Love - S. M. Groth - E-Book

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S. M. Groth

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Beschreibung

Annas Welt liegt in Scherben, Wie konnte Sie sich nur so in Joe täuschen? Er war die Liebe ihres Lebens, zumindest dachte sie es. Anna muss ihr Leben nach dem Verrat von Joe neu gestalten und versuchen, ohne ihn weiterzuleben.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 1

Als ich aufwache, tut mir alles weh. Mein Körper scheint ein einziger Schmerz zu sein. Ich habe Muskelkater in den Schultern und im Oberkörper vom Weinen, mein Magen schmerzt vom Übergeben, der Rest meines Körpers schmerzt vom Schlafen auf dem harten Boden und vom Verrat. Ich dachte nie, dass der Verrat eines Menschen einem Anderen körperliche Schmerzen verursachen könnte. Unser Körper scheint sehr mit unseren Gefühlen verbunden zu sein. Jetzt fühle ich mich leer und innerlich tot.

Ich setze mich auf. Was soll ich jetzt bloß tun? Ich war so unbeschreiblich glücklich, als Joe mir sagte, dass er mich liebt und dann? Dann lässt er meine Welt in sich zusammenstürzen.

Alles war nur eine beschissene Wette. Ich bin so blöd. Susa hat mich doch gewarnt vor ihm. Warum habe ich nicht auf sie gehört? Warum war ich so naiv und dachte, ich würde ihn besser kennen? Andererseits, auch Susa war der Meinung, dass er sich geändert hat. Sie ist ebenfalls auf ihn hereingefallen, dabei hat Susa sehr viel mehr Lebenserfahrung als ich.

Es hilft alles nichts, meine Welt ist nicht mehr heil und rosarot, sie ist zerstört und schwarz. Ich bin nicht gestorben, also muss ich weiterleben, aber wie soll es jetzt weitergehen?

Ich habe den Rest der Woche weder Uni, noch Stunden im FIT. Ich will auf keinen Fall riskieren, dass ich Joe noch einmal über den Weg laufe. Irgendwann werde ich mich ihm stellen müssen, aber dazu bin ich erstmal nicht bereit.

Ich ziehe mich an, Jogginghose und Zippjacke reichen. Ich schnappe mir meinen kleinen Koffer und werfe ein paar Sachen hinein. Normal lege ich alles ordentlich zusammen und passe auf, dass es nicht allzu sehr zerknittert, aber heute ist mir das herzlich egal. Sollen die Klamotten doch zerknittern. Was spielt das noch für eine Rolle?

Als der Koffer mehr oder weniger gepackt ist, horche ich nach draußen, kann aber nichts hören. Ich öffne vorsichtig meine Zimmertür und spähe hinaus. Es ist niemand zu sehen oder zu hören. Ich husche ins Bad, gehe auf die Toilette und packe meine Haarbürste und meine Zahnbürste ein. Ich stopfe alles in meinen Koffer und mache ihn zu.

Susa lege ich einen Zettel in die Küche, dass ich spontan zu meinen Eltern musste. Ich ziehe mir meine warme Jacke und warme Schuhe an.

Leise schließe ich die Tür hinter mir, um Susa nicht zu wecken. Auf dem Weg zum Bahnhof schalte ich mein Handy ein. Zwanzig Anrufe und Nachrichten auf meiner Mailbox. Bis auf einer sind alle von Joe. Ich drücke sie weg. Der letzte Anruf war von Susa. Sie hat mir eine Nachricht geschickt und fragt, ob ich schon nach Hause gegangen bin. Sie hat sich Sorgen gemacht. Das tut mir wirklich leid. Ich habe nicht daran gedacht, Susa Bescheid zu sagen. Ich habe Schuldgefühle ihr gegenüber. Aber ich kann das jetzt nicht mehr ändern, dass sie sich Sorgen gemacht hat. Sie wird aber meine Schuhe und mein Kleid im Bad gesehen haben und nachher meine Nachricht auf dem Tisch sehen. Dann weiß sie, dass es mir gut geht, naja gut... Ich lebe noch. Wird es mir je wieder gut gehen? Daran glaube ich zwar nicht, aber Susa soll sich keine Sorgen um mich machen.

Ich rufe meine Eltern an. Sie sind überrascht, von mir zu hören, vor allem am ersten Januar und dazu noch um 9 Uhr morgens. Ich hatte gar nicht auf die Uhr gesehen. Ich sage, dass ich noch ein paar Tage zu ihnen kommen möchte. Den Lernstoff hätte ich doch schon geschafft und es ist erst Donnerstag. Meine Eltern freuen sich auf mich und ich verspreche, mich zu melden, sobald ich weiß, wann der Zug ankommen wird.

Wie erwartet ist der Bahnhof fast leer und ich muss erstmal herausfinden, welche Züge heute überhaupt fahren. Ich werde drei Stunden länger brauchen als an einem normalen Wochentag, aber das ist mir egal. Hauptsache, ich komme aus dieser Stadt raus und weg von Joe.

Ich rufe meine Eltern an. „Mama, mein Zug ist erst um 16:50 Uhr da. Mein Handyakku ist aber fast leer. Ich habe es heute Nacht nicht geladen. Ich schalte das Handy jetzt aus und schalte es dann kurz vorher wieder an. Es sei denn, es ist irgendwas und ich habe große Verspätung, dann melde ich mich früher.“

„Oh, ok. Meinst du, der Akku reicht dann noch?“

„Ja, das wird schon Mama. Mach dir keine Sorgen.“ Sie seufzt nur. Wird meine Mutter irgendwann aufhören, sich Sorgen um mich zu machen? Ich möchte nicht schuld daran sein, dass sie ihre Tage nicht genießen kann, sondern sich sorgt. Andererseits es ist auch schön zu wissen, dass jemand da ist und sich sorgt.

„Bis später, Mama.“

„Bis später Spatz. Gute Fahrt.“

Ich schalte mein Handy aus. Der Akku ist zwar noch fast voll, aber ich habe keine Lust, dass es die ganze Zeit klingelt. Wenn Joe überhaupt anruft. Der Gedanke, dass ich nicht die Willenskraft haben werde, seinen nächsten Anruf zu ignorieren, macht mir Angst. Eigentlich will ich nicht mit ihm reden. Ich will aber auch irgendwie, dass er anruft. Ich seufze frustriert. Bevor ich nach Köln kam, war mein Leben so einfach.

