Living with the Single Dad – Aaron - Whitley Cox - E-Book

Living with the Single Dad – Aaron E-Book

Whitley Cox

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Beschreibung

Aaron Steele ist eigentlich gar kein alleinerziehender Vater. Gerade aus den Navy Seals ausgetreten, verstirbt plötzlich seine Schwester und überlässt ihm ihr neugeborenes Baby. Und dabei hat Aaron keine Ahnung, was man als Vater zu tun hat, geschweige denn als alleinerziehender Vater. Schon bald wachsen ihm die Windelberge über den Kopf und in schlaflosen Nächten stellt Aaron fest: Er braucht Hilfe - ein Kindermädchen muss her.

Kindermädchen Isobel Jones hat ein Herz aus Gold und liebt ihren Job. Tagsüber verbringt sie die Zeit mit ihren Schützlingen, nachts sitzt sie am Laptop, um als Grafikdesignerin zu arbeiten. Als sie von Aarons herzzerreißender Geschichte hört, zögert sie nicht lange und bietet ihm ihre Hilfe an. Niemals hätte sie allerdings damit gerechnet, dass Aaaron ein derart gutaussehender Ex-Navy-Seal ist. Doch Aarons abweisende und launische Art machen es Isobel schwer und immer öfter zweifelt sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung ihm zu helfen …

Willkommen in Seattle, der Heimat der "Single Dads of Seattle"! Zehn attraktive alleinerziehende Väter, die jeden Samstagabend Poker spielen, sich gegenseitig helfen und zuhören, ihre Kinder über alles lieben und vor allem eines hoffen: eines Tages wieder die große Liebe zu finden. Dies ist Aarons Geschichte.

Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

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Über das Buch

Aaron Steele ist eigentlich gar kein alleinerziehender Vater. Gerade aus den Navy Seals ausgetreten, verstirbt plötzlich seine Schwester und überlässt ihm ihr neugeborenes Baby. Und dabei hat Aaron keine Ahnung, was man als Vater zu tun hat, geschweige denn als alleinerziehender Vater. Schon bald wachsen ihm die Windelberge über den Kopf und in schlaflosen Nächten stellt Aaron fest: Er braucht Hilfe - ein Kindermädchen muss her.

Kindermädchen Isobel Jones hat ein Herz aus Gold und liebt ihren Job. Tagsüber verbringt sie die Zeit mit ihren Schützlingen, nachts sitzt sie am Laptop, um als Grafikdesignerin zu arbeiten. Als sie von Aarons herzzerreißender Geschichte hört, zögert sie nicht lange und bietet ihm ihre Hilfe an. Niemals hätte sie allerdings damit gerechnet, dass Aaaron ein derart gutaussehender Ex-Navy-Seal ist. Doch Aarons abweisende und launische Art machen es Isobel schwer und immer öfter zweifelt sie an der Richtigkeit ihrer Entscheidung ihm zu helfen …

Willkommen in Seattle, der Heimat der »Single Dads of Seattle«! Zehn attraktive alleinerziehende Väter, die jeden Samstagabend Poker spielen, sich gegenseitig helfen und zuhören, ihre Kinder über alles lieben und vor allem eines hoffen: eines Tages wieder die große Liebe zu finden. Dies ist Aarons Geschichte.

Alle Titel der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Über Whitley Cox

Whitley Cox ist an der kanadischen Westküste geboren und aufgewachsen. Sie studierte Psychologie und unterrichtete zeitweise in Indonesien, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrte. Heute ist sie mit ihrer Highschool-Liebe verheiratet und Mutter von zwei Töchtern.

Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

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Whitley Cox

Living with the Single Dad – Aaron

Übersetzt von Ralf Schmitz aus dem amerikanischen Englisch

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Newsletter

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog — Zwei Jahre später

Impressum

Lust auf more?

For the husband, because without you, life would seriously suck.

Kapitel 1

Seine Füße bestanden aus verfluchtem Beton.

Sein Herz auch.

Wer die Neugeborenen-Intensivstation besuchen wollte, sollte keine verdammte Parkgebühr zahlen müssen. So jemand sollte für gar nichts zahlen müssen. Ein menschliches Wesen, das nicht mehr wog als eine verdammte Hauskatze, kämpfte in einem verdammten Plastikkasten um sein Leben, an Gott weiß wie viele Elektroden und Monitore angeschlossen, und man berechnete ihm eine Gebühr, damit er das winzige Mädchen sehen konnte. Man würde ihm sogar in Rechnung stellen, dass sie dortbleiben konnte und man sie am Leben erhielt.

Und was, wenn er nicht zahlen konnte?

Würde man einem Kind, das erst einen Monat lebte, den Stecker ziehen?

Dieses Land war so was von am Arsch!

Man musste zahlen, um leben zu dürfen. Um am Leben erhalten zu werden.

Der hippokratische Eid bedeutete einen Scheißdreck.

Man wurde nur gerettet, wenn man es sich leisten konnte.

Aber Gott sei Dank konnte er zahlen.

Dina hatte als Rechtsanwältin genug Geld verdient, damit es Sophie an nichts fehlen würde.

Außer an ihrer Mutter.

Sie würde nach ihrer Mutter verlangen.

Sie würde ihre Mutter brauchen.

Fuck.

Und Aaron brauchte seine Schwester.

Trauer hielt ihn umfangen, grub ihre scharfen Krallen in jede Körperzelle und schüttelte ihn wie eine Flickenpuppe. Er schlug mit den Fäusten aufs Lenkrad und schrie aus vollem Hals, bis ihm Tränen über die Wangen liefen und ihm die Kehle wehtat.

Wie?

Wie hatte das nur passieren können?

Er hatte vor nicht einmal zwei Tagen mit Dina telefoniert, auf dem Rückweg von der Hochzeit eines Freundes, die ausgerechnet im Südpazifik hatte stattfinden müssen, voller Vorfreude darauf, Sophie endlich wiederzusehen. Dina hatte ihm gesagt, dass man die Kleine in Kürze vom Beatmungsgerät befreien wollte und dass sie sie, wenn der Blutzucker stabil bliebe und sie selbstständig atmete, schon bald nach Hause mitnehmen könnten.

Nach Hause. In Dinas Wohnung.

In das Kinderzimmer, mit dessen Einrichtung seine Schwester Stunden zugebracht hatte. Wo das Kinderbettchen, das er für seine Nichte gebaut hatte, darauf wartete, dass sie darin schlief.

Das Heim, das seine Schwester für ein Kind geschaffen hatte, nach dem sie sich ihr ganzes Leben gesehnt hatte, bis sie sich schließlich entschied, es allein zu bekommen, weil ihre Uhr tickte und sie den richtigen Mann noch nicht gefunden hatte.

Sie hatten Sophie gemeinsam großziehen wollen.

Sie würde die Mutter sein, die beste Mutter der Welt, und er der coole Onkel, der seine Nichte nach Strich und Faden verwöhnte. Er würde ihr das erste Tutu kaufen und für ihre ersten Reitstunden, ihr erstes Handy und ihr erstes Auto aufkommen. Und er würde der tätowierte Türsteher sein, der jeden Jungen zum Teufel jagte, der mit seiner kostbaren Sophie anzubandeln versuchte.

Er hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt und geschworen, sie mit allem, was er war, und allem, was er hatte, zu beschützen. Für seine Nichte würde er freudig sein Leben opfern.

Genau so hatte er es zu Dina gesagt, auch wenn er wusste, dass sie den Großteil der Kindererziehung leisten würde, dass sie alles Unangenehme wie Windeln wechseln und Ermahnungen übernehmen würde.

Doch plötzlich war er alles, was Sophie noch blieb.

Er war alles für sie, Mutter, Vater, Onkel, Tante.

Die Rolle des coolen Onkels war vom Tisch. Was blieb, war die niederschmetternde Verantwortung, alles für sie sein zu müssen, was sie jemals brauchen würde.

Sophie würde nicht zu ihm kommen, wenn sie sauer auf ihre Mutter war oder jemanden brauchte, bei dem sie sich ausheulen konnte. Nun würde er derjenige sein, der sie ausschimpfte. Aber zu wem würde sie gehen, wenn sie reden wollte?

Zwei Tage.

