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Sie ist in Gefahr. Er verfolgt einen Plan. Valeria Salvatore ist eine junge Frau voller Widersprüche - vorlaut, stur und von düsteren Geheimnissen umgeben. Ihre Zukunftspläne standen fest: Mexiko zu verlassen und am renommierten Berklee College in Boston zu studieren. Was jedoch nicht auf ihrer Agenda stand: Von einem der gefürchtetsten Mafiosi Mexikos bedroht und von drei gutaussehenden, aber völlig fremden Typen in einem Strandhaus eingesperrt zu werden. Valeria ist alles andere als begeistert, als sie erfährt, dass ihr eigener Vater die Männer im Verborgenen engagiert hat, um sie zu beschützen. Doch ihre vermeintliche Sicherheit entpuppt sich als Täuschung, denn diese Männer haben längst eigene Pläne mit ihr - allen voran Álvaro. Doch was hat er vor? Werden Valerias Präsenz und ihr starker Wille Álvaros Machenschaften durchkreuzen?
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Seitenzahl: 361
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Falls ihr noch nicht ganz so verdorben seid, solltet ihr auf euch achtgeben. Nicht dass das Blut, welches durch eure Adern fließt, mit jeder Seite dieses Buches, die ihr lest, nach und nach vergiftet wird.
Eure Mira
Dieses Buch enthält potenziell belastende Inhalte:Tod, Misshandlung, Folter, Gewalt, toxische Beziehungen, sadistische Charakterzüge, Waffengebrauch, Drogenkonsum, körperliche Gewalt gegenüber Frauen und sexualisierte Gewalt.
Dieser Roman dient allein zur Unterhaltung. Die fiktive Geschichte sollte nicht mit der Realität verwechselt werden.
Altersempfehlung:ab 18 Jahren
Wie nah steht das Gute dem Bösen? Wie weit entfernt befindet sich das Böse vom Guten? Kann ein Mensch beides gleichzeitig sein – gut und böse? Meine Sinne sind betäubt. Ich werde nach und nach von Intrigen und Lügen vergiftet… - Valeria
Eins: Valeria
Zwei: Álvaro
Drei: Valeria
Vier: Valeria
Fünf: Álvaro
Sechs: Valeria
Sieben: Álvaro
Acht: Valeria
Neun: Álvaro
Zehn: Valeria
Elf: Álvaro
Zwölf: Valeria
Dreizehn: Valeria
Vierzehn: Álvaro
Fünfzehn: Valeria
Sechzehn: Valeria
Siebzehn: Valeria
Achtzehn: Valeria
Neunzehn: Álvaro
Zwanzig: Valeria
Einundzwanzig: Álvaro
Nachwort
Das Klirren in meinen Ohren ist so deutlich, dass es sich bei dem, was zu Boden gefallen ist, um etwas Größeres als Geschirr oder eine Vase handeln muss. Selbst der Song von Teddy Swims, „Lose Control“, der in meinen Ohren eine einzigartige Mischung aus Soul und Pop-Punk hinterlässt, konnte diesen Krach nicht übertönen.
Ich nehme den Airpod heraus und lausche in die Leere meines Zimmers. Doch da ist nichts. Nichts außer Stille und Finsternis.
Hin und wieder zuckt mein Körper, bevor ich gänzlich einschlafe. Na ja, vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet, so müde, wie ich bin. Als ich gerade dabei bin, mir den Airpod wieder ins Ohr zu stöpseln, höre ich erneut ein lautes Krachen, welches mich diesmal mit einem Ruck kerzengerade im Bett sitzen lässt. Es ist dumpfer als zuvor, es klang wie ein Holzbrocken, der zu Boden gefallen ist.
Was passiert da unten?
Fest entschlossen, herauszufinden, was da los war, ziehe ich meinen anderen Airpod ebenfalls heraus und lege beide auf meinem Kopfkissen ab. Neugierig und schleichenden Schrittes tappe ich zu meiner Zimmertür. Ich halte mein Ohr daran, um zu lauschen. Doch das Einzige, was ich hören kann, ist das leise Summen der Musik, die über die Airpods ertönt, und meinen schweren Atem, den ich gegen die hölzerne Tür hauche.
Mit meiner Hand umgreife ich vorsichtig die Klinke und öffne die Tür einen kleinen Spalt, sodass ich meinen Kopf hindurch und in Richtung Flur strecken kann.
Sobald die Tür offen ist, dröhnen verschiedene Männerstimmen zu mir. Was sie sagen, kann ich nicht verstehen. Die Worte erreichen mich nicht, sondern verschwinden in der Weite des Flures.
Ist jemand eingebrochen?
Unvermittelt spüre ich, wie mein Herz zu rasen beginnt. Irgendetwas stimmt nicht, denn normalerweise sollten sich nur meine Mom und Pablo unten im Haus befinden. Die Hausangestellten haben bereits Feierabend und kommen erst morgen früh gegen sechs Uhr wieder.
Ich fasse meinen ganzen Mut zusammen und trete auf den Flur. Nahezu lautlos schließe ich die Tür hinter mir.
Das helle Mondlicht, welches links von mir durch das ovale Fenster scheint, taucht den Flur in ein silbriges Dämmerlicht.
Mein Herz poltert nach einem kleinen Aussetzer schneller, als ich erneut etwas zerspringen höre. Nach dem Geräusch müsste es sich dieses Mal um etwas Kleineres handeln, vermutlich eine Vase.
Egal, was da unten passiert, es ist nichts Gutes!
Je weiter ich den Flur entlanglaufe, desto lauter hallen die dumpfen Stimmen zu mir hinauf. Irgendetwas wird gesprochen, doch die Worte muten eher wie ein Gemurmel an.
An der Treppe angekommen, erstarre ich, mein Körper wird steif und meine Augen weiten sich, als hätte mich soeben ein Blitz getroffen. Ein lauter Knall. Nein, nicht vergleichbar mit dem zuvor. Dieser Knall war anders, viel lauter, ohrenbetäubender, er endete mit einem piependen Abgang. So ein Geräusch kannte ich bisher nur aus Filmen. Es muss eine Schusswaffe gewesen sein, eindeutig!
Scheiße, was passiert hier?
Um Halt zu gewinnen, greife ich mit zitternden Fingern nach dem Treppengeländer. Eine Hand führe ich instinktiv zu meiner Brust. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz mit einem gewaltigen Druck gegen meinen Brustkorb schlägt und sich gleich einen Weg nach draußen erkämpfen wird. Alles spricht dagegen, weiterzulaufen. Wirklich alles, verdammt! Ich sollte zurück in mein Zimmer.
Shit, nein, ich sollte flüchten, Hilfe holen!
Als ich kurz davor bin, die Flucht zu ergreifen, höre ich eine laut flehende Frauenstimme.
»Nein, bitte nicht. Bitte nicht.« Das Zittern in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.
