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Fremdsprachenunterricht unterliegt stetigem Wandel und zeigt immer neue Facetten. Living Language Teaching greift diesen Gedanken auf und richtet den Fokus auf fremdsprachenunterrichtliche Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien in Vergangenheit und Gegenwart sowie deren Entwicklung und Einsatzmöglichkeiten. Das Autorenteam, das sechzehn Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen fremdsprachendidaktischen Disziplinen umfasst, bietet einen multiperspektivischen Zugang zum Thema. Im Vordergrund steht dabei die praktische Nutzung von Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien in Schule und Hochschule.
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Seitenzahl: 356
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Engelbert Thaler / Petra Rauschert / Dorottya Ruisz
Living Language Teaching
Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-8233-8319-2 (Print)
ISBN 978-3-8233-0165-3 (ePub)
„Rituale sind schön, sie gelegentlich zu durchbrechen ist auch schön“ (Klippel 2016).1 Mit der vorliegenden akademischen Festschrift haben wir uns für das Ritual entschieden und möchten damit Prof. Dr. Dr. h.c. Friederike Klippel zum 70. Geburtstag gratulieren. Als Fremdsprachendidaktikerin zeichnete sich Friederike Klippel schon immer dadurch aus, ihr breites historisches Fachwissen mit Innovation zu verbinden – das spiegelt sich bereits im Eingangszitat wider, das dem Vorwort des Sammelbandes entnommen ist, den sie zu ihrem 65. Geburtstag herausgab. Der Titel Living Language Teaching – Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht legt den Fokus auf ein Thema, das sie in vielfältiger Weise in ihrem Leben begleitet hat: als Lehrerin, als Lehrwerksautorin und als Wissenschaftlerin. Living Language Teaching greift dabei den Gedanken auf, dass auch Fremdsprachenunterricht stetigem Wandel unterliegt und immer neue Facetten zeigt, während der Band einer Person gewidmet ist, die im wörtlichen Sinne das Sprachen lehren lebt.
Friederike Klippel, geboren am 25. Mai 1949, startete ihre fremdsprachendidaktische Karriere als Lehrerin für Grund- und Hauptschulen, bevor sie 1973 begann, das Lehren und Lernen aus gegenwärtiger und historischer Perspektive auch wissenschaftlich zu erforschen. Mit unermüdlichem Engagement setzte sie sich dafür ein, SchülerInnen fremdsprachliches Können und die Freude an der englischen Sprache zu vermitteln, an der Universität reflektierte PraktikerInnen auszubilden, WissenschaftlerInnen auf ihrem akademischen Weg zu begleiten und die Fachdidaktik durch eigene Forschungsprojekte als wissenschaftliche Disziplin zu stärken. Gleichzeitig trug die langjährige Inhaberin des Lehrstuhls für Englischdidaktik der LMU maßgeblich zu curricularen und administrativen Weichenstellungen bei, sei es als Lehrplanautorin, als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von KMK und BMBF oder als Prorektorin der Ludwig-Maximilians-Universität. Dass sie auch im Ruhestand noch als Gastprofessorin bis nach Wien zu pendeln bereit ist, belegt ihre Leidenschaft für das Fach.
Friederike Klippels Œuvre ist so umfangreich, dass es in keinem Vorwort Platz finden kann. Es dokumentiert mit den zahlreichen Monografien, Sammelbänden, Buchreihen, wissenschaftlichen Zeitschriften, Aufsätzen und Unterrichtsmaterialien jedoch die breit gefächerten Interessen und Kompetenzen der Jubilarin. Das Themenspektrum umfasst nicht nur Spieltheoretische und pädagogische Grundlagen des Lernspieleinsatzes im Fremdsprachenunterricht (1980), Englischlernen im 18. und 19. Jahrhundert (1994), fachdidaktische Einführungswerke (1987, 2000, 2007) und fremdsprachendidaktische Forschungsmethoden (2016), sondern auch eine Vielzahl von Unterrichtsmaterialien. Diese werden immer noch rezipiert, wie im Fall von Keep Talking (1984), das in seinen 35 Jahren über dreißig Mal gedruckt werden musste.
Ihre Reihe Münchner Arbeiten der Fremdsprachenforschung (MAFF) gewinnt im Rahmen des vorliegenden festlichen Buches eine besondere Bedeutung. Bei den 39 Bänden handelt es sich größtenteils um Dissertationen und Habilitationen, die Friederike Klippel betreut hat. Viele der Beitragenden zu diesem Band haben ihre Dissertationen ebenfalls in Friederike Klippels Reihe veröffentlicht. Sie hat nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch als Doktormutter Großes geleistet; bisher sind bei ihr 28 Doktorarbeiten und zwei Habilitationen entstanden, ohne Berücksichtigung weiterer Zweitgutachten. Auch als Herausgeberteam sind wir zutiefst dankbar für die intensive Betreuung unserer eigenen Forschung, für die jahrelange hervorragende Zusammenarbeit und für die akademische Großfamilie, die sie geschaffen hat.
