Lovecrafts Schriften des Grauens 06: Der dunkle Fremde - W.H. Pugmire - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 06: Der dunkle Fremde E-Book

W. H. Pugmire

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Beschreibung

Bei einer solchen Gelegenheit sah ich den dunklen Fremden, der in der gewölbten Türöffnung des Hauses stand, dieses riesige Schattenwesen, dessen Gewand um es herumfloss, als werde es von einem Sturm bewegt, obwohl die Nacht ruhig war.Aus meinem Versteck in sicherer Entfernung beobachtete ich, wie das Wesen eine Hand aus Mitternacht erhob, die dem Mond Zeichen machte. Dann warf es seinen Kopf zurück, sodass es aussah, als wollte es heulen. Doch das einzige Geräusch, das ich hörte, war ein leises Summen aus dem Innern des alten Gebäudes.In den USA ist W. H. Pugmire längst einer der besten Autoren, die in der Tradition Lovecrafts schreiben. Hierzulande harrt sein vielseitiges Werk bislang noch der Entdeckung.Mit diesem Buch legt der BLITZ-Verlag eine exemplarische Sammlung von Pugmires Erzählungen vor, in denen der Reichtum und die Intensität seiner Bilder in bester Weise zum Ausdruck kommen.Die Printausgabe umfasst 234 Buchseiten.

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Seitenzahl: 253

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W. H. PugmireDer dunkle Fremde

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 Das Amulett von William Meikle

2102 Götter des Grauens von Roman Sander (Hrsg.)

2103 Das Mysterium dunkler Träume von Andreas Ackermann

2104 Stolzenstein von Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl

2105 Kinder des Yig von Andreas Zwengel

2106 Der dunkle Fremde von W. H. Pugmire

W. H. Pugmire

Der dunkle Fremde

Aus dem Amerikanischenvon Dr. Frank Roßnagel

Vielen Dank an Eric Hantsch

für seine Unterstützungbei der ­Realisierung dieses Bandes.

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KleudgenTitelbild: Björn CraigLogo: Mark FreierVignette: Jörg NeidhardtSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-426-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Inhaltsverzeichnis
Das Fenster zwischen den Welten
Das Tal aus Sand und Wind
Hinter dem Tor der tiefen Träume
Das Zeichen des Gesichtslosen Gottes
Der Kuss des Nyarlathotep
Die Lauschende Leere
Die tausend Säulen von Irem
Der Blick hinter die Welt
Fußnoten

Das Fenster zwischen den Welten

I.

Ich habe durch schwarze Bäume auf einen vertrockneten und toten Mond geschaut,

Dort, in einem verfinsterten Himmel, einem Ort des absoluten Nichts,

Der sich über uns ausbreitet wie eine Brutstätte von Albträumen,

Ein Abgrund aus Abend.

Über uns brodelt ein Universum, das aufklafft,

Als wollte es die Welt verschlingen, und uns,

Die wir bedeutungslos darauf herumkriechen,

Die wir herumstolpern und keinen Halt aus Vernunft finden.

Ein frostiger Wahnsinn tropft aus der Dunkelheit herab.

Er berührt die uralten Steine

Dieses unheiligen Hauses in diesem Tal,

Wo Chaos und Irrsinn tanzen,

Wo sie sich bewegen in einer Stimmung,

Die verfolgt wird vom Spott Seiner Maskerade,

Seiner Fassade Herrschaftlicher Mitternacht.

Er reicht Seine Hand unserer Zunge.

Rohentwurf eines Gedichts von William Davis Manly, unvollendet geblieben zur Zeit seines Verschwindens

II.

Es gibt einen Ort der Vorstellungskraft und Furcht und der Erhabenheit, wo man Dinge findet, in der Dunkelheit, und manches Mal auch im Traum.

April Dorgan fand solche Dinge in einem verwunschenen Tal, das von schroffen Bergen und lieblichen Hügeln umgeben war. Einem Ort, der einen gleichsam umwarb, verspottete und vergiftete. Es war ein unheimlicher Ort, und das war vermutlich ein Teil des Zaubers, den er auf April ausübte, denn die junge Frau besaß eine unkonventionelle Art, die ihre behäbige Familie verwirrte, die nicht verstehen konnte, wie sie sich anzog, welche Bücher sie las und wie sie redete.

Als April, gerade erwachsen geworden, die Buchhandlung ihres Großvaters erbte, verwandelte sie den Ort in einen Tummelplatz für Gleichgesinnte und ersetzte den Großteil der Bücher durch die Titel, die genau den dekadenten Geschmack seiner Kundschaft trafen. Es gab jedoch einen Raum, zu dem niemand Zutritt hatte, und das war das große Hinterzimmer, das ihr Großvater als seinen persönlichen Wohnbereich und seine Bibliothek eingerichtet hatte. Und diese Bibliothek verwirrte April auf dieselbe Weise, wie sie die Menschen in dieser biederen Stadt in Wisconsin verwirrte. Den Raum umgab eine besondere Aura, denn hier hatte sie als junges Mädchen bei ihrem kränklichen Großvater gesessen und seinen exzentrischen Ausführungen zugehört. Hier zeigte er ihr bestimmte Bücher, die er in einem verschlossenen Wandschrank aufbewahrte. Manchmal murmelte er von der Zeit, die er am finstersten Teil von Rick’s Lake verbracht hatte, und davon, was er glaubte, dort erlebt zu haben.