NEIN. BITTE. NICHT. BITTE. NICHT!
Diese Stimme. Diese fünf einfachen Worte breiten sich wie ein Schlag in meinem Magen aus.
Mom? Was zur Hölle passiert hier? Warum hörst du dich an, als würdest du um dein Leben betteln?
Shit, das geht zu weit, ich ertrage das nicht mehr. Meine Synapsen brennen durch. Ohne einen klaren Gedanken zu fassen, eile ich, darauf bedacht, keinen Ton von mir zu geben, die Treppe hinab ins untere Geschoss.
Unten angekommen, verschaffe ich mir kurz einen Überblick. Ich schaue nach links in den Flur hinein, doch dort ist niemand zu sehen. Die Luft ist rein. Die Stimmen kommen von weiter rechts, die dazugehörigen Personen befinden sich anscheinend im Salon. Mit wachem Blick versuche ich schleichend, ins Esszimmer zu gelangen, welches direkt an den Salon anschließt. Mit meiner Hand greife ich nach meinem Arm, in der Hoffnung, dessen Zittern dadurch schnellstmöglich unterbinden zu können.
Die bestmögliche Position, um in den Salon zu schauen, ohne direkt erwischt zu werden, befindet sich hinter der Weinkommode im Esszimmer. Nicht das originellste Versteck, aber das einzige, das mir auf die Schnelle einfällt.
Ich blicke mich flüchtig um und verstecke mich lautlos dahinter.
Mein Atem stockt und mein Herz fühlt sich plötzlich schwer an. Ich habe das Gefühl, dass mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird und ich gleich zu Boden sinken werde. Sechs schwarz gekleidete, mir völlig fremde Männer stehen im Salon. Fünf von ihnen sind groß und breit gebaut, die Waffen in ihren Händen sind nicht zu übersehen. Der sechste von ihnen ist um einiges kleiner und trägt deutlich mehr Kilos auf den Rippen. Die Chinohose, welche er mit einem goldenen Gürtel eng an seinen Unterbauch zu schnallen versucht hat, wirkt mindestens zwei Nummern zu groß. Seine knubbelige Nase erscheint in seinem fleischigen Gesicht sehr breit. Abgesehen von seinen glitschig zurückgekämmten Haaren harmoniert sein Aussehen nicht gerade mit dem der anderen.
Irgendeine Ahnung sagt mir, dass gerade dieser kleine schmierige Mann der Kopf der Bande sein muss.
Einen besseren haben sie nicht gefunden?
Mit einem Blick nehme ich alles um mich herum auf: Der schwarze Wandschrank liegt umgekippt auf dem Boden, das Sofa ist zerstochen. Unser riesiges Panoramafenster sowie eine rote Vase liegen in Einzelteilen auf dem Holzboden verteilt. Der Boden ist zu einem Meer aus Scherben geworden. Erleichterung kommt in mir auf, als ich bemerke, dass es der Fernseher war, der angeschossen wurde, und kein Mensch. Zielgerichtet wandert mein Blick zu meinen Eltern. Die fünf Männer stehen in einem großen Bogen hinter ihnen. Meine Mutter kniet neben meinem Vater auf dem Boden. Ihr Blick ist starr zu Boden gerichtet, ihr Kiefer zittert. Mein Vater hingegen schaut dem fremden Mann mitten ins Gesicht. Das Kinn hat er nach vorn gestreckt, sein Blick ist kalt. Selbst kniend auf dem Boden scheint mein Vater sein dominantes Verhalten nicht abzulegen.
Wird dieser Mann jemals etwas anderes als Dominanz, Arroganz und Stolz zeigen? Besitzt er überhaupt andere Emotionen?
»Was hatte ich dir gesagt, Pablo? Ich habe dich gewarnt! Wo ist die Ware?« Der kleine dicke Mann läuft auf meine Mutter zu. In der rechten Hand hält er eine silberne Pistole, mit der er auf ihren Kopf zielt. Mit der anderen Hand greift er an seinen Gürtel, um seine Hose zurechtzuziehen.
Ich schlucke schwer. Von was für einer Ware spricht er? Wieso wird meine Mutter mit einer Waffe bedroht?
Ich versuche, mich auf meinen Atem zu konzentrieren, um ja keinen Laut von mir zu geben. Mein erster Gedanke, die Polizei zu informieren, versandet, da ich mein Handy in meinem Zimmer liegen gelassen habe, was im Nachhinein sehr dumm von mir war.
Wie blöd kann man eigentlich sein?, beleidigt mich eine leise Stimme in meinem Kopf.
Ich glaube nicht, dass ich es noch einmal bis in mein Zimmer schaffen werde. Also brauche ich einen Plan B.
»Diego, ich habe es deinen Männern schon gesagt. Die Ware wurde gestohlen. Ich weiß selbst nicht, wer es gewagt hat, einen Schachzug gegen uns zu unternehmen. Ich habe genauso viel verloren wie du. Jetzt nimm deine gottverdammte Waffe von meiner Frau herunter, du Bastard!« Mit der altbekannten Dominanz in seiner Stimme deutet er mit seiner Hand auf die Waffe. »Mit diesem Angriff hast du jeglichen Kodex missachtet!«
Ein boshaftes Lachen entweicht Diegos Kehle.
Schmieriges Arschloch!
»Nur du wusstest, wo die Ware untergebracht war. Denkst du, ich lasse mich von dir Wichser ver…«
Ich erstarre, denn ein riesiger Schatten nimmt mich von hinten ein. Ohne zu realisieren, was vor sich geht, spüre ich plötzlich einen starken Schmerz an meinem Oberkopf. Mit einem Ruck werde ich aus meinem Versteck gezogen und über den Boden in Richtung Salon gezerrt.
Das war‘s.
Ich bin am Arsch.
»Das Miststück hat sich dort hinten versteckt«, raunt eine dunkle Stimme über mir.
Ich trete um mich und versuche, den festen Griff zu lösen, der an meinen Haaren zieht, doch die Hand des bewaffneten Mannes ist so angespannt, dass ich nicht einmal seinen Zeigefinger bewegen könnte.
Meine Aufmerksamkeit war so sehr auf Diego und meine Eltern gerichtet, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass einer der anderen Männer den Raum verlassen hatte. Bestimmt wollte er sich umsehen und hat mich dann entdeckt. So ein Mist!
»Lass mich verdammt noch mal los, du tust mir weh! Behalt deine dreckigen Pfoten bei dir, du schmieriger Bastard!« Ich bezweifle, dass diese Worte genau die richtigen für eine solche Situation sind, doch eine wilde Mischung aus Wut und Panik überfällt mich. Mit meinen Beinen und Händen komme ich nicht weiter, also kralle ich mich mit meinen Fingernägeln fest in sein Bein und ramme ihm meine Zähne ins Fleisch.
»Du Schlampe!«, brüllt der Fremde. Das scheint ihm nicht zu gefallen, denn er greift noch fester als zuvor in mein Haar.