An dieser Stelle wird in schriftlicher Form ein Familienfest gemeinsam mit engen akademischen FreundInnen gefeiert. Die Mitglieder dieser Festgesellschaft kommen entsprechend der vielseitigen Aktivitäten der Jubilarin sowohl aus der Wissenschaft als auch aus der Praxis des Fremdsprachenunterrichts. Das Motto des Festes sind Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien im Fremdsprachenunterricht, das aus verschiedenen Richtungen beleuchtet wird. Den Auftakt bildet ein geschichtlicher Beitrag, der die Fachgrenzen überschreitend an das Steckenpferd der Jubilarin anknüpft: historische Forschung; in Annette Haseneders Beitrag geht es um Schule und Fremdsprachenunterricht in der frühen Neuzeit. Keine Feier kommt ohne literarische Einlagen aus, und so beschäftigen sich Petra Rauschert, Bernd Ruoff und Jonathan Sharp in ihren Beiträgen mit fremdsprachlichem Literaturunterricht und der Verwendung geeigneter Unterrichtsmaterialien in Schule und Hochschule. Den essenziellen Funken Spaß steuern Sarah Boye mit Zungenbrechern im universitären Englischunterricht und Bettina Raaf / Angela Hahn mit ihrem Beitrag zu Humor in Englisch-Lehrbüchern bei. Mit der Vielfalt der Lernenden beschäftigt sich Liesel Hermes in einer kritischen Diskussion von Differenzierungsmaßnahmen und Stefan Lenhard in seiner Untersuchung der Bedeutung von Lerntypen für den kompetenzorientierten Grammatikunterricht. Einen Blick auf die Gestaltung von Lehrwerken und den Umgang der Lehrkräfte mit denselben im Laufe des Lehrerlebens werfen die Beiträge von Petra Kirchhoff / Sandra Stadler-Heer, Manuela Wipperfürth / Leo Will sowie Jürgen Kurtz. Daniela Casparis Vergleich von Konzepten von Lernaufgaben bietet eine Hilfe für die Entwicklung von modernen Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien. Zu guter Letzt wird wieder das Fächerübergreifende gesucht mit einem Wissensgebiet, das ebenfalls für die Erstellung von Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien essentiell ist. Es ist Werner Kiewegs Erörterung von Erkenntnissen der Neurowissenschaften für die Englischdidaktik.
Das Herausgebertrio sowie alle AutorInnen und GratulantInnen wünschen der Jubilarin mit dieser Festschrift von Herzen alles Gute mit many happy returns für many years of living language teaching.
Die Anfänge des Unterrichtens von modernen Fremdprachen in der Frühen Neuzeit stützte sich vor allem auf die Theorie und Praxis des Lateinunterrichts. Überraschende Einsichten durch die genaue Lektüre pädagogischer oder didaktischer Literatur englischsprachiger Autoren der Zeit zeigen, dass sich Lehrkräfte mit pädagogischem Gespür und fachlicher Reflexion über ihr Unterrichtshandeln sehr bewusst waren. Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick in den Unterricht der Frühen Neuzeit in Hinblick auf Unterrichtsräume, Lehrwerke und Unterrichtsgestaltung und skizziert so auch die Rahmenbedingungen von den Anfängen des Fremdsprachenunterrichts. Es wird festgestellt, dass die Prämissen des Unterrichtens trotz der unterschiedlichen Verhältnisse in einigen zentralen Aspekten mit der von heute große Ähnlichkeiten aufweisen.
Schulisches Lernen war vom frühen Mittelalter an eng verknüpft mit dem Fremdsprachenlernen: religiöse Inhalte und Abläufe waren streng an das Lateinische geknüpft und konnten nur nach einem entsprechenden Ausbildungsprogramm vollständig nachvollzogen werden. Auch nach der Ablösung von klösterlichen oder kirchlichen Strukturen hatte die zunehmend institutionalisierte Schule bis ins 17. Jahrhundert hinein das Erlernen der lateinischen Sprache als zentralen Bildungsgedanken.
Gelehrt wurden also Lesen und Schreiben der Muttersprache sowie die Fremdsprache Latein, in allen Phasen und Jahrgängen durchzogen durch religiöse oder humanistisch-moralische Wertevermittlung. Feste gemeinsame Gebetszeiten strukturierten den Tagesablauf. Lesen wurde in den Eingangsklassen an Gebetstexten oder dem Katechismus geübt, an einzelnen Schulstandorten von Anfang an auch in Latein, in den oberen Jahrgängen wurden als vorbildlich geltende Literaturtexte rezipiert. Die Unterweisung moderner Fremdsprachen kam im Laufe des 16. Jahrhunderts vor allem in größeren Zentren wie London zum Bildungsangebot dazu, wenn dies berufsbedingt sinnvoll oder notwendig war, galt allerdings eher noch als ungewöhnliches Additum.1
Sach- oder Fachunterricht sowie Mathematik und die Naturwissenschaften wie z.B. Sternkunde gehörten erst in den oberen Klassen der höheren Schulbildung zum Fächerangebot, was dementsprechend recht wenigen Lernenden zu Teil wurde. Weitere wichtige Kompetenzen wurden den Schülern je nach angestrebter Berufssparte durch die entsprechende Gilde oder den Meister in fachbezogener praktischer Ausbildung vermittelt. Wenn also beispielsweise ein Lehrling eines Stoffhändlers kaufmännische Berechnungen anstellen musste, so lernte er dies nicht in der Schule, sondern vor Ort in seinem Kontor.
Ebenso wie heute überlegten sich Lehrer der Frühen Neuzeit nicht nur, welche Inhalte sie ihren Schülern2 vermitteln möchten, sondern auch mithilfe welcher Medien oder Methoden sie das Wissen präsentieren, erklären oder lernen lassen wollen, wovon der nun folgende Überblick einen Eindruck geben soll.
Eines der ersten englischsprachigen Pädagogik-Kompendien der Zeit war Richard Mulcasters The Training Up of Children.1 Er erklärt genau, warum er sein Werk nicht der akademischen Gepflogenheit entsprechend in Latein, sondern ganz in der Muttersprache verfasste:
I do write in my naturall English toungue, bycause though I make the learned my iudges, which vnderstand Latin, yet I meane good to the vnlearned, which vnderstand but English. And better it is for the learned to forbeare Latin, which they neede not, then for the vnlearned to haue it, which they know not. By the English both shall see, what I say, by Latin but the one, which were some wrong, where both haue great interest […] (Mulcaster 1581: 3).
