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Unter Rückgriff auf Ansätze der Museologie und der kulturwissenschaftlich erweiterten Literaturwissenschaft entwickelt die Studie Analysemodelle, um literarische Praktiken im Museum und museale Aspekte in der Literatur zusammenzudenken. Dies eröffnet neue Zugänge zu Autorinnen und Autoren, die in beiden Feldern aktiv sind, und ungewöhnliche Perspektiven auf deren Gesamtwerk. Erprobt werden diese Ansätze anhand zweier Autoren, die hier erstmals ausführlich unter dem Aspekt der Musealität untersucht werden: Jean-Philippe Toussaint und Michel Houellebecq. Toussaints Ausstellung Livre/Louvre und Houellebecqs Ausstellung Rester Vivant werden jeweils im Kontext des literarischen Gesamtwerks beider Autoren betrachtet.
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Seitenzahl: 1063
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Jan Rhein / Wolfgang Asholt
Literatur im Museum und literarische Musealität
Theorien und Anwendungsbeispiele (Jean-Philippe Toussaint und Michel Houellebecq)
Umschlagabbildung: Fotos und Idee: Jan Rhein
DOI: https://doi.org/10.24053/9783381127924
© 2025 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Internet: www.narr.deeMail: [email protected]
ISSN 1861-3934
ISBN 978-3-381-12791-7 (Print)
ISBN 978-3-381-12793-1 (ePub)
Werke von Jean-Philippe Toussaint
SdB
LaSalle de Bain (1985)
M
Monsieur (1986)
AP
L’Appareil-photo (1988)
R
La Réticence (1991)
TV
La télévision (1997)
AE
Autoportrait (à l’Etranger) (1999)
FA
Faire l’Amour (2002)
F
Fuir (2005)
VM
La Vérité sur Marie (2009)
UP
L’urgence et la patience (2012)
MR
La Main et le Regard (2012)
N
Nue (2013)
F
Football (2015)
M.M.M.M.
Romantetralogie Marie Madeleine Marguerite de Montalte, bestehend aus Faire l’Amour, Fuir, La Vérité sur Marie, Nue (2017 in einem Band veröffentlicht)
MC
Made in China (2017)
USB
La Clé USB (2019)
Werke von Michel Houellebecq
HPL
H.P. Lovecraft. Contre le monde, contre la vie (1991)
EL
Extension du domaine de la lutte (1994)
RV
Rester vivant suivi de La poursuite de bonheur (1997)
PE
Les particules élémentaires (1998)
P
Plateforme (2001)
PI
La possibilité d’une île (2005)
EP
Ennemis publics (2008, gem. mit Bernard-Henri Lévy)
CT
La Carte et le Territoire (2010)
S
Soumission (2015)
PS
En Présence de Schopenhauer (2017)
ST
Sérotonine (2019)
Formales
Direkte Zitate werden in „doppelte Anführungszeichen“ gesetzt, andere Hervorhebungen in ‚einfache‘ Anführungszeichen. Kursivierungen in direkten Zitaten sind grundsätzlich aus dem Original übernommen. Hervorhebungen des Verfassers in direkten Zitaten werden fett markiert. Quellen werden bei der ersten Erwähnung vollständig zitiert, bei weiteren Erwähnungen in Kurzform.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf durchgängiges ‚Gendern‘ verzichtet (es sei denn, es sind konkrete Autorinnen oder Künstlerinnen gemeint). Stets ausdrücklich mitgedacht sind alle Leser*innen, Autor*innen, Besucher*innen.
Die Idee zu der folgenden Studie entstand aus einem Moment der Verwunderung beim Besuch der Ausstellung Rester Vivant im Pariser Palais de Tokyo (23. Juni bis 11. September 2016). Als deren commissaire d’exposition firmierte der bekannte Autor Michel Houellebecq, der im Jahr nach den Charlie-Hebdo-Attentaten und der Veröffentlichung des Romans Soumission – beides am 7. Januar 2015 – noch mehr als ohnehin schon im Licht der Öffentlichkeit stand.1 Darum überraschte an der Ausstellung, dass Soumission und Frankreichs bewegte Gegenwart hier keine Rolle spielten: Im Palais de Tokyo schien es, als hätte das zurückliegende Jahr nicht stattgefunden. Gleichzeitig war aber die ‚Handschrift‘ Houellebecqs in der Ausstellung durch die Themen und Motive, auf die Rester Vivant sichtbar Bezug nahm, zweifelsohne zu erkennen: Tourismus und Globalisierung, künstliche Reproduktion und künstliche Menschen, Literatur und bildende Kunst, Sex, Tod und ewiges Leben. Neben diesen aus seinen Romanen bekannten Aspekten ging es auch um ihn selbst, um ehemalige Geliebte und seinen toten Hund, kurz: um „Houellebecq, son chien, ses femmes“2.
Aus dieser einerseits enttäuschten (wo war Houellebecqs ‚Je suis Charlie‘3, wo Soumission?), andererseits erfüllten (‚Typisch Houellebecq!‘) Erwartung gingen einfache, dann sich als komplexer erweisende Fragen zu Format und Funktion der Autorenausstellung und ihrem Verhältnis zum literarischen Werk hervor: Wie lässt sich besagte ‚Handschrift‘ eines Autors im Ausstellungsraum genauer fassen, wie seine ‚Selbstmusealisierung‘? Welche Bezüge kann eine solche Ausstellung zu einem literarischen Werk aufweisen, welche Perspektivverschiebungen auf dieses Werk können sich daraus ergeben? Mit welchen Kategorien lassen sich Übergänge und Zusammenhänge zwischen Museum und Literatur beschreiben?
Die Studie widmet sich zwei (sich) ausstellenden Autoren und ihrem Werk: neben Houellebecq und Rester Vivant auch Jean-Philippe Toussaint und dessen Ausstellung Livre/Louvre (7. März bis 11. Juni 2012, Musée du Louvre). Besonders gut eignen sich diese beiden Autoren, da bei ihnen ein ausgeprägtes Interesse für das Museum und das Museale zu erkennen ist. Hierfür sind nicht nur ihre Ausstellungen ein Beleg – das Museum prägt vielmehr als Narrativ und Narration auch ihre Literatur, wo es sich in expliziten Museumsthematisierungen und impliziten Übernahmen musealer Aspekte niederschlägt.4 Dies erlaubt den Blick auf gemeinsame Themen und Motive sowie übergreifende ästhetische Verfahren in beiden Medien, mithin auf ganze literar-museale Komplexe.
Ausgehend von den beiden Ausstellungen widmet sich die Studie also der Literatur im Museum, dem Museum in der Literatur, der ‚Ausstellung‘ der Literatur und durch die Literatur in Museum und literarischem Text. Mit dieser verbindenden Sicht auf zwei umfangreiche (Gesamt-)Werke geht sie über kulturwissenschaftliche Ansätze hinaus, die in den vergangenen Jahren verstärkt nach einem ‚musealen Erzählen‘ oder aber nach Formen und Formaten der Literatur im Museum gefragt haben.5 Sie muss dazu einen offenen Literatur- und Museumsbegriff angelegen und einen weitgespannten (literatur-)geschichtlichen und theoretischen Bezugsrahmen heranziehen. Wenngleich dieser keine endgültige ‚Systematik‘ zur Analyse literar-musealer Komplexe bieten kann und will, muss er aufgrund der Unterschiedlichkeit der beiden Autoren doch so differenziert ausfallen, dass er potentiell auch auf andere literar-museale Komplexe anwendbar ist.
Die folgenden Abschnitte dienen der genaueren Konturierung des Untersuchungsfokus. Dazu werden zunächst einige mit dem Thema und dem analytischen Rahmen verbundene Probleme angeführt (Kap. I.2.1.). Es folgt eine Darstellung des Vorgehens (Kap. I.2.2.), der Literaturlage (Kap. I.2.3.), der gewählten literar-musealen Referenzen (Kap. I.2.4.) und schließlich eine Begründung zur Wahl der beiden Autoren Toussaint und Houellebecq (Kap. I.2.5.).
Die Betrachtung musealer Ausstellungen vor dem Hintergrund eines literarischen Werks und die Konfrontation der Literatur mit Fragen des Museums verspricht erhebliches Potential für eine Kontextualisierung und Neulektüre auch bereits umfänglich analysierter Werke, bringt jedoch einige methodische Komplikationen mit sich.
Zunächst das Problem des Konzepts ‚Museum‘: Die Studie muss sowohl reale als auch literarische Formen der Musealität einbeziehen und das Museum darum als „Begriff und Mythos“1, als Institution und musée imaginaire betrachten2 – eine Bedeutungsoffenheit, die ohnehin in dem Begriff angelegt ist.3 Schon das begehbare Museum als Ort und Institution, mit seiner Geschichte und seinen Funktionen, seiner äußeren Erscheinung und seinen unsichtbaren Aspekten zu erfassen, „verlangt […] Interdisziplinarität“4. Es ist einerseits ein „geschlossenes System“ mit klar zu unterscheidendem „Innen und Außen“, andererseits aber ein „bewegliches Gefüge“, das in „mit ihm verbundene[] Ideologien und gesellschaftliche[] Entwicklungen“5 eingebunden ist. So richtet auch die Museologie ihren Fokus auf die „Gesamtheit der Eigenschaften und Aussagen, die den komplexen Prozess des Sammelns, Bewahrens, Erschließens und Ausstellens bestimmter beweglicher Objekte im musealen Kontext charakterisieren“; ihr „Erkenntnisziel“ ist das Phänomen, „das zur Entstehung des Museums führt.“6
Gerade, dass das Museum und mit ihm zusammenhängende Konzepte weniger „homogene Forschungsfelder“ als vielmehr hybride „Gegenstandsfelder“7 bilden, kann ihre Anschlussfähigkeit an literaturwissenschaftliche Ansätze erleichtern. Ein solcher Begriff des Museums und des Musealen ist zudem nützlich, um das wiederum in Texten präsente Bild von der ‚Welt als Museum‘ einzubeziehen, das eine wichtige Rolle für museales Erzählen besitzt (vgl. u. a. Kap. II.2.3., II.3.4.).