Vor zwei Tagen war seine Schwester noch am Leben gewesen. Sie war glücklich gewesen, bis über beide Ohren in ihre Tochter verliebt, und hatte gleichermaßen aufgeregt und furchterfüllt ihrer neuen Rolle als Mutter entgegengeblickt.

»Gib ihr einen Kuss von mir«, hatte Aaron gesagt, als er mit seiner Bordkarte in der Hand in der Warteschlange stand. Er war zehn Tage lang nicht in der Stadt gewesen, um an der Hochzeit seines Kumpels Rob in Französisch-Polynesien teilzunehmen. »Ich kann es nicht erwarten zu sehen, wie groß sie geworden ist und wie sie sich verändert hat.«

»Es geht ihr so gut. Sie hat fast anderthalb Pfund zugelegt, die Gelbsucht ist weg, und sie trinkt inzwischen auch ein bisschen. Was echt super ist, weil ich das Abpumpen hasse und meine Möpse davon andauernd wund sind. Ich sehe schon aus wie ein Pornostar.«

»Vielen Dank, aber das ist kein Bild, das ich mir von meiner Schwester machen will.«

Dina kicherte ins Telefon. Aaron hatte das Lachen seiner Schwester immer schon geliebt. Sie lachte so laut und immer aus voller Seele. »Egal. Irgendwann wirst du mal eine Frau oder so haben, die sich dann über denselben Scheiß beschwert.«

Aaron gab einen Kehllaut von sich, der besagte, dass er sich nicht sicher war, ob er mit ihr einer Meinung war. Er sah sich so bald noch nicht sesshaft werden – falls überhaupt jemals. »Wir werden sehen.« Er trat an das Pult vor dem Einstieg und gab der Flugbegleiterin seine Bordkarte und seinen Pass. »Aber, hör mal, Schwesterherz, ich gehe jetzt an Bord. Ich bin so gespannt auf das kleine Äffchen … und auf Sophie natürlich auch.«

»Haha.« Er konnte förmlich sehen, wie sie auf der anderen Seite des Erdballs die Augen verdrehte.

Sie hatten sich ihrer gegenseitigen Liebe versichert. Wie immer, wenn sie sich am Telefon voneinander verabschiedeten. Dann hatten sie das Gespräch beendet. Das war das letzte Mal gewesen, dass er mit seiner kleinen Schwester gesprochen hatte, bevor sie bei einem Amoklauf in einer Mall niedergeschossen wurde, während sie Sophies Erstausstattung aussuchte.

Seine kleine Schwester, der einzige Mensch, den er jemals geliebt hatte, seine beste Freundin auf der ganzen verdammten Welt, war in einem gottverdammten Einkaufszentrum niedergeschossen worden, als sie Babysachen für ihre Tochter kaufen wollte, die noch im Krankenhaus lag und beatmet wurde, weil sie als Frühchen zur Welt gekommen war.

Das würde er nie begreifen.

Niemals.

Wie konnte so eine Scheiße passieren?

Wie?

Immer noch unfähig, hinter dem Steuer seines schwarzen Chevy-Pick‑up hervorzukommen, starrte Aaron Steele, Navy SEAL und Mitglied der Sondereinsatztruppe – im Ruhestand –, unverwandt auf das Hinweisschild zu den Krankenhausparkplätzen und überlegte, wie viel es ihn kosten würde, eine Stunde bei seiner vier Wochen alten Nichte zu sitzen, die einen Monat zu früh zur Welt gekommen war. Um ihren winzigen Körper zu betrachten, wie er um sein Leben kämpfte, und zu wissen, dass sie ihre Mutter niemals wiedersehen würde. Dass sie in ihrem Leben nie wieder die Stimme ihrer Mutter hören oder ihre Lippen auf ihren Babywangen spüren oder in ihren Armen liegen würde.

Sophie kämpfte dort drin um ihr Leben, während das Leben ihrer Mutter von einem Moment zum anderen geendet hatte.

Wie zum Teufel sollte das irgendeinen Sinn ergeben?

Wie sollte Aaron aus seinem Truck steigen, ins Krankenhaus gehen und Sophie ein Vater sein? Er hatte keine Ahnung, wie man sich als Vater benahm. Er hatte selbst keinen Vater gehabt, der ihm hätte beibringen können, was einen Vater ausmachte – geschweige denn einen guten Vater. Er konnte ja kaum auf sich selbst aufpassen. Und er war nicht mal sicher, ob er überhaupt jemals Kinder haben wollte.

Der coole Onkel zu sein hätte ihm genügt.

Kinder hatte man gern, bis sie einem auf die Nerven gingen, und dann reichte man sie an ihre Eltern weiter.

So gewannen alle. Vor allem er.

Aber das alles hatte sich in einer einzigen beschissenen Sekunde geändert, und jetzt war er Vater. Ein alleinerziehender Vater mit einer einen Monat alten Tochter, die ihre Mutter nie kennen würde, und er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das anstellen sollte.

Ein Klopfen gegen das Seitenfenster. Seine Hand glitt zu der Waffe an seiner Hüfte. Bloß dass er heute gar keine Waffe trug und auch nicht wusste, ob er jemals wieder eine tragen würde.

Einen schlechten Kerl mit einer Waffe hält nur ein guter Kerl mit einer Waffe auf.

Ja, alles klar. So ein Quatsch. Wo zum Henker war der gute Kerl mit der Waffe gewesen, als seine Schwester in der Babyboutique verblutete?

Waffen sollte nur ein Mann tragen, der noch alle Tassen im Schrank hatte, der daran ausgebildet worden war und einen verfluchten Waffenschein hatte.

Man brauchte eine Lizenz, um einen Hund zu halten, ein Fahrzeug zu führen oder einen Fisch zu angeln. Warum zum Teufel brauchte man keine, wenn man eine Waffe benutzen wollte?

Neuerliches Klopfen ans Seitenfenster und ein verwirrtes Gesicht brachten ihn zurück in die Gegenwart.

Durch das Fenster sah ihn Liam an, seine braunen Augen wirkten so leer wie Aarons Herz. Er war einer der engsten Freunde und Kollegen von Dina gewesen. Er war der Mensch gewesen, an den Dina sich in Notfällen wandte, weil Aaron so lange bei den SEALs und oft nicht daheim gewesen war. Und Liam hatte Aaron wegen Dina angerufen.

Aaron ließ das Fenster hinunter.

In Liams Hals steckte sichtlich ein dicker Kloß. Der Mann sah absolut verheerend aus. Dunkle Ringe unter den Augen, das dunkelblonde Haar zerzaust, seit Tagen unrasiert.

Er sah so aus, wie Aaron sich fühlte.

»Hey.«

Aaron nickte zum Gruß.

»Gehst du rein?«

»Ich hoffe.«

Liam überblickte den Parkplatz. Es war Ende August und glühend heiß. Auf dem Asphalt konnte man förmlich Spiegeleier braten. »Ich komme gerade raus.«

Aaron hob den Kopf und sah Liam aus schmalen Augen an. »Hast du Sophie gesehen?«

Liam nickte. »Ich war seit ihrer Geburt so oft wie möglich bei ihr. Dina hat immer dafür gesorgt, dass jemand bei Soph war, wenn sie wegmusste. Nicht bloß eine Krankenschwester oder ein Arzt. Eher ein Freund.«

Aaron zerriss es das Herz. Seine Schwester war die verdammt beste Mom auf der ganzen verdammten Welt gewesen. Was auch sonst? Schließlich wusste sie nur zu gut, was eine Rabenmutter war. Sie beide wussten das. Aaron und Dina waren in Pflegefamilien aufgewachsen und von den Behörden jahrelang herumgeschubst worden. Nie hatten sie eine Familie gefunden, die sie ihr Zuhause hätten nennen können. Aber wenigstens hatten sie einander gehabt.

Mit achtzehn Jahren hatte Aaron das Fürsorgesystem verlassen, besser gesagt, er war auf die Straße gesetzt und auf Gedeih und Verderb sich selbst überlassen worden.

Gott sei Dank auf Gedeih. Am Tag nach seinem Highschool-Abschluss hatte er auf dem Bau angefangen. Er war einfach auf einer Baustelle aufgekreuzt und erst wieder gegangen, nachdem der Polier ihm einen Job gegeben hatte. Um zwei Minuten vor vier, kurz vor Feierabend, hatte er seinen ersten Schutzhelm bekommen.