Ich setze mich auf den Bahnsteig und warte auf meinen Zug. Ich starre einfach nur an die Wand und warte. Mein Kopf ist auf einmal ganz leer. Meine Brust tut weh, als würde mein Herz zerspringen wollen. Irgendwie wird mein Leben weitergehen. Erst einmal flüchte ich mich in mein Schneckenhaus wie früher. Ich verschließe meine Gefühle vor der Außenwelt und ziehe mich von den Menschen zurück. Mit dieser ganzen Sache muss ich erst einmal alleine fertig werden, wenn das überhaupt möglich sein wird. Kann man so etwas überhaupt verarbeiten?

In Emden wird die Welt in Ordnung sein und nichts wird mich an Joe erinnern. Vielleicht bleibe ich einfach dort.

Kapitel 2

Meine Eltern holen mich Beide vom Bahnhof ab. Ich freue mich wirklich, sie zu sehen, auch wenn es nur eine knappe Woche her ist, seit ich sie nach Weihnachten zurückgelassen habe. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Ich weiß nicht, ob meine Eltern vermuten, dass etwas nicht stimmt und deswegen Beide zum Bahnhof gekommen sind oder ob sie einfach Beide zusammen unterwegs waren. Ich werde sie nicht darauf ansprechen, sondern freue mich einfach, dass sie da sind.

„Schön, dass du da bist,“ sagt meine Mama.

„Ja, ich freue mich auch.“

„Triffst du dich mit Lena oder Nick?“ fragt sie gleich.

„Ich habe sie beide noch nicht angerufen. Ich muss erst mein Handy aufladen.“ Ich will keinen der Beiden sehen. Nicht, weil ich sie nicht vermisse in Köln, sondern weil sie mich fragen werden, wie es läuft und vor allem wie es mit Joe läuft. Und ich bin mir sicher, dass meine beiden besten Freunde mir an der Nasenspitze ansehen werden, dass etwas nicht stimmt. Ich kann nicht darüber reden.

„Heute Abend freue ich mich auf einen ruhigen Abend mit meinen Eltern,“ sage ich ehrlich.

„Du willst freiwillig den ganzen Abend mit uns verbringen?“ fragt mein Vater überrascht.

„Ja, ich sehe euch wirklich zu selten. Wenn Montag die Vorlesungen wieder starten werde ich wieder genug neuen Stoff zum Lernen haben. Ich werde wieder kaum Zeit haben, um mit Euch zu telefonieren, geschweige denn herzufahren.“

„Okay, und was möchtest du machen?“ fragt er.

„Mh, keine Ahnung,“ gebe ich ehrlich zu. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.

„Scrabble?“ schlägt meine Mam vor.

„Das klingt toll,“ sage ich und hoffe, dass meine Stimme halbwegs freudig klingt und nicht so traurig, wie ich mich fühle. Dabei freue ich mich wirklich darauf, mit ihnen einen ruhigen und unspektakulären Abend zu verbringen, ich bin nur einfach nicht in der Lage, mich richtig zu freuen.

„Ich muss morgen wieder arbeiten,“ sagt mein Vater.

„Aber deine Mutter hat noch einen Tag Urlaub.“

„Alles klar. Was hast du morgen vor Mam?“

„Ich wollte mit Silke brunchen gehen. Ich habe sie noch nicht erreicht, um abzusagen.“

„Quatsch. Warum willst du denn absagen? Geh ruhig, ich schlafe aus und dann machen wir nachmittags was.“

„Sicher? Du kannst auch gerne mitkommen.“

„Ja, klar. Ich schlafe lieber aus. Geh du ruhig und amüsiere dich. Wir unternehmen dann nachmittags etwas.“ Und ich bin mir wirklich sicher. Auf keinen Fall will ich meiner Mutter und Silke den Vormittag verderben, weil ich nicht so fröhlich bin wie sie. Außerdem habe ich keine Lust höfliche Konversation zu machen, nur um irgendetwas zu sagen. Davon halte ich schon unter normalen Umständen nicht viel, aber momentan möchte ich meine Ruhe.

Kapitel 3

Der Abend mit meinen Eltern war wirklich schön. Es war wie früher. Alles hier ist wie früher. Wobei früher schon irgendwie komisch klingt. Es kommt mir lang vor. Dabei ist es gerade erst 3 Monate her, dass ich ausgezogen bin, um nach Köln zu gehen. Ich öffne die Vorhänge in meinem alten Zimmer im Haus meiner Eltern. Noch immer haben sie nichts daran geändert.

Es hat angefangen zu schneien. Überall liegt schon eine leichte weiße Schicht. Ich liebe Winterlandschaften. Es sieht immer alles so friedlich aus, besonders bevor die Leute hindurchlaufen. Ich ziehe mich warm an und verlasse das Haus. Es schneit noch immer. Es ist wirklich herrlich. Ich laufe einfach los. Es ist jedes Jahr überraschend, wie schön die Natur sein kann. Die Bäume und Pflanzen sind gefroren. Alles liegt still und friedlich vor mir. Die Straßen wurden bisher befahren, aber die Wege und Wiesen sind noch unberührt.

Ich weiß nicht wie oder warum, aber ich bin zum Hafen gelaufen. Ich setze mich auf eine Bank und genieße den Anblick. Das Wasser ist noch nicht gefroren. Trotzdem ist es hier ruhig und friedlich. Eiszapfen haben sich an den Reelingen der Schiffe gebildet. Alle Decks sind weiß bedeckt. Alles ist so ruhig und still, dass es eher aussieht wie ein Gemälde oder eine Fotografie, als die echte Natur.

Keine Ahnung, wie lange ich hier einfach nur dasitze und mir die Umgebung ansehe, aber als es dunkel wird, mache ich mich auf den Weg nach Hause. Mein Hintern, meine Beine und mein Gesicht sind eiskalt. Bewegung wird die Durchblutung wieder ankurbeln.

Ich habe keine Uhr mit und mein Handy liegt bei meinen Eltern. Ich hoffe, es ist nicht schon allzu spät. Ich habe meiner Mutter ja zugesagt, mit ihr zu Ikea zu fahren. Hoffentlich wartet sie nicht schon auf mich und macht sich Sorgen, weil ich nicht da bin und sie mich nicht erreichen kann.

