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Seit dem Tod seiner Frau ist Mitch Benson auf sich alleine gestellt. Seiner Tochter Jayda versucht er ein toller Vater zu sein und seinen Job als Fotograf so gut wie möglich zu machen. Bei einer Tanzveranstaltung trifft er auf Paige McPherson und was er durch die Linse seiner Kamera sieht, ergreift ihn zutiefst. Wenn Paige tanzt, verändert sich die Welt. Seine Welt. Mitch spürt, dass sie denselben Schmerz und dieselbe große Trauer in sich trägt, die auch ihm jeden Tag aufs Neue das Herz zerreißt. Page tanzt was er fühlt und Mitch weiß: diese Frau wird sein Leben verändern.
Paige hätte nie gedacht, dass sie jemals wieder einem Mann besondere Beachtung schenken würde. Schon gar nicht Mitch, dem Freund ihre Ex-Mannes Adam. Zu tief sitzen der Schmerz über ihre gescheiterte Ehe und die vielen Verluste, die sie ertragen musste. Nur das Tanzen lässt sie den inneren Schmerz vergessen und hilft ihr, neue Kraft zu sammeln. Doch Mitch bleibt hartnäckig und nach und nach bricht er die Mauern auf, die Paige um sich herum gebaut hat. Als sie vor eine große Entscheidung gestellt wird, ist Paige unsicher: kann sie Mitch vertrauen, der ihr so fest zur Seite steht? Oder soll sie ihren Weg alleine gehen, weil sie kein neues Glück verdient?
Willkommen in Seattle, der Heimat der "Single Dads of Seattle"! Zehn attraktive alleinerziehende Väter, die jeden Samstagabend Poker spielen, sich gegenseitig helfen und zuhören, ihre Kinder über alles lieben und vor allem eines hoffen: eines Tages wieder die große Liebe zu finden. Dies ist Mitchs Geschichte.
Alle Titel der Reihe "Single Dads of Seattle" können unabhängig voneinander gelesen werden.
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Seitenzahl: 346
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Seit dem Tod seiner Frau ist Mitch Benson auf sich alleine gestellt. Seiner Tochter Jayda versucht er ein toller Vater zu sein und seinen Job als Fotograf so gut wie möglich zu machen.
Bei einer Tanzveranstaltung trifft er auf Paige McPherson und was er durch die Linse seiner Kamera sieht, ergreift ihn zutiefst. Wenn Paige tanzt, verändert sich die Welt. Seine Welt. Mitch spürt, dass sie denselben Schmerz und dieselbe große Trauer in sich trägt, die auch ihm jeden Tag aufs Neue das Herz zerreißt. Page tanzt was er fühlt und Mitch weiß: diese Frau wird sein Leben verändern.
Paige hätte nie gedacht, dass sie jemals wieder einem Mann besondere Beachtung schenken würde. Schon gar nicht Mitch, dem Freund ihre Ex-Mannes Adam. Zu tief sitzen der Schmerz über ihre gescheiterte Ehe und die vielen Verluste, die sie ertragen musste. Nur das Tanzen lässt sie den inneren Schmerz vergessen und hilft ihr, neue Kraft zu sammeln. Doch Mitch bleibt hartnäckig und nach und nach bricht er die Mauern auf, die Paige um sich herum gebaut hat. Als sie vor eine große Entscheidung gestellt wird, ist Paige unsicher: kann sie Mitch vertrauen, der ihr so fest zur Seite steht? Oder soll sie ihren Weg alleine gehen, weil sie kein neues Glück verdient?
Willkommen in Seattle, der Heimat der »Single Dads of Seattle«! Zehn attraktive alleinerziehende Väter, die jeden Samstagabend Poker spielen, sich gegenseitig helfen und zuhören, ihre Kinder über alles lieben und vor allem eines hoffen: eines Tages wieder die große Liebe zu finden. Dies ist Mitchs Geschichte.
Alle Titel der Reihe »Single Dads of Seattle« können unabhängig voneinander gelesen werden.
Über Whitley Cox
Whitley Cox ist an der kanadischen Westküste geboren und aufgewachsen. Sie studierte Psychologie und unterrichtete zeitweise in Indonesien, bevor sie in ihre Heimat zurückkehrte. Heute ist sie mit ihrer Highschool-Liebe verheiratet und Mutter von zwei Töchtern.
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Whitley Cox
Saved by the Single Dad
Mitch
Übersetzt von Ralf Schmitz aus dem amerikanischen Englisch
Cover
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
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Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Epilog — Acht LANGE Monate später …
Impressum
Die "Single Dads of Seattle" gehen weiter ...
For Author Jeanne St. James. A friend, a mentor, a sounding-board, my alpha-reader, and a fucking phenomenal writer. You are an inspiration and I am so thankful to have you in my life. xoxo
Mitch Benson blieb der Mund offen stehen, seine Hoden zogen sich in den Shorts zusammen. Die Frau, die da auf der Bühne tanzte, war einer der spektakulärsten Anblicke, die er je im Leben gesehen hatte.
Er war hier, um Fotos von der Performance zu schießen, aber im Moment stand er da wie betäubt – gelähmt von der Vision auf der Bühne.
Aber sie sah nicht bloß umwerfend aus mit ihrem kastanienbraunen, zu einem Ballerinaknoten hochgesteckten Haar, sie tanzte auch unglaublich ausdrucksvoll, als würde alles, was sie empfand, in Bewegung umgesetzt. Ihr konzentrierter Gesichtsausdruck und wie ihr Körper mit ungefilterten Emotionen auf den Rhythmus und das Tempo der Musik reagierte, ließen sich mit nichts vergleichen, was er bisher gesehen hatte. Sie verkörperte schiere Perfektion.
Er hatte geglaubt, auf die Darbietung der Kinder sollte der Tanz der Modern-Dance-Gruppe folgen, doch als stattdessen sie die Bühne betrat, mit besorgt blickenden hellbraunen Augen und nervös auf ihrer Unterlippe kauend, hatte es ihm die Sprache verschlagen. Und er hatte noch kein einziges Foto gemacht.
Sie war als Paige McPherson vorgestellt worden, Anfängerin in Violets Modern-Dance-Kurs. Vermutlich tanzte sie an den Mittwochabenden, wenn er mit Jayda zu Hause war, denn wenn Mitch ihr schon mal begegnet wäre, hätte er sich gewiss an sie erinnert.
Paige.
Paige?
Paige!
Heilige Scheiße!
Sie war Adams Frau.
Ex-Frau, korrigierte er sich.
Das da war Adams Ex‑Frau. Miras Mutter.