Während der darauffolgenden sechs Monate bewährte er sich, so dass der Boss der Baufirma ihm anbot, die Kosten für die Schreinerlehre zu übernehmen, während Aaron weiter für ihn arbeitete. Er erwarb den Gesellenbrief als Zimmermann und hatte im Alter von einundzwanzig Jahren sämtliche notwendigen Ausbildungsstunden geleistet.

Kurz nachdem er Aaron eingestellt hatte, half ihm sein Boss – der inzwischen zu einem Vaterersatz für ihn geworden war –, das Sorgerecht für Dina zu beantragen, das ihm schließlich tatsächlich zugesprochen wurde. Sie war damals erst fünfzehn gewesen, und er war froh, sie aus der Bruchbude herausholen zu können, in der sie zuletzt gelebt hatten: Acht Pfleglinge, eine Pflegemutter, ein Badezimmer und kaum genug zu essen, um einen Wurf Karnickel satt zu bekommen.

Auch wenn er und Dina nicht wie die Könige lebten, waren sie doch immerhin zusammen. Er fand eine bescheidene Zweizimmerwohnung – zwar in einem eher fragwürdigen Viertel von Seattle, aber die Wohnung war sauber, sicher und vor allem ihr gemeinsames Heim.

Aaron arbeitete und besuchte die Abendschule, um den Gesellenbrief zu machen. Dina ging auf die Highschool und arbeitete an den Wochenenden in einem Kino. So kamen sie über die Runden, ganz knapp nur, aber sie schafften es. Nie mussten sie hungrig ins Bett gehen, und nie blieben sie die Miete oder die laufenden Kosten schuldig. Irgendwie gelang es Aaron mit Gottes gnädiger Hilfe sogar, eine kleine Summe für Dinas Abschlussball zurückzulegen, so dass er sie mit dem Kleid überraschen konnte, von dem sie ihm seit über sechs Monaten vorgeschwärmt hatte.

Sie war seine Schutzbefohlene, er war ihr Schutzbefohlener.

Sie waren alles, was sie je haben würden.

Klar, er hatte seine Waffenbrüder. Er hatte Rob und Colt, Wark und Ash. Sie waren seine Kameraden.

Sie waren sein Team.

Aber blutsverwandt waren sie nicht.

Dina war seine Blutsverwandte.

Sie war die einzige Blutsverwandte, die er hatte. Seine einzige Verbindung mit der Vergangenheit.

Sie wussten nicht, wer ihre Eltern oder ihre Großeltern waren oder ob sie irgendwo da draußen weitere Geschwister hatten. Und so gab es immer nur sie beide. Aaron und Dina Steele, die es mit der ganzen Welt aufnahmen.

Nach Dinas Highschool-Abschluss sorgte er dafür, dass sie aufs College gehen konnte, während er sich bei der Navy verpflichtete. So wusste er, dass sie geborgen sein und Freunde finden würde. So würde sie nicht allein sein. Er begleitete sie durch vier Jahre Schule und anschließend durch das Jurastudium und schickte ihr Geld, wann immer er dazu in der Lage war. Er wollte ihr zeigen, dass er immer für sie da war, auch wenn sie sich manchmal monatelang nicht sahen. Dass er sie jederzeit unterstützte.

Noch nie im Leben hatte er so geheult – von der jüngsten Zeit abgesehen – wie an dem Tag ihrer Abschlussfeier, als sie ihr Juradiplom entgegengenommen hatte. Es war ihm scheißegal, wer mitbekam, wie er sich die Augen ausheulte. Seine kleine Schwester war eine gottverdammte Rechtsanwältin, und das wollte er von sämtlichen Dächern rufen und dabei schluchzen, bis seine Freudentränen versiegten, so verflucht stolz war er.

»Ich kann noch mal mit dir reingehen«, riss Liams Stimme ihn aus seinen Gedanken. Er hatte sich in den vergangenen Tagen weitgehend abgeschottet. Die Kombination aus Jetlag und Trauer hatte diese Wirkung auf Menschen. »Ich meine, wenn du noch nicht bereit bist, Sophie allein gegenüberzutreten, kann ich mit dir zurückgehen. Sie kennt mich. Und anscheinend kann sie mich gut leiden.«

Aaron schürzte die Lippen, dann schloss er das Seitenfenster des Trucks wieder, schaltete den Motor aus und öffnete die Fahrertür. »Danke, Mann, ich weiß momentan wirklich nicht, wie ich allein da reingehen soll.«

Er verschloss den Truck und suchte in seinen Taschen nach der Brieftasche, um für den Parkplatz zu bezahlen.

Liam legte eine Hand auf seine Schulter. »Mach dir deshalb keinen Kopf, ich bin bei dir. Ich gebe dein Kennzeichen ein und bezahle deine Parkgebühr. Geh du zu deiner Nichte.«

Aaron würgte die Rasierklinge hinunter, die sich in seiner Kehle festgesetzt hatte, nickte, brummte »Danke« und machte sich auf den Weg zum Haupteingang. Der Schmerz lastete nahezu mit dem Gewicht eines Ambosses auf seiner Brust.

Er war nicht für die Vaterrolle geschaffen.

Er würde versagen und Sophie enttäuschen – und Dina und alle anderen auch.

Genau wie er in Kolumbien versagt hatte.

Kapitel 2

»Zucchini-Nudeln mit Parmesan, Garnelen und sonnengetrockneten Tomaten«, flötete Isobel Jones, als sie den Teller vor ihrer Schwester und Zimmergenossin Tori abstellte. Dann stellte sie einen Teller mit demselben Gericht auf ihren Platz und dankte ihrer Schwester, die ihnen beiden Wein einschenkte.

»Oh«, sagte Tori. »Hast du den neuen Spiralschneider ausprobiert, den ich gekauft habe?«

Isobel nickte. »Klappt super. Ich überlege schon, was ich als Nächstes damit schneiden soll. Süßkartoffeln? Salatgurken?«

»Gurken wären vielleicht prima für einen Salat«, schlug Tori vor. Sie saßen sich an dem Bistrotisch in ihrer kleinen Wohnung gegenüber. Da Isobel normalerweise arbeitete und Tori entweder arbeitete oder mit ihrem sexy neuen Freund »Dr. Mark« zusammen war, war dies eine der seltenen Gelegenheiten für sie, gemeinsam zu essen.

»Wie läuft es mit dem neuen Auftrag?«, fragte Tori und fiel über ihre Zucchini-Nudeln her.

Isobel trank einen Schluck Wein. »Großartig. Paige ist ein Prachtstück. Man kann so gut mit ihr arbeiten. Bisher haben ihr all meine Entwürfe gefallen. Also danke noch mal, dass du mein Loblied gesungen hast.«

Tori zwinkerte. »Ich stehe immer voll hinter dir, Mädchen.«

Isobel wollte sich gerade in längere Erläuterungen ihres neuesten Auftrags als Grafikdesignerin stürzen, der darin bestand, das Logo für das Bistro Lilac & Lavender zu entwerfen, als Toris Handy summte.

Ihre Schwester warf einen fragenden Blick auf die Anrufanzeige. »Liam?«

Isobel war Liam bisher nur einmal begegnet. Er gehörte zu den Single Dads von Seattle, mit denen Mark samstagabends pokerte. Der Typ schien ganz nett zu sein. Sie hätte ihn wohl als »Anwalt mit frechem Mundwerk« beschrieben, weshalb sie annahm, dass er im Gerichtssaal vermutlich wie ein Hai und im Bett wie ein Tiger agierte. Die meisten Männer, die tagsüber im Beruf ihren Mann standen, taten das auch nachts auf besonders unanständige Weise.

»Geh ran«, sagte Isobel und wies mit dem Kinn auf Toris Handy.

Doch ihre Schwester verzog den Mund. »Es ist bestimmt nichts Wichtiges. Ich kann ihn auch nach dem Essen zurückrufen.«

Isobel verdrehte die Augen. »Geh schon ran.«

Tori schnaubte vernehmlich. »Na gut.« Sie nahm den Anruf an. »Hey, Liam, was liegt an?«

Isobel drehte weitere Zucchini-Nudeln auf ihre Gabel, spießte eine Garnele auf und schob sich das Ganze in den Mund, während sie zusah, wie der Gesichtsausdruck ihrer Schwester von traurig zu neugierig, von verständnisvoll zu aufgeregt wechselte. Was mochte Liam ihr mitteilen?

