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FOLGE 4:
Ray verliert den Boden unter den Füßen. Er leidet unter bizarren Visionen, in denen er sich in einem unterirdischen Labyrinth befindet. Kurz darauf wird Ray entführt und eine unheimliche Stimme verlangt nach einem mysteriösen Ring, der Lovecraft gehört haben soll. Da die Polizei ihm nicht glaubt, macht Ray sich selbst auf den Weg nach Europa. In einer Kleinstadt in den Niederlanden soll Lovecrafts Ring aufbewahrt sein. Als Ray das Fach öffnet, macht er eine Entdeckung, die so verstörend ist, dass er glaubt, den Verstand zu verlieren.
Zur gleichen Zeit im Indischen Ozean: Am Horn von Afrika stößt die deutsche Fregatte Bayern auf einen führerlosen Frachter. Als ein Erkundungstrupp das Geisterschiff betritt, erwecken sie einen tödlichen Gegner.
LOVECRAFT LETTERS - DIE SERIE:
Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft - und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können ...
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Seitenzahl: 149
Cover
Die Serie
Lovecraft Letters – Folge IV
Über den Autor
Titel
Impressum
Prolog
Burke. Haus der Berkeleys.
An Bord der Bayern. Golf von Aden.
Washington D. C. MPDC. Büro Legrasse.
An Bord der Bayern. Golf von Aden.
Washington D. C. MPDC. Parkplatz.
An Bord des Frachters.
Nacht.
An Bord der Bayern. Kapitänskajüte.
An Bord der Emma.
Burke. Haus der Berkeleys.
An Bord der Emma.
An Bord der Emma.
Washington D. C. French Passion. Parkplatz.
An Bord der Emma.
Washington D. C. French Passion. Parkplatz.
Unter Wasser.
An Bord der Emma.
Im Wasser.
An Bord der Emma.
Im Wasser.
An Bord der Emma.
Im Wasser.
An Bord der Emma.
Washington D. C. French Passion. Wald.
An Bord der Emma.
Annadale. Patricias Wohnung.
An Bord der Emma.
Annadale. Patricias Wohnung.
An Bord der Emma.
Annadale. Patricias Wohnung.
An Bord der Emma.
Farm.
An Bord der Bayern. Kapitänskajüte.
Leiden.
In der nächsten Folge
Fußnoten
Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft – und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können …
Ray verliert den Boden unter den Füßen. Er leidet unter bizarren Visionen, in denen er sich in einem unterirdischen Labyrinth befindet. Kurz darauf wird Ray entführt und eine unheimliche Stimme verlangt nach einem mysteriösen Ring, der Lovecraft gehört haben soll. Da die Polizei ihm nicht glaubt, macht Ray sich selbst auf den Weg nach Europa. In einer Kleinstadt in den Niederlanden soll Lovecrafts Ring aufbewahrt sein. Als Ray das Fach öffnet, macht er eine Entdeckung, die so verstörend ist, dass er glaubt, den Verstand zu verlieren.
Zur gleichen Zeit im Indischen Ozean: Am Horn von Afrika stößt die deutsche Fregatte Bayern auf einen führerlosen Frachter. Als ein Erkundungstrupp das Geisterschiff betritt, erwecken sie einen tödlichen Gegner.
Christian Gailus studierte Germanistik in Hamburg und Drehbuch in Köln. Er arbeitete in einer Werbeagentur und verfasst Kriminalromane, Thriller und Hörspiele. Bereits in seiner Jugend wurde er von Lovecrafts Geschichten gepackt. Seitdem lassen ihn Horrorstorys nicht mehr los. Mit der Serie »Lovecraft Letters« hat er ein Ventil gefunden, seine Albträume zu verarbeiten.
CHRISTIAN GAILUS
IV
beBEYOND
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius
Cover-Motiv: © Timo Wuerz
Covergestaltung: Thomas Krämer
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5255-9
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Er war hungrig. Geil. Gierig nach Befriedigung. Das Intermezzo vom Abend war nicht mehr als ein Aperitif gewesen, um auf den Geschmack zu kommen. Jetzt wollte er die Hauptmahlzeit. Und er war neugierig, worin sie bestehen würde.
Er huschte hinaus und sah sich um. Die Nacht war dunkel und kalt. Der feige Mond hatte sich hinter Wolken verschanzt, wollte nicht Zeuge des Spektakels sein. Er hatte den Mond schon immer gehasst. Für ihn symbolisierte er nicht mehr als den verkappten Versuch der Sonne, sich zwanghaft gegen die Dunkelheit zu stemmen. Was für ein Hohn! Und was für ein lächerliches Gebaren, sich dem Unvermeidlichen zu entziehen.
