Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston - James Fenimore Cooper - E-Book

Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston E-Book

James Fenimore Cooper

0,0
0,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston" (engl. "Lionel Lincoln; or, The Leaguer of Boston") ist ein 1825 veröffentlichter Roman des amerikanischen Schriftstellers James Fenimore Cooper (1789-1851).James Fenimore Cooper (* 15. September 1789 in Burlington, New Jersey als James Cooper; † 14. September 1851 in Cooperstown, New York) war ein amerikanischer Schriftsteller der Romantik. Cooper ist in vielerlei Hinsicht eine Schlüsselfigur der amerikanischen Literatur. Neben Washington Irving war er der erste amerikanische Schriftsteller, der von seinen Büchern leben konnte. Er blieb bis weit in das 20. Jahrhundert hinein auch in Europa der wohl meistgelesene. Nach dem Vorbild Sir Walter Scotts schrieb er die ersten historischen Romane und die ersten Seefahrtsromane der amerikanischen Literatur. Sein umfangreiches Werk umfasst weiter zahlreiche historiografische Werke, Essays und Satiren über Amerika wie Europa. Besonders bekannt sind bis heute seine fünf "Lederstrumpf"-Romane, die die Erschließung des amerikanischen Westens durch weiße Scouts, Trapper und Siedler, aber auch die allmähliche Zurückdrängung und Vernichtung der indianischen Kultur thematisieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorrede zur neuesten Ausgabe des Originals.

Erstes Kapitel.

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Achtes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Sechszehntes Kapitel.

Siebenzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Dreißigstes Kapitel.

Einunddreißigstes Kapitel.

Zweiunddreißigstes Kapitel.

Dreiunddreißigstes Kapitel.

Vierunddreißigstes Kapitel.

Fußnoten

James Fenimore Cooper

Lionel Lincoln oder die Belagerung von Boston

Nach der letzten, vom Verfasser durchgesehenen, verbesserten und mit Anmerkungen versehenen Ausgabe übertragen von Eduard Mauch.

Stuttgart. Verlag von S. G. Liesching.

1851.

Zweite Auflage.

Druck von J. Kreuzer in Stuttgart.

J. F Cooper's Amerikanische Romane, neu aus dem Englischen übertragen. Siebenter Band.

»Erst laßt mich reden mit dem Philosophen da.«

Vorrede zur neuesten Ausgabe des Originals.

Es gibt vielleicht kein anderes Land, dessen Geschichte so wenig für eine poetische Ausschmückung sich eignet, als die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die Kunst des Bücherdrucks war schon seit den ersten Zeiten der Niederlassung in allgemeinem Gebrauch und es gehörte stets zu der Politik wie früher der Provinzen, so jetzt der Staaten, die Verbreitung gründlicher Kenntnisse zu ermuntern. So gibt es weder eine Periode gänzlicher Dunkelheit, noch selbst der Dämmerung in den amerikanischen Annalen. Alles ist nicht allein bekannt, sondern auch so wohl und allgemein bekannt, daß der Phantasie kein Spielraum mehr zur Verschönerung übrig gelassen ist. Zwar ist die Welt auch hier bei Beurtheilung des Charakters von Individuen in ihren gewöhnlichen Irrthum verfallen, indem sie die hervorragendsten und zugleich verständlichsten Seiten derselben als Führer benutzte, um eine Harmonie zu begründen, auf welcher sie fast immer bestehen zu wollen scheint, während doch Alle, welche die Menschennatur gründlich studirt haben, recht wohl wissen, daß oft gerade die entgegengesetztesten Eigenschaften in einer Brust beisammen wohnen. Doch ist es Pflicht für den Dichter, diesen Irrthümern zu willfahren; denn nicht leicht gibt es einen Fehler, der seiner Strafe sicherer wäre, als der ist, welchen ein Schriftsteller begeht, wenn er seine Leser zu belehren sucht, während sie nur unterhalten seyn wollen. Dem Verfasser haben sich diese Wahrheiten durch Erfahrung und zwar noch selten deutlicher aufgedrängt, als in den Schwierigkeiten, auf welche er bei Abfassung dieser seiner einzigen historischen Erzählung stieß – sowie in der Aufnahme, welche sie bei der Lesewelt gefunden. Daß er die Meinung der Letzteren nicht unbeachtet gelassen, hat er dadurch bewiesen, daß er alle ähnlichen Versuche unterließ, auf deren Nutzlosigkeit er mit eben so viel Bestimmtheit als Schonung aufmerksam gemacht wurde.

Wenn einem Romanschreiber erlaubt ist, die Zeitfolge zu ändern und Ereignisse und Gebräuche aus verschiedenen Zeitaltern als die ihm gebührenden Hülfsmittel zusammenzuwählen, so hat er dagegen im Falle des Mißglückens auch kein Recht, den Tadel irgend einem andern Umstande als seiner eigenen Unfähigkeit zuzuschreiben; wenn aber besondere Umstände seinem Erfolg sich entgegenstellten, so muß ihm – und dieß besonders, wenn er seinen Fehler durch Widerruf eingesteht – zu seiner eigenen Rechtfertigung zu sagen erlaubt seyn, daß sein Hauptirrthum darin bestand, sich in ein Unternehmen einzulassen, das überhaupt und unter keinen Verhältnissen gut durchgeführt werden konnte.

Muß der Verfasser auch ohne Rückhalt bekennen, dass Lionel Lincoln nicht geworden ist, was er sich von ihm versprochen hatte, als er seine Arbeit begann – so ist er doch der Meinung, daß der Roman nicht aller Ansprüche an des Lesers Aufmerksamkeit ermangele. Die Schlachten von Lexington und Bunker's Hill, sowie das Manöver auf Prospect Hill sind, wie er überzeugt ist, mit so viel geschichtlicher Treue erzählt, als überhaupt einem Manne möglich war, der kein Augenzeuge dieser wichtigen Ereignisse gewesen ist. Keine Mühe blieb für Untersuchung englischer, wie amerikanischer Dokumente gespart und manche Privatautorität wurde befragt, um dem dringenden Wunsche nach strenger Wahrheit zu genügen. Grund und Boden wurde besucht und genau geprüft: widersprechende Zeugnisse einer genauen Vergleichung unterworfen und der Erfund mit der Wahrscheinlichkeit möglichst in Einklang gebracht. Selbst einen Witterungskalender trug der Verfasser Sorge, sich zu verschaffen und dessen Angaben sorgfältig zu beachten, so daß der, welcher sich für solche Details interessirt, versichert seyn darf, beim Lesen des Buchs nur Fakta über alle diese Einzelheiten zu finden. Zur Erinnerung für Kritiker möge erwähnt werden, daß beim ersten Erscheinen des Lionel Lincoln dem Verfasser eine Nichtbeachtung der Naturgesetze Schuld gegeben wurde, weil – er den Mond so oft eingeführt habe! Die Kritik übersah hier, in ihrem Drange zu tadeln, den wichtigen Umstand, daß die angeführte Zeit von Monat zu Monat fortschritt und ihr möge hiemit gesagt werden, daß das oben erwähnte Witterungstagebuch über die ganze Zeit der Dauer der Arbeit dem Autor vor Augen lag.

Verfasser romantischer Werke werden selbst von Solchen nicht immer recht verstanden, welche die Fähigkeit sowohl als das Recht zu haben meinen, das Treiben ihres Geistes zu zergliedern. Eine freie und allerdings auch günstige Beurtheilung dieses Buchs enthielt bei Aufzählung seiner Verstöße auch die Bemerkung – die Auffassung und Zeichnung der beiden Charaktere des Einfältigen und des Wahnsinnigen müsse dem Verfasser große Schwierigkeit verursacht haben. Die Bemerkung mag deshalb nicht überflüssig seyn, daß Job Pray und Ralph beide nach dem Leben gezeichnet sind, und selbst, so weit der Gang der Erzählung es erlauben wollte, ihre Sprache nach Möglichkeit treu wiedergegeben wurde.

Lionel Lincoln, sowie überhaupt die meisten Werke des Verfassers, wurde ursprünglich von einem unkopirten Manuskript abgedruckt und blieb so allen Unvollkommenheiten preisgegeben, welche gewöhnlich entstehen, wenn Presse und Feder pari passu mit einander gehen. In dieser Ausgabe wurden manche der Fehler verbessert, die von einem so mißlichen Gange der Arbeit unzertrennlich sind, und eben damit werden hoffentlich auch manche Sünden gegen den guten Geschmack getilgt worden seyn.

Erstes Kapitel.

Sie scheinen Ruhe in mein müdes Herz Zu gießen und mir frohem Jugendscherz Mit einen zweiten Frühling vorzuspielen.

Gray.

