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Aus Angst, sich selbst zu verlieren, verlässt Ava den attraktiven Jesse. Zu heftig sind seine temperamentvollen Ausbrüche, zu beängstigend ist seine dunkle Vergangenheit. Verletzt von seiner Unaufrichtigkeit zieht sich Ava zurück, aber mit jeder Stunde, die sie ohne ihren Liebhaber verbringt, wächst ihre Sehnsucht. Als Ava erfährt, wie sehr die Trennung auch Jesse mitnimmt, stimmt sie einem Treffen zu und lässt sich erneut auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein. Dieses Mal allerdings ist Ava entschlossen, die Wahrheit hinter Jesses grenzenlosem Verlangen nach ihr herauszufinden. Selbst wenn es für sie bedeutet, in Jesses berüchtigtes Herrenhaus zurückzukehren. Doch genau dort will Jesse Ava haben – hautnah und ganz nach seinem Willen … Band 2 der Lost in you-Trilogie.
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Seitenzahl: 823
Buch
Die junge Innendesignerin Ava O’Shea hat die Beziehung zu Jesse Ward, dem äußerst attraktiven Besitzer des Herrenhauses The Manor, beendet und zieht sich ganz von ihm zurück. Zu heftig empfindet sie seine temperamentvollen Ausbrüche, zu beängstigend ist seine dunkle Vergangenheit und zu schockierend die wahre Bestimmung von The Manor. Aber mit jeder Stunde, die sie ohne ihn verbringt, wächst ihre Sehnsucht. Als Ava erfährt, wie sehr die Trennung auch Jesse mitnimmt, stimmt sie einem Treffen zu und lässt sich erneut auf eine Beziehung mit ihm ein. Dieses Mal allerdings ist Ava entschlossen, die Wahrheit hinter Jesses grenzenlosem Verlangen nach ihr herauszufinden. Selbst wenn es für sie bedeutet, in Jesses berüchtigtes Herrenhaus zurückzukehren. Doch genau dort will Jesse Ava haben – hautnah und ganz nach seinem Willen …
Weitere Informationen zu Jodi Ellen Malpas
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Jodi Ellen Malpas
LOST IN YOU
Süßes Verlangen
Band 2
Erotischer Roman
Aus dem Englischen
von Andrea Fischer
Die englische Originalausgabe wurde von Jodi Ellen Malpas 2012
unter dem Titel »Beneath This Man« in Großbritannien veröffentlicht
und erschien 2013 in Neuauflage bei Orion Books,
an imprint of The Orion Publishing Group Ltd,
an Hachette UK Company, London.
1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2015
BENEATH THIS MAN Copyright © Jodi Ellen Malpas, 2012
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: Copyright © Michael Haegele/Corbis; FinePic®, München
Redaktion: Ilse Wagner
KS · Herstellung: Str.
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-641-14529-3
www.goldmann-verlag.de
Für meine Damen
1
Heute konnte ich kaum die Kraft aufbringen, zur Arbeit zu gehen. Vor fünf Tagen habe ich Jesse Ward zum letzten Mal gesehen. Fünf Tage voller Qual, Leere und Verzweiflung.
Sobald ich die Augen schließe, sehe ich ihn vor mir. Die Erinnerung an diesen selbstsicheren, gut aussehenden Mann, der mich im Sturm eroberte, wird durch Bilder jenes bösartigen, heruntergekommenen Säufers verdrängt, der mich zerstörte. Ohne ihn fühle ich mich ausgehöhlt und leer. Er hat dafür gesorgt, dass ich ihn brauche, und jetzt ist er fort.
In der Dunkelheit sehe ich sein Gesicht, in der Stille höre ich seine Stimme. Es gibt kein Entkommen. Ich nehme kaum wahr, was um mich herum vorgeht, jedes Geräusch ist nur ein fernes Summen, mein Blick verschwommen. Ich bin in der Hölle. Ausgebrannt. Amputiert. Ich leide unvorstellbare Qualen.
Am letzten Sonntag ließ ich den betrunkenen Jesse grölend in seinem Penthouse zurück. Seit ich gegangen bin, habe ich nichts mehr von ihm gehört. Kein Anruf, keine Nachricht, keine Blumen … nichts.
Sam ist immer noch regelmäßig halb nackt zu Gast bei Kate, aber er ist klug genug, nicht mit mir über Jesse zu sprechen. Er hält sich zurück, sagt nicht viel. Im Moment ist es in meiner Nähe nicht angenehm. Wie kann ein Mann, den ich nur wenige Wochen kannte, solche Gefühle in mir auslösen? Doch in dieser kurzen Zeit habe ich ihn von vielen Seiten kennengelernt: heißblütig und kontrollsüchtig, gleichzeitig aber zärtlich, liebevoll und beschützend. Mir fehlt dieser Jesse so sehr! Der betrunkene Typ, den ich im Penthouse angetroffen habe, war nicht der Jesse, in den ich mich verliebt hatte. Mit Freude würde ich all seine frustrierenden Eigenarten akzeptieren, wenn mir nur dieser furchtbare Säufer erspart bliebe.
Offenbar war es allein meine Schuld, dass er so abstürzte. Lallend erklärte er mir, er hätte mich gewarnt, dass es ein schlimmes Ende nähme, wenn ich ihn verließe. Das stimmte. Er hatte nur vorher nicht gesagt, wie genau dieses schlimme Ende aussähe. Ich hätte nachhaken sollen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, ihn zu bewundern. Ich war blind vor Lust und völlig überwältigt von Jesses Intensität. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass er sich als der Lord vom Sexschloss entpuppt, und mit Sicherheit hätte ich niemals gedacht, dass er Alkoholiker ist. Ich lief buchstäblich mit geschlossenen Augen durch die Gegend.
Ich kann von Glück sagen, dass es mir bisher gelungen ist, den drängenden Fragen meines Chefs bezüglich Jesses Projekt auszuweichen. Als hunderttausend Pfund von Jesse auf dem Konto von Rococo Union eingingen, war ich unglaublich dankbar. Durch dieses immense, im Voraus gezahlte Honorar konnte ich Patrick vorgaukeln, Mr Ward sei längere Zeit auf Geschäftsreise außer Landes und das Projekt hinge in der Warteschleife. Ich weiß, dass ich meinem Chef irgendwann reinen Wein einschenken muss, nur fühle ich mich im Moment nicht stark genug dafür und weiß nicht, wann es so weit sein wird. Vielleicht nie.
Die arme Kate bemüht sich sehr, mich aus dem tiefen Loch zu holen, in das ich gefallen bin. Sie hat versucht, mich zu Yogakursen mitzuschleppen, mit mir etwas trinken zu gehen und mich zum Dekorieren ihrer Torten einzuspannen. Aber ich liege lieber im Bett herum. Jeden Tag trifft Kate sich in der Mittagspause mit mir. Nicht dass ich etwas hinunterbekäme. Schon das Schlucken fällt mir schwer, an Essen ist überhaupt nicht zu denken.
Das Einzige, auf das ich mich momentan freue, ist mein morgendlicher Spaziergang. Da ich sowieso nicht schlafen kann, fällt es mir relativ leicht, mich jeden Tag um fünf Uhr früh aus dem Bett zu wälzen.
In der ruhigen, frischen Morgenluft gehe ich dann zu der Stelle im Green Park, wo ich an dem Tag, als Jesse mich bei einem seiner anstrengenden Marathonläufe durch die Straßen von London schleppte, vor Erschöpfung zusammenbrach. Dort setze ich mich hin und zupfe an den von Tau benetzten Grashalmen herum, bis meine Hose durchweicht ist und ich bereit bin, wieder zurückzugehen und einen weiteren Tag ohne Jesse zu überstehen.
