Loverboys 161: Davids Sommer - Fabian Kaden - E-Book

Loverboys 161: Davids Sommer E-Book

Fabian Kaden

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Beschreibung

Als David zur Untermiete nach Berlin zieht, kennt er das Nachtleben der Hauptstadt bereits als gelegentlicher Sextourist. Durch seinen Vermieter Michael und dessen Ex-Freund Mauro wird er nun tiefer in die Geheimnisse der Stadt eingeweiht. Die Geschichte erzählt von Davids Entdeckungen: dem sommerlichen Treiben am Kiefernsee, den langen Nächten im Kreuzberger Club – bis zum großen Finale an Davids 23. Geburtstag mit Mauro und seinen Freunden.

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DAVIDS SOMMER

FABIAN KADEN

Loverboys 161

© 2020 Bruno Books

Salzgeber Buchverlage GmbH

Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin

[email protected]

Umschlagabbildung: © Ragingstallion.com

Falcon Studios Group (Model: Max Gianni)

Printed in Germany

ISBN 978-3-95985-403-0

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen sind fiktiv.

Im verantwortungsbewussten sexuellen Umgang miteinander gelten nach wie vor die Safer-Sex-Regeln.

Für Mauro,

dem ich viel verdanke

Inhalt

Der erste Abend

Die Lichtung

Warum Michaels Nächte eine Art Lotterie sind

Mauros Welt

Eine Nacht am Alexanderplatz

Mein Geburtstag, anders als erwartet

Der erste Abend

Bei meiner Ankunft in Berlin regnete es. Alles Mögliche hatte ich für diese große Stunde erwartet, den roten Läufer, ein Ehrenspalier aus jungfräulichen polnischen Pfadfindern, wenigstens einen glutäugigen jungen Döner-Verkäufer, dessen Grinsen mich in seine Brutzelbude einlud. Ich hätte keine Sekunde gezögert, diensteifrig zwischen seinen Beinen zu knien, während er oben mit lodernden Wangen die fette Kräutersoße ins Fladenbrot schmierte ...

Doch niemand nahm Notiz von mir, als käme ich wieder nur für eine Nacht her, eine dieser Saunanächte, die erst zu Ende waren, wenn mein Schwanz endlich Ruhe gab. Der Himmel allein wusste es besser – er weinte. Dicke, warme Tropfen, die träge auf den Asphalt platschten. Keine Geigen, kein großer Chor. Ich stand mit meinen zwei Rucksäcken vor dem Bahnhof, im Nu bis auf die Haut durchnässt, und dachte grimmig: Na warte!

Michael hatte mir den Weg zur Gleimstraße so ausführlich beschrieben, dass ich mich besorgt fragte, ob er sich womöglich als eine Art klammernde Übermutter erweisen würde. Dann stand er in der Tür, eine dieser properen Muskelglatzen, wie sie in Berlin vom Fließband purzeln, ein paar Zentimeter kleiner als ich. «David? Herein mit dir!» Wir gaben uns die Hand. «Du bist ja klitschnass. Zieh dich erst mal um», sagte er. «Gleich links geht’s ins Bad. Nimm dir ein Handtuch vom Regal. Und da vorne, das ist dein Zimmer.»

Auch hier abgezogene Dielen, ein klobiger Biedermeierschreibtisch und der versprochene Balkon. Die Wohnung lag im vierten Stock. Ich riss die Balkontür auf und trat hinaus in den Sommerregen. Michael nickte mir zu und ließ mich allein. Er hatte nicht übertrieben. Die Straße hoch und runter zahllose Kneipen, kleine Restaurants, Imbisse, gleich gegenüber ein Gemüseladen, dessen bunte Auslage auf den breiten Bürgersteig hinausquoll. Sogar jetzt, bei Regen, herrschte auf diesem Stückchen Straße mehr Betrieb als in meiner ganzen Heimatstadt. Ringsum sah ich die glänzenden Ziegeldächer. Für einen kurzen Moment kam ich mir vor wie in einem südlichen Land.