Zu meinem Glück ist meine Mutter noch nicht zuhause. Ich setze mich auf das Sofa im Wohnzimmer und warte auf sie. Sie hat sich bestimmt festgequatscht. Ich überlege, ob ich in mein Zimmer gehen soll, um mein Handy zu holen um zu sehen, ob Joe sich gemeldet hat.

Wahrscheinlich zu meinem Glück, höre ich im selben Moment, in dem ich mich dazu entscheide, mein Handy zu holen, die Haustür und meine Mutter kommt herein.

„Schätzchen, tut mir leid, dass ich jetzt erst komme. Aber irgendwie habe ich total die Zeit vergessen. Dabei bist du doch nur so kurz da. Wollen wir gleich losfahren?“

„Macht nichts. Wir hatten ja keine Zeit ausgemacht. Klar, wir können gleich los.“

Im Auto fragt sie mich, ob ich schon Lena oder Nick angerufen habe.

„Nein, ich habe das Ladekabel von meinem Handy vergessen und dachte, ich gehe morgen mal bei ihnen direkt vorbei. So wie früher, als man noch kein Handy hatte.“

Ich lache und hoffe, meine Mutter hört nicht, dass ich mich anstrengen muss, um zu lachen. Sie stimmt aber mit ein.

„Ja, das waren noch Zeiten. Trotzdem seid ihr alle groß geworden.“

Der letzte Satz klingt etwas traurig, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil ich selber so deprimiert bin.

Ich möchte ihr nicht sagen, dass ich mein Handy nicht anschalten möchte und warum soll ich nicht einfach so bei Lena und Nick vorbeischauen? Das haben wir ja früher schließlich immer so gemacht. Da wurde vorher nicht stundenlang telefoniert oder hin und her geschrieben, entweder man hat sich persönlich verabredet oder man ist einfach hingegangen und hat geklingelt. Wenn man Glück hatte, wurde die Tür geöffnet und der Andere war da. Wenn man Pech hatte, ist man den Weg umsonst gelaufen.

Bei IKEA möchte meine Mutter mir jeden erdenklichen Schnickschnack für meine Wohnung andrehen. Meine Wohnung? Ich habe mich noch gar nicht entschieden, ob und wenn ja wann ich überhaupt wieder zurückfahre. Ich will auf jeden Fall nicht zurück. Ich möchte hierbleiben, dort, wo anscheinend die Zeit stehen geblieben ist und ich die kleine Tochter meiner Eltern sein kann. Ohne Probleme mit Jungs und ohne Stress an der Uni. Ich wünsche mich zurück in die Zeit, als ich mir nur Sorgen um meine Noten zu machen brauchte. Alles andere funktionierte reibungslos. Leider lässt sich die Zeit nicht so einfach zurückdrehen.

Ich habe hart gearbeitet, um es an die Sporthochschule zu schaffen. Meine Eltern haben mich immer unterstützt, wie sollte ich ihnen erklären, dass ich meinen Lebensplan hinwerfe wegen einem Kerl. Nein, das kann ich ihnen nicht antun. Und außerdem will ich nicht wegen einem Arsch wie Joe auf die Chance verzichten, an der Sporthochschule zu studieren und dort meinen Abschluss zu machen. Es ist mein Traum und den darf Joe mir nicht zerstören. Er hat schon mein Leben zerstört. Das werde ich einfach nicht zulassen. Ich werde zurückgehen. Ich muss mir einen Plan machen, wie ich es schaffe, Joe aus dem Weg zu gehen. Ich will ihn nie wiedersehen. Heute Nacht werde ich dafür eine Lösung finden.

„Mama, ich fahre mit dem Zug zurück und müsste dann alles schleppen. Außerdem müsste ich alles wieder einpacken und mitschleppen, wenn ich mit meinem Abschluss fertig bin und aus Köln wegziehe.“ Genau das werde ich tun. Ich werde dieser Stadt so schnell ich kann den Rücken kehren.

„Aber du musst es dir doch trotzdem heimisch einrichten. Du sollst dich doch wohl fühlen in deiner Wohnung.“

„Das tue ich,“ was nur teilweise eine Lüge ist. Meine Wohnung ist wirklich schön und Susa ist für mich die perfekte Mitbewohnerin. Dass ich momentan nicht in meiner Wohnung sein mag, liegt einzig und allein an Joe. Ich muss dort immer an ihn denken und drei seiner Shirts liegen in meinem Bett. Ich gehe zumindest nicht davon aus, dass ich sie weggeräumt habe. Das wird das Erste sein, wenn ich zurück bin. Ich werde sie wegwerfen.

„Ach Anna, wenigstens eine Kerze oder zwei. In der dunklen Jahreszeit kann man sowas doch brauchen,“ quengelt meine Mutter.

Schließlich gebe ich mich geschlagen und meine Mutter kauft mir eine Kerze die nach Zimt duftet und eine, die nach Vanille duftet. Dazu brauche ich noch zwei Kerzenständer, weil ich keine in Köln habe. Ich entscheide mich für zwei Windlichter. Ich mag es, wie die Schatten an den Wänden tanzen und den Raum in ein ungewöhnliches und unstetes Licht tauchen.

Meine Mutter sieht richtig glücklich aus, dabei sind es doch nur zwei Kerzen und zwei Windlichter. Vielleicht denkt sie aber auch, ich bin unglücklich in Köln, weil ich mich dort nicht heimisch fühle. Das ist aber nicht der Grund.

Vielleicht hat meine Mutter recht und ich sollte anfangen, meine Wohnung bzw. mein Zimmer etwas heimischer einzurichten. Bisher stehen zwar meine Möbel darin, aber ich habe weder Bilder noch andere Dekoartikel genutzt. Wenn man mein Zimmer betritt, kommt es einem unpersönlich vor. Man erfährt kaum etwas über mich. Bei anderen Leuten kann man durch die persönlichen Gegenstände in ihren Wohnungen viel über die Person erfahren, die das Zimmer oder die Wohnung bewohnt. Bei mir nicht. Bisher hat mich das nicht gestört. Meine Bücher und Filme stapeln sich zwar, aber persönliche Dinge sind in Kommoden oder Kartons verstaut. Vielleicht werde ich mich besser fühlen, wenn das Zimmer persönlicher eingerichtet ist. Das werde ich in Angriff nehmen, wenn ich wieder zurück bin.