Wie lange kann ich so weitermachen?
Morgen kommt mein Bruder Dan nach London, er ist noch bei meinen Eltern in Cornwall. Ich müsste mich darauf freuen, ihn zu sehen; unser letztes Treffen liegt ein halbes Jahr zurück, aber wie soll ich die Kraft aufbringen, ihm etwas vorzuspielen?
Mein Handy, das auf dem Schreibtisch liegt, brummt und reißt mich aus meinen Tagträumen. Ruth Quinn ist dran. Ich stöhne. Ruth ist eine neue Kundin, die sich schon jetzt als Nervensäge entpuppt. Am Dienstag rief sie an und verlangte ein Treffen noch am selben Tag. Ich erklärte, ich sei beschäftigt, schlug ihr aber vor, jemand anders könne mich vertreten, doch sie bestand darauf, nur mit mir zu sprechen, und belegte den ersten freien Termin, den ich ihr anbieten konnte. Der ist zufällig heute. Seitdem hat sie jeden Tag angerufen, um mich daran zu erinnern. »Miss Quinn«, grüße ich sie müde.
»Ava, wie geht es Ihnen?«
Sie erkundigt sich immer nach meinem Befinden, was ja ganz nett ist. Aber ich sage ihr natürlich nicht die Wahrheit. »Gut. Und Ihnen?«
»Ja, ja, sehr gut«, flötet sie. »Ich wollte nur kurz fragen, ob es bei unserem Termin heute bleibt.«
»Halb fünf, Miss Quinn«, wiederhole ich nun am dritten Tag in Folge. Ich glaube, ich werde die Kosten bei ihr so hoch veranschlagen, dass sie mir den Auftrag wieder entzieht.
»Wunderbar, ich freue mich schon.«
Ich lege auf und stoße einen langen Seufzer aus. Was habe ich mir nur dabei gedacht, auf den letzten Termin am Freitag eine Erstberatung zu legen, dazu bei einer so komplizierten Kundin?
Victoria kommt ins Büro gerauscht, ihre langen blonden Locken wehen ihr über die Schultern. Sie sieht verändert aus. Ihre Haut ist orange! »Was hast du denn gemacht?«, frage ich, völlig entsetzt. Auch wenn ich momentan nicht besonders klar im Kopf bin, ist ihre Hautfarbe nicht zu übersehen.
Sie verdreht die Augen und holt einen kleinen Spiegel aus der Mulberry-Tasche, um ihr Gesicht zu inspizieren. »Halt den Mund!«, warnt sie mich. »Ich wollte nur eine leichte Bräune.« Sie reibt sich mit einem Tuch ab. »Diese blöde Kuh hat die falsche Flasche genommen. Ich sehe aus wie ein Käsecracker!« Schnaubend wischt sie sich übers Gesicht.
»Hol dir ein Körperpeeling, und geh damit unter die Dusche«, rate ich ihr und wende mich wieder meinem Computer zu.
»Ich kann nicht fassen, dass mir so was passiert!«, ruft sie. »Drew will heute Abend mit mir ausgehen. Wenn ich so aussehe, wird er sich schnell verdrücken!«
»Wo geht ihr hin?«, frage ich.
»Zu Langan’s. Die halten mich noch für irgendeinen Z-Promi! So kann ich nicht gehen!«
Das ist eine riesengroße Katastrophe für Victoria. Erst seit etwa einer Woche trifft sie sich mit Drew – eine weitere Beziehung, die aus dem Riesenschlamassel meines Lebens hervorgegangen ist. Jetzt fehlt nur noch, dass Tom hereinspaziert und verkündet, er würde heiraten. Egoistisch, wie ich bin, kann ich mich für niemanden freuen.
Sally, unser Mädchen für alles, kommt aus der Küche gehuscht und bleibt verdattert stehen, als sie Victoria erblickt. »Hey, Victoria, alles in Ordnung?«, fragt sie alarmiert, und ich grinse in mich hinein. Solche Beauty-Maßnahmen übersteigen die Vorstellungskraft unserer schlichten Sally.
»Allerdings!«, giftet Victoria.
Sally stürzt sich auf die Akten, um der schlecht gelaunten Victoria und mir, der trübsinnigen Ava, aus dem Weg zu gehen.
»Wo ist Tom?«, frage ich in dem Versuch, Victoria von ihrer Fehlbräunungs-Krise abzulenken.
Sie knallt ihren Kompaktspiegel auf den Schreibtisch und dreht sich zu mir um. Wenn ich die Kraft hätte, würde ich lachen. Sie sieht furchtbar aus. »Er ist bei Mrs Baines. Klingt so, als ginge der Alptraum weiter«, faucht sie und zieht sich die blonden Locken vor das möhrengelbe Gesicht.
Ich wende mich ab und starre wieder ausdruckslos auf meinen Bildschirm. Ich kann den Feierabend nicht erwarten. Dann werde ich ins Bett kriechen und muss niemanden mehr sehen oder sprechen.
Pünktlich erreiche ich das imposante Townhouse am Lansdowne Crescent. Miss Quinn öffnet die Tür. Ich bin total überrascht – ihre Stimme passt nicht im Geringsten zu ihrer Erscheinung. Ich hatte mir eine unverheiratete Frau mittleren Alters vorgestellt, Typ Klavierlehrerin, doch da hätte ich nicht weiter danebenliegen können. Sie ist äußerst attraktiv, hat lange blonde Haare, große blaue Augen und eine blasse, glatte Haut. Sie trägt ein schickes schwarzes Kleid und mördermäßige Wedges.
Miss Quinn lächelt. »Sie müssen Ava sein. Kommen Sie doch herein!« Sie führt mich in eine hässliche Siebzigerjahre-Küche.
»Miss Quinn, hier sind meine Referenzen.« Ich reiche ihr meine Mappe, die sie neugierig entgegennimmt. Sie hat ein wirklich warmherziges Lächeln. Vielleicht habe ich mich in ihr geirrt.
»Sagen Sie doch Ruth zu mir. Ich habe schon viel über Ihre Arbeit gehört, Ava«, sagt sie, während sie in meiner Mappe blättert. »Insbesondere über das Lusso.«
»Ach, ja?«, erwidere ich überrascht, obwohl ich es nicht bin. Patrick ist hocherfreut über das Feedback, das Rococo Union wegen des prestigeträchtigen Projekts im Lusso bekommt. Mir wäre es lieber, alles zu vergessen, was mit dem Lusso zusammenhängt, aber das ist natürlich ein frommer Wunsch.
»Ja, sicher! Alle reden darüber. Das haben Sie wirklich umwerfend gemacht. Möchten Sie etwas trinken?«
»Ein Kaffee wäre schön, danke.«
Lächelnd kümmert sie sich um die Getränke. »Setzen Sie sich doch, Ava!«
Ich nehme Platz und hole meine Kundenmappe hervor. »Und, wie kann ich Ihnen helfen, Ruth?«
Lachend zeigt sie mit dem Teelöffel auf die Kücheneinrichtung. »Müssen Sie da noch fragen? Grässlich, oder?«, ruft sie und widmet sich wieder dem Kaffeekochen.
Allerdings, die Küche ist wirklich hässlich, aber deswegen werde ich die braun-gelben Möbel und die falsche Backsteinmauer noch lange nicht entsetzt anstarren.
