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OH DU FRÖHLICHE, BESINNUNGSLOSE ZEIT – WEIHNACHTEN IM HAUSE BIERMÖSEL Der Biermösel trotz mit immensen Zahnschmerzen den gewaltigen Schneestürmen im Ausseer Land. Ein Goldhaubendiebstahl und ein aufgebrochener Opferstock in der Kirche begleiten ihn Richtung Weihnachten: "Einmal, Kruzifix, einmal nur, dass auch ihn die gewisse vorweihnachtliche Stimmung ummanteln und er sich von Strass und Lametta blenden lassen könnte! Einmal nur, Kruzifix, einmal nur, dass ihm das Weihnachtsfest nicht komplett aus dem Ruder laufen und sich zu einem einmaligen Fest der Verheerungen auswachsen täte!" ************************************************************************************* "Das ist eines der unappetitlichsten Bücher, die ich kenne." Ein empörter Buchhandelskunde "Wie von Manfred Deix geschrieben!" Herr Karl "Hinaus mit dem Schuft!" Herr Norbert "Nestbeschmutzung!" Herr Herbert "Primitiv! Widerlich! Ganz dickes Pfui!" Frl. Anne-Sophie "Der Papa liest es am Klo. Die Mama sagt, da gehört es hin." Marcel, 5 Jahre "Voll frauenfeindlich!" Jessica "Unbedingt an der Grenze stoppen!" Herr Lang
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Seitenzahl: 293
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Manfred Rebhandl
Löcher, noch und nöcher
Der zweite Biermösel-Krimi
Für Tina und Coco
Einmal, Kruzifix, einmal nur, dass auch ihn die gewisse vorweihnachtliche Stimmung ummanteln und er sich von Strass und Lametta blenden lassen könnte!
Einmal nur, dass auch er den Heiligen Abend mit einer rassigen Schönheit auf dem Schaffell vor ihrem offenen Kamin verbringen und dabei Lebkuchen mit Streusel essen könnte! Einmal nur, dass er nicht stattdessen immer als Einziger alleine unterm Christbaum herumliegen muss, komplett besoffen und einsamer noch als der Herr Jesus Christus zu Ostern oben am Kreuz!
Oder einmal wenigstens, dass er den weihnachtlichen Bereitschaftsdienst rechtzeitig an den Grasmuck abtreten könnte! Einmal nur, dass er dann das letzte Fenster am Adventkalender von der Schnapsmanufaktur Tötschinger erst am 24. aufreißen und den Jackpot in Ruhe zwitschern könnte! Einmal nur, dass er dann von allen Sorgen befreit den Posten zusperren und zur Weihnachtsgans im Auerhahn hinüberfahren könnte, die selbstverständlich ein Weihnachtsschweinderl ist, was denn sonst! Dann noch sieben, acht Besoffene Kapuziner mit viel Schlag zum Drüberstreuen, weil ihm die katholische Symbolik gerade zu Weihnachten schon auch sehr wichtig ist. Anschließend der Roswitha noch den Beschwerdekatalog vorgetragen anstatt dem Evangelium nach Matthäus. Dann hinauf in die Schlafkammer, wo als Betthupferl der Lebkuchen auf ihn wartet, und endlich im Halbkoma zufrieden einschlafen, Herrgottnocheinmal, so schaut ein perfekter Heiliger Abend aus, genau so.
Einmal, Kruzifix, einmal nur, dass ihm das Weihnachtsfest nicht komplett aus dem Ruder laufen und sich zu einem einmaligen Fest der Verheerungen auswachsen täte! Einmal nur, dass der Komet in die Punschhütte vor der Kirche einschlagen und alle dort versammelten blondierten Trotteln und toupierten Trampeln mit in den Abgrund reißen könnte! Einmal nur, dass die richtigen Leute zu Weihnachten im zugefrorenen See absaufen und nicht immer die falschen!
Oder einmal wenigstens, dass die depperte Seebachwirtin anklopfen täte, bevor sie ungefragt zu ihm auf den Posten hereingeschneit kommt und ihn aus seiner vorweihnachtlichen Ruhe reißt! Einmal nur, dass sie sich dabei die Stiefel auszieht und nicht den ganzen Dreck hereinschleppt und alles überschwemmt! Einmal nur, dass sie dann nicht mit ihren Fingern vor seinem Gesicht herumfuchtelt und hysterisch schreit wie die von den komplett rücksichtslosen Jägern angeschossene Wildsau, nur weil sie schon wieder ein Problem hat:
„Biermösel! Die Rotwildproblematik drüben an der langen Geraden im Silbertannenwald!“
„Was ist mit der?“
„Dort wird noch was Schreckliches passieren, das prophezeie ich dir!“
„Und wie kommst du drauf, du Prophetin?“
„Weil die Hirschkühe und Bambis dort alle als Ragout auf der Straße kleben, noch bevor die Jäger sie überhaupt abknallen können!“
„Und warum ist das so?“
„Weil es dort dauernd zu furchtbaren Kollisionen zwischen Autos und dem ungeschützten Rotwild kommt!“
„Und seit wann ist das so?“, kichert der Biermösel, der genau weiß, warum und seit wann das so ist.