Er möchte also seine grundlegenden Überlegungen für ein breites Leserpublikum zugänglich machen, insbesondere auch für solche Lehrpersonen, die Grundlagenunterricht verrichteten und selbst des Lateinischen nicht mächtig waren. Solcher Basisunterricht, der Lesen und zeitlich versetzt das Schreiben umfasste, wurde häufig von Lehrkräften, die selbst keine akademische Ausbildung durchlaufen hatten, im häuslichen Rahmen durchgeführt, insbesondere dann, wenn es sich um Mädchen, d.h. Schülerinnen, handelte.
Mulcasters breit gefasstes Konzept, das er in 45 Kapiteln behandelt, beginnt mit allgemeinen Grundlagen des Lernens und Lehrens, den Zielen der Erziehung und der Natur des Kindes. Er geht wesentlich vom Lernenden aus: „That parentes, and maisters ought to examine the naturall abilities in children, whereby they become either fit, or vnfit, to this, or that kinde of life“ (Mulcaster 1581: 24f.), und die Position der Eltern steht seiner Meinung nach unangefochten vor allen anderen Erziehungseinflüssen:
That the training vp to good manners, and nurture, doth not belong to the teacher alone, though most to him, next after the parent, whose charge that is most, bycause his commandement is greatest, ouer his owne childe, and beyond appeale (Mulcaster 1581: 25).
Bei Mulcaster wird sogar die Wahl der richtigen Schullaufbahn reflektiert, und wieder geht er vom Kind und seinen Fähigkeiten aus:
Wherefore when sufficient abilitie in circumstances bid open the schoole dore, the admission and continuance be generall, till vpon some proofe the maister, whom I make the first chuser of the finest, and the first clipper of the refuse, begin to finde and be able to discerne, where abilitie is to go on forward, and where naturall weaknesse biddes remoue by times (Mulcaster 1581: 153).
Er vergisst nicht darauf hinzuweisen, dass den Kindern und Jugendlichen nicht zu früh der weitere Ausbildungsweg versperrt werden sollte, denn manche Schüler brauchen ihre Zeit: „some good ripenesse in time, though with some great paines to the teacher in the meane time“ (Mulcaster 1581: 154), jedoch bei entsprechender Unfähigkeit sollten sie durchaus nicht zu lange an der Schule belassen werden, „[f]or the naturall dulnesse will disclose it selfe generally in all pointes, that concerne memorie and conceit“ (Mulcaster 1581: 154). Insgesamt mahnt Mulcaster zu Geduld, dem Kind oder Jugendlichen zuliebe eher ein wenig mehr Zeit einzuräumen:
Wherefore premptorie iudgement to soone, may proue perillous to some; and againe he that is fit for nothing else, for the tendernesse of his bodie, may abide in the schoole a litle while longer, where though he do but litle good, yet he may be sure to take litle harme (Mulcaster 1581: 154).
In weiteren Kapiteln widmet er sich um das körperliche Wohl der Schüler: „Of the student and his health. That all exercises though they stirre some one parte most, yet helpe the whole bodie“ (Mulcaster 1581: 40). Er stellt Überlegungen an zum Wert der athletischen Bewegung und Übung, bevor er auf einzelne Betätigungen eingeht, z.B. den Tanz, das Wrestling, den Weitsprung, die Jagd oder das Ballspiel. In Bezug auf das ‚akademische Programm‘ einer Schule bemerkt er, dass beide Disziplinen wesensgleich sind:
Why both the teaching of the minde, and the training of the bodie be assigned to the same maister. […] That who so will execute anything well, must of force be fully resolued of the excellency of his owne subject (Mulcaster 1581: 122).
Mulcasters Ausführungen sind praxisnah und präsentieren sich als fortschrittlich und dem Schüler zugewandt – doch muss mitbedacht werden, dass die Rute oder der Stock Teil des Schulalltags waren. Alexander (1937: 199) merkt an, dass Mulcasters Schule in London für „the severity of the whippings“ bekannt war.
Klassenzimmer in der Frühen Neuzeit befanden sich in der Regel im Wohnhaus des Lehrers, insbesondere dann, wenn dieser von einer Stadt oder einer Handwerksgilde angestellt war und die Dienstwohnung und Schulräume zur Verfügung gestellt wurden. Selbständig arbeitende Lehrer hingegen funktionierten häufig ihre privaten Wohnräume in Unterrichtsräume um, was vor allem im städtischen Gebiet vorkam, so dass sich diese in Ausstattung und Größe stark unterschieden. Insgesamt waren sich die Praktiker im Klaren darüber, dass Schüler nicht nur einen Ofen für den Winter, sondern auch genügend Licht benötigen, um zu lernen. Es wurden dunkle Räume abgelehnt oder von Aufsichtsbehörden gerügt (Gauger-Lange 2018: 199).
Bei angemessener finanzieller Ausstattung waren Schulen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit zwei Lehrkräften besetzt, wobei der Master die höheren Leistungsstufen unterrichtete und die Schulleitung innehatte, und der Usher sozusagen die zweite pädagogische Kraft im Unterrichtsraum darstellte. Letzterer war für den Grundlagenunterricht der unteren Jahrgänge zuständig. Dieser Unterschied zeigte sich auch in den Gehältern (vgl. Alexander 1937: 196f.). Ob Formen von team teaching praktiziert wurden, geht aus den untersuchten Quellen nicht hervor, lässt sich aber aufgrund der äußeren Umstände auch nicht von der Hand weisen: sicherlich mussten sich die Kollegen zu Unterrichtsphasen absprechen, besonders wenn es sich um Inhalte handelte, die alle Schüler unabhängig ihrer Altersstufe betraf, wie z.B. religiöse Unterweisung oder die Gebetszeiten. Da es sich bei einem Master in der Regel um einen an einer Universität ausgebildeten Lehrer handelte,1 während der Usher auch ungelernt als Lehrperson eingesetzt werden konnte, könnte in der Praxis die Kooperation auch hierarchisch angelegt gewesen sein, d.h. der Usher erhielt Aufträge, wie er seinen Unterricht zu halten habe.