Ruth fährt fort: »Ich bin, wie Sie sich vorstellen können, auf der Suche nach ein paar Ideen, um diesen monströsen Raum zu verändern. Ich hatte schon überlegt, einen Durchbruch zu machen, sodass es eine große Wohnküche wird. Hier, ich zeig’s Ihnen mal.« Sie reicht mir den Kaffee und gibt mir ein Zeichen, ihr ins Nebenzimmer zu folgen. Die Einrichtung dort ist genauso düster wie in der Küche. Die Frau wirkt relativ jung – Mitte dreißig vielleicht –, daher nehme ich an, dass sie erst vor Kurzem hier eingezogen ist. Das Haus macht den Eindruck, als hätte es in den letzten vierzig Jahren keinen Pinsel mehr gesehen.
Nach einer einstündigen Besprechung meine ich, ein Bild von dem zu haben, was Ruth sich wünscht. Sie hat eine gute Vorstellungskraft.
»Ich mache ein paar Entwürfe, die sich innerhalb Ihres Budgets bewegen. Die schicke ich Ihnen dann zusammen mit einer Übersicht meiner Honorarstruktur zu«, erkläre ich ihr im Gehen. »Irgendetwas Besonderes, auf das ich achten soll?«
»Nein, nichts. Natürlich möchte ich den ganzen unverzichtbaren Luxus, der heute zu jeder Küche gehört.« Sie streckt mir die Hand hin, ich schüttele sie höflich. »Zum Beispiel einen Weinkühlschrank.« Sie lacht.
»Auf jeden Fall.« Ich lächele gezwungen. Wenn von Alkohol die Rede ist, gefriert mir das Blut in den Adern. »Ich melde mich bei Ihnen, Miss Quinn.«
»Ruth, bitte!«, sagt sie kopfschüttelnd. »Ich freue mich schon, Ava.«
Ich schleppe mich die Straße hinunter zu Kates Haus, in der Hoffnung, dass sie nicht da ist. Dann könnte ich mich in mein Zimmer zurückziehen, und sie würde nicht wieder ihre Mission verfolgen, mich aufzuheitern.
»Ava!«
Ich bleibe stehen. Neben mir hält Sam in seinem Porsche und beugt sich aus dem Wagenfenster. »Hallo, Samuel«, sage ich mit einem aufgesetzten Lächeln und gehe weiter.
»Ava, bitte unterstütze nicht deine gehässige Freundin im Anti-Sam-Club. Dann muss ich vielleicht ausziehen.« Er parkt und gesellt sich auf dem Bürgersteig vor Kates Haus zu mir.
Sam sieht so entspannt aus wie immer: extrem weite Shorts, ein Rolling-Stones-T-Shirt und zerzaustes straßenköterbraunes Haar.
»Tut mir leid. Hab gar nicht mitbekommen, dass du eingezogen bist!«, sage ich, die Augenbrauen hochgezogen. Sam besitzt selbst ein piekfeines Apartment am Hyde Park, deutlich größer als Kates Haus, aber da Kate in ihrer Küche im Erdgeschoss ihre Torten kreiert, besteht sie darauf, dass er bei ihr übernachtet.
»Bin ich auch nicht. Kate sagte, du würdest gegen sechs nach Hause kommen. Ich hatte gehofft, dich zu erwischen.« Sam wirkt plötzlich nervös, das steckt mich an.
»Ist alles in Ordnung?«, frage ich.
Er lächelt schwach, aber wenig überzeugend. »Nein, nicht so ganz. Ava, du musst mitkommen«, sagt er leise.
»Wohin?« Warum benimmt er sich so seltsam? Das sieht Sam gar nicht ähnlich. Normalerweise ist er fröhlich und unbeschwert.
»Zu Jesse.«
Mein entsetzter Gesichtsausdruck entgeht Sam nicht, denn er tritt mit flehender Miene einen Schritt vor. Allein die Erwähnung dieses Namens lässt Panik in mir aufsteigen. Warum will Sam, dass ich zu Jesse fahre? Nach unserer letzten Begegnung wird man mich nur unter Androhung von Gewalt in seine Nähe bekommen. Keine Chance, null, dass ich da noch mal hingehe – nie im Leben!
»Sam, das denke ich nicht.« Kopfschüttelnd weiche ich einen Schritt zurück und fange an zu zittern.
Seufzend scharrt er mit den Turnschuhen auf dem Bürgersteig. »Ava, ich mache mir Sorgen. Er geht nicht ans Telefon, niemand hat was von ihm gehört. Ich weiß nicht, wen ich sonst fragen soll. Du willst natürlich nicht über ihn sprechen, aber das ist jetzt fast fünf Tage her. Ich war im Lusso, aber der Portier lässt keinen rein. Dich würde er hinauflassen. Kate meint, du kennst ihn. Kannst du uns nicht ins Penthouse schleusen? Ich muss nur wissen, ob es Jesse gut geht.«
»Nein, Sam, tut mir leid, das kann ich nicht«, erwidere ich.
»Ava, ich habe Angst, dass er eine Dummheit gemacht hat. Bitte.«
Meine Kehle zieht sich zusammen, Sam streckt die Arme nach mir aus. Ich bemerke gar nicht, dass ich rückwärtsgehe. »Sam, bitte nicht! Ich kann das nicht. Er wird mich nicht sehen wollen, und ich will ihn auch nicht sehen.«
Er nimmt meine Hände, hält mich fest, zieht mich an sich. »Ava, ich würde dich nicht fragen, wirklich nicht, aber ich muss da rein und nach ihm schauen.«
Ich lasse die Schultern sinken, kapituliere in seinen Armen. Lautlos beginne ich zu weinen, obwohl ich glaubte, keine Tränen mehr zu haben. »Ich schaffe es nicht, ihm gegenüberzutreten, Sam.«
»Hey.« Er löst sich von mir, schaut mir ins Gesicht. »Bring uns nur am Portier vorbei. Mehr verlange ich nicht von dir.« Er wischt eine verirrte Träne ab und lächelt flehentlich.
»Ich gehe aber nicht mit rein«, beharre ich. Bei dem Gedanken, Jesse wiederzusehen, verkrampft sich mein Magen. Nur – was ist, wenn er wirklich eine Dummheit begangen hat?
»Ava, bring uns einfach hoch in sein Penthouse.«
Ich nicke und wische die Tränen ab.
»Danke.« Sam schiebt mich zu seinem Porsche. »Steig ein. Drew und John warten schon auf uns.« Er öffnet die Beifahrertür und bugsiert mich auf den Sitz.
Ich steige ein und lasse mich von Sam zum Lusso an den St Katharine Docks fahren – ein Ort, an den ich schwor, niemals zurückzukehren.
2
Als das Lusso auftaucht, beginne ich zu hyperventilieren. Der Drang, die Autotür aufzureißen und aus dem fahrenden Wagen zu springen, ist überwältigend. Sam wirft mir besorgte Blicke zu, als spürte er meine Absicht, mich aus dem Staub zu machen.
Sam findet einen Parkplatz in der Straße, steigt aus und kommt an meine Seite, um mir aus dem Wagen zu helfen. Mit festem Griff führt er mich zum Fußgängereingang, wo Drew bereits auf uns wartet.
Er ist so schick wie immer, in Anzug und teuren Schuhen, dazu sein perfekt gestyltes schwarzes Haar, aber inzwischen fühle ich mich in seiner Nähe nicht mehr unwohl. Als er mich in die Arme nimmt und fest drückt, bin ich allerdings wirklich überrumpelt. Das ist der erste Körperkontakt, den ich je mit diesem Mann hatte.