Das Unvermeidliche war die Finsternis – sie war viel mehr als die bloße Abwesenheit von Licht. In der Finsternis gab es keinen Platz für Hoffnung. Finsternis war die Abkehr vom Traum auf Veränderung und die Erfüllung der Sehnsucht nach einer perfekten Welt. In einer perfekten Welt gab es kein Licht und auch niemanden, der es herbeisehnte. In einer perfekten Welt war Finsternis Erleuchtung.
Er hob den Kopf und schnupperte. Ein scharfer Geruch lag in der Luft, ein Geruch nach Qual und Tod. Er kam aus dem Wald. Und er war unwiderstehlich. Gerade wollte er ihm folgen, da zog ein Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich. Es kam von gegenüber. Vom Haus auf der anderen Straßenseite.
Er verharrte. Schloss die Augen. Lauschte.
Eine Tür wurde geöffnet, jemand trat heraus. Ein Weibchen mit Übergewicht. In der Hand einen Beutel, der eine interessante Note verströmte. Blut. Obwohl das Weibchen versuchte, leise zu sein, waren ihre Schritte so plump, dass sämtliche Geräusche um sie herum verstummten. Sie öffnete den Deckel einer Mülltonne und warf den Beutel hinein. Dann verharrte sie und horchte in die Nacht.
Der Blutgeruch wurde intensiver. Er roch unwiderstehlich.
Sein Penis wurde steif. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Sein Magen knurrte.
»Hallo?« Sie hatte ihn gehört. Und war gewarnt.
Er öffnete die Augen. Sie stand ihm gegenüber, kaum zwanzig Meter entfernt. Doch sie konnte ihn nicht sehen. Er war genauso unsichtbar wie die Fledermäuse und Insekten um sie herum. Der Mensch glaubte, wenn er sich still verhielt, würde er mit der Natur verschmelzen. In Wirklichkeit stellte seine bloße Anwesenheit bereits eine Kakofonie unbeschreiblichen Lärms dar. Betrat der Mensch die Bühne, schwieg die Natur.
Er rührte sich nicht. Beobachtete still. Seine Erregung stieg.
»Ist da wer?«, fragte die Frau im weißen Nachthemd. Er spürte das Verlangen, laut Ja zu sagen. Sie würde sich zu Tode erschrecken und mit wehenden Haaren im Haus verschwinden. Das würde ihn zum Lachen bringen.
Aber er verkniff es sich, denn sonst könnte er sie ja nicht mehr packen. Und es war so leicht, sie zu packen, jetzt wo sie ungeschützt vor dem Haus stand und in die Nacht rief, als wolle sie sagen: Ich bin wehrlos, komm her und friss mich!
Ja, pack sie am Hals! Beiß ihr die Kehle durch! Dreh ihr die Arme nach hinten und drück ihren Körper zu Boden. Und dann schlag ihren Kopf auf den Asphalt. Aber nicht zu stark! Sie soll nicht sterben, sonst wäre der Spaß ja gleich wieder vorbei. Schlag gerade so fest zu, dass sie betäubt wird. Dann schleif sie in den Wald. Und nimm dich ihrer an.
Er tappte nervös mit den Füßen auf der Stelle. Spannte seine Muskeln an. Machte sich bereit.
»Was ist denn, Schatz?«
Die Stimme! Woher kam sie?
»Ich weiß nicht …«
Eine Silhouette erschien, gepaart mit dem beißenden Geruch von Schweiß und Testosteron. Seine Instinkte wechselten in den Alarmmodus. Er erstarrte zur Salzsäule. Rührte sich nicht mehr.
»Ich habe das Gefühl, als würde ich beobachtet. Von dort drüben.«
»Wieso sollten die Berkeleys dich beobachten?«
Bei dem Namen regte sich eine Erinnerung in ihm.
»Nicht sie selbst. Sondern etwas vor dem Haus.«
Das Männchen starrte in seine Richtung. Die Augen der Menschen waren schlecht, besonders nachts. Aber wenn der Mond hervorkam, könnte das Männchen ihn vielleicht entdecken.
Es machte einen Schritt auf ihn zu. »Da ist was im Schatten.«
Es hatte ihn gesehen. Verdammt noch mal! Hau ab und verschwinde in deinem Bau! Nimm dein Weibchen mit! Ich will nicht kämpfen. Ich habe andere Pläne. Ich will keinen Kampf!