Kein Amerikaner kann mit den Hauptvorfällen unbekannt seyn, welche im Jahr 1774 das Parlament von Großbritanien veranlaßten, über den Hafen von Boston jene unpolitischen Zwangsmaßregeln zu verhängen, welche den Handel dieser wichtigsten Stadt in den westlichen Colonien von Grund aus zerstörten. Ebenso sollte jeder Amerikaner wissen, mit welch' edler Begeisterung für die hohen Grundsätze des Streites die Einwohner der nächstgelegenen Stadt Salem verschmähten, die Lage ihrer Nachbarn und Mitunterthanen zu ihrem Vortheil zu benützen. In Folge dieser unklugen Maßregeln der englischen Regierung und der lobenswerthen Eintracht unter den damaligen Capitalisten war es eine Seltenheit geworden, wenn man Segel eines andern Schiffes, als solcher, die des Königs Flagge trugen, die verlassenen Gewässer der Massachusets-Bay durchkreuzen sah.

An einem Aprilabend des Jahres 1775 waren indessen die Augen von Hunderten auf ein fernes Segel geheftet, das man aus dem Schooße der Wellen emportauchen sah, und das, längs dem verbotenen Landstrich hinziehend, gerade auf den Eingang des verbotenen Hafens zusteuerte. Mit jener besonderen Aengstlichkeit über die kommenden Ereignisse, welche die damalige Periode bezeichnete, sammelte sich ein großer Haufe Zuschauer auf Beacon-Hill[1]; von seinem kegelförmigen Gipfel weit hinab bis zu seinem östlichen Abhange sich ausbreitend, blickten Alle in gespannter Erwartung nach dem Gegenstand ihrer gemeinschaftlichen Aufmerksamkeit. In dieser großen Versammlung herrschten übrigens sehr verschiedene Gefühle, und mancherlei, oft ganz entgegengesetzte Wünsche waren es, denen sie nachhing. Während der ehrbare, ernste und dabei vorsichtige Bürger bemüht war, die Bitterkeit, welche seine Seele erfüllte, unter dem Anschein kalter Gleichgültigkeit zu verbergen, ertönte von einigen munteren jungen Leuten, die, in den kriegerischen Putz ihres Standes gekleidet, unter den Haufen gemischt standen, lauter Jubel und herzliche Glückwünsche bei der Aussicht, von der entfernten Heimath und den abwesenden Freunden Kunde zu vernehmen. Aber das lange, laute Rasseln der Trommeln, das von dem angränzenden Grunde in die Abendluft heraufdrang, rief mit einem Mal diese müssigen Zuschauer insgesammt von der Stelle, worauf der Hügel im ruhigen Besitz Derjenigen verblieb, welche die gegründetsten Ansprüche auf seine Benützung hatten. Doch war damals keine Zeit zu ruhiger, rückhaltsloser Mittheilung. Lange bevor die Abendnebel die Schatten, welche die untergehende Sonne herüberwarf, eingehüllt hatten, war der Hügel gänzlich verlassen; der Rest der Zuschauer war von der Höhe herabgestiegen und Alle verfolgten einzeln, schweigend und in Gedanken vertieft die verschiedenen Wege nach den düsteren Häuserreihen, welche die Niederung längs der Ostseite der Halbinsel bedeckten. Trotz dieses Anscheins von Apathie war das Gerücht, das in Zeiten großer Aufregung immer Mittel findet, sein Flüstern umherzutragen, wenn es nicht wagen darf, seine Kunde laut werden zu lassen – bereits geschäftig, die unwillkommene Nachricht zu verbreiten, daß das fremde Schiff der Vorläufer einer Flotte sey, welche einem Heere Vorräthe und Verstärkung bringen sollte, das bereits zu zahlreich war und zu viel auf seine Macht vertraute, um das Gesetz noch zu respektiren. Kein Tumult, kein Lärm folgte dieser unerfreulichen Botschaft, aber die Thüren der Häuser wurden mürrisch geschlossen, die Fenster wurden dunkel, wie wenn das Volk seine Unzufriedenheit durch diese stummen Zeichen der Mißbilligung hätte ausdrücken wollen.

Unterdessen hatte das Schiff den felsigen Eingang zum Hafen erreicht, wo es, von dem Seewind verlassen und gegen die zurückströmende Ebbe lavirend, unthätig liegen blieb, gleichsam als wäre es der unwillkommenen Aufnahme bewußt, die ihm werden sollte. Die Besorgnisse der Einwohner von Boston hatten übrigens die Gefahr übertrieben, denn das Fahrzeug zeigte durchaus nicht das Getümmel einer zügellosen Soldateska, wie sie wohl ein Transportschiff erfüllt hätte, sondern war nur schwach bemannt, und auf dem geordneten Verdeck sah man nirgends herumliegendes Gepäck, welches der Bequemlichkeit Derer, die es enthielt, hätte hinderlich seyn können. Aus der Anordnung seiner äußern Erscheinung hätte ein geübter Beobachter den Schluß ziehen können, es befänden sich unter der Equipage Leute von Rang und von solchen Mitteln, daß Andere reichlich für deren Bequemlichkeit zu sorgen sich veranlaßt gefunden hätten. Die wenigen Seeleute, welche das Fahrzeug an Bord hatte, lagen an verschiedenen Seiten des Schiffs ausgestreckt und beobachteten die schlaffen Segel, wie sie gegen die Masten anschlugen, oder hatten ihren gleichgültigen Blick auf die stillen Wasser der Bay gerichtet, indeß mehre Bediente in Livree um einen jungen Mann versammelt waren, der seine eifrigen Fragen an den Lootsen richtete, welcher so eben von Graves aus das Schiff bestiegen hatte. An der studirten Eleganz und der Miene dieses Hauptsprechers konnte man deutlich sehen, daß er einer von Denen war, die ihre Bildung aus zweiter Hand erhalten. Weiter von der Stelle, wo diese neugierige Gruppe stand, und um den Hauptmast war ein großer Theil des Oberdecks leer; aber näher bei dem Orte, wo der verdrossene Seemann müssig über das Steuer des Schiffs sich herabbeugte, stand ein Wesen von ganz verschiedener Gestalt und Kleidung. Es war ein Mann, der für einen hochbejahrten Greis hätte gehalten werden mögen, wofern nicht der rasche, glühende Blick seiner Augen und der lebhafte kräftige Schritt, wenn er gelegentlich über das Deck hinging, die gewöhnlichen Anzeichen vorgerückten Alters Lügen gestraft hätte. Seine Gestalt war gebückt und fast zur Ausgezehrtheit abgemagert. Sein Haar, das etwas wild um seine Schläfe flatterte, war dünn und zu dem Silberweiß von wenigstens achtzig Wintern abgebleicht. Tiefe Runzeln vereinten sich als Zeichen hohen Alters und lange getragener Sorgen und furchten seine hohlen Wangen, wodurch der kühne Umriß seiner hervorragenden Züge noch auffallender wurde. Er trug ein einfaches und etwas abgetragenes Gewand von bescheidenem Grau, das die schlecht verhüllten Spuren langen, unachtsamen Gebrauchs zeigte. So oft er den durchbohrenden Blick vom Ufer abwandte, schritt er schnell über das verlassene Oberdeck hin und schien ganz von seinen eigenen Gedanken übermannt; die Lippen bewegten sich rasch, doch hörte man seinen Laut aus einem Munde hervorkommen, der gewöhnlich stumm war, und allem Anschein nach stand er unter der Einwirkung eines jener plötzlichen Eindrücke, in welchen der Körper so genau mit der ruhelosen Thätigkeit des Geistes zusammenstimmt. Da kam ein zweiter junger Mann aus der Kajüte heraufgestiegen und nahm seinen Standpunkt unter den nach dem Lande blickenden Zuschauern auf dem oberen Theil des Verdecks. Das Alter dieses Herrn mochte etwa fünfundzwanzig seyn. Er trug einen Militärmantel, nachlässig über die Schulter geworfen, und dieser, nebst denjenigen Theilen seiner Kleidung, welche durch die offenen Falten sichtbar waren, bewies genugsam, daß er zur Armee gehörte. Der Jüngling zeigte in seiner Miene etwas Ungezwungenes und Vornehmes, obgleich seine sprechenden Züge zuweilen melancholisch erschienen. Indem der junge Offizier das Verdeck erreichte, begegnete er den Augen des bejahrten und rastlosen Wesens, das auf den Planken hinschritt; er grüßte ihn höflich, bevor er sich nach der Aussicht wandte und war auch seinerseits bald im Beschauen ihrer verschwimmenden Schönheiten tief versunken.