»Ava, danke, dass du gekommen bist.«
Ich erwidere nichts, weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Sie machen sich ernsthafte Sorgen um Jesse, und ich habe Schuldgefühle und jetzt noch größere Angst. Drew lässt mich los und lächelt mich aufmunternd an. Keine Chance.
Sam weist die Straße hinunter. »Da kommt auch der Riese.«
Wir drehen uns um und sehen John in seinem schwarzen Range Rover heranfahren. Schlitternd kommt er hinter Sams Porsche zum Stehen. Er schiebt seinen gewaltigen Körper aus dem Wagen, nimmt die Wraparound-Sonnenbrille ab und grüßt mit einem Nicken. Das ist Johns übliche wortlose Art. Mein Gott, sieht er mitgenommen aus. Ich habe ihm nur einmal ganz kurz in die Augen geblickt. Sie sind immer hinter der Brille verborgen, selbst nachts und in geschlossenen Räumen, aber jetzt scheint die Sonne, weshalb ich nicht verstehe, warum er sie abgenommen hat. Vielleicht will er, dass alle wissen, wie genervt er ist. Es funktioniert jedenfalls. Er sieht respekteinflößend aus.
Ich hole tief Luft, gebe den Code ein und schiebe den Jungs das Tor auf. Am liebsten würde ich hier stehen bleiben. Drew gibt mir Zeichen, vorzugehen, ganz der Gentleman, also übernehme ich die Führung und überquere schweigend den Parkplatz. Ich entdecke Jesses Auto und sehe, dass die Scheibe immer noch kaputt ist. Als wir die marmorne Eingangshalle des Lusso betreten, dreht sich mir der Magen um. Man hört nichts als unsere Schritte. Ich atme schneller. So vieles ist in diesem Gebäude geschehen. Das Lusso war mein erster großer Auftrag als Innenarchitektin. Auch meine erste sexuelle Begegnung mit Jesse fand hier statt, ebenso wie mein letztes Treffen mit ihm. Alles begann und endete hier.
Als wir näher kommen, schaut Clive mit erschreckend müdem Gesichtsausdruck von seinem großen geschwungenen Marmortresen hoch.
»Clive!«, grüße ich mit einem gezwungenen Lächeln.
Er beäugt erst mich, dann die drei bedrohlich wirkenden Männer hinter mir, schließlich kehrt sein Blick zu mir zurück. »Hallo, Ava. Wie geht es Ihnen?«
»Gut, Clive«, lüge ich. »Und Ihnen?«
»Mir geht’s auch gut.« Er ist misstrauisch, zweifellos hatte er schon ein paar Auseinandersetzungen mit den drei Kerlen. Nach seiner unterkühlten Begrüßung zu urteilen, waren die nicht gerade angenehm.
»Clive, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns ins Penthouse hinauflassen würden, um nach Jesse zu sehen.« Ich bemühe mich, selbstsicher zu klingen, auch wenn mir ganz anders zumute ist.
»Ava, ich habe Ihren Freunden schon gesagt, dass ich meine Stelle verlieren könnte, wenn ich das zulasse.« Wieder wirft er den Jungs einen vorsichtigen Blick zu.
»Ich weiß, Clive, aber sie machen sich Sorgen.« Ich bleibe sachlich. »Sie möchten sich einfach überzeugen, dass es ihm gut geht, dann sind sie auch schon wieder weg.« Ich versuche es mit Höflichkeit, da Drew, Sam und John bestimmt nicht so zuvorkommend waren.
»Ava, ich war oben und habe an Mr Wards Tür geklopft, aber er hat nicht geöffnet. Wir haben die Videobänder geprüft, und während meiner Schicht habe ich ihn weder gehen noch zurückkommen sehen. Die Gebäudesicherheit ist nicht in der Lage, fünf Tage Videoaufnahmen zu sichten. Das habe ich Ihren Freunden schon erklärt. Wenn ich Sie hinauflasse, könnte ich meine Stelle verlieren.«
Mich wundert Clives plötzlicher Sinneswandel in Bezug auf seine Berufsauffassung. Wenn er so stur und professionell gewesen wäre, als ich Jesse am Sonntag besucht habe, dann hätten wir diese Auseinandersetzung womöglich nie gehabt. Andererseits wüsste ich dann auch nichts von Jesses kleinem Problem.
Sam drückt sich von hinten gegen mich. »Lassen Sie uns rauf, verdammt noch mal!«, ruft er über meine Schulter.
Ich zucke leicht zusammen, kann ihm aber letztlich nicht verübeln, dass er allmählich genervt ist. Auch bei mir steigt der Frustpegel. Ich will die Männer einfach nur an Clive vorbeilotsen und verschwinden. Von allen Seiten rücken die Wände auf mich zu, ich sehe vor meinem inneren Auge, wie Jesse mich durch das marmorne Foyer trägt. Jetzt, da ich hier bin, werden die Bilder immer eindringlicher.
Ich drehe mich um. John macht ein Gesicht, als wäre er kurz davor zu explodieren. Er legt Sam die Hand auf die Schulter, damit Sam sich ein wenig beruhigt. Ich hatte es zwar nicht vor, weiß mir aber keinen anderen Rat mehr, da die Gemüter sich immer mehr erhitzen. »Clive, ich möchte wirklich nicht auf Erpressung zurückgreifen«, sage ich knapp. Er sieht mich fragend an, seine grauen Zellen arbeiten, versuchen zu ergründen, womit ich ihn möglicherweise erpressen könnte. »Ich möchte nicht, dass irgendjemand von Mr Gomez’ regelmäßigen Gästen oder von Mr Hollands Vorliebe für das eine oder andere Thaimädchen erfährt.« Clive verzieht das Gesicht. Er gibt auf.
»Das ist wirklich unfair, mein Mädchen.«
»Mir bleibt keine andere Wahl, Clive.«
Er schüttelt den Kopf und lässt uns, Beleidigungen vor sich hin murmelnd, zum Aufzug gehen.
»Super!«, freut sich Sam.
Ich weiß nicht, wie, doch plötzlich setzen sich meine Beine in Bewegung und folgen den Männern zum Lift. »Jesse könnte den Zugangscode geändert haben«, sage ich zur Erklärung.
Beunruhigt dreht sich Sam zu mir um.
Ich zucke mit den Schultern. »Wenn ja, gibt es keine Möglichkeit, nach oben zu kommen.«
Dann erreichen wir den Fahrstuhl, ich hole tief Luft und gebe den Code der Handwerker ein. Als die Türen sich öffnen, steigen alle mit erleichtertem Seufzen ein, nur ich bleibe draußen. Sam grinst mich an und gibt mir zu verstehen, dass ich mitkommen soll.
Ich gehorche.
Im Aufzug stehe ich zwischen Sam und Drew auf der einen und John auf der anderen Seite. Wieder gebe ich den Code ein. In unangenehmem Schweigen fahren wir hoch, und oben angekommen schauen wir auf die Doppeltür, den Zugang zu Jesses Penthouse.
Sam verlässt den Lift als Erster und rüttelt vorsichtig am Griff, dann hämmert er wie ein Verrückter gegen die Tür. »Jesse! Mach auf, verdammt noch mal!«
Drew und John ziehen ihn zurück, dann versucht es John, aber die Tür gibt kein bisschen nach. Ich kann mir den Gedanken nicht verkneifen, dass ich die Letzte war, die das Penthouse verlassen hat. Und ich weiß noch, dass ich die Tür besonders heftig zugeschlagen habe.
»Sam, er ist ja vielleicht nicht da«, wendet Drew ein.
»Wo soll er denn sein?«, ruft Sam.