Meine Haarwurzeln pochen vor Schmerz. Ich befürchte, dass er gleich meinen ganzen Zopf lose in der Hand halten wird.
Mit einem Stoß schleudert er meinen unbeweglichen Körper über den Holzboden.
Ich lande mit den Knien auf den Holzdielen und stütze mich mit beiden Handflächen auf ihnen ab. Die Augen auf den Fußboden gerichtet, sehe ich schwarze Lackschuhe, die sich zögerlich in mein Gesichtsfeld bewegen.
»Hola, meine Hübsche. Das ist mal eine Überraschung, nicht wahr, Pablo? Es ist mir eine Ehre, deine Tochter endlich kennenzulernen. Sie ist noch heißer, als ich sie mir vorgestellt habe.« Diego grinst mich schmierig an und zwinkert mir zu, wobei ein Goldzahn zum Vorschein kommt. Seinem Aussehen nach zu urteilen, schätze ich ihn auf Ende vierzig. Er beugt sich nach vorn und streckt seine Hand nach mir aus. Als sich seine Hand meinem Gesicht nähert, fällt mir sein Schmuck auf: Er trägt an jedem Finger einen dicken Goldring. Kaltes Gold gleitet über meine Haut, als er mir zärtlich mit dem Handrücken über meine Wange streichelt.
Fass mich noch einmal an und ich spucke dir auf die Schuhe und zerkratze dir deine hässliche Visage.
»Wenn du sie noch einmal berührst, bringe ich dich um«, sagt Pablo in ernstem Ton.
Als ich in sein Gesicht schaue, überkommt mich eine Gänsehaut. Sein Blick… Einen solchen Blick habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Augen meines Vaters waren schon immer dunkel, um seine Iriden schlich stets ein schwarzer Schatten. Seine Augen strahlten immer etwas Geheimnisvolles aus, da man aus ihnen nichts lesen konnte. Doch jetzt wirkt sein Blick anders, noch düsterer. Schwärzer – als würde sich selbst die Finsternis in seinen Augen verirren und nie mehr den Weg zurück ins Licht finden.
»Wenn ich wollte, könnte ich das kleine Miststück sogar vor deinen Augen ficken«, grollt Diego. »Also erzähl mir lieber, wo die beschissene Ware ist, oder du kommst in den Genuss, dabei zuzusehen, wie deine Tochter bei jedem Stoß meines Schwanzes um ihr Leben bettelt. Wer von den beiden muss zuerst leiden, bevor du mir endlich die verfickte Wahrheit erzählst? Welches Leben liefert mir wohl die heiß ersehnte Antwort? Hm? Deine Hure oder das kleine Miststück hier?«
Mir ist schlecht und ich schmecke einen bitteren Geschmack, der meine Zunge umhüllt. Ich bete, dass seine Worte nur eine leere Drohung sind.
Diego wäre doch nicht in der Lage dazu, so etwas wirklich zu tun… Oder?
Mittlerweile laufen mir Schweißperlen die Stirn herunter. Meine Finger zittern auf den Holzdielen und machen dabei leise Geräusche.
Einer der vier Männer läuft einen Schritt auf meine Mutter zu. Er zieht seine Waffe. Ein lautes Klicken gibt mir die Gewissheit, dass er die Pistole entsichert hat. Plötzlich sieht er mich an, direkt in meine Augen. Mir fällt auf, dass sich seine Lippen zu einem dreckigen Grinsen verziehen. Er richtet die Waffe auf den Hinterkopf meiner Mutter, was dazu führt, dass mir der Atem stockt.
Ich weiß nicht, ob es nicht besser wäre, die Augen zu schließen. Vielleicht ist das alles auch nur ein schrecklicher Albtraum und ich wache gleich in meinem kuscheligen Bett auf?
Es ist alles nur ein Albtraum, werde endlich wach!
Doch ich stehe dermaßen unter Schock, dass ich nicht wegsehen kann. Meine Augen lassen sich nicht wegbewegen. Wie versteinert erwidere ich den eiskalten Killerblick des fremden Mannes.
Im Kopf zähle ich die Sekunden herunter.
Fünf, vier, drei…
Plötzlich hallt ein ohrenbetäubendes Geräusch durch den Raum. Der Knall einer Kugel, die in rasantem Tempo den Lauf einer Waffe verlässt, hinterlässt anschließend eine bedrückende Stille.
Mein Körper zuckt zusammen.
Die Augen des Mannes werden plötzlich starr und sein dreckiges Grinsen verliert an Ausdruck. Sein Blick wirkt kalt. Rote Flüssigkeit fließt aus seiner Stirn heraus. Wie ein überdimensionierter Dominostein fällt er nach hinten auf den Boden. Das Geräusch, welches sein Schädel verursacht, als er auf dem Fußboden aufkommt, ist nicht zu überhören. Als hätte man eine Walnuss geknackt.
Bevor ich überhaupt realisieren kann, dass ihm soeben jemand direkt in den Kopf geschossen hat, werde ich von einer gewaltigen Druckwelle zu Boden gerissen. Ein schrillendes Piepen dringt tief in die Synapsen meines Gehirns. Schreiend halte ich mir die Ohren zu. Ich befürchte, dass jeden Moment Blut aus meinen Ohren fließen wird.
Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, wird der Raum plötzlich von einem grellen Lichtblitz durchströmt.
Mit einem Schlag fühle ich mich betäubt. Meine Hände halte ich mir als Schutz vor die Augen. So spähe ich durch meine Finger, um die Orientierung zurückzuerlangen. Doch da ist nichts, nichts außer diesem weißen Licht.
Shit, war das etwa eine Blendgranate?
Im Zuge meiner Orientierungslosigkeit erstarre ich für ein paar Sekunden. Stumpfe Schreie nehme ich zwar wahr, doch meine Ohren sind zu betäubt, um etwas zu verstehen. Die Temperatur im Salon hat sich nach meinem Empfinden um bestimmt dreißig Grad erhöht. Die Luft ist trocken wie in einer Sauna. Mit dem Ärmel meines Schlafanzuges wische ich mir die Schweißperlen von der Stirn. Mein Herz pumpt das Blut rapide durch meine Blutgefäße und ein kleiner Funken Hoffnung überkommt mich.
Ich spüre, wie mir das Adrenalin zu Kopf steigt und meinen Kampfgeist erwachen lässt. Ich fühle mich wie aufgeladen; als hätte mir jemand mehrere Watt Strom durch den Körper gejagt. Mit den Handflächen stütze ich mich auf dem Holzboden des Salons ab. Orientierungslos krieche ich mit geschlossenen Augen unbeholfen auf allen Vieren los.
Der Boden unter meinen weichen Innenhandflächen vibriert. Ich spüre starke Druckwellen, die durch Bewegungen darauf erzeugt werden.
