten Mal seit Langem wieder so richtig lebendig.

»Tolle Aussicht, oder?«, höre ich Gerda hinter mir sagen.

»Ein Traum.« Ich öffne die Augen wieder und stütze mich mit den Händen auf den Fensterrahmen. »Ich hatte ja schon vorher ein bisschen über Fleesenow recherchiert, aber wenn man dann persönlich vor Ort ist, ist es doch noch mal etwas anderes. Ich kann es kaum erwarten, hier an meinem Buch zu arbeiten. Dieses Haus, der ganze Ort, sind voller Inspirationen.«

In diesem Augenblick perfekter Idylle vibriert es plötzlich in meiner Hosentasche.

»Oh, das ist meins.« Lachend nehme ich das Handy heraus und sehe Kristens Namen auf dem Display. »Hey Kristy, ist es dringend?«

»Was ist denn das für eine Frage?«, lacht sie am anderen Ende. »Klingt ja so, als wärst du gerade in einem Business-Meeting.«

»Na ja, so ähnlich«, antworte ich. »Ich bin gerade mit der Vermieterin im Haus und schaue mir alles an. Kann ich dich später zurückrufen?«

»Oh, dann ist meine Frage ja schon beantwortet«, jubelt sie. »Du bist heil angekommen. Ach, wie schön. Es ist alles so aufregend. Und Julian ärgert sich gerade den Arsch ab, weil er nicht weiß, wo du bist und …«

»Moment mal … Julian? Du hast mit ihm gesprochen?«

»Ach, er schickt mir ständig Nachrichten und fragt, ob ich weiß, wo du jetzt wohnst. Ich glaube, er denkt, dass ich dich unter meinem Bett verstecke.« Sie kichert mädchenhaft. »Wenn der wüsste, wie weit er von der Wahrheit entfernt ist.«

»Ähm, wie auch immer. Wir reden später weiter, ja?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, lege ich auf, weil ich genau weiß, dass man Kristy anders nicht zum Schweigen bringt. Und in Gerdas Gegenwart ewig am Telefon zu hängen, wäre einfach unhöflich.

»Tut mir leid.« Mit entschuldigendem Lächeln schiebe ich das Handy zurück in die Hosentasche. »Ich glaube, meine Freundin ist aufgeregter wegen meines Umzugs als ich. Sie kann es kaum erwarten, mich hier zu besuchen.«

»Das kann ich gut verstehen.« Gerda bewegt sich in Richtung Tür. »Leider habe ich jetzt keine Zeit mehr, dir alles zu zeigen. Ich muss gleich zu meinem Töpferkurs. Aber wenn du magst, komme ich später noch mal vorbei.«

»Ach, das ist wirklich nicht nötig«, winke ich ab. »Ich finde mich schon zurecht. Vielen Dank.«

Gerda nickt mir freundlich zu, doch ich kann förmlich sehen, wie die Gedanken hinter ihrer Stirn rotieren. Ob sie auch eine von denen ist, die sich ganz bestimmte Fragen stellen? Fragen wie: Was macht eine 31jährige Frau denn ganz allein hier? Hat sie keinen Mann? Möchte sie denn keine Kinder? Ist ihr der Beruf, die eigene Karriere, etwa wichtiger als die Familie?

Wie oft musste ich mir ähnliche Kommentare schon von Verwandten oder Bekannten anhören, als sie erfahren haben, dass ich ganz allein ans Meer ziehe? Und wie oft musste ich mich zusammenreißen, um nicht ausfallend zu werden? Aber warum genau habe ich es mir eigentlich nicht erlaubt, ausfallend zu werden?

»Ich bringe dich noch runter«, schlage ich vor. Ein beiläufiger Kommentar, bei dem mich sofort ein warmes Gefühl durchströmt.

Ich bringe dich noch runter. Das klingt so, als wäre ich schon wirklich zu Hause hier und Gerda ein ganz normaler Gast, den ich zur Tür begleite.

»Dieser Julian«, sagt sie, als wir das Erdgeschoss erreichen, »ist er der Grund, warum du einen Neuanfang wagst?«

Im ersten Moment irritiert mich ihre Frage. Wie kommt sie darauf? Immerhin habe ich eben am Telefon lediglich einmal seinen Namen erwähnt. Oder hat sie auch gehört, was Kristy gesagt hat?

Während ich noch darüber nachdenke, was ich ihr antworte, fährt sie sich selbst mit der Hand über den Mund.

»Oh je«, seufzt sie. »Tut mir leid, dass ich schon wieder so neugierig bin. Eine meiner größten Schwächen. Aber wenn so eine hübsche junge Frau allein hier einzieht, fragt man sich natürlich …«

»… ob sie keinen Mann abbekommen hat«, fahre ich mit hochgezogenen Augenbrauen fort, grinse aber dennoch. Gerda ist jemand, dem man nicht wirklich böse sein kann.

»Um Himmelswillen, nein. Du wärst nun wirklich die Letzte, bei der ich glauben würde, dass sie keinen Mann abkriegt.« Ihre Wangen bekommen einen rosigen Hauch. »Man macht sich halt so seine Gedanken. Aber das steht mir natürlich nicht zu.« Sie geht durch die Seitentür in der Küche, um zur vorderen Haustür zu gelangen. Ich folge ihr in die kleine Veranda, deren einzige Möbel ein kleiner Schuhschrank mit Spiegel und eine Rattanbank unter dem Fenster sind.

»Schon okay«, sage ich schließlich, als Gerda sich selbst die Tür öffnet. »Es ist ja kein Geheimnis: Julian und ich haben uns vor kurzem getrennt. Und ja, er ist einer der Gründe für meinen Neuanfang, aber nicht der einzige. Die Zeit war einfach reif dafür, sich endlich einmal langgehegte Träume zu erfüllen. Ich wollte eben schon immer am Meer leben. Und irgendwann kam dann der Tag, an dem ich mich gefragt habe: Wann, wenn nicht jetzt?« Ich halte einen Moment inne, die Hand noch auf der Türklinke liegend. »Ich habe diese Pläne vom eigenen Haus am Meer immer davon abhängig gemacht, den richtigen Mann zu finden, eine Familie zu gründen – das ganze Paket eben. Aber dann wurde mir klar: Ich muss nicht warten. Ich kann mir zumindest einen Teil des Traums jetzt schon erfüllen. Auch wenn es nicht mein eigenes Haus ist, fühlt es sich trotzdem so an, als hätte ich endlich Nägel mit Köpfen gemacht.«

»Ach, Liebes«, Gerda legt die Hand auf den Brustkorb, »das hast du wirklich wundervoll gesagt. Ich habe eine Gänsehaut. Und du hast völlig recht«, sie nimmt schon wieder meine Hände, »wir brauchen keine Männer, um uns unsere Träume zu erfüllen. Meinen Mann, die treuloseste Gestalt, die auf Mutter Erde umherwandelt, habe ich schon vor vielen Jahren vor die Tür gesetzt. Und habe ich seitdem etwas vermisst? Nicht eine Sekunde.«

In ihren Augen kann ich sehen, dass sie die Wahrheit sagt. Ja, sie scheint es tatsächlich so zu empfinden. Aber deswegen gleich der ganzen Männerwelt abschwören? Nein, so weit bin ich nicht. Und wenn, dann nur für ein Weilchen. Ja – »ein Weilchen« klingt gut. Hier und jetzt sollte es nur um mich gehen. Um mich, meine Arbeit und meine neue Heimat.