»Ach, klar ist der hier«, brummt John. »Und der Scheißkerl suhlt sich schon viel zu lange in seinem Elend. Er hat eine Firma zu führen.«
Ich stehe noch im Fahrstuhl, als sich die Türen schließen und mich aus meiner Benommenheit reißen. Reflexartig schiebe ich die Hand dazwischen, damit sie sich wieder öffnen. Dann trete ich in den Vorraum zum Penthouse. Ich habe gesagt, ich würde die Jungs hinaufbringen und gehen, also sollte ich wirklich einfach verschwinden, aber Sam in so einer Verfassung zu sehen macht mir noch mehr Sorgen. Auch Johns Worte wollen mir nicht aus dem Kopf. Suhlt sich Jesse in seinem Elend oder in Wodka? Wenn ich bleibe, werde ich dann wieder mit einem betrunkenen, rasenden Jesse konfrontiert?
Drew klopft leise an. Das ist ja lächerlich. Wenn Sams Gehämmer zu nichts geführt hat, wird Drew mit seinem höflichen Klopfen schon gar nichts erreichen.
Er tritt zurück und schiebt Sam zu mir hinüber. »Ava, hast du versucht, ihn anzurufen?«, fragt Drew.
»Nein!«, erwidere ich empört. Warum sollte ich das tun? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht mit mir sprechen will.
»Kannst du es versuchen?«, fleht Sam mich an.
Ich schüttele den Kopf. »Er würde nicht drangehen, Sam.«
»Ava, könntest du es bitte einfach versuchen?«, wiederholt Drew.
Missmutig hole ich mein Handy heraus und wähle unter den nervösen Blicken von Sam und Drew Jesses Nummer. Ich bin mir nicht sicher, was ich sagen soll, wenn er sich meldet.
Drews Kopf schnellt hoch. »Ich höre es klingeln.« Er dreht sich zu mir um, erwartet offenbar, dass ich etwas sage, aber der Anruf wird auf die Mailbox weitergeleitet, und mein Herz zieht sich zusammen. Er will nicht mit mir reden. Diese Ablehnung entfacht erneut den Schmerz in mir. Ich will zurück in den Fahrstuhl steigen. In dem Augenblick schallt ein ohrenbetäubender Knall durch den Vorraum.
Unsere Köpfe schnellen zur Doppeltür herum. John steht in Jesses Penthouse, zwischen uns ein zersplitterter Türrahmen. Der Riese nickt uns zu, Sam und Drew stürzen in die Wohnung. Ich folge ihnen zögernd, in Gedanken beim letzten Mal, als ich hier gewesen bin.
Dreh um! Steig in den Aufzug! Geh, und zwar jetzt!
Aber ich tue es nicht. Ich bleibe in der Tür stehen. Soweit ich sehen kann, ist alles unverändert. Ich wage mich etwas weiter vor in den Loungebereich, höre die Jungs oben und unten herumlaufen und nach Jesse suchen. Als der Treppenabsatz in Sicht kommt, erkenne ich die leere Wodkaflasche auf der Konsole. Dann sehe ich die weit geöffneten Terrassentüren. Vorsichtig gehe ich darauf zu, im Hintergrund laufen die Männer durch die Wohnung, ziehen Türen auf, schlagen sie zu, rufen seinen Namen.
Wie von einer unsichtbaren Kraft werde ich zur Terrasse gezogen. Ich kenne den Grund. Es ist die Anziehungskraft, die mich zu Jesse treibt, sobald er in der Nähe ist. Allerdings weiß ich diesmal, dass es nicht mein Jesse sein wird. Will ich ihm noch einmal gegenübertreten, wenn er sich in einem so furchtbaren Zustand befindet? Wenn er so boshaft und hasserfüllt ist? Nein, natürlich nicht, aber ich kann mich irgendwie auch nicht abwenden.
Als ich mich der Tür nähere, versuche ich, mich auf den Anblick eines Betrunkenen einzustellen, der sich auf der Sonnenliege fläzt, eine Wodkaflasche in der Hand. Stattdessen entdecke ich Jesse, nackt und bewusstlos und mit dem Gesicht nach unten, auf dem Terrassenboden.
Mein Herz schlägt bis zum Hals, das Blut dröhnt mir in den Ohren. »Er ist hier!«, schreie ich, stürze auf seinen leblosen Körper zu und lasse mich neben ihn sinken.
Ich packe seine breiten Schultern, versuche, ihn umzudrehen. Ich weiß nicht, woher ich die Kraft habe, aber es gelingt mir irgendwie, ihn herumzurollen, bis sein Kopf in meinem Schoß liegt. Verzweifelt streichen meine Hände über sein bärtiges Gesicht. Ich sehe, dass seine Hand blau und geschwollen ist, getrocknetes Blut klebt an den Knöcheln.
»Jesse, wach auf! Wach bitte auf!«, flehe ich ihn an. Als ich den geliebten Mann betrachte, der bewusstlos in meinem Schoß liegt, werde ich hysterisch. Tränen laufen mir übers Gesicht und tropfen auf seine Wangen. »Bitte, Jesse!« Immer wieder gleiten meine Hände über sein Gesicht, seine Brust, seine Haare. Er hat abgenommen, Bartstoppeln bedecken sein Kinn.
»Mistkerl«, brummt John, als er mich mit Jesse auf der Terrasse entdeckt.
»Ich weiß nicht, ob er noch atmet«, schluchze ich und schaue dem großen Mann mit glasigen Augen entgegen.
»Zeig mal«, sagt John, hockt sich neben mich und nimmt Jesses Arm.
Sam kommt in der Terrassentür zum Stehen. »Was zum …?«
Alles läuft wie in Zeitlupe ab. Sam bückt sich und reibt meinen Arm.
»Ich rufe einen Krankenwagen«, sagt Drew bestimmt, als wir um Jesses reglosen Körper herumstehen.
»Warte!«, fährt John ihn an, beugt sich über Jesse und zieht seine Lippen auseinander. Er untersucht seinen schlaffen Körper. »Dieser blöde Kerl. Hat sich in ein beschissenes Koma gesoffen.«
Ich schaue Sam und Drew an, kann aber ihre Reaktion auf Johns Behauptung nicht deuten. Woher weiß er das? Jesse könnte ohne Weiteres halb tot sein. Zumindest sieht er so aus. »Ich glaube, wir sollten einen Krankenwagen rufen«, wimmere ich.
Mitfühlend schaut John mich an. In seinem Gesicht habe ich nie etwas anderes als völlige Teilnahmslosigkeit gesehen, weshalb ich es seltsam tröstlich finde, dass er jetzt so betrübt und mitleidig wirkt, als wäre ich ein wenig naiv.
»Ava, Mädchen. Ich habe ihn schon öfter so gesehen, mehr als einmal. Er braucht sein Bett und ein bisschen Fürsorge, dann steht er das durch. Einen Arzt braucht er nicht. Jedenfalls nicht so einen.« John schüttelt den Kopf.
Aha? Wie oft ist mehr als einmal? John klingt, als wäre ihm dieser Zustand nichts Neues. Die Tatsache, dass Jesse vor uns auf dem Boden liegt, beunruhigt ihn keineswegs, während ich jeden Moment durchdrehe. Sam und Drew machen auch nicht gerade einen panischen Eindruck. Haben sie Jesse auch schon so gesehen?
John tätschelt mir die Wange und richtet sich auf. Noch nie habe ich ihn so viel sprechen hören. Der schweigsame Riese hat sich in einen mitteilsamen Riesen verwandelt. Dennoch würde ich ihn nicht verärgern wollen.
»Was ist mit seiner Hand passiert?«, fragt Sam.