Ich muss schnellstmöglich hier raus. Wer auch immer angegriffen hat, Diego und seine Männer scheinen abgelenkt zu sein.
Atme, Valeria. Atme. Reiß dich verdammt noch mal zusammen!
Ich schnappe nach Luft und öffne die Augen zu schmalen Schlitzen. Jedoch kann ich nur grobe Umrisse erkennen. Meine Finger gleiten zu einem Brett, welches über meinem Kopf aus dem Esszimmer hervorragt. Ich taste es panisch mit meinen Fingerkuppen ab; als ich bemerke, dass es kein normales Brett ist, sondern die Platte des Esstischs, kann ich mein Glück kaum fassen.
In rasantem Tempo krieche ich unter dem Tisch hindurch. Ich muss nur ans Ende des Esszimmers gelangen, dann habe ich gute Chancen, durch die Tür zu entkommen und Hilfe zu holen.
Schneller! Beeil dich!
Ich öffne meine Augen erneut zu Schlitzen, um mir Orientierung zu verschaffen.
Als ich fast am Ende des Tisches angekommen bin, taucht plötzlich aus dem Nichts eine schwarze Gestalt vor mir auf.
Mein Herz macht einen kurzen Aussetzer. Ich spüre, wie sich mein Magen zusammenzieht.
Nein, bitte nicht!
Sie greift nach meinem Arm und zerrt mich unter dem Tisch hervor. Starke Hände umfassen meinen Körper und ziehen mich nach oben.
Mich überkommt Panik. Das ist wohl der Moment, in dem ich sterben werde. Mir wird schlecht. Graue Punkte flackern in meinem Sichtfeld auf und entwickeln sich zu einem schwarzen Loch, in das ich falle.
Immer tiefer falle.
Das ist mein Ende.
Als meine Hände ihren Körper umfassen, überkommt mich eine Hitzewelle. Es ist das erste Mal, dass ich sie berühre.
»Töte mich bitte nicht.« Das waren ihre letzten Worte, bevor sie verstummte und in meinen Armen ohnmächtig wurde.
Wie lange ich auf diesen fucking Tag gewartet habe, darauf, sie endlich mit meinen eigenen Händen berühren zu können.
Ich knie mich vor ihr hin und werfe mir ihren reglosen Körper über die Schulter. Ihr haselnussbrauner Zopf fällt sanft herab und ihre Arme baumeln locker meinen Rücken entlang. Ihr rosa Satinschlafanzug schmiegt sich an meinen Pullover. Mit einem festen Griff umschließe ich das Fleisch ihres Oberschenkels, um für mehr Stabilität zu sorgen. Nun liegt sie auf meiner Schulter.
Ein leichter Duft von Vanille weht mir in die Nase.
Oh, Kleines, jetzt gibt es kein Entkommen mehr vor mir.
Ich bin beeindruckt, dass sie auf die Idee gekommen ist, sich unter den Tisch zu verkriechen; das war gar nicht übel. Die Kleine fasziniert mich immer mehr.
Ich drehe mich um und verschaffe mir einen Überblick über den Salon. Der Rauch der Granate, die ich zuvor als Ablenkungsmanöver gezündet hatte, schwächt sich langsam ab und entwickelt sich zu einem leichten Nebelschleier.
Zum Glück waren Diegos Männer lange genug abgelenkt, um Valeria in diesem ganzen Chaos nicht zu töten. Sie haben nicht mit unserem Überraschungsmoment gerechnet und mussten sich zunächst einmal darum kümmern, ihre eigenen Ärsche aus der Schusslinie zu bringen.
Laute Stimmen hallen durch die Villa.
Ich schaue hinunter zu dem Wichser, dem ich zuvor sein schäbiges Grinsen aus der Visage geschossen habe. Um ihn herum hat sich mittlerweile eine rote Pfütze gebildet. Sein Blut zieht langsam in die grobe Holzmaserung ein und hinterlässt einen dunklen, lasierten Effekt. Irgendwie faszinierend.
Nennt mich Picasso, ihr Wichser.
»Du Bastard, wolltest du mich gerade wirklich abstechen?«, höre ich Ramón wütend aus irgendeiner Ecke brüllen.
Wieder ertönt ein ohrenbetäubender Schuss, anscheinend hatte dieser Bastard doch keine Chance gegen Ramón gehabt.
Vor dem zertrümmerten Panoramafenster, welches nur noch aus einem leeren Rahmen besteht, liegt ein weiterer von Diegos Männern. Ein schwarzes Messer mit einem blauen Griff steckt mitten in seiner Brust und sticht mir sofort ins Auge.
Ich laufe zu dem leblosen Körper und greife nach dem Messer. Es hat sich in einer Rippe verhakt, also drehe ich es in seiner Brust und ziehe es schließlich mit einem festen Ruck heraus. Das blutverschmierte Messer wische ich am Bauch des Typs ab und stecke es anschließend in die vordere Tasche meines Pullovers.
Valerias Körper liegt noch immer reglos auf mir, als ich durch den Rahmen des zerbrochenen Panoramafensters trete und mir einen Weg zum Wagen bahne.
Auf dem Rasen liegt eine weitere Person. Bei näherer Betrachtung fällt mir auf, dass es einer von Pablos Männern ist, der die Kleidung der Hausangestellten trägt. Ich trete mit meinem Fuß leicht gegen den Körper, um zu sehen, ob er sich regt. Fehlanzeige, der Typ rührt sich nicht. Ich steige mit einem großen Schritt über ihn.
Noch immer hallen laute Stimmen, Schüsse und Beleidigungen zu mir. Anscheinend ist das Massaker noch nicht vorbei. Egal, was dort vor sich geht, ich vertraue darauf, dass meine Männer alles regeln und Diegos Anhänger töten werden.
An unserem schwarzen Range Rover angekommen, lege ich Valerias Körper auf den hinteren Sitzen ab.
Ich greife nach vorne in die Mittelkonsole und hole meine Zigaretten heraus. An den Wagen angelehnt, zünde ich mir eine wohlverdiente Kippe an. Ich atme tief ein, bewege meine Schultern in kreisenden Bewegungen und schaue zum Nachthimmel hinauf. Das Nikotin, das durch meine Kehle strömt, lässt mich entspannen. Ein leichter Windzug weht mir den ausgeatmeten Rauch wieder ins Gesicht. Ich schließe meine Augen und lausche in die Nacht hinein.
Auf dem Kiesweg knirscht es, hastige Schritte kommen auf mich zu. Als ich die Augen öffne, sehe ich im Dunkeln zwei Gestalten, die sich zügig nähern. Es sind Ramón und Miguel.
»Wo ist Fernando?«, raune ich.
Miguel bleibt erstarrt vor mir stehen und schaute mit gesenktem Blick zu Boden. Seine Brust hebt sich stark und Blut klebt in seinem Gesicht.
Ramón hingegen läuft mit gerader Haltung und schiefem Grinsen an mir vorbei.