April hatte sich darüber geärgert, wie ihre Mutter und ihre Onkel versucht hatten, sie vor den seltsamen Geschichten des alten Mannes zu beschützen, so, als würde sie sich mit einer Art geistiger Krankheit anstecken, wenn sie ihm zuhörte. Deshalb schuf sie ein geheimes Band mit ihrem Großvater, darum hatte er ihr in seinem Testament die Buchhandlung vermacht. Das war gut so, denn niemand sonst in ihrer Familie hatte das geringste Interesse an der Buchhandlung, und daher hätte man sie wahrscheinlich verkauft.

April aber liebte sie. Sie liebte das alte Haus, dessen ersten Stock die Buchhandlung einnahm. Sie liebte es, sich in das Leben eines Buchhändlers zu stürzen und Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen, die, nachdem sie einmal Aprils besonderen literarischen Geschmack entdeckt hatten, ihr häufig Geschenke mit provozierenden Titeln schickten, oft auf Französisch.

Aber am meisten liebte sie das Arbeitszimmer ihres Großvaters, in das sie ein Bett hineinstellte, sodass sie dort schlafen und träumen konnte, oft mit einem der seltsamen Bücher des alten Mannes neben sich. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das private Tagebuch ihres Großvaters entdeckt hatte, in dem sie zum ersten Mal vom Sesqua-Tal und seinen ­sonder­baren Bewohnern erfahren hatte. Es war seltsam, das Lesen dieses Tagebuchs brachte Erinnerungen an ihre Kindheit zurück, von denen sie gedacht hatte, es seien schlechte Träume. Wie sie als ganz junges Mädchen auf dem Fußboden der Buchhandlung ihres Großvaters saß und große Bilderbücher anschaute, als bestimmte Leute kamen, um ihren Großvater zu besuchen, Leute, die zu den seltenen Menschen gehörten, denen er Zutritt zu seinen Privat­räumen gewährte. April erinnerte sich an die geheimnistuerische Art dieser Leute und an etwas an ihrer Erscheinung, das sie gleichermaßen beeindruckte und beunruhigte. Ein sehr großer Mann, der stets einen breitkrempigen Hut trug, faszinierte sie besonders. Denn der blieb immer bei ihr stehen, kniete sich neben sie und fragte: „Was lesen Sie heute, Miss April?“

Sie hatte eine schwache Erinnerung an etwas Merkwürdiges in seinen Augen und an den Geruch seiner Kleidung. Sie erinnerte sich auch an den aufgewühlten Zustand, in dem sich ihr Großvater oft befand, nachdem er sich mit diesen seltsamen Besuchern unterhalten hatte. Einmal, kurz bevor es mit ihm zu Ende ging, als er es ihr erlaubte, bei ihm in seinem Arbeitszimmer zu sitzen und über die Zukunft der Buchhandlung zu sprechen, erwähnte sie beiläufig diese Besucher.

„Ah“, hatte der alte Mann erwidert. „Simon Gregory Williams und seine Brut. Ja, er wird vielleicht mal seine Schnauze hier hereinstecken, wenn er erfährt, dass du das Geschäft übernommen hast. Die haben Interesse an einigen der Titel, die ich unter Verschluss halte. Du möchtest bestimmt nichts mit ihnen zu tun haben. Sie sind so etwas wie Okkultisten, glaube ich.“

Erst nach dem Tod ihres Großvaters entdeckte sie, in einer Schublade seines Schreibtisches, eines seiner privaten Tagebücher. Darin fand sie weitere, allerdings verstörende Informationen. „Ich habe Williams einige der Bücher zu ihm nach Hause ins Sesqua-Tal gebracht. Es waren gute Bücher, und er bezahlte einen anständigen Preis. Er stellte mir ein paar verwirrende Fragen über Rick’s Lake und Professor Gardner, die ich ihm nicht beantworten konnte. Ich hatte kürzlich von neuen Aktivitäten am Rick’s Lake gehört. Jemand hat das seltsame kleine Steintotem entfernt, das neben der Hütte stand, das mit dem gesichts­losen Gott als oberstem Bild. Ich habe einen gewissen Verdacht, aber ich sagte damals nichts zu Williams. Er hatte seine üblichen Fragen gestellt über den Professor, und ich erklärte ihm erneut, dass wir keine echten Exemplare von De Vermis Mysteriis und den Pnakotischen ­Manuskripten hätten, sondern lediglich Fotokopien der Manuskripte und gedruckte Auszüge aus diesen Texten. Er glaubt mir nicht, denn er hat auf manche der Werke gestarrt, die ich seitdem gesammelt habe, Bücher, die ich unter Verschluss halte. Er fragte mich nach meinen Träumen. Verflucht sei er! Wie er von solchen Dingen wissen konnte, kann ich mir nicht erklären. Seine Stimme hat beinahe etwas Sinnliches, wenn er von den alten Texten und ihren verführerischen Überlieferungen spricht.

