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FOLGE 7:
Ray kann dem Spiel nicht entfliehen. Also beginnt er zu spielen - aber nach seinen eigenen Regeln. Er will Lovecrafts Ring finden und sich damit freikaufen. Auf äußerst schmerzhafte Weise muss er erfahren, dass er sich die ganze Zeit geirrt hat. Zu spät erkennt Ray die Wahrheit: Die Tore zur Hölle sind bereits geöffnet und ein Alptraum von apokalyptischen Ausmaßen überrollt die Erde ...
Zur gleichen Zeit auf dem gesamten Erdball: Überall kriechen grauenvolle Kreaturen aus Höhlen und Schächten, fallen über die Menschen her und entfachen blutige Infernos in den Metropolen der Welt. Die Menschheit ist der Übermacht des Feindes, der aus den Eingeweiden der Erde gekrochen kommt, gnadenlos unterlegen.
LOVECRAFT LETTERS - DIE SERIE:
Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft - und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können ...
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Seitenzahl: 146
Cover
Die Serie
Lovecraft Letters – Folge VII
Über den Autor
Titel
Impressum
Prolog
Washington D. C.
Utah. University Hospital.
Wohnung von Michael Milton.
Woodridge. Geheimes Gefängnis des Heimatschutzministeriums.
University of Washington. Psychologisches Institut.
Washington D. C. Weisses Haus. Oval Office.
Psychologisches Institut. / Highway.
New York City. Bronx. Kneipe.
Wohnung Michael Milton.
Fairfax. Haus von Karens Mutter.
Woodridge. Geheimes Gefängnis des Heimatschutzministeriums.
Fairfax. Mall.
Woodridge. Geheimes Gefängnis des Heimatschutzministeriums.
Mall. In Karens Wagen.
Hamburg. Airport. S-Bahn.
Fairfax. Highway. Tankstelle.
Burke. Haus der Berkeleys.
Washington D. C. Wohnung Natalie.
Washington D. C. MPDC.
Wohnung Natalie.
Washington D. C. MPDC.
Wohnung Natalie.
Burke.
Coldwater.
Tunnel 3. Büro Traben.
Coldwater.
Schanghai. Studio von TV 1. Regieraum.
Coldwater. Hütte Gardner.
Schanghai. Bezirk Pudong. Wohnung Mae.
Coldwater. Hütte Gardner.
Fairfax. Haus von Karens Mutter.
Mammut Cave.
Fairfax. Haus von Karens Mutter.
Tunnel 3. Zellentrakt.
K’n-yan.
Epilog
In der nächsten Folge
Fußnoten
Ray Berkeley führt ein zufriedenes Leben. Er ist ein angesehener Psychologe und lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem großen Haus im Grünen. Doch vom einen auf den anderen Tag gerät Ray in einen Sog aus brutalen Morden, schockierenden Geständnissen und mysteriösen Ereignissen. Rätselhafte Spuren führen zu dem Schriftsteller H. P. Lovecraft – und Ray erkennt, dass die Welt weit furchterregender ist, als der berühmte Horror-Autor sie in seinen Geschichten jemals hätte schildern können …
Ray kann dem Spiel nicht entfliehen. Also beginnt er zu spielen – aber nach seinen eigenen Regeln. Er will Lovecrafts Ring finden und sich damit freikaufen. Auf äußerst schmerzhafte Weise muss er erfahren, dass er sich die ganze Zeit geirrt hat. Zu spät erkennt Ray die Wahrheit: Die Tore zur Hölle sind bereits geöffnet und ein Alptraum von apokalyptischen Ausmaßen überrollt die Erde …
Zur gleichen Zeit auf dem gesamten Erdball: Überall kriechen grauenvolle Kreaturen aus Höhlen und Schächten, fallen über die Menschen her und entfachen blutige Infernos in den Metropolen der Welt. Die Menschheit ist der Übermacht des Feindes, der aus den Eingeweiden der Erde gekrochen kommt, gnadenlos unterlegen.