Wie immer, der arrogante Vollpfosten.
»Dieser Vollidiot liegt erstochen mit einem Küchenmesser im Flur«, spottet Ramón und betont dabei das Küchenmesser. »Tja, ich habe dir von vornherein gesagt, dass dieses Muttersöhnchen nicht kämpfen kann.«
»Halt deine verdammte Klappe, sonst bist du gleich der Nächste, der ein Küchenmesser in sich stecken hat.« Ein trockenes Knurren kommt über Miguels Lippen.
»Versuch es doch.« Ramón schaut Miguel mit einem provokanten Grinsen an und springt lässig auf den Fahrersitz.
Selbst in einer solchen Situation können die beiden es nicht lassen, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen.
Es wundert mich nicht, dass Fernando durch ein Küchenmesser gestorben ist. Seine Nahkampftechniken waren schon immer… lausig. Selbst nach intensivstem Training konnte ich ihn innerhalb weniger Minuten zu Boden bringen. Seine Stärke lag schon immer eher im Fernkampf, aber das hat ihm heute wohl nichts gebracht.
»Kopf hoch, du hast immer noch uns zwei«, zwinkere ich Miguel zu.
Miguel schaut mit feurigem Blick zu mir hinauf, läuft zur hinteren Tür des Wagens und setzt sich neben Valerias reglosen Körper.
Als Miguel an mir vorbeiging, konnte ich ein leises Wichser hören. Ein Schmunzeln macht sich auf meinem Gesicht breit. Ich kann ihm seine Aussage nicht übelnehmen, denn er hat gerade seinen Freund verloren.
Nur dank Miguel kam Fernando vor fünf Monaten ins Team. Er hatte sich bei mir vorgestellt, da er sich eine andere Aufgabe wünschte, als dauerhaft in einem Club Drogen zu verkaufen. Sein Tod muss Miguel tief treffen. Doch mit Verlusten mussten wir rechnen, seit wir den Plan geschmiedet haben. Uns allen war klar, worauf wir uns einlassen, also können wir keine Zeit mit Trauer verschwenden. In unseren Kreisen gehört der Verlust von nahestehenden Menschen nun mal dazu. Das musste ich selbst schon am eigenen Leib erfahren.
Ich schnipse meinen Zigarettenstummel in Richtung Kiesweg und setze mich zu den anderen in den Wagen.
Wir sind schon eine ganze Weile unterwegs, im Auto herrscht Stille, nicht einmal das Radio läuft. Die grellen Autolichter des entgegenkommenden Verkehrs blenden mich, meine Lider sind schwer.
Ich öffne das Fenster der Beifahrerseite und strecke meinen Kopf hinaus in die dunkle Nacht. Die kalte Luft, die mit hoher Geschwindigkeit gegen mein Gesicht braust, lässt mich wacher werden.
»Denkt ihr, Diego ist entkommen?« Eine raue Stimme ertönt von hinten, es ist Miguel.
»Ich denke schon. Dieser Hurensohn ist wie eine Schmeißfliege. Es hat nicht lange gedauert, bis er sich dazu entschieden hat, anzugreifen«, antworte ich genervt.
»Wie sieht unser Plan jetzt aus?« Miguel überkommt ein Gähnen.
»Wir müssen improvisieren. Erst einmal entkommen wir aus dieser Stadt und nehmen uns ein Motel zum Übernachten. Ich schätze, dass Diego nicht ruhen wird, bis er Valerias und Pablos Leichen höchstpersönlich vor sich liegen hat«, antwortet Ramón trocken, während sein Blick weiterhin starr auf die Straße gerichtet ist. »Außerdem müsstet ihr mal dringend duschen, ihr seht echt scheiße aus!« Ein leises Lachen ertönt aus seinem Mund.
Er hat recht, doch ich sehe nicht nur scheiße aus, ich fühle mich auch so.
»Ich würde sagen, ab heute herrscht Krieg zwischen den Salvatores und den Martinis. Pablo wird sich an Diego rächen, denn er hat den Kodex missachtet und Pablo sowie seine Familie in ihren eigenen vier Wänden angegriffen. Wir müssen uns also auf alles gefasst machen«, entgegne ich.
»Lass uns einfach diesen verfluchten Plan erledigen«, knurrt es erneut von hinten.
Für kurze Zeit ist es abermals still, bis mir das Messer einfällt, welches ich aus dem toten Körper herausgezogen habe. Ich ziehe es aus der Bauchtasche meines Hoodies und halte es vor Ramóns Gesicht.
»Hier, du Amateur, das hattest du in einem der Typen stecken lassen.«
Das Messer war ein Geburtstagsgeschenk von mir und Miguel gewesen. Es hat einen blauen Griff aus Chrom und trägt die Initialen R. P. – Ramón Pérez.
Ich gebe es nicht gerne zu, aber wenn sich jemand mit einem Messer auskennt, dann er. Was das angeht, ist er auf jeden Fall der gestörtere von uns.
Ich kann mich noch daran erinnern, als wir vor einem Jahr in Antonios Haus stürmten. Ich hatte mit diesem Scheißkerl noch eine Rechnung offen. Draußen vor der Mauer stand ein bewaffneter Typ mit dem Rücken zu uns. Wir drei hockten in den Büschen. Ich schraubte leise den Schalldämpfer auf meine Waffe, um diesen Mistkerl so geräuschlos, wie es nur ging, zu erledigen, doch Ramón fand meine Strategie wohl zu langweilig. Wie der leichtsinnigste Vollidiot fixierte er den Nacken des Typs und warf sein Messer. Es zerfleischte seinen Hinterkopf und ließ ihn innerhalb von Sekunden zu Boden stürzen. Am liebsten hätte ich Ramón auf der Stelle erwürgt, denn das Risiko, nicht zu treffen, war mehr als hoch gewesen. Dennoch war ich von seinem Leichtsinn und seinen Wurfkünsten zutiefst beeindruckt. Ein Fehltritt und wir säßen heute alle nicht in diesem verfluchten Wagen. Seitdem ist er für uns der King, was den Umgang mit Messern angeht.
Ramón nickt stumm und steckt es dann in die Seite seines Stiefels.
Unfassbar, dieser Typ trägt bestimmt an jedem Körperteil eine scharfe Klinge.
Ein paar Meilen später sind wir endlich an einem kleinen rumpeligen Motel, welches sich neben einer vielbefahrenen Autobahn befindet, angekommen.
Mir gefällt es gar nicht, dass wir die Nacht hier verbringen werden. Alles ist dreckig, verbraucht und billig. Normalerweise bin ich anderes gewohnt, Gehobeneres. Für die jetzige Situation ist es jedoch die beste und einfachste Option. Falls Diegos Leute uns verfolgt haben, ist es sinnvoller, sich an einem öffentlichen Platz aufzuhalten, denn so ist das Angriffsrisiko geringer.