»Okay, sie ist hier«, sagte Tori dann, streckte ihren Arm über den Tisch und gab Isobel das Handy. »Er will mit dir sprechen.«

»Mit mir?« Aus irgendeinem blöden Grund deutete sie mit dem Daumen auf ihre Brust.

»Gibt es hier noch eine andere Isobel Priscilla Jones, die ich nicht kenne?«, erkundigte ihre Schwester sich grinsend.

»Woher kennt er meinen vollständigen Namen?«

»Jetzt nimm das verdammte Ding schon«, sagte Tori. »Ich hab nämlich Hunger.«

Mit einem verwirrten Stirnrunzeln nahm Isobel ihrer doofen Schwester das Handy ab und drückte es sich ans Ohr. »Hallo?«

»Hi, Isobel. Liam Dixon hier. Wir haben uns vor einiger Zeit bei einem von Marks und Toris Grillabenden kennengelernt.«

»Ja, stimmt. Wie geht es Ihnen?«

Rief er an, weil er mit ihr ausgehen wollte?

Liam sah gut aus. Sie war bloß nicht sicher, ob er ihr Typ war. Außerdem war er mindestens vierzig. War das nicht zu alt? Sie war schon länger nicht mehr mit einem älteren Mann ausgegangen. Das letzte Mal, als sie zwanzig gewesen war – und der Kerl dreißig. Selbst da hatte sie schon Mühe gehabt, irgendwelche Gemeinsamkeiten zu finden, außer dass sie beide auf Sex standen, während sie sich auf Netflix The Office ansahen.

Aber das hatte vielleicht nur an ihm gelegen.

Der Typ war schräg gewesen.

Schräg, aber sexy.

Verdammt, sie kam vom Thema ab. Hatte Liam schon irgendwas erwidert? Sie hatte nicht weiter zugehört und dachte nun stattdessen an Devon und seinen Waschbrettbauch sowie seine lange Zunge und den dicken …

»Isobel, sind Sie noch dran?«

Ups.

»Ja, bin ich. Sorry, Liam, war ein langer Tag, bin wohl gerade kurz eingenickt.«

Sein Kichern klang gezwungen. »Tut mir leid, dass ich Sie nicht mehr stimuliere. Also, was meinen Sie, sind Sie interessiert an dem Job?«

Job?

Sie sah über den Tisch ihre Schwester an, die mit den Augen rollte und mit den Lippen stumm das Wort »Kindermädchen« bildete.

Oh!

»Sie meinen, als Kindermädchen für Ihren Sohn?« Wenn sie sich richtig erinnerte, hieß Liams Sohn Jordan und war ein liebenswerter kleiner Junge, wenn auch ein wenig wild. Aber welcher Junge von fünf Jahren war das nicht?

»Äh, nein«, entgegnete er langsam. »Es geht um einen Freund von mir. Mark hat mal erwähnt, dass Sie Kindermädchen und auf der Suche nach einer neuen Familie sind.« Er räusperte sich. Seine folgenden Worte klangen schmerzerfüllt. »Mein Freund hat kürzlich bei der Schießerei in der Emerald City Mall seine Schwester verloren.«

»O nein.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Sie hatte davon gelesen. Zwölf Tote, fünfzehn Verletzte. Ein SWAT-Team hatte den Einzeltäter ausgeschaltet, aber erst, nachdem er zehn schreckliche Minuten lang Hunderte Menschen in Angst und Schrecken versetzt hatte.

»Ja«, knurrte er. »Sie war eine sehr gute Freundin von mir.« Schluchzte er? »Meine beste Freundin. Und sie hat vor einem Monat ein Kind bekommen. Sophie kam einen Monat zu früh zur Welt und liegt noch auf der Intensivstation für Neugeborene.«

»O mein Gott.« Heiße Tränen stiegen Isobel in die Augen und brannten wie die Hölle. »Liam, nein, das ist ja furchtbar.«

»Dina hatte keinen Partner. Das Kind wurde mithilfe einer Samenspende gezeugt, so dass jetzt Dinas Bruder Sophies Vormund ist. Er hat allerdings keine eigenen Kinder, und Dinas Tod nimmt ihn sehr mit. Möglicherweise benötigt er für eine gewisse Zeit ein bisschen Hilfe.« Sie bemerkte, wie schwer es ihm fiel, die Worte herauszubringen, und dass es ihm körperliche Schmerzen bereitete, in der Vergangenheitsform von seiner Freundin zu sprechen. Isobel spürte seinen Kummer selbst übers Telefon. Der Gedanke, dass dieses winzige Baby wegen eines Psychopathen mit einem automatischen Gewehr niemals seine Mutter kennenlernen würde, erschütterte auch sie.

Fuck, die Waffengesetze mussten endlich geändert werden.

»Ja, ich mache es«, platzte sie heraus, wobei sie nicht mal mitbekam, ob sie Liam ins Wort fiel oder nicht. Teufel auch, sie würde es sogar umsonst machen.

Tori sah sie über den Tisch aus zu schmalen Schlitzen verengten Augen an, dann formten ihre Lippen: »Überleg dir das gut.«

Isobel verdrehte die Augen. Ihre Schwester war eine notorische Spaßbremse und Bedenkenträgerin.

Liam stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Danke, Isobel. Ich weiß nicht, für wie lange es sein wird oder wie lange es dauert, bis Aaron wieder Fuß fasst, aber Sie sollen wissen, dass ich die Kosten übernehme, wenn er Sie nicht bezahlen kann.«

Sie wischte sich mit der Serviette die über ihr Gesicht strömenden Tränen ab und schniefte, bevor sie antwortete: »Das sehen wir dann schon, Liam. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich habe auch noch andere Jobs, es ist also nicht so, dass ich bettelarm wäre.«

»Gut, dann schicken Sie mir, wenn Sie einverstanden sind, Ihren Lebenslauf und Ihre Referenzen, CPR-Zertifizierung und so weiter, das wäre wirklich toll. Dann kann ich Aaron klarmachen, dass ich nicht einfach irgendjemand Beliebiges von der Straße oder irgendeiner Website an Land ziehe, sondern dass Sie qualifiziert sind und Erfahrung haben. Ich meine, ich würde Sie auf der Stelle ohne den ganzen Mist nehmen, weil Mark und Tori sich für Sie verbürgt haben, aber Aaron will vielleicht irgendwelche Qualifikationen sehen.«

»Kein Problem. Das verstehe ich vollkommen. Ich schicke Ihnen heute Abend noch alles zu.«

»Cool. Vielen Dank. Sobald wie hier fertig sind, schicke ich Tori meine E‑Mail-Adresse und meine Anschrift, dann können Sie mir Ihre Informationen zukommen lassen.«

»Okay.«

Er atmete hörbar auf. »Ich danke Ihnen sehr, Isobel. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie irgendwas brauchen. Sophie ist noch auf der Intensivstation, aber wir haben sie vorhin besucht, und man hat uns gesagt, dass sie in etwa fünf Tagen entlassen werden kann. Ich leite Ihre Info derweil an Aaron weiter, dann kann er Ihnen mitteilen, wann es für Sie losgeht.«

Sie konnte nur noch nicken.

»Sind Sie noch da?«

»Mhm.«

Liams Stimme war heiser und voller Gefühl. »Okay, danke, Isobel, ich weiß das wirklich zu schätzen. Sophie braucht so viele Menschen als Familie, wie wir zusammenbringen können. Dieses kleine Mädchen braucht eine ganze Armee Gewehr bei Fuß. Und ein ganzes Dorf, um es großzuziehen.«

Isobel schluckte und nickte abermals. »Ja. Armee. Dorf. Alles klar.«

»Okay, wir reden später.« Damit beendete er das Gespräch.

Tori gab Isobel ihre Serviette, weil Isobels eigene inzwischen durchgeweicht war. »Ich wusste gar nicht, dass Liams Freundin bei der Schießerei im Einkaufszentrum ums Leben gekommen ist«, begann Tori. »Er ist am Samstag, als Mitch sein Fotostudio eröffnet hat, ganz plötzlich verschwunden, nachdem er angerufen worden war. Wie schrecklich. Das arme Baby.«

Isobel liefen die Augen über, sie ließ den Kopf hängen und schlug die Hände vors Gesicht. Wurde vom Schluchzen überwältigt, von Kummer wegen Menschen verzehrt, die sie nicht einmal kannte.