Die Hand sieht wirklich schlimm aus, wahrscheinlich muss sie genäht werden. »Er hat die Scheibe seines Autos eingeschlagen«, erkläre ich schniefend, und alle sehen mich an. »Als wir uns bei Kate gestritten haben«, füge ich fast beschämt hinzu.
»Sollen wir ihn ins Bett bringen?«, fragt Drew vorsichtig.
»Couch«, befiehlt John. Wir sind wieder bei den einsilbigen Antworten.
Sam steht auf und zieht eine leere Wodkaflasche unter der Sonnenliege hervor. Angeekelt sieht er sie an und wirft sie neben ein Hochbeet. Das Klirren lässt mich zusammenzucken, vor allem aber rührt sich Jesse.
»Jesse?« Ich schüttele ihn leicht. »Jesse, bitte mach die Augen auf!«
Sam, Drew und John drängen sich um uns, Jesse hebt einen Arm, rudert durch die Luft. Ich halte ihn fest, doch sobald ich den Arm loslasse, fuchtelt er mir damit vor dem Gesicht herum, murmelt Unverständliches und tritt mit den Beinen.
»Er sucht dich, Mädchen«, sagt John leise.
Ich sehe ihn erschrocken an, er nickt mir zu. Jesse sucht mich? Ich greife nach seiner Hand und führe sie an mein Gesicht, lege sie an meine Wange. Sofort wird er ruhig. Seine kalte Hand spendet nur wenig Trost, aber ihn scheint es zu besänftigen, deshalb halte ich sie fest. Ich bin entsetzt, dass Jesse wahrscheinlich tagelang hier draußen auf der Terrasse gelegen hat, unbekleidet und bewusstlos. Tagsüber mag es ja mild sein, aber bei Einbruch der Nacht sinken die Temperaturen spürbar. Warum habe ich ihn nur verlassen? Ich hätte bleiben und ihn beruhigen sollen.
»Ich hole Schlafsachen von oben«, verkündet Drew und verschwindet im Penthouse.
»Sollen wir?«, sagt John und weist auf Jesse.
Nur zögernd lasse ich Jesses Hand los, damit Sam und John ihn hochheben können. Ich stehe auf und gehe voraus, vergewissere mich, dass keine Kissen auf der Ledercouch liegen – freundlicherweise von mir selbst so gestylt –, sodass sie wie ein Bett aussieht.
Drew kommt mit den Armen voller Decken die Treppe herunter. Sam und John warten geduldig, halten Jesse fest. Ich nehme Drew einen Samtüberwurf ab und breite ihn über das kalte Leder, dann trete ich zurück, damit John und Sam Jesse ablegen können. Wir betten seinen Kopf auf ein paar Kissen und werfen noch eine Decke über seinen nackten Körper. Ich knie mich neben ihn, streichele über seine Bartstoppeln. Reue überfällt mich, die Tränen beginnen wieder zu fließen. Ich hätte das aufhalten können. Wenn ich nicht abgehauen wäre, wäre er jetzt nicht in diesem Zustand. Ich hätte bleiben und ihn beruhigen sollen, bis er wieder nüchtern gewesen wäre. Ich hasse mich.
»Ava, ist alles in Ordnung?« Drews ruhige Stimme dringt durch mein unterdrücktes Schluchzen, er reibt mir über den Rücken.
Ich schniefe und wische mir mit dem Handrücken über die Wangen. »Schon gut, tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.« Sam seufzt.
Ich beuge mich über Jesse und drücke meine Lippen auf seine Stirn, verharre so einige Sekunden. Als ich mich hochstemmen will, schießt sein Arm unter der Decke hervor und greift nach mir. »Ava?« Seine Stimme klingt rau, er blinzelt, schaut sich suchend um. Als sein Blick meinen findet, sehe ich nichts als Leere; seine sonst graugrünen Augen sind fast schwarz.
»Hey.« Ich lege meine Hand auf seine.
Er will den Kopf vom Kissen heben, gibt jedoch schnell wieder auf. »Es tut mir so leid«, murmelt er. Seine Hand tastet sich an meinem Arm hinauf, sucht mein Gesicht. »Es tut mir leid, so leid, so leid, so leid …«
»Hör auf!«, flüstere ich mit bebender Stimme und hebe seine Hand zu meiner Wange. »Hör bitte einfach auf!« Ich küsse seine Handfläche. Als ich ihn ansehe, sind seine Augen geschlossen. Er ist wieder weggetreten.
Ich schiebe seine Hand unter die Decke und sorge dafür, dass er gut zugedeckt ist, dann richte ich mich auf und drehe mich zu Sam, Drew und John um, die schweigend zusehen. Ich hab völlig vergessen, dass ich nicht allein mit Jesse bin, aber es ist mir nicht im Geringsten peinlich.
»Ich mache uns mal Kaffee«, unterbricht Sam das Schweigen und geht in die Küche. John und Drew folgen ihm.
Ich werfe noch einen kurzen Blick auf Jesse. Mein Instinkt rät mir, zu ihm unter die Decke zu krabbeln und ihn zu streicheln und zu beruhigen. Vielleicht tue ich das sogar, aber zuerst muss ich mit den Jungs sprechen. Ich gehe in die Küche, wo Sam und Drew die umgekippten Barhocker aufstellen und John den Kühlschrank zurechtrückt. So sah es hier nicht aus, als ich am Sonntag ging. Jesse scheint herumgewütet zu haben.
»Ich muss gleich los«, sagt Drew voller Bedauern und richtet den letzten Hocker wieder auf. »Ich bin mit Victoria verabredet.« Es sieht aus, als wäre es ihm peinlich.
»Geh ruhig, Kumpel«, sagt Sam und macht sich auf die Suche nach Bechern. »Ich ruf dich später an.«
»Letzter Schrank rechts, oberstes Fach«, erkläre ich Sam. Er sieht mich fragend an.
Ich zucke mit den Schultern.
Er trägt drei Becher mit schwarzem Kaffee zur Kücheninsel, wo John und ich Platz genommen haben. »Wir sollten uns lieber nicht an der Milch vergreifen, falls er überhaupt welche hat. Geht es auch schwarz?«, fragt Sam.
Ich nicke und nehme mir eine Tasse, John macht es mir nach und lässt unglaubliche vier Zuckerstücke in seinen Kaffee plumpsen. Ich weiß, dass keine Milch da ist, aber es ist überflüssig, das zu erwähnen.
»So«, beginnt Sam, »da wir ihn jetzt gefunden haben, was sollen wir mit ihm tun?«
Der lustige Sam ist zurück, eine ziemlich große Erleichterung. Seine Anspannung hatte meine eigenen Sorgen verstärkt, und wie sich herausstellte, hatte er allen Grund dazu. Innerlich erschaudere ich bei der Vorstellung, dass Jesse fünf Tage lang gelitten hat. Wie lange hätte er hier allein gelegen, wenn ich mich geweigert hätte, die Jungs zu begleiten? Sie hätten sicherlich irgendwann die Polizei gerufen.
John meldet sich zu Wort: »In The Manor läuft momentan alles glatt. Darüber müssen wir uns keine Sorgen machen. Wenn er seinen Kater auskuriert hat, wird er wieder der Alte sein.«
»Muss er nicht vielleicht einen Entzug machen?«, frage ich. »Oder eine Therapie, keine Ahnung?« Ich weiß wirklich nicht, wie so was läuft.
John schüttelt den Kopf und setzt seine Sonnenbrille auf. Ich frage mich, was für eine Beziehung zu Jesse er eigentlich genau hat. Ich hatte ihn lediglich für einen Angestellten gehalten, aber er scheint derjenige zu sein, der am besten über ihn Bescheid weiß.