Miguel begibt sich zur Rezeption und besorgt uns zwei Zimmerschlüssel, während Ramón die Umgebung sichert und ich den Wagen bewache. Das perfekte Team.
»Ich gehe mit ihr auf ein Zimmer«, knurre ich die beiden an, als Miguel mit den Schlüsseln vor mir steht. Keine Ahnung, wieso, aber ich habe das Gefühl, dass ich Valeria im Fall der Fälle als besserer Beschützer dienen werde. Nicht, dass ich die anderen nicht für diesen Job geeignet finden würde, aber gewisse Dinge erledige ich lieber selbst.
»Und wer sagt das? Vielleicht möchte ich mich zu der Prinzessin legen?« Ramón legt seinen Kopf schräg und grinst mich an.
Klappe, Ramón.
»Du kannst dich an Miguel kuscheln, und jetzt verpisst euch. Wir sehen uns morgen früh.« Ein Schmunzeln kann ich allerdings nicht unterdrücken.
Ich öffne die hintere Autotür, greife nach Valeria und trage sie auf meinen Armen in Richtung Zimmer. Ihren Kopf stütze ich mit meinem linken Arm, während ich aufmerksam die Umgebung beobachte.
In dem kleinen Raum angekommen, werde ich von einer dunklen und stickigen Wolke alter Luft willkommen geheißen.
Behutsam lege ich ihren zarten Körper auf dem grauen Metallbett ab. Ich beuge mich zu ihr herunter. Zwei meiner Finger gleiten zu ihrer Halsschlagader und berühren ihre zarte, warme Haut. Ich halte den Atem an. Ihr Puls hat sich mittlerweile normalisiert, ich vermute, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie erwacht.
Eine ihrer gewellten Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hat, verfängt sich in meiner Uhr; vorsichtig versuche ich, ihre Haare zu entwirren. Mein Blick verweilt einen Augenblick auf ihrem Gesicht, was meinen Atem gefrieren lässt.
Erst jetzt kann ich sie mir richtig ansehen. Klar weiß ich, wie sie aussieht, dennoch hatte ich noch nie die Möglichkeit, sie ungestört und aus nächster Nähe zu bestaunen. Ihre gepflegten Augenbrauen sind leicht geschwungen und bilden den perfekten Rahmen für ihr Gesicht. Trotz einiger leichter Blessuren, die sie erlitten hat, strahlen ihre vollen Wangen in einem zarten Rosa. Ihre fülligen Lippen leuchten in einem sanften Rotton.
Fuck, diese Lippen.
Ich spüre ein leichtes Ziehen in meinem Schritt.
Meine Augen gleiten von ihrem Mund zu ihrem Körper herab, ihre vollen Brüste heben sich gleichmäßig und langsam auf und ab. Ihr Seidenschlafanzug lässt mir die Hitze zu Kopf steigen, er betont jede Kurve ihres Körpers. Ihre Arme liegen locker neben ihrer Hüfte, ihr Oberteil ist leicht hochgerutscht, wodurch ihr flacher, geschmeidiger Bauch und einer ihrer Hüftknochen zum Vorschein kommen.
Ihr Körper…
Diese Lippen…
Ihre vollen Brüste…
Diese Hüften…
Ihre zarte nackte Haut…
STOPP!
Es ist zu viel für mich. Zu viel von allem, zu viel von ihr. Ich ermahne mich, nicht weiterhin hinzusehen. Ihre Präsenz darf mich nicht ablenken. Ich muss mich auf mein eigentliches Ziel fokussieren.
Du armseliger Wichser, reiß dich zusammen.
Nachdem ich die Vorhänge zugezogen und die Tür verriegelt habe, stecke ich den Zimmerschlüssel ein.
Anscheinend hat uns keiner von Diegos Männern verfolgt. Die Straße ist zwar stark befahren, doch der kleine Parkplatz ist bis auf einen roten Ford und einen silbernen Audi leer. Nichts Auffälliges zu sehen.
Ramóns Worte huschen mir ins Gedächtnis und ich genehmige mir die wohlverdiente Dusche.
Das warme Wasser prasselt meinen Körper herab und lässt meine Bauchmuskulatur entspannen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und schließe die Augen.
Auch wenn das Motel alt und heruntergekommen ist, verfügt es Gott sei Dank über Shampoo und Duschgel. Immerhin etwas, das man für sein Geld bekommt.
Mit sanften Bewegungen reibe ich meinen Körper ein und befreie mich von all dem Blut und Schweiß, die sich auf meiner Haut festgesetzt haben. Der Schmutz läuft in braunen und roten Schlieren meinen Körper entlang und fließt zusammen mit dem frischen Duschwasser in den Abfluss.
Nach und nach füllt sich das kleine Bad mit Dampf.
Meine Finger fahren durch meine nassen Haare und gleiten langsam meinen Nacken herab. Meine rauen Handflächen wandern meinen Oberkörper hinunter. Ich denke wieder an die Lippen. Rote saftige Lippen. Ihre Lippen. Valerias Lippen. Ihre Haut. Ihre Brüste. Erneut spüre ich ein Zucken in meinem Schritt.
Fuck, ich kann nicht anders.
Ich umschließe meinen Schwanz, der mittlerweile in voller Länge steif absteht und sich danach sehnt, entleert zu werden. Er pocht in meiner Faust und ich sehe sie vor mir, Valeria. Sie kommt durch die Tür herein und lächelt mich provokant an. Noch immer trägt sie ihren Schlafanzug, nun steigt sie zu mir in die Duschkabine. Ihr Körper geht langsam auf die Knie. Ihre Augen verharren auf meinen. Ihr Lächeln wird breiter, als sie meinen Schwanz zwischen ihre roten Lippen nimmt und ihn tief in sich eindringen lässt. Mit ihrer warmen und dominanten Zunge umspielt sie meine Eichel.
Ein leises Stöhnen drängt sich durch meine Kehle.
Fuck. Fuck. Fuck.
Mit harten Stößen werde ich in einen Strudel der Ekstase gerissen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und unterdrücke ein lautes Stöhnen, als ich meinen Schwanz endgültig in Richtung der grauen Duschfliesen entleere. Ein Stromschlag durchfährt meinen Körper und ich entspanne schlagartig. Als ich die Augen öffne, werde ich jedoch sofort wieder mit der traurigen Realität konfrontiert.
Wie tief bin ich gesunken?
Normalerweise lege ich nicht selbst Hand an, dafür habe ich Huren. Aber ihr Anblick, sie so nah vor mir zu haben… Es ging nicht anders.
Was muss ich für ein narzisstisches Arschloch sein, wenn ich mir einen auf eine ohnmächtige Frau herunterhole?
Fuck, was ist los mit mir?
Ich steige aus der Dusche, greife nach einem Handtuch und trockne mich ab.
Ich bin verwundert, als ich komplett bekleidet neben dem Bett stehe. Valeria liegt noch immer unverändert darauf.