Fuck!
Als sich hinter ihm jemand räusperte, erwachte er aus seiner Erstarrung.
»Müsste deine Kamera nicht häufiger mal Klick machen?« Das war Zak, Adams Bruder und einer der Seattler Single Dads, mit denen er jeden Samstagabend Poker spielte.
Mitch schluckte, nickte und richtete den Blick wieder auf das Display seiner Kamera. Mit zittrigen Händen begann er, Schnappschüsse von der Frau auf der Bühne zu machen.
»Sie ist sehr schön«, stellte Zak nüchtern fest. »Hat Adam dir erzählt, dass sie sich getrennt haben?«
Mitch nickte. »Ja, traurig.«
»Ja, kann man wohl sagen. Man sieht, dass sie ihren ganzen Schmerz in den Tanz legt. Sieh dir nur mal ihr Gesicht an, ihre Bewegungen. So präzise, engagiert und fokussiert.«
Mitchs Finger verharrte über dem Auslöser, und er wandte sich dem großen, durchtrainierten, tätowierten Rothaarigen zu, der seine eins siebenundachtzig noch um acht Zentimeter überragte. »Bist du, äh … an ihr interessiert?«
Zak schüttelte den Kopf, aber ohne zu lächeln. Und auf Mitch blickte er auch nicht herunter. Sein Bick blieb auf Paige gerichtet. »Nein, ich bin an niemandem interessiert, hab der Liebe für eine Weile abgeschworen. Den Frauen überhaupt.«
Mitchs Schultern gaben nach. Wieso waren sie eigentlich angespannt gewesen? »Willst du Liam nacheifern? ›Liebe ist was für Lutscher‹?«
Zak vergrub die Hände in den Hosentaschen und schaukelte auf den Fersen. »So was in der Art vielleicht. Ich brauche einfach mal eine Atempause.« Endlich fiel sein Blick auf Mitch. Die Intensität seines Blickes war nervtötend. »Adam kann’s nicht sagen, weil Paige seine Ex ist und es deshalb bloß besitzergreifend rüberkommen würde. Außerdem läuft es für ihn und Violet gerade sehr gut, und ich weiß, dass er es sich mit ihr nicht verderben will. Aber ich darf so was sagen.«
Was sagen?
Zaks Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Ich habe dich in den letzten Minuten beobachtet. Man konnte mit Händen greifen, wie du auf Paiges Auftritt reagiert hast. Du fühlst dich zu ihr hingezogen.«
Mitch zuckte die Achseln, in der Hoffnung, möglichst nonchalant zu wirken. »Sie ist schön, das will ich nicht leugnen.«
Zak nickte. »Ja, das ist sie. Aber sie ist auch sehr verletzlich. Sie macht gerade einiges durch. Geh es also behutsam an, wenn du was von ihr willst. Sie verdient es nämlich, glücklich zu sein. Wie wir alle. Sei einfach vorsichtig. Sie hat eine Menge hinter sich.«
Mitch drückte den Rücken durch und reckte sich zu seiner vollen Größe, um sich vor dem großen, muskulösen Mann aufzubauen. »Wie jeder von uns. Ich habe meine Frau verloren. Meinen Vater. Meine Tochter hat ihre Mutter verloren. Ich brauche keine Belehrung oder Ermahnung. Wenn jemand weiß, wie man behutsam vorgeht, dann bin ich das. Ich darf durchaus eine Frau anziehend finden, ich darf mich sogar zu ihr hingezogen fühlen, ohne deshalb gleich mit ihr ausgehen oder in die Kiste springen zu wollen. Ich bin nämlich schon groß, kein verdammter Teenager mehr. Ich verfüge über eine gewisse Selbstbeherrschung.«
Oh, fuck.
Mir deucht, die Dame widerspricht zu heftig.
Die Worte seiner verstorbenen Frau Melissa hallten in seinem Schädel wider. Sie hatte Shakespeare geliebt. Sie hatte es geliebt, seine Werke zu lesen und zu zitieren. In ihren gemeinsamen Jahren hatte sie ihn in so manche Theateraufführung geschleift und sich über die Kostüme und Sonette nicht mehr eingekriegt. Ihre Begeisterung war ehrlich erworben; sie hatte Englische Literatur studiert und gerade an der University of Arizona zu unterrichten begonnen, als sie sich kennenlernten.
Gott, wie er sie vermisste!
Zaks dunkelrote Haare glänzten in der warmen Julisonne wie ein Helm aus Ziegeln. Sie hatten sich alle im Magnolia Park getroffen, um den Unabhängigkeitstag beim ›Kunst im Park‹-Festival der städtischen Kulturstiftung zu feiern. Zuletzt war Mitchs Tochter Jayda mit ihrem Tanzkurs aufgetreten, und davor Mitchs Schwester Violet und ihr Freund Adam, Zaks Bruder. Sämtliche Mitglieder ihres Single-Dad-Clubs saßen mit ihren Kindern im Gras und genossen Bier, Essen und die Nachmittagssonne. Dafür waren Sommer da: Freunde, Fastfood und Festivitäten.
Die beiden Männer standen stumm voreinander und blickten sich an. Doch im nächsten Moment schimmerten Zaks blaue Augen auf, und er grinste von einem Ohr zum anderen. Er streckte eine Hand aus und klopfte Mitch auf den Rücken. »Also schön. Danke fürs Gespräch.« Er deutete auf Mitchs Kamera. »Dann mach dich besser wieder ans Werk, Kamerajockey, bevor deine Muse von der Bühne verschwindet.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und schlenderte mit seiner Riesengestalt unter nicht nur vereinzelten Blicken weiblicher Bewunderer zu den alleinerziehenden Vätern und ihren Kindern zurück, die es sich auf mehreren Wolldecken gemütlich gemacht hatten.
Mitch kämpfte gegen den Drang an, ihm den Mittelfinger zu zeigen, und wandte sich stattdessen wieder seiner Kamera und der hinreißenden Frau auf der Bühne zu. Er begann wieder zu fotografieren. Die Kamera – und Mitch – liebte es, wie anmutig sich Paige über die Bretter bewegte. Hände und Arme setzte sie auf eine Weise ein, die er noch nie zuvor gesehen hatte, zumindest nicht im Zeitgenössischen Tanz oder in Nordamerika. Eher erinnerte ihn ihr Stil an seine Zeit auf Bali, wo er die mit dicker Schminke, Goldpuder und prächtigen Farben ausstaffierten balinesischen Tänzerinnen fotografiert hatte. Wo hatte sie gelernt, so zu tanzen?