Ich ging ins Bad und zog meine Sachen aus, zelebrierte es. Betrachtete mich in dem Standspiegel neben dem Fenster. Gänsehaut. Meine kleinen Brustwarzen waren hart. Meine Haare klebten in der Stirn, ich kämmte sie nach hinten. Ich mochte die Wölbung meiner Schenkel, meinen Arsch. Streichelte meinen flachen Bauch, überaus zufrieden. Die Tage an der Kiesgrube hatten meiner Haut dieses besondere Frühsommerbraun vom letzten Jahr zurückgegeben, einen hellen Ockerton, um den mich Uwe beneidete. Er war ein blasser Typ, wurde höchstens rot, wenn er zu lange in der Sonne lag, und bekam Sommersprossen. Egal, vorbei. Drei Kreuze, wie meine Oma zu sagen pflegte.

Die Wochen bis zum Studium wollte ich leben. Keine Rechtfertigungen mehr, Ausreden, Lügen. Mein Körper brüllte. Die Erinnerung an die Herfahrt ließ meinen Schwanz anschwellen. Ich hatte mich zweimal im Klo eingeschlossen und gewichst, langsam, mit Pausen, im weichen Licht der Milchglasscheibe, ohne an etwas Besonderes zu denken, an jemand Bestimmtes. Von nun an ging es um alles. War ich schon jemals satt geworden? Mein Hunger war kein zivilisierter Appetit, er war die wilde Unersättlichkeit kanadischer Vielfrasse, die sich vom Baum fallen lassen, dem Elch ins Genick ...

Ich hängte meine Sachen über den Trockner, band mir ein Handtuch um (Homer Simpson mit einer Dose Duff) und marschierte zurück zu meinem Zimmer. In der großen, mit üppigen Pflanzen vollgestellten Wohnküche, die an Stelle eines Korridors die Mitte der Wohnung bildete, hockte Michael am Boden, fluchend, inmitten glitzernder Glassplitter. Ich wollte ihm helfen, doch er wehrte ab. «Das war die Kaffeekanne. Pass auf, tritt nicht rein.» Sein Blick, der an mir hochging, war eine Viertelsekunde zu lang. Verlegen senkte er sein Gesicht. Fragte hastig, ob ich auch Kaffee wolle. Und ob. Ich ging mich anziehen.

Nein, er war wohl keine Klette. Es ist anstrengend: wenn du jung bist, halten dich alle Älteren für unterbelichtet, behandeln dich jedenfalls so. Michael gab sich Mühe, die rühmliche Ausnahme zu sein. Er sei einunddreißig, hatte er mir gemailt. Seine Einweisung geriet knapp und praktisch. Ein Fach im Kühlschrank hätte er für mich leergeräumt. Das dritte Zimmer könne ich mitbenutzen, dort hätte Mauro gewohnt, sein Ex. «Er hat übrigens einen Schlüssel. Wundere dich nicht, er taucht gelegentlich hier auf. Es ist vielleicht überhaupt ganz gut, wenn du dich einfach über gar nichts wunderst.»

«Mauro, was ist das für ein Name?»

«Die Kurzform von Maurizio. Seine Mutter ist Italienerin, vom südlichsten Zipfel.» Er schien sich auf das Thema nicht weiter einlassen zu wollen. «Übrigens bin ich nachts selten zu Hause», sagte er. «Ich arbeite in einem kleinen Klub und komme erst gegen Morgen. Deshalb wäre es schön, wenn du dich vormittags auf den leisesten Sohlen bewegst.»

«Miau», erwiderte ich brav.

Er nickte zufrieden und schob mir den Zucker rüber. «Und, was hat der kleine Kater bis September vor?»

Ich machte eine vage Handbewegung.

