Luftgärten - Val McDermid - E-Book

Luftgärten E-Book

Val McDermid

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Beschreibung

Kate Brannigans neuer Klient hat ein höchst merkwürdiges Problem: Die Wintergärten, die seine Firma baut, scheinen sich des Öfteren in Luft aufzulösen! Eine überschaubare kleine Knobelaufgabe, denkt Kate, akzeptiert den Klienten und rechnet allenfalls mit bürokratischen Hürden. Doch der Fall der verschwundenen Wintergärten mausert sich zu einem Wettlauf um Leben und Tod.

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Seitenzahl: 375

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Val McDermid

Luftgärten

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Inhaltsübersicht

Für alle Liebhaber lavendelfarbenen [...]Eigentum ist Diebstahl. [...]1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel

Für alle Liebhaber lavendelfarbenen Linoleums

Eigentum ist Diebstahl.

Pierre Joseph Proudhon

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1. Kapitel

Der Fall der verschwundenen Wintergärten. Klingt nach einer Sherlock-Holmes-Geschichte, die zu schreiben Conan Doyle nie die Zeit fand, weil sie ihm zu langweilig war. Ich versichere Ihnen, ich war zusammen mit Conan Doyle dabei. Hätte das Liebesleben unserer Sekretärin nicht so dringend einer Elektroschocktherapie bedurft, wäre ich bestimmt nicht hineingezogen worden. Was, wie sich herausstellte, vielleicht nicht schlecht gewesen wäre.

 

Ich kauerte hinter der wuchtigen Masse des Aufzugwerks, hielt den Atem an und betete, dass ich den richtigen Zeitpunkt erwischte. Mir war klar, dass ich bei Vohauls Killer keine zweite Chance haben würde. Ich erblickte ihn, als er aus dem Treppenschacht trat. Ich sprang auf und warf mich gegen einen der beiden schweren Flaschenzüge, die an der Decke aufgehängt waren. Er schoss durch den Raum auf meinen unerbittlichen Gegenspieler zu. Im letzten Moment drehte der sich um, sah ihn, duckte sich und ließ ihn pfeifend über seinen Kopf hinwegschwingen. Vor Angst wurde mein Mund trocken, als er mich entdeckte und drohend auf mich zukam. Ich schlüpfte wieder hinter das Aufzugwerk, um in seinem Schutz zur Treppe zu sprinten. Als er mir nachsetzte, stieß ich in meiner Verzweiflung den anderen Flaschenzug nach ihm. Der traf den Killer seitlich am Kopf, die Wucht des Aufpralls ließ ihn über den Rand des Aufzugschachts in die schwarze Tiefe stürzen. Ich hatte es geschafft! Es war mir gelungen, am Leben zu bleiben!

Ich seufzte erleichtert auf, lehnte mich im Stuhl zurück und drückte auf den Button mit der »Spiel speichern«-Option. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es Zeit war, Space Quest III für heute zu beenden. Meine halbstündige Mittagspause war vorüber, und mehr konnte ich mir in Abwesenheit meines Partners Bill nicht erlauben. Außerdem wusste ich, dass unsere Sekretärin Shelley jeden Augenblick aus ihrer Mittagspause zurückkommen würde, und ich wollte nicht, dass sie zufällig hereinschneite und mich ertappte. Wenn die Katze aus dem Haus ist, spielen die Mäuse Space Quest und so weiter. Für die Partnerin einer Agentur für Sicherheitsberatung und Privatermittlungen kein sonderlich geschäftsförderndes Verhalten. Auch wenn ich nur die Juniorpartnerin bin.

In dieser speziellen Woche lief nur ich in diesem Theater. Bill hatte das Schiff zugunsten der Fleischtöpfe (oder sollte ich sagen Hummertöpfe?) der Kanalinseln verlassen, um dort im Auftrag einer Handelsbank ein Seminar über Datensicherung zu veranstalten. Was bedeutete, dass Kate Brannigan vorerst der einzige Aktivposten des Zweiergespanns Mortensen & Brannigan war, zumindest auf dem britischen Festland. Wenn man unsere Namen schnell herunterrattert, hören wir uns eher nach einem Komikerduo an und nicht nach einer zweiköpfigen Privatdetektei, die es mit einem nicht unbeträchtlichen Anteil der Wirtschaftskriminalität im Nordwesten Englands zu tun hat.