Er ließ mir eine weitere Liste von Titeln da, an denen er Interesse hatte. Ich frage mich, ob er sich denken kann, dass ich die geheimnisvollen Bücher aus einer seiner früheren Listen gefunden und in meiner persönlichen okkulten Bibliothek versteckt habe. Einige der Bücher haben sich als verstörend erwiesen, sie bei mir zu haben, war höchst unangenehm. Deshalb habe ich ein paar in eine Kiste gepackt und sie zu Adam Websters Buchhandlung im Sesqua-Tal gefahren. Die Erinnerung an diesen Ort ... Nun, ich kann mich nicht daran erinnern. Auch jetzt kann ich mich an keine Einzelheit meines Besuchs dort erinnern, oder an das Tal selbst. Ich habe nur einen unbestimmten, äußerst unangenehmen Eindruck. Das ist alles!“

In einem anderen Tagebuch hatte April eine solche Liste mit Titeln gefunden, an denen Simon Gregory Williams besonderes Interesse bekundet hatte, zusammen mit den außergewöhnlichen Preisen, die Williams für diese Bücher zu zahlen bereit war. Es bereitete der jungen Frau Unbehagen, einige dieser Werke hinter den Glastüren des verschlossenen Schranks zu sehen. Es gab auch eine Landkarte des Nordwestens, in dem das Tal lag, mit handschriftlichen Notizen ihres Großvaters von seiner Reise dorthin.

Damit war ihre Neugierde geweckt. April packte ein paar der Bücher in eine Kiste, fügte das Tagebuch hinzu, das ein paar der Titel in der Kiste erwähnte, an denen Simon Gregory Williams Interesse hatte, und begab sich ins Sesqua-Tal.

Sie fuhr einen ganzen Tag, übernachtete in einem tris­ten Motel und beendete ihre Reise nach weiteren sieben Stunden, als sie in ein Tal hinab kam, das von Bergen und bewaldeten Hügeln umgeben war. Eine kurvige Straße brachte sie in eine kleine Stadt. April war sofort von der Stimmung des Ortes verzaubert, von seiner Aura von Stille, von den hölzernen Gehsteigen und der umliegenden Waldlandschaft. Ein gigantischer Berg mit zwei Gipfeln aus weißem Stein nahm sie mit seiner überwältigenden Schönheit gefangen, wie er im fahlen Sonnenlicht des späten Morgens schimmerte.

Sie parkte das Auto, stieg aus und atmete die süße Luft ein, während sie die alten Gebäude bewunderte, die die Innenstadt zu bilden schienen. April schaute sich um, entdeckte aber nichts, das wie eine Buchhandlung aussah. Sie hörte Schritte auf dem hölzernen Gehsteig, wandte sich um und lächelte zwei junge Männer an, die auf sie zukamen.

„Hallo“, begrüßte sie sie. „Ich suche nach Adam Websters Buchhandlung.“

Der kleinere der beiden Jungen antwortete. „Das geht den Hügel hinauf, auf der Straße der Habichte. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin.“

Sie reichte ihm die Hand. „Ich bin April Dorgan aus Wisconsin. Mein Großvater verkaufte seltene Bücher an Mr. Simon Williams. Ich habe ein paar Exemplare mitgebracht, von denen ich dachte, sie könnten ihn oder Mr. Webster interessieren. Darf ich Sie in meinem Wagen mitnehmen? Dann könnten Sie mir den Weg zeigen.“

Die beiden jungen Männer wechselten einen kurzen Blick. April studierte die merkwürdigen Züge ihrer Gesichter, die sie an etwas erinnerten, das sie nicht einordnen konnte.

„Ich bin Cyrus. Ja, ich zeige Ihnen den Weg. Es ist nicht weit.“ Er klopfte dem anderen Jungen auf den Rücken und stieg mit April zusammen ins Auto. Dann dirigierte er sie aus der Stadt hinaus, eine ausgefahrene Straße entlang, die sich den Hügel hinaufstreckte. „Da ist das Haus, gleich hinter diesen Bäumen. Sie können hier bei der Treppe parken. Lassen Sie mich die Bücherkiste tragen, Miss Dorgan. Sie sieht schwer aus.“

April parkte neben einer Steintreppe, die zu einem der seltsamsten Häuser führte, die sie je gesehen hatte, unheimlich, abgeschieden und sehr alt. Schweigend folgte sie Cyrus die Treppe hinauf, die von Unkraut und gelbem Gras überwuchert war. Sie bemerkte, wie neugierig er die Bücher in der Kiste betrachtete, die er trug. Als sie das Ende der Treppe erreicht hatten, gingen sie auf einem Kiesweg zu den drei Holzstufen, die zu einer riesigen überdachten Veranda hinaufführten. Darauf standen eine Hollywoodschaukel und ein Eimer mit weggeworfenen Büchern. Die Haustür stand offen, und aus dem Innern hörte April, wie jemand Flöte spielte.