Sie spürte einen Arm, der sich schützend um ihre Schulter legte, und Toris Lippen drückten sich zart auf ihre Schläfe. »Deine Empathie ist deine größte Stärke, aber auch deine größte Schwäche«, sagte ihre Schwester leise und wiegte sie beide in sanftem Schaukeln. »Bist du dir sicher, dass du dazu in der Lage bist?«

Isobel hob den Kopf und richtete den Blick auf ihre Schwester. »Ich muss das machen, Tor. Dieses Baby …« Sie holte schaudernd Luft. »O mein Gott, das arme Baby.«

Ihre Schwester drückte sie fester. »Du wirst mit einem Neugeborenen alle Hände voll zu tun haben. Hast du dir das auch gut überlegt? Ich meine, wirklich gründlich überlegt? Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Neugeborene sind anstrengend. Und dazu ein trauernder Bruder, der dachte, er wird Onkel, und der jetzt die Stelle des Vaters einnehmen muss, da kommt jede Menge Arbeit auf dich zu.«

Isobel schüttelte den Kopf. »Ist mir egal. Ich arbeite gern.«

Tori kicherte und drückte ihre Schwester fester. »Ich hab im Leben noch nie jemanden getroffen, der härter arbeitet als du, Iz.«

Isobel schob ihren Teller von sich. Sie hatte keinen Appetit mehr. Wieder ließ sie den Kopf hängen und starrte auf ihre nackten Knie. Dann hob sie den Kopf. »Meinst du, ich kann den Leuten helfen?«

Tori lächelte. »Wenn das jemand kann, dann du. Erinnerst du dich an die Tremmels? Bei denen lief nichts mehr, bevor du kamst. Dann hast du Keegan dazu gekriegt, Gemüse zu essen, Spencer hat aufgehört, die anderen Kinder in der Schule zu vermöbeln, und die kleine Melinda sprach in vollständigen Sätzen, als du wieder gegangen bist. All das war dein Werk. Du hast nicht bloß die Familie gerettet, sondern auch eine verdammte Ehe.« Nachdenklich presste sie die Lippen zu einer dünnen, weißen Linie zusammen. »Was ist, hast du deine Meinung geändert? Willst du Liam noch mal anrufen und absagen? Er kann bestimmt woanders ein Kindermädchen für diesen Aaron auftreiben. Es gibt Websites und Agenturen für so etwas.«

Isobel schüttelte den Kopf. »Nein, ich will für sie da sein.«

Tori entließ einen Schwall Luft, dann legte sie den Kopf an Isobels Schulter. »Ist es nicht erschöpfend, so empathisch zu sein? Mir kommt es ganz so vor. Jedermanns Gefühle zu teilen, als wären es die eigenen, das ständige Bedürfnis, die Welt zu retten.«

Isobel wusste, dass ihre Schwester sie aufheitern wollte. Ihr Tonfall verriet, dass sie sie auch ein klein wenig aufzog, aber Tori lag gar nicht so falsch. Isobel war immer schon hochsensibel gewesen, häufig sogar zu ihrem eigenen Schaden.

Mit blutendem Herzen.

Und einem fatalen Hang zu traurigen Geschichten.

Eine weichherzige Närrin, die immer nur das Beste in anderen sah, auch wenn sie sich noch so oft die Finger verbrannte.

Oder, wie ihre Mutter sie genannt hatte, Mäusespeck, aber kein Fußabtreter.

Denn sie war zwar kein Fußabtreter, aber ein Weichei.

Als Kind wäre sie um ein Haar aus dem Park verschleppt worden, weil sie einem fremden Mann geglaubt hatte, dass er Hilfe bei der Suche nach seinem entlaufenen Hündchen brauchte. Gott sei Dank war ihre große Schwester skeptisch gewesen und hatte dem Kerl gesagt, er solle sich verpissen, bevor sie die Polizei rief.

Man sollte denken, Isobel hätte daraus gelernt, aber nein. Sie war zwar nie entführt worden oder so, hatte sich im Lauf der Jahre aber immer wieder die Finger verbrannt, weil sie Menschen glaubte und vertraute, die das nicht im Geringsten verdienten.

Andererseits hatte sie auch wunderbare Menschen kennengelernt. Hatte einigen wahrhaft wundervollen Seelen geholfen, die danach im Gegenzug ihr beigestanden und geholfen hatten, ihre Leidenschaft zu finden. Aber obwohl sie die Kunst liebte und eine Ausbildung zur Grafikdesignerin machte, blieb es ihre größte Leidenschaft, anderen zu helfen. Insbesondere Kindern. Was dazu führte, dass sie nun eine sechsundzwanzigjährige Grafikdesignerin war, die lieber als Kindermädchen arbeitete, als sich eine Festanstellung in ihrem Beruf zu suchen.

Zittrig atmete sie aus. Sie musste sich zusammenreißen. Sie hatte durch das Telefon gespürt, wie sehr Liam litt, als er ihr von Aaron und Sophie berichtete, die körperliche Qual, die es ihm bereitete, von seiner verstorbenen Freundin und deren Baby zu sprechen. Wie würde sie reagieren, wenn sie Aaron und Sophie erst persönlich begegnete? Wenn sie die winzig kleine Sophie endlich sah, die vollkommen unschuldig war und sich verzweifelt nach ihrer Mutter sehnte?

»Ich beneide dich nicht«, flüsterte Tori. »Ich bewundere dich und bin irrsinnig stolz, aber beneiden tue ich dich nicht. Ich bevorzuge jederzeit meinen nachdenklichen, analytischen, zynischen Verstand.«

Isobel gab einen halb erstickten Laut von sich. »Manchmal wünsche ich mir, ich wäre so wie du. Wenn ich meine Verluste abgeschrieben hätte, bevor mir jemand wehtun konnte, wäre ich bestimmt nicht so oft enttäuscht worden.«

Tori reichte Isobel ihr Weinglas, bevor sie sich aus ihrer knienden Position auf dem Boden aufrichtete. Dann ging sie um den Tisch zu ihrem Stuhl, setzte sich und trank ebenfalls einen Schluck Wein. »Ja, aber wir sind aus gutem Grund, wer wir sind. Ich bin die abgebrühte Zynikerin, die alles bis ins Kleinste analysiert, ewig braucht, um ein passendes Restaurant zu finden, und selbst den alltäglichsten Kleinkram zu Tode recherchiert, ehe sie irgendwas unternimmt. Du dagegen bist der Freigeist, du folgst deinem Herzen, siehst in allen das Gute und suchst die Restaurants für uns aus, indem du die Augen schließt, dich im Kreis drehst und einfach blind auswählst.«

»Willst du damit sagen, dass wir uns ergänzen?«

Tori nickte. »Das tun wir. Du bist Yin, und ich bin Yang. Ich werde von der Schwerkraft beherrscht, du von der freien Luft, und zusammen schweben wir immer ein paar Zentimeter über dem Erdboden. Ohne mich würdest du längst durch die Stratosphäre trudeln, und ich wäre allein unfähig, einen Fuß vor den anderen zu setzen.«

In Isobels Augenwinkeln brannten neue Tränen, aber im Unterschied zu vorhin waren es diesmal Freudentränen. Woher kam das Glück, so eine umwerfende Schwester zu haben?«

Tori hob ihr Weinglas. »Auf die Balance.«

Darauf stieß Isobel mit Tori an. »Auf die Balance.«

»Ohne dich wüsste ich nicht, was ich tun sollte, Iz.« Ihre Blicke trafen sich. Blau in Blau. Sie konnte tief in die Seele ihrer Schwester blicken, durch das taffe Äußere mitten in das große, empfängliche Herz, das Tori, wie Isobel wusste, in ihrem Innern verbarg.

»Ich wüsste ohne dich auch nicht weiter.«

Während Tori sich wieder auf ihr Essen stürzte, starrte Isobel nur auf ihren vollen Teller. Sie hatte ihre Schwester, ihre Eltern, ihre Gesundheit, ihr Leben. Doch das Leben jedes Menschen konnte in Sekundenschnelle, mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel, auf den Kopf gestellt werden. Die Welt jedes Menschen konnte zerstört werden.

Aaron hatte seine Schwester, Sophie ihre Mutter verloren.

Isobel führte dagegen ein reiches Leben.