Ich ging hinaus zu dem Wandschrank vor meinem Büro, der eine Doppelfunktion als Damenklo und Dunkelkammer erfüllt. Ich hatte noch zwei Filme zu entwickeln von meiner Wochenendobservierung des Labors einer Pharmafirma. Bei PharmAce Supplies waren bei der Überprüfung des Lagerbestands Probleme aufgetaucht. Ich hatte zuvor bereits zwei Tage intern dort als Hilfskraft gearbeitet, lange genug, um festzustellen, dass das Problem nicht war, was sich dort während der Arbeitszeit abspielte; jemand schlich sich ein, wenn das Labor geschlossen war, und bediente sich. Anschließend drang er oder sie in die computerisierte Lagerbuchführung ein, um sie zu frisieren. Ich brauchte nur noch die Identität des Hackers zu ermitteln, was mir auch gelungen war, nachdem ich zwei Abende verkrampft in dem engen Heck des neuesten Spielzeugs von Mortensen & Brannigan gesessen hatte, einem Little-Rascal-Lieferwagen mit einer Spezialausrüstung für Observierungen. Hoffentlich hielt ich hier den Beweis – für alle Zeit auf den empfindlichsten Film gebannt, der für Geld zu haben war – in der Hand, der den Seniorlabortechniker überführen würde.

Ich freute mich auf eine halbe Stunde in der Dunkelkammer außer Reichweite der Telefone, die nicht aufhörten zu läuten, seit Bill weg war. Es sollte nicht sein. Kaum hatte ich den Verdunkelungsvorhang zugezogen, als die Gegensprechanlage mich ansummte wie einer dieser scheußlichen Bohrer beim Zahnarzt. Das Summen verstummte, und Shelleys verfremdete Stimme ging auf mich los wie Donald Duck auf Helium. »Kate, ich habe einen Klienten für dich«, verstand ich.

Ich seufzte. Die Rache der bösen Fee, weil ich am Bürocomputer gespielt hatte. »Kate? Kannst du mich hören?«, schrie Shelley.

»Im Kalender steht kein Termin.« Ein letzter Versuch.

»Es ist ein Notfall. Kannst du bitte aus der Dunkelkammer kommen?«

»Ich komm schon«, grummelte ich. Mir war klar, dass es keinen Zweck hatte, mich zu weigern. Shelley ist jederzeit imstande, eine Minute verstreichen zu lassen und dann unter lautem Hämmern an der Tür einen dringenden Fall der Rache Montezumas von den Speisen unten in der mexikanischen Taco-Bar vorzuschützen, wo sie sich einmal pro Woche ein Mittagessen gönnt. Sie wechselt ständig den Tag, so dass ich sie nie bei einer Lüge ertappen kann.

Noch bevor ich die drei Schritte zu meinem Stuhl zurückgelegt hatte, war Shelley im Zimmer und schloss fest die Tür hinter sich. Sie sah leicht erregt aus, als sie zu meinem Schreibtisch herüberkam, ein Ausdruck, der auf ihrem Gesicht etwa so üblich ist wie echtes Mitgefühl auf dem von Baroness Thatcher. Sie reichte mir ein Vertragsformular für einen neuen Klienten, auf dem bereits ein Name eingetragen war. Ted Barlow. »Erzähl schon«, sagte ich und ergab mich in mein Schicksal.

»Er hat eine Firma, die Wintergärten baut und installiert, und jetzt fordert seine Bank das Darlehen von ihm zurück, man verlangt, dass er sein Konto ausgleicht, und verweigert ihm die Stundung. Wir sollen herausfinden, aus welchem Grund, und seine Bank dazu bewegen, es sich anders zu überlegen«, erklärte Shelley ein wenig atemlos. Ganz und gar untypisch. Allmählich fragte ich mich, ob ihr beim Mittagessen wohl wirklich etwas zugestoßen war.