Ein weiteres Problem betrifft die methodische Fassung literar-musealer Komplexe: Literatur und Museum, literarische und museale Verfahren und Diskurse in Literatur und Museum gemeinsam zu beschreiben, bedeutet, den Blick auf Text und Kontext, auf écriture und écran, auf das visible und das lisible, auf „Semiotizität und Multimedialität“8, Präsentation und Repräsentation beider Seiten zu richten. Einer Literatur, die nicht nur in Form ‚motivischer‘, immaterieller Bezüge in den Bereich des Musealen hineinragt, sondern auch in ihrer materiellen Realisierung, lässt sich nur mit verschiedenen Konzepten nähern, die zueinander offen sein, teils aber auch im Widerspruch stehen können.9
Hinzu kommt eine starke Selbstreferenzialität und metareflexive Dimension10, die einerseits im modernen (Meta-)Museum angelegt ist, andererseits nicht selten in postmoderner Literatur, die jedoch auch eine Eigenheit literar-musealer Komplexe bildet, welche über die Thematisierung und Ausstellung von Literatur und Museums auch wieder auf sich selbst oder auf das andere Medium zurückweisen können. Wie sich zeigen wird, betreiben auch die hier betrachteten Autoren Museums- und Literaturreflexion jeweils in Ausstellung und Buch, und dies nicht selten im wechselseitigen Bezug beider Medien aufeinander. Dadurch sind etwa literarische oder museale Ding- oder Subjektreflexionen zugleich Analysekriterien und Themen des literar-musealen Komplexes. Es muss somit um eine Auseinandersetzung mit Literatur und Museum in beiden Medien gehen, nicht nur um das Verhältnis zwischen ihnen.
Da eine Autorenausstellung nicht nur Teil eines Werks ist, sondern dieses auch aufgreift, ergibt sich außerdem ein Fokussierungsproblem, weil sich Ausstellung und literarisches Werk sowohl in Einzelreferenzen aufeinander beziehen (Bezüge auf bestimmte literarische Werke oder Werkaspekte), als auch auf große Linien im Gesamtwerk (‚die Ästhetik‘ oder die Poetologie des Autors).
Schließlich das Problem ‚Werk und Welt‘: Die Arbeit geht von Wechselbezügen zwischen künstlerisch-ästhetischen Verfahren und dem realen Wirken des Autors im Ausstellungsraum aus. Letzteres ist nicht losgelöst von kulturpolitischen Aspekten, Fragen des Literaturmarketings und von Eigenlogiken der Institution Museum zu verstehen – was u. a. die Vorstellung eines organisch gewachsenen, autorzentrierten ‚Gesamtwerks‘ in den Hintergrund rückt.11 Andererseits wird durch Musealisierung im Ausstellungsraum ein solches Werk gerade suggeriert. So müssen Ausstellungen und literarische Texte zwar als distinkte, dabei sich aufeinander beziehende Einheiten verstanden werden, aber auch vor einem offeneren ‚Kultur-als-Text‘-Paradigma, das erlaubt, sie einer umfassenden Lektüre vor dem Hintergrund bestimmter literar-musealer Kontexte zu unterziehen.12
Deutlich wird an dieser ‚Problemlage‘, dass die folgende Analyse ein Nebeneinander unterschiedlicher theoretischer Konzepte zwischen Text und Kontext, Werk und Welt (Kap. II.1.3.) bedingt; vorgeschlagen wird ein Zugang, der sich insbesondere auf (kultur-)semiotische, narratologische und (inter-)mediale Ansätze stützt (vgl. Kap. II.1.4.).
Nach einer Darstellung des Forschungsstands, des gewählten literar-musealen Referenzrahmens und einer Begründung zur Wahl der beiden Schwerpunktautoren etabliert und beschreibt ein umfangreiches Hauptkapitel Theorie und Ästhetik literar-musealer Komplexe (Kap. II). Unter der Überschrift ‚Zugänge‘ situiert Kap. II.1. zunächst das Phänomen ‚Autorenausstellung‘ im gegenwärtigen literarischen und musealen Feld; sodann werden die beiden in der französischen Literaturwissenschaft und Museologie kursierenden Begriffe der néolittérature und der littérature plasticienne eingeführt, die anschließend mit Konzepten des new historicism, der Kultursemiotik, der Intermedialitätstheorie und der Narratologie zusammengedacht werden.
Der folgende Teil (Kap. II.2.) beschreibt zentrale, auf literarische Musealität anwendbare ‚Begriffe‘ des Museums. Wie schon deutlich wurde, soll das Museum dabei als kulturelles wie literarisches Faktum, als konkreter Ort und als produktives Konzept1 gefasst werden – gleiches gilt für weitere angrenzende Termini (etwa Musealisierung, Sammlung, kuratieren). Besondere Relevanz kommt dabei dem Begriff der Ausstellung/exposition zu, der neben dem Museum als zweiter zugleich musealer wie literarischer Aspekt beschrieben wird.
Die unter der Überschrift ‚Paratexte und Passagen‘ (Kap. II.3.) aufgeführten Analyseansätze dienen zur Beschreibung ganzer literar-musealer Komplexe und bilden zugleich thematische Zugänge, da die hier vorgestellten Konzepte auch in Literatur und Museum reflektiert werden. Operiert wird zunächst mit den beiden Begriffen der Präsentation und der Repräsentation: Es geht um die Ausstellung der Literatur und die Ausstellungskapazität des Literarischen, die Präsentation der Literatur im Museum (Literaturausstellung) und die Präsentation durch die Literatur (Literatur als Ausstellung). Der Aspekt der Repräsentation zielt auf das Verhältnis von Museen und Literatur zur Welt, was auch eine beide Medien betreffende ‚Repräsentationskrise‘ impliziert.2 Ein weiteres Kapitel widmet sich der medialen Dimension: Inwiefern sind Museen Medien, inwiefern sind sie einer Medienkonkurrenz ausgesetzt, inwiefern wird diese in Museum und Literatur wieder aufgegriffen und innerhalb literar-musealer Komplexe realisiert? Ähnlich ist in Bezug auf den Aspekt der Narrativität zu diskutieren, ob und wie eine Ausstellung literaturartig ‚erzählt‘, und wenn ja, ob ihre Erzählung sich sowohl über Ausstellung als auch über das literarische Werk erstrecken kann. Anschließend wird die Kategorie der Lesbarkeit eingeführt; sie erlaubt, Museum, Stadt und Literatur gemeinsam in den Blick zu nehmen. Mit ihr lässt sich auch der Begriff der ‚Welt als Museum‘ schärfen, der wiederum in den analysierten Texten und Ausstellungen wirksam wird. Zuletzt lenkt der Aspekt des Paratexts als Zone zwischen Text und Welt die Aufmerksamkeit auf Vorworte und Ausstellungseingänge.
Kap. II.4. stellt schließlich die Literatur ins Zentrum und beschreibt eine Ästhetik literarischer Musealität. Es zieht insbesondere literarhistorische, motivgeschichtliche und narratologische Aspekte heran.
Neben theoretischen Ansätzen stellt Kap. II. einen Korpus an literarischen Museumsszenen und museologischen Diskursen bereit, die für museale Literatur wie auch Literaturausstellung gleichermaßen relevant sind, und die ein umfangreiches Instrumentarium zur Analyse der beiden Beispielautoren und ihrer Werke bieten.
Der Aufbau der beiden Detailuntersuchungen zu Toussaint (Kap. III.) und Houellebecq (Kap. IV.) vollzieht die Denkrichtung des Theorieteils nach: Am Beginn stehen jeweils die Ausstellungen als Ausgangspunkte und Belege eines ausgeprägten Interesses beider Künstler für Museumsfragen. Im Anschluss werden anhand ausgewählter Analysen einzelner Exponate Verbindungslinien zwischen Ausstellung und Literatur gezogen3, bevor schließlich das literarische Werk unter dem Aspekt der Musealität gelesen wird. Der These folgend, dass das Museum als Handlungsort zwar berücksichtigt werden muss, die Analyse sich allerdings nicht allein darauf stützen kann (vgl. Kap. II.3.2.2.), situieren die beiden Kapitel die Ausstellungen zunächst im Kontext des literarischen Werks, erfassen dann die Dimension der literarischen Musealität, und beschreiben erst im Anschluss daran explizite literarische Museumsdarstellungen.
Der Komplexität des Museumsbegriffs und der Unterschiedlichkeit der beiden Werke entsprechend, werden die im Theorieteil herausgearbeiteten Kategorien nicht schematisch auf das Analysekapitel übertragen, sondern sinnführend herangezogen. Darum lässt sich die Gliederung des Theorieteils nicht passgenau auf beide Analysen anlegen4: Was im Theorieteil getrennt voneinander betrachtet wird, greift in der Analyse ineinander.