„Seit du im Spätherbst den 18-Ender und Anführer vom Hirschrudel erschossen hast, du gottloser Geselle, im Blutrausch und in der Komplettrage!“
„Und weiter, Herrgottnocheinmal!“
„Das ist nicht der Sinn dahinter!“
„Und was wäre der Sinn dahinter?“
„Dass wir Wirten den Gästen ein frisches Wildbret auftischen können!“
„Was aber wäre der Sinn dahinter“, fragt der Biermösel ruhig, „wenn ihr depperten Wirten den Gästen ein Wildbret auftischen könnt, wo doch die Roswitha drüben im Auerhahn den Schweinsbraten zu immer neuen und immer lichteren Höhen führt?“
„Red nicht so blöd daher, Biermösel!“
„Fall um und stirb, Seebachwirtin!“
Der Biermösel sitzt auf seinem Musentempel am Gendarmerieposten in Aussee herüben und gibt sich der Muse hin, so wie er sich in den letzten Jahren immer wieder und immer häufiger der Muse hingegeben hat. Am Anfang von seiner beispiellosen Karriere zwar auch schon sehr oft, aber noch nicht so oft wie jetzt in diesen besinnlichen Tagen vor Weihnachten. Wenn die Gendarmerie nämlich jung ist, dann jagt sie draußen in der frischen Luft die Volksgesundheit im Breitensport und scheißt auf die heimelige Besinnlichkeit vor Weihnachten. Sobald die Gendarmerie dann aber alt und buckelig geworden ist, frisst sie immer unmäßiger und trinkt sie immer häufiger in extremis, sodass sie in der Folge praktisch dauernd und nicht einmal ungern am Klo sitzen bleiben muss und sich der Muse hingibt, na gut, denkt sich der Biermösel und kratzt sich verschämt hinterm Ohrwascherl, jetzt kann er ja verraten, dass es sich um gar keinen richtigen Musentempel handelt, auf dem er so niedergeschlagen sitzt, sondern um sein Scheißhaus, aber zum Nachdenken hat er trotzdem genug.
In der gebeugten Denkerhaltung und mit dem Duftbaum von der Anni in der Hand, den sie ihm zum Abschied aufs Scheißhaus hereingehängt hat, in der klirrenden Kälte, die ihn da herinnen ummantelt, weil natürlich keiner an eine Heizung gedacht hat, wie sie den Gendarmerieposten vor hundert Jahren erbaut haben, da überlegt er zum Beispiel, warum in dieser Gegend die Winter eher immer noch kälter und immer noch länger werden, anstatt wie von der Wissenschaft vorhergesagt vielleicht doch einmal ein, zwei Monate kürzer und drei, vier Grad wärmer, mit dem 5-Volt-Heizstrahler unter seinem Arsch wird er jedenfalls Gevatter Tod nicht mehr lange draußen vor der Tür halten können. Kaum hat nämlich in dieser Gegend die Sonne einmal kurz den Zenit gestreift, macht der Biermösel jetzt die Sonne für einige seiner Probleme verantwortlich, geht die eigenwillige Dame auch schon wieder ihrer Wege und verabschiedet sich zu den Elefanten hinunter in den Süden, kaum hat sie einen kurzen Sommertag lang ein bisserl Vollgas gegeben, lässt sie ihn auch schon wieder im Stich, aber gut, denkt der Biermösel jetzt nicht nur positiv über die Sonne und die ganze übrige eigenwillige Damenwelt, lasst ihn doch alle miteinander einfach im Stich!
Gesundheitlich geht es ihm im Vergleich zur Herbstsaison auch noch ein bisserl schlechter, danke, ein bisserl schlechter geht es im Winter immer noch. Zu den ganzen depperten Problemen untenherum haben sich in letzter Zeit auch noch ein paar Probleme weiter nördlich hinzugesellt. Ein furchtbar zerstörter Schädel quält ihn seit einem ebenso fürchterlichen wie würdelosen Unfall zu Allerheiligen, der ihn verkehrt herum gekreuzigt an einer Vogelscheuche drüben im Acker vom Brunner-Bauern hat enden lassen. Fast wie der Erlöser selbst ist er dort oben gehangen, nur halt verkehrt herum, sodass ihn die Leute dann doch nicht als Religionsgründer angebetet haben und ihm nachgefolgt sind wie das Hirschrudel dem 18-Ender. Aber Herrgottnocheinmal, muss er sich erst einen Polster unter einen roten Wetterfleck stecken, sich einen weißen Bart wachsen lassen und dauernd „Ho! Ho!“ schreien, damit auch ihn einmal wer anbetet und ihm nachfolgt, wenigstens die kleinen Kinderlein?
Ein denkbar unwürdiger Ausklang von einer furchtbaren Herbstsaison war das jedenfalls, oder soll er sagen: ein denkbar unwürdiger Auftakt für eine nur umso furchtbarere Wintersaison? So kommt es dem Biermösel jedenfalls vor, seit bei ihm immer alles noch blöder läuft und er sich neuerdings sogar einbildet, dass er hin und wieder Stimmen hört. Also hat er sich nicht wundern dürfen, dass ihm der Doktor Krisper nach der eingehenden Untersuchung wegen dem Unfall tief in die Augen geschaut und ihn dann gefragt hat, ob sich bei ihm zur Grunddepression vielleicht auch noch die Winterdepression dazugeschoben hat oder ob das Problem tiefer liegt, „bist du vielleicht überhaupt schon ein Borderliner, Biermääässsel?“, hat er gefragt, und dann hat er ihm als einzig probates Mittel gegen die Borderlinerei die gelben Tabletten verschrieben, „gelb wie die Sonne müssen sie sein“, hat er versichert, „dann lacht die Welt dich wieder freundlich an!“
Aber der Biermösel rutscht nur immer noch schwerer auf seinem Musentempel herum, je mehr er von den gelben Tabletten frisst, und er versinkt nur immer noch weiter in seiner Klomuschel, je länger er jetzt mit seinen äußeren Adleraugen die sanitäre Räumlichkeit abtastet, während er gleichzeitig mit seinem inneren Adlerauge die Pläne für einen eventuellen Gesamtaus-und Umbau von seinem Musentempel entwirft, um den er, wie es heute ausschaut, sowieso nicht herumkommen wird, weil ihn zwar weiterhin keine von den rassigen Schönheiten dieser Erde auf ihrem Gabentisch unter dem Christbaum vorfinden möchte – was sein heimlicher Weihnachtswunsch wäre –, ihn aber die depperte Bundesregierung nicht und nicht aus dem Staatsdienst entlassen will, also Frage an Stararchitekt Wollatz:
„Was kann man tun?“
Der Biermösel überlegt, ob er den Zittergreis Wollatz nicht gleich anrufen und mit ihm möglichst noch vor Weihnachten einen Termin in Hinblick auf Planung von Um- und Ausbau von seinem Musentempel vereinbaren soll. Mit seinen 98 Erdenjahren auf dem Buckel wird bei dem dann auch nicht mehr die Hebamme schuld sein, wenn er vielleicht schon bald das Zeitliche segnet, keiner kann schließlich sagen, ob der hektische und nervöse Hochrisikolenker Wollatz bei seiner Fahrweise den Jopi Heesters noch überlebt.