Die Höhen von Dorchester leuchteten noch von den Strahlen des Gestirns, das eben hinter ihrem Kamme hinabgesunken war, und Streifen eines blässeren Lichts spielten auf den Wassern, die grünen Gipfel der Eilande vergoldend, die um die Mündung der Bucht gelagert waren. Weit in der Ferne erblickte man schlanke Kirchthürme aus dem Schatten der Stadt emporsteigen, die Wetterfahnen in der Sonne glitzernd, indeß wenige Strahlen eines stärkeren Lichts um den schwarzen Leuchtthurm tanzten, der hoch auf der kegelförmigen Anhöhe emporstieg, die ihren Namen gerade von diesem Lärmzeichen, das sie trug, erhalten hatte. Verschiedene große Schiffe lagen zwischen den Eilanden und bei der Stadt vor Anker; ihre schwarzen Massen verschwammen mit jedem Augenblick mehr in dem Nebel des Abends, während die Spitzen ihrer langen Mastenlinien noch in dem Glanz des Tages glühten. Von jedem dieser finsteren Schiffe, von der niederen Schanze, die auf einer kleinen Insel tief in der Bay emporstieg und von verschiedenen Erhöhungen in der Stadt selbst wehten noch die breiten Falten der Flagge Englands. Auf einmal wurde der junge Mann aus der Betrachtung dieser Scene durch den plötzlichen Knall der Abendkanonen herausgerissen und während seine Augen noch die verschiedenen Zeichen der brittischen Macht verfolgten, wie sie von ihrem ursprünglichen Standorte sich herabsenkten, fühlte er seinen Arm von der Hand seines betagten Reisegefährten krampfhaft gedrückt.

»Wird je der Tag erscheinen,« sagte eine dumpfe, hohle Stimme an seiner Seite, »wo jene Flaggen werden niedergesenkt werden, um nie wieder auf dieser Halbkugel sich zu erheben?«

Der junge Krieger richtete den raschen Blick auf die Gesichtszüge des Sprechenden, schlug ihn aber augenblicklich wieder in Verwirrung auf das Verdeck nieder, um dem scharfen, forschenden Strahl, der ihn traf, auszuweichen. Es folgte ein langes und auf Seiten des jungen Mannes peinliches Schweigen; endlich sagte der Letztere, indem er nach dem Lande deutete:

»Bitte, Sie sind ja von Boston und müssen es so lange schon gekannt haben; nennen Sie mir doch die Namen all' dieser Stellen!«

»Und sind nicht auch Sie aus Boston?« fragte sein alter Gefährte.

»Ja, durch Geburt wohl; doch, durch Gewohnheit und Erziehung bin ich Engländer.«

»Verflucht sey die Gewohnheit und verwünscht die Erziehung, die ein Kind lehrt, seine Abkunft zu vergessen!« murmelte der Alte, indem er sich abwandte und so schnell hinwegeilte, daß er sich plötzlich in den vorderen Theilen des Schiffes verlor.

Noch einige Minuten stand der Jüngling dem eigenen Nachsinnen hingegeben, dann, wie wenn er sich seines früheren Vorhabens erinnerte, rief er laut – »Meriton!«

Bei dem Klang seiner Stimme zertheilte sich augenblicklich die neugierige Gruppe um den Lootsen, und der hoch aufgeputzte Jüngling, dessen wir eben erwähnten, näherte sich dem Offizier mit einer Miene, worin kecke Vertraulichkeit mit ängstlichem Respekt sich höchst sonderbar mischte. Ohne übrigens auf des Andern Miene zu achten, oder vielmehr, ohne ihn nur eines Blicks zu würdigen, fuhr der junge Krieger fort:

»Ich befahl Dir, das Boot, das nach unserem Schiffe kam, zurückzuhalten, um mich zur Stadt zu bringen; sieh' nach, Mr. Meriton, ob es bereit ist.«

Der Diener eilte, seinen Auftrag zu vollziehen, und kehrte einen Augenblick darauf mit einer bejahenden Antwort zurück.

»Aber, Sir,« fuhr er fort, »Sie werden nicht mehr daran denken, in diesem Boote wegzugehen, ich bin fest davon überzeugt, Sir.«

»Deine Ueberzeugung, Mr. Meriton, ist nicht die geringste Deiner empfehlenswerthen Eigenschaften; warum sollte ich nicht?«

»Dieser widrige alte Fremde hat schon mit seinem Lumpenquark Besitz davon genommen; und –«

»Und was? Du mußt, um mich hier zurückzuhalten, ein größeres Uebel nennen, als das Faktum ist, daß der einzige Gentleman auf dem Schiffe mein Reisegefährte seyn wird!«

»Gott, mein Herr!« rief Meriton und schlug die Augen voll Verwunderung gegen Himmel; »aber, Sir, gewiß verstehen Sie sich am Besten auf Feinheit im Benehmen – was aber die Feinheit in der Kleidung betrifft –«

»Genug davon,« unterbrach ihn sein Herr, etwas ärgerlich; »die Gesellschaft ist so, daß ich damit zufrieden bin; findest Du sie für Deine Verdienste zu gering, so hast Du meine Erlaubniß, bis zum Morgen auf dem Schiffe zurückzubleiben. – Die Gegenwart eines Gecken ist durchaus nicht nöthig zu meiner Bequemlichkeit für eine Nacht.«

Ohne die Bestürzung seines beschämten Dieners zu beachten, schritt der junge Mann über das Deck zu der Stelle, wo das Boot seiner wartete. An der allgemeinen Rührigkeit unter den müssigen Dienern und der tiefen Ehrfurcht, mit der er von dem Herrn des Schiffs bis zu dem Bordgange begleitet wurde, war deutlich zu sehen, daß trotz seiner Jugend dieser Offizier es war, dessen Gegenwart jene Anordnungen auf dem Schiff hervorgerufen hatte, deren wir oben erwähnt haben. Während jedoch Alle um ihn her emsig bemüht waren, das Einsteigen des Offiziers in das Boot zu erleichtern, behauptete der bejahrte Fremde mit einer Miene tiefer Zerstreuung den Ehrenplatz in demselben. Ein Wink des geschmeidigen Meriton, der doch für besser gehalten hatte, seinem Herrn zu folgen – daß es wohl passender seyn möchte, diesen Platz zu räumen – ward nicht beachtet und der Jüngling setzte sich an der Seite des alten Mannes mit einer Gleichgültigkeit nieder, die sein Diener nicht umhin konnte, im Innern für herabwürdigend zu erklären. Als ob diese Demüthigung noch nicht genügte, wandte sich der junge Mann, da er bemerkte, daß eine allgemeine Pause seinem eigenen Eintritt gefolgt war, an seinen Gefährten und fragte ihn höflich, ob er zur Abfahrt bereit sey. Ein stummer Wink der Hand war die Antwort, worauf das Boot von dem Schiff abstieß, während das Letztere nach einem Ankerplatz in Nantasket hinsteuerte.

Der abgemessene Ruderschlag wurde durch keine Stimme unterbrochen, während sie, gegen die Ebbe sich stemmend, mühsam zwischen den Eilanden sich durcharbeiteten; als sie aber das Castell erreicht hatten, war das Zwielicht mit den sanfteren Strahlen des Neumonds verschmolzen, und jetzt, da die umgebenden Gegenstände deutlicher hervortraten, fing auch der Fremde an, mit jener beweglichen und überraschenden Heftigkeit zu erzählen, die seine natürliche Art zu seyn schien. Er sprach von den Oertlichkeiten mit der Wärme und der Rührung eines Enthusiasten und mit der Vertrautheit eines Mannes, der lange ihre Schönheiten gekannt hatte. Seine hastige Beredsamkeit verstummte jedoch, als sie den nackten Werften sich näherten und düster sank er in's Boot zurück, als wünsche er nicht, seine Stimme über das Wehe seines Vaterlandes laut werden zu lassen. So seinen eigenen Gedanken überlassen, blickte der Jüngling mit gespannter Aufmerksamkeit auf die langen Häuserreihen, die nun deutlich, obwohl in sanfteren Farben und tieferen Schatten dem Auge sichtbar waren. Wenige vernachlässigte, abgetackelte Schiffe lagen an verschiedenen Stellen; aber es fehlte das rührige Summen der Geschäftigkeit, der Wald von Masten, das Rasseln der Räder, welches um diese frühe Stunde den großen Markt der Colonien hätte bezeichnen sollen. Statt dessen hörte man von Zeit zu Zeit Klänge kriegerischer Musik, die lärmende Fröhlichkeit der Soldaten, welche die Schenken am Strand füllten, oder das dumpfe Anrufen der Schildwachen auf den Kriegsschiffen, wenn sie die wenigen Boote, welche die Einwohner noch zu ihren gewöhnlichen Geschäften gebrauchten, in ihrem Laufe aufhielten.