Orme (1998: 42) zeigt den Grundriss eines Klassenzimmers von Magdalen College School in Oxford: der Sitz des Masters befand sich am einen Ende des langgezogenen Raums, der des Ushers am entgegengesetzten Ende. Lange Bänke zogen sich an beiden Längsseiten des Zimmers entlang; die Mitte des Raumes blieb frei (Orme 1998: 41 und Gauger-Lange 2018: 197). Die Schulkinder saßen an beiden Seiten der Tischreihen. Ein Ende wurde den Schulanfängern zugeteilt, und jährlich wanderten die Schüler ein Stück weiter entlang der langen Tafel, bis sie als Schulabgänger am anderen Ende des Tisches angelangt waren. Die Jugendlichen erhielten dadurch ein Gefühl für ihr Fortschreiten des Lernniveaus: bereits die Sitzordnung zeigte, auf welchem Leistungsstand ein Schüler war. Die Lehrkräfte konnten zudem ihre Schüler in alters- und leistungsgleiche Gruppen unterscheiden2 und am Tisch entlanglaufen, um jeweils passende Arbeitsaufträge zu geben oder mit der entsprechenden Lernergruppe oder ggf. mit einem einzelnen Schüler zu sprechen.
Der Grundriss zeigt auch, dass das Klassenzimmer von 12 Säulen (je 6 in zwei Reihen) durchsetzt war. Diese dienten als Pin-Bretter3 oder auch als Raumteiler, z.B. um Vorhänge anzubringen. Auf diese Weise versuchten die Lehrkräfte eine Lernumgebung zu schaffen, die eine bessere Konzentration ermöglichte:
As any language teacher knows, the rules of grammar are difficult to explain and make interesting under the best circumstances. But in a large open space containing 100 boys or more at different academic levels, it was virtually impossible. The students’ attention was constantly diverted by what was happening elsewhere in the room; and there was thus a tendency to erect partitions, put up curtains, or create barriers in some way (Alexander 1937: 198).
Wenn der Lehrer allen Schülern etwas gleichzeitig mitteilte, insbesondere wenn es sich um religiöse Elemente des Unterrichts wie Gebet, Bibelauslegung oder -rezitation handelte, stand er am Ende der langen Tischreihen an einem Stehpult. Manche zeitgenössische Abbildungen zeigen, dass im sonstigen Unterrichtsverlauf die Lehrpersonen bisweilen an kleineren Tischen saßen, wobei die hervorgehobene Position des Masters häufig durch einen kunstvoll ausgestalteten Holzstuhl mit höherer Lehne gekennzeichnet war (Orme 1998: 41 sowie Willemsen 2008: 151 und 166).
In einigen Abbildungen sieht man, wie Kinder in Reihen hintereinander und nicht an seitlichen Bänken mit Tischen sitzen. Vermutlich lag dies ganz pragmatisch am Grundriss des zur Verfügung stehenden Klassenzimmers. Eine Sitzordnung in Reihen war jedoch eher an den Universitäten üblich: dort stand der Lehrer in der Regel vor seinen Zuhörern am Pult, eine intensive Lehrer-Schüler-Interaktion während der Vorlesungen war weniger vorgesehen.
In der Regel war eine schoole noch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein, insbesondere in ländlichen Gegenden, ein Ein-Klassenzimmer-Unternehmen und alle Jahrgänge waren in diesem einem Unterrichtsraum untergebracht. Ausnahmen hierzu bildeten größere Schulen in Großstädten, sowie alt eingesessene oder sofort größer konzipierte Schulen: „Apparently the first school building that had a separate classroom for each form was the one Thomas Farnaby created in London during the 1620s by merging several houses in Goldsmiths’ Alley“ (Alexander 1937: 199).
Als Medium für Schulanfänger war schon im Mittelalter das sog. Hornbook üblich, ein Stück Holz, auf dem in frühen Ausführungen eine Pergament- oder Lederseite angebracht worden war, auf der das ABC, die Worte des Kreuzzeichens, oder sehr kurze Gebete aufgeschrieben, später auf Papier aufgedruckt worden waren (vgl. Willemsen 2008: 52f.). Im Verlauf von mehr als 300 Jahren wurde das Hornbook im europäischen Raum breitflächig eingesetzt. Bereits diese Erstlesetexte waren in lateinischer Sprache auf dem Hornbook verzeichnet, da alle kirchlichen oder religiösen Texte in Latein abgefasst und gebetet wurden; das Lesenlernen an und für sich war also bereits eine fremdsprachliche Unterweisung. Erst in (z.T. vor-)reformatorischer Zeit wurden Hornbooks rein in der Muttersprache verwendet.
Die Forschung zu den benutzten Lehrwerken in der Frühen Neuzeit bleibt beschränkt durch die „ungewöhnlich dürftigen Überlieferungen“, denn erstens kann von keinem einheitlichen Einsatz von Lehr- und Unterrichtswerken ausgegangen werden, und zweitens sind sie „durch Gebrauch verbraucht und damit von weiterer Überlieferung ausgeschlossen“ (Hellekamps/Le Cam/Conrad 2012: 2, kursiv im Original). Dabei ist zu bedenken, dass ein Schulbuch nicht nur Textsorten umfasste, „die von ihren Autoren explizit zu Unterrichtszwecken verfasst wurden, wie z.B. Grammatiken, Vokabularien und Katechismen, und die von Kindern und Jugendlichen in der Schule zum Lernen verwendet wurden“, sondern auch solche, die zwar für Lehr- und Lernsituationen herangezogen, aber nicht als solche geschrieben wurden, so „etwa die antiken und mittelalterlichen Auctores oder religiöse Schriften“ (Hellekamps/Le Cam/Conrad 2012: 2, kursiv im Original).