Christian Gailus studierte Germanistik in Hamburg und Drehbuch in Köln. Er arbeitete in einer Werbeagentur und verfasst Kriminalromane, Thriller und Hörspiele. Bereits in seiner Jugend wurde er von Lovecrafts Geschichten gepackt. Seitdem lassen ihn Horrorstorys nicht mehr los. Mit der Serie »Lovecraft Letters« hat er ein Ventil gefunden, seine Albträume zu verarbeiten.
CHRISTIAN GAILUS
VII
beBEYOND
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Lektorat/Projektmanagement: Stephan Trinius
Cover-Motiv: © Timo Wuerz
Covergestaltung: Thomas Krämer
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5258-0
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Samantha Zachary war tough. Mit ihren ein Meter achtzig, den blonden Haaren und den langen Beinen hatte sie schon früh gelernt, dass ihr im Leben nichts geschenkt wurde – außer Drinks und unmoralische Angebote.
Für viele ihrer Bekannten und Freunde war es kaum nachvollziehbar, dass eine so schöne Frau Schwierigkeiten haben sollte, Karriere zu machen. Aber Samanthas Äußeres war genau das Problem: Offenbar hielten viele Menschen eine attraktive Frau automatisch für wenig intelligent und sahen deren Talente eher in der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse. Aber Samantha hatte keine Lust, sich als hübsches Dummerchen durchs Leben zu schlafen. Sie wollte Karriere machen. Und zwar richtige Karriere.
In der Highschool büffelte sie wie verrückt, in ihrer Freizeit praktizierte sie erst Judo, dann Karate und schließlich Kickboxen. Samantha errang einen Gürtel nach dem anderen und wurde schließlich Englands jüngste Kickbox-Meisterin.
Gleichzeitig schloss sie die Schule mit Bestnoten ab und begann, Jura zu studieren. Mit ihren vierundzwanzig Jahren war sie auf dem besten Weg, ihr Studium in Rekordzeit und mit hervorragenden Noten abzuschließen. Alles lief perfekt.
Dann kam Oliver. Samantha lernte ihn auf der Party eines Kommilitonen kennen. Er war nett und smart und sah gut aus. Und er schätzte Samanthas Schlagfertigkeit und Intelligenz. Sie verfiel ihm mit Haut und Haaren und machte eine Dummheit: Sie schlief mit ihm ohne Gummi. Und wurde schwanger.
Samantha geriet in Panik. Sie war mitten im Examen und hatte nach bestandener Prüfung Aussichten auf eine Stelle bei einer großen Londoner Anwaltskanzlei. Was sollte sie da mit einem Kind? Das war unmöglich. Absolut undenkbar!
Die Abtreibung war schnell beschlossen. Dann bekam Oliver Wind von der Sache und bekniete sie, es nicht zu tun. Er versprach, Samantha zu heiraten, wollte eine Familie mit ihr gründen und für das notwendige Einkommen sorgen. Plötzlich erlebte Samantha einen ganz anderen Oliver. Und sie erkannte, dass sie und er auf völlig unterschiedlichen Wellenlängen waren. Kurzerhand erklärte sie die Romanze für beendet.
Dann trieb sie das Kind ab. Es war leichter als gedacht. Außerdem hatte Samantha ja ein klares Ziel vor Augen. Dafür war ihr kein Opfer zu groß.
In den Tagen danach kam der emotionale Abstieg. Samantha hatte das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben. Sie schämte sich. Auch gegenüber Oliver. Immerhin war er der Erzeuger des ungeborenen Kindes gewesen. Bei der Entscheidung über dessen Schicksal hatte sie ihn nicht eingebunden. Er tat ihr leid. Und das Kind tat ihr leid.