«Verstehe.» Er grinste. Ich begann ihn zu mögen. Es war kurz nach Sechs, er wollte los, zum Sport. «Von dort fahr ich gleich weiter zur Arbeit. Und hier, dein Wohnungsschlüssel. Du weißt, dass alles in Erfüllung geht, was man in der ersten Nacht an neuen Orten träumt?»

«Glaubst du an so was?»

«Wer’s glaubt, wird selig – so lasset uns glauben!»

Ich hatte mich schlau gemacht. In der Nachbarschaft gab es zwei Pornokinos und eine Sauna, zig schwule Cafés und etliche Kneipen mit Darkroom. Und ich saß jetzt mittendrin! Mir blieb nur die Wahl, die süße Qual. Es war merkwürdig. Auf einmal bekam ich Angst, das Haus zu verlassen, mich in den Trubel zu stürzen.

Ich streunte durch die Wohnung, machte mich mit allem vertraut. Michaels Zimmer hatte ebenfalls einen Balkon. Neben seinem Futon hing ein Foto an der Wand, zwei junge Männer in Badehosen an irgendeinem felsigen Strand, der eine war Michael, daneben, etwas abgewandt, kauerte vermutlich sein Ex, Halbitaliener, das konnte hinkommen, schwarze Locken, die vollen Lippen wie gezeichnet, muskulös, aber graziler als Michael, weniger auf Masse trainiert. Das dritte Zimmer war beinahe leer, nur eine Klappcouch stand an der Wand, gegenüber ein Fernseher. Aus dem Fenster sah man den Fernsehturm, vielleicht zwei Kilometer entfernt. Der Regen hatte aufgehört. Die Dächer schienen zu dampfen. Worauf wartete ich noch?

Um halb neun begann mein Magen zu knurren, und ich band mir gerade am Küchentisch die Turnschuhe zu, als die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Es war mir unangenehm, allein in der fremden Wohnung, und ich war froh, wenigstens nicht in Michaels Zimmer überrascht zu werden.

«Du bist David?» Er war offenbar im Bilde, besetzte rittlings einen Stuhl und musterte mich unverhohlen. «Ich gebe zu, ich war schon neugierig. Michael hat mich deine Mails lesen lassen. Alle Achtung ...» Er lachte leise. «Tja, du Armer. Diese vier Wände hier, die kennen nämlich kein Geheimnis.»

«Maurizio, nehme ich mal an.»

«Ihr habt über mich gesprochen?»

«Diese vier Wände hier ...», gab ich zurück.

Er warf mir einen anerkennenden Blick zu. Dann trat er an die Spüle und trank ein Glas Leitungswasser. «Du wolltest gerade weg?»

«Ja. Irgendwo was essen. Hast du einen Tipp?»

«Soll ich dich ein bisschen an die Hand nehmen? Ich hätte Zeit. Und Lust. Und Hunger außerdem. Was meinst du?» Ich nickte, vielleicht eine Spur zu begeistert. Aber es stimmte ja. Jetzt, nach seinem Angebot, merkte ich, wie erleichtert ich war, den Abend nicht alleine verbringen zu müssen. «Sag mal», fragte ich auf der Treppe, «was meintest du vorhin? Mit meinen Mails, was ist damit?»

«Nichts bestimmtes», antwortete er ausweichend. «Nur so ein Gefühl. Schreibst du sehr viel?»

«Gar nicht», behauptete ich. Das war im Grunde gelogen, und Mauro sah auch nicht aus, als würde er mir glauben. Wir verließen das Haus. Ich fühlte mich plötzlich wie ein Landei neben ihm, 501 und weißes T-Shirt – kein Mensch lief hier mehr so herum. Mauro trug eines dieser ärmellosen, hautengen Silberdinger aus reiner Chemie, bei deren Anblick mir schon der Schweiß ausbricht. Seine nackten Arme schimmerten samtig im Licht der untergehenden Sonne. Sein Gang war gerade und leicht. Er wirkte unerreichbar. Ich hatte das Gefühl, dass alle ihn anstarrten, Männer wie Frauen. Auf den ersten Blick hielt ihn wohl jeder für einen Italiener, sein Feuer, die schwarzen Locken, diese provozierende Geschmeidigkeit. Dahinter spürte ich aber schon bald etwas Verletztes, Ernsthaftes.