Bilder von Lena und mir und von Nick und mir werden den Raum freundlicher machen. Ich werde welche heraussuchen. Vielleicht finde ich auch ein paar Poster, die mir gefallen, damit die Wände nicht mehr so kahl sind. Aber danach werde ich in Köln schauen. Ich möchte Poster nicht im Zug transportieren. Auch wenn sie gerollt sind, muss man sehr auf sie achtgeben, um sie nicht zu zerdrücken.

Vielleicht hilft es mir, wenn ich dekoriere, die Erinnerungen an Joe zu überdecken. Mein Zimmer wird dann anders sein, vielleicht stelle ich auch die Möbel um. Das werde ich entscheiden, wenn ich wieder in Köln bin.

Kapitel 4

Ich beschließe, schon am Samstag zurück nach Köln zu fahren. So bleibt zwar keine Zeit Lena oder Nick zu besuchen und eigentlich möchte ich noch bei meinen Eltern bleiben, aber ich habe Angst, dass Joe mit meiner Rückkehr am Sonntag rechnet und auf mich warten könnte. Ich weiß nicht, wie ich reagieren würde, wenn er es tut, aber genauso wenig weiß ich, ob ich damit klarkomme, wenn er es nicht tut. Warum hat er überhaupt sooft angerufen, wenn er doch schon die Wette gewonnen hat? Aber eigentlich ist es ohne Belang. Es ist vorbei. Es wird besser werden. Es muss besser werden.

Erst im Zug schalte ich mein Handy wieder ein. Ich kann mich vor der Welt ja nicht ewig verstecken und je eher ich mich dem stelle, desto eher habe ich es hinter mir. Ich erwarte eh nicht, dass Joe sich gemeldet hat. Ich weiß nicht, ob mich das nicht mehr verletzen würde. Ich will zwar nichts mehr mit ihm zu tun haben, aber ich will auch, dass er sich meldet. Das alles macht doch keinen Sinn. Warum weiß ich nicht, was ich will?

Ich atme tief durch, bevor ich meinen PIN eingebe. Ich habe darauf eh keinen Einfluss und je eher ich es erfahre, umso eher werde ich damit abschließen.

Drei Nachrichten von Susa. Sie fragt, ob es mir wirklich gut geht und ob irgendein Notfall passiert wäre. Ich beschließe nicht zurückzuschreiben. Ich bin schon auf dem Weg nach Köln, da kann ich ihr sagen, dass es mir gut geht.

15 neue Nachrichten auf meiner Mailbox, alle von Joe. Wahrscheinlich ist sie mittlerweile voll. Ich höre die Nachrichten nicht ab. Zwei neue Nachrichten von ihm. Ich kann nicht anders und schaue drauf, auch wenn ich es wohl besser nicht tun sollte.

Die erste ist noch vom 01.01.

Ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich liebe dich wirklich.

Denkt er wirklich, ich sei abgehauen, weil er mir sagte, dass er mich lieben würde? Was ja auch eindeutig nicht stimmt, sonst hätte er ja wohl keine Wette über meine Entjungferung abgeschlossen.

Die zweite Nachricht ist vom 02.01. und sehr kurz.

BITTE MELDE DICH!

Auch das werde ich nicht tun. Einerseits freut es mich wirklich, dass er versucht, die Sache mit mir zu klären. Wobei er anscheinend nicht weiß, dass ich alles weiß. Andererseits verstehe ich absolut nicht, was er überhaupt noch von mir will. Seine Wette hat er gewonnen und da er bereits Geld erhalten hat, benötigt er keinen Beweis bzw. keine Bestätigung meinerseits, dass es wirklich stattgefunden hat. Also, was zum Teufel will er von mir und warum lässt er mich nicht in Ruhe?

Ich werde meinen Plan durchziehen: Joe aus dem Weg gehen und mich auf mein Studium konzentrieren, um meinen Abschluss so früh wie möglich zu machen.

Susa ist nicht zu Hause. Also schreibe ich ihr doch schnell eine kurze Nachricht.

Mir geht es wirklich gut. Alles in Ordnung. Bin gerade in Köln angekommen. Sehen uns morgen.

Ich stelle meine Kerzen auf und beschließe, dass mir heute nach Zimt ist. Wenn ich die Kerzen schon mitgeschleppt habe, kann ich die Kerze auch gleich anzünden. Ich sortiere aus meinem Stapel Bücher erst einmal alle Liebesgeschichten heraus. Die müssen warten. Ich kann mich momentan nicht in eine Welt flüchten, wo alle super verliebt und super glücklich sind. Die Liebesromane lege ich einfach unter mein Bett, damit ich sie nicht immer wieder sehen muss. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ich nehme mir von meinem Stapel das oberste Buch und kuschle mich damit ins Bett.

Mein Plan für Sonntag besteht darin, mein Zimmer bis Montag nur zu verlassen, wenn ich auf die Toilette muss. Ich melde mich bei niemandem zurück und hoffe, dass Susa auch morgen den ganzen Tag unterwegs ist. Susa ist wirklich super. Aber ich möchte erst einmal ankommen und versuchen, in unserer Wohnung einen normalen ruhigen Tag zu verleben. Außerdem wird Susa wissen wollen, warum ich von der Party abgehauen bin und was bei meinen Eltern los war. Ich bin noch nicht bereit, mit ihr darüber zu reden und möchte sie auch nicht anlügen.

Ab Montag wird mich die harte Realität treffen und ich muss mich dem Erlebten stellen. Das möchte ich jetzt aber noch nicht.

Kapitel 5

Ich habe die ganze Nacht hindurch gelesen und kein bisschen geschlafen. Auch wenn das sicher nicht gesund ist, habe ich so keine Minute an Joe gedacht.

Als ich gerade aus dem Bad komme, höre ich die Haustür. Kurz überlege ich, in mein Zimmer zurück zu springen, damit Susa mich nicht entdeckt. Das ist mir dann aber doch zu lächerlich. Als Susa mich sieht, lächelt sie über das ganze Gesicht und umarmt mich so stürmisch, dass ich fast umfalle.

„Ich hatte schon Angst, du verlässt mich,“ sagt sie und drückt mich noch immer an sich.

„Nein, mich wirst du nur mit Abschluss von der Sporthochschule los,“ versichere ich ihr.