»Kein Entzug«, bestimmt er. »Er ist nicht süchtig nach Alkohol, Ava. Er trinkt, um seine schlechte Laune zu vertreiben, um eine Lücke zu füllen. Wenn er einmal angefangen hat, kann er nicht mehr aufhören.« Er lächelt mich schwach an. »Du hast geholfen, Mädchen.«
»Was habe ich denn getan?« Ich weiß nicht, warum mich Johns Erklärung so verletzt. Irgendwie kann ich das Gefühl nicht abschütteln, dass darin eine Andeutung versteckt war, ich hätte den Rückfall mit herbeigeführt.
Sam legt die Hand auf meine. »Du hast ihn abgelenkt.«
»Aber dann habe ich ihn verlassen«, sage ich leise und spreche damit aus, was die beiden denken.
»Es ist nicht deine Schuld, Ava«, versichert Sam mir mit Nachdruck. »Du konntest es nicht wissen.«
»Er hat mir nie davon erzählt«, flüstere ich. »Wenn ich das gewusst hätte, wäre vieles anders gelaufen.« Tatsächlich weiß ich nicht, wie irgendetwas anders gelaufen wäre, wenn Jesse es mir gesagt hätte. Ich weiß nur, dass ich ihn nie wieder so erleben will wie am letzten Sonntag. Wird das passieren, wenn ich jetzt gehe? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich stütze die Ellenbogen auf die Arbeitsfläche und berge den Kopf in den Händen. Was soll ich nur tun?
»Ava?« Johns tiefe, brummende Stimme lässt mich aufblicken. »Er ist ein guter Mann.«
»Warum trinkt er? Wie schlimm ist es?«, frage ich. Ich weiß, dass Jesse im Grunde seines Herzens ein guter Mensch ist, aber wenn ich mehr über ihn wüsste, könnte ich ihn besser verstehen.
»Wer weiß?«, sagt John und sieht mich an. »Stell dir das nicht so vor, dass er jeden Tag von morgens bis abends blau war. So war das nicht. Wie er jetzt ist, das liegt nur an seinem Kummer, nicht weil er Alkoholiker wäre.«
»Hat er nicht getrunken, als er mich kennenlernte?« Ich kann es nicht glauben.
John lacht. »Nein, obwohl du ein paar andere, ziemlich hässliche Eigenschaften in ihm zum Vorschein gebracht hast, Mädchen.«
Ich runzele die Stirn, aber ich weiß genau, wovon er spricht; Sam ebenfalls, wenn ich seine freche Miene richtig deute. Die anderen haben immer wieder beteuert, Jesse sei eigentlich ein ziemlich entspannter Typ, aber ich habe nur kurze Blicke auf einen lässigen Jesse Ward erhaschen können, und das auch nur, wenn er seinen Willen bekam. Meistens hatte ich es mit einem unzumutbaren Kontrollfreak zu tun. Er gab sogar zu, dass er nur bei mir so ist – ich Glückliche.
»Ich bleibe hier, aber wenn er zu sich kommt und mich nicht hierhaben will, rufe ich einen von euch beiden an«, warne ich.
Sam ist erleichtert. »So wird es nicht kommen, Ava.«
John nickt. »Ich muss zurück zu The Manor und das Geschäft von diesem Mistkerl führen.« Er rutscht vom Barhocker. »Ava, du brauchst meine Nummer. Wo ist dein Handy?«
Ich sehe mich nach meiner Tasche um und stelle fest, dass ich sie auf der Terrasse liegen gelassen habe. Ich springe auf und hole sie.
Auf dem Rückweg sehe ich, dass Jesse immer noch weggetreten ist. Wie lange wird er so daliegen, ab wann muss ich mir Sorgen machen? Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.
Schweigend stehe ich da und betrachte ihn, seine Wimpern flattern leicht, seine Brust hebt und senkt sich gleichmäßig. Selbst jetzt wirkt er bekümmert. Vorsichtig nähere ich mich ihm, ziehe ihm die Decke bis unters Kinn. Ich kann nicht anders. Bisher habe ich ihn nicht umsorgt, jetzt mache ich es ganz automatisch. Ich bücke mich und drücke meine Lippen auf seine kalte Wange, genieße den schwachen Trost, den mir diese Berührung gibt, dann stehe ich auf und gehe zurück in die Küche. John ist schon weg.
»Hier.« Sam reicht mir ein Blatt Papier. »Johns Nummer.«
»Hatte er es so eilig?«, frage ich. Er hätte auf mich warten können.
»Er bleibt nie länger als notwendig. Hör zu, ich habe mit Kate gesprochen. Sie bringt dir ein paar Klamotten vorbei.«
»Oh, gut.« Meine armen Sachen werden sich fragen, wo sie eigentlich hingehören. Schon mehrmals wurden sie zwischen dem Penthouse und meiner Wohnung hin- und hergefahren.
»Danke, Ava«, sagt Sam aufrichtig.
»Nein, nein«, protestiere ich. Es ist mir unangenehm, besonders da es ja teilweise meine Schuld ist.
Sam druckst herum. »Schon gut. Ist nur, weil … na ja, nach letztem Sonntag, der Schock mit The Manor.«
»Schon gut, Sam.«
»Wenn er trinkt, hört er nicht mehr auf.« Sam lacht leise. »Er ist ein stolzer Mann, Ava. Er wird sich in Grund und Boden schämen, dass wir ihn so gesehen haben.«
Das kann ich mir vorstellen. Der Jesse, den ich kenne, ist stark, selbstbewusst, dominant und noch so einiges mehr. Schwach und hilflos gehört nicht zu der langen Liste seiner Eigenschaften. Ich würde Sam gerne versichern, dass The Manor und die Vorgänge dort im Vergleich mit dem Trinkproblem in den Hintergrund rücken, aber so ist es nicht. Nicht wirklich. Jetzt, da ich hier bin und Jesse wiedergesehen habe, dröhnt das alles sehr laut in meinem Kopf. Jesse besitzt einen Sexclub. Und er selbst nutzt die Angebote seines Etablissements. Sam hat das bestätigt, obwohl es eindeutig war, als ein Gast Jesse vorwarf, seine Ehe zerstört zu haben. Tief in mir wusste ich, dass er wild herumgevögelt haben musste und dass er ein vergnügungssüchtiger Playboy war, aber das tatsächliche Ausmaß hätte ich mir nie vorstellen können.
In der nächsten Stunde sammeln wir leere Flaschen ein und räumen auf. Ich hole alle Wodkaflaschen aus dem Kühlschrank, schütte den Inhalt in die Spüle und nehme mir vor, das Zeug nie wieder zu trinken.
Clive ruft an und teilt mir mit, eine junge Frau namens Kate sei unten im Foyer. Nachdem ich ihm erklärt habe, was wir hier oben vorgefunden haben, gehen Sam und ich hinunter zu ihr. Jeder schleppt einen schwarzen Müllsack voller Abfall und leerer Flaschen mit. Ich nehme mir vor, die eingetretene Tür reparieren zu lassen.
Unten im Foyer wartet Kate unter dem strengen Blick von Clive. »Hey«, sagt sie zögernd, als wir mit den klirrenden Mülltüten näher kommen. »Wie geht es ihm?«
Ich stelle den Sack ab und werfe Clive einen vorwurfsvollen Blick zu, damit er weiß, dass ich wirklich sauer auf ihn bin. Wenn er Sam, Drew oder John früher ins Penthouse gelassen hätte, wäre Jesse vielleicht nur betrunken gewesen und nicht in einem komaähnlichen Zustand so wie jetzt. Clive besitzt genug Anstand, um ein betretenes Gesicht zu machen.