Um im Freien sitzen zu können, entschieden wir uns für einen Inder gleich in der Straße. Nach dem Essen, das jeder für sich bezahlte, lud mich Mauro in ein Café ein, wiederum nur ein paar Häuser weiter. «Der längste Tresen der Stadt», spottete er. «Aber der Prosecco ist trinkbar.» Er bestellte gleich eine Flasche. Der Laden war ein bisschen schick, und ich kam mir wieder hoffnungslos bieder vor in Mauros Begleitung. Aber wir saßen gut, an einem Tisch gleich bei der Tür, und ich konnte jedem, der vorbeiging, unbemerkt auf die Hose schauen. Die meisten waren Linksträger, und etliche hatte ich im Verdacht, ohne Unterhose herumzurennen.

Normalerweise liegt meine Quote bei zwanzig zu eins, wenn überhaupt. Von zwanzig Männern gefällt mir einer. Hier änderten sich die Verhältnisse. Fifty-fifty – jedenfalls an diesem Abend. Immer wieder versuchte ich mir klar zu machen, dass ich von nun an täglich hier sitzen konnte (zwei Stunden an einem Leitungswasser, lästerte mein Budget), statt wie früher am nächsten Morgen um 7.41 Uhr den Zug nehmen zu müssen. Ich kannte ihn inund auswendig, den RB 12-38828 – das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Um halb Zehn traf er in T. ein ... Mauro bemerkte meine hungrigen Blicke, ließ sich aber nichts anmerken. «Erzähl mir von dir», sagte er.

«Weißt du noch nicht genug?»

«Noch nicht, nein.»

«Was willst du wissen?» Ich lächelte, ein bisschen verlegen.

«Zum Beispiel, wann du deine Unschuld verloren hast.»

«So, habe ich? Ich verstehe, was du meinst. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es noch nicht passiert ist. Irgendwie klingt es ja auch schlimm und traurig. Nein, bedaure, ich habe sie noch nicht verloren.» Ich grinste ihn an, und er nickte verblüfft.

«Du besonderer kleiner David. Darf ich ‹kleiner David› zu dir sagen?»

«Wenn du magst.»

«Wann hast du angefangen, mit Jungs zu schlafen, mit Männern, petit David?»

«Bist du immer so direkt?»

«Fast immer. Stört es dich?»

«Es ist ungewohnt. Nein, eigentlich – es stört mich nicht.»

«Also, wie hieß er? Erzähl mir alles. Beschreib ihn mir, sein Haar, seine Haut ... Wann war es?»

Ich zierte mich noch ein wenig, fühlte aber schon, dass ich ihm nachgeben würde, sogar mit Lust. «Vor sieben Jahren», sagte ich schließlich.

«Da warst du ...?»

«Fünfzehn.»

«Gut, weiter. Wo ist es passiert?»

Ich hörte mich erzählen. Was ging hier vor? Es war Magie. Je tiefer ich eintauchte, desto stärker wurde mein Bedürfnis, alles haarklein zu erinnern. Mauro war der beste Zuhörer, seine Spannung schien auf mich überzugreifen, mich zu beflügeln ...