Aarons und Sophies Leben indes war leer.

Wo war da die Gerechtigkeit?

Wie konnte das fair sein?

Aber die wichtigste Frage lautete: Wie konnte sie helfen?

Kapitel 3

Aaron schlug die hintere Tür seines Trucks zu, nachdem er den Schalensitz hervorgezogen hatte, in dem schlafend die winzige Sophie lag, ohne im Mindesten zu ahnen, wie chaotisch ihr Leben nun beginnen würde. Ein Leben mit einem ratlosen Onkel, der, auch wenn er sie mehr liebte als sein Leben, keine Vorstellung davon hatte, wie er ein Kind großziehen sollte, geschweige denn ein kleines Mädchen, und der sie schlussendlich nur fürs Leben verkorksen und sie auf Jahre therapiebedürftig machen würde.

Als am Straßenrand eine Autotür zufiel, beschleunigte sich sofort Aarons Pulsschlag.

War das das neue Kindermädchen?

Liam hatte alles geregelt. Aaron hatte sie gestern nur noch anrufen müssen, um ein Fünf-Minuten-Gespräch mit ihr zu führen und ihr mitzuteilen, dass sie heute anfangen konnte. Zum Teufel, wahrscheinlich hatte er eher nur drei Minuten mit ihr geredet. Er hatte sich vollständig darauf verlassen, dass Liam nicht irgendeinen Totalausfall von der Straße anschleppte. Aaron hatte weiß Gott keinen Schimmer, wie man ein gutes Kindermädchen fand, welche Fragen man stellen und welche Referenzen man sich anschauen musste.

Und selbst wenn, war ihm gegenwärtig nicht danach, Referenzen abzufragen und infrage kommende Kandidatinnen zu durchleuchten. Er hatte in der letzten Woche kaum ein Auge zugetan. Er konnte einfach nicht schlafen.

Wie hätte er ohne Dina schlafen können?

Während Sophie ihn brauchte?

Bis zu ihrer Entlassung hatte er jede Minute, die er sich freischaufeln konnte, bei ihr im Krankenhaus zugebracht. Vermutlich mehr, als eigentlich erlaubt war, denn die Krankenschwestern hatten Mitleid mit ihm – natürlich wussten sie von seiner Lage. Er dankte Gott für Liam, denn ohne ihn hätte Aaron nicht gewusst, wo anfangen, wie er hätte erklären sollen, dass seine Schwester tot war und nicht mehr wiederkommen würde, um Sophie zu stillen. Sie würde ihr Baby nie wieder halten, um eine Verbindung aufzubauen. Und sie würde sie am Tag der Entlassung nicht mit nach Hause nehmen.

Er suchte in allen Taschen nach seinen Schlüsseln, als ihn mit voller Wucht die Trauer traf, während er daran dachte, dass er Sophie ihr neues Zuhause ohne Dina würde zeigen müssen. Er fand die Schlüssel, doch sie fielen ihm aus der Hand, als er mit dem Sitz, einer Packung Windeln und einer Lebensmitteltüte voller Muttermilchersatz kämpfte.

»Scheiße!«

Dann fiel sein Blick auf Sophie.

Bitte nicht aufwachen! Bitte nicht aufwachen!

Er spürte eine Hand auf seiner Schulter. »Ich mach das schon«, sagte Liam, ließ Aarons Schulter los und bückte sich nach Liams Schlüsselbund. Aber statt ihm die Schlüssel zurückzugeben, ging er zur Haustür, schob den passenden Schlüssel ins Schloss und öffnete, schließlich hielt er Aaron und Sophie die Tür auf.

Aaron trat vor, blieb aber auf der Schwelle stehen,

Wieder Liams Hand auf seiner Schulter. »Ich weiß, Mann, das war nicht das Zuhause, in das Sophie einziehen sollte. Ich weiß.«

Aarons Stirn furchte sich, grimmig verzog sich sein Mund. »Ich habe nicht mal ein Bettchen für sie. Ich habe verdammt nochmal überhaupt nichts für sie.«

»Liebe haben Sie aber«, ließ sich hinter ihnen leise eine Frauenstimme vernehmen.

Aaron drehte sich um, achtete jedoch darauf, dass er dabei Sophie nicht weckte, und sah sich einer Frau mit langen, dunklen Haaren und hellblauen Augen gegenüber.

»Ah, Isobel, da sind Sie ja.« Liam hielt mit einem Fuß die Tür auf und reichte der Frau im schlichten weißen T‑Shirt und einer Capri-Hose aus Jeansstoff die Hand. »Ich freue mich, Sie wiederzusehen.«

Mit schmalem, sprödem Lächeln nahm sie seine Hand. »Ich freue mich auch.« Ihr Blick flog zu Aaron, und sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er ergriff und kurz schüttelte. »Ich bin Isobel – oder einfach Iz. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ihr langer Hals zuckte, als sie schluckte und den Blick senkte. »Ich …« Sie stieß den Atem aus. Als sie Aaron wieder ansah, erkannte er, dass sie den Tränen nah war. »Ihr Verlust tut mir so leid.« Sie schüttelte den Kopf, schaute weg und wische sich die Augen. »Ich weiß, Sie haben es vermutlich gründlich satt, das zu hören, und es tut mir wirklich leid. Ich wünschte …« Ihre Kiefermuskeln spannten sich, als sie die Zähne zusammenbiss. »Ich wünschte, ich könnte etwas Tröstlicheres sagen.«

Wer war diese Frau? Sie sagte genau das, was er fühlte. Er konnte diesen Blödsinn wirklich nicht mehr hören. Er hatte genug von den mitleidigen Blicken und dem Tuscheln hinter seinem Rücken. Er hatte das alles so satt. Aber gleichzeitig wünschte er sich, dass irgendjemand etwas zu ihm sagte, das alles wieder gutmachte und ihm half, in alldem einen Sinn zu finden und allem seinen Platz zuzuweisen.

Aber das geschah nicht.

Dinas Tod war sinnlos und falsch gewesen. Der Tod seiner Schwester zu diesem Zeitpunkt und auf diese Weise war völlig grundlos und hätte vermieden werden können.

»Ich kann mir nicht vorstellen …« Sie verstummte und wischte sich wieder über die Augen. »Es tut mir leid.« Tränen rannen über ihre Wangen, und sie ging in die Hocke und blickte auf die in dem Schalensitz schlummernde Sophie. »Das hast du nicht verdient, kleiner Schatz«, flüsterte sie dann, streckte ihre Hand aus und strich mit der Fingerspitze sachte über Sophies zarten, winzigen Handrücken. »Du hast das alles nicht verdient.«

Liam und Aaron warfen sich über Isobels Kopf hinweg einen Blick zu.

Liams Augen schwammen ebenfalls in Tränen, und er biss die Zähne aufeinander.

Ah, fuck, auch Aaron war den Tränen nah.

Verdammter Mist.

Im Krankenhaus hatte er sich jeden Tag zusammengenommen. Er hatte für Sophie stark sein müssen. Doch sobald er nach Hause kam, die Tür hinter sich zumachte und in die kalte Leere seines Hauses starrte, war er ausgerastet, verzehrt von der Übelkeit erregenden Gefühlsverwirrung aus abgrundtiefer Trauer und rasendem Zorn. Er wälzte und warf sich im Bett herum, weinte, bis die Tränen versiegten, nur um in den ersten Morgenstunden in die Garage zu gehen und auf seinen Boxsack einzudreschen. Erst wenn seine Armmuskeln erlahmten und er zu keinem Schlag mehr fähig war, sackte er auf dem Boden zu einem heulenden Häuflein Elend zusammen, bis ihm endlich die Augen zufielen und er auf dem kalten Beton vielleicht eine halbe Stunde Schlaf fand.

Das endlose Hin und Her zwischen lähmendem Kummer und schierem Irrsinn laugte ihn aus.

Der Zorn jedoch tat ihm gut. Besser jedenfalls als der Schmerz, der ihm das Herz aus der Brust zu reißen drohte.

Dann stellte er sich den Boxsack als die Visage von Dinas Mörder vor. Als die Gesichter all derer, die glaubten, dass die Waffengesetze nicht verschärft werden müssten. Die Gesichter all derer, die den Tod seiner Schwester hätten verhindern können, die etwas dagegen hätten tun können, dass Sophie zum Waisenkind wurde, wenn sie bloß ihre gottverdammten Augen aufmachen und erkennen würden, in welcher Welt sie alle inzwischen lebten.