Er konnte sich nicht besinnen, dass Violet jemals solche Schritte ausgeführt hatte, und er sah seiner Schwester schon seit Jahrzehnten beim Tanzen zu.
Paige machte einen großen Satz über die Bühne und ging in die Knie. Dabei kam sie der Stelle, wo Mitch im Gras vor der Bühne stand, sehr nah. Als ihr Kopf hochschoss, standen sie sich direkt gegenüber. Sie schaute ihm in die Augen, bis in seine Seele. Er wusste, er hätte lächeln, sie zum Weitertanzen ermutigen sollen, ihr zu verstehen geben sollen, dass ihm ihre Darbietung gefiel, aber er konnte es nicht.
Er war fassungslos.
Fassungslos über die einsame Träne, die ihr über die Wange rann, und über ihr gequältes Gesicht. Sie ließ beim Tanzen wahrhaftig all ihren Gefühlen freien Lauf, so dass jeder hier es sehen konnte. Sein Finger drückte wie aus eigenem Antrieb auf den Auslöser, und er machte ein Foto. Das weckte sie aus ihrer Geistesabwesenheit, wo auch immer sie gewesen war, denn ihre Augen ließ ihn los und fiel auf die Kamera. Mitch folgte ihrem Blick, dann sah er wieder auf – aber sie war fort, stand am Bühnenrand, verbeugte sich und nahm den tosenden Applaus des Publikums entgegen. Mitch begann ebenfalls zu klatschen.
Paige McPherson rannte unter dem donnernden Beifall der Stadt Seattle von der Bühne. Ihr Herz raste genauso wie das Publikum. Sie konnte es kaum glauben. Sie hatte ganz allein vor Hunderten von Menschen auf offener Bühne getanzt.
Und es fühlte sich großartig an.
Plötzlich spürte sie einen Arm um ihre Schultern und roch das Kölnisch Wasser ihres Ex‑Mannes Adam. »Gut gemacht, Paige. Wir wussten, du schaffst es.«
Neben Adam stand Violet, seine neue Freundin und ihre Tanzlehrerin. »Ich danke dir so sehr, dass du weitermachst. Du hast wundervoll getanzt.« Lachend wischte sie sich eine Träne aus dem Auge. »Siehst du, ich habe doch gesagt: So, wie du tanzt, bringst du die Menschen zum Weinen. Dein Solotanz war inspirierend.«
Paiges Gesicht begann zu brennen, rasch richtete sie den Blick auf ihre Füße. »Am Ende habe ich es vermasselt. Als ich auf den Rücken gleiten sollte, hab ich ein paar Takte ausgelassen.« Dass sie ein paar Takte ausgelassen hatte, weil der Mann mit der Kamera vor der Bühne sie umgehauen hatte, ließ sie lieber unerwähnt. Ein Mann mit Augen, so strahlend grün wie Zedernzweige, dunklen Haaren, kurz gestutztem Bart und vollen Lippen. Sehr vollen Lippen.
Als sie an der Bühnenecke den Kopf gehoben hatte und ihm direkt gegenüberstand, hatte sie vergessen, was sie gerade tat. Sie hatte die Menschen vergessen, die Musik, ihren Tanz, und hatte sich stattdessen in dem goldgrünen Schimmer verloren, der im Sonnenlicht um seine Pupillen zu kreisen schien.
Sie wollte schon den Mund öffnen und sich entschuldigen, um Mira und ihre Eltern zu suchen, als der Mann mit der Kamera, der Mann mit den Augen, der Mann mit den Lippen, um die Ecke bog.
Er schien sie wie mit Lasern zu erfassen und kam direkt auf sie zumarschiert, streckte die Hand aus und wartete, dass Paige sie nahm. »Mitch Benson. Ihr Tanz war phantastisch.«
Mitch Benson.
»Violets …«
»Das ist mein Bruder.« Violet nickte. Offenbar war ihr die Verwirrung in Paiges Gesicht nicht entgangen. »Er ist Berufsfotograf.«
Paige ergriff mit zurückhaltender Neugier seine warme, große Hand. Auch wenn sie nicht allzu erpicht darauf gewesen war, seine Hand zu schütteln, hätte sie ihn jetzt am liebsten nicht mehr losgelassen.
Sein Lächeln war so breit wie aufrichtig und stellte ebenmäßige weiße Zähne zur Schau. Und diese Lippen. Großer Gott, diese Lippen! So voll und zum Küssen wie geschaffen! Mmmh!
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte sie endlich, schluckte den Kloß hinunter, der sich unversehens in ihrem Hals gebildet hatte, und musste sich ganz schön strecken, um ihm in die Augen blicken zu können. Der Mann war groß, größer als Adam, und Adam war schon gut über eins achtzig.
»Ganz meinerseits.« Er zog die Hand zurück und zwinkerte. »Ich habe ein paar ziemlich gute Fotos von Ihrem Tanz geschossen. Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn ich sie veröffentlicht habe, dann können Sie selbst sehen. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie Abzüge möchten, dann schicke ich sie Ihnen.«
Unsicherheit grub ihre feuerwehrroten Hyänenkrallen in Paiges Genick, und sie spürte, wie ihre Schultern herabsanken. »Ich glaube, ich möchte lieber keine Bilder von meinem Tanz sehen. So toll war ich nicht.«
War das Bestürzung, was da in Mitchs Augen aufblitzte? Egal, auf jeden Fall wurden sie dunkel, und sein Lächeln erlosch. »Sie waren unglaublich. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel und nehmen Sie das Kompliment an. Sie werden noch haufenweise Komplimente bekommen, wenn Sie sich zu den Mädels auf die Decken setzen.«
Paige musste weg von dem Mann. Mit seinem Lob kam sie überhaupt nicht zurecht. Sie kam nicht mit dem Druck zurecht, wenn jemand dachte, sie könnte irgendwas besonders gut. Der Druck, dem verzerrten Bild zu entsprechen, das sich andere von ihr machten, nämlich dass sie kein Totalausfall war.
Sie trat einen Schritt zurück, befreite sich aus Adams Umarmung und von Mitchs prüfendem Blick. »Ich schaue mich mal nach Mira um.«
Da kehrte Mitchs Lächeln zurück. »Ich begleite sie. Ich wollte sowieso in die Richtung, um nach Jayda zu suchen. Wir können zusammen gehen.«
»Nein.«
Adam, Violet und Mitch warfen einander verwirrte Blicke zu.