Sie überschritten die Schwelle, und April betrachtete aufmerksam den großen Mann, der ihnen den Rücken zuwandte, während er aus einem nach Osten gehenden Fenster schaute, in Richtung des weißen Berges. Er war es, der die Musik spielte, und als er aufhörte und sich umdrehte, sah April, dass er eine Flöte in der Hand hielt, die aus leuchtend rotem Holz gefertigt war. Er lächelte sie nicht an und sagte auch nichts. Etwas in dem strengen Blick seiner silberfarbenen Augen verunsicherte sie mit leiser Furcht und Erinnerung. Das Gesicht erschien ihr auf unheimliche Weise sehr vertraut, und sie fühlte sich abgestoßen von seinen hässlichen Gesichtszügen, die sie an eine Mischung aus Frosch und Wolf erinnerten.

Die unfreundlichen Augen wandten sich Cyrus zu, der die Kiste auf einen niedrigen Tisch gestellt hatte. „Was ist das?“, fragte der Mann.

„Vor einigen Jahren besuchte Simon Gregory Williams von Zeit zu Zeit die Buchhandlung meines Großvaters in Wisconsin und zeigte Interesse an den Büchern hier in der Kiste“, erklärte April. „Aus unbestimmten Gründen wollte sich mein Großvater nicht davon trennen. Könnten Sie die Bücher Mr. Williams zeigen, vielleicht gelingt es mir dann, mich mit ihm auf einen Preis zu einigen.“

„Simon ist in Europa, aber ich kenne seinen Geschmack. Ich werde bis morgen beschäftigt sein. Können Sie über Nacht bleiben? Ich habe oben ein Zimmer, das Sie gerne benutzen können, solange Sie im Sesqua-Tal bleiben. Wenn Ihr Großvater Laird Dorgan hieß, dann habe ihn einmal getroffen, als ich Simon in die Stadt begleitete. Cyrus wird Ihnen das Zimmer zeigen. Ich esse heute spät zu Abend. Vielleicht möchten Sie mir Gesellschaft leisten, und wir können reden. Ja? Ausgezeichnet!“ Er wandte sich an den Jungen. „Das Ostzimmer, Cyrus, mit seinem großartigen Blick auf den Mount Selta und den umliegenden Wald.“ Und dann sagte er zu April: „Ist Ihr Gepäck im Auto? Geben Sie Cyrus Ihre Schlüssel, und er bringt alles auf Ihr Zimmer. Sie sind sicher nach so einer langen Fahrt müde. Ein wenig Ruhe wird Ihnen guttun. Das Bett ist gemütlich.“

Sie folgte dem jüngeren Mann aus dem Zimmer und eine mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf. Das Zimmer, in das er sie führte, war klein und geschmackvoll mit robusten alten Möbeln eingerichtet. Das Bett sah einladend aus.

Nachdem sie Cyrus für seine Hilfe gedankt und ihm die Autoschlüssel gegeben hatte, legte sie sich auf das Bett, schloss die Augen und lauschte der eindringlichen Flötenmelodie aus dem Erdgeschoss.

III.

Das Universum war ein schwarzes, stilles Meer, in dem ihre Augen blind umhertrieben. Die Situation erinnerte sie an das Sonett Die ungeschaute Unendlichkeit von Sri Aurobindo und seinen Vers über den unbewussten schrecklichen stummen Abgrund. Ihre Augen trieben umher und schauten, das Weiße in ihnen waren die einzigen Sterne. Dann erhob sich aus dem Meer der Unendlichkeit eine Gestalt, schwärzer als das Vergessen. Sie richtete sich auf und beobachtete April beinahe mit Neugier in ihrem dunklen Gesicht, einem Gesicht, das nahezu keine Züge trug. Die Hände der Gestalt, gehüllt in Handschuhe aus Mitternacht, hoben sich zu ihrem noch unvollendeten Gesicht und zogen daran, bis das Gesicht frei lag. Die Gestalt näherte ihr Gesicht Aprils Augen, die sich darauf zubewegten und sich in engen Augenhöhlen befestigten. Als April wieder in das Nichts blickte, sah sie die Wirbel aus Schatten, die sich drehten, wie eine Vision Hesekiels, Kreise aus Schwärze, die innerhalb ihrer selbst umherwirbelten und an ihrem innersten Wesenskern zerrten. Die Maske, in der ihre Augen steckten, drehte sich wie ein Netz aus Düsternis in dem kosmischen Nichts. Mit großer Anstrengung schloss sie die Klappen der Maske, die ihre Augenlider waren.