Das Verhältnis von Literatur und Museum ist unter dem Aspekt der Ausstellbarkeit von Literatur bereits umfangreich behandelt worden. Der lange vorherrschenden Auffassung, Museen könnten etwas leisten, das die Literatur nicht vermöge, und Literaturausstellungen seien „Substitutionen“1 der Literatur, stehen inzwischen vielfältige Ansätze entgegen.2 Allerdings betrachten die wenigsten Arbeiten das literar-museale Feld medienübergreifend, sondern blicken jeweils von einer der beiden Seiten auf den Komplex, wenngleich einige aktuellere Arbeiten eine ‚Öffnung‘ zum jeweils anderen Medium mitdenken.3
Andererseits wurden bereits literarische ‚Museumstechniken‘ untersucht, dann aber vornehmlich ohne Einbezug realer Literaturausstellungen. Westerwinter4 versteht Texte als Speicher des kulturellen Gedächtnisses und ‚Display‘ vorangegangener Werke, und schreibt ihnen museale Funktionen zu. „Dass das Museum als eine zentrale Reflexionsfigur der Literatur fungiert – und umgekehrt museale Logiken sprachlich-literarisch geprägt sind“, lautet auch eine Grundthese des Bands Museales Erzählen.5 Auch hier werden aber die untersuchten literarischen Texte nicht zu realen Ausstellungen in Bezug gesetzt.6 Die vorliegende Studie grenzt sich von diesen Ansätzen auch insofern ab, als hier nicht nur von ‚musealem Erzählen‘, sondern weitergefasst von ‚literarischer Musealität‘ gesprochen wird (vgl. Kap. II.4.).
Übergreifende Ansätze zu Literaturausstellung und musealen Verfahren in der Literatur sind indessen stärker im frankophonen Raum zu finden. Régnier möchte eine „vision d’ensemble des enjeux et des modalités de la muséalisation du littéraire“7 herausarbeiten: „Ainsi, le musée peut faire l’objet de re-présentations littéraires […]. La littérature peut, sur un autre plan, contribuer à la vie du musée […].“8 Ähnlich angelegt sind auch die Sammelbände und Dossiers von Mayaux9, Bricco10, Laoureux11 sowie Lahouste und Martens12, für das 19. Jahrhundert auch zwei Sonderausgaben der Zeitschriften Romantisme und Revue d’Histoire littéraire de la France13. Auf diese Ansätze aufbauend, vereint der Sammelband Transitzonen zwischen Literatur und Museum14 Beiträge, die entweder vom Museum oder der Literatur ausgehend das jeweils andere Medium einbeziehen.
Insgesamt ist also noch immer der Diagnose Régniers zuzustimmen, dass das Forschungsfeld im deutsch- und englischsprachigen Raum zwar stärker ausgeprägt, ein intermedial offener, beide Medien zugleich in den Blick nehmender Ansatz hingegen eher in der frankophonen Literaturwissenschaft zu finden ist15 – beide Umstände schlagen sich auch in der vorliegenden Arbeit nieder.
Auch aufgrund ihrer Sammelband- oder Zeitschriftenform zeigen die genannten Publikationen zwar ein breites Spektrum literar-musealer Ausprägungen, analysieren jedoch weder ein literar-museales Gesamtwerk noch literarische Musealität in der Tiefe – meist werden einzelne museale Teilbereiche (etwa das Sammeln, Deponieren oder Ausstellen) und einzelne Fallbeispiele ins Zentrum gestellt.16
Zur Abgrenzung und Anknüpfung lohnt sich auch der Blick auf weitere Philologien: Wie verschiedene Einzeluntersuchungen17 betrachtet Goldschweers slawistische Arbeit das Museum „als kulturelles und als literarisches Faktum“, als literarisches Motiv und als prägende Institution.18 Indem sie die im Museum per se angelegte „spezifische Komplexität“19 auf mehreren Ebenen (motivisch, semiotisch, medial…) beschreibt, ähnelt der Ansatz ihrer Arbeit der vorliegenden – doch auch Goldschweer verzichtet auf eine tiefergehende Analyse literar-musealer (Gesamt-)Werke. Einen ähnlichen Versuch unternimmt Paul in Bezug auf die Lyrik von Yeats, Pound, Moore und Stein, indem sie
contextualizes these writers’ poetry and prose in the gallery spaces, curatorial practices, displayed objects, and exhibition objectives of the museums that inspired them, exposing the ways in which museums helped develop literary modernism.20
Die Beschäftigung mit Museen ziehe wiederum museale Schreibweisen nach sich: „the poets found in museum culture something vital that enabled them both to collect and organize the artifacts of their memories and imaginations and to exhibit them for visitors to their books.“21 Es geht ihr also um die Untersuchung einer sowohl von poetischen als auch von realen Museumserfahrungen und -bildern geprägten Lyrik:
I argue that museums provided for these writers an entire epistomological framework that uses objects to convey meaning, that considers the relationship between objects and texts that have meaning beyond any individual object or text – and I am using ‚object‘ in the loosest possible sense here, to include both museum objects and poetic objects […].22
Ähnlich argumentiert in seiner germanistischen Studie Museums of the Mind auch McIsaac, dessen Prämisse lautet,
that the forces that lead curators, artists, and politicians in a given culture to produce museums lead authors to produce certain kinds of literary writing. And […] the values and priorities that make a museum possible and desirable are also articulated in literary form.23
Als sich in Museum wie Literatur niederschlagende „museum function“ definiert er dabei „the way objects are valorized, acquired, and discarded, organized, displayed, and hidden in a particular society“24:
Rather than see the establishment of a particular museum and a particular literary text as isolated phenomena, the museum function prompts us to look for a confluence of cultural discourses capable of producing a particular museum and a particular literary text.25
Gegenüber den Studien Goldschweers, Pauls und McIsaacs erscheint die komparatistische Arbeit Martinovskis reduktionistischer, der den Begriff des musée imaginaire als einen „dialogue entre la poésie et la peinture à travers la description des œuvres plastiques dans le discours poétique“26 versteht – letztlich geht es ihm also um verschiedene Ausprägungen von Ekphrasis, einem wichtigen, aber nicht dem einzigen Aspekt literarischer Musealität.27
Besonders in Bezug auf Konzepte wie die ‚Welt als Museum‘ (vgl. Kap. II.2.3.) sind die Arbeiten von Hamon grundlegend, die nicht nur das Museum28, sondern vielmehr die exposition als relevanten Querschnittsbereich in den Mittelpunkt stellen. Hamon möchte „le ‚système‘ ou la structure“29 der Interferenzen zwischen Literatur und Architektur im 19. Jahrhundert beschreiben. Seine vielschichtige „poétique textuelle“ umfasst
la fonction de certains objets, de certaines métaphores, de certains schèmes textuels particuliers : textes-expositions, personnages exposés/s’exposant/s’affichant/‚posant‘ (l’actrice, le badaut, le parvenu, le commis-voyageur etc., ces personnages-types du siècle forment, quelque part, système, ont tous quelque chose à voir avec l’exposition de soi, des autres, des choses), topoï d’exposition et d’incipits romanesques, ruines modernes et anciennes, ‚tableaux’ étalant du savoir, descriptions-catalogues, portes-tropes, hypotyposes naturalistes, livres-guides et livres-galeries etc.30
Wie in seiner Folgestudie Imageries (vgl. Kap. II.3.1.1.2.) geht es Hamon um Wahrnehmungs- und Ausstellungsdispositive, die das städtische Dasein durchdringen und ihren Niederschlag in der Literatur finden – und vice versa. Dabei deckt er zwar beide Bereiche ab, denkt diese aber getrennt voneinander, indem er Transfers zwischen realem Stadtraum und Literatur auf „deux voies“ beschreibt: „d’une part étudier comment le Musée représente la littérature […]. La deuxième voie consisterait à étudier comment la littérature représente le Musée“.31 Hamons Arbeiten haben eine ganze Reihe weiterer Untersuchungen beeinflusst32, denen es um verschiedene Ausprägungen eines „discours littéraire de et sur la collection, le musée et l’exposition“33 geht, und die mit narratologischen und (kultur-)semiotischen Ansätzen Interferenzen zwischen Architektur und Literatur, Museum und Literatur, Bild und Literatur im 19. Jahrhundert behandeln. Unter diesen ist besonders eine Studie von Bourgeois hervorzuheben, der eine Lektüre realer und literarischer maisons-musées unternimmt: so der (realen) von Gustave Moreau und der (literarischen) der Figur Des Esseintes in Huysmans’ Roman À rebours. Auch durch ihre Korpora sind diese Arbeiten wertvoll: Auf das literarische Referenzsystem des ‚Jahrhunderts der Ausstellung‘ rekurriert noch die Gegenwartsliteratur.34
Weitere Untersuchungen betrachten Literatur vor dem Hintergrund von und als Teil der Gegenwartskunst. Zu nennen sind besonders die Arbeiten von Nachtergael, Colard35 und zwei Bände der Zeitschrift Littérature36, die sich Überschneidungen von Literatur und exhibition art widmen. Die dort vertretene Auffassung einer sich (auch) im Ausstellungsraum ausdrückenden néolittérature wird hier übernommen, um eine nicht an das Medium Buch gebundene Literatur zu bezeichnen (vgl. Kap. II.1.2.).37 Auch diese Ansätze rücken das ‚Ausstellen‘ in den Mittelpunkt, wohingegen das ‚Museum‘ als Denkfigur unterbelichtet bleibt; die vorliegende Arbeit hingegen versteht die ‚Ausstellung‘ als zentrale, aber nicht einzige Funktion des ‚Museums‘ (vgl. Kap. II.2.).