Paiges Herz klopfte so heftig, dass ihr die Brust wehtat, und in ihren Ohren pulsierte ohrenbetäubend das Blut. »W‑was ich sagen wollte, ist … ich muss mich erst mal frisch machen und mich umziehen. Ich schwitze entsetzlich in dem ganzen Elasthan. Danach suche ich Mira. Sie müssen nicht auf mich warten. Gehen Sie schon mal vor, ich stoße dann später dazu.« Sie wartete nicht darauf, dass jemand anbot, doch auf sie zu warten, oder vorschlug, sie zu begleiten; stattdessen eilte sie die Eisengitterstufen hinter der Bühne hinunter und verschwand um die nächste Ecke. Sie nahm den Notausgang, um Mitch Benson und seinen vollen Lippen, seinen Komplimenten und dem Umstand, dass sie seine Hand wieder in ihrer spüren wollte, zu entkommen. Am liebsten hätte sie seine Hände an ihrem ganzen Körper gespürt.
Am Dienstagnachmittag ging Paige zur Arbeit. Wie jeden Dienstag arbeitete sie von zwei Uhr am Nachmittag bis neun Uhr abends im äußerst beliebten Restaurant Narcissus in der Nähe der Space Needle. Sie gehörte nun schon seit fast acht Jahren zum Team des Restaurants und hatte sich von der Beiköchin zur Chef-Patissière hochgearbeitet.
Nach ihrer klassischen Ausbildung an einer der renommiertesten Kochschulen Frankreichs war sie, als sie Adam kennenlernte, bereits eine aufstrebende Köchin gewesen. Sie gingen miteinander aus, verliebten sich ineinander und heirateten schließlich. Er hatte damals noch studiert, so dass sie bescheiden lebten und knauserten und sparten, wo sie konnten. Sie hatte immer schon davon geträumt, ihr eigenes Restaurant zu eröffnen – das Lilac and Lavender Bistro, weil Flieder und Lavendel seit jeher ihre Lieblingsblumen waren und sie den Namen nicht nur für hip, sondern auch für sehr schick hielt. Die Hipster konnten den Namen gern zu LLB oder etwas ähnlich Kitschigem abkürzen.
Und als Adam seinen Abschluss in der Tasche hatte, beschlossen sie, ab jetzt Geld für ihr Restaurant zur Seite zu legen.
Aber das Leben hatte andere Pläne gehabt, so dass sie nun, fünf Jahre später, immer noch für jemand anderen im Narcissus arbeitete. Sie war immer noch nicht ihre eigene Herrin.
»Was geht?«, fragte ihre Patisserie-Auszubildende Jane, während sich Paige die Schürze um die Taille band und sich in der großen Edelstahlspüle die Hände wusch.
Paige trocknete sich mit einem Papierhandtuch die Hände ab. »Alles gut. Wo ist Tristan? Ich hab sein Auto gar nicht gesehen.« Es passte überhaupt nicht zum Manager des Restaurants, um zwei Uhr nachmittags noch nicht zur Arbeit erschienen zu sein. Manchmal schwor die Belegschaft, dass der Mann in seinem Büro im ersten Stock lebte.
Janes Mundwinkel sanken nach unten, ihre Miene verdüsterte sich. »Du hast es noch nicht gehört? Hast du denn meine Nachricht nicht bekommen?«
Paige schüttelte den Kopf. »Was gehört? Welche Nachricht?« Was zum Kuckuck war hier los?
Jane verdrehte ihre himmelblauen Augen. »Mist, stimmt ja, du warst gestern gar nicht hier. Der Eigentümer hat das Restaurant verkauft, und die neue Besitzerin hat Tristan gefeuert. Sie sagt, sie will die Geschäfte selbst führen.«
Paige sprangen fast die Augen aus dem Kopf. »Was?«
Jane nickte und pustete sich eine Locke ihrer blonden, lila gesträhnten Haare aus der Stirn. »Ja, Jill sagt, Tristan hat sich, um seine Wunden zu lecken, schon nach Mexiko davongemacht. Ohne Ansage, wann er wiederkommt. Oder ob er überhaupt noch mal wiederkommt.«
Heilige Scheiße! Wieso hatte Tristan sie nicht angerufen? Paige hatte gedacht, sie wären Freunde. Sie arbeiteten seit acht Jahren zusammen im Narcissus. Hatte ihm das denn gar nichts bedeutet? Sie schüttelte den Kopf, erschüttert von den Neuigkeiten, und fragte: »Wer hat den Laden denn gekauft?«
Jane schürzte die Lippen. »Eine Frau namens Marcelle Thibodeaux, und soweit ich gehört habe, ist sie eine Oberzicke. Ich bin ihr allerdings erst einmal begegnet, deshalb kann ich nicht sagen, ob das Gerücht stimmt. Aber dass sie Tristan auf die Straße gesetzt hat, spricht nicht gerade für sie.«
Marcelle Thibodeaux.
Warum kam ihr der Name so bekannt vor?
Jane beugte sich zu ihr und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Es heißt, dass sie eine ganze Reihe Restaurants in Seattle besitzt, die Angewohnheit hat, ihr Personal bis auf die Knochen auszubeuten, und auch nichts davon hält, nach der Arbeit zusammen einen trinken zu gehen.«
Nun war es an Paige, die Lippen zu schürzen. Sie mochte Jane, aber ihre Kollegin war noch jung und ging zu gern feiern. Oft begann ihr Abend direkt nach der Schicht an der Restaurantbar, wo sie sich ihr Freigetränk nach der Arbeitsschicht reinzog, um anschließend den Personalrabatt auszunutzen. So weit war das ja auch völlig in Ordnung, nur stießen hin und wieder noch ein, zwei Freundinnen dazu, dann tranken sie einen über den Durst, und es wurde ein bisschen laut. Über die Stränge schlugen sie nie, aber das Narcissus genoss einen gewissen Ruf als kulinarisches Erlebnis allererster Güte. Daher war das Letzte, was die Kunden oder der jeweilige Eigentümer wollten, eine Bande Zwanzigjähriger, die es ein wenig übertrieben und die Gäste störten, die sich einen Neunundvierzig-Dollar-Lammrücken und eine halbe Flasche Malbec zu siebenundfünfzig Dollar munden ließen.
»So übel ist sie sicher gar nicht«, sagte Paige, nahm den Eimer Mehl vom Tresen und ging damit zu dem riesigen Standmixer. »Vielleicht hat sie ihre Läden einfach fest im Griff. Was vermutlich bedeutet, dass ihre Restaurants gut laufen.« Sie machte sich daran, Mehl in einem Messbecher abzuwiegen.
