Liselotte von der Pfalz (Bebildert) - Gertrude Aretz - E-Book

Liselotte von der Pfalz (Bebildert) E-Book

Gertrude Aretz

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Beschreibung

Liselotte von der Pfalz wurde am 27. Mai 1652 im Heidelberger Schloss geboren und starb am 8. Dezember 1722 in St. Cloud, Frankreich. Sie war die einzige Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz aus seiner Ehe mit Charlotte von Hessen-Kassel. Sie trat zum katholischen Glauben über und wurde im November 1671 mit dem verwitweten Herzog Philipp von Orléans, dem Bruder König Ludwigs XIV. von Frankreich, verheiratet. 1688 nahm der König ihre Ehe zum Anlass für den Pfälzischen Erbfolgekrieg, in dem zu Liselottes Verzweiflung die Kurpfalz mehrfach verwüstet wurde. Ihr zuvor gutes Verhältnis zum König litt unter ihrer Feindschaft zu dessen Mätresse Madame de Maintenon. Nach dem Tod des Königs 1715 wurde ihr Sohn Philippe II. von Orléans zum Regenten von Frankreich bis 1723. In ihren Briefen an ihre Verwandten und Freunde in Deutschland schildert sie in klarer, derber Sprache und voller Humor die Sitten und Verhältnisse am Hof des Sonnenkönigs. Diese Biografie wurde dem Buch "Berühmte Frauen der Weltgeschichte" entnommen.

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Liselotte von der Pfalz (Bebildert)

1. Das Elternhaus2. Die Braut3. Am Hofe Ludwigs XIV.4. Die Ehe5. IntrigenAuszügen aus Briefen der Liselotte

1. Das Elternhaus

Der alte Glanz der Pfalz lag in Schutt und Asche. Nur der äussersten Sparsamkeit des Landesfürsten konnte es gelingen, das Land wieder zu dem üppigsten und fruchtbarsten aller deutschen Gaue zu machen. Liselottes Vater, der damals noch junge Kurfürst Karl Ludwig, bemühte sich daher auch redlich, die Wunden zu heilen, die der Dreissigjährige Krieg seinem schönen Lande geschlagen hatte. Es kam im Jahre 1649 in sehr verkleinertem Zustand in seine Hände. Die Hauptstadt Heidelberg lag halb in Trümmern. Ein grosser Teil der Dörfer und Flecken war vom Erdboden vollkommen verschwunden, die Bevölkerung durch Krieg und Seuchen aufgerieben. Ueberall wüteten Not, Hunger und Elend. Es bedurfte einer starken, energischen Hand, die Pfalz wieder zu Wohlstand zu bringen, und Karl Ludwig, den im Sturme des Lebens Aufgewachsenen, erwartete auch nach seinem Regierungsantritt kein sorgloses Dasein. In sich selbst fühlte er seinem Lande gegenüber eine tiefe Schuld. Er hoffte sie durch eisernen Fleiss und strengste Pflichterfüllung zu sühnen. Denn durch die Fehler seiner Eltern war die Pfalz ins Unglück geraten. Seine stolze Mutter, die Tochter König Jakobs I. von England, als Winterkönigin bekannt, hatte grosses Luxusbedürfnis. Sie war eine schöne Verschwenderin. Ihre Ansprüche und exzentrischen Neigungen überschritten weit die Verhältnisse am kurpfälzischen Hofe. Des Vaters verhängnisvolles Streben nach einem höheren, glänzenderen Thron hatte die kurfürstliche Familie zu obdachlosen Flüchtlingen gemacht und war schuld an der Verwüstung der Pfalz durch die Spanier und Franzosen. Leider erreichte Karl Ludwig sein Ziel nur zu seinem Schaden, denn die Pfalz, wieder zu Wohlstand gelangt, ward aufs neue ein begehrlicher Gegenstand in den Augen anderer Fürsten.