Eines der verbreitetsten Unterrichtsbücher der Frühen Neuzeit, mit dem Kinder (und bisweilen Erwachsene) inner- und außerhalb von schulischen Kontexten das Lesen lernten und einübten, ist der Primer oder ABC-book (Willemsen 2008: 54f.), eine Sammlung von einfachen Lesestücken. Es gab eine große Vielzahl an unterschiedlichen Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Texten, die jedoch insgesamt alle einem einheitlichen Konzept folgten:
The Primer was thus a religious handbook; though not an official ecclesiastical publication, it was based on the usage of the Church. There appears to have been originally little or no strict regulation of its exact contents. […] It generally included an almanac or table to find the date of Easter, and a calendar of saints’ days; it often gave the Paternoster, Creed, and Ten Commandments, and sometimes included brief expositions on such themes (Butterworth 1953: 3).
Es wird die enge Verknüpfung von schulischem Programm und religiös-moralischer Unterweisung deutlich, die im Grundlagenunterricht selbst von den humanistischen Lehrmeistern nicht aufgegeben wurde. Vor allem nach der Exkommunikation von Königin Elisabeth durch den Papst im Jahr 1570 war es ein Anliegen der englischen Aufsichtsbehörden, schulische Inhalte eng an die anglikanische (d.h. reformierte) Kirche zu binden. Besonders für den englischen Sprachraum lässt sich folglich konstatieren, dass der Unterricht erstmals staatlich gelenkt wurde.
Es liegt auf der Hand, dass man mit einem gedruckten Lehrbuch deutlich strukturierter und in verschiedenen Schulen inhaltlich ähnlicher arbeiten kann, auch Lernziele klarer definieren oder Niveaustufen besser bestimmen kann, als zu Zeiten, in denen es keine einheitlichen Unterrichtsmaterialien gab. Das nutzte dem Ruf der Lehrkräfte des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, die mit ihrem humanistischen Rüstzeug als „innvoative in teaching classical Latin“ galten, „their teaching methods were thought to be superior: better structured and more ‘user-friendly’ to pupils“ (Orme 1998: 12), doch ist durchaus der Hinweis berechtigt, dass diese Einschätzung nicht ungeprüft übernommen werden kann: „This is a judgement that requires great care, because the more inflated claims made for the humanist schoolmasters arise from a lack of understanding about previous school education“ (Orme 1998: 12).
Auch für das Selbststudium waren Bücher im Umlauf, die einen Wort-, Phrasen- und Satzspeicher anboten, und einen Lernfortschritt intendierten, indem die angebotenen Sprachbeispiele schrittweise mit steigender Schwierigkeit und Umfang den Gebrauch der Sprache nahelegten.
Eine derartige Veröffentlichung zum Unterricht moderner Fremdsprachen war A Lytell Treatise For To Lerne Englisshe and Frensshe eines unbekannten Autors.1 Der Inhalt und der Aufbau des Büchleins zeigen deutlich, dass die Zielgruppe eines solchen Produkts Händler und Geschäftstreibende waren, deren Interesse in der pragmatischen Funktion der Femdsprache als Kommunikationsmittel lag. Grammatik fehlt in solchen Büchern, da eine akademische Reflektion der Sprache gar nicht intendiert ist.2
Das nur 24 Seiten umfassende Handbuch beginnt sofort zweisprachig mit einem Prolog, der den Zweck des Lesens der Volkssprache Englisch bzw. des Erlernens der Fremdsprache ganz pragmatisch begründet:
To learne to speke frensshe
A apprendre a parler francoys
Soo that I maye doo my marchandyse
Affin que ye puisse faire ma marchandiʃe
In fraunce and elles where in other londes
En france at allieurs en aultre pays
There as the folke speke frensshe
La ou les gens parlent francoys
And fyrst I wylle lerne to reken by lettre
Et premieremet ie veux aprendre acompter par tré[?] (Anon 1497?: 2)
Die Zahlen werden aufgelistet, links auf Englisch, rechts auf Französisch, woraufhin sich eine zweisprachige Aufzählung von Produkten anschließt:
Of golde and syluer
Dor et dargent
Of cloth of golde
De drap dor […]
Of fyn hollande cloth
De fine toille de hollande
Of yron and leed
De fer et blomb
Of peper and saffron
De poiure et saffren (Anon 1497: 4)
Gegen Ende der Liste ändert sich die Darstellung allerdings und es wird wieder links der englische und rechts der französische Begriff angeführt. Sodann benennt das Handbuch wichtige Phrasen für den täglichen Sprachgebrauch:
Other maner of speche in frensshe
Autre magiere de langage en francoys
Syr god gyue you good daye
Sire dieu vous doint bon iour […]
How fare my lorde and my lady
Coment le porte mon seigneur et madame
Ryght well blessed by god
Tresbien benoit soit dieu […]
Whiche is the ryght waye
Quelle est la voye droite
For to goo from hens to parys
Pour aller dicy a paris […]
Dame shall I be here well lodged
Dame seroy ie icy bien loge
Ye syr ryght well
Ouy sire tresbien
Nowe doo me haue a good chambre
Or[?] me faites auoir ungne bonne chambre
And a good fyre
Et bon feu
And doo that my horse
Et faites que mon cheuaul
Maye be well gouerned
Puisse eltre bien gouerne
And gyue hym good hay and good otes
Et lui donnes bon foin et bon auoine (Anon 1497: 5–8)
Anschließend werden relativ ausführlich die verschiedenen Körperteile aufgelistet, Kleidungsstücke, sowie Nähutensilien, natürliche Elemente der Natur (Sonne, Wind, Wasser, Himmel, Nacht etc.), weitere Nahrungsmittel und die Wochentage genannt. Alles in allem versammelt diese Aufzählung vieles, was ein Handlungsreisender für das tägliche Unterwegssein brauchte.