Janes Miene verriet, dass sie nicht überzeugt war, und ihre Lippen wurden schmal. »Das glaube ich nicht. Ich meine, man kann einen Laden mit fester Hand führen oder wie ein Korinthenkacker; und ich glaube, sie ist eher Letzteres. Vergiss nicht, sie hat Tristan gefeuert.« Als sich hinter ihr jemand räusperte, schlug Janet sich die Hand vor den Mund, um zu verbergen, dass sie vor Schreck nach Luft schnappte. »Marcelle, wie schön, Sie wiederzusehen!«
Paiges Kopf ruckte hoch; sie blickte vom Einschaltknopf des Mixers auf, an dem sie gerade noch herumgefummelt hatte, und sah sich einer Frau aus ihrer Vergangenheit gegenüber.
Besser gesagt, einer Zicke aus ihrer Vergangenheit.
Marcy Thibodeaux, der Fluch ihrer Schulzeit, von der Grundschule bis zur Highschool. Das Mädchen, das Paiges Leben zwölf beschissene Jahre lang in einen Alptraum verwandelt hatte.
»Paige!«
»Marcy!«
Marcy schaute verkniffen, ihre kalten blauen Augen blitzten. »Marcelle, ich nenne mich jetzt Marcelle.«
Paige schluckte. »Na dann.«
Marcelle ließ die hohen Absätze ihrer schwarzen Slingpumps über den gekachelten Küchenboden klappern. »Hat Jane dir nichts gesagt? Ich bin die neue Besitzerin.«
Die neue Besitzerin.
Marcy Thibodeaux, das gemeinste aller gemeinen Mädchen auf der Lakeside School, das Paige gequält hatte von dem Tag an, als sie Puzzles auf dem Fußboden des Kindergartens legten, bis zu ihrem ersten Jahr an der Highschool, als sie sich als Cheerleader versuchten, war ihre neue Chefin.
Tief durchatmen. Sehr, sehr tief durchatmen.
Marcelle lächelte, auch wenn jeder deutlich sehen konnte, dass kein Jota Aufrichtigkeit darin lag. »Mir war schon so, als hätte ich deinen Namen auf dem Belegschaftsplan erkannt. Aber dann dachte ich, die kleine Paigey McFatson kann unmöglich Köchin geworden sein. Ich habe immer geglaubt, du heiratest und kriegst einen Haufen Kinder.«
Paige kämpfte gegen den Drang an, vor der Unzahl der auf sie abgeschossenen Pfeile in Deckung zu gehen. »Ich bin Patisserie-Köchin und habe eine Tochter.«
Marcy rümpfte die Nase. »Nur eine? Habe ich nicht Gerüchte gehört, du wärst wieder schwanger?«
Paige schluckte. »War ich auch.«
In Marcys Gesicht dämmerte Begreifen, doch ganz wie Paige es erwartete, zeigte sich in ihren Augen nicht das geringste Mitgefühl oder Erbarmen.
Aber sie wollte von dieser Frau weder das eine noch das andere. Sie wollte nicht einmal mit ihr im selben Raum sein, geschweige denn für sie arbeiten.
Marcy tippte mit ihren langen, spitzen, glänzend schwarz lackierten Fingernägeln auf die Rückseite des Tabletcomputers, den sie an ihre Brust gedrückt hielt. »Nun denn, ich gehe jetzt nach oben in mein Büro. Ich werde mich in den nächsten Tagen mit jeder und jedem aus der Belegschaft zusammensetzen, um Rentabilität, Planung und meine Erwartungen zu besprechen.« Sie streckte die Hand aus und wischte über eine Arbeitsfläche, und an ihrem Finger blieb eine dünne Staubschicht zurück – offensichtlich Mehl. Selbstverständlich. Sie stand hier in der Patisserie-Abteilung der Küche und zudem direkt neben dem Mixer. Und dort lag nun mal Mehl in der Luft. Doch diese Logik schien sich Marcy nicht zu erschließen, sie fixierte Paige und Jane mit angewidertem Blick. »Hier muss sich einiges ändern. Tristan war mehr daran interessiert, euer Freund zu sein als euer Boss.« Sie richtete ihren Blick auf Paige. »Und ich habe schon genug Freunde.«
Lakaien, die einen fürchteten, waren etwas anderes als Freunde.
Paige war nicht sicher, ob Marcy den Unterschied inzwischen besser kannte als während ihrer gemeinsamen Schulzeit.
Paige und Jane warteten, bis Marcy gegangen war, ehe sie auszuatmen oder sich auch nur zu rühren wagten. Dann zählte Paige in Gedanken bis zwanzig – so lange brauchte, wie sie wusste, ein Durchschnittsmensch von der Küche über die Treppe nach oben und den Gang hinunter bis ins Managerbüro –, bevor sie sich schüttelte.
»Warum zum Teufel hast du mir nicht früher von der neuen Chefin erzählt?«, fauchte sie, am ganzen Körper zitternd. »Was ist plötzlich aus uns als Familie geworden?«
Jane machte große Augen. »Hab ich doch, ich hab dir am Samstag eine Nachricht geschickt, nachdem Tristan sie uns vorgestellt hatte. Ich hab dir doch gesagt, dass ich dir geschrieben habe.« Sie griff nach ihrem Handy, ihre Finger flogen über das Display. »Da, schau – oh, Mist.« Ein Ausdruck von Schuldbewusstsein flog über ihr Gesicht. »Ich hab vergessen, die Nachricht abzuschicken. Fuck!« Ihre Hände fielen herab und schlugen gegen ihre Beine. »Es tut mir so leid, Paige. Ich dachte, ich hätte dir Bescheid gegeben. Ich hab mich schon gewundert, warum du nicht antwortest, aber dann ist mir eingefallen, dass du deinen Tanzauftritt hattest, und da dachte ich, dass du einfach damit beschäftigt warst.« Sie ging zu dem Großmixer und schaltete ihn ein. Das Winseln der Rührstangen in der Schüssel, die den Teig für Paiges berühmten Sandkuchen mit weißer Schokolade verrührten, erfüllte die Küche. »Woher kennt ihr zwei euch überhaupt?«
Paige zitterte noch immer. Sie versuchte die richtige Menge weißer Schokolade in den Doppelkessel zu geben, aber ihre Hand war nicht ruhig genug, so dass Schokostückchen über den Rand und auf den Boden fielen.
Jane eilte zu ihr und nahm ihr den Messbecher ab, dann schaltete sie den Herd ab. »Komm mit.« Sie ergriff Paiges Hand und führte sie den schmalen Gang entlang zum Kühlraum, einem der wenigen Räume im Gebäude, die, wie sie wussten, nicht von Überwachungskameras erfasst wurden. Der einzige Ort hier, an dem sie ganz unter sich miteinander reden konnten. Das wussten sie, seit Tristan dahintergekommen war, dass eine der Spülhilfen eine leidenschaftliche Affäre mit einem Schnapslieferanten unterhielt und es im Kühlraum mit ihm krachen ließ, im einzigen Winkel, wo sie niemand beobachten konnte.