Mitten in einer Vorlesung brach Samantha in Tränen aus. Sie rannte fort und streifte rastlos durch die Stadt, bis es Nacht wurde. Dann fasste sie einen Entschluss: Sie würde sich mit Oliver treffen und ihm erzählen, was sie zu ihrer Entscheidung bewogen hatte. Sie würde sich bei ihm entschuldigen und hoffte, dass er ihr verzieh.
Das war vor einer Stunde gewesen. Mittlerweile war es dunkel geworden, und Samantha eilte nach Hause. Sie nahm den Weg durch den Hyde Park, der um diese Zeit menschenleer war. Aber Samantha hatte keine Angst. Ihr Körper war eine Waffe. Und für alle Fälle trug sie zusätzlich eine Dose Pfefferspray bei sich.
Als ein Geräusch sie stoppen ließ. Es war nicht laut, eher schon auffällig leise. Und gerade deshalb beunruhigend.
Samantha sah sich um. Aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen. Sie wartete ab. Und als sich nichts tat, setzte sie ihren Weg fort.
Kling-Kling-Kling.
Da war es wieder! Lauter diesmal. Und näher.
Kling-Kling-Kling.
Wie ein Glockenspiel.
»Hallo?«, fragte Samantha.
Das Klingeln verschwand. Es wurde wieder still. Nur der Wind fuhr in die Baumkronen und ließ die Blätter leise rascheln.
Samantha ging weiter. Schneller.
Das Klingeln folgte ihr.
»Hallo!«, rief sie laut. Langsam hatte sie die Nase voll. Wer auch immer sich da einen Scherz mit ihr erlaubte, hatte sich die Falsche ausgesucht. Sie ballte die Hände zu Fäusten.
Und lauschte.
Nichts.
Und doch hatte sich etwas verändert. Ganz in ihrer Nähe. Als wäre die Luft plötzlich wärmer geworden. In ihrem Nacken.
Sie drehte sich um.
Das Maul schnappte zu.
Samantha zuckte zurück und entging den scharfen Zähnen nur um Haaresbreite. Speichel spritzte in ihr Gesicht. Und ein widerlicher Gestank betäubte ihre Sinne.
Was zur Hölle war das?
SCHNAPP!
Wieder knapp daneben. Samantha riss das Pfefferspray aus ihrer Tasche und verpasste ihrem Gegenüber eine Ladung ins Gesicht. Das Ding heulte auf und rieb hektisch mit seinen kurzen Vorderbeinen über das schuppige Gesicht.
War das eine Echse? Ein Waran? Samantha hatte mal einen Film über Indonesien gesehen, in dem Warane vorgekommen waren. Diese urzeitlichen Viecher konnten bis zu drei Meter lang werden. Aber sie gingen nicht aufrecht auf Hinterbeinen.
Kling-Kling-Kling.
Samantha fuhr herum, die Spraydose fest umklammert. In einiger Entfernung sah sie etwas aufblitzen. Es waren Ohrringe, in denen sich das Mondlicht spiegelte. Große, klimpernde Ohrringe aus Metall. Aber sie hingen nicht an menschlichen Ohren. Sie waren an der schuppigen Haut eines weiteren Warans befestigt. So wie man Christbaumkugeln in einen Weihnachtbaum hängt.
Er fixierte sie mit funkelnden Augen. Seine Zunge schmeckte nervös die Luft. Er schien zu warten. Aber worauf?
Samantha fuhr herum. Ein gutes Dutzend weiterer Warane kam hinter Büschen hervor und kreiste sie ein. Auch die Echse, der sie eine Ladung Pfefferspray verpasst hatte, war darunter und starrte sie an. Nicht wütend. Sondern hungrig.
Samantha rannte los. Auf den Waran mit den Ohrringen zu. Sie würde ihn mit einem gezielten Tritt ins Gesicht außer Gefecht setzen und dann abhauen. Wegrennen, so schnell sie konnte.
Samantha konzentrierte sich auf ihren Gegner, sprang kraftvoll vom Boden ab und schoss mit einem Schrei auf ihn zu.