Ich war in der Neunten. Unser Kunstleistungskurs fuhr übers Wochenende ans Meer. Wir schliefen die beiden Nächte in einer Jugendherberge gleich hinter den Dünen. Tagsüber spaltete sich unsere Gruppe, die einen wollten zum Textilstrand, die anderen zum FKK. Die anderen, das waren zwei Mädchen und ich. Wir teilten uns einen Strandkorb. Daneben war ein Volleyballnetz, und vier junge Typen, die mir schon beim Frühstück in der Jugendherberge aufgefallen waren, begannen mit Gabi und Anja zu flirten. Das sah man schon, als sie spielten, sie legten sich ins Zeug für die Mädchen, baggerten den ganzen Vormittag. Irgendwann kamen sie rüber und fingen ein Gespräch an. Sie holten Bier, und wir saßen herum und quatschten. Sie kamen irgendwo aus Mecklenburg, Dachdeckerlehrlinge. Einer fiel völlig aus der Reihe. Er wirkte wie ein Fremdkörper und ein Mittelpunkt zugleich. Während seine Kumpels nackt herumsprangen, trug er die ganze Zeit karierte Boxershorts, die sich beim Ballspielen ausbeulten. Er hieß Harun. Seine Haare waren kurzgeschoren, er war mager und unglaublich dunkel – sein Vater war Algerier oder Marokkaner. Er ließ die andern Drei balzen, trank auch kein Bier mit, thronte bloß im heißen Sand und sprach kaum. Die Mädchen schmolzen wie Vanilleeis unter seinen großen dunklen Augen. Gabi war noch Jungfrau und sollte es bis zum Auftauchen ihrer Prinzessin Jahre später auch bleiben, während Anja, das sah ich gleich, Harun die deutlichsten Zeichen gab. Sie war an unserer Schule das Luder, kriegte jeden, den sie wollte, dabei schminkte sie sich nicht mal, trug genau dieselbe nullkommafünf-Millimeter-Frisur, schlampige Jeans mit Schlag und als einzigen Schmuck ein Augenbrauenpiercing. Sie wusste sich zu bewegen, auch nackt, wie ein Raubtier, diese Coolness von innen. Harun starrte verstohlen auf ihre rasierte Möse und kreuzte seine Arme überm Schoß, damit keiner seinen Ständer sah. Ich hatte ihn aber gesehen, und das war ihm nicht entgangen. Von dem Moment an fühlte ich seine besondere Aufmerksamkeit. Er hörte zu, sobald ich irgendwas sagte, und er schaute immer wieder undurchdringlich zu mir rüber. Kam ich aus dem Wasser, konnte ich sicher sein, dass seine Blicke mich empfingen. Ich wurde vollkommen kopflos, genau wie Anja, die von meinem Zustand jedoch nichts bemerkte, wie immer nur mit sich beschäftigt war. Die Herzensbrecherin hatte ihren Meister gefunden, so ungefähr, und dass ich dort am Meer nicht mehr von ihrer Seite wich, hielt sie bestimmt für freundschaftliche Fürsorge. Dabei muss ich wohl gespürt haben, dass Anja der Schlüssel war, um in Haruns Nähe zu gelangen.

Am ersten Abend passierte gar nichts. Anja blieb im Haus, auf unserm Zimmer oder im Garten, damit Harun sie nicht verfehlen konnte, falls. Aber er dachte gar nicht daran. Zog lieber mit seinen Kumpels um die Häuser. Unsere Truppe wanderte geschlossen ins Freilichtkino, während ich mit Anja im Garten blieb, zwei Flaschen Sekt niedermachte. Sie spielte gute Laune, überspielte das Warten, gereizter von Stunde zu Stunde, doch die Lehrlinge tauchten nicht auf. Gegen halb drei torkelten wir zu unsern Betten. Als ich, halb im Scherz, zu Anja meinte, sie wären bestimmt in einem Puff versackt, gab sie mir eine Ohrfeige. Hinterher entschuldigte sie sich stammelnd, versuchte, mich mit Vertraulichkeiten zu trösten, fragte, ob ich schon mal hätte. Ich antwortete vage, und sie entschuldigte sich wieder und deutete sogar an, sich mit mir etwas vorstellen zu können. Ich dachte an ihre Möse und schwieg.