»Hier hat sich in der That Manches geändert!« rief der junge Offizier, als sie an diesem verödeten Schauplatze hinfuhren, »sogar meine Rückerinnerungen, jugendlich und undeutlich, wie sie sind, rufen mir den Unterschied zurück!«

Der Fremde gab keine Antwort, aber ein Lächeln von besonderer Bedeutung zuckte über sein blasses Gesicht, dessen auffallende Züge in dem Mondlicht noch wilder erschienen. Der Offizier wurde wieder schweigsam und Keiner von Beiden sprach weiter ein Wort, bis das Boot an dem Ende der langen Werfte, an deren nacktem Ende eine Schildwache in abgemessenem Schritt auf und ab ging, vorbeigeschossen war, und nunmehr nach dem Ufer sich wendend, den Ort seiner Bestimmung alsbald erreichte.

Welches auch immer die gegenseitigen Gefühle der beiden Reisenden gewesen seyn mochten, da sie nun endlich in Sicherheit das Ziel ihrer mühsamen und langen Reise erreicht hatten – sie wurden nicht in Worten ausgedrückt. Der alte Mann entblößte seine Silberlocken, und das Antlitz mit dem Hute verbergend, stand er, als ob er tief im Innersten für die Beendigung der Mühseligkeit seinen Dank darbrächte, während sein jugendlicherer Gefährte sich auf die Werfte, an der sie landeten, mit der Miene eines Mannes emporschwang, dessen Bewegung für den gewöhnlichen Ausdruck durch Worte zu heftig war.

»Hier müssen wir scheiden, Sir,« sagte endlich der Offizier; »doch hoffe ich, die Bekanntschaft, die so zufällig zwischen uns begründet ward, soll nunmehr nicht vergessen werden, da unsere gemeinsamen Entbehrungen ihr Ende erreicht haben.«

»Es steht nicht in der Macht eines Mannes, dessen Tage wie die meinen gezählt sind,« antwortete der Fremde, »der Gnade seines Gottes durch eitle Versprechungen zu spotten, deren Erfüllung einzig von der Zeit abhängen muß. Ich bin ein Mann, junger Freund, der von einer trüben, trüben Pilgerfahrt auf der andern Halbkugel zurückgekehrt ist, um seine Gebeine hier, in dem Lande seiner Geburt niederzulegen; sollten aber noch manche Stunden mir gewährt seyn, so sollen Sie ferner von einem Manne hören, den Ihre Artigkeit und Güte so sehr sich verbunden hat.«

Der Offizier war sichtbar ergriffen von der milden, aber feierlichen Weise seines Gefährten, und drückte dessen welke Hand mit Wärme, als er antwortete:

»Thun Sie das; ich erbitte es mir als eine besondere Gunst: ich weiß nicht, wie es kommt, aber Sie haben eine Gewalt über meine Gefühle erlangt, wie kein anderes Wesen sie bis jetzt besaß – und doch – mir ist's ein Geheimniß, ist wie ein Traum! Ich fühle es – ich verehre Sie nicht nur, ich liebe Sie auch!«

Der alte Mann trat zurück und hielt den Jüngling für einen Augenblick auf Armeslänge von sich, während er einen Blick der wärmsten Theilnahme auf ihn heftete; dann sachte die Hand erhebend, deutete er aufwärts und sagte:

»Das kommt vom Himmel und nach Gottes besonderem Willen; unterdrücke dieses Gefühl nicht, Knabe, sondern pflege es im Innersten des Herzens!«

Die Antwort des Jünglings wurde durch heftiges Schreien unterbrochen, das plötzlich die Stille des Ortes störte. Rasche, heftige Schläge einer Peitsche hörte man zwischen dem Schmerzensrufe des Leidenden, und rohe Schwüre mit gräulichen Flüchen von verschiedenen Stimmen mischten sich in den Aufruhr, der nicht sehr fern zu seyn schien. In gemeinsamem Antrieb brach die ganze Gruppe von dem Platze auf und eilte rasch die Werfte aufwärts in der Richtung der Töne. Als sie den Wohnungen näher kamen, sahen sie um eben den Menschen, der die Stille des Abends durch sein Geschrei gestört hatte, einen Haufen Leute versammelt, welche seine Jammertöne durch ihre Scherze unterbrachen und seine Peiniger zum Fortfahren ermuthigten.

»Gnade, Gnade, um des gesegneten Gottes Willen, habt Erbarmen und tödtet nicht Job!« kreischte der Dulder wieder, »Job will Euch Eure Gänge laufen! Job ist nur halb gescheidt! Gnade für den armen Job! O, Ihr schindet ja sein Fleisch!«

»Ich will dem Schufte das Herz ausreißen,« rief eine rauhe Stimme; »sich zu weigern, die Gesundheit Sr. Majestät zu trinken!«

»Job wünscht ihm gute Gesundheit – Job liebt den König – nur liebt Job nicht Rum!«

Der Offizier hatte sich so weit genähert, um zu bemerken, daß hier eine Scene der Unordnung und Gewaltthätigkeit vor sich gehe; er stieß den Haufen von Soldaten, die das Gedränge bildeten, auseinander und brach mit einem Male in die Mitte des Kreises.

Zweites Kapitel

Oft wollen sie mich geißeln, sprech ich Wahrheit; Du willst mich geißeln lassen wegen Lügen; Und oft werd' ich gegeißelt, schweig ich still. Ich möchte lieber Alles andre seyn Nur nicht ein Narr.

Lear.

Was soll das Geschrei?« fragte der junge Mann und packte den Arm eines lachenden Soldaten, der die Schläge austheilte, »mit welchem Recht wird dieser Mensch so mißhandelt?«

»Mit welchem Recht untersteht Ihr Euch, Hand an einen brittischen Grenadier zu legen!« schrie der Bursche, indem er sich umwandte und seine Peitsche gegen den vermeintlichen Bürger erhob. Aber der Arm des brutalen Kriegers blieb unbeweglich in der Luft schweben, als der Offizier auf die Seite trat, um der gedrohten Beschimpfung auszuweichen und das Mondlicht durch die offenen Falten seines Mantels auf seine glitzernde Uniform fiel.

»Antwort,« fuhr der junge Offizier weiter, indem seine Gestalt vor Unwillen zitterte; »warum wird dieser Mensch mißhandelt, und von welchem Regiment seyd ihr?«

»Wir gehören zu den Grenadieren des braven Siebenundvierzigsten, Euer Gnaden,« erwiederte einer der Nebenstehenden in abbittendem Tone; »wir wollten eben diesen Klotz da abhobeln, der sich weigert, Sr. Majestät Gesundheit zu trinken.«

»Er ist ein schamloser Sünder, der seinen Schöpfer nicht fürchtet,« schrie der arme Bedrängte, indem er rasch sein Gesicht, an dem dicke Thränentropfen herabrollten, gegen seinen Beschützer kehrte. »Job liebt den König, aber Job liebt nicht Rum!«

Der Offizier wandte sich ab von dem Grauen erregenden Anblick und befahl den Soldaten, ihren Gefangenen loszubinden. Messer und Finger wurden augenblicklich in Bewegung gesetzt; der Mensch ward befreit und ihm erlaubt, seine Kleider wieder anzuziehen. Während dieses Geschäfts herrschte auf den Tumult und das Getöse, das kaum noch die lärmende Scene bezeichnet hatte, eine solche Stille, daß man – ein schmerzlicher Eindruck – das tiefe Athmen des Dulders deutlich vernehmen konnte.