Der Biermösel hätte dem Kurvenakrobaten seinen Führerschein schon längst abnehmen müssen, aber „eine Hand wäscht die andere“ ist seine bewährte Devise in Fragen der Führerscheinabnahme. Also will er dem Stararchitekten seinen Lappen trotz Alzheimer und Parkinson gerne lassen, wenn er ihm dafür beim Preis für den Um- und Ausbau vom Scheißhaus ein bisserl entgegenkommt und er ihm ein Billy-Regal hereinstellt für die Lagerung von den Spirituosen und eine geblümte Ausziehcouch gleich mit dazu, auf der er dann seinen Rausch ausschlafen kann. Das täte zwar auch noch keinen wohlduftenden Musentempel aus seinem Scheißhaus machen, räumt der Biermösel gerne ein, aber er täte wenigstens den ganzen Winter über nicht mehr hinausmüssen in die immer gewaltigeren Schneestürme, die jedes Jahr mit immer noch stärkerer Kraft über das Ausseerland hinwegfegen wie früher der schnelle Besen von der Anni über seinen Scheißhausboden. Wie das Eichhörnchen im dicken Baumstamm könnte er es sich da herinnen gemütlich einrichten und den langen Winterschlaf halten, der täte ihm so gut.
Der Biermösel steckt schon fast tiefer mit dem Arsch in der Muschel als die Kugel in der Kanone, als er noch einmal den abschlägigen Bescheid von der Frühpensionsversicherungsanstalt aus seinem Wetterfleck herauskramt, den er heute Früh vom Postler in Empfang genommen hat anstelle von einem sich erklärenden rosaroten Liebesbrief von der Anni, auf den er insgeheim gehofft hätte.
Den gewissen Ehrgeiz als Gendarmerie, der ihn früher stets ausgezeichnet hat (nebst allem anderen, das ihn stets ausgezeichnet hat), hat der Biermösel mit diesem Schreiben natürlich verloren. War es ihm in der Herbstsaison noch ein Anliegen, dass er Täter um Täter dingfest macht und solcherart doch noch Erwähnung in „Der Kriminalist“ findet, wäre es ihm jetzt ehrlich gesagt lieber, wenn das „Sex ohne Zensur“-Magazin über ihn als unumschränkten Beglücker der Frauen in Aussee berichten täte, über den Weiberhelden durch und durch, der auf dem weichen Schaffell von der Anni vor dem offenen Kamin herumliegt wie früher der Burt Reynolds. Aber gut, überlegt der Biermösel jetzt mit der gewissen Einsicht, die die Befunde vom Doktor Krisper und der gelegentliche Blick in den Spiegel mit sich bringen: Er ist halt nicht der Burt Reynolds, und die Anni hat auch keinen offenen Kamin, weil sie immer noch eine Putzfrau ist, wenn auch leider nicht mehr bei ihm. Also wird ihm auch dieser Traum nicht in Erfüllung gehen, weil natürlich auch jede andere Dame in Aussee lieber in den brennenden Christbaum hineinhüpft, bevor sie sich mit ihm vor den Kamin auf das Schaffell legt und fotografieren lässt.
Für den depperten Staatsdienst aber wird sich der Biermösel in Zukunft nicht mehr zerreißen. Vielmehr wird er die nächsten Jahre bis zur endgültigen Pensionierung danach trachten, dass er sich wie das Mikadostaberl überhaupt nicht mehr bewegen muss, und bis heute hat die moderne Architektur noch keinen Ort entworfen, in dem es sich so gut und ungerührt verweilen lässt wie auf der so genannten Herrentoilette, da muss er die moderne Architektur schon auch einmal loben.