Interessanterweise schließen sich dann quasi interkulturelle Hinweise an in Form von Tischsitten und Höflichkeitsregeln, so dass man auch in fremden Umgebungen einen guten Eindruck machen konnte:
Loke that thy handes be wasshed clene
Regarde que tez mains soient laues nettez
That no fylth in thy nayles be sene
Que nulle ordure en tes ongles ne soit aparceue
Take thou no mete tyll grace be sayd
E pren point viande tant que grace soit dicte […]
Laye not thy elbowe nor thy fyst
Ne couche point ton coute ne ton poin
Upon the table at the whiche thou etest
Dessus la table en laquelle tu manges […]
And bere the soo thou haue noo blame
Et porte toy ainsi que tu nayes blame
Than men wyll saye herafter
Donques hommes voudront dire icy apres
That an gentyll man was here
Que ung gentyll homme feust icy (Anon1497?: 14–20)
Das Büchlein endet mit längeren Textstücken in Prosaform, absatzweise in Englisch und in französischer Übersetzung, die längeren Briefpassagen oder Verkaufsgesprächen entnommen sein könnten, z.B. „I spake with you laste two galeys be come to London lade of all maner cloth of golde and of good cloth of veluet of sylke“ (Anon 1497?: 22) oder „I shall by ye shall haue the one halfe. & this for ye good & aggreable seruyces that ye haue done to me dyuerse tymes“ (Anon 1497?: 22f.).
Ein weiteres Lehrbuch darf nicht unerwähnt bleiben, der Orbis sensualium pictus von Johann Amos Comenius. Der unterrichtende Theologe stellte ein Bild- und Wörterbuch für seinen Unterricht zusammen, das bis ins 19. Jahrhundert hinein für das Lesenlernen ebenso wie für das Fremdsprachenlernen von vielen Schülern benutzt wurde. Ähnlich einem Bildatlas zeigt der Orbis pictus, so der geläufigere Name für das Buch, Holzschnittbildchen und ab 1658 zweisprachig in Latein und Deutsch die dazu passenden Begriffe oder Kurzdialoge. Letzteren wurde bisweilen eine Spalte mit den verwendeten Vokabeln angefügt, so dass sich diese aus dem Textganzen herausgelöst lernen ließen (vgl. Reinfried 1992).
Ein weiteres Novum des Orbis pictus ist eine Anlauttabelle mit (Tier-) Bildern, ähnlich wie sie noch heute in deutschen Grundschulen in der Phase des Erstlesens eingesetzt wird. Bereits ein Jahr später, 1659, erschien die erste Ausgabe des Buches in Englisch und Latein. Innerhalb kürzester Zeit wurden viele zweisprachige Werke (jeweils eine Landessprache in Kombination mit Latein) erstellt, schließlich kam 1666 eine mehrsprachige Ausgabe mit den vier europäischen Hauptsprachen Latein, Deutsch, Italienisch und Französisch auf den Markt.
Die besondere Leistung des Autors ist die Verknüpfung von Bildmaterial und Vokabular. Zwar fordert der Humanist Desiderius Erasmus „im Jahre 1529 die Verwendung von Bildern für Sprachübungen im Elementarunterricht der lateinischen und griechischen Sprache“ (Reinfried 1992: 25), doch die Idee, ein solches Bilderkompendium drucken zu lassen, zeichnet den Orbis pictus als Vorläufer der multimedialen Unterrichtsmaterialien aus.
Es ist nicht übertrieben, den Buchdruck als Katalysator für Lernmöglichkeiten in der Frühen Neuzeit zu bezeichnen: die Informationsflut, die sich über die Bevölkerung ergoss, war im Empfinden der Zeitgenossen immens. Vom broadsheet, also Zeitungsseiten, Flugblättern oder Streitschriften, bis hin zum gebundenen Buch konnte auf einmal Wissen in einem exponentiellen Faktor verbreitet werden, der bis zu diesem Zeitpunkt schier undenkbar war. Der Wert der Drucktechnik für den Lehr- und Lernprozess wurde sofort erkannt, sicherlich auch deshalb, weil die mittelalterlichen Schreibstuben Zentren des Lernens waren, also die Verbindung von Schrifterwerb und dem Unterrichten historisch immer sehr eng gegeben war.
Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass sich zeitgenössische Lehrer und Autoren Gedanken darüber machten, wie man Wörter auch gleich in der korrekten Orthographie unterrichten könnte – was ein schwieriges Unterfangen war, denn eine einheitliche Rechtschreibung war längst noch nicht eingeführt. Eine Vereinheitlichung wurde früh eingefordert; eine nachvollziehbare Orthographie sei „no small commoditie of the English Nation, not only to come to easie, speedie and perfect use of our owne language, but also to their easie, speedie, and readie entrance into the secretes of other Languages“ (Bullokar 1580: i). Besonders die Bedürfnisse von Fremdsprachenlernern werden betont: „also to their easie, speedie, and readie pathway to all Straungers, to vse our Language, heretofore very hard vnto them, to no small profite and credite to this our Nation, and stay therevnto in the weightiest causes“ (Bullokar 1580: i).
Interessant bei Bullokar ist die Häufung der Prämisse, dass Sprachenlernen „easie“ und „speedie“ sein soll; gewissermaßen bringt er damit einen Grundgedanken nahezu aller Fremdsprachendidaktiker über die Jahrhunderte hinweg auf den Punkt. Aus heutiger Sicht fallen die vollmundigen Versprechungen auf, mit denen manche Lehrbücher angepriesen wurden. Zusagen, mit dem neuen Produkt gehe das Lernen sozusagen ganz von alleine vonstatten, präsentieren sich nicht viel anders als manche Werbung im digitalen Zeitalter für die eine oder andere Lern-App.