»Er schläft«, antwortet Sam, dem klar ist, dass ich damit beschäftigt bin, dem Portier Schuldgefühle zu machen.
Als ich mich zu Kate umwende, hat Sam den freien Arm um sie gelegt und zieht sie an sich. Sie gibt ihm einen nicht ernst gemeinten Klaps.
»Hier.« Kate reicht mir meine Reisetasche. »Ich hab einfach alles reingestopft.«
»Danke.« Ich nehme die Tasche entgegen.
»Du bleibst also erst mal hier?«
»Ja«, antworte ich schulterzuckend. Sam sieht mich anerkennend an, und sofort ist mir unbehaglich zumute.
»Wie lange?«, hakt Kate nach.
Gute Frage. Wie lange dauert so etwas? Er könnte heute Abend aufwachen, vielleicht auch erst morgen oder übermorgen. Ich habe einen Job und muss mir eine Wohnung suchen. Fragend schaue ich Sam an, aber der zuckt nur mit den Schultern. Ich ahme seine Geste nach.
Auf einmal wird mir bewusst, dass ich Jesse im Penthouse allein gelassen habe, und ich bekomme Panik. Wenn er jetzt aufwacht, ist niemand da! »Ich gehe mal wieder nach oben«, sage ich und wende mich zum Fahrstuhl.
»Klar, mach schon!« Kate hebt den Müllsack auf. »Das entsorgen wir.«
Wir verabschieden uns, und ich verspreche ihr, sie am nächsten Morgen anzurufen. Bevor ich zum Aufzug gehe, weise ich Clive an, sich um Jesses Autofenster und die Eingangstür zum Penthouse zu kümmern. Er macht sich sofort an die Arbeit.
Oben angekommen, gehe ich in den Wohnbereich, wo Jesse immer noch schläft.
Was soll ich jetzt tun? Ich trage noch mein taupefarbenes Kleid und die hohen Schuhe von der Arbeit, deshalb gehe ich die Treppe hoch und nehme das letzte Gästezimmer für mich in Beschlag, wo ich in eine zerrissene Jeans und ein schwarzes T-Shirt schlüpfe. Ich müsste mal duschen, will aber Jesse nicht zu lange allein lassen. Das muss warten.
Ich gehe wieder nach unten und mache mir einen schwarzen Kaffee. Während ich ihn in der Küche trinke, komme ich auf die Idee, mich über Alkoholismus zu informieren. Irgendwo muss Jesse seinen Computer haben. Ich mache mich auf die Suche und finde in seinem Arbeitszimmer einen Laptop, den ich hochfahre. Zum Glück fragt er nicht nach einem Passwort. Ich nehme den Apparat mit nach unten und mache es mir in dem großen Sessel gegenüber von Jesse bequem, damit ich ihn im Auge behalten kann. Ich rufe Google auf und gebe »Alkoholismus« in die Suchmaske ein. Siebzehn Millionen Treffer. Ganz oben stehen die »Anonymen Alkoholiker«. Das ist bestimmt ein guter Ausgangspunkt. John hat zwar gesagt, Jesse sei kein Alkoholiker, aber da habe ich so meine Zweifel.
Nachdem ich einige Stunden im Internet gesucht habe, fühlt es sich an, als stünden meine grauen Zellen unter Strom. Es gibt so viel zu lernen – Langzeitwirkung, psychologische Probleme, Entzugssymptome. Ich lese einen Artikel über ein schweres Kindheitstrauma, das zur Alkoholsucht führte, und frage mich, ob Jesse früher mal irgend so etwas Ähnliches widerfahren ist. Sofort fällt mir die schlimme Narbe an seinem Bauch ein. Es gibt auch genetische Dispositionen, und ich überlege, ob vielleicht ein Elternteil von ihm trinkt. Ich werde mit Informationen überschüttet und weiß nicht, was ich damit anfangen soll.
Der letzte Sonntag kommt mir wieder in den Sinn, die Dinge, die er zu mir sagte. Du bist eine verfickte Hure, Ava. Ich brauche dich, und du hast mich verlassen. Dann verließ ich ihn ein zweites Mal. Verzweifelt klappe ich den Laptop zu und stelle ihn auf den Couchtisch. Es ist erst zehn Uhr, aber ich bin völlig fertig. Ich will nicht nach oben ins Bett gehen, weil ich Angst habe, dass Jesse aufwacht, deshalb suche ich ein paar Kissen zusammen und lege sie neben ihn auf den Boden. Ich mache es mir bequem, den Kopf gegen die Couch gelehnt, und streichele seine muskulösen Unterarme. Der Hautkontakt beruhigt mich, und es dauert nicht lange, da werden meine Augen schwer, und ich schlafe ein.
3
Ich liebe dich.«
Nur schwach nehme ich wahr, dass seine Hand auf meinem Hinterkopf ruht, seine Finger durch mein Haar fahren. Es fühlt sich so tröstlich an… so richtig. Ich schlage die Augen auf und schaue in ein stumpferes Grün als das, das ich bisher gesehen habe.
Ich zucke hoch und schlage dabei mit dem Knöchel gegen den Couchtisch. »Scheiße!«, fluche ich.
»Wortwahl!«, ermahnt er mich mit brüchiger Stimme.
Ich greife nach dem Knöchel, doch dann werde ich richtig wach und erinnere mich, wo ich bin. Ich lasse den Fuß los und drehe mich zum Sofa um, wo Jesse sich ein wenig aufrichtet. Er sieht furchtbar aus, aber immerhin schläft er nicht mehr. »Du bist wach!«, rufe ich.
Er zuckt zusammen, fasst sich mit der gesunden Hand an den Kopf.
Oh, Mist!
Er muss den schlimmsten Kater aller Zeiten haben, und ich kreische herum wie eine Verrückte. Ich weiche einige Schritte zurück, bis ich den Sessel in den Kniekehlen spüre, in den ich mich langsam sinken lasse. Ich habe keinen Schimmer, was ich zu Jesse sagen soll. Ich werde ihn nicht fragen, wie es ihm geht, das liegt auf der Hand, und ich werde ihm auch keinen Vortrag über persönliche Sicherheit oder die Gefährdung seiner Gesundheit halten.
Ich würde gerne wissen, ob er sich an unseren Streit erinnern kann.
Ich würde ihn gerne fragen, warum er mir nicht erzählt hat, dass er einen Sexclub besitzt und ein Alkoholproblem hat.
Ich würde gerne wissen, ob er sich fragt, was ich hier mache, und ob ich gehen soll.
Ich würde ihm gerne sagen, dass ich ihn liebe.
Aber das tue ich nicht. Stattdessen bringe ich hervor: »Wie geht es dir?«, und wünsche mir sofort, ich hätte den Mund gehalten.
Jesse seufzt und begutachtet seine kaputte Hand. »Scheiße«, stellt er fest.
Er braucht bestimmt Flüssigkeit. Ich stehe auf und gehe in die Küche.
»Wo willst du hin?«, ruft er leicht panisch und schießt von der Couch hoch.
»Ich dachte, du willst vielleicht Wasser trinken«, erkläre ich. Diesen Gesichtsausdruck von ihm kenne ich. Normalerweise bricht früher oder später der dominante Kontrollfreak durch, aber ich will mir keine allzu großen Hoffnungen machen. Er hat jetzt nicht die Kraft, mir nachzulaufen, mich festzuhalten und mich zu unterwerfen. Ich bin enttäuscht.
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