Das Verbrechen, richtet der Biermösel daher einen mahnenden, wenn auch ungehörten Appell an die Verbrecherwelt da draußen, das Verbrechen soll ihm also jetzt lieber nicht blöd kommen und ihn zwingen, dass er seinen Musentempel verlassen und den Außendienst antreten muss. Er ist ja, damit das auch einmal klar ist, kein UNO-Radpanzer, der sich dauernd in die dreckigsten Höhlen der bürgerlichen Kleinfamilien hineinwagt und dort mit der Glock im Anschlag den Weihnachtsfrieden wiederherstellt. Er ist weiters kein UNO-Blauhelm, der vom Gebirgskamm herunter mit der angelegten Doppelläufigen über die Randale vor der komplett aus dem Ruder laufenden Punschhütte vor der Kirche wacht. Vielmehr ist der Biermösel nach all den schlechten Erfahrungen mit Weihnachten insgesamt der Meinung, dass keine Volksarmee der Welt die Verheerungen jemals wieder beseitigen wird können, die die Menschenkinder Jahr für Jahr zu Weihnachten anzurichten imstande sind, nicht einmal die Anni mit ihrem Putzfetzen und dem inneren und äußeren Furor könnte diese Verheerungen jemals wieder beseitigen, „Herrgottnocheinmal“, seufzt der Biermösel jetzt mit einer Träne im Knopfloch und dem Duftbaum in der Hand: „Anni! Anni! Warum hast du mich verlassen?“
Nach dem gewaltsamen Tod vom Mallinger im Spätherbst, der weiß Gott kein Heldentod war, hat der Biermösel sich in den buntesten Frühlingsfarben ausgemalt, dass er heuer zu Weihnachten auf ihr landen wird können, gerne auch für immer, als Held, der er war, nachdem er die herbstlichen Ermittlungen so erfolgreich zu Ende gebracht hat.
Allerdings ist ihm auch diese Hoffnung auf einen friedlichen Weihnachtsabend zu zweit so schnell zerstoben wie der Schweif hinterm Kometen. Während er selbst nämlich die Wochen seit dem verheerenden Überschlag im Krautacker auf seinem Musentempel verbracht und im schleichenden Dämmerzustand gelbe Tabletten in sich hineingefressen hat, hat sich über den Umweg Eislaufplatz unten am zugefrorenen See ein gewisser ortsbekannter Tunichtgut und Zahlenakrobat von der Ackerbau- und Viehzuchtbank mit Namen Kaltenböck Karli alias Jackpot Charlie zwischen ihn und die Anni geschoben, und wenn der Biermösel was überhaupt nicht leiden kann, dann sind das Zahlenakrobaten von der Ackerbau- und Viehzuchtbank, die Eislaufen können und sich zwischen ihn und die Anni schieben und jetzt statt ihm mit ihr auf dem Schaffell liegen und Lebkuchen essen, wohingegen er auch diese Weihnachten wieder alleine dastehen wird wie der Nordstern oben am weiten Himmelszelt in der winterklaren Abenddämmerung, das kann er wirklich überhaupt nicht leiden.
Wehmütig und immer wehmütiger schaut der Biermösel jetzt immer wieder den Duftbaum an, den ihm die Anni zum Abschied auf den Musentempel hereingehängt hat. Fehlt nur noch, dass sie ihm auch ein Schneegestöber mit der Staumauer in Kaprun als Weihnachtsgeschenk in den Ort seiner größten Niederlage hereingestellt hätte, kränkt er sich jetzt bitter, damit er sich auch zu Weihnachten und darüber hinaus jeden Tag daran erinnert, dass bei ihm damals der Damm gebrochen ist und er sich angebrunzt hat, wie er sie im Herbst am Scheißhaus hat packen wollen.
Freilich, nicht zuletzt wegen diesem kleinen Malheur versteht auch der Biermösel, dass ihn die Anni nicht haben will. Er täte sich auch nicht freuen, wenn er sich selbst unter dem Christbaum als Geschenk vorfinden täte. Er ist ja kein neuer Föhn oder eine fesche Strumpfhose, mit der man einer Frau eine Freude machen könnte, vielmehr gleicht er einem Indianerkanu mit 1000 Löchern drinnen, die bald auch der Doktor Krisper nicht mehr wird stopfen können.
Zufrieden aber ist er nicht mit sich, dass er neuerdings alles versteht und sich mit allem abfindet, dass er zu allem Ja und Amen sagt und ein richtig verweichlichter „Ich bin okay, du bist okay“-Typ geworden ist, seit er die Tabletten vom Doktor Krisper frisst, die dann noch nicht einmal imstande sind, seine gewaltigen Zahnschmerzen zu lindern.
„Aua!“, schreit der Biermösel auf einmal und hält sich die schmerzende rechte Wange. „Aua! Das tut so weh!“
Die ganze gesundheitliche Malaise wird nämlich noch zusätzlich durch ein besonders ungustiöses Schmankerl abgerundet. Was früher ein Eckzahn in seinem Mund war, ist heute eine Ruine, und in der stecken die Grammeln von den ganzen Schmalzbroten, die ihm die Roswitha in den letzten Tagen zwar ebenfalls immer distanzierter, aber ansonsten doch der häuslichen Routine folgend als Jause in den Rucksack gepackt hat. Sobald nämlich in dieser Gegend die Temperatur im Spätsommer auf unter 15 Grad fällt, lässt sich der Biermösel von der Roswitha immer die dreifache Ration Schmalzbrote einpacken, weil wie der Eisbär im kalten Polar natürlich auch er bei der klirrenden Kälte während der langen Fahrten auf seiner Fips durch das bitterkalte Ausseerland mehr Fettreserven verbrennt als die Giraffe unter der hoch stehenden Sonne des Südens. Er und der Eisbär sind sich halt überhaupt in vielem sehr ähnlich, vergleicht sich der Biermösel gerne mit den Kronen der Schöpfung, nur dass er persönlich den Lachs ablehnt und das Schwein vorzieht, da sieht er wirklich keine Ähnlichkeit zwischen sich und dem Eisbären, da bleiben sie sich auf ewig fremd und unversöhnlich.