Liselotte, Herzogin von Orléans  Gemälde von H. Rigaud. Schloss Versailles

Besonders Ludwig XIV. hatte es auf das Land des Kurfürsten abgesehen. Wie es sich später zeigte, wurde Liselottes Vater ein Opfer des französischen Königs, und zwar nicht infolge persönlicher Schwäche und Nachgiebigkeit, sondern hauptsächlich infolge des Zustandes der damaligen deutschen Verfassung. Er musste es geschehen lassen, dass sein schönes Land der Willkür der Franzosen preisgegeben ward, ohne dass das Reich ihm Schutz und Hilfe gewährte. Ueber der Pfalz schwebte ein Unglücksstern.

Liselotte von der Pfalz als Kind von etwa 4 oder 5 Jahren, Kupferstich von Johann Schweizer nach Waelrant Vaillant (Nationalbibliothek, Wien)

Auch die junge Ehe des Landesfürsten war nicht vom Glück begünstigt. Karl Ludwig war mit Charlotte, einer Tochter des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel, vermählt. Er heiratete sie ein Jahr nach seiner Thronbesteigung, am 12. Februar 1650. Die Prinzessin war kränklich, deshalb fast immer gereizt und übelgelaunt. Nichtsdestoweniger war sie ungemein vergnügungssüchtig, eine ausgezeichnete Amazone. Sie liebte es, mit reichem Gefolge weite Spazierritte zu unternehmen, in der Umgegend zu jagen, Feste und Bälle zu veranstalten und an ihrem Hofe einen gewissen Glanz zu entfalten. Ihre Schönheit zur Geltung zu bringen, daran lag ihr am meisten. Daneben war sie streitsüchtig, launisch und heftig, gegen Untergebene sehr stolz und hoffärtig. Sie behandelte ihre Dienerschaft schlecht. Es kam ihr nicht darauf an, ihre Hofdamen mit der Reitpeitsche zu schlagen. Sie hatte gewiss keinen angenehmen Charakter, war ausserdem eine höchst hysterische Frau. Die eigene Mutter, die edle Landgräfin Amalie von Hessen-Kassel, warnte den Kurfürsten bei der Verlobung vor dem widerspenstigen, halsstarrigen und verdriesslichen Wesen der Tochter. Damals rechnete Karl Ludwig jedoch in voller Zuversicht auf seinen eheherrlichen Einfluss, er wolle sich um so freundlicher gegen seine Gattin zeigen und ihre Liebe zu erobern trachten. Es gelang ihm nicht, trotz aller Geduld, die ihm bei seinem leicht erregbaren Charakter möglich war aufzubringen.

Es gab zwischen dem ungleichen Paar nicht nur heftige Privatauseinandersetzungen, sondern auch Streitigkeiten wirtschaftlicher Natur. Karl Ludwig war sparsam bis zur Kleinlichkeit. Vor allem strebte er danach, seinem verarmten Lande jede Mehrausgabe für die Unterhaltung des Hofes zu ersparen. Die Dienerschaft war aufs nötigste beschränkt. Wenn er gezwungen war, irgendeinen offiziellen Besuch bei einem hohen Fürsten oder gar beim Kaiser zu machen, so liess er es freilich an einem seiner Würde zukommenden äusseren Auftreten nicht fehlen, umgab sich mit einem glänzenden Hofstaat, machte ansehnliche Geschenke. Sobald er jedoch wieder daheim war, wurden alle unnützen Esser verabschiedet. Karl Ludwig war von neuem der sparsame Bürger. Persönlich wog er die gewisse Menge Zucker und Nahrungsmittel für seinen Hausbedarf ab, überwachte seine Landwirtschaft selbst, verkaufte sein Vieh und sein Wild, um nicht von der Apanage seiner Untertanen abzuhängen. Eine Zeitlang verzichtete er sogar ganz darauf. Ferner war er ein Feind aller Koketterie. Er liebte es nicht, dass die Frauen viel Geld für Kleidung oder Vergnügen ausgaben. Reiten und Jagen waren ihm beim weiblichen Geschlecht verhasst; seine Tochter Lieselotte lernte es erst in Frankreich.