»Ich weiß gar nicht, wie ich dir für alles danken soll«, verabschiede ich mich lächelnd.

»Du dankst mir doch monatlich mit deiner Überweisung für die Miete«, winkt sie lachend ab.

»Ja, das schon, aber …«

»Nichts aber«, sie zwinkert mir zu, »das größte Geschenk für mich ist die Gewissheit, dass mein Haus in guten Händen ist. Und wenn ich dich vielleicht ab und zu besuchen darf, dann …«

»Aber sicher.«

»Keine Sorge, ich werde dir nicht täglich auf die Nerven gehen.«

Bevor ich darauf etwas sagen kann, entfernt sie sich in Richtung Gartentor. Als sie es durchquert und wieder hinter sich schließt, winkt sie mir noch einmal zu und wirkt dabei fast ein wenig wehmütig. Kann man es ihr verdenken? Mir wäre sicher auch schwer ums Herz, wenn ich dieses wunderschöne Haus verlassen müsste.

»Bis bald«, rufe ich ihr hinterher.

Als ich zurück ins Haus gehe, wird mir bewusst, dass sie mir gar keinen Schlüssel gegeben hat. Doch als ich in die Küche komme, sehe ich mehrere Schlüssel nebeneinander platziert auf der Anrichte – darüber jeweils ein Zettel mit Wörtern wie »Haustür« oder »Hintertür« liegend.

Instinktiv greife ich nach einem der Schlüssel und betrachte ihn wie ein Symbol für mein neues Leben. Und ja, vermutlich ist er das sogar. Ein Symbol für meinen Neuanfang in diesem kleinen Städtchen am Meer.

Kapitel 2

Rückblende

Acht Jahre zuvor

Clara

________________

17. August 2016

Ich war heute in Hamburg, um Kian und seine Band zu sehen. Eigentlich hatte ich mir geschworen, zu keinem Konzert mehr zu fahren. Seine Nähe tut mir einfach nicht gut – oder besser gesagt: Die Auswirkungen seiner Nähe tun mir nicht gut, sobald ich wieder zu Hause bin und allein mit meiner Sehnsucht und meinen Gefühlen im Bett liege.

So kann es nicht weitergehen. Ich darf mich nicht länger an ihn verschwenden, wenn ich doch weiß, dass ich ebenso gut unsichtbar sein könnte.

Er sieht mich einfach nicht – zumindest nicht auf die Weise, wie ich ihn sehe. Das zeigt sich bei so vielen Gelegenheiten. Ich wollte es nicht wahrhaben, habe dagegen angekämpft, aber jetzt … jetzt ist etwas passiert, das mir endlich die Augen geöffnet hat.

Früher haben wir uns nach seinen Shows fast immer unterhalten. Er kam noch an die Bar oder so … einige seiner Leute kenne ich ja inzwischen und es war schon selbstverständlich geworden, dass er immer auch zu mir kommt, wenn er mich sieht. Die ganze Zeit über habe ich mir eingeredet, dass er mich anders ansieht als die anderen Leute – vor allem auch als die anderen Frauen. Ja, ich war mir sicher, da ist etwas zwischen uns. Ich konnte es förmlich knistern hören, das Feuer zwischen ihm und mir. Aber er hat nie den Versuch unternommen, mir näherzukommen. Kein einziges Mal.

Ich habe mir eingeredet, dass er – auf seine Weise – zu schüchtern war. Oder dass er seinen Ruhm nicht ausnutzen wollte, um bei mir zu landen.

Aber heute habe ich erkannt, wie albern es war, mir so etwas einzureden. Drei Jahre lang habe ich mein Herz an ihn verschenkt und davon geträumt, dass wir uns irgendwann WIRKLICH nahekommen würden. Drei Jahre, in denen ich andere Kerle nicht mal angesehen habe.

Wie dumm ich doch war. Denn heute nach der Show habe ich ihn von der Bühne gehen sehen – direkt in die Arme einer Blondine.

Im ersten Moment dachte ich noch, sie wären nur Freunde. In der Musikbranche sind ja irgendwie alle ganz dicke miteinander, aber als er sie dann geküsst hat und regelrecht an ihren Lippen kleben blieb, ist für einen Augenblick die Zeit stehen geblieben.

In welcher Traumwelt habe ich mich nur in den letzten drei Jahren bewegt? Was habe ich geglaubt, in seinen Augen zu sehen? War das alles reine Einbildung? Nichts als Illusion?

Noch immer habe ich diesen Kuss vor Augen – er und diese Frau, die ich nie zuvor gesehen habe. Sie scheint schon etwas älter zu sein, bestimmt schon Ende 20. Vielleicht war ich ihm einfach zu jung mit meinen 23? Immerhin wird er nächstes Jahr 30.

Verdammt! Schon wieder rede ich mir irgendwelche Theorien ein, warum er mich nie um ein Date gebeten hat, mich nie nach meiner Nummer gefragt hat. Dabei ist es wahrscheinlich einfach so, dass er nicht auf mich steht. Dass ich mir alles, was ich in seinen Augen gesehen habe, einfach nur eingebildet habe.

Es tut so weh, und gleichzeitig bin ich auch wahnsinnig wütend auf mich selbst, weil ich so viele Jahre an diesen Kerl verschwendet habe.

Ich weiß noch wie heute, als mir Yannik ganz aufgeregt erzählt hat, dass er spontan für einen Kumpel am Bass einspringen soll. Ein Musiker hätte einen Auftritt in Lüneburg und bräuchte dringend einen Bassisten.

Yannik wollte unbedingt, dass ich bei dem Auftritt dabei bin, weil es sein erster größerer Gig war. Ich weiß noch genau, dass ich eigentlich keine Lust hatte, weil ich wusste, dass in der Bar öfter mein Ex auftaucht und dem wollte ich auf keinen Fall begegnen. Denn gerade, wenn der was getrunken hatte, war er echt unausstehlich.