Als Jane die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, schlang Paige fröstelnd die Arme um ihren Leib. Obwohl es Juli und draußen brütend heiß war und obwohl in der Küche gewöhnlich ein absolutes Inferno herrschte, war ihr in dem Augenblick, als sie sich der Teufelin ihrer Vergangenheit gegenübersah, Eiseskälte in die Knochen gefahren.
»Okay, raus damit.« Jane verschränkte die Arme vor der Brust. »Wer ist die Frau?«
Paige schluckte. »Sie ist mein absoluter Alptraum.«
Drei Tage nach dem Kunstfestival saß Mitch abends an dem Schreibtisch, den sie in eine Ecke der Küche gequetscht hatten, vor sich eine Flasche Bier. Er hatte das kleine Dreizimmerhaus vor etwas weniger als einem Jahr zusammen mit seiner Schwester Violet gekauft, nachdem sie ihre jeweiligen Ehepartner verloren hatten und wieder nach Seattle gezogen waren. Violet ging ihm seither bei der Erziehung seiner sechsjährigen Tochter Jayda zur Hand, und alle drei versuchten einen Neuanfang in der Stadt, in der Mitch und Violet groß geworden waren.
Er verspürte einen dumpfen Schmerz im Nacken und neigte den Kopf von einer zur anderen Seite, um sich ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Er hasste es, in so einer betriebsamen und beengten Umgebung zu arbeiten: an einem winzigen Schreibtisch, davor ein Klappstuhl, beides in den hintersten Winkel der Küche gequetscht, wo das Licht einfach furchtbar war. Kein vernünftiges Arbeitsumfeld für einen Berufsfotografen.
Das Schlurfen der schwesterlichen Hausschuhe hinter ihm wurde lauter, dann spürte er ihre Hand auf seiner Schulter. »Ist das Paige?«
Mist!
Gut fünf Minuten lang hatte er auf eines der Bilder gestarrt, die er von Paige gemacht hatte. Er hatte das Licht um sie herum ein wenig angepasst und den Glanz der Nachmittagssonne auf ihrer Wange abgemildert, darüber hinaus hatte er nichts an dem Foto verändern müssen. Hatte nichts an Paige verändern müssen. Sie war perfekt.
»Sie ist wunderschön«, sagte Violet bewundernd. »Sieh dir nur mal an, wie sie ihr Bein hebt. Man würde in einer Million Jahren nicht denken, dass sie noch Anfängerin ist und erst seit ein paar Monaten tanzt.«
Mitch schluckte. »Ja.«
»Eine tolle Aufnahme. Cool, dass sie so nah bei dir am Bühnenrand steht. Sie schaut sogar direkt in die Kamera. Solche Momente erwischt man nicht oft. Und meistens funktioniert es sowieso nicht. Das sieht dann nur gestellt aus, wie bei einem Titelbildmodell. Aber das da haut hin!«
Und wie, zum Teufel!
Doch er bezweifelte, dass Paige überhaupt ein schlechtes Bild abgeben könnte. Diese Frau war für die Kamera geschaffen. Ihr Knochenbau, ihre Figur, ihre ausdrucksvollen Augen. Fotografen suchten Jahre, wenn nicht ein ganzes Leben, nach einem derart fotogenen Motiv, nach jemandem, der sich vor der Kameralinse derart natürlich gab.
Und ihm war sie praktisch in den Schoß gefallen.
»Was für Haare hat sie?«
Oh, fuck, er hatte das nicht laut fragen wollen.
Sie hatte ihr Haar zu einem Ballerinaknoten hochgesteckt getragen, wie es in der Tanzschule vorgeschrieben war, doch er würde sein Geld verwetten, dass Paige mit offenen Haaren noch tausendmal aufregender aussehen würde. Und die Frau sah schon mit hochgesteckten Haaren brandheiß aus! Dieser lange, schlanke Hals. Die sahneweiße Haut.
»Warum?«
»Warum was?« Er drehte sich auf seinem Stuhl um und sah, dass seine Schwester ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue skeptisch musterte. Neugierde lag in ihren Augen, die vom gleichen Grün waren wie seine.
»Warum willst du wissen, wie ihre Haare aussehen?«, fragte Violet, schob eine Hüfte vor und warf ihr sandfarbenes Haar über die Schulter. »Stehst du auf sie, oder was?«
Mitch hob eine Schulter, ehe er sich wieder dem Computerbildschirm und Paiges Gesicht zuwandte. »Ich kenne sie doch gar nicht.«
»Aber du würdest sie gern kennen.«
»Ich würde sie gern noch mal fotografieren. Mit offenen Haaren. Sieht aus, als hätte sie Locken.«
Er mochte es, wenn Frauen Locken hatten. Besonders, wenn die Locken ihre Persönlichkeit widerspiegelten – wild und unbezähmbar. Und auch wenn er in Paige nicht gerade Wildheit erkannte – jedenfalls noch nicht –, so verrieten ihm die Fotografien einer Person doch sehr viel, und Paige sah er deutlich an, dass sie an tiefen Wunden litt. Verborgene Wunden, die ihr Feuer dämpften, doch in ihrem Innersten lebte ein ungestümer Geist voller unglaublicher Leidenschaft. Sie war kein Mauerblümchen, auch wenn sie so tat; es war der Schmerz in ihr, der sie in die Schatten trieb. Wie eine verwundete Tigerin war sie noch immer eine Kämpferin, noch immer am Leben. Und allmählich heilend.
Mit berechenbaren Frauen hatte er noch nie etwas anfangen können. Mit Frauen, die sich immerzu anpassten. Er bevorzugte Frauen, die keine Angst davor hatten, hin und wieder eine Regel zu brechen. Die nicht davor zurückschreckten, die Schuhe auszuziehen und in einem Brunnen zu tanzen.
Das Herz zog sich ihm in der Brust zusammen. Gott, wie er Melissa vermisste.
Eher schüchtern und mit einem Abschluss in Englischer Literatur, hatte auch sie einen Hang zur Wildheit besessen. Mehr als einmal hatten sie die Zügel schießen lassen, alle Bedenken in den Wind geschlagen und sich nicht von ihren Hemmungen übermannen lassen.