Weiterhin zu erwähnen sind Arbeiten zu ‚musealen Transitzonen‘ in angrenzenden Disziplinen: so der Band Images of the Art Museum, der aus Sicht der Museologie auf Museumsrepräsentationen in anderen Medien blickt und dabei auch Praktiken berücksichtigt, bei denen „the aesthetic or visual dimension of the museum as such is utilized or negotiated through an artistic meta-discourse and becomes part of a semiotic system of references within a larger narrative“.38
Erwähnenswert sind schließlich drei Studien, die jeweils Teilaspekte der vorliegenden Untersuchung behandeln: Straubel versteht das Museum (besonders das musée imaginaire) als produktive Metapher für von Schriftstellern konzipierte Anthologien.39 Sie deckt damit den Aspekt des Buchs als Museum ab, der auch in vorliegender Arbeit zu berücksichtigen ist. Quednau widmet sich literarischen und musealen Phänomenen, die das Konzept des imaginären Museums explizit aufgreifen; alle von ihr untersuchten Beispiele „können als Literarisierungen im Museum verstanden werden, als ausstellende Romanprojekte oder die Verbindung von beidem“40. Damit liefert sie nützliche Anknüpfungspunkte, strebt allerdings ebenfalls keine literar-museale Lektüre vor dem Hintergrund eines umfassenden literarischen Werks an. Potschs Arbeit Literatur sehen schließlich geht auf die „ausstellende“ Dimension der Literatur ein, indem sie eine „Öffnung des Interpretations- und Deutungsraums“41 hin zu deren materieller Vorstufe vornimmt, dem literarischen Manuskript: Literatur wird hier nicht nur als Erzählraum verstanden, sondern auch „ihre sichtbare Oberfläche, ihre Textur und ihre Materialität [werden] als Zeichen gelesen“42. Diese ‚Grenzüberschreitung‘ des literarischen Interpretationsraums hat sie mit der vorliegenden Arbeit gemeinsam. „Darf man das?“43, fragt Potsch – und gibt selbst die Antwort:
Warum […] nicht neben den sprachlichen Zeichen versuchsweise auch die materiellen und visuellen Spuren, neben dem Text auch das Original in die Interpretation aufnehmen? Auf diese Weise würden die materiellen und visuellen Phänomene des Originals selbst zu semiotischen Zeichen, die, ganz ähnlich wie schriftliche Zeichen, auf etwas Immaterielles, Abwesendes verweisen […].44
Aufgrund ihres Einflusses sind außerdem die Arbeiten Bals zum Museum, zum Ausstellen, sowie zur Intermedialität und zum transmedialen Erzählen hervorzuheben.45 In mehreren ihrer auf Deutsch in dem Band Kulturanalyse veröffentlichten Aufsätze denkt sie narratologische und museologische Ansätze zusammen, legt einen kultursemiotischen Blick auf die von ihr beschriebenen Stadttopographien an, und arbeitet so außerliterarische Formen des Ausstellens heraus.46
Nur knapp erwähnt seien grundlegende museums-, literatur- und kulturwissenschaftliche Studien, die sich durch die gesamte Arbeit ziehen: Einführungen und Übersichtsdarstellungen zum Museum, Theorien der new museology, aktuelle Museumskritik und Überlegungen etwa zur Ausstellung des Autorensubjekts47 oder der Räumlichkeit der Literatur48. Weitere theoretische Bezüge (u. a. Benjamin, Foucault, Barthes, Said, Pratt, Didi-Huberman) ergeben sich entweder aus direkten Bezügen in den analysierten literar-musealen Werken, oder aus ihrer wichtigen Rolle für Literatur- und Museumsdiskurse (man denke etwa an Benjamins ‚Aura‘-Begriff).
Zum Überblick über literarische Museumsszenen sind auch verschiedene Anthologien hilfreich: in Deutschland die Bände Die Welt der Museen, Menschen im Museum und Sonderbare Museumsbesuche49; in Frankreich eine Zusammenstellung literarischer und essayistischer Texte in dem Band Le musée sans fin50, die Bände Visiteurs du Louvre und Promenades au Louvre51, schließlich die 2020 erschienene Anthologie Le goût des Musées, die von Zola und Proust bis Echenoz und Toussaint v. a. französische Beispiele versammelt.52 Diese Werke bieten nützliche Korpora literarischer Museumsthematisierungen, fußen aber auf einem eher eng gefassten Begriff des Museums und widmen sich diesem vor allem als literarischem Schauplatz. Dadurch bleiben implizite Thematisierungen des Museums unberücksichtigt, und literarische Museumsszenen werden nicht in ihren größeren (Erzähl-)Kontexten sichtbar – seien es die literarischen Topographien der Romane, denen sie entstammen, oder die übrigen Werke ihrer Autoren.
Die Bibliographie umfasst schließlich auch umfangreiche Sekundärliteratur zu den behandelten Autoren. Berücksichtigt wurden insbesondere Artikel und Studien zu Aspekten, die den literar-musealen Komplex thematisieren oder streifen – also etwa Untersuchungen zu intermedialen Fragen, Raum- und Subjektkonzepten oder Autorschaftsdiskursen.
Mit Genettes Worten könnte man beide Autoren als „grands communicateurs“53 bezeichnen, die ihr Werk in zahlreichen Interviews und Meinungsbeiträgen kommentieren und damit selbst zur Situierung ihrer Literatur und ihrer Ausstellungen beitragen. Die Ausrichtung der Arbeit erlaubt es, diese Äußerungen ebenso in den Blick zu nehmen wie etwa Essays, Zeitschriftenbeiträge, Vorworte zu Kunstkatalogen und weitere Formen einer „littérature qui se fait […] ‚en contexte‘“54 – literarische ‚Randerscheinungen‘, die gemeinhin weniger wissenschaftliche und kulturjournalistische Beachtung als das jeweilige Romanwerk erfahren.55 Zur Ausstellungstätigkeit beider Autoren liegt erst wenig Forschungsliteratur vor; trotz ihrer Prominenz und ihrer breiten Rezeption ist ihr künstlerisches Schaffen außerhalb des Buchs bisher wenig untersucht. Während Toussaints Museumsinterventionen inzwischen vereinzelt thematisiert wurden56, gilt dies bisher kaum für Houellebecq, den wohl meistuntersuchten und -rezipierten Autor57 der französischen Gegenwartsliteratur.
Die Analyse der literar-musealen Komplexe Toussaints und Houellebecqs erfolgt vor einem breiten Horizont literar-historischer Referenzen: Werke, die bereits als Beispiele musealen Erzählens kanonisiert sind, die zur Abgrenzung dienen können und/oder auf die sich Toussaint und Houellebecq beziehen. Wie schon der Überblick über den Forschungsstand gezeigt hat, und wie noch weiter auszuführen sein wird, kommen Formen literarischer Musealität besonders im französischen Realismus und Naturalismus1 zur Entfaltung – also im ‚Jahrhundert der Ausstellung‘, als zugleich das Museum seinen Aufschwung erlebte (vgl. insbes. Kap. II.3.2.3.). Wer aber aus der Gegenwart auf die Literatur des 19. Jahrhunderts blickt, kann nicht vorbeisehen an Nouveau Roman und Tel Quel, an Les Mots (1964), Les Choses (1965) und Les Mots et les Choses (1966).2 Literatur und Literaturtheorie im Frankreich der 1950er und 1960er Jahre markieren eine Scharnierstelle zwischen dem réalisme des 19. Jahrhunderts und einem retour du réel, an der das literarische Erzählen von Zeit und Raum, Subjekt und Objekt radikal hinterfragt wird.3 Sie zeigen eine Absatzbewegung vom realistischen Erzählen und teils auch vom ‚Erzählen‘ schlechthin4, was sich in einer Ambition „de vider le signe“5 niederschlägt und u. a. von Sarraute6 und Robbe-Grillet ausformuliert wird.
Mit Joris-Karl Huysmans und Georges Perec seien zwei wichtige Referenzen besonders hervorgehoben, die als „[é]toiles en gravitation libre“7 eine uneindeutige Stellung zum literarischen Feld und zur literarischen réel-Diskussion ihrer Zeit einnehmen, und deren Werk eine relevante literar-museale Dimension aufweist.8 Beide sind Grenzgänger: Wie Huysmans angesichts Zolas und des literarischen Naturalismus, von dem er sich später abwandte9, nahm Perec im Kontext der Theoriedebatten seiner Zeit und ganz besonders angesichts des Nouveau Roman eine Zwischenstellung ein (vgl. Kap. II.4.1.2.1.2.).10 Sein Projekt eines „livre ‚total‘“, konzeptuell in der nie erschienen Literaturzeitschrift La Ligne générale angedacht11, und mit La Viemode d’emploi12 umgesetzt, strebt nach einer allumfassenden, panoramatischen Erzählung, was auch eine Überschreitung der Grenzen des Buchs und eine dauernde, „selbstreflexive Analogie zwischen Text und Raum“13 impliziert. Das diesen romans (so der Untertitel von La vie) vorangestellte Zitat „Regarde de tous tes yeux, regarde“14 mag sich an den Lesenden genauso richten wie es dem Autor als Motto dient. Grenzen von Literatur und Buch verschiebt Perec auch mit seinen anderen Werken, sei es durch Praktiken der in situ-Literaturproduktion im öffentlichen Raum (etwa in Tentative d’épuisement d’un lieu parisien)15, sei es durch eine explizite Inszenierung der Literatur als Erinnerungensarchiv (Je me souviens)16.