Am nächsten Tag spielten die Lehrlinge wieder Volleyball. Harun begrüßte mich ausnehmend freundlich, gab mir als Einzigem sogar die Hand. Seine Kumpels hingen in den Seilen, waren so schwer verkatert, dass sich ihr Interesse an den Mädchen in Grenzen hielt. Vielleicht witterten sie inzwischen auch, dass kein Stich zu machen war. Gabi blieb spröde und Anja, das sah jeder Blinde, hatte nur Augen für Harun. Er aber ließ sie links liegen, und die Art, wie er das machte, zeigte schon seine Herrschaft an. Sprang er nach dem Ball, sah ich seinen schweren Schwanz in den Boxershorts und versuchte zu erkennen, wie es Anja ging. Sie quälte sich, suchte dauernd seinen Blick, entwaffnet, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Gabis Versuche, sie aufzuheitern, perlten an Anja ab wie das salzige Ostseewasser. Sie bekam Kopfschmerzen, zog sich schon nachmittags zurück, nicht ohne allseits verkündet zu haben, sie begäbe sich ‹schnurstracks ins abzudunkelnde Herbergsgemach›. Harun zeigte keine Reaktion, und nachdem Anja weg war, kam es mir vor, als wäre ich zum ersten Mal mit ihm allein. Aber Anjas Verschwinden hatte unser Gleichgewicht zerstört, er wich mir jetzt aus, griff ohne Dank in die Erdnusstüte, wirkte irgendwie scheu. Erst wenn er sich unbeobachtet fühlte, spürte ich wieder seine Blicke. Wolken zogen auf, Gewitterwolken, und ein kalter Wind vertrieb uns vom Strand. Harun zog schwarze Zimmermannshosen an, vorne mit zwei Reißverschlüssen, und verschwand als erster, ohne sich zu verabschieden. Er ging nicht Richtung Herberge, wie ich befürchtet hatte, und seine Kumpels machten ihre Witze, er müsse vorher noch eine Moschee suchen – irgendetwas in der Art.

Am Abend zogen sie ohne ihn los, wir sahen sie vom Fenster aus unten den Garten durchqueren, Anja und ich, hinter uns Gabi, die auf einmal zu erfassen schien, dass nicht nur ihre beste Anja den Verstand verloren hatte. «Ihr spinnt ja beide», rief sie entzückt und warf sich kichernd aufs Bett. Harun war auch zum Abendessen nicht aufgetaucht. Anja entkorkte schon wieder einen Sekt, und das Gewitter brach los. Der Regen prasselte aufs Fensterbrett. Anja fing an zu weinen, so leise, dass Gabi nichts davon merkte. Ich streichelte ihre zuckenden Schultern. Sie fasste mir an die Hose und biss sich schluchzend in die Hand. Es wurde elf. Es wurde zwölf. Auf einmal stand Harun in der Tür, mit bloßem Oberkörper, an dem das Wasser runterlief, barfuss und in diesen Zimmermannshosen, offensichtlich nicht ganz nüchtern. Mich schien er überhaupt nicht zu bemerken. Anja zog ihren Rotz hoch und funkelte ihn feindselig an. «Kommst du mal?», fragte er. Anja stellte ihren Zahnputzbecher auf den Tisch und schlüpfte wie ein Geist hinaus zu ihm in den Flur. Die Zimmertür wurde geschlossen, ich hörte nichts mehr, nur den Regen. Gabi schnarchte leise. Ich trank Anjas Becher leer und fühlte mich hundeelend. Die Vorstellung, wie Harun in Anjas rasierte Möse eindrang, war ein Teil, ein eher belangloses Bruchstück, um das herum sich jedoch eine ganze Welt aufbaute, voller Rätsel, Lust und Wahnsinn – und ich war ausgeschlossen von dieser Welt.