Sie lässt mich los und macht einen Schritt zurück. „Ist wirklich alles ok? Du siehst .. müde aus.“

„Ja, ich habe nur die ganze Nacht gelesen und noch gar nicht geschlafen. Das erste Buch war einfach so fesselnd, dass ich es nicht weglegen konnte und es durchgelesen habe. Dann ließ mich die Geschichte nicht los, so dass ich nicht schlafen konnte. Da habe ich noch ein Buch angefangen, dass ich auch nicht weglegen konnte. Du weißt ja, man fängt mit einem Kapitel an und dann ist es so spannend, dass man es nicht weglegen kann.“

„Okay,“ sagt sie sehr langsam. „Und es hat nichts damit zu tun, dass Joe jeden Tag hier war, um nach dir zu fragen?“

Ich seufze. Es wäre leichter, wenn er einfach aus meinem Leben verschwinden würde. Wenn er genau das tun würde, was man nach einer solchen Wette tut, man lässt den Anderen in Ruhe. Was will er denn überhaupt noch von mir? Er hat seine Wette gewonnen und das Geld kassiert. Warum lässt er mich nicht in Ruhe?

„Ich, naja,“ ich stottere vor mich hin und ärgere mich über mich selber. Ich weiß aber auch nicht genau, was ich sagen soll. Ich will nicht, dass Susa erfährt, was wirklich passiert ist. Wenn ich mit jemandem darüber rede, wird es wahr. Es ist eigentlich totaler Schwachsinn. Es ist ja schon Wirklichkeit, aber so lange ich es nicht ausspreche, kann ich noch so tun, als wäre es einfach nur ein schlimmer Albtraum, aus dem ich nur aufwachen muss.

„Joe und ich haben uns gestritten und ich will ihn nicht mehr sehen,“ sage ich schließlich. Es ist keine Lüge, aber eben auch nicht die ganze Wahrheit.

Susa nickt nur. Sie fragt aber nicht weiter, sieht mich nur an. Ich muss meine Tränen zurückhalten. Ich will mich in ihre Arme werfen und weinen. Aber einerseits wäre mir das wirklich peinlich und andererseits habe ich Angst, dass ich ihr doch noch die ganze Geschichte erzählen werde.

„Okay,“ sagt sie schließlich. „Ich schau jetzt noch eine Stunde in meine Unterlagen und dann gehe ich zu Robert. Wenn du reden willst, komm gerne rüber und wenn ich dableiben soll, tue ich das auch gerne.“ Sie klingt wirklich besorgt. Das ist mir sehr unangenehm. Ich möchte Susa nicht zur Last fallen. Susa soll glücklich sein und ihr Leben genießen.

„Das ist lieb, aber ich werde mich in mein Bett kuscheln und lesen. Das ist eine gute Ablenkung. Vielleicht werde ich nachher auch noch einen Blick in meine Unterlagen werfen. Morgen geht es ja schließlich wieder los mit den Vorlesungen.“

Susa schaut mich noch einmal prüfend an, seufzt dann und sagt, „okay. Du bist ja erwachsen. Ich mache mir nur Sorgen. Ich hab dich nämlich ziemlich gerne.“ Dabei lächelt sie.

„Danke. Ich dich auch.“

Sie nickt ein letztes Mal und verschwindet in ihrem Zimmer. Ich habe wirklich Glück mit meiner Mitbewohnerin. Nicht nur, dass sie mich gern hat und sich um mich sorgt, sie drängt mich auch nicht dazu, über Dinge zu reden, die ich zumindest vorerst für mich behalten will. In diesem Fall muss ich es erst noch für mich behalten. Ich muss mein Leben erst etwas sortieren, bevor ich mit jemanden über so etwas Schreckliches reden kann.

Mir steigen schon wieder die Tränen in die Augen. Wie könnte Joe nur so fies sein?

Ich gehe in mein Zimmer und schnappe mir ein neues Buch von meinem Stapel und beginne zu lesen. Es wird eine lange Nacht.

Kapitel 6

Mein Wecker klingelt und klingelt. Ich kann mich nicht aufraffen, aufzustehen. Ich will mich einfach nur in mein Bett verkriechen und nie wieder in die Welt zurückkehren. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich eingeschlafen bin, aber irgendwann muss ich zu erschöpft gewesen sein. Das letzte Buch liegt auf dem Boden. Es muss mir aus der Hand gefallen sein.

Nach 15 Minuten klingelt mein Handy immer noch. Ich muss es ausschalten. Wobei mir gerade einfällt, dass mein Handy gar nicht so lange klingeln würde, wenn es nur der Wecker wäre. Ich schaue aufs Handy und sehe, dass Joe anruft. Kurz darauf klingelt es an der Wohnungstür, aber ich habe keine Lust, zu öffnen. Zumal ich noch im Schlafanzug bin.

Wo ich mich aber eh schon bewegen musste, um meinen Handyton auszuschalten, kann ich ja auch gleich ins Bad gehen. Vielleicht klappt der Trick mit der Dusche. Duschen soll ja wachmachen und motivierend wirken.

Wach werde ich zwar nicht und meine Motivation kehrt auch nach dem zweiten Kaffee nicht zurück, trotzdem verlasse ich auf die letzte Minute das Haus und muss rennen, um noch pünktlich zu meinem ersten Kurs zu kommen. Ich bin zwar außer Atem, aber ich schaffe es gerade noch pünktlich.

Sam fragt mich, ob wir unsere Schichten im FIT tauschen können, weil sie Mittwoch einen wichtigen Termin hat. Gerne sage ich zu. Ich hatte eh schon überlegt, wie ich meine Schicht tauschen kann, damit Joe nicht im FIT auftaucht.

Peer schreibt mir gegen Mittag eine Nachricht:

Na? Bist du zurückgekommen? Zwinker

Wenn er nur wüsste. Aber wir hatten ja noch darüber Witze gemacht, wie viele ihr Studium abbrechen, bevor es wirklich angefangen hat.

Klar, wie versprochen.

Sehen wir uns diese Woche? Fragt Peer.

Eigentlich habe ich keine Lust, die Wohnung zu mehr zu verlassen, als ich muss. Andererseits ist Peer wirklich lieb und es hilft ja Keinem, wenn ich mich verkrieche. Außerdem habe ich ja nun Dienstagabend frei. Vielleicht ist es auch besser, wenn ich nicht zuhause bin. Nicht, dass Joe mich da sucht, nachdem ich nicht im FIT bin. Wenn ich alleine in meiner Wohnung bin, werde ich sicher nur an Joe denken.