Diese und andere Texte und Theorien des 19. Jahrhunderts, der 1950er bis 1970er Jahre sowie der ‚Gegenwart‘17 bilden einen Referenzrahmen, der somit nicht nur Phasen der Neuausrichtung des Museums (vgl. Kap. II.1.1. u. II.2.1.), sondern auch ‚Reflexionsmomente‘ des literarischen Erzählens abbildet, an denen Fragen der literarischen (Re-)Präsentation intensiv diskutiert werden (vgl. Kap. II.3.1. u. II.4.1.2.1.2.). Dieses Verhältnis der Literatur zur außerliterarischen Realität und zum innerliterarischen réel wird sich als zentrales Differenzkriterium zwischen Toussaint und Houellebecq erweisen (vgl. u. a. Kap. III.3.1.1.2. u. IV.1.3.).
Punktuell herangezogen werden auch weitere Beispiele literar-musealer Komplexe oder literarischer Musealität zwischen buchgewordenem Museum (etwa André Malraux’ Musée imaginaire18, eine Erweiterung des Museums ins Buch) und museumgewordenen Buch (etwa Orhan Pamuks Museum der Unschuld19, eine „Verlängerung der Poesie in die Welt“20). Zwischen diesen beiden Polen situieren sich Texte so unterschiedlicher Autorinnen und Autoren wie Marcel Proust, Cécile Wajsbrot, Édouard Levé oder Annie Ernaux. Wenigstens in kurzen Zitaten werden auch entlegenere Beispiele berücksichtigt – verbunden mit der symbolischen Absicht, den durch zwei etablierte, vieluntersuchte, kanonisierte Autoren gesteckten Horizont der Studie zu weiten.
Die beiden Autoren Toussaint und Houellebecq sind aus zahlreichen praktisch-konzeptuellen wie auch ästhetisch-inhaltlichen Gründen geeignet, um literar-museale Aspekte herauszuarbeiten und zu vergleichen.
Ihre Ausstellungen fanden jeweils in großen Pariser Museen und in zeitlicher Nähe (2012 und 2016) statt. Beide erhielten carte blanche und verfügten über eine relativ große Autonomie bei der Konzeption ihrer Ausstellung (vgl. Kap. III.1. u. IV.1.1.); dass sie ihre Ausstellungen als ‚Werke‘ autorisieren, wird sich u. a. an ihren Selbstäußerungen und Begleitpublikationen zu den Ausstellungen zeigen.
Ihr Werk ist jeweils umfangreich, wodurch durchgängige Tendenzen, aber auch Zäsuren darin erkennbar werden, und sich die Ausstellungen nicht nur mit einzelnen literarischen Titeln, sondern mit übergreifenden ästhetischen Verfahren oder Motiven zusammendenken lassen.
Da Autorenausstellungen auch Autorenselbstausstellungen sind, ist das öffentliche Bild des Autors im Kontext des literar-musealen Komplexes einzubeziehen (vgl. v. a. Kap. II.4.1.1.3.). Aus diesem Grund sind Prominenz und öffentliche Sichtbarkeit beider Figuren relevante Faktoren, die nicht nur als Einladungsgrund ins Museum, sondern auch als Thema beider Ausstellungen eine Rolle spielen.
Dass beide Autoren männlich sind, spiegelt wider, was auch Wetzel in seiner Untersuchung feststellt: „ein Bild maskuliner Macht-Dispositive […], in dem weibliche Kreativität gerade ausgeschlossen wurde“1 – und teilweise noch wird. Gerade die ‚Maskulinität‘ von Museen und (Literatur-)Ausstellungen – wie auch ihre meist westliche, eurozentristische Ausrichtung – ist Ausdruck einer Gleichgewichtsstörung, die diese bis heute prägt – sowohl, was ihre Strukturen und ihr (Leitungs-)Personal2, als auch, was die ausstellenden und ausgestellten Autorinnen und Autoren betrifft3: Ein vergleichbarer literar-musealer Komplex einer (frankophonen) Autorin existiert bisher schlicht nicht.4 Diese ‚museale Männlichkeit‘ wird auch in den beiden Werkkomplexen ins Bild gesetzt, etwa in Toussaints Museums-Fotografie Quelques amis (Kap. III.3.1.) oder in der Beschreibung eines Museumsempfangs in Houellebecqs Soumission (vgl. Kap. IV.4.1.). Inwiefern darin Metakommentare (oder bloß Reproduktionen) aktueller Museumsbilder aufscheinen, ist zu diskutieren. In der Literatur beider Autoren jedenfalls wird ein musealer male gaze unterschiedlich umgesetzt, für Formen der literarischen Exposition genutzt (vgl. Kap. IV.3.2.3.) und bei Toussaint auch dekonstruiert (vgl. Kap. III.4.1.2.).
Auch die jeweiligen Ausstellungsorte sind von Bedeutung, denn sie ermöglichen einen ‚intermusealen‘5 Vergleich; in der Pariser Museumslandschaft konzentrieren sich zahlreiche Museen, die für Museumsdiskurse der vergangenen Jahrzehnte prägend waren – sei es das Centre Pompidou, das Musée du quai Branly oder die Fondation Louis Vuitton. Innerhalb dieses Spektrums bilden das Musée du Louvre und der Palais de Tokyo zwei Extrempole: einerseits das meistbesuchte Museum der Welt, das bis heute von der Strahlkraft seiner Dauerausstellung zehrt, und mit seinen Filialen den Export eines bestimmten Museums- und Weltdeutungsmodells betreibt (vgl. Kap. II.2.1.); andererseits ein Ort, an dem im Sinne einer esthétique relationnelle Aushandlungsprozesse zwischen Kunst und Besuchern befördert werden (vgl. Kap. IV.1.1.). Diese sehr unterschiedlichen Schauplätze prägen die konkreten Ausstellungen und spannen ein Feld (möglicher) Museen und (literarischer) Museumsbilder auf.
Und schließlich unterscheiden sich beide Ausstellungen signifikant in ihrer Anlage, Szenografie und Schwerpunktsetzung, wie schon die Titel Livre/Louvre und Rester Vivant signalisieren: Bei Toussaint steht das Buch im Mittelpunkt, bei Houellebecq die Erzählung. Der eine Titel fokussiert Objekt und Raum, der andere Subjekt und Zeit.
Neben diesen das ‚Äußere‘ literar-musealer Komplexe betreffenden Aspekten lassen sich auch literarisch-ästhetische Gründe für die Wahl der Autoren anführen:
Musealität bedeutet künstliche und künstlerische Welterzeugung und -reproduktion, (Re-)Präsentation und Repräsentanz (vgl. Kap. II.3.1.); der Blick auf literarische Musealität impliziert demnach auch die Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit, nach der Repräsentationskapazität der Literatur, aber auch nach den Weltbezügen innerliterarischer Subjektinstanzen. Dieser für die Musealität der Literatur und in der Literatur entscheidende Aspekt ist ein deutliches Differenzkriterium zwischen Houellebecq und Toussaint. So hat bei beiden der Nouveau Roman unterschiedliche Spuren hinterlassen.6 Nach dessen Absage an den Realismus des 19. Jahrhunderts schlug die französische Literatur verschiedene Richtungen ein, und zwischen den Labels eines renouveau du réalisme, eines retour du réel und eines renouveau romanesque repräsentieren Toussaint und Houellebecq zwei gegensätzliche Tendenzen7, sowohl bezüglich ihres unterschiedlichen Umgangs mit einem innerliterarischen réel, als auch mit einem literarischen Realismus.8 Dies soll mit einer Fokussierung auf Aspekte der Musealität noch genauer herausgearbeitet werden.
Beide Autoren betätigen sich jeweils in mehreren Kunstfeldern (vgl. Kap. III.2. u. IV.2.1.1.), und Kunst, Kunstmarkt und Museum spielen in ihrer Literatur eine Rolle. Damit zusammenhängend, thematisieren sie – in der Ausstellung, in der Literatur, in ihren poetologischen Schriften und öffentlichen Äußerungen – die eigene Eventisierung auf dem Literaturmarkt, ihren Platz in der Literatur(-geschichte), aber auch ihre Schreibverfahren, die Materialität ihrer Literatur und weitere für den literar-musealen Kontext relevante Aspekte.
Beide Autoren beteiligen sich aktiv an der Festschreibung ihres Werks. Als Teil dieser Selbstsituierungen spielen ihre Ausstellungen als „[a]utocommentaires tardifs“9 eine Rolle – aber eben auch als Bestandteile einer werkübergreifenden néolittérature. Diese intermedialen und metareflexiven Dimensionen versprechen einen Erkenntnisgewinn und eine produktive Lektüre der Literatur durch das Museum und vice versa.