Der Anflug eines Lächelns zupfte an seinen Mundwinkeln, als er an ihr kleines Nacktbadeabenteuer kurz vor Melissas Unfall dachte. Ihre Nachbarn ein paar Türen weiter, in Arizona, wo sie damals lebten, hatten einen Pool gehabt, und da sie wussten, dass Rich und Rhonda an dem Abend schon zu Bett gegangen waren, hatten Mitch und Melissa nach einem Restaurantbesuch noch einen kleinen Abstecher auf das Nachbarsgrundstück gemacht, um textilfrei im Dunkeln schwimmen zu gehen.
Das war eine der schönsten und denkwürdigsten Nächte ihres Lebens gewesen.
»Sie hat Locken.«
Violets Stimme hinter ihm holte ihn in die Gegenwart zurück, die Erinnerung an die Vergangenheit tat ihm noch im Herzen weh. Es tat sogar weh, an die guten Zeiten und die wunderbaren Momente zu denken, die sie miteinander geteilt hatten.
»Ihre Haare sind so wie die von Mira. Willst du das Foto ausdrucken und ihr schenken?«
Mitch nickte beiläufig. »Ja, ich finde, sie sollte es unbedingt haben.« Ungeachtet der Tatsache, dass sie sich selbst für nicht gut genug hielt und sein Angebot am Samstag abgewiesen hatte. Die Frau hatte offenbar keine Ahnung, wie schön sie war oder wie unfassbar gut sie tanzte. Aber Mitch wollte es ihr beweisen.
»Ich kann es ihr morgen im Tanzkurs geben«, bot sich Violet an.
Mitch zoomte Paiges Gesicht heran. Ihre ausdrucksvollen hellbraunen Augen, der goldene Schimmer um die Pupillen. Sie lächelte nicht. Nein. Da war so viel Traurigkeit. Schmerz und ein Leid, das ihn aus dem Bildschirm ansprang und tief in seine Brust eindrang.
»Ich gebe es ihr selbst«, sagte er leise. »Ich will mir ihr sprechen.«
Es war ein warmer, gewittriger Mittwochabend. Der Wind hatte den Rauch der Waldbrände weiter im Süden nordwärts geblasen, so dass die ganze Stadt in einen dichten, gelblichen Nebel gehüllt war. Mitch kam sich vor, als hätte er den Tag in Sepia verbracht, und auch seine Lunge war nicht allzu glücklich über die Lage.
Emmett, einer der Väter aus der Pokerrunde, war mit seiner Tochter Josie, die alle nur JoJo nannten, bei Mitch aufgetaucht und hatte vorgeschlagen, die Mädchen zum Eisessen zu entführen. Jayda und JoJo hatten sich am Wochenende beim Kunst-Festival sehr gut verstanden; Jayda war begeistert, mit ihrer neuen Freundin Eis essen gehen zu dürfen. Und Mitch nutzte die Gelegenheit eines unerwartet kinderlosen Abends, um ins Tanzstudio zu fahren, weil er sich sicher war, Paige dort zu treffen.
Auf dem Parkplatz standen mehrere Fahrzeuge, darunter auch der Fiat seiner Schwester. Er sah auf die Uhr; der Kurs endete in fünf Minuten.
Damit es nicht so aussah, als würde er Paige auflauern, mäßigte er seine Schritte, schob die Hände in die Taschen seiner Shorts und schlenderte an der Ladenzeile entlang, in der Violets Tanzstudio lag. Da entdeckte er die beiden »Zu vermieten«-Schilder in den Schaufenstern zweier angrenzender Geschäfte.
Er legte die Hände an die Augen, drückte die Nase ans Schaufensterglas und spähte hinein. Dahinter lag ein tiefer Raum, ein Lager vielleicht, und etwas, das eigentlich nur ein Bad sein konnte. Der Raum lag im vollen Licht der Abendsonne, und er erkannte eine Tür, die in den leer stehenden Raum nebenan führte. Er ging ein paar Schritte weiter und lugte in die nächste Einheit.
Ein ehemaliges Restaurant.
Der Raum war kleiner als der erste Leerstand, was jedoch nicht hieß, dass er nicht angemessen groß wäre. Entlang der rechten Wand erstreckte sich eine große professionelle Küche mit einer großen Edelstahlarbeitsfläche und genug Platz für Kühlschrank, Gefriertruhe und Herd.
Er konnte sich nicht erinnern, welches Restaurant sich vor der Schließung hier befunden hatte, also war es wohl nicht erinnerungswürdig gewesen.
Aber Violet würde sich vermutlich erinnern.
Er griff nach seinem Handy und machte rasch ein Foto von der Telefonnummer des Grundstücksmaklers und den Informationen. Er wusste noch nicht recht, was er damit wollte, aber die Zahnräder in seinem Schädel hatten zu arbeiten begonnen.
Da lenkte das Läuten eines Glöckchens seine Aufmerksam von den Leerständen ab. Der Tanzkurs war vorbei, die Schülerinnen kamen heraus.
Er beschleunigte seine Schritte und lief Richtung Tanzstudio. Er griff gerade nach der Tür, als ein Gestöber dunkler Haare seine Brust traf.
Sie hatte wohl nicht darauf geachtet, wo sie hinlief, sondern hielt den Kopf gesenkt und schaute auf das Handy in ihrer Hand.
»Oh, Verzeihung«, murmelte sie, ohne aufzublicken.
»Paige?« Er wusste längst, dass sie es war. Sie duftete genauso lieblich nach Vanille wie am Samstag.
Langsam hob sie den Kopf, und als sie ihn erkannte, wurden ihre braunen Augen groß. »Oh … hallo.«
Sie lächelte nicht, aber das spielte keine Rolle. Sein Lächeln war breit genug für sie beide. Er hatte gewusst, dass sie mit offenem Haar umwerfend aussehen würde – und er hatte sich nicht geirrt. »Hey!«
Sie wollte an ihm vorbei, doch er trat ihr in den Weg. Allerdings nicht auf gruselig aufdringliche Weise. Mehr so auf die peinliche Weise, als hätte er gedacht, sie wollte links vorbei, so dass er nach rechts auswich, und andersrum.
Glucksend stieg ihm ein Kichern in die Kehle, aber sie stieß ein frustriertes Seufzen aus, fast ein Knurren.
»Sorry«, sagte er lachend.
Sie stieß die Luft aus. »Kein Problem.« Mit einem großen Schritt trat sie um ihn herum und machte sich auf den Weg zu ihrem Auto.
Mitch setzte ihr nach. »Paige, haben Sie einen Moment Zeit?« Er wollte schon die Hand nach ihrem Arm ausstrecken, doch als sie abrupt stehen blieb und ihn anfunkelte, schob er die Hände in die Hosentaschen und wich einen Schritt zurück.