Aber irgendwie ließ ich mich dann doch überreden (oder habe mich selbst überredet), weil es nun mal Yanniks großer Tag war und ich ihn dabei unterstützen wollte – wenn auch nur mit meiner Anwesenheit.

Tja, und der Musiker, bei dem Yannik damals als Bassist einsprang, war Kian.

Ich weiß noch genau, wie er mit seiner Gitarre hinter dem Mikro stand und »Seelenhälfte« sang. Das war der erste Song, den ich von ihm hörte – und der Moment, in dem ich mich hoffnungslos in ihn verliebte. Selbst jetzt klopft mein Herz noch, wenn ich nur daran denke.

Drei Jahre lang habe ich ihn angehimmelt, bin immer wieder zu Konzerten gefahren, selbst als Yannik gar nicht mehr dabei war. Immer unter dem Vorwand (was ja auch ein Teil der Wahrheit war), dass ich seine Musik einfach toll fand, tauchte ich auf vielen seiner Shows auf, und fast immer traf ich ihn danach, weil er oft noch einen Drink nach seinem Auftritt nahm.

Heute sehe ich all die Gespräche, die ich mit ihm geführt habe, mit völlig anderen Augen. Er war einfach nur nett. So nett, wie man es eben zu seinen Fans ist. Und gerade weil er nie der absolute Mega-Star war, waren Gespräche mit ihm einfach eher möglich als mit anderen Musikern.

War das das Problem? Dass ich seine Nähe zu uns Fans falsch gedeutet habe? War ich für ihn immer nur eine von vielen?

Ich möchte nicht mehr darüber nachdenken. Ich will nicht noch mehr Zeit vergeuden, auch wenn es sich für mich nie wie Zeitverschwendung angefühlt hat.

Nein, es war eher wie ein Traum, der nun abrupt zu Ende gegangen ist. Und alles, was gestern noch so echt war, verschwimmt jetzt langsam.

Ich muss endlich erwachsen werden. Und das kann ich nicht mit einer unerfüllten Liebe, die mir die letzte Kraft raubt.

Scheiße, wieso tut es nur so weh? Wird das jemals besser werden?

Kapitel 3

Gegenwart

Am frühen Abend

Clara

________________

Alles hier in Fleesenow ist anders, als ich es kenne. Selbst das Blau des Himmels ist von einer anderen Intensität. Und erst die Luft. Mit jedem Atemzug, den ich nehme, fühle ich mich ein bisschen lebendiger.

Neben einem Reetdachhaus am Rande des Ortes liegt eine weitläufige Koppel, auf der mehrere Kamerunschafe neben einem hölzernen Unterstand grasen. Ein Anblick, bei dem mir sofort warm ums Herz wird.

Ist das ein Lämmchen da hinten neben der Tränke?

Tatsächlich. Ach, wie allerliebst. Unweigerlich bleibe ich am Zaun stehen und beobachte die Tiere, als es plötzlich in meiner Jeansjacke vibriert. Als ich das Handy herausziehe, erscheint Yanniks Name auf dem Display.

»Hey Bruderherz. Wie geht’s dir?«

»Bist du schon da?«

»In Fleesenow? Ja, heute früh angekommen.«

»Und? Wie ist es in der Provinz?«

»In der Provinz? Das klingt ja so abwertend.«

»So habe ich das nicht gemeint. Nur mit Hamburg oder Berlin kann man es sicher nicht vergleichen …«

»Ja, und gerade das finde ich ja so toll. Genau deshalb bin ich hier gelandet. Einfach die perfekte Idylle.« Ich seufze glücklich. »Alles ist so ruhig, so friedlich. Als würde man direkt auf einer Postkarte leben.«

»In der Hinsicht waren wir schon immer unterschiedlich.« Er lacht. »Mir war ja schon Lüneburg immer zu ruhig.«

»Tja, ich mag es so. Fühlt sich an, als wäre ich mitten im Paradies gelandet.«

»Und du fühlst dich nicht einsam, so ganz allein in einem großen Haus?«

»So groß ist das Haus gar nicht. Und nein, ich fühle mich ganz und gar nicht einsam.«

Dass das nur ein Teil der Wahrheit ist, behalte ich dabei für mich. Dafür ist alles einfach noch zu neu, zu fremd, egal, wie wohl ich mich hier fühle.

»Und hast du schon jemanden kennengelernt?«, fragt Yannik.

»Bisher nur meine Vermieterin. Seitdem wir die Hausübergabe hatten, habe ich die gelieferten Kisten ausgepackt, mich ein wenig in den Zimmern umgeschaut. Aber im Grunde war ich nur im Haus und in meinem neuen Garten.« Ich entferne mich langsam wieder von der Schafskoppel. »Jetzt gerade mache ich meinen ersten Spaziergang durch die Stadt.«

»Ach, das Kaff ist eine Stadt? Ich dachte ein Dorf.«

»Hör auf, es Kaff zu nennen.« Wieder entfährt mir ein Seufzen, fast so, als müsste ich meine neue Heimat bereits jetzt verteidigen.

»Tut mir leid. Ich meine das gar nicht so negativ, wie es klingt. Ich mache mir nur so meine Gedanken.«

»Gedanken? Worüber denn?«

»Na, über dich, Clara.« Er klingt besorgt. »Du bist da ganz mutterseelenallein in einer Stadt, wo du niemanden kennst. Ob das wirklich so eine gute Idee war?«

»Ach, dafür liebe ich dich, Yannik. Du strahlst so viel positive Energie und Zuversicht aus.«

»Ich will dir doch gar nicht deine Freude nehmen. Ich will nur, dass du weißt, dass ich für dich da bin. Und dass du jederzeit auch zu mir kommen kannst. Wir haben noch ein Zimmer frei. Das wird nicht mehr lange so sein, aber …«

»Mein wunderschönes neues Heim an der Küste aufgeben, um in einem winzigen WG-Zimmer in Hamburg zu leben? Nicht in tausend Jahren.«

»Aber hier wärst du wenigstens in Gesellschaft.«

»Und wenn schon. Ich werde schon noch Leute kennenlernen. Du kanntest doch selbst kaum jemanden, als du damals nach Hamburg gegangen bist, oder?«

»Ja, stimmt, schon. Aber als Musiker hat man viel eher einen Fuß in der Tür, lernt andere Leute einfach noch schneller kennen.«