Sie öffnete ihre Augen in die Dunkelheit, fokussierte ihren Blick und bemerkte das trübe Rechteck aus Licht, das einen Umriss enthielt, der sie anschaute. Sie erhob sich auf ihre Ellbogen und starrte die Gestalt an, deren Gesicht sie nicht sehen konnte.

„Warum ist es so dunkel?“

„Sie haben geschlafen, die Dunkelheit kommt um diese Jahreszeit sehr schnell ins Tal. Haben Sie Hunger? Ich habe für uns den Tisch gerichtet. Kommen Sie.“

Sie setzte sich auf und zog die Sandalen über ihre Füße. Dann erhob sie sich und ging auf die Gestalt auf der Türschwelle zu. Der Mann trat zurück, um sie aus dem Zimmer zu lassen. Das sanfte Licht des Korridors beleuchtete sein seltsames Gesicht.

„Ich habe tatsächlich ein bisschen Hunger“, gab sie zu.

„Ausgezeichnet. Ich habe eine kleine Mahlzeit vorbereitet.“ Er bot ihr seinen Arm an. Sie ergriff ihn, gemeinsam stiegen sie die Treppe hinunter und betraten das Speisezimmer. Er zog einen Stuhl für sie hervor und ging zu einem Beistelltisch. Dort öffnete er abgedeckte Schüsseln und legte Speisen auf Teller. Sie ergriff das Glas vor ihr und atmete das süße Aroma des Weines ein, das sie an die Düfte des Tals erinnerte, die sie umweht hatten, als sie es am Vortag zum ersten Mal betreten hatte. Er ließ sich nieder und begann, schweigend zu essen, ohne sich im Geringsten um sie zu kümmern.

Die Mahlzeit war köstlich, wie auch der Wein. Nachdem April gespeist hatte, hatte sie ein wenig von dem unguten Gefühl verloren, das dieser Ort und sein Bewohner in ihr geweckt hatten. Er schaute auf und bemerkte, dass sie sein Gesicht anstarrte. Er lächelte geheimnisvoll. Der Mann erhob sich und trat an einen kleinen Beistelltisch, von dem er einen Gegenstand nahm. Dann zog er einen der Stühle vom Esstisch näher an April heran und setzte sich. Sie erkannte das Tagebuch ihres Großvaters, in das sie die Bücher notiert hatte, die der geheimnisvolle Simon Williams hatte haben wollen.

Webster legte das kleine Tagebuch neben sie und tippte mit dem Finger darauf. „Wissen Sie, was aus den Büchern geworden ist, die am Ende dieses Tagebuchs erwähnt werden, den Pnakotischen Manuskripten und dem Buch von Eibon? Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob es echte Ausgaben waren oder Fotokopien, wie auch das Necronomicon.“

April runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“

„Ah! Vielleicht haben Sie nicht bemerkt, dass hinten im Tagebuch etwas stand, nach vielen leer gelassenen Seiten.“ Er schlug das Buch auf und zeigte ihr ein paar Seiten hinten aus dem Buch, auf die ihr Großvater, vor langer Zeit, ein paar seltsame Notizen gekritzelt hatte, offensichtlich nur für sich.

Träume von dem, der in der Dunkelheit wohnt, vielleicht eine Folge der Erinnerungen, die vom Studium der Fotokopien des Necronomicon, des Buches von Eibon und den P. Manuskripten geweckt wurden. Ich sehe das verdammte Totem vor mir, das neben der Hütte im Wald stand, mit seinem Gesicht wie dem eines Reptils und seinen Flügeln. Ich spüre die Versuchung, noch mal zu Rick’s Lake zu fahren, um die Markierungen auf dem Totem zu kopieren, dennoch widerstrebt es mir, dorthin zurückzukehren. Ich möchte nicht noch einmal diese summenden Stimmen oder das heulende Ding hören. Und trotzdem zieht es mich dort hin, an diesen verfluchten Ort.