Das Werk beider Autoren steht für eine délocalisation des metropolitanen Romans.10 Obwohl sehr unterschiedlich umgesetzt, ist jeweils eine literarische Topographie zu erkennen, in der Paris und/oder europäische Zentralität noch immer prägend sind, dabei in unterschiedlicher Weise hinterfragt werden, wodurch sich Analogien zwischen literarischen und musealen Topographien herausarbeiten lassen (vgl. Kap. II.2.1., III.4.3.2., IV.3.3.1.).11 Auch zeigen beide Autoren ein Interesse für detailliert herausgearbeitete literarische Räume, insbesondere für Hotels, Flughäfen oder andere non-lieux (vgl. Kap. II.4.2.1.1.4.), sowie auch für Inseln als erzählerische Sonderzonen – mithin eine besondere Aufmerksamkeit für die Kategorien des ‚Innen‘ und des ‚Außen‘, des ‚Privaten‘ und des ‚Öffentlichen‘. Diese Raumaspekte sind für literarische Musealität entscheidend (vgl. u. a. Kap. III.4.3.3., IV.3.3.2.).
In Bezug auf literarische Subjektthematisierungen bestehen ebenfalls Ähnlichkeiten, die sich bei näherer Betrachtung als Unterschiede herausstellen: Ihre Werke verfügen über männliche, europäische Hauptfiguren, die mit markanten Charaktereigenschaften ausgestattet sind. Die impassibilité ihrer Hauptfiguren ist ein Charakteristikum der Literatur Toussaints, und der houellebecqsche Mann in der midlife-crisis stellt schon fast eine eigene Sozialfigur der Literaturgeschichte dar. Dabei könnte aber das literarisch vermittelte Weltbild beider Autoren kaum weiter voneinander entfernt sein – in ihrer réticence leiden die toussaintschen Charaktere nicht an jenen ‚Kampfzonen‘ der Gegenwart, die die houellebecqschen Figuren gemeinhin in die Depression treiben.12 Dennoch kann man in beiden Fällen von subjektbasierten Krisendiskursen im Zeichen eines „Weltverlusts“13 sprechen. Messling liest derartige Beispiele als „Kompensationsliteraturen im Zeichen der europäischen Melancholie“14, die in der jüngsten Vergangenheit Konjunktur haben.15 So kann man diese Abgesänge auf den ‚alten weißen Mann‘ und das alte Europa durchaus in Verbindung mit Krisendiskursen zum europäischen, ‚müden‘ Museum16 sehen (vgl. Kap. II.2.1.).
Ohne also in Bezug auf zeitgenössische, französische, literar-museale Beziehungen Repräsentativität anzustreben, ermöglichen beide Beispiele doch die Darstellung zweier auseinanderliegender, dabei aber vergleichbarer Ausprägungen literar-musealer Komplexe, was zudem auf eine Übertragbarkeit auf andere Werke und Autoren hoffen lässt.
Die folgenden Überlegungen sollen als ‚Hinführung‘ das Feld abstecken, in dem sich literar-museale Komplexe situieren: Angestrebt wird die Kontextualisierung des Phänomens der Autorenausstellung im literarischen und musealen Feld (Kap. II.1.1.), sowie vor diesem Hintergrund die Etablierung grundlegender theoretischer Ansätze (Kap. II.1.2., II.1.3., II.1.4.).
Als Jeff Koons 2008 eingeladen war, im Château de Versailles auszustellen, und an diesem Ort der „hauts faits de la gloire nationale“2 unter anderem mehrere Staubsaugermodelle in einer Vitrine präsentierte3, mag dies fast so surreal gewirkt haben wie die berühmte Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch. Die Ausstellung des modernen Massenprodukts an einem alten, einmaligen Ort illustriert in seiner Widersprüchlichkeit einen nicht abgeschlossenen (Selbst-)Deutungsprozess des Museums, das im 20. Jahrhundert und bis in die Gegenwart Objekt von Debatten und „Kulturkämpfen“4 zwischen Kulturschaffenden, Museologen, Repräsentierenden und Repräsentierten war und ist.
Angesichts von „postromantischer Kritik“, „postkolonialem Protest“ und „postmoderner Desillusionierung“5 stellen sich Fragen der Repräsentation und Repräsentanz6, die viele Museen selbst längst aufgegriffen haben: Die kritischen Perspektiven der new museology ab den 1980er Jahren und speziell in Frankreich schon etwas früher einer muséologie nouvelle7, die iconic, spacial, material, performative und postcultural turns der Kulturwissenschaften – all dies hat zu einem reflexive turn8 der großen Museen hin zu postmodernen Reflexionsorten und ‚Meta-Museen‘ beigetragen; eine Entwicklung, die bis heute im Gange ist – und eigentlich erst richtig an Fahrt aufnimmt.9 In diesem Sinne ließe sich vielleicht auch die Staubsauger-Vitrine als metareflexiver Kommentar zu den Bemühungen einer – ‚verstaubten‘? – Institution verstehen, sich zur Gegenwart zu öffnen.10
Im Zuge ihrer (Selbst-)Hinterfragung öffnen sich die Museen, etwa durch Dezentralisierung, spektakuläre Architektur (vgl. Kap. II.2.1.) oder die Einladung externer ‚Gaststars‘ als Ausstellungsmacher. Neben prominenten Modeschöpfern (Christian Lacroix im Musée Réattu, Arles, 2008), Filmregisseuren (Wim Wenders im Grand Palais, Paris, 2019) oder Fußballspielern (Lilian Thuram im Musée du quai Branly, Paris, 2011)11 wurden in den vergangenen Jahren gelegentlich auch Autoren als Gastkuratoren eingeladen.12 Karl Ove Knausgård, 2017 für eine Ausstellung des Osloer Munch-Museums engagiert13, thematisiert in einem in der Folge entstandenen Buch, dass für die Einladung nicht seine kunsthistorische Kompetenz ausschlaggebend gewesen sein dürfte:
Although I have never done anything similar, not even anything remotely like it, and although I didn’t know exactly what it would entail, I said yes without a second thought. It was a clear case of hubris, for my only qualification was that I liked looking at paintings and often browsed through art books.14
Auch hier erscheint als Grund für das Engagement eine angestrebte Neuausrichtung des Museums, beglaubigt durch den Schriftsteller:
In a few years the whole museum was to move to a brandnew, modern building, and that was why I had been invited to curate, […] they wanted to take the opportunity to upend everything by inviting people from the outside […].15
In ähnlicher Weise lässt auch der Louvre seine strategische Neuausrichtung von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern begleiten. Indirekt und implizit durch große Einzelausstellungen von Toni Morrison (2006), Umberto Eco (2009), Jean-Marie Gustave Le Clézio (2011) und eben Toussaint (2012)16, oder explizit als ‚Begleitprogramm‘ seiner Neuausrichtung: So wurde etwa die Eröffnung des neuen „Département des Arts de l’Islam“ im Herbst 2012 von einer Filmreihe des iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami17, einem Gespräch mit Amin Maalouf18, einem Vortrag und einer szenischen Lesung Orhan Pamuks19, sowie schließlich einer Ausstellung des Künstlers Walid Raad begleitet20, wobei in Hinblick auf literar-museale Beziehungen besonders die beiden Letztgenannten hervorzuheben sind, die in ihrem Werk die Grenzen der Literatur hin zum Museum (Pamuk) und der bildenden Kunst hin zur Literatur (Raad) überschreiten.21 Sie alle beglaubigen die Ambition einer Schwerpunktverlagerung des Louvre im Kontext (schon lange) geänderter Weltordnungen und damit (sich langsam) ändernder Sammlungs- und Ausstellungsstrategien.22
Folgt man Fauvel23, so sind etwa die Texte Toussaints und die Neuausrichtung eines Museums wie dem Louvre, aber auch die ‚Eventliteratur‘ Houellebecqs und die Einladung Koons’ nach Versailles24, durchaus im Zusammenhang zu sehen. In ihrem Band Scènes d’intérieur liest sie die von ihr behandelten Autorinnen und Autoren – darunter Toussaint – im Kontext der erstarkten französischen Kulturpolitik der 1980er Jahre: die Erhöhung des Kulturbudgets durch Jack Lang, die städtebaulichen Großprojekte François Mitterands wie die Transformation des Louvre25 oder Daniel Burens Les Deux Plateaux (1985) im Hof des Palais Royal.26 Sie impliziert, dass Literatur in Teilen ihre jeweilige Gegenwart reflektiert27, und darum von kulturpolitisch gesteuerten Tendenzen mitgeprägt ist.