»Das ist ja gut und schön für dich, aber mal ehrlich, Yannik: Du schlägst dich gerade so durch, musst als Kellner arbeiten und gleichzeitig Bassunterricht geben, nur um als Musiker über die Runden zu kommen. Ich habe nun mal ganz andere Vorstellungen vom Leben als du. Es geht mir auch gar nicht so sehr darum, so schnell wie möglich Leute kennenzulernen. Ich will einfach zur Ruhe kommen und endlich den perfekten Ort zum Schreiben haben.«

»Hey, ich liebe mein Leben – nächsten Monat habe ich vielleicht die Chance, mit Ricky Mazoone aufzutreten.«

»Ich weiß doch, dass du dir das alles selbst so ausgesucht hast. Ich freue mich ja auch für dich. Aber genauso wünsche ich mir, dass du dich auch für mich freust.« Ich lächele, auch wenn er es nicht sehen kann. »Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich klarkomme, okay? Du hast deine Definition von einem schönen Leben und ich meine. Und so wie ich mir damals um dich keine Sorgen gemacht habe, musst du dir jetzt auch keine um mich machen, okay?«

»Ist ja schon gut, ich sage ja gar nichts mehr. Es ist nur …« Er stockt.

»Was ist?«

»Na ja, Julian hat bei mir angerufen.«

»Nicht dein Ernst!«

»Er wollte wissen, ob du vielleicht bei mir bist.«

»Wie jetzt, er hat auch dich gefragt?«

»Wieso, wen denn noch?«

»Na, Kristy.« Ich atme schwer aus. »Meine Güte, was ist nur mit ihm los, dass er alle möglichen Leute ausfragt? Wir waren uns doch einig, dass eine Trennung für uns beide das Beste ist.«

»Tja, offenbar hat er dir nur was vorgemacht – oder er hat seine Meinung geändert.«

»Du hast ihm doch aber nicht gesagt, wo ich jetzt wohne, oder?«

»Natürlich nicht.«

»Gut.« Ich biege in die Strandpromenade ein und lasse die kleine Eisdiele hinter mir. »Das Letzte, was ich hier gebrauchen kann, ist Julian. Ich will von vorn anfangen, ganz neu, keine Altlasten.«

»Altlasten?« Er macht einen komischen Zischlaut. »So betrachtest du Julian inzwischen? Immerhin wart ihr zwei Jahre zusammen, oder?«

»Er hat mich in allem nur ausgebremst. Ständig hat er meine Schreiberei heruntergespielt und meinen Job nicht ernstgenommen. Ja, er hat es sogar belächelt, wenn ich gesagt habe, dass ich mal einen Abend keine Zeit habe, weil ich mein Buch noch fertigstellen müsste. Er hat nie verstanden, dass ich auch als Selbstständige Termine einhalten muss.«

»Ich wusste gar nicht, dass er so drauf war. Nach außen hin wart ihr doch eigentlich immer sehr liebevoll zueinander.«

»Er war ja auch nicht das totale Arschloch. Er war nur … ach, ich weiß auch nicht … eben nicht der Richtige. Insgeheim war mir das eigentlich immer klar.«

»Aber du warst doch mal so verliebt in ihn.«

»Ja, kann schon sein. Vielleicht habe ich mir das auch nur eingeredet, weil ich es mir so sehr gewünscht habe. Das … na ja … das ganze Paket eben. Der Mann, mit dem ich mal alt werden möchte und …« Ich unterbreche mich selbst mit einem tiefen Atemzug. »Lass uns das Thema wechseln.«

»Ist vielleicht besser. Wo bist du denn jetzt gerade?«

»Ich peile den Strand an. Ich habe einiges über Piets Restaurant gelesen und wollte da heute mal zu Abend essen. Es liegt direkt auf dem Wasser, weißt du?«

»Auf dem Wasser?«

»Na ja, am Ende eines langen Steges und …«, ich bleibe stehen, »… ah, ich glaube, da hinten kann ich es schon sehen. Echt beeindruckend.«

»Was hast du gesagt?«

»Ähm, ich lege mal auf, Yannik. Wir können ja morgen wieder reden, okay? Außerdem hoffe ich, dass du mich bald mal hier besuchen kommst. Dann kann ich dir das sogenannte Kaff mal persönlich zeigen.«

»Kann es kaum erwarten.«

»Bis bald. Hab dich lieb, du Nervensäge.«

»Ich dich auch.«

Als ich aufgelegt und das Handy zurück in meine Jackentasche geschoben habe, atme ich tief durch. Allein für seine idyllische Lage ist dieses Restaurant einen Besuch wert. Und wenn das Essen dort nur halb so gut ist wie überall in den Online-Kritiken geschrieben, ist es sicher eine gute Idee, dort den Abend zu verbringen.

Mit einem warmen Gefühl in der Magengegend nähere ich mich dem kleinen Holzpfad, der zwischen zwei Wildrosenbüschen hinunter zum Strand führt. Dabei überkommt mich mit jedem Schritt mehr und mehr das Gefühl, tatsächlich so etwas wie eine neue Heimat gefunden zu haben.

Oder ist es nur das, was ich mir wünsche?

Kapitel 4

Zur selben Zeit

Kian

________________

Ich müsste froh sein über diesen Job. Dankbar. Ja. Endlich ein festes Einkommen, mit dem ich planen kann. Kein Vermögen, aber eben eine Summe, die ich jeden Monat zuverlässig bekomme.

Doch alles, woran ich denken kann, während meine Finger nach dem richtigen Akkord auf dem Gitarrenhals suchen, ist mein eigenes Scheitern.

Wo ist sie, die große Karriere, die mir von so vielen in Aussicht gestellt wurde? Wo ist der Ruhm, der mir von meinem Manager prophezeit wurde? Und vor allem: Wo ist er, dieser ach so tolle Manager, der plötzlich nicht mehr erreichbar war, weder für mich noch für die anderen Klienten?

All diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich auf einem Barhocker hinter meinem Mikrofon sitze.

Routiniert spiele ich die ersten Akkorde von »Die Seitentasche meines Koffers«. Ein Song, der mir einmal so viel bedeutet hat. Doch jetzt, wo ich ihn hier spiele, habe ich das Gefühl, ihn für mich allein zu singen.

Hin und wieder wandert ein Blick in meine Richtung. Hier und da ein verzücktes Lächeln.

Und wenn schon! Du spielst nicht mehr vor so vielen Leuten wie früher, aber du hast im Gegensatz zu damals viel mehr Sicherheit. Ist es nicht das, was du wolltest? Sicherheit?

Immer wieder versuche ich, mir dieses Mantra einzureden. Und normalerweise funktioniert das auch ganz gut. Aber heute ist einer dieser Tage, an denen es mir nicht so richtig gelingen will.