Wie Dornröschen höchstpersönlich.
Mein Blick wandert zu dem Sessel, der sich rechts neben dem Bett befindet. Auf ihm liegt eine dünne Decke. Ich schüttle den verbrauchten Stofffetzen aus und decke ihren zarten Körper damit zu. Erneut verweilen meine Augen auf ihrem Gesicht. Ich könnte sie die ganze Nacht anschauen, sie fesselt mich auf eine Weise, die jenseits jeglicher Erklärung liegt, doch mir ist klar, dass ich für den kommenden Tag dringend Schlaf benötige.
Mit einem Ruck lasse ich mich auf den gammeligen Sessel fallen. Der Haufen Dreck ist bequemer als gedacht. Ich schließe meine Augen und gönne mir eine kurze Pause.
Oh, hallo Dornröschen, bist du endlich aus deinem Schönheitsschlaf erwacht? Lass mich raten, dein Königreich wirkt nicht mehr so vertraut wie zuvor? Herzlich willkommen in deinem neuen Leben! - Álvaro
Ich spüre weichen Stoff unter mir. Mein Kopf dröhnt, der Schmerz zieht bis zu meinen Schläfen und ein Brummen läuft meine Gehörgänge entlang. Ich fühle mich benommen.
War das alles nur ein Traum? Falls nicht – müsste ich dann nicht tot sein?
Wo bin ich?
Ich zucke zusammen und reiße meine Augen auf. Das helle Tageslicht blendet mich für einen kurzen Moment; ich setze mich auf und blinzle zweimal, bis sich meine Augen daran gewöhnt haben. Keine Ahnung, wo ich mich befinde, aber das hier ist auf keinen Fall mein Zimmer, geschweige denn ein anderes Zimmer in unserem Haus.
Der Raum ist klein und sehr einfach gehalten. Auf dem Fußboden ist ein roter Teppich verlegt, der von mehreren undefinierbaren Flecken übersät ist. Es gibt einen Fernseher, einen Tisch, einen Stuhl und eine Kommode. Die Toilettentür steht offen, sodass ich einen Einblick in das kleine Bad bekomme.
Als mein Blick durch das Zimmer schweift, erstarre ich und mein Herz macht einen kurzen Aussetzer. Ein leises Hauchen ist zu hören, ein Atmen, das nicht meines ist.
Mein Blick wandert nach links neben das Bett; eine dunkle Gestalt ist dort zu sehen. Der Typ sitzt mit gespreizten Beinen auf einem braunen Sessel und atmet seelenruhig vor sich hin, er trägt schwarze Sneakers und eine graue Chinohose, die mit roten Flecken bespritzt ist. Eine Ahnung sagt mir, dass es sich dabei nicht um Tomatensoße handelt. Ich versuche, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, doch die schwarze Kapuze, die er über seinen Kopf gezogen hat, verdeckt mir die Sicht. Seine Hände liegen locker auf seinem Schoß und umfassen eine Pistole. Auf seinem Handrücken ist eine schwarze Rose tätowiert und sein Handgelenk wird von einer silbernen Uhr umschlossen.
Der Anblick der Schusswaffe lässt mein Herz noch schneller als zuvor rasen.
Eine Stimme in meinem Kopf schreit Renn weg, eine weitere beschwichtigt Hätten sie dich tot gewollt, dann wärst du es längst.
Keine Ahnung, wieso ich noch lebe, aber ich bin froh… verdammt froh, dass ich es tue.
Mich überkommt die Panik, dass jemand meinen Körper angefasst haben könnte, als ich ohnmächtig war, also ziehe ich zügig die dünne Decke höher, mit der ich zugedeckt worden sein muss. Immerhin wurde ich liebevoll zugedeckt, denke ich mir.
Mein Blick wandert meinen Körper entlang. Ich trage noch immer meinen Schlafanzug. Ich ziehe den Hosenbund nach oben, um einen Blick auf meine Unterwäsche zu erhaschen. Es sieht nicht danach aus, als hätte ihn mir jemand aus- und später wieder angezogen.
Gott sei Dank!
Ich nehme einen tiefen Atemzug, auch wenn ich bezweifle, dass mich das in irgendeiner Weise beruhigen kann. Ich setze mich im Bett auf und robbe leise, in der Hoffnung, den Typ nicht zu wecken, zum Bettende. Mir gelingt es, tonlos aufzustehen. Mit angehaltenem Atem schleiche ich auf Zehenspitzen an dem schlafenden Typ vorbei in Richtung Zimmertür. Meine Finger umschließen den Türgriff.
»Was versuchst du da?«, knurrt der Typ. »Denkst du, ich lasse die Tür unabgeschlossen, während wir beide schlafen? Bist du wirklich so dumm, Kleines?«
Mein Brustkorb zieht sich zusammen.
Seine Stimme ist rau. Rau und dunkel. Als hätte er eben ein Glas Whiskey zu sich genommen und eine trockene Zigarre inhaliert. Laut seiner Stimme schätze ich ihn auf Ende dreißig.
Ich bin kurz davor, gegen die Tür zu hämmern und um Hilfe zu rufen. Jedoch werde ich bei der Waffe in seiner Hand nicht weit kommen. Zudem habe ich keine Ahnung, ob mich überhaupt jemand hören würde.
Mein Blick wandert wieder zu dem Typ, er sitzt immer noch unverändert da.
Eine Kurzschlussreaktion überkommt mich. Ohne zu zögern, renne ich ins Badezimmer und schließe eilig hinter mir ab. Ich untersuche panisch die Wände. Shit, natürlich hat dieses Drecksloch kein Fenster, aus dem ich entkommen könnte. Ich bin gefangen.
Gefangen in einem fremden Zimmer mit einem bewaffneten Scheißkerl – und ich habe keine Ahnung, weshalb. Mein Kopf ist leer.
Ich sinke zu Boden und starre auf den blauen Duschvorhang, der langsam vor meinen Augen verschwimmt. Tränen der Verzweiflung fließen über meine Wangen und träufeln auf den kalten schwarzen Fliesenboden. Still schluchze ich vor mich hin.
In der Ecke liegt ein benutztes Handtuch und die Wandfliesen sind noch feucht. Anscheinend hat hier kürzlich jemand geduscht.
Wie lange war ich bitte bewusstlos?
Ich höre schabende Geräusche, die sich mir nähern. Der Typ scheint von seinem braunen Thron aufgestanden zu sein.
Er klopft zweimal gegen die Tür.
»Und hast du schon einen Ausweg gefunden, wie du entkommen kannst? Vielleicht passt du ja durch die Kloschüssel.« Seine Stimme ist gedämpft.
Ich kann hören, dass er sich ein Lachen verkneifen muss. Er macht sich lustig über mich. Natürlich weiß er, dass ich nicht entkommen kann.