»Steve!«
»Was denn?«
»Bleib hier!«
»Ich will nur kurz nachsehen, was da ist.« Das Männchen kam näher.
Er spannte die Muskeln an und murmelte sein Mantra: Ist der Kampf unvermeidlich, zögere nicht, sondern töte. Töte leise. Töte schnell.
Das Männchen hatte den Blick direkt auf ihn gerichtet – ohne ihn zu erkennen. Es war groß und stark. Und chancenlos. Dennoch würde er Narben davontragen. Man trug immer Narben davon. Auch wenn der Gegner starb.
Also gut, das Männchen wollte es nicht anders. Er würde es töten und sich dann über das Weibchen hermachen. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, sollte es wohl so sein. Es lag nicht mehr in seiner Macht.
Das Männchen war nur noch wenige Meter von ihm entfernt.
Er machte sich zum Sprung bereit.
»Steve!«
Es zuckte zurück. Sein Weibchen zitterte am ganzen Körper.
»Ich habe mich geirrt.« Sie hatte Angst. »Da ist nichts, wirklich nicht. Bitte komm zurück.«
Nein, komm zu mir.
»Aber ich will doch nur …«
»Bitte!«
Sie flehte. Gleich würde sie weinen. Was für ein billiger Trick!
»Schatz!«
Er drehte sich um und ging zurück. Sie hatte sich durchgesetzt. Gegen seinen Willen. So machten es die Weibchen. Und bekamen, was sie wollten. Sie gaben dem Männchen das Gefühl, groß und stark zu sein. Dabei waren sie es, die den Weg bestimmten.
»Ist ja gut.«
Er legte den Arm um sie und führte sie zurück ins Haus. Die Tür fiel leise ins Schloss.
Dann war er wieder allein.
Und nun? Seine Gier war nicht befriedigt. Die Lust brachte sein Blut erneut in Wallungen. Er musste sich dringend abreagieren. Er brauchte ein Opfer. Er musste töten.
Er wandte sich ab und huschte über die Straße zum Wald. Gleich darauf war er im Dickicht verschwunden.
Ich glaube, die größte Barmherzigkeit dieser Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes, alles sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen. Wir leben auf einer friedlichen Insel der Ahnungslosigkeit inmitten schwarzer Meere der Unendlichkeit, und es war nicht vorgesehen, dass wir diese Gewässer weit befahren sollen. Doch eines Tages wird uns das Aneinanderfügen einzelner Erkenntnisse so erschreckende Perspektiven der Wirklichkeit und unserer furchtbaren Aufgabe darin eröffnen, dass diese Offenbarung uns entweder in den Wahnsinn treibt oder uns aus der tödlichen Erkenntnis in den Frieden und den Schutz eines neuen dunklen Zeitalters flüchten lässt.1
Das ist nicht tot, was ewig liegt,und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.2
Ray brachte es nicht fertig, Karen reinen Wein einzuschenken. Er saß am Frühstückstisch, schmierte Butter auf seinen Toast und wusste, dass es mit jeder Minute schwerer wurde, die Wahrheit zu sagen. Und die Wahrheit lautete: Er war zwangsbeurlaubt worden. Für vier Wochen. Was danach kam, stand in den Sternen.
Ray musste Karen über diese Entwicklung informieren, das stand eigentlich gar nicht zur Diskussion. Eigentlich. Dennoch zögerte er, denn die Frage war: Was würde geschehen, wenn er es tat?
Die familiäre Situation im Hause Berkeley war so angespannt wie nie zuvor. Die dramatischen Ereignisse der vergangenen Tage hatten lediglich einen Zustand zutage befördert, der schon lange in der Familie schwelte. Und mit dem Wissen aus seiner Praxis als Psychologe hielt es Ray für absolut denkbar, dass die brüchige Struktur, die die Familie noch zusammenhielt, auseinanderreißen könnte.
Da half es auch nicht, dass er und Karen in der Nacht zuvor den erfüllendsten Sex seit langer Zeit gehabt hatten. Der Keil, der sich zwischen sie geschoben hatte, reichte tiefer. Und es würde einiger Anstrengungen bedürfen, den Weg für eine gemeinsame Zukunft zu ebnen.
Die Hoffnung wollte Ray nicht durch seine Beichte zerstören. Auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er mit der Situation seiner Zwangsbeurlaubung konkret umgehen sollte. Bevor er sich ihr offenbarte, musste er erst noch einmal darüber nachdenken. Und dafür brauchte er Zeit.
»Ray!«
Er zuckte zusammen. »Äh, was?«
»Träumst du?« Karen lächelte ihn an.