Ich ertrug das Zimmer nicht länger. Es war inzwischen tiefe Nacht, der Regen hüllte alles ein, die Jugendherberge schlief. Ich folgte meinem Instinkt. Im Erdgeschoss gab es einen Verschlag voller Gerümpel, Bettwäsche und dergleichen. Ich war mir sicher, die Beiden dort zu finden, obwohl kein Geräusch durch die Blechtür drang; sie ließ sich lautlos öffnen. Drinnen hörte ich Anja, bevor ich sie noch entdeckte. Sie wimmerte leise, sträubte sich wohl. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Von den Laternen entlang der Strandpromenade floss ein gelbliches Licht durch die vergitterten Fenster. Hinter ein paar Stapeln mit Getränkekästen konnte ich mich verstecken und alles sehen. Ich litt Höllenqualen. Und es erregte mich wie noch nichts zuvor, weder die Heftchen, die ich mir beschafft hatte, noch die Sachen aus dem Netz, wo ich schon mit zwölf oder dreizehn alles gesehen zu haben meinte.

Anja stand mit heruntergelassenen Jeans seitlich vor mir, über eine Hobelbank gebeugt. Ich sah Haruns Profil, die Spannung seines hochgereckten Kinns, seiner flachen, harten Muskeln. Er hatte seine Hose nicht mal ausgezogen, nur den Latz zwischen den Reißverschlüssen runtergeklappt. Er kämpfte verbissen, als wolle er das Mädchen zerstören. Sein Schwanz schimmerte schwarz und nass, und als er einmal ganz rausrutschte, sah ich seine erschreckende Größe. Er war nach oben gebogen wie die orientalischen Säbel im Märchenfilm. Anja hatte ihren Widerstand aufgegeben, schien entschlossen, alles über sich ergehen zu lassen, solange es eben dauerte. Warum war er nicht zärtlich zu ihr? Sie gab keinen Mucks mehr von sich, bis zu dem Moment, da sich Harun zurückzog, ihr zwischen die prallen Apfelbacken spuckte und scheinbar weiter oben in sie einzudringen versuchte. Wie eine Katze, die du im Genick packst, wollte Anja fauchend herumfahren, doch Harun war stärker, drückte ihr Gesicht auf die Hobelbank und stieß mit einem tückischen Ruck in sie hinein. Sie schrie, dass ich fürchtete, das ganze Haus würde zusammenlaufen, und er presste ihr die Hand vor den Mund, bog dabei ihren Kopf nach hinten, als wollte er ihr das Genick brechen.

Ich weiß nicht, wie es kam, ob ein Geräusch mich verriet oder was sonst. Plötzlich wandte mir Harun sein Gesicht zu, starrte mich an, so direkt, dass ich überzeugt war, er musste mich gesehen haben. Er ließ sich jedoch nichts anmerken, trieb mit grimmiger Entschlossenheit seinen Schwanz in Anjas Loch. Sie beantwortete jeden Stoß mit einem dumpfen Schrei in seine Handfläche. Ich hörte seine Eier gegen ihren Hintern klatschen und vergaß, dass ich eben noch, als er mich angesehen hatte, entschlossen gewesen war, heimlich den Rückzug anzutreten. Mein Ausharren wurde belohnt. Auf einmal ahnte ich, selbst noch weit entfernt von der Erfahrung, etwas von Haruns Not. Sein heißer, junger Körper, seine zum Bersten gespannten Sinne kämpften um Erlösung. Sie blieb ihm verwehrt, soweit ich das erkennen konnte, und schließlich gab er auf. Gereizt und überdrüssig ließ er von Anja ab, machte einen Schritt zurück und lehnte sich schwer atmend gegen die Wand.

Anja schien dem Frieden noch nicht zu trauen, stolperte Richtung Ausgang, ihre Hose hochziehend. «Du Schwein», zischte sie. «Du Schwein.» Harun rührte sich nicht. Ich duckte mich hinter die leeren Flaschen, und Anja taumelte vorbei. Vom Hausflur drang jetzt Licht herein, dann fiel die Tür ins Schloss. In der Kammer herrschte diese beängstigende Stille, in der mein Herzschlag laut dröhnte. Ich wagte nicht, mich zu rühren, noch immer unsicher, ob Harun mich wirklich gesehen hatte. Schließlich war er es, der sich in Bewegung setzte, langsam um die Kästen herumkam und vor mir stehen blieb.