»Nun, ihr Herren und Helden vom Siebenundvierzigsten!« sagte der junge Mann, als das Opfer ihrer Wuth wieder angekleidet war, »kennt ihr diesen Knopf?« – Der Krieger, an den diese Frage besonders gerichtet war, blickte auf den ausgestreckten Arm und sah mit Bestürzung die magische Nummer seines eigenen Regiments auf den wohlbekannten weißen Aufschlägen, die den Scharlach der Uniform zierten. Keiner wagte auf diese Aufforderung zu antworten und nach einem eindrucksvollen Schweigen von mehren Augenblicken fuhr der Offizier fort:

»Ihr seyd edle Erhalter des wohl erworbenen Ruhms von ›Wolfs Eignen‹! tüchtige Nachfolger jener braven Männer, die unter den Wällen von Quebec fochten! Fort mit euch, morgen soll das Weitere folgen!«

»Ich hoffe, Euer Gnaden werden sich erinnern, er verweigerte des Königs Gesundheit. Ich bin gewiß, Sir, wenn Obrist Nesbitt selbst hier gewesen wäre – –«

»Hund, Du unterstehst Dich zu zögern! fort, so lange Dir noch frei steht, zu gehen.«

Die verwirrten Soldaten, deren Zügellosigkeit auf diese Art wie durch Zauber vor dem Zorne ihres Oberen verschwunden war, schlichen alle zusammen weg, indem die wenigen Aelteren unter ihnen ihren Kameraden den Namen des Offiziers zuflüsterten, der so unerwartet in ihrer Mitte aufgetreten war. Das zornige Auge des jungen Kriegers folgte dem sich entfernenden Trupp, so lange noch ein Mann davon sichtbar war; hierauf an einen älteren Bürger sich wendend, der, auf eine Krücke gelehnt, die Scene mit angesehen hatte, fragte er:

»Wißt Ihr die Ursache der grausamen Behandlung, die dieser Arme erfahren, oder was überhaupt zu dieser Gewaltthätigkeit geführt hat?«

»Der Junge ist schwachsinnig,« erwiederte der Krüppel; »ein ganz unschuldiger Mensch, der nur wenig Gutes weiß, aber Niemand ein Leids thut. Die Soldaten haben in jener Branntweinschenke gezecht und locken oft den armen Burschen hinein, um sich über seine Schwäche lustig zu machen. Wenn diese Handlungsweise nicht endlich verboten wird, so fürchte ich sehr, wird mancher Verdruß daraus entstehen. Harte Gesetze von der andern Seite des Wassers, Unentschlossenheit und Eingriffe auf dieser, mit Herren wie Kolonel Nesbitt an der Spitze, werden –«

»Es ist am besten, mein Freund, den Gegenstand nicht weiter zu verfolgen,« unterbrach ihn der Offizier. »Ich gehöre selbst zu Wolfs Eigenen und will mich bemühen, daß Gerechtigkeit in der Sache geübt wird. Ihr werdet mir das glauben, wenn ich Euch sage, daß ich selbst ein Bostonerkind[2] bin. Aber, bin ich auch ein Eingeborner, so hat doch lange Abwesenheit die Kenntniß der Stadt aus meinem Gedächtnisse verwischt, und ich bin in Verlegenheit, in diesen krummen Straßen mich zurecht zu finden. Wißt Ihr die Wohnung von Mrs. Lechmere?«

»Das Haus ist Allen in Boston wohl bekannt,« antwortete der Krüppel in einem Tone, der seit der Nachricht, daß er mit einem Landsmann spreche, sich merklich geändert hatte. »Job hier thut sonst fast Nichts, als Anderen Gänge besorgen und wird Ihnen den Weg aus Dankbarkeit weisen; nicht wahr, Job?«

Der Blödsinnige – denn das leere Auge und das nichtssagende, knabenhafte Gesicht des jungen Menschen, der kaum erst befreit worden, verkündeten nur zu deutlich, daß er zu jener bedauernswerthen Klasse menschlicher Wesen gehöre – antwortete mit einer Vorsicht und Zurückhaltung, die wohl ein wenig befremden mußte, wenn man sich zurückrief, was kaum noch vorgegangen war.

»Mad. Lechmere's! O ja, Job weiß den Weg und könnte blindlings dahin gehen, wenn – wenn –«

»Wenn was, Du Simpel,« rief der Krüppel sich ereifernd.

»Ja, wenn es Tag wäre!«

»Blindlings und Tag! hör' doch Einer das thörichte Kind! Komm, Job, Du mußt diesen Herrn in die Tremontstraße führen, ohne weitere Worte. Es ist eben erst Abend, Bursche, und Du kannst dahin gehen und wieder zu Haus und im Bett seyn, ehe noch der ›alte Süd‹[3] acht schlägt!«

»Ja, das kommt d'rauf an, welchen Weg man geht,« erwiederte der widerstrebende Junge. »Nun weiß ich, Nachbar Hopper, Ihr kommt nicht in einer Stunde zu Mad. Lechmere, wenn Ihr durch Lynnstreet, dann Princestreet entlang und endlich zurück über Snow-Hill ginget; und besonders, wenn Ihr einige Zeit verweiltet, um nach den Gräbern auf Copps zu sehen.«

»Pah! der Narr ist einmal wieder in seiner trüben Laune, mit seinem Copps-Hill und den Gräbern,« fiel der Krüppel ein, dessen Herz sich für seinen jugendlichen Landsmann erwärmt hatte und der gerne freiwillig den Weg gezeigt hätte, wenn anders seine Gebrechlichkeit die Anstrengung erlaubt hätte. »Der Herr muß wohl die Grenadiere zurückrufen, um das Kind zur Vernunft zu bringen.«

»Es ist durchaus unnöthig, gegen den unglücklichen Jungen barsch zu seyn,« sagte der junge Krieger; »mein Gedächtniß wird mir hoffentlich beim Weitergehen zu Hülfe kommen: wenn nicht, so kann ich jeden Vorübergehenden fragen, dem ich begegne.«

»Wenn Boston noch wäre, was Boston war, dann könnten Sie freilich an jeden höflichen Einwohner an jeder Ecke eine solche Frage stellen!« sagte der Krüppel; »aber es ist selten, viele von unserm Volk auf den Straßen zu sehen zu dieser Stunde, seit dem Blutvergießen.[4] Ueberdieß ist es Samstag Nacht, wie Sie wissen; gerade die rechte Zeit bei diesen Herumschwärmern für ihre Saufgelage. In dieser Beziehung sind die Soldaten unverschämter geworden denn je, seit sie jene Schlappe mit der Kanone unten bei Salem erhalten haben; aber ich brauche einem Manne, wie Sie nicht erst zu sagen, wie Soldaten sind, wenn sie etwas wild werden.«

»Ich kenne meine Kameraden nur halbwegs genau, wenn ihr Benehmen heute Abend eine Probe ihrer gewöhnlichen Aufführung ist,« erwiederte der Offizier; doch folge, Meriton, ich fürchte keine große Schwierigkeit auf unserem Wege.«

Der geschmeidige Diener nahm den Mantelsack vom Boden auf und sie waren im Begriff, weiter zu gehen, als der Blödsinnige, indem er von der Seite und verstohlen sich näher an den Herrn machte, diesem einen Augenblick ernst in's Gesicht sah, woraus er Muth zu schöpfen schien, zu sagen: »Job will dem Offiziere Madame Lechmere's Haus zeigen, wenn der Offizier nicht leiden will, daß die Grenadiere Job wieder fangen, ehe er am North-End vorüber ist.«

»Aha!« sagte der junge Mann lachend, »es ist Etwas von der List eines Narren in diesem Vorschlag. Wohl, ich nehme die Bedingungen an, aber hüte Dich, mir Deine Gräber im Mondschein zu zeigen, oder ich übergebe Dich nicht allein den Grenadieren, sondern auch der leichten Infanterie, der Artillerie und Allen.«

Mit dieser gutmüthigen Drohung folgte der Offizier seinem flinken Führer, nachdem er noch freundlichen Abschied von dem gefälligen Krüppel genommen, der fortwährend den Schwachsinnigen ermahnte, die gerade Straße nicht zu verlassen, so lange noch seine Stimme den sich Entfernenden hörbar war. Der Gang seines Führers war so rasch, daß der junge Offizier genöthigt war, den Ueberblick über die engen, krummen Straßen, durch die sie kamen, auf äußerst hastige, unvollkommene Blicke zu beschränken. Es war jedoch keine sehr genaue Beobachtung nöthig, um zu bemerken, daß er durch einen der schmutzigsten, unbedeutendsten Theile der Stadt geführt wurde, wo er, trotz aller Anstrengungen, es durchaus unmöglich fand, ein einziges Bild von seiner Vaterstadt in seinem Gedächtnisse herauszufinden. Die Klagen Meriton's, der seinem Herrn dicht auf den Fersen folgte, wurden laut und häufig, bis endlich Jener, ein wenig an der guten Absicht seines unlenksamen Führers zweifelnd, ausrief:

»Hast Du nichts Besseres, als dieß, einem Landsmann bei seiner Rückkehr zu zeigen, nachdem er siebenzehn Jahre abwesend war! Geh, laß uns eine bessere Straße wählen, als diese, wenn es in Boston welche gibt, die besser genannt werden können.«

Der Bursche hielt kurz an und blickte mit einer Miene unverhehlten Erstaunens in das Gesicht des Sprechers; dann, ohne ein Wort zu erwiedern, änderte er die Richtung des Wegs, und nach einer oder zwei weiteren Abschweifungen drehte er plötzlich wieder um und klimmte einen Durchgang hinan, der so eng war, daß die Wandernden auf beiden Seiten die Häuser hätten berühren können. Der Offizier zauderte einen Augenblick, diese dunkle, winkliche Gasse zu betreten: als er aber bemerkte, daß sein Führer schon hinter einer Biegung der Häuser verschwunden war, beschleunigte er seine Schritte und stieß alsbald wieder zu ihm. Sie traten bald aus der Dunkelheit des Ortes hervor und lenkten in eine Straße von größerer Breite.