»Kann sein«, sagte er. »War ’ne verdammt kurze Nacht. Und kräftezehrend dazu.« Er grinste. Karen wurde rot.
»Gibst du mir sie dann jetzt bitte?«, fragte sie.
Ray kräuselte die Stirn. »Was denn?«
»Die Butter.« Karen zeigte auf den verunstalteten hellgelben Quader vor ihm.
»Klar«, sagte er rasch und zog sein Messer aus der weichen Masse. Er reichte seiner Frau den Plastikbehälter. Sein Blick fiel auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Ich muss los«, sagte er und stand auf.
»Wann kommst du nach Hause?«
Ray zögerte. »Ich weiß nicht.«
»Du weißt es nicht?« Karen warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Hast du denn deinen Terminplan nicht im Kopf?«
»Doch, natürlich«, erwiderte Ray rasch.
»Und? Hast du Termine oder arbeitest du im Büro?«
Ray zuckte mit den Achseln. »Ich bin im Büro. Denke ich.« Er sah sie ernst an. »Warum fragst du?«
Karen legte den Kopf schief. »Nur so. Kann ja sein, dass ich Lust bekomme, dich zu sehen. Da wollte ich nur wissen, wohin ich gehen muss.«
Ray riss erschrocken die Augen auf. »Du willst ins Büro kommen?« Sein Herzschlag beschleunigte sich, Schweiß trat ihm auf die Stirn. Wieso wollte seine Frau ins Büro kommen? Das hatte sie noch nie getan. Wieso ausgerechnet jetzt?
»Alles in Ordnung?«, fragte Karen besorgt.
Ray nickte hastig. »Ist nur so, dass das Büro gerade renoviert wird«, sagte er, ohne viel nachzudenken. »Also eigentlich sogar die ganze Etage. Da werden wir mal hierhin gesetzt, mal dorthin. Deshalb weiß ich nie, wo ich gerade bin.«
Karen stand auf und trat zu ihrem Mann. »Was ist denn los?«, fragte sie nachsichtig. »Du wirkst so nervös. Hat dir die letzte Nacht so zugesetzt, dass du nicht mehr klar denken kannst?« Sie zupfte an seiner Krawatte herum.
Ray seufzte. »Ehrlich gesagt sind es diese ganzen skurrilen Vorfälle der letzten Zeit. Nimmt mich ziemlich mit, das Ganze.«
»Aber du warst es doch, der darauf bestanden hat, dass wir uns davon nicht beeinflussen lassen sollen«, sagte Karen und legte ihre Arme um seinen Hals. »Und dass wir so schnell wie möglich wieder zur Normalität übergehen sollen. Das waren deine Worte!«
»Ich weiß«, sagte Ray. »Aber wie du schon sagst: Es sind Worte. Damit zu leben ist etwas ganz anderes.«
»Beichtet der Psychologe, der sonst auf alles eine Antwort hat«, sagte Karen süffisant. Rays Miene verfinsterte sich. Aber Karen schüttelte den Kopf. »War nur Spaß. Ich weiß genau, was du meinst. Und ich bin froh, dass es dir genauso geht. Das zeigt nämlich, dass auch du nur ein ganz normaler Mensch bist und kein Superheld.«
Sie sind der Auserwählte, dröhnte Henry Colemans Stimme plötzlich in seinem Kopf. Ray zuckte unwillkürlich zurück.
»Was ist?«, fragte Karen. »Wirst du krank?«
»Nein, ich muss nur …« Ray machte sich von ihr los. »Ich muss nur los. Wir reden später weiter, okay?«
»Sicher.« Ray hastete zur Haustür und drehte sich dann noch einmal zu Karen. »Also kommst du jetzt ins Büro?«
Seine Frau schüttelte den Kopf. »War bloß ein Witz.«
Ray nickte knapp. »Dann bis später, Schatz.« Er warf ihr einen Luftkuss zu und verließ das Haus.
Als er in der Garage im Camaro saß, beruhigte sich sein Puls. Ray schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste dringend eine Entscheidung fällen. Sollte er so weitermachen und hoffen, dass er seinen Job in ein paar Wochen zurückbekam? Oder sollte er in die Offensive gehen und die Zeit nutzen, sich nach einer neuen Anstellung umzusehen? Er brauchte einen Plan. Und das schnell.
Ray startete den Motor und lenkte den Wagen aus der Garage. Während sich das Garagentor hinter ihm schloss, lenkte Ray den Sportwagen auf die Straße – als ein Schatten von rechts heranschoss. Reflexartig trat Ray die Bremse durch.