Habe meine Schicht mit Sam getauscht. Dienstag? Hoffentlich hat er da auch Zeit.

Ja. Klingt super.

Ich bin irgendwie erleichtert, habe aber auch ein schlechtes Gewissen, dass ich Peer ausnutze, um nicht zuhause sein zu müssen. Ich grüble darüber nach, während ich nach Hause gehe. Vielleicht sollte ich doch absagen. Andererseits sind wir Freunde und der Abend wird sicher nett.

Als ich um die letzte Ecke biege, sehe ich Joe vor unserer Haustür stehen. Er schaut gerade in die andere Richtung und scheint nach Jemanden, wahrscheinlich mir, Ausschau zu halten. Ich springe sofort einen Schritt zurück und verstecke mich hinter der Hausecke, um die ich gerade gebogen bin. Hoffentlich hat Joe mich nicht gesehen. Ich bin noch nicht bereit, ihm zu begegnen. Ich weiß nicht, wann ich dazu bereit sein werde, aber jetzt gerade definitiv nicht. Was mache ich jetzt? Ich kann nicht nach Hause gehen. Gehirn, arbeite bitte. Tief durchatmen. Einatmen, ausatmen, einatmen, auseinatmen.

Wo kann man abends ein paar Stunden alleine verbringen ohne gezwungen zu sein, sich mit anderen zu unterhalten oder etwas zu kaufen? Ich möchte mich verstecken, das klappt nicht in einem öffentlichen Kaffee oder Ähnlichem. Da kommt mir die perfekte Idee: Die Bibliothek. Da kann ich ja auch meine Unterlagen von heute noch einmal durchgehen, zwar ohne meinen geliebten Kaffee, weil trinken in der Bibliothek verboten ist, aber dann sei es so.

Es ist herrlich leer in der Bibliothek. Wahrscheinlich kommt sonst keiner auf die Idee abends um 18 Uhr hier lernen zu wollen. Ich mag es hier, auch wenn ich keinen Kaffee trinken darf. Es riecht nach Büchern und die hohen Bücherregale beruhigen mich irgendwie. Später möchte ich in meinem Haus eine eigene kleine Bibliothek haben, mit Bücherregalen bis zur Decke mit einer verschiebbaren Leiter. Aber das ist alles noch in weiter Ferne. Heute sitze ich hier und verstecke mich vor dem Mann, den ich für meine große Liebe gehalten habe. Ich seufze leise und schlage meine Unterlagen auf.

Nach ungefähr vier Stunden bekomme ich eine Nachricht von Susa:

Geht es dir gut? Er steht nicht mehr vorm Haus.

Susa ist einfach die beste Mitbewohnerin der Welt. Ich packe meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg nach Hause, wobei ich um jede Hausecke erst vorsichtig linse, bevor ich weitergehe. Ich komme mir dabei kindisch vor und hoffe, mich beobachtet keiner, aber mir fällt gerade einfach nichts Besseres ein, um sicher zu gehen, Joe heute nicht mehr zu begegnen. Als ich um die letzte Ecke blicke, sehe ich, dass die Straße menschenleer ist. Ich atme erleichtert auf und gehe in unsere Wohnung.

Vor meiner Zimmertür steht ein Stuhl, darauf ein Kuchen, der aussieht, wie der leckere Browniekuchen von Susa. Daneben steht ein Zettel: „Nervennahrung. Schlaf gut.“

Ich würde sie gerne einfach in den Arm nehmen und drücken. Susa ist wirklich unglaublich. Aber ich möchte sie nicht wecken. Also lege ich mich in mein Bett und fange an, den Kuchen zu essen. Er ist köstlich.

Ich brauche einen Plan, wie ich eine Begegnung mit Joe vermeiden kann. Je länger ich ihn nicht sehe, umso besser werde ich darüber hinwegkommen. Vielleicht verliert er auch das Interesse daran, mich weiter zu quälen.

Joe kennt meinen Stundenplan und meine Schichten im FIT. Ich werde also meinen Tagesplan komplett ändern müssen. Um mich zu beruhigen und darauf zu konzentrieren einen vernünftigen Plan zu machen, nehme ich mir meinen Block und einen Stift. Neben mich lege ich meinen Stundenplan. Eigentlich möchte ich keinen meiner Kurse sausen lassen, auch wenn nicht alle zum Pflichtprogramm zählen, aber ich muss die Zeiten ändern, an denen ich das Haus verlasse und betrete.

Wenn ich jeden Morgen eine halbe Stunde früher das Haus verlassen würde, wäre Joe sicher noch nicht da. Joe weiß, dass ich absolut kein Morgenmensch bin und dass ich das Haus immer Spitz auf Knopf verlasse. Er wird daher nicht so früh vor dem Haus warten. Vielleicht schaffe ich auch eine Stunde früher. Schlafen kann ich momentan eh nicht, da kann ich auch schon zur Hochschule gehen.

Nach den Kursen könnte ich in die Bibliothek gehen. Es gefiel mir an sich ganz gut und ich werde eben lernen müssen, ohne meinen Kaffee zu lernen. Das ist eben der Preis für meine Naivität.

Was mache ich nur mit dem FIT? Im Studio selber wird er nichts sagen, er kommt ja nie alleine, sondern immer mit den anderen. Also ist nur die Frage, wie ich hin und zurückkomme, ohne, dass er mich abpasst. Ich werde meine Kleidung einfach mit zu den Kursen an der Hochschule nehmen und mich im Studio umziehen. Vielleicht bekomme ich von Kai dann ja auch eine Stunde mehr bezahlt, wenn ich eine Stunde früher anfange.

Der Nachhauseweg könnte zum Problem werden. Joe könnte vor dem FIT darauf warten, dass ich Feierabend mache. Egal, was ich tue, er könnte warten, wenn er mich gesehen hat und weiß, dass ich arbeite. Selbst wenn ich noch selber trainieren gehe, kann das passieren. Ich werde einfach immer versuchen, so lange wie möglich zu trainieren und zu quatschen und hoffen, dass Joe die Lust verliert, zu warten. Das ist die einzige Situation, für die mir keine gute Lösung einfällt.