Wie der Biermösel auf seinem Musentempel schon ganz in der Muschel zu versinken droht; wie ihm schön langsam auch die Äuglein zufallen, weil ihn die Last der Erinnerung an die schönen Zeiten mit der Anni gar so niederdrückt; wie er sich langsam seinem ganz persönlichen Gefrierpunkt samt Gefriertod nähert, der allerdings laut dem Doktor Krisper mit einer der schönsten Abgänge überhaupt sein soll; wie er sich also im Prinzip schon darauf freut, dass er von den Zehenspitzen herauf langsam einfriert und als Eisskulptur das Zeitliche segnet, da poltert es schon wieder an der Tür, und der Biermösel fragt besorgt:
„Wer klopfet an?“
Sind es die Sternsinger, die ihm heuer in kompletter Abweichung von der weihnachtlichen Routine schon vor dem Heiligen Abend auf die Nerven gehen wollen? Das kann er sich dann eher nicht vorstellen, weil die verlässlich immer erst nach Heiligen Drei Könige auftauchen und ihm erst dann auf die Nerven gehen, bevor er sie ebenso verlässlich wieder hinausschmeißt, „Dort ist die Tür!“
Dann die Zeugen Jehovas vielleicht, die ihm wieder erklären wollen, dass auch für ihn noch alles gut ausgehen kann, wenn er sich nur ja bei der nächsten Operation kein neues Blut einfüllen lässt? Kann er sich auch wieder nicht vorstellen, weil die seine Nähe überhaupt meiden, seit er ihnen gepredigt hat, was er von ihrer Zeugenschaft hält und wie konfessionslos er durch und durch ist, also hat er auch bei ihnen seine Trompete ertönen lassen: „Dort ist die Tür!“
Vielleicht und hoffentlich ist es also doch die Anni im weißen Engelskostüm, die sich bei ihm entschuldigen will für ihren Fehltritt und spät, aber doch noch mit ihm wegfliegen möchte in Richtung gemeinsames Glück? Eine schöne Weihnachtsüberraschung wäre das, denkt sich der Biermösel, die erste in seinem Leben, über die er sich wirklich freuen täte.
Aber wie er schon die Mon Chéri aus dem Schreibtisch kramt und sich erwartungsvoll der Tür nähert und sie aufmacht, steht da draußen natürlich nicht die Anni, eingehüllt in ihren Citrus-Duft, sondern schon wieder die depperte Seebachwirtin, umweht von ihrem Zwiebelduft, und bevor er ihr die Tür auf die Nase schlagen kann, kommt die blöde Kuh schon wieder hereingeschneit und richtet mit dem vielen nassen Schnee an ihren Stiefeln wieder so eine Sauerei bei ihm an, dass er sich erst recht wieder nur nach der Anni sehnt.
„Meine Goldhaube!“, schreit die Depperte. Und wie er sie fragt, was mit ihrer Goldhaube ist, erzählt sie ihm, dass sie gestohlen worden ist, dass sie den Fetzen aber unbedingt braucht, und zwar am Heiligen Abend, weil sie da im Kirchenchor an vorderster Front „Stille Nacht“ singen muss, also soll er sich jetzt darum kümmern, „ich hab auch schon einen Anfangsverdacht, Biermösel!“
„Und zwar?“, schreit der Biermösel sie an.
„Die Jennifer, das eine Rotzmäderl von der Anni.“
„Und wieso die Jennifer!“
„Die hat eine Schnupperlehre als Zwiebelschälerin bei uns gemacht.“
„Und weiter!“
„Aber nur einen Tag lang.“
„Und dann!“
„Dann ist sie verschwunden.“
„Und jetzt?“
„Jetzt will ich, dass du dich darum kümmerst, Biermösel!“
„Dort ist die Tür!“, schreit der Biermösel, wie er sie mit der gebotenen Grandezza und dem harten Griff in den Nacken hinauskomplimentiert. Und nur weil er in der gewissen vorweihnachtlichen Geberlaune ist, schickt er ihr noch ein nettes Wort hinterher:
„Depperte!“
„Wer durch der Missgunst Brillen schaut, sieht Spinnen selbst im Sauerkraut“, denkt der Biermösel abschließend noch einmal nur negativ über die depperte Seebachwirtin, bevor er dann aber nur noch positiv über eine Schüssel voll mit Sauerkraut und einen Teller mit geselchtem Schweinefleisch dazu samt ein paar Grießknöderl denkt, das ist halt auch was ganz was Einmaliges.
Was ein Gendarm von seinem Format, mit seiner Erfahrung, mit seiner Brillanz und seiner Bilanz aber gar nicht brauchen kann, das ist eine radikalkatholische Wirtin, die untertags ungestraft Schnitzel mit Reis serviert, am Abend aber auf Forensikerin und Täterpsychologin macht und ungefragt Anfangsverdachtsmomente äußert, immer sind die Katholischen die Missgünstigsten, das weiß auch ein jeder, der sich wie er gerne ein bisserl mit dem Katholizismus beschäftigt und zum Beispiel Weihnachten nicht ohne Besoffene Kapuziner feiern möchte, je besoffener, desto besser, ganz ohne katholische Symbolik kommt halt in diesem Land auch er nicht aus.
„Greifst du den Scheißhaufen nicht an, dann stinkt er auch nicht“, hat ihm der alte Biermösel als erstes Gebot der Gendarmeriearbeit mit auf den weiteren Karriereweg gegeben, also wird er jetzt mit der Goldhaubenproblematik entsprechend verfahren und den Akt schließen, noch bevor er ihn überhaupt angelegt hat.
Jedoch muss er sich dabei schon ein bisserl ärgern, dass er der Erzkatholischen nicht gleich eine betoniert hat, „Ritsche-ratsche eine Watsche!“ wäre ein weiterer guter Rat vom Alten gewesen, den er aber leider nicht beherzigt hat!