Liegt es daran, dass der Laden heute nicht so gut besucht ist wie sonst? Oder daran, dass die Gäste ihrem Essen heute mehr Aufmerksamkeit schenken als der Bühne?

Im Augenwinkel nehme ich wahr, wie sich die Tür öffnet und ein weiterer Gast hineinkommt. Keine große Sache. Nichts, das mich sonderlich interessiert. Lediglich die Tatsache, dass es offenbar eine einzelne Person ist, lässt mich dann doch in Richtung Eingang schauen, weil die Leute meistens zu zweit kommen oder in größeren Grüppchen.

Eine junge Frau mit schulterlangen rostbraunen Locken, die ihr weich auf die Schultern fallen, betritt das Restaurant. Ein breites Lächeln zu einem sonnengelben Kleid mit Jeansjacke. Gut sieht sie aus. Warum ist jemand wie sie allein hier? Trifft sie sich hier mit ihrem Date? Mit einem Mann? Oder einer Freundin? Oder ist sie vielleicht …

Plötzlich verstummen sämtliche Fragen in meinem Kopf, während mir allmählich klar wird, dass ich diese Frau kenne. Es ist Jahre her – und doch wird mir von Sekunde zu Sekunde klarer, dass kein Zweifel möglich ist.

Erst jetzt merke ich, dass ich meinen Einsatz verpasst habe. Meine Finger spielen wie von selbst die Akkorde weiter, nur mein Mund bleibt stumm.

Clara.

Sie ist es wirklich.

Kapitel 5

Clara

________________

Das ist es also, das berühmte Restaurant von Piet. Zumindest ist es berühmt hier in Fleesenow. Und sogar Musik gibt es hier.

Ich fühle mich sofort wohl, als ich Gitarrenklänge vernehme und im selben Augenblick realisiere, dass direkt am Fenster noch ein kleiner Tisch frei ist, der förmlich nach mir ruft.

Abendessen mit direktem Meerblick? Klingt einfach perfekt.

Früher kam ich mir blöd dabei vor, allein in ein Restaurant zu gehen, und ganz verschwunden ist dieses Gefühl noch immer nicht. Aber ich schüttele die Zweifel ab, indem ich meine Schultern straffe und den Tisch ansteuere, der nur wenige Meter von der Tür entfernt ist.

Schon von weitem sehe ich die Speisekarte dort liegen und verspüre wie aufs Stichwort ein leichtes Magenknurren. Wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? Eine Banane, die ich noch im Auto hatte. Ja, genau. Und einen Müsliriegel. Ziemlich dürftig für einen ganzen Tag. Höchste Zeit, dass ich endlich etwas esse.

Ich gehe an einem Tisch vorbei, an dem eine etwas betagtere Frau gerade über den Witz ihres Tischpartners lacht. Dabei röten sich ihre Wangen, als wäre sie verlegen – oder einfach nur frisch verliebt? Was für ein schöner Gedanke, sein Herz auch in höherem Alter noch einmal an jemanden zu verschenken.

Dabei muss ich unweigerlich lächeln. Ein Lächeln, das die Frau erwidert, als wüsste sie ganz genau, was ich gerade gedacht habe.

Gedankenverloren ziehe ich den Stuhl an meinem auserkorenen Tisch zurück, als ich plötzlich innehalte. Irgendetwas an der Musik, die aus dem hinteren Bereich des Restaurants kommt, irritiert mich. Die Melodie ist mir fremd, aber die Art, wie der Gitarrist die Saiten spielt, kommt mir irgendwie bekannt vor. Ist das ein alberner Gedanke?

Doch noch ehe ich mir diese Frage selbst beantworten kann, ertönt die Stimme des Sängers.

»Hab die Nacht an dich vergeudet

Dabei warst du gar nicht hier

Hab dich wieder mal geleugnet

Vor mir selbst und auch vor dir«

Auch wenn es fremde Worte sind, ist mir die Stimme so schmerzlich vertraut, dass ich für einen Moment die Luft anhalte. Mein Blick sucht nach der Bühne oder wo auch immer die Musik herkommt – und da sehe ich das kleine Podest neben der Bar. Eine hölzerne Anhöhe mit einem Barhocker darauf, auf dem ein Gitarrist sitzt, vor ihm ein Mikrofonständer.

Er singt weiter, den Blick in meine Richtung gehend, während die Zeit für einen Moment stillsteht.

Kian.

Kein Zweifel, er ist es. Hier in Fleesenow. Einem Örtchen, von dem ich nie zuvor gehört habe. Und ausgerechnet hier laufe ich dem Mann über den Weg, der mir so viele tränenreiche Nächte beschert hat?

Ich dachte, dass ich diese Gefühle hinter mir gelassen hätte. Dass ich aus dem jahrelangen Herzschmerz herausgewachsen wäre. Doch in diesen wenigen Sekundenbruchteilen, in denen wir einander anschauen, wird mir klar, dass ich mir nur selbst etwas vorgemacht habe.

Oder ist mein Hals nur so trocken, weil die Luft hier drinnen so stickig ist? Sind meine Hände nur deshalb so feucht, weil es im Restaurant zu warm ist?

Ich lasse mich auf den Stuhl fallen, bin aber unfähig, den Blick von Kian abzuwenden, während er einfach weitersingt.

»Alles, was mich noch an dich erinnert

Passt in die Seitentasche meines Koffers«

Oh mein Gott, was für ein verrückter Wink des Schicksals ist das, bitte? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, ausgerechnet ihn hier zu treffen?

Noch nervöser macht mich allerdings die Tatsache, dass er mich offenbar auch entdeckt hat, denn sein Blick wandert immer wieder in meine Richtung. Doch dabei lässt er sich nichts anmerken.

Ist er ebenso überrascht? Freut er sich, mich zu sehen? Was geht ihm durch den Kopf?

»Hallo, kann ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?«

Die Frage erwischt mich unerwartet. Ich habe die Kellnerin nicht mal kommen sehen, dabei steht sie nun direkt neben meinem Tisch.

»Ähm, ein Wasser, bitte«, sage ich, weil es das Erste ist, das mir einfällt.

»Gern.« Die zierliche Blondine lächelt freundlich. »Hier ist die Karte. Dann können Sie schon mal schauen.«

»Danke.«

Doch ich bin unfähig, die Speisekarte aufzuschlagen, geschweige denn überhaupt ans Essen zu denken. Alles, was mir durch den Kopf geht, ist die Frage, wie das alles überhaupt möglich ist. Und was, verdammt noch mal, will mir das Schicksal damit sagen?