»Hier!« sagte Job triumphirend, als sie diesen düsteren Durchgang passirt hatten, »wohnt der König auch in einer so winklichen, engen Gasse wie diese?«

»Seine Majestät muß hier zu Deinen Gunsten entscheiden,« erwiederte der Offizier.

»Madame Lechmere ist eine große Dame!« fuhr der Bursche fort, anscheinend dem Gang seiner eigenen phantastischen Einfälle folgend, »und sie würde nicht um die ganze Welt in diesem Durchgang wohnen wollen, obgleich er eng ist, wie der Weg zum Himmel, wie die alte Nab sagt; ich vermuthe, Sie nennen's deßwegen auch nach den Methodisten.«

»Ich habe den Weg, den Du meinst, eng nennen hören, allerdings, aber man schildert ihn auch als gerade,« erwiederte der Offizier, etwas belustigt durch die Laune des Jungen; »aber vorwärts, die Zeit eilt dahin und wir zaudern.«

Job drehte um, und sich vorwärts bewegend führte er sie mit raschen Schritten auf einen andern engen, gekrümmten Pfad, der übrigens eher den Namen einer Straße verdiente, da er unter den vorstehenden Stockwerken der hölzernen Häuser, die ihn zu beiden Seiten einfaßten, hinlief. Nachdem sie den unregelmäßigen Windungen ihres Weges noch eine Strecke weit gefolgt waren, traten sie auf einen dreieckigen Platz, von wenigen Ruthen im Umfang, wo Job, den schmalen Weg vermeidend, gerade in die Mitte des offenen Raumes vorschritt. Hier hielt er noch einmal, und indem er sein nichtssagendes Gesicht mit tiefem Ernst gegen ein Gebäude drehte, das die eine Seite des Dreiecks bildete, sagte er mit einem Tone, der seine eigene tiefe Bewunderung ausdrückte:

»Hier – das ist der alte North! saht Ihr je zuvor solch ein Gebäude! verehrt der König auch seinen Gott in einem solchen Tempel?«

Der Offizier konnte über die nutzlosen Freiheiten des Narren nicht böse werden, denn in der veralteten und gezierten Architektur des hölzernen Gebäudes erkannte er einen jener frühen Versuche der einfachen, puritanischen Erbauer, deren roher Geschmack mit so vielen Abschweifungen in dem Styl der nämlichen Schule, aber dabei mit so wenig Verbesserungen, auf die Nachwelt gekommen ist. Diese Betrachtungen waren mit den wiederaufdämmernden Bildern seiner erwachten Erinnerung vermengt und er lächelte, als er sich die Zeit zurückrief, wo er ebenfalls an dem Gebäude mit Empfindungen hinaufzublicken pflegte, die mit der tiefen Bewunderung des Blödsinnigen einigermaßen verwandt waren. Job beobachtete scharf seine Züge, und da er ihren Ausdruck mißverstand, streckte er seinen Arm nach einem der engsten Zugänge des Platzes, wo einige Häuser von mehr als gewöhnlichem Prunke standen.

»Und hier wieder!« fuhr er fort, »da sind Paläste für Euch! Der knickige Tommy wohnte in dem einen mit den Pfeilern und den Blumen, die daran herabhängen; und sehen Sie auch die Kronen daran! der knickige Tommy liebte die Kronen, sagen sie; aber das Provinzhaus war nicht gut genug für ihn und er wohnte hier, – nun sitzt er an des Königs Tafel, wie sie sagen!«

»Und wer war der knickige Tommy, und welches Recht hatte er, in dem Provinzhaus zu wohnen, wenn er wollte?«

»Welches Recht hat überhaupt ein Statthalter, im Provinzhaus zu wohnen? weil's dem König gehört! – doch das Volk mußte es bezahlen.«

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sagte Meriton hinten, »nennen die Amerikaner gewöhnlich alle ihre Statthalter knickige Tommies?«

Der Offizier drehte sich bei dieser naseweisen Frage seines Dieners um und bemerkte, daß der bejahrte Fremde ihnen bis jetzt nachgefolgt war, und nun an seiner Seite, auf einen Stab gestützt, mit großer Aufmerksamkeit Hutchinson's letzte Wohnung betrachtete, wobei das Mondlicht ungehindert auf die Züge seines hageren Gesichtes fiel. Ueber der ersten Ueberraschung bei dieser Entdeckung vergaß er zu antworten, und Job nahm die Rechtfertigung seiner Worte selbst auf.

»Allerdings, das thun sie – sie nennen die Leute bei ihren rechten Namen,« sagte er. »Fähndrich Peck heißt Fähndrich Peck; und nennt nur einmal Dekan Winslow anders, als Dekan Winslow, und Ihr werdet sehen, was das für einen Blick absetzt! ich bin Job Pray, und werd' auch so genannt; und warum sollte ein Statthalter nicht knickiger Tommy heißen, wenn er ein knickiger Tommy ist?«

»Hüte Dich wohl, so leichtfertig von des Königs Stellvertreter zu reden,« sagte der junge Offizier, seinen leichten Stock erhebend, als wollte er den Schwachsinnigen zurechtweisen. »Vergißt Du, daß ich ein Soldat bin?«

Der Blödsinnige sprang furchtsam ein wenig zurück; dann, unter seinen gesenkten Augbraunen hervorschielend, antwortete er: »Ich hörte Euch sagen, Ihr wäret ein Bostoner Kind!«

Der junge Mann war im Begriff, mit einem Scherz zu antworten, als der bejahrte Fremde rasch vor ihn hintrat und sich mit einem so auffallenden Ernst neben den Knaben stellte, daß dadurch der Gang seiner Gedanken eine ganz veränderte Richtung erhielt.

»Der junge Mensch kennt die Bande des Bluts und des Vaterlandes,« murmelte der Fremde, »und ich achte ihn!«

Es war wohl die plötzliche Erinnerung an die Gefahr dieser Anspielungen, die der Offizier so wohl verstand, und an welche die zufällige Verknüpfung mit dem sonderbaren Wesen, das sie machte, sein Ohr allmählich gewöhnt hatte – was den Jüngling bewog, seinen Weg wieder aufzunehmen, den er nun schweigend und in tiefen Gedanken durch die Straßen verfolgte. Durch dieses Weiterschreiten entging seinem Auge der herzliche Händedruck, mit dem der alte Fremde den Blödsinnigen begrüßte, wobei er noch wenige freundliche Worte murmelte. Job nahm bald wieder seinen Platz an der Spitze ein, und die ganze Gesellschaft schritt weiter, jedoch weniger rasch als vorher. Als der Bursche tiefer in die Stadt eindrang, schwankte er augenscheinlich ein- oder zweimal in der Wahl der Straßen, und der Offizier fing an zu besorgen, er möchte wieder einen seiner wilden Umwege vorhaben und wolle absichtlich die gerade Straße nach einem Hause vermeiden, dem er offenbar nur mit großem Widerstreben sich näherte. Mehrere Mal blickte der junge Krieger um sich und wollte den ersten Vorübergehenden, den er sehen würde, um die Richtung des Weges befragen; aber tiefe Nachtruhe herrschte schon allenthalben, und kein Mensch, außer denen, welche ihn begleiteten, erschien in den langen Straßenreihen, durch die sie gekommen waren. Die Miene des Führers war so mürrisch und zweifelhaft geworden, daß der Offizier eben beschlossen hatte, an einer der Thüren anzuklopfen, als sie aus der schwarzen, schmutzigen und düsteren Straße auf einen freien Platz hervortraten, der von viel größerem Umfange war, als jener, den sie kaum erst verlassen hatten. An den geschwärzten Mauern eines Hauses vorüber führte sie Job gerade nach der Mitte einer Hängebrücke, die über einen Arm des Hafens geworfen war, der in geringer Entfernung sich bis auf den Platz herein erstreckte und dort eine seichte Rhede bildete. Hier machte er Halt und gestattete dem Anblick der umgebenden Gegenstände freien Eindruck auf Die, welche er hieher geführt. Das Viereck wurde durch drei Reihen niedriger,, düsterer und unregelmäßiger Häuser gebildet, wovon die meisten so aussahen, als wären sie nur wenig bewohnt. Von dem Ende des Basins ausgehend und ein wenig nach der einen Seite hin, dehnte sich ein langes, schmales Gebäude aus Backsteinen, mit Pfeilern geziert. Von Bogenfenstern durchbrochen und von einer niedrigen Kuppel überragt. Das Stockwerk, das die Reihe der steilen, glitzernden Fenster enthielt, war von angereihten Bogen aus demselben Material getragen, durch deren enge Wölbungen die Fleischerbänke des allgemeinen Marktplatzes zu sehen waren. Schwere Karnisse von Stein waren oben und unten an den Pfeilern angebracht, und es zeigte sich in der ganzen Struktur des Gebäudes ein bedeutender Unterschied gegen die ungeschickte Bauart der Wohnungen, an denen sie vorübergekommen waren. Während der Offizier den Schauplatz betrachtete, beobachtete der Narr sein Gesicht, bis er ungeduldig darüber, daß er kein Wort der Freude und des Wiedererkennens hörte, endlich ausrief:

»Wenn Ihr Funnel-Hall nicht kennt, seyd Ihr kein Bostoner Kind!«

»Aber ich kenne Faneuil-Hall und bin ein Bostoner Kind,« erwiederte der Andere, den der Unwille seines Führers ergötzte; »der Platz fängt an, in meinem Gedächtniß sich aufzufrischen, und ich gedenke der Scenen meiner Kindheit!«

»Das also,« sagte der bejahrte Fremde, »ist der Ort, wo die Freiheit so viele kühne Anhänger gefunden hat!«

»Des Königs Herzen würde es wohl thun, wenn er zuweilen das Volk auf Alt-Funnel sprechen hörte,« sagte Job. »Ich war auf den Karnissen und schaute in die Fenster beim letzten Stadtmeeting, und wenn damals Soldaten auf dem Gemeindegrund waren, so gab's auch welche in der Halle, die sich nicht vor jenen fürchteten!«

»Das Alles ist zwar sehr unterhaltend,« sagte der Offizier ernsthaft, »aber es bringt mich auf meinem Wege zu Mrs. Lechmere um keinen Schritt weiter.«

»Es ist auch belehrend,« rief der Fremde; »fahre fort, Kind; ich liebe es, seine einfachen Gefühle so ausgedrückt zu hören; sie verkünden den Stand der öffentlichen Stimmung.«

»Ei,« sagte Job, »sie wurden deutlich ausgesprochen, das ist alles, und es wäre besser für den König, wollte er herüberkommen und sie anhören – es würde seinen Stolz niederschlagen, ihm Mitleid für das Volk einflößen und dann würde er nicht daran denken, den Hafen von Boston zuzuschließen. Gesetzt, er könnte auch das Wasser aufhalten, daß es nicht mehr durch die Engen durch könnte – wir würden's doch von Broad-Sound bekommen! und käme es nicht von Broad-Sound, dann doch durch Nantasket! Er soll nicht glauben, das Bostoner Volk sey so dumm, daß es sich Gottes Wasser durch Parlamentsakten abjagen ließe, so lange noch Alt-Funnel auf Dock-Square[5] steht!«

»Bursche!« rief der Offizier etwas ärgerlich, »jetzt haben wir uns schon bis Schlag acht Uhr aufgehalten und noch sind wir nicht zur Stelle!«

Der Blödsinnige verlor seine Begeisterung und schlug die trüben Blicke wieder zu Boden.

»Wohl!« sagte er, »ich sagte Nachbar Hopper, es gibt mehr Wege zu Mad. Lechmere, als den gerade aus! aber Jeder versteht Job's Geschäft besser, als Job selbst! Nun habe ich durch Euch den Weg vergessen; laßt uns hineingehen und die alte Nab fragen, sie weiß den Weg nur zu gut!«

»Die alte Nab! Du eigensinniger Tölpel! wer ist Nab? und was habe ich mit irgend jemand Anderem, als mit Dir, zu schaffen?«

»Jedermann in Boston kennt Abigail Pray.«

»Was ist's mit ihr?« fragte die zitternde Stimme des Fremden; »was ist's mit Abigail Pray, Junge; ist sie nicht ehrlich?«

»Ja, so weit es ihre Armuth erlaubt,« antwortete der Narr finster; »nun hat der König gesagt, es soll kein anderes Gut nach Boston geschickt werden, als Thee, das Volk will aber keinen Bohea, und so ist's ein leichtes Leben ohne Abgaben. – Nab hält ihren Höckerkram im alten Waarenhaus, und ein guter Platz ist es auch – Job und seine Mutter haben jedes eine Stube, darin zu schlafen und sagen, der König und die Königin haben nicht mehr!«

Indem er sprach, wurden die Augen seiner Zuhörer durch seine Geberden nach dem sonderbaren Gebäude hingezogen, auf das er anspielte. Wie die meisten andern, die um den Platz herumstanden, war es niedrig, alt, schmutzig und finster. Es bildete ein Dreieck, auf jeder Seite von einer Straße begränzt und seine Ecken waren durch eben so viele niedere, sechseckige Thürme flankirt, die, gleich dem Hauptgebäude in hochgespitzten Dächern endigten, deren Ziegelbedeckung mit rohen Verzierungen versehen war. An den düsteren Wänden zeigten sich lange Reihen schmaler Fenster, durch deren eines das Licht einer einsamen Kerze, als einziges Zeichen von Leben in dem ganzen Gebäude flimmerte.

»Nab kennt Madame Lechmere besser als Job,« fuhr nach einer augenblicklichen Pause der Blödsinnige fort, und sie wird wissen, ob Madame Lechmere Job peitschen lassen wird, wenn er Samstag Abends[6] Gesellschaft bringt; obgleich, wie sie sagen, sie so voll Spötterei ist, daß sie spricht, Thee trinkt und lacht in dieser Nacht, gerade so wie zu jeder andern Zeit.«

»Ich will selbst für ihre höfliche Begegnung garantiren,« erwiederte der Offizier, der endlich das Zaudern des Narren satt hatte.

»Laß uns diese Abigail Pray aufsuchen,« rief der betagte Fremdling, indem er plötzlich Job beim Arm faßte und ihn mit unwiderstehlicher Gewalt gegen das Gebäude führte, worauf Beide augenblicklich in einer der niederen Thüren verschwanden.

So mit seinem Diener auf der Brücke allein gelassen, zögerte der junge Offizier einen Augenblick, ungewiß, was er thun sollte; dann aber, dem geheimen und mächtigen Interesse nachgebend, das der Fremde durch alle seine Gesinnungen und Handlungen in ihm zu erregen gewußt hatte, befahl er Meriton, seine Rückkehr abzuwarten und folgte seinem Führer und dem alten Manne in die wenig einladende Wohnung des Ersteren. Als er durch die äußere Thüre getreten war, befand er sich in einem weitläufigen, aber wüsten Gemach, das nach seinem Aussehen und nach den wenigen schweren, aber werthlosen Kaufmannswaaren, die es enthielt, früher als Vorrathshaus gedient zu haben schien. Das Licht zog seine Schritte nach einem von den Thürmen, wo er, der offenen Thüre sich nähernd, die lauten, scharfen Töne einer weiblichen Stimme hörte, die ausrief:

»Wo bist Du gewesen, Du Gottloser, an diesem Samstag Abend! Hinter den Soldaten dreingezogen und die Kriegsschiffe angeglotzt, mit ihrem, ich darf wohl sagen, unchristlichen Musiciren und Bankettiren zu dieser Zeit! und Du wußtest, daß ein Schiff in der Bai war und daß Madame Lechmere mir befohlen hatte, ihr die erste Kunde von seiner Ankunft zuzusenden. Hier habe ich auf Dich gewartet seit Sonnenuntergang, um mit der Neuigkeit zur Tremontstraße hinaufzugehen, und Du – bist nirgends zu sehen – und weißt doch so gut, wen sie erwartet!«

»Sey nicht bös auf Job, Mutter, die Grenadire haben seinen Rücken mit Riemen zerhauen, bis das Blut davon floß! Madame Lechmere! ich glaube, Mutter, Madame Lechmere ist plötzlich verschwunden; schon seit einer Stunde suche ich ihre Wohnung, denn es ist ein Herr da, der eben landete und der Job brauchte, um ihm den Weg zu zeigen.«

»Was meint der einfältige Bursche?« rief seine Mutter.