Irgendwie hat er seit der Bruchlandung im Krautacker vom Brunner-Bauern und der anschließenden Behandlung beim Doktor Krisper den Punch verloren. Die äußerliche Umsetzung von der inneren Rage lässt seither gehörig zu wünschen übrig, aber ohne Extremrage macht das Leben überhaupt keinen Spaß!
Der Biermösel fragt sich also besorgt, wie er langsam vom Musentempel aufsteht und hinausgeht zum Schreibtisch: Ist denn der Liebeskummer alleine wirklich imstande, dass er ein gestandenes Gendarmenmannsbild wie ihn, einen Haudrauf und Rübezahl, wie nur noch der Don Camillo einer war, einen Zornbinkel der allerersten Güte und Abkömmling vom King Kong ganz und gar niederdrücken kann wie der späte Schnee im Frühling die ersten Knospen der Blumenwiese, ist denn das möglich?
Der Biermösel mag sich jetzt gar nicht mehr mit sich selbst versöhnen, weil er die Jennifer nicht gegen das Geschnatter von der Seebachwirtin und ihren Anfangsverdacht verteidigt hat wie die Löwin in der Savanne ihr Löwenbaby gegen die gierige Hyäne.
Er schämt sich tief in den Boden hinein, weil er der missgünstigen Drecksau nicht gleich gesagt hat, dass die Zwillinge von der Anni trotz gewisser Auffälligkeiten im Spätherbst, während der sie sich überraschend als Handtaschendiebinnen entpuppt haben, bei ihm sowohl für die Alarm- als auch für die Rasterfahndung tabu sind und sicher nicht als Verdächtige für einen Goldhaubendiebstahl in Frage kommen. Selbst wenn der Ede Zimmermann oben in Mainz sie zur Treibjagd freigeben täte, täte der Biermösel sie herunten in Aussee nicht jagen, weil er von ihrer Unschuld zutiefst überzeugt ist, das Wichtigste im Leben ist halt einfach die tiefe Überzeugung.
Was, bitte, hätte er sie fragen sollen, können denn die heutigen Jugendlichen dafür, dass ihnen keiner mehr unter die Arme greifen mag, außer der Doktor Krisper vielleicht, der schon den Lindbichler bei der Straßenmeisterei (dickes Plus!) und den Jackpot Charlie bei der Ackerbau- und Viehzuchtbank (dickes Minus!) untergebracht und auch den beiden Zwillingen nach ihrem Hinauswurf aus der Hotelfachschule drüben in Ischl infolge Ecstasy-Missbrauchs gerne und bereitwillig eine Schnupperlehre vermittelt hat. Die Manu sägt und schweißt heute brav und vorbildlich beim Eckert-Schmied im männerdominierten Beruf vom Werkzeugmacher am Metall herum, dass es eine Freude ist und die Funken sprühen und sie dabei hoffentlich was lernt, was sie einmal fürs Leben brauchen kann. Nur für die arme Jennifer ist dann leider nur der Bodensatz übrig geblieben, die Zwiebelschälerei bei der Seebachwirtin nämlich, vor der schon ganz andere Kaliber geflüchtet sind (wie im Spätherbst der Scheinasylant Mao Tse Tung nicht verwandt, nicht verschwägert). Aber für die Tochter von einer lustigen Putzfrau ist in diesen Tagen scheinbar nicht mehr drinnen, wo die Heuschrecken aus der Wirtschaft die Sonne verfinstern und jeden entlassen, der nicht Vorstand oder Aufsichtsrat oder Gesamtbetriebsrat heißt. Nur ihn alten Trottel will der Gesetzgeber nicht und nicht aus dem Staatsdienst entlassen. Einmal mehr bereut er mit den bitteren Tränen von denen, die komplett an der richtigen Berufswahl vorbeigegangen sind, dass er nicht mehr aus seinem Leben gemacht hat und Bierfahrer geworden ist.
Der Biermösel hat sich den Wetterfleck übergeworfen und steht jetzt noch ein bisserl beim Fenster herum. Er schaut aber nicht mehr deppert auf den See hinaus, wie er das früher immer getan hat. Das Fenster ist nämlich mit schweren Eiszapfen verhangen, die von der Dachrinne herunterwachsen und ihm die Sicht hinaus versperren. Dick wie die Gitterstäbe in den Straflagern jenseits vom Ural sind sie, mächtig wie die Stalaktiten drüben in den Eishöhlen vom Dachstein, auf die er als Radikalpatriot natürlich auch sehr stolz ist.
Aber der Biermösel braucht sowieso schon lange keine freie Sicht mehr beim Fenster hinaus, damit er sich ungefähr vorstellen kann, was ihn draußen an Eiseskälte und Winterstürmen alles erwarten wird, wenn er gleich die mächtige Nase und dann alles Übrige von seinem gequälten Körper in die steife Nordwindbrise hinaushalten wird, die sich mittlerweile freilich zu einem gewaltigen Schneesturm ausgewachsen hat, wie der heulende Kojote streicht er über das vorweihnachtliche Land.
Was das Wetter betrifft und seine Vorhersagen, verlässt sich der Biermösel seit langem auf seine eigene persönliche Wetterwarte, die er an seinen Unterschenkeln mit sich herumträgt, wo die Krampfadern ein einmalig schönes Flussdelta ergeben. Die schöne blaue Donau unten in Rumänien hätte ihre ausgesprochene Freude, wenn sie sich durch so ein herrliches Delta ins Schwarze Meer wälzen könnte, vielleicht, denkt er sich jetzt, wie ihn die schwarzgallige Melancholie immer noch weiter niederdrückt, vielleicht, dass er ja das Zeug zum Flussdelta gehabt hätte? Dick wie die Pipeline im Nordkaukasus und verstopft wie der Abfluss im Slumviertel unten in Kalkutta sind seine Venen. Jede minimalste Veränderung in Temperatur und Luftdruck ruft dort unten verlässlichst die verheerendsten Schmerzen hervor, darum will der Biermösel jetzt gar nicht verstehen, warum der Staatsfunk nicht schon längst ihn als einzig verlässliche Wetterfee in die Abendnachrichten gestellt hat und ihm so die Verehrung durch die Volksmassen als Wettergott vergönnt wäre, muss er denn wirklich erst eine Religion gründen, damit auch ihn die Volksmassen endlich verehren?