Aber ich habe einen Plan und werde versuchen, ihn durchzuziehen. Es wird hart, zumal ich so schon wenig Schlaf bekomme und dann morgens noch früher aufstehen muss, aber es wird funktionieren.

Ich versuche es trotz allem mit dem Schlafen.

Kapitel 7

Heute ist Freitag. Bisher funktioniert mein Plan richtig gut. Ich konnte jegliches Zusammentreffen mit Joe, das ein Gespräch ermöglicht hätte, vermeiden. Wie erwartet, war er im FIT nur mit seinen Kumpels und so ergab sich keine Gelegenheit, in der er mich ansprechen konnte. Ich musste mich zusammenreißen, um bei seinem Anblick nicht in Tränen auszubrechen. Keine Ahnung, woher diese Willenskraft kam, aber ich habe es geschafft und bin wirklich stolz auf mich.

Lena hat Samstag Geburtstag und ich werde zu ihr nach München fahren. Sie hat mich eingeladen und ich habe sie noch nicht in München besucht. Außerdem wird das Wochenende hier schlimm werden. Unter der Woche habe ich viel zu tun und einen Plan, aber am Wochenende wäre es unberechenbar, wann Joe vor unserer Wohnung auftaucht. Ich werde mich nicht trauen, das Haus zu verlassen. Ich zucke immer zusammen, wenn es an der Tür klingelt. Vielleicht hilft der Besuch bei Lena mir ja etwas. Dort wird Joe mich wenigstens nicht finden.

Ich fahre mit dem Zug und freue mich darüber, dass alles glattgeht. Mein Hotel finde ich auch schnell. Lena hatte zwar gesagt, sie würde ihre Mitbewohnerinnen fragen, ob ich in ihrer WG schlafen kann, aber ich kenne die drei Anderen nicht und bin mir nicht sicher, ob Lena wirklich Platz hat. Außerdem befürchte ich, dass ich mich auch dieses Wochenende in den Schlaf weinen werde. Auf keinen Fall möchte ich, dass Lena das mitbekommt.

Ich habe ein Hotel gefunden, das zwar teuer aussieht, aber ein kleines Einzelzimmer ohne Ausblick konnte ich mir dank meiner Schichten im FIT leisten.

Das Hotel ist tatsächlich ein richtiger Schickimickiladen. Ich hatte es befürchtet, aber das Einzelzimmer war trotzdem günstiger als in anderen Hotels. Ich fühle mich nicht wirklich wohl in solchen Hotels. Ich weiß gar nicht genau warum, wahrscheinlich, weil meine Eltern nie wirklich reich waren und wir immer in Hotels waren, die eher Durchschnitt waren. Das ganze Glitzern der Dekoration und der Kleidung der Gäste schüchtert mich ein. Es wirkt alles aufgesetzt und künstlich.

Die Dame an der Rezeption lächelt mich freundlich an. Sie ist nicht viel älter als ich und wirklich hübsch. Ihr Lächeln wirkt ungezwungen und nicht aufgesetzt, wie ich es erwartet hätte in so einem Laden.

„Guten Tag, mein Name ist Anna Müller. Ich habe ein Zimmer reserviert,“ sage ich zu ihr.

„Guten Tag, Frau Müller,“ antwortet sie und schaut im Computer nach. „Oh, ich sehe gerade, da wurde etwas geändert.“

Mir sinkt das Herz in die Hose. Es war zu schön um wahr zu sein, dass ich für so kleines Geld ein Hotelzimmer bekomme, das zentral liegt und auch nicht weit entfernt von Lenas Wohnung ist. Ich kann hoffentlich doch bei Lena schlafen.

„Ich weiß nicht genau wieso,“ sagt die junge Frau, die ihrem Namenschild nach Denise heißt. „Aber,“ sie lächelt noch etwas mehr als zur Begrüßung, „es gab ein Problem mit dem Einzelzimmer und nun gibt es zum selben Preis ein großes Doppelzimmer mit Badewanne mit Whirlpoolfunktion.“

Ich sehe sie total überrascht an. Hat sie gerade gesagt, ich bekomme ein größeres Zimmer mit mehr Luxus zum selben Preis?

„Hier ist der Schlüssel. Sechster Stock, Zimmer 618. Die Fahrstühle sind dort drüben. Soll ihnen jemand bei Ihrem Gepäck helfen?“

Ich bin noch total verwirrt. Mir fällt erst gar nicht auf, wie komisch es ist, dass sie mich siezt. Wir sind ja schließlich fast gleich alt.

„Nein, danke. Soviel habe ich nicht,“ bringe ich hervor.

„Frühstück gibt es immer ab 6 Uhr. Das Restaurant ist dort drüben. Die Minibar ist inklusive, die Anleitung für den Safe, das W-Lan und den Fernseher sind im Zimmer. Ich bin noch bis 22 Uhr hier. Wenn Sie Fragen haben, rufen sie gerne an. Die Nachtschicht hat mein Kollege Matthias. Er beantwortet auch gerne Ihre Fragen.“

„Vielen Dank.“ Wow, was für ein Laden.

„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“

„Danke,“ sage ich und wende mich den Fahrstühlen zu. Eigentlich gehe ich lieber Treppen. Nicht nur, dass es gesünder ist, Treppen können auch nicht stecken bleiben. Mit Gepäck ist es aber anstrengend, also nehme ich zumindest jetzt den Fahrstuhl.

WOW, mein neues Zimmer ist der Hammer. Ein Kingsizebett, 2 Sessel, die super bequem aussehen, einen Arbeitsbereich und im Bad ist eine große Eckbadewanne und eine Dusche mit Regenfunktion. Aus dem Fenster kann ich einen Park sehen, der meiner Erinnerung nach der Englische Garten sein müsste. Wirklich traumhaft.

Bisher bin ich von München sehr positiv überrascht. Schade, dass es Januar ist und es draußen so kalt ist. Sonst würde ich mir in aller Ruhe ganz viel von der Stadt ansehen, aber Lena studiert ja noch länger hier.

Leider habe ich jetzt keine Zeit, die Badewanne zu testen. In unserer Wohnung haben wir keine Badewanne und erst recht keine mit Whirlpool. Lena und ich haben uns schon verabredet, weil wir uns so viel sehen wollen, wie es geht. Die Zeit ist eh knapp. Sonntagmorgen geht mein Zug schon wieder zurück. Ich seufze und hoffe, ich habe noch die Chance, die Badewanne zu testen. Wäre wirklich zu schade, es nicht zu machen.