»Er spricht von mir,« sagte der Offizier und trat in das Zimmer; »ich, sonst Niemand, bin die Person, welche Mrs. Lechmere erwartet und bin so eben vom Bord des Avon aus Bristol gelandet. Aber Euer Sohn hat mich einen weiten Weg herumgeführt, in der That; er sprach sogar einmal davon, er wollte die Gräber auf Copps-Hill besuchen.«

»Verzeihen Sie dem einfältigen, vernunftlosen Kinde, Sir,« rief die Matrone und beäugelte den jungen Offizier scharf durch ihre Brille; »er weiß den Weg so gut wie zu seinem Bett, aber er ist zu Zeiten starrköpfig. Das wird eine fröhliche Nacht in der Tremontstraße geben! So hübsch, und dazu so stattlich! Entschuldigen Sie, junger Herr,« fuhr sie fort, indem sie, offenbar ohne zu wissen was sie that, das Licht ihm näher an's Gesicht hielt – »er hat das süße Lächeln der Mutter und das schreckliche Auge seines Vaters! Gott vergebe uns Allen unsere Sünden, und mache uns glücklicher in einer andern Welt, als an diesem Orte des Uebels und der Gottlosigkeit!« Als das Weib die letzten Worte murmelte, setzte sie mit einer Miene besondrer Bewegung ihr Licht bei Seite. Uebrigens war jede Sylbe, obgleich nicht für seine Ohren bestimmt, von dem Offizier gehört worden, über dessen Züge plötzlich ein düsterer Schatten zog, der die Trauer derselben noch erhöhte. Dennoch sagte er:

»Ihr kennt mich also und meine Familie?«

»Ich war bei Ihrer Geburt, junger Herr, und eine fröhliche Geburt war das! Aber Madame Lechmere wartet auf die Neuigkeit und mein unglückliches Kind soll Sie eiligst nach ihrem Hause führen; sie wird Ihnen alles sagen, was Sie zu wissen nöthig haben. Job, he Job! wie kommst du dort in jene Ecke; nimm Deinen Hut und führe den Herrn gerades Wegs zur Tremontstraße; du weißt, mein Sohn, Du gehst ja gerne zu Madame Lechmere.«

»Job würde niemals hingehen, wenn Job es vermeiden könnte,« murmelte der Bursche; »und wäre Nab nie gegangen, es wäre für ihre Seele besser gewesen.«

»Unterstehst Du Dich, unehrerbietige Natter!« rief die zornige Alte, und griff nach der Feuerzange, das Haupt ihres störrischen Sohnes damit bedrohend.

»Friede, Weib!« sagte hinten eine Stimme.

Die Waffe entsank der regungslosen Hand der alten Keiferin und die Farbe ihres gelben, ausgetrockneten Gesichts verwandelte sich zu der Blässe des Todes. Fast eine Minute stand sie, ohne sich zu rühren, als wäre sie durch übermenschliche Gewalt an die Stelle gebannt, ehe sie die Worte zu murmeln vermochte: »Wer spricht zu mir?«

»Ich bin's,« erwiederte der Fremde, indem er aus dem Schatten der Thüre in das düstere Licht der Kerze hervortrat; »ein Mann der Zeitalter gezählt hat, und weiß, daß, wie Gott ihn liebt, so auch er verbunden ist, die Kinder seiner Lenden zu lieben.«

Die erstarrten Glieder des Weibes verloren ihre Festigkeit unter einem Zittern, das jede Fiber ihres Körpers zusammenschüttelte; sie sank in ihren Stuhl, ihre Augen rollten von dem Gesicht des einen Fremden zu dem des andern, und ihre fruchtlosen Anstrengungen, zu sprechen, konnten zeigen, daß sie für den Augenblick die Fähigkeit der Rede verloren hatte. Job schlich in diesem kurzen Zwischenraum auf die Seite des Fremden, blickte flehend auf in sein Gesicht, und sagte:

»Quält die alte Nab nicht – lest ihr diese schöne Stelle aus der Bibel vor, und sie wird nie wieder mit der Zange nach Job schlagen; nicht wahr, Mutter? Seht ihre Schale, sie hat sie unter dem Buche verborgen, als ihr hereinkamt! Mad. Lechmere gibt ihr Giftthee zu trinken, und dann ist Nab nie so gut mit Job, als Job mit seiner Mutter seyn würde, wenn die Mutter schwachköpfig und Job die alte Nab wäre! Thee berauscht wie sie sagen, so gut als Rum!«

Der Fremde betrachtete mit sichtbarer Aufmerksamkeit das Gesicht des Knaben, während er so ernsthaft für seine Mutter sich verfocht, und als er geendet hatte, streichelte er mitleidig das Haupt des armen Schwachen.

»Armes, schwaches Kind!«, sagte er, »Gott hat Dir das Kostbarste seiner Geschenke verweigert, und doch waltet sein Geist über Dir; denn Du kannst unterscheiden zwischen Strenge und Güte und hast gelernt, das Gute vom Bösen zu sondern. Junger Mann, sehen Sie keine Lehre in dieser Vertheilung? nichts, was Ihnen sagte, daß die Vorsehung keine Gabe umsonst ertheilt, und woraus wir den Unterschied erkennen mögen zwischen der Pflicht, die durch Milde geleitet wird und jener, die man durch Gewalt erpreßt!«

Der Offizier, den feurigen Blicken des Fremden ausweichend, erklärte sich nach einer augenblicklichen, verlegenen Pause bereit, seinen Weg anzutreten. Die Matrone, deren Auge, seit sie sich wieder erholt, nicht aufgehört hatte, auf den Zügen des Fremden zu haften, erhob sich langsam und befahl ihrem Sohn mit schwacher Stimme, den Weg nach der Tremontstraße zu zeigen. Sie hatte durch lange Uebung eine Weise kennen gelernt, die nie verfehlte, wenn dieß nöthig war – die störrische Laune ihres Kindes zu besiegen und in dem jetzigen Augenblick half ihr noch bei ihrer tiefen Bewegung die ungewohnte Feierlichkeit ihrer Stimme zu der Erfüllung ihres Wunsches. Job stand ruhig auf und schickte sich an, zu gehorchen. Das Benehmen der ganzen Gesellschaft trug eine Zurückhaltung an sich, welche verrieth, daß sie Gefühle berührt hatten, die besser geschont worden wären, und die Trennung würde, obwohl höflich, doch still von Seiten des Jünglings bewerkstelligt worden seyn, wenn er nicht den Ausgang noch von der regungslosen Gestalt des Fremden versperrt gesehen hätte.

»Ihr werdet mir vorangehen, Sir,« sagte er; »die Stunde schreitet voran und auch Ihr mögt einen Führer brauchen, um Eure Wohnung zu finden.«

»Mir sind die Straßen von Boston lange vertraut gewesen,« antwortete der alte Mann. »Ich habe auf das Wachsen der Stadt gesehen, wie ein Vater die aufblühende Gestalt seines Kindes betrachtet, und meine Liebe zu ihr ist nicht weniger väterlich. Mir genügt, daß ich innerhalb ihres Weichbildes bin, wo Freiheit als das größte Gut geschätzt wird, und gleichgültig ist es, unter welchem Dache ich mein Haupt niederlege, – dieß hier ist so gut als ein anderes.«

»Dieses!« wiederholte der Andere, und warf prüfend den Blick auf die elenden Hausgeräthe und den Anschein von Armuth, der den Ort erfüllte; »dieß Haus bietet ja noch weniger Bequemlichkeit, als selbst das Schiff, das wir verließen!«

»Es hat deren genug für meine Bedürfnisse,« sagte der Fremde, indem er sich mit Ruhe niedersetzte und sein Bündel bedächtig neben sich hinlegte. »Gehen Sie nach ihrem Palaste in der Tremontstraße, meine Sorge wird es seyn, daß wir uns wieder treffen.«

Der Offizier kannte den Charakter seines Gefährten zu gut, um länger zu zögern, und sich tief verbeugend trat er aus dem Zimmer und verließ den Andern, der das Haupt auf seinen Stab stützte, während die Matrone mit einer Verwunderung auf ihren unerwarteten Gast blickte, in die nicht wenig Furcht sich mischte.

Drittes Kapitel.

Dem Silberhahn der süße Trank entquillt, Die Tass' aus China's Thon er dampfend füllt. Der feine Duft, der Wohlschmack gleich ergötzt, Und lange wird das reiche Mahl noch fortgesetzt.

Der Lockenraub.

Die Erinnerung an die wiederholten Mahnungen seiner Mutter hatte bei Job die Wirkung, daß er seinen Auftrag im Gedächtniß behielt. In dem Augenblick, als der Offizier erschien, nahm er seinen Weg über die Brücke; von hier aus gingen sie eine kurze Strecke am Wasser hin und traten sodann in eine breite, wohlgebaute Straße, die sich von der Hauptwerfte nach den oberen Theilen der Stadt hinzog. Nach dieser Straße sich wendend wollte eben der Bursche mit großem Ernste seinen Weg fortsetzen, als das Freudengeschrei einer munteren Zechgesellschaft, das aus einem gegenüberstehenden Gebäude herüberdrang, seine Aufmerksamkeit fesselte und ihn zum Stillstehen bewog.

»Denk' an den Befehl Deiner Mutter,« sagte der Offizier; »was siehst Du in dieser Schenke, was gibt's zu gaffen?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!