Auch stehen Museum und Literatur jeweils in einem Feld der Medienkonkurrenz. In einer Phase, die wahlweise als ère du vide28, als société de consommation29 und du spectacle30 beschrieben wird, geraten sie in einen Aufmerksamkeitswettbewerb und unter Legitimationsdruck, was auch eine Reihe von Untergangsdiagnosen zum Ende der Literatur und des ‚müden‘ Museums nährt.31 Beide Instanzen reagieren auf diese Legitimationsprobleme mit einer vielkritisierten ‚Eventisierung‘, aber auch mit Neujustierungen ihrer Ausstellungspolitik bzw. mit literarischen Formen, für die „le livre n’est plus ni un but ni un prérequis“32. So beobachten Rosenthal u. Ruffel für die Literatur, dass
l’hégémonie du narratif s’accompagne, dans les marges, d’un dévéloppement sans précédent du performatif et de l’exposition de la littérature, la performance et l’exposition constituant des réponses possibles à l’organisation du champ éditorial, une manière de le contester, de le combattre, de faire entendre et voir autrement ce qui appartient à la littérature […].33
Mit der „ganze[n] Weite eines Ausgeliefertseins an den Markt“34, etwa der zunehmenden Ausdifferenzierung des Buchmarkts35, werden neue Vermarktungsmodelle36 benötigt – und verbreiten sich neue Formen der Literatur und „Paraliteratur“.37 Nicht nur kann Literatur unabhängig von Verlagen und fixen Veröffentlichungsdaten existieren, sondern auch ohne materiellen Träger – gemeinhin für die Literatur als konstitutiv angenommenen Kategorien verschwimmen.38 Lesungen, Fernsehauftritte oder Twitter-Konten erhöhen die Sichtbarkeit eines Autors, bieten teils zusätzliche Einnahmequellen39 und ermöglichen künstlerische Ausdrucksformen außerhalb der Buchdeckel. Sie sind „condition sociale“ des Schriftstellerdaseins, können aber auch „principe esthétique“ sein.40 Die daran beteiligten Autoren sind nicht nur Erfüllungsgehilfen, sondern auch Profiteure einer Eventisierung, nicht nur ‚ausgestellte Künstler‘, sondern auch „Ausstellungskünstler“.41
In diesem Kontext ist auch die Mitwirkung von Künstlern an Museumsprojekten zu verstehen, und in den damit verbundenen Werken greifen ästhetisch-literarische und institutionell-kulturpolitische Faktoren auf teils komplexe Weise ineinander. Drei Beispiele: Die Autorin Catherine Cusset, mit einem Aufsatz zur David Hockney-Ausstellung im Centre Pompidou (21.5.-23.10.2017) beauftragt, entwickelte diesen Text zu einem Roman weiter42; die Kuratorin Nathalie Léger reflektiert in ihren Romanen Vies silencieuses de Beckett und L’Exposition ihre Ausstellungstätigkeit43; der Band Œuvres (2002) des Fotografen und Autors Édouard Levé besteht aus einer Aufzählung von Ideen zu bisher nicht realisierten Kunstwerken. Er macht das Buch zum Ort der Kunst – und situiert es wiederum im Feld der Kunst, denn er erklärt sein Werk selbst zu einem jener angeblich unrealisierten Projekte: „1. Un livre décrit des œuvres dont l’auteur a eu l’idée, mais qu’il n’a pas réalisées.“44 Auf einer selbstreferenziellen Ebene betont Levé demnach den Status des Buchs als eigenständiges œuvre und denkt zugleich einen (hier nur imaginären) Ausstellungsraum mit.45 All diese Beispiele eint, dass sie Kunst und Museum nichtnur literarisch thematisieren, sondern dass eine außerliterarische Kunstsphäre an verschiedenen Stellen mit ihnen und ihren Produktionsumständen in Verbindung steht.46 Ihre „démarche conceptuelle“47 wird jeweils erst ganz sichtbar, wenn man über den einzelnen Text und das literarische Feld hinausblickt.
Umgekehrt kann auch die Literatur auf das Museum übergreifen: Sei es, dass literarische Texte Museumsdiskurse mitprägen48, sei es, dass sie als Inspiration, Referenz oder Ordnungsmuster für Ausstellungskonzepte fungieren. Der deutsche Titel von Houellebecqs Debütroman (Ausweitung der Kampfzone) etwa diente einer Ausstellung zur musealen Meta-Reflexion:
Die Sammlungspräsentation lenkt mit einer Auswahl hochkarätiger Kunstwerke den Blick auf diese verschiedenen ‚Kampfzonen‘: auf die großen politischen Themen und Bilder ebenso wie auf die Fragen nach den Grenzen der Kunst, die durch Fotografie, Video, Performance, Objekt- und Konzeptkunst in den Jahren von 1968 bis 2000 eine beständige ‚Ausweitung‘ erfuhren.49
Durch die Anspielung auf den prominenten Romantitel erfolgt eine ‚Ausweitung‘ des romanesque auf neue, museale Zusammenhänge, und zeigt sich das Museum hier als diskursive ‚Kampfzone‘, als Ort eines „‚autre‘ du narratif“50. Noch stärker, nämlich mit ihrem ganzen szenografischen Ansatz, fußt die Ausstellung Unendlicher Spaß auf dem titelgebenden Roman von David Forster Wallace:
Analog der Erzählstruktur des titelgebenden Jahrhundertromans […] wird ein Netz von Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Anforderungen entwickelt, die an das Ich gestellt werden und in denen sich die Widerstände und Widersprüche einer […] gerne als alternativlos bezeichneten Wirklichkeit bemerkbar machen.51
Bei den genannten Beispielen findet ein Transfer jeweils nur in einer Richtung statt, ein Medium ‚ragt‘ gewissermaßen in ein anderes. Bei den in dieser Studie analysierten Autorenausstellungen werden sich hingegen Literatur und Museum als zwei aufeinander verweisende Reflexionsräume erweisen.52
Dieser ‚unendliche Spaß‘ zwischen Literatur und Museum verschiebt den Blick auf die Literatur und ihre Grenzen. Colard spricht von littérature plasticienne und meint damit „tous ces textes, tous ces mots, toutes ces paroles qui se donnent à lire, à voir ou à entendre dans le champ des arts plastiques“, also eine Literatur, „qui ne vise pas forcément le livre comme terminus de la création littéraire“:
[L]a ‚littérature plasticienne‘ est loin de se limiter aux seuls textes écrits sur l’art, elle se déploie dans un cadre plus élargi, et concerne tout autant des productions littéraires qui, sans avoir l’art comme sujet, peuvent emprunter leurs modalités ou leurs dispositifs au domaine des arts plastiques. En vérité, la littérature plasticienne concernera souvent des textes, des auteurs et des autrices qui écrivent ‚avec‘ l’art, avec l’art comme modèle, et non comme sujet.1
Mit dem Begriff der néolittérature impliziert ähnlich auch Nachtergael eine Loslösung der Literatur vom Medium Buch, was voraussetzt, dass „l’unité de l’œuvre n’est pas donnée par le support ou un média autonome, photographie, texte ou film“ – dass also manche Werke sich über ein ganzes „dispositif transmédiatique“ erstrecken. Die Literatur steht dabei weiterhin im Zentrum, wird aber erst im Verbund mit einem musealen Dispositiv voll wirksam, das Buch zum „état transitif d’une œuvre“:
Le texte lui-même s’en trouve déprécié au sens strict, du fait qu’il ne fonctionne plus qu’en système et non en autonomie[.] Les textes posent un plan oblique qui traverse et relie en filigrane les manifestations plastiques : comme une trame à l’arrière-plan, les textes apparaissent avec une densité variable[.]2
Zwar beziehen sich Colard und Nachtergael insbesondere auf Texte, die dezidiert dem Feld der Kunst nahestehen3, doch ist ihre Perspektivierung auch nützlich im Hinblick auf sich in unterschiedlichen Medien realisierende Werkkomplexe. So rückt Colard die Visualität der Literatur und ihre Ausstellungskapazität in den Blick4, Nachtergael das (Künstler-)Subjekt:
[L]oin de laisser à la forme seule l’apanage de l’unité de l’œuvre, c’est son sujet agissant qui habille de sa cohérence un ensemble irrégulier, inachevé et produisant des formes plastiques résolument interdépendantes les unes les autres [sic!]. Que ses manifestations soient alternativement narratives, fictionnelles ou transmédiatiques, le sujet à l’œuvre se coule dans une labilité sémiotique qui converge, se croise et se matérialise dans le texte fondateur d’un univers de langage singulier.5
Das Konzept der néolittérature bedeutet eine Loslösung vom genetteschen Text-Paratext-Ansatz, der zwar ebenfalls für eine Öffnung des Textbegriffs eintritt, gleichzeitig aber einen Haupttext ins Zentrum stellt6, der von Paratexten gerahmt und „verlängert“7 wird. Ein ‚Werk‘ im Sinne der néolittérature erlaubt es dagegen, „de régler la mesure esthétique sur un ordre au long cours, plus général, à la manière des projets de vie […].“8
‚Neu‘ ist dabei wohl weniger die néolittérature selbst9, als vielmehr diese Perspektive auf sie: Denn dass die Literatur eine „transmediale Sprachkunst“ ist, wird gemeinhin „überlagert von der medialen Erfolgsgeschichte des Buchs“10.