Seine Venen haben sich jedenfalls zu perfekten Kündern der hiesigen Wetterkapriolen ausgewachsen, und heute melden sie ihm, dass er die Heimreise bitte nicht ohne seinen sicheren Führer Lindbichler antreten soll, so ein Sauwetter hat es beisammen.
Der Biermösel macht die Augen zu, wie er immer noch beim Fenster steht und darauf wartet, dass sich die Dämmerung über das weite Land legt, und dann hört er endlich den Lindbichler in seinem Unimog draußen in der winterlichen Natur herumfahren, und seine Schaufel hört er über den Asphalt donnern, und er weiß, dass er jetzt beruhigt in den unwirtlichen Abend hinaustreten und mit der Fips durch die lange Gerade im Silbertannenwald hinüber in Richtung Auerhahn fahren kann, wo das Nachtmahl von der Roswitha auf ihn wartet. Der Lindbichler täte ihn nämlich finden, falls es ihn irgendwo herstreut, so wie er ihn schon zu Allerheiligen drüben im Krautacker vom Brunner-Bauern gefunden hat, und er täte ihn retten wie der Erlöser den Sünder, bevor es ihn zuschneit, was bei diesen Straßenverhältnissen und in letzter Zeit nur allzu oft passiert.
Bis vor kurzem aber ist der Biermösel noch wie der böse Bruder vom Django ohne Wetterfleck und mit offenem Flanellhemd durch die Winterstürme Richtung Auerhahn hinübergeritten und hat dabei zur Not die Rollen sogar umgedreht und die Fips geschultert und ist mit ihr querfeldein durch den brusthohen Schnee gestapft wie der Eisbär durch die Arktis. Aber seit seinem Unfall im Krautacker und nach der sonnengelben Medikamentierung durch den Doktor Krisper ist er jetzt allzu vorsichtig geworden. Und er setzt sich heute sogar die gestrickte Pudelhaube mit den Ohrenschützern auf, die ihm die Roswitha jedes Jahr wieder zu Weihnachten schenkt, heiliger Bimbam, er erkennt sich selbst nicht wieder!
„Deine Gesundheit steht auf wackeliges Bein“, hat der Doktor Krisper während der letzten Untersuchung zu ihm gesagt, „sprich: In klirrende Kälte lauert endgültige Tod auf dich, falls du nicht dich einpackst wie Schnitzel in Panier, sprich: Schon das normale Mensch besteht aus Wasser zu 90 per cent, du aber, Biermäääsel, bestehst aus Bier zu 100 per cent, also setzt lieber Pudelhaube auf, sonst bist du schneller eingefrorenes Bierfass, als du kannst schauen.“
Warum, bitte, fragt sich der Biermösel innerlich, ist ihm denn nicht früher schon aufgefallen, was der Herr Doktor dauernd für einen Blödsinn daherredet.
Wie der Biermösel dann mit seinen gewaltigen Bergschuhen die ersten tiefen Spuren in den jungfräulichen Schnee vor dem Gendarmerieposten draußen pflügt, findet er die Fips erst nach langem Suchen und bis über beide Bremskabel hinaus eingeschneit vor, nur der Rückspiegel ragt noch ein bisschen aus dem ganzen Schneechaos heraus wie der lange Stiel von der vergessenen Schneeschaufel neben der Almhütte. Er schiebt und zerrt die Fips mit der verbliebenen halben Kraft aus dem Schneehaufen heraus auf die geräumte Straße und wischt mit der flachen Hand schwach über den Mopedsitz. Dann steckt er seine gewaltigen Pratzen in ein Paar gewalkte Fäustlinge, was ihm früher auch nie in den Sinn gekommen wäre, und rüttelt sanft wie ein Engel am Rückspiegel, anstatt dass er wie früher stark und rücksichtslos mit der nackten Faust dagegenschlägt, sodass der Rückspiegel zittert wie der Delinquent vorm Genickschuss und sich selbst vom Schnee befreit.
Wie der Biermösel dann aber den Windschutz an seiner Fips anschaut, kann und will er sich dann doch noch nicht mit der breiten verweichlichten Volksmasse verbünden und zu allem Ja und Amen sagen. In einem kurzen äußerlichen Aufbäumen drischt er mit der Faust dagegen wie früher der Ali gegen den Kiefer vom Joe Frazier, und dann wackelt der Windschutz endlich eine halbe Ewigkeit lang wie der Zitteraal und beruhigt sich erst wieder, wie der Biermösel ihn zufrieden mit dem ausgestreckten Zeigefinger stoppt.