Erst jetzt nahm er den grauen Pontiac wahr, der ihm den Weg versperrte. Gerade wollte er verärgert die Hupe betätigen, da öffnete sich die Fahrertür und ein Mann stieg aus. Ray erkannte die abgewetzte Lederjacke sofort. Sie gehörte Detective Legrasse vom MPDC. Was wollte der denn hier?
Ray warf einen raschen Blick zurück zum Haus. Karen war zum Glück nirgends zu sehen. Er atmete auf und ließ die Scheibe der Fahrertür herunter.
»Guten Morgen«, sagte Legrasse. Er stützte sich auf den Fensterrahmen wie ein alter Freund.
Ray nickte. »Ja, bitte?«
»Ich müsste Sie kurz sprechen«, bat der Detective.
»Ich habe es aber eilig«, erwiderte Ray.
Legrasse hob die Augenbrauen. »Wo müssen Sie denn so schnell hin?«
»Zur Arbeit«, gab Ray leicht angesäuert zurück.
Auf dem Gesicht des Detectives zeigte sich ein dezentes Lächeln. Ray begriff, dass Legrasse Bescheid wusste.
»Können wir irgendwo anders reden?«, bat er. »Vielleicht im Präsidium?«
Legrasse nickte. »Na klar, wieso nicht. Folgen Sie mir einfach.«
Mit 27 Knoten pflügte die Bayern durch den Golf von Aden. Die Fregatte mit 194 Männern und Frauen der deutschen Marine an Bord stand unter dem Kommando der EU-Operation Atalanta. Ihr Auftrag: Schutz der Handelsschifffahrt im Golf von Aden und die Bekämpfung der Seepiraterie. Ihr aktueller Standort: Die IRTC-Hoch-Risiko-Zone zwischen Somalia und Jemen, wo es während der Hochzeit der Seepiraterie fast täglich zu Überfällen gekommen war.
In den letzten Jahren war es ruhiger geworden, was nicht zuletzt auf die Präsenz des internationalen Flottenverbands zurückzuführen war. Dennoch kam es immer wieder zu Attacken. Gerade in letzter Zeit mehrten sich die Hinweise, dass eine neue Piraterie-Welle ihren Anfang nahm.
Deshalb war Kommandant Hans Brinkmann angespannt. Er wusste, dass eine Nachlässigkeit leicht über Leben und Tod von Unschuldigen entscheiden konnte.
»Irgendwas Neues von Gladys?«, fragte er seinen Ersten Offizier Martin Rust. Das Sturmtief zog von Osten heran und wirkte auf dem Radar ziemlich beunruhigend.
»Daten unverändert«, gab IO Rust zurück. »Gladys kommt immer noch direkt auf uns zu. Wäre ein Wunder, wenn der Sturm noch abdrehen würde.«
»Und wann dürfen wir mit seiner Ankunft rechnen?«
»In acht bis zehn Stunden.«
»Ich habe hier noch etwas auf dem Radar«, meldete Navigationsoffizier Karsten Olpert. »Das sollten Sie sich mal ansehen, Herr Kommandant.«
Brinkmann warf einen Blick über Olperts Schulter. Ein länglicher heller Fleck leuchtete jedes Mal am oberen Bildschirmrand auf, wenn das kreisende Radarsignal den Bereich passierte.
»Ein Schiff?«, fragte er.
»Ein großes Schiff, Herr Kommandant«, gab Olpert zurück. »Aber nach meinen Daten dürfte sich hier eigentlich nichts aufhalten. Jedenfalls nichts, was hundertfünfzig Meter lang ist.« Olpert hob den Blick. »Vielleicht ein Geisterschiff.«
Brinkmann presste die Lippen zusammen. Führerlose Schiffe, die seit Monaten oder sogar schon Jahren auf den Meeren herumkreuzten, gab es zuhauf. Dennoch brauchte man schon sehr viel Glück, um auf eines von ihnen zu stoßen.
»Vielleicht ein Teppich aus Plastikmüll?«, fragte Brinkmann zur Sicherheit. Aber Olpert schüttelte den Kopf. »Das ist ein Schiff, Herr Kommandant. Ohne jeden Zweifel.«
»Anfunken«, wies Brinkmann ihn an.
Olpert griff nach dem Funkgerät. »Hier Fregatte Bayern im Auftrag der EU-Operation Atalanta. Ich rufe das unbekannte Schiff auf 12°11′49.50″ Nord und 46°33′59.04″ Ost. Geben Sie sich zu erkennen.« Er nahm den Finger von der Taste und lauschte. Keine Antwort. »Hier Fregatte Bayern