„Ich habe diese Passagen nie zuvor bemerkt.“ April log, als sie andere Seiten mit ebenso kryptischen Notizen in der Handschrift ihres Großvaters durchblätterte. „Das Buch von Eibon und De Vermis Mysteriis in der Kiste, die ich mitbrachte, kaufte Großvater nach dem Vorfall an Rick’s Lake und nachdem er seine Stellung an der Universität aufgegeben hatte, um seine Buchhandlung zu eröffnen. Er erzählte mir die Geschichte von Rick’s Lake kurz vor seinem Tod, viele Male, und ich weiß, dass die Fotokopien der okkulten Bücher, die sie in der Hütte hatten, auf unerklärliche Weise verschwanden. In einer Zeit, als er sich mit schlimmen Träumen verrückt machte, ging ich einmal mit ihm zu der Hütte. Er schien beunruhigt, dass das steinerne Totem beseitigt worden war, weil er gerade dieses untersuchen wollte. Sehen Sie, er öffnete sich mir, als ich anfing, mich für seinen unkonventionellen Lebenswandel zu interessieren, und begann, Freunde in die Buchhandlung mitzubringen. Er schien begeistert davon, sich unseren Séancen und ähnlichen Dingen anzuschließen.“

„Sind Sie interessiert am Okkulten, Miss Dorgan?“

Sie klappte das Tagebuch ihres Großvaters zu und schob es von sich. „Nein. Ich habe gesehen, was diese Dinge mit Großvater gemacht haben, und das hat mich eher abgeschreckt. Kurz vor seinem Ende ging es ihm sehr schlecht. Er schrieb Zeichen mit Kreide auf die Wände und Fußböden, schlich sich heimlich aus dem Haus und rannte nackt durch die angrenzenden Wälder. In einem dieser Wälder fanden wir ihn, tot, mit einem merkwürdigen Buch in seiner Hand.“

„Und welches Buch war das?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe es nach der Beerdigung verbrannt. Ich war versucht, all die unheimlichen Bücher zu verbrennen, die er in seinem Schrank eingeschlossen hatte. Dann fand ich dieses Tagebuch mit den außerordentlichen Preisen, die ihm von Mr. Williams geboten worden waren. Das bewahrte die Bücher vor den Flammen. Die Buchhandlung läuft recht gut, und meine Bedürfnisse sind auch bescheiden. Dennoch wäre es gut, für besondere Anlässe eine angemessene Menge Geld auf der Bank zu haben. Wann erwarten Sie Mr. Williams zurück aus Europa?“

„Das weiß niemand. Spielt aber keine Rolle. Ich bin befugt, Ihnen die Beträge zu zahlen, die er Ihrem Großvater geboten hat. Diese Bücher sind in der Tat selten und in einem ausgezeichneten Zustand. Simon wird zufrieden sein.“ Er nahm das kleine Tagebuch und lächelte sie an. „Gefällt Ihnen Ihr Zimmer?“

„Oh ja! Es ist zauberhaft. Diese schönen Antiquitäten ...“

„Fein! Bleiben Sie so lange, wie Sie wollen. Es ist gut, mal abzuschalten, wie man so sagt.“ Er erhob sich, nahm ihre Teller und verließ den Raum.

April stand ebenfalls auf und streckte sich. Dann ging sie zur Eingangstür, setzte sich in die Schaukel auf der Veranda und blickte auf das nächtliche Tal und den weiten Horizont. Die Sterne erschienen ihr nicht vertraut, etwas, das ihr nie zuvor passiert war. Sie hatte aber auch nie viel Interesse am Himmel gezeigt. Sie fing einen trüben Rest ihres Traumes auf und dachte erneut an die Gedichtzeile den unbewussten schrecklichen stummen Abgrund und spürte dieses Bild so intensiv wie niemals zuvor. Die Schwärze über ihr erschien ihr wirklich wie ein Abgrund, in den sie stürzen würde, wenn sie ihren festen Griff um die Lehne der Schaukel losließ. April dachte an die Schlussverse des Sonetts, in denen die Beziehung der Seele des Menschen mit dem Ungesehenen enthüllt wird, mit dem der Mensch verwandt ist. Das war die krankhafte Besessenheit ihres Großvaters. Sie hatte nie ernsthaft über diese Sache nachgedacht und sie als die geistigen Irrfahrten eines älteren Geistes abgetan. Und dennoch hatte ihre Ankunft im Sesqua-Tal etwas in ihr ausgelöst, das sie nicht verstand, hatte sie erfüllt mit einem Gefühl von Unruhe, das ganz und gar nicht unangenehm war.

Gewiss, es war beunruhigend, Menschen zu treffen, denen die fixen Ideen ihres Großvaters genau so ernst waren wie ihm selbst. Das Interesse Adam Websters an den Büchern und der Geschichte ihres Großvaters war echt. Er zeigte sich außergewöhnlich interessiert. Vielleicht waren die alten Bücher weit bedeutungsvoller, als sie annahm. Vielleicht waren sie kostbarer, als ihr Großvater vermutet hatte, wertvoller als das großzügige Angebot, das Simon Gregory Williams ihm unterbreitet hatte.