Man kann davon ausgehen, dass die Tradition des Unterrichtens im 16. und frühen 17. Jahrhundert alle Möglichkeiten ausschöpfte, die auch uns einfallen würden, wenn wir diese Rahmenbedingungen innerhalb eines Klassenzimmers zur Verfügung hätten. Die Verwendung von Papier – deutlich preisgünstiger als in früheren Jahrhunderten – sowie für den Unterricht geeignete gedruckte Veröffentlichungen wurden extrem schnell in Lehrprozesse integriert und verbreiteten sich rasch.
Anders als heute, wird in der Regel zunächst das Lesen, erst in einem bisweilen deutlich späteren Zeitraum das Schreiben erlernt. Mulcaster (1581: 30) betont: „I wishe the childe to haue his reading thus perfect, and ready, in both the English and the Latin tongue verie long before he dreame of his Grammar“. Mit „Grammar“ wurde die Schriftsprache verstanden sowie wie die Reflektion der sprachlich-linguistischen Funktionen im Satz.
In vielen Schulen wurden die beiden Skills Lesen und Schreiben zeitlich so weit voneinander getrennt, dass manche Kinder gar nicht zur zweiten Phase kamen. Besonders Mädchen wurden häufig nur so lange zur Schule geschickt, bis sie die erste Fähigkeit erlangt hatten.1 Dass dies bei begabteren Kindern nur ein paar Monate betrug, war letztendlich nicht von Bedeutung.
Der Lehrer Charles Hoole verfasste mit A New Discovery of the Old Art of Teaching Schoole (1659) ein Grundlagenwerk2 zu seinem Unterricht, in dem er auch Praktiken anderer (ungenannter) Lehrkräfte erwähnt, wenn diese ihm als sinnvoll oder als reizvolle Alternative zu seinen eigenen Methoden erschienen.
Die wesentliche Herangehensweise in allen Dingen des (Fremd-) Sprachenlernens war die deduktive Vermittlung – zunächst wurden die Regeln und einige Beispielsätze von einer lateinischen Vorlage abgeschrieben, auswendig gelernt, und diese dann möglichst häufig repetitiv angewendet. Das Ergebnis war eine frühe Form der pattern drill exercises:
Let them mark out the more general and necessary Rules (as they go along) with their examples, and after they have got them perfectly by heart, let them construe and parse the words in the Example, and apply the Rule to the words to which it belongeth, and wherein its force lyeth.
Let them have so many other examples besides those that are in their book, as may clearly illustrate and evidence the meaning of the Rule, and let them make it wholly their own by practising upon it, either in imitating their present examples, or propounding others as plain. Thus that example to the Rule of the first Concord may be first imitated; Praeceptor legit, vos vero negligits. The Master readeth, and ye regard not. The Pastors preach, and people regard not. I speak and ye hear not. We have read, and thou mindest not. And the like may be propounded, as, whilest the Cat sleepeth, the Mice dance. When the master is away, the boyes will play. Thou neglectest, when I write. And these the children should make out of English into Latine, unto which you should still adde more (Hoole 1659/Teil 2: 35, kursiv im Original).
Dass die Motivation ein wichtiges Element des Lernens darstellt, wusste man offensichtlich lange vor der Festschreibung (lern-)psychologischer Erkenntnisse:
the nature of man is restlessly desirous to know things, and were discouragements taken out of the way, and meet helps afforded young learners, they would doubtless go on with a great deal more cherefulness, and make more proficiency at their books then usually they do (Hoole 1659: 12).
Dieses Wissen um die passende Motivation überrascht in gewisser Weise, da es eigentlich üblich war, dass im schulischen Kontext regelmäßig mit körperlichen Strafen gedroht wurde.3
Hoole versteht sehr gut, dass Lernende – besonders Kinder – sinnvoll aufgebaute Strukturen im Unterricht benötigen, die es ihnen erlauben, auf ihr Vorwissen zurückzugreifen und darauf aufzubauen.
When he can read any whit readily, let him begin the Bible, and read over the book of Genesis, (and other remarkable Histories in other places of Scripture, which are most likely to delight him by a chapter at a time; but acquaint him a little with the matter beforehand, for that will intice him to read it, and make him more observant of what he read’s (Hoole 1659: 22, kursiv im Original).
Inhalte und Methodik sollten regelmäßig wechseln, so dass die Lernenden nicht allzu sehr in ihrem Interesse erlahmen und ihnen der Spaß an der Sache nicht vergeht:
And could the Master have the discretion to make their lessons familiar to them, children would as much delight in being busied about them, as in any other sport, if too long continuance at them might not make them tedious (Hoole 1659: 12, kursiv im Original).
Neben der Gruppenarbeit wurde auch die Paararbeit im Klassenzimmer umgesetzt. Interessanterweise wird der Nutzen der Paararbeit vor allem bei Schülern unterschiedlicher Leistungsniveaus hervorgehoben; der pädagogische Nutzen der Paararbeit liegt für Hoole darin, dass der stärkere Schüler durch seine Unterstützung eines schwächeren Partners profitiert, dieser jedoch nimmt sich den besseren Schüler zum Beispiel und wird dadurch (erneut) motiviert.
Let their lessons be the same to each boy in every form, and let the Master proportion them to the meanest capacities, thus those that are abler may profit themselves by helping their weaker fellowes, and those that are weaker be encouraged to see that they can keep company with the stronger (Hoole 1659: 35).
Die genannten Beispiele bestätigen, wie breit das Repertoire der Lehrkräfte der Frühen Neuzeit war und dass bei einer reflektierten Konzeption des Unterrichts bereits ein hohes Niveau an didaktischer Vielfalt anzutreffen war.