Er ballte die Fäuste und ließ die Knöchel knacken. Sein Körper schwankte angestrengt zwischen Wut und Trauer. Tränen wollten fließen, und Zorn kochte hoch.

Aber sie mussten das Baby ins Haus bringen. Und sie mussten das Thema wechseln, bevor ihm die verfluchten Sicherungen rausflogen.

Er gab einen Kehllaut von sich und hob den Schalensitz vom Boden auf. »Ich bringe Sophie jetzt rein und packe schon mal was aus.« Er räusperte sich noch einmal, dann drehte er sich um und ging rasch in sein Drei-Zimmer-Rancher-Haus, damit die beiden anderen die Träne nicht sahen, die ihm heiß über die Wangen lief.

Er stellte Sophies Schalensitz auf das braune Ledersofa, wischte sich die Augen, zog die Nase hoch und starrte zwanzig Sekunden an die Wand, um sich zu sammeln, dann erst wandte er sich wieder den anderen zu.

Isobel und Liam standen in seinem Wohnzimmer und hielten den Blick auf Sophie gerichtet.

»Ich habe Ersatzmilch besorgt, damit können Sie sie füttern, wenn sie wach wird«, sagte er und zog einige Fläschchen vorgemischten Muttermilchersatz aus der Einkaufstüte. »Dazu haben die Krankenschwestern mir geraten. Anscheinend schont sie den Magen.«

Isobel nickte. »Okay.«

»Das Schlafzimmer ist am Ende des Flurs. Ich bringe Sophie im Zimmer direkt neben dem Bad unter, Sie können das Zimmer beziehen, das ans Wohnzimmer angrenzt.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter, um ihr zu zeigen, wo die Schlafzimmer waren, dann senkte er den Kopf, um die Windeltüte zu öffnen.

»Sie wollen, dass ich hier wohne?« Ihre Stimme klang wie ein leises Schlaflied. Sie hatte bestimmt eine hübsche Singstimme.

Er hob den Kopf. »Wollen Sie das denn nicht?«

Da sahen sie beide Liam an, der sofort abwehrend die Hände hob. »Ich bin lediglich der Vermittler. Die Bedingungen müsst ihr zwei schon selber aushandeln. Ich habe bloß den Kontakt hergestellt.«

»Ich schaffe das nicht allein«, flüsterte Aaron. »Ich kann das nicht. Ich weiß nicht, wie man so etwas macht.«

Sie schloss für einen Moment die Augen, und er hielt den Atem an. Wollte sie ihn im Stich lassen? Sagen, dass sie es auch nicht konnte?

»Wie wäre es, wenn wir das Woche für Woche entscheiden? Die ersten Nächte bleibe ich erst mal, bis Sie sich einigermaßen eingelebt haben, und danach sehen wir weiter.«

Die Spannung fiel von seinen Schultern ab, und er nickte. »Okay, Woche für Woche.«

Sie lächelte. »Ein Schritt nach dem anderen. Wir schaffen das schon. Wir finden einen Weg.«

Aaron schluckte, dann senkte er wieder den Kopf und begann, diverse Sachen aus der Einkaufstüte zu holen. Sophie würde sicher bald wach werden, und dann würde sie eine frische Windel und wahrscheinlich auch andere Anziehsachen benötigen. Und dann würde sie wachsen und neue, größere Sachen brauchen.

Und irgendwann würde er Dinas Wohnung aufsuchen müssen.

Eigentlich hätte er bereits in der vergangenen Woche, als Sophie noch auf der Intensivstation lag, dorthin fahren müssen, aber das hatte er einfach nicht über sich gebracht. Dreimal war er zu ihrem Haus gefahren, hatte sogar den Motor abgestellt, nur um dann eine Viertelstunde im Auto zu sitzen, fluchend, schreiend, mit beiden Händen aufs Lenkrad einprügelnd, bis er den Rückwärtsgang eingelegt hatte und mit quietschenden Reifen wieder davongefahren war.

Er konnte das Haus nicht betreten in dem Wissen, sie würde nicht da sein. Er konnte nicht hineingehen und die halb ausgetrunkene Tasse Tee auf dem Küchentresen stehen sehen, die er gewiss dort vorfinden würde, ihre Pflanzen, die bestimmt dringend gegossen werden mussten, oder die Post, die ihren Briefkasten verstopfte.

Er konnte es einfach nicht.

»Soll ich noch ein paar Sachen für Sophie kaufen?«, fragte Isobel mit beruhigender Stimme. »Neugeborene brauchen anfangs wirklich nicht viel außer Liebe, einen vollen Magen und haufenweise Windeln.«

»Da hat sie recht«, meldete sich Liam zu Wort. »Vielleicht noch Schlafsachen zum Wechseln, falls sie spuckt oder sich den Rücken vollkackt, aber davon abgesehen sind Säuglinge ziemlich pflegeleicht.«

»Wenn Sie einverstanden sind, können wir ein paar Sachen aus ihrem Kinderzimmer holen«, fuhr Isobel fort. »Wenn sie was braucht. Für den Moment braucht Sophie nur Sie.«

Er hob den Kopf und sah Isobel an. »Nein, das genügt nicht. Sie braucht ihre Mutter.«

Sie trat einen Schritt vor, ihre blauen Augen fixierten ihn entschlossen. »Sie werden ihr genügen müssen. Dieses kleine Baby braucht Sie jetzt mehr denn je. Und Sie kriegen das hin.«

Ein Quieken wie von einem Meerschweinchen lenkte aller Aufmerksamkeit auf das Ledersofa. Sophie streckte sich und verzog das Gesicht, bevor sie die dunklen Augen aufschlug. Dann schaute sie zu ihnen hoch, blinzelte mehrmals und gähnte dann.

Isobel bückte sich und befreite Sophie behutsam aus ihrem Schalensitz, dann hob sie das Baby heraus und wiegte es an ihrem Busen. »Hi, Super-Sophie«, gurrte sie und küsste die Kleine ein paarmal auf die Stirn. »Hast du gut geschlafen?« Sie schmiegte die Nase an den winzigen Kopf und atmete tief ein. »Mhm, es geht doch nichts über den Geruch von Neugeborenen.« Flatternd schloss sie die Lider und wiegte sich mit dem Baby vor und zurück. »Es müsste doch möglich sein, diesen Geruch auf Flaschen zu ziehen.«

Sophie gähnte wieder, präsentierte ihren gaumigen Mund sowie die winzige rosige Zunge.

Isobel öffnete die Augen erst wieder, als Sophie vernehmlich zu protestieren und den Kopf gegen ihre Schulter zu stupsen begann. »Oh, sie sucht nach etwas, wahrscheinlich hat sie Hunger. Dann schau dir mal deinen Onkel aus der Nähe an, Baby; ich mach dir inzwischen ein Fläschchen.« Damit reichte sie Sophie mit einer vorsichtigen, aber selbstsicheren Bewegung an Aaron weiter. Es schien ihr viel leichter zu fallen als ihm, mit so einem winzigen Wesen umzugehen. Er hatte ständig Angst, sie fallen zu lassen.

Kaum hatte er sie auf dem Arm, setzte er sich aufs Sofa und legte sie in seinen Schoß.

Isobel griff nach der Tüte mit Ersatzmilch und den Fläschchen, die er gekauft hatte, und ging damit in die Küche.

»Babys sind widerstandsfähiger, als man denkt«, bemerkte Liam. »Ich meine, sie prallen nicht gerade ab, wenn man sie fallen lässt, vor allem nicht, wenn sie auf den Kopf fallen, andererseits muss man sie aber auch nicht halten, als hätte man eine Ming-Vase im Arm.«

Aaron warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Sie ist eine verdammte Ming-Vase. Sie ist viel kostbarer als eine Ming-Vase. Sie ist alles, was ich habe.« Den letzten Teil würgte er krächzend hervor, dann richtete er den Blick wieder auf die lebhaft und neugierig umherschauende Sophie. Ihre Ärmchen zuckten, ihre Finger schlossen sich fest um seinen Zeigefinger, als ginge es um ihr liebes Leben. »Du bist alles, was ich habe.«

Liam schaukelte hüstelnd auf den Füßen vor und zurück. »Ja, stimmt. Tut mir leid.«

Aaron entließ langsam den Atem, hob den Kopf wieder und fixierte Liam. Der Kerl sah echt beschissen aus. Höchstwahrscheinlich genauso beschissen wie er selbst. Tiefe Ringe unter den Augen, kurzer, ungepflegter Bart, Sorgenfalten, erschöpft.