Eine Perspektive auf das Museum als kulturellem ‚Faktor‘, der auch literarische Texte prägt, und auf eine néolitérature, die erst im Verbund mit anderen kulturellen Äußerungen zu erschließen ist, steht den Ansätzen des new historicism bzw. der cultural poetics im Sinne Stephen Greenblatts nahe.1 Auf diesen berufen sich grundlegend die meisten Studien zum literar-musealen Komplex, so Hamon2 und Westerwinter; letztere liest „literarische und nichtliterarische, kulturelle und textuelle Produktionen“ im Museum und der Literatur „als gleichberechtigte und aufeinander beziehbare Äußerungen eines kulturellen Imaginären“3, denn „jede gegebene Repräsentation [stelle] einen Reflex oder ein Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse“4 dar. Auch Paul argumentiert in diesem Sinn:
[Museums] played an important role […] in negotiating the interactions between high culture and the masses, between institutionalized attitudes and the avant-garde, between innovative artistic practices and established connoisseurship. As a result, artists and writers involved in the modernist movement found themselfes face to face with museums […]. In fact, museum curators were often reckoning with the same kinds of questions that poets found themselves dealing with.5
Sie sieht Übergangszonen zwischen beiden Polen: Ein Gedicht, wie ein museales Objekt, „similary combines resonance and wonder, invites politicized and aesthetic readings, and careful reading of poetry must attend to both the text’s idea and its formal and linguistic pleasures.“6 Mit seinem bekannten, von Paul zitierten Begriffspaar von resonance und wonder beschreibt Greenblatt die zwischen (Kunst-)Werk und Welt ablaufenden Prozesse:
By resonance I mean the power of the displayed object to reach out beyond its formal boundaries to a larger world, to evoke in the viewer the complex, dynamic cultural forces from which it has emerged and for which it may be taken by a viewer to stand. By wonder I mean the power of the displayed object to stop the viewer in his or her tracks, to convey an arresting sense of uniqueness, to evoke an exhalted attention.7
Sichtbar werden diese Wechselwirkungen von Subjekt und Objekt unter der Bedingung,
not to find outside the work of art some rock onto which interpretation can be securely chained but rather to situate the work in relation to other representational practices operative in the culture at a given moment in both its history and our own.8
Als Beispiel nennt Greenblatt das Pariser Musée d’Orsay, in dem das historische Gebäude des ehemaligen Bahnhofs die Objektanordnung und die Erläuterungstexte die Wirkung der Werke überdeckten, wodurch es mehr „temple[] of resonance“ als „temple[] of wonder“9 sei und die Exponate sozusagen hinter ihrer Situierung zurückträten.
Das Museum dient hier als Modellraum für ein ‚Text-Kontext-Problem‘, das auch die Literatur betrifft10: Wie erfasst der Blick auf ‚das Ganze‘ das einzelne Werk, und was wird dabei aus seiner „spezifisch ästhetischen Dimension“11? Dieses „Problem der Literaturspezifik“ macht Baßler als eine der zentralen Schwierigkeiten des new historicism aus.12 Das mit dem Ansatz verbundene Textualitäts-Paradigma verdeckt auch weitere für den literar-musealen Zusammenhang relevante Aspekte.13 Baßler plädiert angesichts dessen dafür, die Perspektive des new historicism vor allem als „gemeinsame[s] Tableau“ zu verstehen, vor dessen Hintergrund eine „textualistisch“ basierte Kulturtheorie „methodologisch“ fruchtbar sein könne, ohne einen „ontologischen“ Anspruch zu vertreten, „daß ‚alles und jedes‘ auf dieser Welt Text sei.“14 Vor diesem Tableau geraten besonders die Grenzen von (literarischen wie musealen) Kunstwerken in den Fokus:
Das Prinzip des Close reading, der materialnahen, akribischen Lektüre wird […] nicht aufgegeben, doch richtet man das textanalytische Mikroskop jetzt eher auf die ‚Fransen‘ des textuellen Gewebes, auf jene Webstellen, an denen das Kunstwerk mit seiner zeitgenössischen Kultur verwoben ist. Auf diese Weise lassen sich […] die ‚Fäden‘ verfolgen, die aus den unterschiedlichsten kulturellen Bereichen in einen Text hineinführen und auch wieder aus ihm hinaus.15
Dieser Blick auf das „chiastische Verhältnis“16 von Innen und Außen ist auch für die folgende Arbeit entscheidend. Der Begriff der ‚Franse‘ rekurriert auf Genette, der als solche ‚frange‘ den Paratext bezeichnet17 – ein Hinweis darauf, dass unter einer solchen Perspektive nicht nur die Grenzen eines Werks zu berücksichtigen sind, sondern auch das vermeintlich Marginale innerhalb eines Werkkomplexes; darum werden im Folgenden sowohl literarische ‚Randerscheinungen‘ (Ausstellungskataloge, Vorworte, Interviews…), als auch (Text- und Ausstellungs-)Ein- und Ausgänge (vgl. etwa Kap. II.3.5.) zentral thematisiert.
Die Einbettung eines Textes in größere (kulturelle oder Werk-)Zusammenhänge hat Folgen für das Bild des Autors als „Sinngarant[en]“, welches, so die These Baßlers, besonders zum Tragen kommt, wenn man von dem einen, „manifesten Text“ ausgeht.18 Dagegen empfiehlt er einen „Verzicht auf die Kategorien des Autorensubjektes und seiner Intention“, und stattdessen die „Konzentration auf jene Dimension, wo der Text allein von ‚Sprache und Kultur Bedeutungen zugewiesen‘ bekommt“19. Er führt u. a. Peter Handkes Ready-made-Gedicht „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968“ an, das durch die „paratextuelle Situierung“ (in dem Gedichtband mit dem passenden Titel Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt20) als Kunstwerk identifiziert werde, und nicht durch jenen, der es dort platziert habe21:
Daß der Text […] ein ‚Werk‘ ist, bezeichnet also keine ontologische Qualität, sondern eine erfolgreiche Zuschreibung […]. Von allen Möglichkeiten, die semiotische Offenheit zu begrenzen, scheint mir der Rückgriff auf die Autorintention hier die am wenigsten zwingende […].22
In Bezug auf néolittérature ließe sich dagegen argumentieren, dass der Blick auf ganze literar-museale Komplexe das Autorensubjekt gerade als verbindende Instanz zwischen verschiedenen Werkelementen hervortreten lässt.23 Relevant erscheint diese Instanz jedoch vor allem als Thema des literar-musealen Komplexes: die Analyse interessiert sich primär für das öffentlich ausgestellte Autorenbild, nicht für den Autoren als Bürge der Interpretation.24
(Kultur-)semiotische Perspektiven bieten sich an, um konkrete Einzelwerke (wie einzelne Romane, Exponate oder Ausstellungen) im Kontext eines umfangreichen, mehrere Medien umfassenden Werks und „kulturellen Texts“1 zu betrachten und Literatur und Museum zusammenzudenken.2 Zentral sind dafür die Kategorien von Präsentation und Repräsentation, Sichtbarkeit und Lesbarkeit. Sie lassen sich sowohl auf einzelne, ausgestellte Exponate beziehen, als auch auf die im Hintergrund stehenden Sammlungen oder Museen und museumsartigen Räume als Ganzes, betreffen aber auch die Ausstellungskapazität der Literatur (vgl. Kap. II.3.1.1. u. II.3.1.2.). Hamon nennt die exposition als zentrale Kategorie, in der visible und lisible zusammenkommen3, Pomian spricht von Museen als „vitrines et miroirs de nos sociétés“4, die kollektive Identität aus-, aber auch herstellen, und situiert die collection zwischen visible und invisible: als Hort der Dinge, die auf etwas Abwesendes verweisen, auf „tout ce qui est supposé être à la fois réel et inaccessible aux sens, soit ici et maintenant, soit toujours et partout“5. Mit dem Semiophor hat Pomian einen zentralen Terminus für Objekte geprägt, die zugleich materiell und zeichenhaft, sichtbar und lesbar sind.6 Dieses Konzept ist besonders auf literarisches Ausstellen und die Ausstellung der Literatur gut anzulegen: Das Objekt Buch, aber im übertragenen Sinne auch bestimmte innerliterarische Objekte ließen sich so beschreiben (vgl. Kap. II.4.1.2.1.).7 Der Semiophoren-Begriff lässt sich aber auch auf Formen außermusealer Musealisierung anlegen, wenn etwa städtische Zeichen zu einer musealen Erfahrung der Straße beitragen, so wie die ‚Ausstellungsarchitektur‘ im Paris des 19. Jahrhunderts mit ihren vitrines und miroirs. Als weitere kultursemiotische (Raum-)Theorie dient der Lotmansche Semiosphären-Begriff (Kap. II.4.2.1.1.1.). Diese Ansätze werden u. a. durch die Theorien Mieke Bals ergänzt8, die sich durch ihre intermediale Offenheit, aber auch ihre ideologie- und machtkritische Dimension auszeichnen. Ein zentraler Fokus Bals betrifft das museale ‚Wer spricht‘, in der Literatur ebenso wie in verschiedenen (multi-)medialen Ausprägungen, so dem Ausstellungsraum.9 Machtbeziehungen ergeben sich zwischen Ausstellendem und Besucher, aber auch zwischen dem ausstellenden oder sehenden Subjekt und den stummen, „von der diskursiven Situation zum Schweigen gebrachten“ Objekten.10 Bal bedient sich zur Beschreibung dieser Machträume der Narratologie11, und nutzt dabei Begriffe wie „Fokalisierung“ zu einer kritischen Lektüre „ideologischer Machtstrukturen“.12
Die Verbindung von Ausstellungsanalyse und Narratologie, weiter unten noch einmal genauer mit ihren Vorzügen und Nachteilen beleuchtet (Kap. II.3.3.), ist nicht nur hilfreich zur Beschreibung eines ‚Erzählens‘ in der Ausstellung – jenseits einzelner Werke –, sondern auch, um literarisches Erzählen als museales Erzählen zu fassen.
Daneben ist der mediale Aspekt auf verschiedenen Argumentationsebenen wichtig: Legt man eine Definition von Medien als „Konstitutionssphären von Sinn“13 und als „Filter narrativer Inhalte“14 zugrunde, zeigen Museen nicht nur Medien, sondern können auch selbst als solche bezeichnet werden. Ein solcher weiter Medienbegriff erweist sich insbesondere als praktikabel, sofern es um die Konkurrenz unterschiedlicher Repräsentationsorte geht15; er ist auch nützlich, um das Museum als Teil einer medienübergreifenden néolittérature