Kian. Nach all den Jahren. Ich kann es noch immer nicht glauben.

Und wenn schon! Du bist hier, um einen Neuanfang zu wagen. Du willst nach vorn schauen und dich nicht mehr mit der Vergangenheit quälen! Also, jetzt reiß dich zusammen und bestell etwas zu essen. Genau deshalb bist du schließlich hier.

Ich zwinge mich, den Blick von Kian abzuwenden und mich auf den eigentlichen Grund für meine Anwesenheit zu konzentrieren. Doch mir einzureden, dass ich ihn ausblenden könnte, ist einfach nur albern.

Widerwillig schaue ich erneut auf und stelle fest, dass auch er wieder – oder immer noch? – in meine Richtung sieht. Allein sein Blick bringt mein Herz selbst nach all den Jahren noch zum Rasen. Und seine eindringliche Stimme dazu …

Oh mein Gott! Das muss einfach Schicksal sein. Was sonst sollte uns wieder zusammengeführt haben?

Kapitel 6

Kian

________________

Ich weiß nicht genau, wie ich den Song halbwegs richtig zustande bekommen habe. Habe ich den Text vollständig wiedergegeben oder irgendetwas vergessen?

Ich weiß es nicht wirklich, denn die Verwirrung ist einfach zu groß. Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass ich sie wiedersehe. Beinahe hätte ich sie nicht erkannt. Sie sieht einerseits genauso aus wie damals – und doch komplett anders. Viel erwachsener, reifer und selbstbewusster.

Ich bin unsicher, was genau ich tun soll, doch die Neugier ist einfach zu groß. Von der Bühne aus kann ich sehen, wie sie mit der offenen Speisekarte dasitzt. Hin und wieder schaut sie in meine Richtung, senkt jedoch kurz darauf immer wieder den Blick, als hätte ich sie bei irgendetwas ertappt.

In genau diesem Moment kommt Piet durch die Schwingtür aus der Küche.

»Hey«, er klopft mir auf die Schulter, »alles klar?«

»Ähm, ist es okay, wenn ich eine kurze Pause mache?«

»Klar.« Er lacht. »Weißt du doch. Du bist für die Musik da, ja – aber du bist ein Mensch, keine Juke-Box.«

Ohne weitere Worte geht er zum Tresen und beugt sich herunter. Offenbar kontrolliert er irgendwelche Flaschen oder ähnliches und ist dabei so entspannt wie immer.

Ja, ich habe echt Glück mit meinem Boss. Das Geld wird mich nicht gerade reich machen, aber dafür sind die Arbeitsbedingungen nicht die schlechtesten. Und die Tatsache, dass er mir immer wieder versichert, ein noch volleres Haus zu haben, seitdem ich hier für die musikalische Untermalung sorge, tut ihr übriges.

Ich stelle die Gitarre zurück in ihre Halterung und verlasse das Podest. Den Blick immer wieder zu den freundlich lächelnden Gästen gerichtet, bewege ich mich langsam auf Claras Tisch zu, ohne zu wissen, was genau ich eigentlich sagen möchte.

Es ist seltsam, sie hier zu sehen. Aber hätte ich nicht darauf vorbereitet sein müssen? War mir nicht klar, dass das irgendwann geschehen würde? Dass wir uns wiedersehen würden?

Nein. Ebenso gut hätte es sein können, dass wir uns nie wieder begegnen. Oder?

Ich atme tief ein und wieder aus, als ich endlich ihren Tisch erreiche.

»Clara«, sage ich lächelnd, »es ist Ewigkeiten her.«

»Kian«, sagt sie mit einer Stimme, die mir fremd und vertraut zugleich ist. »Verrückt, wie klein die Welt ist.«

Sie steht auf und wir umarmen uns etwas ungeschickt. Dabei nehme ich den Duft ihres Haars wahr. Eine Mischung aus Vanille und Rosen.

»Ja«, antworte ich verwirrt, »verrückt. Wirklich verr…«

Meine Stimme versagt für einen Moment, weil ich noch immer nicht verstanden habe, was genau hier vor sich geht. Sie ist wirklich hier, nach all den Jahren. Und wir reden so normal miteinander, als wäre seit damals kein einziger Tag vergangen.

Kapitel 7

Clara

________________

Verdammt. Er sieht nach acht Jahren sogar noch besser aus als damals. An den Augen hat er mittlerweile kleine Falten, die ihn jedoch noch interessanter aussehen lassen.

Wie alt ist er jetzt? 37, oder?

Ja, er müsste 37 sein.

Sein dunkles Haar trägt er voller als damals, dazu einen dichten Bart, der etwas aus dem Drei-Tage-Status herausgewachsen ist, ihm aber irgendwie etwas ziemlich Verwegenes gibt.

Die oberen zwei Knöpfe seines weißen Leinenhemdes trägt er offen und gibt damit den Ansatz seiner Brust frei.

Trainiert er? Er sieht sportlicher aus als früher.

Oh mein Gott, hör auf, ihn so anzustarren! Wirst du etwa gerade rot? Reiß dich zusammen, zum Teufel noch mal!

»Ich kann es noch immer kaum glauben.« Nur widerwillig nehme ich wieder die Hände von ihm und trete einen Schritt zurück. »Und das alles an meinem allerersten Tag hier.«

»Dein erster Tag?«, fragt Kian.

»Ja. Ich habe ein kleines Haus hier gemietet und bin vorhin erst eingezogen.«

Er sieht mich mit halboffenem Mund an, schweigt jedoch. Ihn überrascht unsere Begegnung offenbar genauso sehr wie mich.

»Ähm«, beginnt er schließlich, »ich … ich weiß nicht so wirklich, was ich sagen soll.«

Ist er etwa gerade nervös? Nervös wegen mir?

Mein Herz klopft bis zum Hals allein beim Gedanken daran, dass er mich genauso vermisst hat wie ich ihn. Habe ich mir das Knistern zwischen uns damals also doch nicht eingebildet? Oder brauchte er erst ein paar Jahre ohne mich, um zu verstehen, was er an mir hatte?

»Du kannst alles sagen.« Ich spiele mit einer Haarsträhne, um meine eigene Unsicherheit zu verbergen. »Ich weiß es zu schätzen, wenn Menschen nicht groß darüber nachdenken, was sie sagen dürfen und was nicht. Offenheit ist irgendwie das Wichtigste, findest du nicht?«

Meine eigenen Worte hören sich wie die einer Fremden an. Und klingt meine Stimme nicht auch irgendwie schriller als sonst?