»Mir tut es leid«, sagte er. »Du hast dich wirklich für mich und Soph eingesetzt. Ohne dich hätten wir es nicht geschafft. Du bist Dina ein wahrer Freund.« Er schluckte, da ihm die Gefühle die Fassung zu rauben drohten. »Du bist uns allen ein wahrer Freund.«

Liam setzte sich mit zitterndem Kinn auf das andere Ende der Couch und fuhr sich durch das dunkelblonde Haar, dann rieb er sich mit der Hand über das Gesicht und zupfte an seinem Kinn. »Ach, Mann, nichts an alledem ist richtig oder wahr. Das ist alles nur beschissen. Außer Dina. Alles außer Dina.«

Aaron biss die Zähne so fest aufeinander, dass er glaubte, die Augen würden ihm aus dem Kopf springen.

Alles außer Dina. Genau so war es.

Liam knurrte und lenkte Aaron von seinen finsteren Gedanken ab. »Also, hör zu, kein Stress oder so was, schließ dich an, wann du willst, komm dazu, wenn du so weit bist, aber … Ich bin auch ein alleinerziehender Vater, und während der letzten Jahre habe ich ein paar andere alleinerziehende Väter kennengelernt, durch die Arbeit, aber auch sonst. Ich habe einen Club gegründet. Die Single Dads von Seattle. Wir treffen uns jeden Samstagabend zum Pokern. Wahrscheinlich bist du noch nicht so weit, morgen schon zu uns zu stoßen, aber das Angebot steht, jederzeit.

Manche von uns treffen sich unter der Woche auch mit ihren Kindern zum Spielen oder was auch immer. Aber vor allem geht es um einen Haufen Männer, die verdammt nochmal was kapiert haben: Wie schwer es ist, ein alleinerziehender Vater zu sein. Manche von uns sind vollzeitalleinerziehend, andere nur in Teilzeit. Wir unterstützen uns gegenseitig. Passen, wenn nötig, auf unsere Kinder auf. Wir sind eine Art Bruderschaft. Oder besser eine Vaterschaft. Eine Familie.«

Eine Familie.

Aaron wollte schon sagen, dass er noch nicht bereit sei, unter Leute zu gehen, als Isobels Stimme seine Gedanken unterbrach.

»Na, wer möchte ein Fläschchen?«

Er hob den Blick von Liams Gesicht zu der umwerfenden jungen Frau, die da auf sie zukam. Fuck, sie war wirklich jung. Wie alt mochte sie sein? Fünfundzwanzig? Sechsundzwanzig? Diese Frau konnte keinen Tag älter als dreißig sein. Im Unterschied zu Aaron, der nicht bloß einen Tag, sondern gut acht Jahre älter als dreißig war. Er hob Sophie von seinem Schoß und stand auf, dann nahm – na ja, mehr noch entriss er Isobel das warme Milchfläschchen. »Ich mache das«, brummte er, ging zum Fenster, wiegte seine Nichte auf dem Arm und hielt ihr das Fläschchen hin.

»Okay«, sagte Isobel, der seine schroffe Art nichts auszumachen schien. »Also, möchten Sie, dass ich heute hier übernachte? Ich hab nämlich gar nichts dabei.«

»Ja, holen Sie Ihre Sachen.«

Es entstand eine Pause, dann hörte er Schritte auf die Haustür zueilen. »Gut, ich bin gleich wieder da.« Eine neuerliche Pause. »Schreiben Sie mir, wenn Sie irgendwas brauchen.« Dann fiel die Haustür zu, und Liam und Aaron waren wieder allein.

Aaron spürte die Gegenwart seines neuen Freundes, noch bevor Liam in sein Blickfeld trat. »Leg bloß nicht das Kindermädchen flach, Alter«, sagte Liam. »Ich weiß, sie sieht scharf aus. Fuck, rattenscharf, würde ich sagen, aber du kannst unmöglich dein Kindermädchen vögeln.«

Aaron legte sich Sophie zurecht, neigte das Fläschchen ein wenig mehr und funkelte Liam an. »Meinst du, das wüsste ich nicht?«

»Wissen ist das eine, entsprechend handeln was ganz anderes, also geh behutsam vor, mein Freund.« Er schlug Aaron auf die Schulter. »Und leg dich mal schlafen, du siehst beschissen aus.«

Aaron konzentrierte sich wieder auf die nuckelnde Sophie. »Ich sehe so aus, wie ich mich fühle.«

Liam ließ den Kopf hängen und drückte tröstend Aarons Schulter. »Das gilt für uns beide, Mann. Das gilt für uns beide.«

Kapitel 4

Isobel glitt hinter das Steuer ihres weißen Toyota Corolla und schob den Schlüssel ins Zündschloss. Den Rückwärtsgang legte sie jedoch nicht ein. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Sie saß einfach da, blickte auf die Garagentür zu Aarons Haus und fragte sich, worauf zum Teufel sie sich da eingelassen hatte.

Er sah heiß aus.

Junge, Junge, sah der Mann heiß aus!

Groß, muskulös, eine echte Naturgewalt, wie sie noch keine zuvor gesehen hatte.

Und diese Haare. Dunkelrot, dicht und üppig und nur ein ganz klein wenig gewellt.

Seit jeher hatte sie eine Schwäche für rothaarige Männer. Outlander hatte sie für alle anderen verdorben. Seitdem war alles, wonach es sie gelüstete und wovon sie insgeheim träumte, ein hochgewachsener Schotte, der seinen Kilt lüpfte und sie in einem Bett aus Heidekraut hart und schnell nahm.

Sie presste die Lider fest aufeinander.

Was kein bisschen half.

Diese Arme. Heiliger Batman. Das waren eigentlich gar keine Arme. Das waren tätowierte Baumstämme, die ihr dünnes, schwarzes Baumwollgefängnis sprengten. Er sollte diese herrlichen Bestien freilassen, damit die ganze Welt sie bewundern konnte.

Und lecken konnte.

Oh, verfluchter Mist.

Sie schlug mit den Handflächen aufs Lenkrad und lehnte sich mit der Stirn gegen ihre Handrücken. »Nein, nein, nein.«

Am besten marschierte sie auf der Stelle ins Haus zurück und lehnte den Job ab. Sagte ihm, es wäre etwas dazwischengekommen und sie würde ihm ein Ersatzkindermädchen besorgen. Dass sie nicht für ihn arbeiten und schon gar nicht bei ihm wohnen konnte.

Heilige Mutter Gottes.

Aaron wollte, dass sie bei ihm wohnte.

Dann würde sie Tag und Nacht mit ihm unter einem Dach leben, mit dem erregendsten Mann, der ihr jemals unter die Augen gekommen war.

Trug er etwa auch Erkennungsmarken unter dem Hemd?

War er nicht Soldat? Kampfpilot? Scharfschütze? O lieber Gott im Himmel, SEAL? War er ein SEAL?

Wimmernd hob sie den Kopf und machte vor Schreck einen Satz, als sie sich dem Mann gegenübersah, der sie wimmern ließ. Er hatte irritiert den Kopf schräg gelegt und hielt ihre Handtasche in der Hand.

O Mist!

Nun kam er zur Fahrerseite herum und wartete darauf, dass sie das Seitenfenster hinunterließ.

»Alles in Ordnung?«

Sie schluckte, nickte und sagte: »Ja, ich hab nur, äh … ich hab nur etwas Kopfweh.« Er trug jetzt kein Baby mehr auf dem Arm. Wieso nicht? Ihre Blicke suchten seine große Gestalt nach Anzeichen eines irgendwo versteckten Babys ab. Oh, jetzt verlor sie wahrhaftig den Verstand.

Das widerfährt Menschen, die keinen Sex haben.

»Wo ist Sophie?«, fragte sie endlich, ohne abzuwarten, bis ausreichend Sauerstoff in ihrem Gehirn ankam, bevor sie dumme Fragen stellte. Sophie weilte bestimmt im Haus, faltete die Wäsche und sang Green-Day-Songs mit.

Sie ist im Haus und schläft, Närrin.