Da wurde ihr ein Schlag versetzt. Mitten im Flug. Samantha taumelte und schlug unkontrolliert auf dem Boden auf. Noch ehe sie begriff, was geschehen war, wurde sie am Bein gepackt und hochgezogen. Kopfüber hing sie vor dem Maul der Echse mit den Ohrringen, während die anderen Warane rasch näher watschelten und sie mit ihren Zungen kosteten.
Ein Smartphone klingelte. Die Echsen verharrten. Mit zitternden Händen zog Samantha das Gerät aus der Tasche. Doch als sie auf das Display drückte, um den Anruf anzunehmen, wurde ihr das Telefon aus der Hand geschlagen.
»Hallo?«, meldete sich eine männliche Stimme. »Sam? Hier ist Oliver.«
Samantha wollte so gerne antworten. Aber sie konnte nicht. Die Warane hatten sie bereits überall gepackt und begannen, die junge Frau auseinanderzureißen. Einer zerrte an ihrem Arm, einer hatte ihr Bein gepackt. Und einer biss ihr die Zunge ab.
Samantha hatte recht gehabt: Die Echsen hatten Hunger. Und sie war ihr Fressen.
Es gab Legenden über einen verborgenen See, den kein Sterblicher je erblickt habe, in welchem ein gewaltiges gestaltloses Ding mit Tintenfischarmen und leuchtenden Augen wohne; und die Siedler flüsterten von Teufeln mit Fledermausschwingen, die aus unterirdischen Höhlen fliegen, um dieses Ding zur Mitternachtsstunde zu verehren. Sie sagten, es hause hier bereits vor d’Iberville, vor La Salle, vor den Indianern, sogar noch vor den gewöhnlichen Tieren und Vögeln des Waldes. Es sei die Verkörperung eines Albtraums, und wer es erblicke, müsse sterben. Doch es bringe den Menschen Träume von sich, sodass sie genug von ihm wüssten, um ihm fernzubleiben.1
Das ist nicht tot, was ewig liegt,und in fremder Zeit wird selbst der Tod besiegt.2
Michael Milton kannte sich mit Frauen aus. Allerdings nur theoretisch. Als Assistenzarzt am Psychologischen Institut der University of Washington hatte er zahlreiche Studien zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern betreut und mehrere Hundert Frauen nach zum Teil intimsten Details befragt.
Andere Männer hätten diese privilegierte Situation möglicherweise ausgenutzt. Michael Milton nicht. Das lag zum einen an seiner Schüchternheit. Zum anderen aber auch an der ihm rätselhaften Tatsache, dass Frauen in ihm zwar den perfekten Zuhörer sahen, dem sie stundenlang ihre geheimsten Sehnsüchte beichten konnten; aber ins Bett gingen sie später mit dem Quarterback der Football-Mannschaft.
Michael hatte schon alles Mögliche probiert: Er hatte sich im Fitnesscenter Muskeln antrainiert, Kurse für mehr Selbstbewusstsein besucht und wildfremde Frauen an öffentlichen Plätzen angesprochen. Er hatte Kontaktanzeigen aufgegeben und Dates mit ebenfalls Suchenden gehabt. Eine feste Freundin, geschweige denn eine Partnerin für hemmungsloses Herumwälzen in Satinlaken, fand er aber nicht.
Dabei sah Michael nicht mal schlecht aus: Er war groß, schlank, hatte strohblonde Haare und ein sonniges Lächeln. Seine Nase war vielleicht etwas unförmig – und er hatte sich auch schon mal erkundigt, was eine Korrektur durch plastische Chirurgie kosten würde. Aber das überstieg seine finanziellen Möglichkeiten. Noch.
Immerhin war er keine Jungfrau mehr, allerdings war er auch schon fast dreißig. Seit dem Erwachen seiner Libido, hatte er schon die eine oder andere Liaison gehabt. Aber erstens waren diese extrem selten gewesen, und zweitens handelte es sich immer nur um kurze amouröse Abenteuer, Strohfeuer aufflackernder Leidenschaft, die genauso schnell wieder erloschen. Es war zum Verzweifeln.