Was später – deutlich später – als neuer Lernansatz in der Fachliteratur vermittelt wurde, war ohne Zweifel auch schon bekannt: der motivierende Einsatz von spielerischen Elementen zur Förderung des Lernprozesses. Hoole berichtet von Lehrkräften, die Buchstabenplättchen oder Würfel zum Erlernen des Alphabets oder zur ersten schriftlichen Silben- und Wortbildung einsetzten:
Some have contrived a piece of ivory with twenty four flat squares, in every one of which was engraven a several letter, and by playing with a childe in throwing this upon a table, and shewing him the letter onely which lay uppermorst, have in few dayes taught him the whole Alphabet. Some have got twenty four pieces of ivory cut in the shape of dice, with a letter engraven upon each of them, and with these they have played at vacant hours with a childe, till he hath known them all distinctly. They begin first with one, then with two, afterwards with more letters at once, as the childe got knowledge of them. To teach him likewise to spell, they would place consonants before or after a vowel, and then joyn more letters together so as to make a word, and sometimes divide it into syllables, to be parted or put together; now this kind of letter sport may be profitably permitted among you beginners in a School & in stead of ivory, they may have white bits of wood, or small shreads of paper or past-board, or parchment with a letter writ upon each to play withal amongst themselves (Hoole 1659: 6f.).
Sehr realistisch reflektiert Hoole die Kosten des Materials und zeigt günstigere Alternativen auf, so dass diese Unterrichtsidee auch in weniger gut ausgestatteten Schulen (oder bei geringerem Gehalt der Lehrer) umgesetzt werden konnte.
Die Aussprache von Fremdsprachen war und ist einerseits von grundsätzlicher Bedeutung, doch in der Frühen Neuzeit nicht so einfach zu realisieren. Tonträger standen in keiner Form, Muttersprachler nur extrem selten zur Verfügung. Eine einheitliche Fachsprache auf dem Gebiet der Phonetik und Phonologie war noch nicht entstanden, ebenso lag die Entwicklung der Lautschrift in weiter Ferne. Also bemühten sich die Autoren der Fremdsprachenlehrwerke, die Aussprache genau zu beschreiben, so gut es ihnen möglich erschien.
The Italians doo commonly vse thirtie letters […], but wee Englishmen pronounce our letters contrary to them: they pronounce their letters thus, aa, bae, cae, dae, ea, eaf, gea, ak, ee, kae, ael, aem, aen, oa, pae, ku, aer, aes, tea, oo, zaet, aet, and so foorth (Florio 1578: 107v).4
Der Italiener Florio versetzt sich hier als Autor in die Rolle des Englischsprechers („wee Englishmen“), um eine größtmögliche Identifikation des Lerners mit der dargestellten Unterrichtssituation zu erreichen.
Am folgenden, abschließenden Textbeispiel wird deutlich, wie Lehrinhalte in Unterrichtsbüchern der Frühen Neuzeit häufig dialogisch angelegt sind. Ein imaginärer Lehrer übernimmt die Rolle des ‚Erklärers‘, und eine für den Leser stellvertretende Lernerseite stellt Fragen und macht Kommentare. Dennoch – den Lerner wird diese Ausführungen vermutlich eher irritiert haben, als wirkliche Hinweise gegeben haben, wie die korrekte Aussprache nun wirklich realisiert werden soll:
And how are these pronounced seuerally, I pray you tel me.
I will tel you them al, one after another, God willing.
The a. first hath diuers significations, and diuers voyces, and especially thus, if it stand alone, and haue an accent ouer the head, as thus, á. it signifieth vnto: as for example, á voi, vnto you, à Londra, to London; and that is spoken something long, and as it were faint withal. The seconde voyce of the a. is this à. and that commeth most in the end of some woords, as cupidità, couetousnesse, oportunità, oportunitie, comodità, commoditie, and that is spoken broade, and as it were but meanely in length: as for example, you finde here these two woordes, they are written alike, and yet haue two sundry meanynges, as honestà and honesta, and the first meaneth honestie, and the other honest, how should we know this, but by the accentes, which are very necessary for the learner of the tongue, and yet they are seldome vsed (Florio 1578: 107vf., kursiv im Original, Einrückungen indizieren Sprecherwechsel).
Insbesondere auf diesem Gebiet hat sich die Forschung doch sehr weiterentwickelt, so dass sich diese Ansätze heute recht unbeholfen ausnehmen; dass jedoch der Versuch gemacht wurde, zeigt eindeutig, dass phonetische oder phonologische Annäherung an ein muttersprachliches Ideal und die Frage, wie dies den Lernenden nahezubringen sei, ein Anliegen der Lehrenden war.
Abschließend kann konstatiert werden, dass Lehrkräfte der Frühen Neuzeit, die sich mit pädagogischem Geschick, einer guten eigenen Ausbildung und mit einiger Reflektion über ihre tägliche Praxis an ihre schulische Arbeit machten, den Unterricht im Wesentlichen gar nicht so sehr unterschiedlich gestalteten, wie wir das heute tun. Gerade die beiden hier untersuchten Lehrbücher zu modernen Fremdsprachen weisen Elemente auf, die wir auch in den neuesten Lehrwerken wiederfinden. Das mag überraschen, vielleicht befremden, oder aber es lässt sich zufrieden feststellen: die Kunst des Unterrichtens und die Hinzunahme von geeigneten Medien bleibt letztendlich immer eine kreative Aufgabe, die Lehrkräfte und Lernende gleichermaßen bereichert, weil sie vor 500 Jahren ebenso wie heute den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Beim Fremdsprachenlernen bleibt die zentrale Aufgabe, im Blick zu behalten, was gutes Lehren ausmacht: die Vermittlung von Freude an neuem Wissen und adäquaten Fähigkeiten, sowie der Erwerb von Kompetenzen, die (nicht nur junge) Menschen in die Lage versetzt, kulturelle Brücken zu schlagen und durch angemessene Kommunikation Verbindungen zu anderen aufzubauen.
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