„Herrlich!“, denkt sich der Biermösel. Dieses kurze Aufflackern von nackter Gewalt hat ihm jetzt gutgetan und ihn an vergangene Kraft und Größe erinnert. Aber kaum hat er den rechten Haken platziert, gähnt er schon wieder wie das Nilpferd im Okawango-Delta, und er fragt sich:
„Verweichlichung, Verweichlichung, bin ich denn überhaupt schon der König der Verweichlichung?“
Was ist denn eigentlich los auf der Welt, hadert er mit sich und der Welt, dass die Verweichlichung gar so um sich greift und er sich als Gendarmerie nur noch mit gestohlenen Goldhauben herumschlagen muss, während das Kapitalverbrechen, der Eifersuchtsmord, der Raub und die Stammesfehde aus niedrigen Beweggründen außen vor bleiben? Was sind denn das überhaupt für Leute, die Goldhauben stehlen, fragt er sich fassungslos. Schleichen sie jeden Tag unter seinem Fenster vorbei oder grüßen sie ihn sogar jeden Sonntag mit dem Gamshut von der Kirche her, wenn er auf der Fips daran vorbeituscht, weil er die Kirche ebenso meidet wie die Punschhütte davor?
Sind ja alles Hypochonder heutzutage, ärgert sich der Biermösel immer wieder über alle anderen. Sind doch vom Verhalten her alle verweichlichte Bürgerstöchter in dieser Gegend. Anders bei ihm! Bei ihm sind die Probleme ehrlich und hausgemacht, da ist nichts gespielt, da ist nichts vorgetäuscht, da gibt es kein falsches „Au!“ und kein verlogenes „Weh!“, nur ehrliche und grundsolide Selbstvernichtung ohne Hang zur gesunden Ernährung. Gemüse? Geh, hör auf. Obst? Schnell in den Kübel! Milch und Brot macht Wangen rot? Ist doch ihm wurscht!
Nur mit dem depperten Windschutz haben sie ihn am falschen Fuß erwischt, wie er vor zwei Wochen ein Packerl vom Innenministerium mit schönem Gruß von der Bundesregierung bekommen hat samt dringender Aufforderung, das rot-weiß-rot gestreifte Teil auf seiner Fips zu montieren, aus Gründen der Vorbildwirkung im Straßenverkehr, wie sie geschrieben haben, weil nämlich ein Gendarm kein Gartenzaun ist, der sich zuschneien lässt, beziehungsweise kein Vogelhäuschen mit einer dicken Schneehaube drauf. Aber Herrgottnocheinmal, müssen sie ihm deswegen gleich einen Windschutz schicken und ihm jeden Spaß bei der Mopedfahrt verleiden?
Wie eine komplett verweichlichte Religionslehrerin schaut er seither aus, wenn er irgendwo überraschend auf der Fips mit dem Windschutz vorne drauf um die Kurve biegt! Wer, fragt er sich, soll denn noch einen Respekt vor ihm haben, wenn er so deppert daherkommt? Mit einem Windschutz auf seinem Bronco vorne drauf hätte auch der John Wayne keinen Indianer in die Hose scheißen lassen! Der hat sich auch nur seinen Schnäuzfetzen vor den Mund gehalten, wenn er gegen den stürmischen Wind angeritten ist, das hat genügt, das hat genügen müssen. Also für was bitte braucht einer wie er einen Windschutz, wenn der John Wayne auch keinen gebraucht hat?
Da zieht der Biermösel die orange Schibrille von der Ackerbau- und Viehzuchtbank, Modell Lake Placid ’80, aus seinem Hosensack heraus und stülpt sie sich über die Pudelhaube auf die markante Nase. Er hat jetzt einfach keine Kraft mehr, dass er gegen den Windschutz rebelliert und vielleicht als Speerspitze den Kampf gegen die Verweichlichung anführt. Die Fußtritte, die Negerbussis und Gnackwatschen, die immense Komplettrage samt der Biermöselschen Extraspezialpädagogik hinten am Schießstand vom Auerhahn, die ihn früher ausgezeichnet hat – all das fällt auch ihm immer schwerer, sodass der heroische Kampf gegen die immer weiter um sich greifende Verweichlichung der Volksmassen jedenfalls bis auf weiteres ohne ihn auskommen wird müssen. Ihn treibt es nach Hause in den Auerhahn, wo er sich heute Früh bei der Roswitha drüben den Besoffenen Kapuziner als Nachspeise für das Nachtmahl bestellt hat. „Aber schon mit viel Schlag, du Trampel!“, hat er sie noch angeschrien, wie er schon bei der Tür draußen war. Heiliges Kanonenrohr, denkt sich der Biermösel und legt endlich den ersten Gang ein, bei seiner Schwester hindert ihn nicht einmal die fortschreitende Verweichlichung am allzu lauten Wort. Hoffentlich kommt ihm die nicht auch noch abhanden!
Zitternd fährt er durch die Gassen, alles sieht so festlich aus. Aber wie es ihn schon nach kurzer Fahrt trotz Windschutz wieder komplett zugeschneit hat, sinniert der Biermösel kurz sehr grundsätzlich und sehr negativ über die nördliche Hemisphäre, in die er als kleiner Biermösel hineingeboren worden ist, also zu der ganzen depperten Sache mit dem Wetter in dieser Gegend von ihm jetzt vielleicht ein paar sehr grundsätzliche Worte:
Der Mensch soll zwar keine Meinung haben zu dem ganzen Wahnsinn mit den vier Jahreszeiten, lehrt in diesem Land die katholische Kirche. Er soll sich bitte schön nicht aufregen über das dauernde Hin und Her mit den Temperaturan- und -abstiegen und dem Erblühen der Bäume im Frühling und ihrem Verwelken im Herbst. Der Mensch soll „Ja!“ sagen zum Hitzestau im Sommer und „Nur her damit!“ zum Permafrost im Winter, weil der Herrgott alleine weiß, was wettermäßig zu tun ist. Aber der Winter geht dem Biermösel so furchtbar auf die Nerven, dass er seinen Wetterfleck um die Erde hauen könnte, wenn er nur an die Frau Holle denkt.