Dann kam Natalie. Sie trat eine Doktorandenstelle am Institut an und wurde Michael zugeteilt. Natalie war Mitte zwanzig, trug eine lustige Brille, die ihr einen leicht unbeholfenen Eindruck verlieh, und war atemberaubend hübsch. Sie hatte lange braune Locken, ein puppenhaftes Gesicht und einen wohlgeformten Körper. Wenn sie zu besonderen Anlässen ein eng anliegendes Kleid trug, wurden ihre Rundungen auf so schmeichelhafte Art und Weise betont, dass Michael regelmäßig der Unterkiefer herunterklappte. Natalie war die perfekte Traumfrau: jung, hübsch, intelligent.
Und Single.
Michael war schnell aufgefallen, dass Natalie nach Arbeitsschluss nie vom Institut abgeholt wurde. Sie erwähnte auch keinen Freund oder Partner, wenn sie mit ihm in der Pause in der kleinen Küche einen Tee trank oder ein Brot aß. Irgendwann hatte er sie einfach gefragt, ob sie in festen Händen sei, und sie hatte den Kopf geschüttelt. Danach hatte es eine unangenehm lange Pause gegeben. Und Natalie hatte das Thema gewechselt.
Wieso hatte eine derart hübsche Frau keinen Freund? Michael konnte sich das nicht erklären und stellte wilde Spekulationen an. War sie depressiv? Oder hatte eine tödliche Krankheit? War sie eine Serienmörderin? Oder lesbisch?
Michael beschloss, es herauszufinden, und sagte abends, wenn sie das Institut verließen, Dinge wie: »Ich geh jetzt noch was trinken.« Oder: »Heute Abend sehe ich mir den neuen Woody-Allen-Film an.« Er hoffte, dass sich Natalie spontan anschließen würde, um ihr dann auf den Zahn fühlen zu können.
Aber sie tat es nicht. Stets wünschte sie ihm einfach nur »viel Spaß« und ging.
Michael war verzweifelt. Was er auch tat, er kam nicht voran. Und weil ihm einfach nichts mehr einfiel, stellte er die Versuche, hinter Natalies Geheimnis zu kommen, schließlich ein. Abends verabschiedete er sich nur noch knapp von ihr, und hin und wieder vergaß er es sogar ganz. Schließlich verblasste sogar die Erinnerung daran, dass er jemals an Natalie interessiert gewesen war.
Dann geschah das Wunder.
Michael hatte seine Sachen gepackt und war auf dem Weg nach draußen, als er Natalie am Fahrstuhl traf. Sie wechselten ein paar Worte, und als sich die Fahrstuhltür öffnete, stiegen sie ein. Dann wurde es still.
Michael spürte, dass sich etwas verändert hatte. Aber er konnte nicht sagen, was. Aus den Augenwinkeln warf er Natalie verstohlene Blicke zu und bemerkte, dass ihre Haare ein wenig zerzaust waren, was ihr einen verwegenen Ausdruck verlieh. Auch ihre Körperhaltung irritierte ihn. Normalerweise waren Natalies Schultern leicht nach vorne gebeugt und ihr Kopf hing ein wenig nach unten: die typische Haltung nach Jahren konzentrierter Schreibtischarbeit. Hier im Fahrstuhl hingegen stand sie ganz aufrecht, fast schon starr. Sie zitterte leicht.
»Frierst du?«, fragte Michael. Aber draußen herrschten schwüle achtundzwanzig Grad, und im Fahrstuhl war es kaum kühler.
Natalie schüttelte den Kopf.
»Bist du krank?«, fragte er.
Natalie reagierte nicht. Sie atmete schwer. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, und ihre Brüste drückten von das hautenge Top. Plötzlich drehte sie sich zu ihm und starrte ihn mit einem merkwürdig verklärten Blick an. Michael wurde unwohl.