Meine Tasche packe ich gar nicht erst groß aus, ich freue mich darauf, Lena zu sehen. Ich habe mir die Route vom Hotel zu Lenas Wohnung angesehen und sie war leicht zu merken. Ich springe daher nur schnell unter die Dusche und ziehe mir frische Klamotten an. Dann mache ich mich auf den Weg.

Das Haus, in dem Lena wohnt, ist richtig schick. Es erinnert an ein altes Herrenhaus, nur schmaler und höher. Aber es ist ein Altbau, ohne Fahrstuhl. Lena wohnt im fünften Stock. Wenn ich daran denke, dass man hier seine Einkäufe inklusive Getränke hochtragen muss, bin ich froh, nicht hier zu wohnen.

Das Treppenhaus ist mit Stuck verziert und sieht nicht so kahl und unpersönlich aus wie unseres. Es ist wirklich hübsch. Aber hübsch ist eben nicht immer praktisch.

„Da bist du ja endlich,“ begrüßt Lena mich und umarmt mich stürmisch.

„Na, ich bin sogar fünf Minuten zu früh,“ lache ich. Ich bin erleichtert, dass Lena mich auch vermisst hat und sie sich so freut, mich zu sehen. Wir hatten beide Angst, dass die Entfernung unsere Freundschaft beenden würde. In Emden waren wir ja fast jeden Tag zusammen, so lange wir uns erinnern können. Jetzt führt jeder von uns ein eigenes Leben.

„Ja, aber ich habe dich trotzdem vermisst,“ sie zieht mich in die Wohnung. „Ich habe uns schon mal Pizza bestellt. Ich hoffe, das ist ok?“

„Immer diese rhetorischen Fragen,“ lache ich und hoffe, Lena merkt nicht, dass es nicht echt ist. Ich freue mich zwar wirklich, sie zu sehen, aber ich bin einfach noch zu enttäuscht und traurig.

Lena tut zumindest so, als hätte sie es nicht gemerkt. „Also wir haben kein Wohnzimmer, sondern jede nur ihr Schlafzimmer, zusammen die Küche und das Bad. Das ist mein Zimmer. Die anderen Mädels sind unterwegs. Erstmal haben wir die Wohnung also für uns.“

Ich sehe mich um. Lena hatte mir zwar schon Bilder geschickt, aber es ist eben anders, ob man nur ein Bild sieht oder die Wirklichkeit.

„Du hast es hier wirklich schön,“ sage ich und meine es auch so. Lenas Zimmer ist ähnlich praktisch eingerichtet wie meins, sie hat sich aber die Mühe gemacht, ihr Zimmer zu dekorieren. Dafür hatte Lena immer ein Händchen. Man fühlt sich einfach sofort wohl, wenn man ihr Zimmer betritt. Da fällt mir ein, dass ich mir vorgenommen habe, mein Zimmer auch zu dekorieren, aber noch immer sind es nur die zwei Kerzen von Ikea.

Lena sieht mich an und fragt: „Willst du über ihn reden oder tun wir so, als wäre nichts?“

Mich verunsichert es etwas, dass sie mich so direkt fragt. Bisher habe ich ihr immer alles erzählt, ohne dass sie fragen musste. Diese Situation ist für uns beide neu und ich weiß nicht recht, wie ich damit umgehen soll.

„Ich bin fertig mit ihm,“ sage ich zu ihr und hoffe, mich selber damit überzeugen zu können.

„Willst du mir sagen, was passiert ist?“ Lenas Stimme ist leise und ich merke, dass ihr die Frage unangenehm ist. Sie möchte aber für mich da sein.

„Nein, soweit bin ich noch nicht.“ Das zumindest meine ich ehrlich. Ich bin zwar dabei, mein Leben weiter zu leben, aber es ist schlimm genug, dass seine Freunde alles von dieser Nacht wissen. Ich möchte nicht, dass Lena schlecht von mir denkt. „Es tut mir leid,“ sage ich.

Lena überrascht mich, in dem sie mich in den Arm nimmt und sagt: „So ein Quatsch. Es ist okay, wenn du es für dich behalten möchtest. Aber du weißt, ich bin immer für dich da. Ich dachte nur, es würde dir vielleicht helfen.“

Ich nicke und versuche nicht zu weinen. „Danke. Aber jetzt versuche ich erstmal mein Leben weiter zu leben und ihn zu vergessen.“

„Na, das werden wir dieses Wochenende auf jeden Fall schaffen.“

„Das hoffe ich,“ sage ich leise.

Wir quatschen die halbe Nacht, bis mir fast die Augen zufallen. Ich gehe in mein Hotel, auch wenn Lena mir anbietet, die Nacht bei ihr zu bleiben. Ich möchte weder einer ihrer Mitbewohnerinnen nachts begegnen, wenn ich vielleicht auf Toilette müsste, noch möchte ich, dass Lena hört, wie ich mich in den Schlaf weine. Auch wenn ich es geschafft habe, Joe aus meinem Leben zu streichen, überfällt mich jede Nacht diese alles verzehrende Einsamkeit. Ich fühle mich einsamer, als ich je für möglich gehalten hätte, obwohl ich eine Familie und Freunde habe, auf die ich mich verlassen kann.

Ich kann ihnen nicht sagen, was passiert ist. Auch wenn ich Joe hasse für das, was er getan hat, wünschte ich, es wäre nicht passiert und er wäre bei mir. Ich könnte mich an ihn kuscheln und die Welt wäre für mich wieder in Ordnung.

Kapitel 8

Auch wenn ich kaum geschlafen habe, sieht die Welt heute schon etwas besser aus. Die Sonne lacht mich an, als ich die Vorhänge vor dem Fenster meines Hotelzimmers zurückziehe. München liegt mir zu Füßen und Lena wird mir die Stadt zeigen.

Nach einer ausgiebigen Dusche ziehe ich mich warm an und mache mich mit einem Kaffee auf den Weg, um Lena abzuholen. Ich bin begeistert, dass das Hotel Kaffee zum Mitnehmen anbietet. Zum Frühstücken fehlt mir nicht nur die Lust, sondern auch der Appetit.