»Nein«, knirschte sie, wandte sich abermals ab und setzte ihren Weg zum Parkplatz fort.
Er ging ihr nach. »Warum nicht?«
»Darum nicht.«
»Das ist keine richtige Antwort.«
»Tja, reichen muss sie trotzdem, denn mehr kriegen Sie von mir nicht.«
Er schnaubte. »So können nur Eltern sprechen.«
Sie kamen zu einem hübschen, kleinen, sportlichen Mazda 3. Sie drückte den Schlüsselanhänger, und der Wagen entriegelte sich, dann wirbelte sie zu ihm herum. »Sie kommen gerade ein bisschen aufdringlich rüber, Sportsfreund. Lassen Sie mich in Frieden! Wie würde es Ihnen gefallen, wenn sich ein Kerl Ihrer Tochter so nähern würde?«
Mitch blinzelte überrascht und wich gleich mehrere Schritte zurück. Fuck, sie hatte ja recht! Er benahm sich wie einer dieser Vollidioten, die ein Nein nicht akzeptierten. Wie die Sorte Vollidioten, die ihm nachts den Schlaf raubten vor lauter Angst um Jayda, die Sorte Vollidioten, vor denen er sie zu beschützen geschworen hatte.
Mitch strich sich übers Gesicht, dann fuhr er mit den Fingern durch seine Haare. »Mist, Sie haben recht. Es tut mir leid.«
Ihre Lippen wurden schmal. »Ich bin nicht interessiert, okay? Bitte akzeptieren Sie das einfach!«
Er hob beide Hände. »Ja, gut, mache ich. Keine Dates, keine Anmache.«
Ihr Blick wurde etwas milder, und sie nickte ihm knapp zu. »Danke.«
»Allerdings bin ich hergekommen, um mit Ihnen über etwas anderes zu reden.«
Sie legte den Kopf ein wenig schräg und kniff misstrauisch die Lider zusammen. »Und das wäre?«
Er zog den großen braunen Umschlag unter seinem Arm hervor und hielt ihn ihr hin, allerdings ohne näherzukommen. Er wollte ihr nicht noch einmal zu nahe treten. Wenn Sie es wollte, musste sie den Abstand zwischen ihnen verringern. »Sie haben gesagt, Sie wollten keine Fotos von sich sehen, aber, na ja, ich finde, dieses Foto müssen Sie sich anschauen.«
Neugier erschien auf ihrem Gesicht. Zögernd kam sie ein paar Schritte auf ihn zu und griff nach dem Umschlag, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass sich ihre Hände nicht berührten. Sie öffnete vorsichtig den Umschlag, zog die Fotografie heraus, die Mitch inzwischen zu einem Schwarz-Weiß-Bild umgewandelt hatte, und schlug die Hand vor den Mund.
»Sie mögen sich nicht für begabt halten, aber das sind Sie. Ich habe noch nie jemanden wie Sie fotografiert, mit solcher Ausdruckskraft und derart ungefilterten Emotionen. Man konnte am Samstag sehen, dass Sie ihre ganze Seele in Ihre Darbietung gelegt haben. Ich weiß nicht, was der Gegenstand Ihres Tanzes war, welche Gefühle und Erinnerungen Sie damit ausdrücken wollten, aber ich weiß, dass es schmerzliche Erinnerungen waren.«
Tränen traten ihr in die Augen, und die Hand, die ihren Mund verdeckte, erstickte ein plötzliches Schluchzen. Sie hatte ihn noch immer nicht angesehen, aber er sah, dass sie zu zittern begann.
Mitch wäre nur zu gern zu ihr geeilt, nicht, weil er sich zu ihr hingezogen fühlte und sie kennenlernen wollte, sondern weil er erkannte, dass etwas sie quälte. Und er wollte sie von ihrem Schmerz befreien.
»Verstehen Sie das jetzt bitte bloß als das Kompliment, das es sein soll: Sie sind das Modell, nach dem ich schon meine gesamte Laufbahn lang suche. Ich habe Hunderte, wenn nicht Tausende Menschen fotografiert, aber jemand wie Sie ist mir noch nie begegnet. Wenn Sie dazu bereit wären, würde ich Sie liebend gern wieder fotografieren.«
Endlich hob sie den Kopf. Ihre Augen blitzten, auch wenn Tränen darin glänzten.
Er trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. »Nichts Sexuelles, ich schwöre, Sie können dabei anziehen, was Sie wollen. Einen Overall, einen Blaumann, meinetwegen einen Parka.«
Das Blitzen ihrer Augen ließ nach.
»Denken Sie nur mal darüber nach, okay? Wenn Sie eine Arbeitsbeziehung, eine geschäftliche Transaktion vorziehen, kann ich Sie natürlich auch bezahlen.«
Ihr Blick ließ ihn los und flog zurück zu dem Foto in ihrer Hand. »Wie sehr mussten Sie das bearbeiten?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe den Hintergrund unkenntlich gemacht, den Sonnenglanz von ihrer Wange entfernt und die Schattierung um Ihren Kopf ein wenig aufgehellt, mehr nicht. Sie selbst habe ich nicht angerührt; das musste ich gar nicht. Sie sind perfekt.«
Ein Seufzen entrang sich Paiges Lippen, und ihre Schultern sackten ab. »Danke hierfür und für Ihr Angebot. Es ist sehr schmeichelhaft, aber ich muss leider ablehnen. Ich bin kein Fotomodell.«
Neugier übermannte ihn. »Was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?«
Es war, als hätte sie eine riesenlange Nadel hervorgezaubert und die schützende Blase, in die sie sich hüllte, zum Platzen gebracht. Es war eigentlich nicht wahrnehmbar, trotzdem bemerkte Mitch die Veränderung sofort. Sie hatte plötzlich keine Angst mehr vor ihm.
»Ich bin Patisserie-Chefköchin im Narcissus.«
Sein Magen begann zu knurren, als hätte er Ohren.
Mitch war ein unverbesserliches Leckermaul. In seinem Auto lagen ungefähr drei Tüten Chinesische Datteln, alle geöffnet, damit sie schön alt und zäh wurden und ihm, während er seine Kaumuskeln trainierte, beinahe die Zähne ausrissen.
Er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, also nickte er nur und sagte: »Sehr cool.«
»Am liebsten mache ich Kuchen und Konfekt. Mit einer Spritztüte in der Hand und Mehl auf den Wangen. Aber ich gehöre nicht vor eine Kamera.«