Lot und Brandung - Stefan Iserhot-Hanke - E-Book

Lot und Brandung E-Book

Stefan Iserhot-Hanke

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Beschreibung

Lot und Brandung - Gedichte und Illustrationen aus der dritten Welle

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Seitenzahl: 34

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Für Marionette

Es gab damals keine individuellen Schicksale mehr, sondern eine kollektive Geschichte, nämlich die Pest und von allen geteilte Gefühle. Am stärksten waren das des Getrenntseins und des Exils, mit allem, was dies an Angst und Auflehnung mit sich brachte.

So brach die Krankheit, die die Einwohner scheinbar zu einer Solidarität von Belagerten gezwungen hatte, gleichzeitig die traditionellen Vereinigungen auseinander und überließ die Einzelnen ihrer Einsamkeit. Das schuf Verwirrung.

Während sie trotz Gefangenschaft und Exil monatelang mit dumpfer Ausdauer wartend durchgehalten hatten, genügte der erste Hoffnungsschimmer, um zu zerstören, was Angst und Verzweiflung nicht hatten erschüttern können. Sie stürzten wie Irre vorwärts, um der Pest zuvorzukommen, und waren unfähig, bis zum letzten Augenblick mit ihr Schritt zu halten.

Im Übrigen kann man sagen, dass die Herrschaft der Pest von dem Augenblick an beendet war, als für die Bevölkerung ein kleiner Funke Hoffnung möglich wurde.

Albert Camus, „La Peste“, 1947

INHALT

ANFANG

OBEN UND UNTEN

NAH UND FERN

ÜBER WELLEN FLOG ICH

MORGENS SINGEN WIR NOCH

Corona I

– AN DER REELING

EIN GLAS KALTE MILCH

Corona II

– PICKNICK

LAVAODEM

WÄRE ICH ICH SELBST

Corona III

– DIE LUFT IST REIN

FRÜHLINGSVOGEL

Corona IV

– NÄCHTLICHER ANRUF EINES EHEMALIGEN FREUNDES

BERGSTEIGER

Corona V

– GALERIE

HÜTTE AM STRAND

Corona VI

– MUMMENSCHANZ

AUF KÜCHENSTÜHLEN

ICH BIN

Corona VII

– WELTEMPFÄNGER

PETERSDOM

ERWARTUNG

AUSNAHMSWEISE

Corona VIII

– NEMO

POINTE

LOT UND BRANDUNG

Corona IX

– DANN KAM DER TAG

LANDSCHULHEIM ´74

Corona X

– HELLAS

AUF DER KAIMAUER

DIE TÜR

HALLO

NACHGEDANKEN

ANFANG

Am Anfang

geschah mir das Leben

Klein war die Welt

wie ein Zimmer

und größer als alles

der Hunger

Und die Stimme der Mutter

war Gott

stand lange im Türrahmen

und flüsterte mir etwas zu…

OBEN UND UNTEN

Oben schweben

Licht- und Gasgedanken

wie feines Klingen

hinter meiner Stirn

Unten schlafen

dunkle Kindheitsbilder

träumen ächzend

vor sich hin

NAH UND FERN

Nah steht die Wand

der graue Turm

und die Bank

am Waldesrand

Fern schlitzen die Flügel

des Rades

den Himmel auf

und Licht

fließt hinaus…

ÜBER WELLEN FLOG ICH

Über Wellen flog ich

und Töne versanken

unter meinen Händen

wie Steine im Meer

Über Gipfel segelte ich

und Rhythmen verhallten

unter meinen Füßen

wie Echos zwischen Felsen

Über Schluchten schoss ich

und Akkorde stürzten

aus mir heraus

wie Vogelschwärme in die Tiefe

Über Wälder schwebte ich

und Melodien quollen

aus meinem Nabel

um die Äste der Bäume

Über Ebenen jagte ich

und Symphonien verloren sich

in meinem Kopf

wie Geräusche im Nebel

MORGENS SINGEN WIR NOCH

Morgens singen wir noch

mit den Amseln

und neben uns in seinem Grab

hebt Beethoven wohlwollend

die Brauen

Mittags brüllen wir schon

über die Kreuzung

und auf dem Beifahrersitz

nickt ein Rallyeweltmeister

uns aufmunternd zu

Nachmittags klagen wir dann

mit den Rentnern

und vom Hügel im Park

blickt ein steinerner Bismarck

ohne Mitleid über uns hinweg

Abends schweigen wir nur

am Küchentisch

und im Radio

erklärt uns eine Stimme

das Leid der Welt

Nachts träumen wir wild

von uns selbst

und von irgendwoher

dringt der Gesang der Amseln

in unseren Schlaf

Corona I

AN DER RELING

An der Reling lehnen

vorne am Bug

während das Schiff sich

durch ein Meer

aufgewühlter Erinnerungen kämpft

Gleich verlassenen Inseln

ziehen Weihnachtsfeiern vorbei

Tage auf Standesämtern

wie Sandbänke

mit Seehundbabys

Stunden in Trauerhallen

ragen aus dem Wasser

wie schwarze Wracks

Und in überfüllten Rettungsboten

treiben all meine Versprechen und Wünsche

zum Horizont

Ängstlich wende ich mich

zum Kapitän auf der Brücke

der lächelt mir zu

und lenkt sein Schiff

in die aufgehende Sonne

EIN GLAS KALTE MILCH

Eines Nachts

um kurz nach zwei

schrecke ich auf

mit brennendem Hals

geh auf Toilette

dann in die Küche

um Wasser zu trinken

ein Glas kalte Milch

Am Tisch in der Dunkelheit

mit grauem Gesicht

und weißem Haar

ein uralter Mann