Ihr Kopf schmerzte vom vielen Nachdenken. Ja, sie würde noch einen oder zwei Tage hierbleiben, einen kleinen Urlaub von zuhause nehmen und sich anschauen, wie andere Menschen lebten. Sie stellte fest, dass ihr Leben angefangen hatte, einer sicheren und regel­mäßigen Routine zu folgen. Und das ärgerte sie, weil dies ihrem Bild einer Frau widersprach, die ein interessantes Leben führte, ein Leben so anders als die abgeschmackte Wirklichkeit ihrer Familie, ihrer langweiligen Mutter und langweiligen Onkel, die kein Gespür für ein abenteuerliches Leben, für radikale Gedanken hatten. Es war ihre Rebellion gewesen, einem Lebensstil zu folgen, den sie als alternativ empfand. Aber sie bemerkte, dass es nicht viel gebraucht hatte, um in ihrer kleinen Stadt in ­Wisconsin als anders zu erscheinen. Heute lachte sie darü­ber, wie naiv all dies gewesen war. Hier, in dem abgelegenen Sesqua-­Tal, fühlte sie sich wirklich ­abgesondert von der ihr bekannten Normalität. Sie schloss ihre Augen und stieß sich mit den Füßen ab, sodass die Schaukel sich sanft hin und her bewegte. Diese Bewegung brachte plötzlich eine Erinnerung hervor. Sie saß als Kind auf dem Schoß ihres Großvaters, während er sie hin und her schaukelte. April lächelte.

*

Adam Webster saß mit geschlossenen Augen aber angespannten Sinnen im Schein eines weichen elektrischen Lichts. Er hörte die Bewegung hinter sich, als der junge Cyrus den Raum betrat.

„Du siehst ernst aus“, sagte der Junge.

„Ich mag diese Art von Überraschungen nicht, wenn Simon nicht da ist. Wir hatten ein paar angenehme ruhige Jahre ohne Fremde, die in unser Gebiet eindringen.“

Cyrus lachte leise. „Wir sind die Eindringlinge, Adam. Sie ist hier eher zuhause als wir.“

„Wie wenig du bisher verstehst. Das Tal ist unser Reich. Wir sind ein Teil seiner Luft und seiner Erde. Für eine kleine Weile sind wir in diese primitive Erscheinung aus Sterblichkeit gehüllt, bis zu jener Zeit, wenn wir in das Reich aus Schatten und Nebel zurückkehren werden. Der Berg ist unser Urahn. Dieses Tal gibt uns Gestalt, Fleisch und Atem. Wir sind eins mit ihm. Für eine gewisse Zeit.“

Cyrus zuckte die Schultern. „Was sollen wir also mit ihr tun?“

„Das Tal wird uns Anweisungen geben. Halte dein Ohr an die Erde.“

„Sie ist nicht wie die üblichen Außenseiter, Adam. Sie ist von dem Draußen befleckt worden. Kannst du es nicht an ihr riechen?“

„Das kann einfach nur die Ansteckung durch die Krankheit ihres Großvaters sein, die ihn befiel, während er in Rick’s Lake war. Simon weiß darüber mehr als ich, aber ich weiß genug. Sie hat in die alten Bände geschaut, und wenn man das tut, wird man berührt, gleichgültig, wie sehr man die Erscheinungen von Traum und Furcht missversteht. Die Großen Alten spielen ständig Streiche, wie du weißt. Miss Dorgan ist sicherlich durch jemandes Einwirken und seinen Plan zu uns gebracht worden. Es gibt keinen Zufall. Sie mag dich, und deshalb wirst du ihr Freund sein. Wir behalten sie ein paar Tage hier, bis ich ihr Schicksal verstehe oder es bestimmen muss.“ Er wandte den Kopf und blickte dem jungen Mann fest in die Augen. „Halte dein Ohr an die Erde, Cyrus! Es wird Zeit, dass du dich daran gewöhnst. Du hängst zu sehr an der Welt der Sterblichen. Geh und verrichte deine Arbeit.“

Der Ältere sah zu, wie der Junge sich umdrehte und den Raum verließ. Er griff in die Tasche seiner Jacke, holte seine Flöte hervor und führte sie an seine Lippen. Die leichte Musik stieg hinauf in die dunkle Luft. Sie trieb auf die Veranda hinaus und drang in die Träume des Eindringlings, der auf der Schaukel eingeschlafen war.

IV.

April erwachte aus einem tiefen und traumlosen Schlaf und merkte, dass sie in ihrem Bett lag. Sie hatte keine Erinnerung daran, wie sie in ihr Zimmer gelangt war und sich hingelegt hatte. Ihre Koffer standen im Zimmer, ihre Autoschlüssel lagen auf dem Nachttisch. Als sie frische Kleidung angezogen hatte, ging sie ins Erdgeschoss, fand dort aber niemanden. Daher entschied sie sich, im Tal herumzuschlendern und irgendwo zu frühstücken.