Ohne nachzudenken, entgegne ich ein stupides »Fick dich.« Ich bin über mich selbst erstaunt, dass ich sogar in solch einer Situation kein Blatt vor den Mund nehmen kann. Ich hoffe, dass mir das nicht noch zum Verhängnis wird.
»Oho, sie kann also sprechen. Ganz schön frech von dir, Valeria«, antwortet er.
Was? Meine Armhaare steigen zu Berge. Ich halte kurz inne und knete mir den Nacken. Natürlich weiß der fremde Typ meinen Namen.
»Warum bin ich hier? Muss ich… sterben?« Mein Unterkiefer zittert.
»Nicht, wenn du es nicht provozierst«, entgegnet er kühl.
»Wie soll ich es – was auch immer – denn provozieren, wenn ich nicht einmal weiß, wieso ich hier bin?« Mit dem Handrücken wische ich mir die Tränen von meinen Lippen.
»Finde es heraus.«
»Das ist ja eine zufriedenstellende Antwort. Danke für nichts«, zische ich.
»Gerne doch.« Mit langsamen Schritten läuft er von der Badezimmertür weg.
Das war seine Antwort. Mehr kam nicht.
Ich fühle eine Wut in mir, die ich ihm entgegenschreien möchte. Am liebsten würde ich das ganze Badezimmer zusammenbrüllen.
Warum verdammt noch mal bin ich hier?
Ich höre, wie Metall aneinander reibt und ein lautes Quietschen von sich gibt. Anscheinend hat er sich auf das Bett gelegt. Stimmen dringen zu mir. Ich lausche. Die Stimmen ertönen aus dem Fernseher, den er eingeschaltet hat. Das kann doch nicht sein verfluchter Ernst sein… Der Fernseher?
Ich sinke weiter in mir zusammen. Meine Hand presse ich fest auf meinen Mund, dann endlich lasse ich los. Bitterlich weine ich vor mich hin.
Jede Minute, die vergeht, fühlt sich wie eine halbe Ewigkeit an. Keine Ahnung, seit wann ich hier auf dem kalten Fliesenboden sitze. Es muss jedenfalls schon etwas länger sein, da mein Hintern taub ist und mein Magen permanent knurrt. Ich habe schon sämtliche Szenarien in meinem Kopf durchgespielt, die mir eingefallen sind, um aus dieser Situation zu entkommen. Jedoch war jede dieser Ideen eine Katastrophe und endete mit dem Tod.
Und zwar mit meinem.
Valerias Plan, um in einem verschlossenen Zimmer vor einem bewaffneten Mann zu fliehen:
Plan A:
Ich öffne die Tür, prügle auf ihn ein und nehme ihm seine Pistole weg (wie auch immer). Ich drohe ihm, dass er mir den Schlüssel geben soll, sonst würde ich ihn erschießen. Dann renne ich einfach los. Irgendwohin.
Plan B:
Ich öffne die Tür. Gehe brav auf ihn zu. Ich trete ihm in die Eier und kratze seine Augen aus. Und was dann? Ich glaube, ich würde zurück zu Plan A gehen.
Plan C:
Ich öffne die Tür einfach nicht und verweile hier, bis ihm langweilig ist. Er wird genervt von meinem Kinderspiel sein, die Tür eintreten und mich… erschießen?
Plan D:
Ich tue so, als ob ich leblos auf dem Boden liege. Er würde die Tür aufbrechen und nach mir schauen. Wenn er sich dann über mich beugt, haue ich ihm… ähm… hm… die Duschstange gegen den Kopf, sodass er ohnmächtig wird.
Plan E:
Vielleicht ist die einzige Rettung, die mir zur Verfügung steht, mein Leben selbst zu beenden. Ich stranguliere mich mit dem Duschvorhang oder halte die Luft an, bis ich bleich wie Camembert umfalle.
Der Gedanke an Suizid lässt meinen Magen sich krampfhaft zusammenziehen. Alle Ideen, wenn man sie denn so bezeichnen kann, die sich in meinem Kopf sammeln, sind unrealistisch und absurd.
Weder hatte ich jemals zuvor eine Waffe in der Hand noch glaube ich daran, irgendetwas mit meinen Schlägen bewirken zu können, um so an seine Waffe zu gelangen. Ich bin gegen diesen bewaffneten Brocken nur ein kleiner Kieselstein. Was soll ich schon erzielen können?
Ich weiß nicht einmal, wo ich mich befinde. Was wäre denn, wenn ich durch die Tür entkommen sollte? Was würde mich dort draußen erwarten? Vielleicht stehen dort Wachen, die mich direkt erschießen, sobald ich den Raum verlasse? Ich könnte mich auch irgendwo in der Sonora-Wüste befinden oder in einer anderen Einöde, die Mexiko zu bieten hat. Könnte mir jemand zu Hilfe eilen? Ich bin überfragt. Es ist aussichtslos.
Das Klopfen an der Tür holt mich aus meinen Gedanken zurück in die Realität. Diesmal habe ich seine Schritte vorher nicht wahrgenommen.
»Wie lange willst du dich noch vor mir verstecken?«
»Solange du noch atmest!«, brülle ich, während ich wütend gegen die Tür trete.
»Entweder kommst du jetzt freiwillig heraus oder ich breche die Tür auf«, knurrt er.
»Hat dich der Fernseher gelangweilt? Oder wieso möchtest du jetzt Zeit mit mir verbringen?«
»Hat dein Vater dir nicht beigebracht, nicht so vorlaut zu sein? Ich gebe dir eine Minute. Ansonsten hole ich dich persönlich heraus!« Seine Schritte bewegen sich langsam von der Tür weg.
Erneut zieht sich mein Magen zusammen. Mir wird übel, und ich spüre, wie mein Herz schneller zu rasen beginnt.
»Neunundfünfzig, achtundfünfzig… Ich würde mich lieber beeilen«, hallt es gegen die Badezimmertür.
Mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss aus diesem dunklen, stickigen Bad raus.
So reiße ich mich zusammen, wasche mein Gesicht mit kaltem Wasser, um einen einigermaßen klaren Kopf zu bekommen. Mit zittrigen Händen umklammere ich das Waschbecken und schaue mein Spiegelbild an. An meiner Stirn habe ich mehrere kleine Schürfwunden abgekommen, aber ansonsten habe ich keine äußerlichen Verletzungen. Fakt ist dennoch: Ich sah schon mal besser aus.
»Fünf, vier, drei…«, zählt er den Countdown langsam runter.
Mit einer zittrigen Hand drehe ich den Schlüssel um und öffne die Tür. Mein Körper gefriert, als ich den Typ in voller Montur aufrecht vor mir sehe.
Er steht mitten im Raum und schaut mich mit einem schmalen Lächeln an.
Keine Ahnung, womit ich gerechnet habe, aber sicherlich nicht mit einem jungen gutaussehenden Kerl, der vielleicht zwei, drei Jahre älter ist als ich.