»Na ja«, fährt er schließlich fort. »Ich wundere mich nur gerade etwas.«

»Tja, wem sagst du das? Wer rechnet schon damit, dass wir uns ausgerechnet hier wiedersehen?«

»Ähm, genau das meine ich …« Er räuspert sich. »Damals hast du von einem Tag auf den anderen aufgehört, zu meinen Shows zu kommen. Und jetzt mietest du nach all den Jahren auf einmal ein Haus in dieser kleinen Stadt an, nur um in meiner Nähe zu sein? Das … das ist nicht gesund, Clara. Keine Frau sollte so etwas für einen Mann tun, es sei denn, sie sind ein Paar. Und ich verstehe es ehrlich gesagt auch nicht. Du warst so lange weg. Was ist passiert? Und woher kommt plötzlich wieder diese Fixierung auf mich?«

»Fixierung?«, wiederhole ich mit apathischem Blick, krampfhaft darum bemüht, das Chaos in meinem Kopf in den Griff zu bekommen.

»Ich dachte, du hättest all das hinter dir gelassen«, fährt er fort. »All deine Gefühle für mich, diese ganze Schwärmerei.«

Ich starre ihn regelrecht an, bin jedoch unfähig, etwas zu sagen.

»Sorry, wenn ich das frage«, fährt er fort, »aber hast du jetzt vor, jeden Abend in Piets Restaurant zu essen, nur weil ich hier Musik mache?«

Seine Worte hallen noch eine Weile nach, während ich versuche, ihre Bedeutung zu verinnerlichen.

Hat er gerade ernsthaft behauptet, dass ich wegen ihm hier bin? Dass ich das Haus in Fleesenow nur deshalb angemietet habe, weil er hier Musik macht? Die Erkenntnis, dass er offenbar als wiederkehrender Musiker hier arbeitet, nehme ich dabei nur unterschwellig wahr, weil ich viel zu entsetzt über seine Behauptung bin.

»Moment mal«, antworte ich schließlich stockend, »glaubst du wirklich, dass ich wegen dir hier bin? Das … das kann unmöglich dein Ernst sein!«

»Na ja …« Er verzieht die Mundwinkel.

»Ich hatte keine Ahnung, dass ich dich hier treffen würde«, antworte ich entsetzt. »Ich wollte einfach nur etwas essen, weil ich so viel Gutes über den Laden gelesen habe.«

»Hör zu, Clara.« Er atmet schwer aus und ringt sich dabei ein mitleidiges Lächeln ab. »Ich kann ja verstehen, dass es dir unangenehm ist, das zuzugeben. Und ich weiß nicht, was passiert ist, dass ich nach all den Jahren plötzlich wieder auf deinem Radar bin. Aber sich extra ein Haus anzumieten, nur um eine zufällige Begegnung zu inszenieren, ist schon ein wenig übertrieben, oder? Das hat schon einen Hauch von …«

»Inszenieren?«, unterbreche ich ihn. »Du glaubst, ich hätte diese Begegnung inszeniert?«

»Na ja, was würdest du an meiner Stelle denken? Immerhin warst du früher auf fast jedem meiner Konzerte. Ich habe dich unzählige Male von der Bühne aus gesehen und ebenso oft nach den Shows. Du warst irgendwie immer da. Und das lag sicher nicht daran, dass dir meine Gitarre so gut gefallen hat.« Er grinst. »Und jetzt sehe ich dich auf einmal wieder von der Bühne aus. Da ist es doch nur logisch, dass ich zwei und zwei zusammenzähle. Wie genau du davon erfahren hast, dass ich nun hier arbeite, weiß ich zwar nicht. Aber mittlerweile bin ich fast ein Jahr hier. Möglicherweise hast du ein wenig recherchiert und …«

»Sag mal, geht’s noch?«, falle ich ihm wütend ins Wort, während ich die allerletzten Hemmungen verliere. »Offenbar meinst du diesen Blödsinn tatsächlich ernst.«

»Ähm, ich …«

»Nein, jetzt hörst du mir mal zu.« Ich fuchtele aufgebracht mit den Händen. »Du willst es ganz genau wissen? Ja, ich war verknallt in dich, Kian. Ich war beeindruckt von deinem Talent, deinen Songtexten, deiner Stimme, deiner Ausstrahlung. Offenbar habe ich etwas in dir gesehen, das im Grunde nichts mit der Realität zu tun hatte. Aber damals war ich zu blind, um das zu erkennen. Ich war eben jung, verknallt und ein bisschen neben der Spur. Und was hast du gemacht?« Ich werde lauter. »Hast mir Hoffnungen gemacht, indem du ständig mit mir geflirtet hast. Dabei hattest du keinerlei ernste Absichten. Vermutlich hast du dich hinter der Bühne mit deinen Kumpels über mich kaputtgelacht.«

»Nein, so war das nicht.« Er kratzt sich am Hinterkopf. »Ich mochte dich, Clara. Wirklich. Aber …«

»Weißt du was? Es ist mir scheißegal, was du zu sagen hast. Es hat keinerlei Bedeutung mehr für mich.« Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche und nehme einen Fünf-Euro-Schein aus der Hülle. Wütend schiebe ich das Geld unter das Wasserglas.

»Was hast du vor?«, fragt er verwirrt.

»Was ich vorhabe?« Ich lache zynisch. »Na, wonach sieht‘s denn aus? Ich gehe wieder. Ich bin hergekommen, um in Ruhe zu Abend zu essen. Aber der Appetit ist mir jetzt echt vergangen.«

So vieles, das ich ihm an den Kopf knallen möchte, aber ich bin zu aufgebracht, um meine eigenen Gedanken zu sortieren. Also wende ich mich von ihm ab, fest entschlossen, das Restaurant wieder zu verlassen. Doch dann packt mich die Wut erneut mit ganzer Wucht.

»Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich mir in den letzten Jahren erarbeitet habe?«, fauche ich, während ich mich wieder zu ihm umdrehe. »Ich habe mir mit meinen Büchern eine echte Stammleserschaft aufgebaut. Treue Leser, die sich auf jedes neue Buch freuen.«

»Bücher?«, wiederholt er verwirrt.