Durch diese Eigenschaften allein stiess er auf heftigen Widerstand bei seiner luxusbedürftigen und vergnügungssüchtigen Frau. Sie liebte es, viel Geld auszugeben. Sie liebte es, ein grosses Haus zu führen, sich mit einem prächtigen Hofstaat zu umgeben, in der Welt zu glänzen und eine Rolle zu spielen. Karl Ludwig war nicht reich genug, ihr ein solches Leben zu gewähren; das verhängnisvolle Beispiel seiner eigenen Mutter stand ihm warnend vor Augen. Aber Charlotte sah nur Böswilligkeit und Geiz in der Sparsamkeit ihres Gatten, und die Zänkereien und Streitigkeiten nahmen kein Ende.

Aus dieser höchst unglücklichen Verbindung gingen drei Kinder hervor. Nur zwei davon blieben am Leben: ein Sohn Karl, der im Jahre 1651 geboren wurde, und eine kleine Prinzessin, Elisabeth Charlotte, von ihren Angehörigen kurzweg Liselotte genannt. Sie kam im Mai 1652 zur Welt.

Auf Liselottes Kinderjahre fiel der Schatten des unglücklichen Zerwürfnisses ihrer Eltern. Bald machte der Vater kein Hehl mehr daraus, dass er mit der Mutter nicht glücklich sei. Er suchte in einer anderen Neigung Trost. Unter den Hofdamen der Kurfürstin Charlotte befand sich seit dem Jahre 1653 ein Fräulein Luise von Degenfeld. Sie war ein junges blondes Mädchen, das von Anfang an Eindruck auf Karl Ludwig machte. Fräulein von Degenfeld wollte ihm indes nur als Gattin, nicht aber als Mätresse angehören. Auch sie liebte ihn, obwohl er mehr als zwanzig Jahre älter war als sie. Der Kurfürst war zu allem bereit. Die Scheidung war für ihn beschlossene Sache. Impulsiv, wie er war, teilte er seiner Frau sofort den Entschluss mit. Charlotte war ausser sich über diese Schmach und erwiderte zornig, dass sie nie und nimmer ihre Zustimmung geben werde.

Von diesem Augenblick an wurde das Leben im Heidelberger Schlosse unerträglich. Täglich gab es die heftigsten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ehegatten. Vergebens versuchten die Verwandten des kurfürstlichen Paares eine Versöhnung herbeizuführen. Karl Ludwig war unerbittlich. Von Tag zu Tag liebte er Luise von Degenfeld mehr. Je unüberwindlicher die Hindernisse schienen, sie zu erlangen, desto heftiger entflammte seine Leidenschaft. Sein Hass gegen die Kurfürstin wurde immer grösser. Aber obwohl das Leben für Charlotte unter seinem Dache nicht nur qualvoll, sondern auch würdelos war, vermochte sie doch nichts zu bewegen, das Schloss zu verlassen. So lebten beide Frauen anfangs gemeinsam in Heidelberg. Später verlegte Karl Ludwig seinen neuen Hausstand nach Frankenthal, wo er den Winter verbrachte. Vierzehn schöne Kinder gingen aus diesem Bunde mit Luise von Degenfeld hervor. Er hatte Luise zur Raugräfin erhoben. Er war sehr glücklich und verbarg sein Glück vor niemandem. Luise kannte nur ein Ziel: den Kurfürsten, für den sie die grösste Verehrung und Dankbarkeit empfand, den Schritt nicht bereuen zu lassen, den er getan hatte. Niemals vergass sie, welch hohe und bevorzugte Stellung ihr Karl Ludwig eingeräumt hatte. Sie vergalt ihm seine Liebe und Fürsorge mit herzlicher Hingabe. Seinen beiden Kindern aus der Ehe mit der Kurfürstin ist sie jederzeit mit Liebe begegnet. Liselotte weiss nur Gutes von dieser Stiefmutter zu sagen. Besonders aber lobte sie die Liebenswürdigkeit und Sanftmut der Raugräfin.