»Gehst du heute nichts trinken?«, fragte sie mit leicht zitternder Stimme. »Oder ins Kino?«
Michael zog die Stirn kraus. Es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass Natalie mit ihm ausgehen wollte.
»Doch, klar«, sagte er rasch. »Lass uns was trinken gehen.«
»Oder gleich zu dir«, erwiderte Natalie. Michael wurde klar, dass die junge hübsche Frau genauso scharf auf Sex war wie er selbst. Wozu es also künstlich herauszögern, wenn klar war, worauf es hinauslief?
»Mein Wagen steht auf dem Parkplatz«, krächzte Michael. Sein Mund war knochentrocken. Natalie nickte. Die Fahrstuhltür öffnete sich.
Schweigend stiegen sie in seinen Ford und fuhren los. Fieberhaft grübelte Michael über ein Gesprächsthema nach. Aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab: War seine Wohnung aufgeräumt? Hatte er irgendwelchen Schweinkram offen rumliegen? Und was würden die Nachbarn sagen, wenn die halbe Nacht lautes Stöhnen und spitze Schreie aus seiner Wohnung kamen?
Hatte er überhaupt Kondome? Diese Frage brachte ihn derart aus dem Konzept, dass er eine rote Ampel übersah.
»Vorsicht!«, rief Natalie und packte ihn. Michael bremste gerade noch rechtzeitig. Als der Wagen zum Stehen kam, fiel ihm ein, dass im Bad noch Kondome rumlagen. Die waren allerdings schon ziemlich alt. Er fragte sich, ob es bei Latex auch ein Verfallsdatum gab? Nicht, dass die Dinger platzten, während sie in wilder Lust …
»Es ist grün«, sagte Natalie. Michael sah zu ihr. Sie lächelte ihn an. Erst jetzt bemerkte er, dass ihre Hand noch immer auf seinem Oberschenkel lag. Ein warmes Gefühl strömte durch seine Lenden. Er wollte nach Hause. Schnell!
Als sie sich die Treppe zu seiner Wohnung hinaufschoben, waren ihre Lippen schon miteinander verschmolzen. Natalie presste ihren Körper gegen Michaels, und nur mühsam gelang es ihm, sie in den dritten Stock zu befördern.
Die hemmungslose Begierde setzte sich in der Wohnung fort. Die beiden Körper, die sich ineinander verschlungen in Richtung Schlafzimmer bewegten, kreisten ausschließlich um ihren eigenen Kosmos. Die Außenwelt war ausgeblendet.
Und dennoch regte sich ein Funken Vernunft in Michaels Bewusstsein: Die Kondome. Er musste sie holen. Die Frage war nur, wie? Denn mittlerweile hatte die schüchterne Brünette sämtliche Hemmungen verloren. Sie saugte sich an seinem Hals fest und fuhr mit ihrer Hand über den Schritt seiner Hose.
»Ich muss kurz ins Bad«, stöhnte er.
Natalie reagierte nicht, sondern saugte weiter. Das Kribbeln fuhr Michael direkt in die Lenden. Er verdrehte die Augen. »Nur eine Minute. Bitte.«
Natalie saugte fester. Und aus Lust wurde Schmerz. »Hey!«, rief Michael aus und stieß sie von sich. »Das tut weh!«
Natalie fuhr sich mit ihrer Zunge über die Lippen und funkelte ihn lüstern an. Sie drückte Michael aufs Bett, schob ihren Rock hoch und setzte sich auf ihn. Und während ihr Becken auf seinem Schoss kreiste, presste sie ihre Lippen auf Michaels Mund. Ihre Zunge fuhr in seinen Rachen. Michael musste würgen.
Mit einer ruckartigen Bewegung machte er sich los und rutschte zur Seite, bis er aus dem Bett fiel. Natalie lachte auf.