»Ja, Kian, Bücher! Ich bin nämlich Autorin, weißt du?« Wieder entfährt mir ein zynisches Lachen. »Aber natürlich weißt du das NICHT. Was für eine überflüssige Frage. Das würde ja bedeuten, dass du dich ausnahmsweise für jemand anderen interessieren müsstest als für dich selbst.« Ich presse die Faust auf meinen Brustkorb. »Ja, ich bin Autorin, und zwar eine sehr erfolgreiche. So erfolgreich, dass ich meinen Bürojob an den Nagel hängen konnte. Mittlerweile lebe ich vom Schreiben und kann es mir sogar leisten, in einem wunderschönen Haus am Meer zu leben. Das hier sollte ein Neuanfang sein, damit ich in perfekter Umgebung an meinen Manuskripten arbeiten kann. Was sich das Schicksal dabei gedacht hat, dass ich ausgerechnet dir hier über den Weg laufe, weiß ich nicht.« Ich hebe abschätzig das Kinn. »Aber eins weiß ich genau: In diesem Restaurant werde ich ganz bestimmt nicht essen. Ich habe nämlich Besseres zu tun, als mich mit einem selbstverliebten Möchtegern-Star zu unterhalten, dessen beste Zeiten lange vorbei sind.« Mein Blick wandert zu einem jungen Pärchen, das – wie die anderen Gäste auch – mit großen Augen meiner viel zu lauten Ansprache lauscht. »Oh, schau mal, Kian«, sage ich zynisch, »die Frau dort drüben. Wie sie herschaut. Ganz sicher ist die verliebt in dich und isst nur wegen dir hier. Der Typ neben ihr ist bestimmt nur engagiert worden und nicht wirklich ihr Mann. Willst du ihr nicht auch eine Standpauke halten?«

Kian öffnet den Mund, um etwas zu sagen, bringt jedoch kein Wort hervor.

Ich werfe ihm einen letzten bitterbösen Blick zu, dann verlasse ich das Restaurant wieder. Doch schon als die Tür hinter mir zufällt und die abendliche Meeresbrise ins Gesicht schlägt, frage ich mich, wer die Frau war, die gerade so ausgerastet ist.

War das wirklich ich? Was ist nur in mich gefahren?

Mit schnellen Schritten entferne ich mich vom Restaurant, das ich erst kurz zuvor betreten habe, während mir mehr und mehr bewusst wird, was gerade geschehen ist.

Ich hatte noch gar nicht richtig verarbeitet, dass ich Kian nach all den Jahren ausgerechnet hier wiedertreffe, da trifft mich schon der nächste Schock: All die Jahre hielt er mich offenbar für nichts weiter als einen nicht ernst zu nehmenden Fan. Eine unglücklich in ihn verliebte Frau – wohl eher ein Mädchen –, zu der er nur freundlich war, weil man sich seine Fans eben »warmhalten« muss.

Doch das Schlimmste an alldem ist der Gedanke, dass er offenbar wirklich glaubt, dass ich wegen ihm hier bin. Dass ich sogar so weit gegangen bin, mir hier ein Haus zu mieten, nur um ihm jetzt ständig nach seinen Auftritten aufzulauern.

Tränen rinnen mir die Wangen herunter, während ich über den Steg in Richtung Strand gehe.

Aber was genau sind das für Tränen? Tränen der Demütigung? Oder einfach bittere Tränen der Wut?

Oh ja, ich bin wütend. Wütend auf mich selbst, weil ich anfangs noch so freundlich zu ihm war. Aber noch wütender bin ich auf ihn.

Was bildet sich dieser Mistkerl eigentlich ein? Für wen hält er sich? Und warum war mir nie klar, was für ein Idiot er eigentlich ist? War ich zu verliebt, um das zu erkennen? Oder ist er nur aus Frust zu so einem Arsch geworden?

Doch als ich den Steg langsam verlasse und den Strand erreiche, wird mir klar, dass es vor allem eines sind: Tränen der Liebe. Eine Liebe, die ich niemals in mein Herz hätte lassen dürfen.

Kapitel 8

Später am Abend

Kian

________________

Der Weg vom Strand nach Hause fühlte sich heute länger als sonst an. Eigentlich brauche ich meistens nur fünf Minuten, höchstens zehn. Heute Abend fühlt es sich jedoch an, als hätte ich einen Kilometer-Fußmarsch hinter mir, als ich die Wohnungstür hinter mir schließe.

»Alter, wo bleibst du denn?«, höre ich Igor aus dem Wohnzimmer rufen. »Habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«

Als ich die kleine Wohnung im Erdgeschoss eines alten Bauernhauses vor einem Jahr bezogen habe, war sie eigentlich nur für mich allein bestimmt. Mittlerweile wohnt mein alter Kumpel Igor seit zwei Monaten auch hier. Nach der Trennung von seiner Freundin wusste er erst mal nicht, wohin – klar, dass ich ihn vorübergehend aufgenommen habe. Seitdem schlägt er sich mit einem Aushilfsjob im Supermarkt durch und scheint sich mehr und mehr an der Ostsee wohlzufühlen. Dass er sich an der Miete beteiligt, passt mir ganz gut.

Heute jedoch ist der erste Tag seit Langem, an dem ich lieber allein wäre. Nur ich und meine Gedanken, die noch nicht so recht wissen, in welche Richtung sie sich bewegen sollen.

»Hat länger gedauert«, rufe ich ihm vom Flur aus zu.

»Volle Hütte?«, fragt Igor, inzwischen im Türrahmen des Wohnzimmers stehend.

»Na ja, nicht voller als sonst. Aber es war ein etwas … na ja … ungewöhnlicher Abend.«

Ich ziehe meine Schuhe aus und betrachte mich selbst im Spiegel neben der Garderobe. Müde sehe ich aus und irgendwie älter. Noch immer hängen Claras Worte in mir nach.

Ich habe Besseres zu tun, als mich mit einem selbstverliebten Möchtegern-Star zu unterhalten, dessen beste Zeiten lange vorbei sind.

Ist es das, was ich bin? Ein Musiker, der auf dem besten Weg war, ganz groß rauszukommen und jetzt Restaurantgäste beim Essen beklimpert? Was kommt als nächstes? Mache ich Musik vor Kaufhäusern, mit einem offenen Gitarrenkoffer davor?

»Was meinst du mit ungewöhnlicher Abend?«, hakt Igor nach.

Ich spiele mit dem Gedanken, das Erlebte mit mir allein auszumachen. Immerhin weiß ich selbst noch nicht so recht, was ich von alldem halten soll und wie ich darüber denke. Aber der Drang, mich jemandem anzuvertrauen, ist am Ende doch größer.

»Tja, wie soll ich sagen?« Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu, während ich in die Küche gehen. »Ich hatte heute eine unerwartete Begegnung mit meiner Vergangenheit.«

»Mit deiner Vergangenheit?« Igor folgt mir und zieht sich einen der Küchenstühle zurück. »Wovon redest du?«

Ich öffne den Kühlschrank und hole mir eine Flasche Bier heraus. »Willst du auch eins?«