Noch ehe Liselotte geboren war, kam Karl Ludwigs Lieblingsschwester Sophie, die spätere Kurfürstin von Hannover, an den Hof von Heidelberg, um ihren jungverheirateten Bruder zu besuchen. Die zweiundzwanzigjährige Sophie war nicht nur ausserordentlich gebildet, sondern auch ein ganz besonders individueller Charakter. Ausser dem Deutschen sprach sie gleich fliessend Holländisch, Englisch, Französisch, ziemlich gut Spanisch, Italienisch und Lateinisch. Jedermann war erstaunt, bei einer so jungen Prinzessin so viele Kenntnisse zu finden, besonders da sie nichts weniger als ein Blaustrumpf war, sondern Freude an allen Vergnügungen der grossen Welt hatte. Französisch war damals die Sprache der Höfe und vornehmen Gesellschaft, Englisch hatte Sophie von frühester Kindheit durch die Mutter gelernt, ebenso Holländisch durch ihren Aufenthalt im Land, und Lateinisch musste damals jedermann verstehen, der einigermassen Anspruch auf höhere Bildung machte. Karl Ludwigs Schwester besass jedoch auch recht ansehnliche Kenntnisse in Philosophie und Geschichte, die selbst Gelehrten Bewunderung einflössten. Dazu kam ein äusserst glückliches Temperament. Sie verfügte über einen lebhaften, oft derben Witz mit starker Neigung zum Spöttischen, einen festen, entscheidenden Willen, der sich in allen Widerwärtigkeiten des Lebens aufrecht erhielt. Sophie war weit entfernt von dem damals sehr verbreiteten Aberglauben, von aller Frömmelei und Intoleranz; eine starke, frohe Natur, die trotz aller äusseren Derbheit viel Herzensgüte und Wärme in sich trug. In vielen Eigenschaften ging Sophies Charakter auf Liselotte über, für die sie der Inbegriff alles Vollkommenen und Schönen wurde. Von dem rauschenden Hofe in Frankreich flüchtete später die Herzogin von Orléans in den Stunden ihrer Einsamkeit zu ihrer herzlieben Tante Sophie, um in langen Briefen alle ihre Kümmernisse zu beichten und sich bei ihr Rat und neuen Mut zu holen.

Als diese Tante an den kurpfälzischen Hof kam, war der Erbprinz Karl ein Jahr alt, und Liselottes Geburt wurde erwartet. Während das Brüderchen aber sein Leben lang kränklich und schwächlich blieb, entwickelte sich die kleine Prinzessin zu einem körperlich und geistig gesunden Naturkind, voll Frische und Frohsinn. Ihr wildes Temperament war kaum zu bändigen.

Trotz allen häuslichen Zwistes zwischen den Eltern, trotz aller Strenge des Kurfürsten sind Liselottes Kinderjahre im Elternhause doch äusserst glückliche. Sie geniesst die grösste Freiheit, darf sprechen und spielen mit wem sie will, darf mit ihren Gouvernanten in der Umgebung von Heidelberg umherstreifen, braucht sich nicht mit vielem Lernen zu beschweren. Sie kann ganz Kind sein. Auf diese Weise befreundet sie sich mit Hoch und Niedrig und gelangt schliesslich zu jenen ausserordentlichen Kenntnissen von Dingen und Menschen ihrer Heimat, der wir in ihren zahlreichen Briefen begegnen. Jene köstliche Natürlichkeit und Einfachheit ihres Wesens, denen sie selbst später in einer völlig anderen Umgebung voll Glanz, Reichtum und Verderbnis treu blieb, sind in jenen harmlos glücklichen Kinderjahren verwurzelt. Wie an ein Paradies auf Erden erinnerte sie sich bis ins hohe Alter ihrer ungestümen Jugendlust und Wildheit. Ihren Erzieherinnen bereitete sie allerdings oft die grössten Sorgen. Einen rechten «rauschenblattenen Knecht» nennt sie sich, was so viel heissen will wie «flatterhaft Bürschchen». Als sie dann selbst Mutter eines äusserst lebhaften Töchterchens ist, schreibt sie in ihrem originellen Deutsch: «Ich glaube, dass aller Liselotten ihr Naturell ist, so wild in der ersten Jugend zu sein, hoffe, dass mit der Zeit ein wenig Blei in dem Quecksilber kommen wird, wenn ihr mit der Zeit das Rasen so vergeht, als es mir vergangen ist, seiderdem ich in Frankreich bin.» Sie wäre wohl auch lieber ein Knabe gewesen, der nach Herzenslust auf den Bäumen herumklettern konnte, ohne danach fragen zu müssen, ob das sich auch schicke. Denn für das «Sichnichtschicken» hat Liselotte ihr Leben lang kein Verständnis. Sie tut und sagt, was ihr gerade einfällt, spricht den Pfälzer Dialekt wie der geringste Untertan ihres Vaters. Jede Ziererei ist ihr fremd. Am liebsten wäre es ihr, wenn man sie mit aller Zeremonie und Vornehmtuerei verschonte. «Wie irgendein anderes Bürgerkind geht sie mit einem «gut Stück Brot in der Hand» schon morgens um fünf Uhr vor das obere Tor in Heidelberg «Kirschenessen» und empfindet es als das höchste Glück, wenn man sie ungestört diesem harmlosen Vergnügen überlässt.