Es war ein sonniger und angenehmer Tag. Sie beschloss, an der Straße entlang zu gehen, die in die umliegenden Wälder führte. Es lag eine solche Stille über dem Tal, dass es beinahe unnatürlich ruhig schien. Ihr drängte sich die Vorstellung auf, dass das Tal lauschte, vielleicht sogar ihr selbst zuhörte. Niemals zuvor hatte eine Gegend eine solche Aura eines geduldigen Empfindungsvermögens besessen. Es war, als sei das Sesqua-Tal eine lebendige Erscheinung, die alle Dinge um sich herum, und somit auch April, bewusst wahrnahm.

Der Berg mit seinen zwei Gipfeln ragte empor wie eine Art Wächter, der den Ort beschützte. Schließlich gelangte sie auf eine Lichtung, die von Mammutbäumen umgeben war. Sie blieb stehen, um eine seltsame Statue aus schwarzem Stein zu betrachten, die gut einen Meter hoch war. Sie ähnelte einem Wasserspeier mit einem Katzengesicht, einem Kopf, der zum Heulen erhoben war, und einer groben Andeutung von angelegten Schwingen auf dem Rücken. Der Stein, aus dem das Wesen gefertigt war, war glatt wie Seide.

Sie wandte den Blick ab und weiteren Statuen zu, die schief im Gras vor ihr standen. Hinter diesen Statuen erblickte sie ein Bauwerk, das auf einem höher gelegenen Streifen Land platziert war. Von diesem stiegen feine Dämpfe aus malvenfarbigem Nebel empor. Ein beinahe identisches Gebäude hatte sie einmal in einer Sendung über Wales gesehen, die sie auf PBS angeschaut hatte, eine Kirche, die im 18. Jahrhundert erbaut worden war. Dieser schwarze Steinhaufen vor ihr mochte noch aus jener Zeit stammen. Der Ort wirkte absolut verlassen und wenig einladend. Dennoch spürte die junge Frau einen Zwang, sich ihm zu nähern, die kleine Steigung zu bezwingen und ihre Hand auf die kühlen groben Steinblöcke zu legen, aus denen das Gebäude erbaut worden war.

April blieb vor einer der großen gewölbten Aushöhlungen stehen, die in die von Nebel umschlossene Kirche hineinführten, und betrachtete das Totem, das sie begrüßte. Die bizarre Schöpfung verströmte eine Aura von Alter wie die schwarzen Steine des Gebäudes. Sie glich bestimmt nichts, das sie jemals zuvor gesehen hatte, denn sie hatte noch nie ein Totem gesehen, an das lange schmale Arme angebracht worden waren. Einer der Arme war auf merkwürdige Weise ausgestreckt, die Finger in einer Position, die wie ein Zuwinken aussah, während der andere Arm an der Seite herabhing, dass die Hand beinahe den grasigen Boden berührte. Die Arme ­wuchsen aus dem niedrigsten Teil des Totems heraus, einem über einen Meter hohen Sockel, in den vor Ewigkeiten kaum lesbare Zeichen oder Buchstaben eingemeißelt worden waren. Darüber befand sich das erste Gesicht, das wenig mehr war als ein verzerrter Schädel mit einem ovalen Mund, der April an Munchs Der Schrei erinnerte.

Oberhalb dieses Gesichts saß ein länglicher tintenfischähnlicher Kopf, an dem zwei kleine, adlerähnliche Schwingen angebracht worden waren. Der dritte, oberste Kopf dagegen erfüllte April mit Unbehagen und ließ sie vor Abscheu aufkeuchen. Denn da befand sich kein wirkliches Gesicht, sondern eher eine glatte, maskengleiche Oberfläche, die dennoch spöttisch zu blicken schien. Das verwirrte die junge Frau gänzlich. Ihre Augen begannen zu brennen, während sie dieses Ding betrachtete. Ihre Hände wanderten zu ihren Augen, die sich schlossen. Doch während sie sich die Augen rieb, wurde sie von einem gewaltigen Schwindel erfasst. Rote und schwarze Schatten drehten sich vor ihren Lidern, zogen sie in eine kaleidoskopartige Leere, in der sie herumwirbelte.

Während sie vorwärtsstolperte, streckte April den Arm aus und berührte die Mauer des alten Gebäudes. Sie erschauerte vor der Kälte der Steine, die auch vom Sonnenlicht des späten Vormittags nicht erwärmt worden waren.

Es war schwer für sie, etwas zu sehen. Ihr Blick war verschwommen, als sie sich an der Wand bis zu der Öffnung entlangtastete, die in das Gebäude hineinführte. Sie fand den gewölbten Eingang und stand da, während sie dem sanften Chor der Geräusche zuhörte, der von irgendwo aus dem Innern der Kirche kam. Geräusche, die auf sie zu waberten wie sanfter Wind, der ihr Gesicht reinigte und ihr Sehvermögen klärte. Im Gegensatz zu den Steinen des Gebäudes war der Wind heiß, wie ein lebendiger Atem, der aus dem Maul eines Tieres auf sie eindrang. Sie überschritt die Schwelle und betrat die Kirche, anfänglich verwirrt von dem Anblick, der sich ihr bot.