So wächst Liselotte auf in Sorglosigkeit und Natürlichkeit. Die Erzieherinnen haben keinen leichten Stand bei diesem zu allen tollen Streichen aufgelegten Kinde. Die erste Gouvernante erbat vom Kurfürsten ihren Abschied mit der Erklärung, sie wolle nicht mehr bei der Prinzessin bleiben, weil sie ihr zu viele Schabernacks spiele. Fräulein von Quaadt war nämlich alt und langweilig, und so entledigte sich das fröhliche, mutwillige Kind ihrer eines Tages durch einen Gewaltstreich. Liselotte war ungehorsam gewesen und sollte die Rute bekommen. Als «die Jungfer Eltz von Quaadt» sie hinaustragen wollte, zappelte die kleine Prinzessin so sehr mit den Füssen und gab ihr «so viel Schläg in ihre alte Bein», dass Jungfer Eltz mitsamt der wilden Liselotte zu Boden fiel. Das schadenfrohe kleine Mädchen aber suchte schleunigst das Weite und entging so der zugedachten Strafe. Fräulein von Quaadt erzog fortan nur noch den sanfteren, stillen Erbprinzen. Liselotte indes bekam von da an ihr geliebtes Fräulein von Offelen zur Hofmeisterin.

Es kommt aber auch vor, dass Liselottes Missetaten durch einen Zufall aufgedeckt werden, wie an jenem Abend, als sie gerade mit einem Teller voll Specksalat am Fenster steht und hastig die für sie köstliche, aber verbotene Speise heimlich hinunterwürgt. Sie ist noch nicht fertig mit essen, als plötzlich auf dem Altan, direkt vor ihrem Fenster, die Kanone abgefeuert wird, weil ein Brand in der Stadt ausgebrochen war. Darüber erschrickt das Fräulein von Colb, ihre Gesellschafterin, dermassen, dass sie im Hemd aus dem Bett springt, um die Prinzessin zu retten, denn sie glaubt, das Feuer sei ganz in der Nähe. Aus Furcht, ertappt zu werden, wirft Liselotte eiligst den silbernen Teller mitsamt dem Salat und der Serviette zum Fenster hinaus. Da aber kommt auch schon der Kurfürst die hölzerne Stiege herauf, um von Liselottes Zimmer aus in die Stadt hinunterzuschauen, wo sich der Brand befände. «Wie er mich so mit dem fetten Maul und Kinn sah», erzählt später die Frau Herzogin von Orléans in ihrer derben Art, «fing er an zu fluchen: ‹Sacrament, Liselotte, ich glaube, ihr schmiert euch etwas auf dem Gesicht.› Ich sagte: ‹Es ist nur Mundpomade, die ich wegen der gespaltenen Lefzen (Lippen) geschmiert habe.› – Papa selig sagte: ‹Ihr seid schmutzig.› – Da kam mir das Lachen. Die Raugräfin kam auch herauf durch meiner Jungfern Kammer und sagte: ‹Ah, wie riechts in der Jungfern Kammer nach Specksalat!› Da merkte der Kurfürst den Possen und sagte: ‹Das ist denn eure Mundpomade, Liselotte?› – Wie ich sah, dass der Kurfürst guter Laune war, gestund ich die Sache und verzählte den ganzen Handel, wie ich die Hofmeisterin betrogen hatte. Der Kurfürst lachte nur darüber, aber die Colbin hat mirs lange nicht verziehen.»