»Shelley«, stöhnte ich. »Du weißt genau, dass wir so etwas nicht machen. Der Typ hat irgendwelche krummen Dinger gedreht, die Bank ist ihm auf die Schliche gekommen, und jetzt will er, dass ihn jemand aus der Scheiße zieht. Ganz einfach. Wenn nichts dabei herausspringt, hat es keinen Sinn.«

»Kate, sprich wenigstens mit ihm, bitte, ja?« Shelley als Bittstellerin war eine neue Erfahrung für mich. Sie bittet nie um etwas. Selbst ihre Forderungen nach Lohnerhöhung werden uns in Form präziser, wohlfundierter Memos präsentiert. »Der Typ ist verzweifelt, er braucht wirklich Hilfe. Er hat keine krummen Dinger gedreht, da gehe ich jede Wette ein.«

»Wenn er keine krummen Dinger dreht, ist er der erste Bauunternehmer, der ohne auskommt, seit Salomo den Tempel errichten ließ«, entgegnete ich.

Shelley schüttelte den Kopf, und die in ihre Zöpfe eingeflochtenen Perlen klimperten wie ein Glockenspiel. »Was ist los mit dir, Kate?«, forderte sie mich heraus. »Fühlst du dich inzwischen erhaben über die kleinen Leute? Gibst du dich neuerdings nur noch mit Rockstars und Aufsichtsräten ab? Du erzählst mir doch ständig, wie stolz du auf deinen Dad bist, weil er sich bei Cowley vom Fließband zum Werksmeister hochgearbeitet hat. Wenn da draußen dein Dad mit seinen kleinen Problemen säße, würdest du ihm dann auch sagen, er solle sich fortscheren? Dieser Typ ist kein hohes Tier, er ist bloß ein tüchtiger Bursche, der es durch harte Arbeit zu etwas gebracht hat, und nun will irgendein anonymer Bankmanager ihm alles wieder wegnehmen. Komm schon, Kate, oder hast du kein Herz mehr?« Shelley brach jäh ab, sie sah schockiert aus.

Und das war auch angebracht. Sie lag völlig daneben. Und doch hatte sie mein Interesse geweckt, wenn auch nicht aus dem Grund, der ihr vorschwebte. Ich beschloss, mir Ted Barlow anzusehen, nicht weil sie mich bei meinen Schuldgefühlen gepackt hatte. Nein, es reizte mich, den Mann zu sehen, der Shelley in die Rolle einer Löwin schlüpfen ließ, die ihre Jungen verteidigt. Seit ihrer Scheidung war mir kein Mann untergekommen, der ihre beneidenswerte Kühle auch nur um einen Grad erwärmt hätte.

»Schick ihn rein, Shelley«, antwortete ich knapp. »Mal sehen, was der Mann selbst zu sagen hat.«

Shelley stolzierte zur Tür und zog sie auf. »Mr. Barlow? Miss Brannigan wird Sie jetzt empfangen.« Sie lächelte geziert. Ich schwöre bei Gott, diese zähe kleine Frau, die bei ihren zwei Kindern im Teenageralter ein Regiment führt wie Attila, der Hunnenkönig, lächelte geziert.

Neben dem Mann, der im Türrahmen erschien, sah Shelley so zerbrechlich aus wie eine Giacometti-Skulptur. Er war gut eins achtzig groß und wirkte, als wäre ein Anzug ihm so fremd wie eine peruanische Panflöte. Dabei war er keineswegs massig. Seine breiten Schultern verjüngten sich zu einer kräftigen Brust und einer schmalen Taille, ohne dass sich irgendwo die Nähte seines Konfektionsanzugs spannten. Man merkte gleich, dass er nur aus Muskeln bestand. Und als ob das noch nicht genug wäre, hatte er auch noch lange und schlanke Beine. Ein Körper zum Schwachwerden.

Schöne Beine, aber was für ein Gesicht. Vom Hals an aufwärts war Ted Barlow mitnichten sexy. Seine Nase war zu groß, die Ohren standen ab, seine Augenbrauen waren in der Mitte zusammengewachsen. Dafür hatte er freundliche Augen, von denen strahlenförmig Lachfältchen ausgingen. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, und davon schien er seiner Körpersprache nach nicht allzu viele Jahre im Büro zugebracht zu haben. Er stand unbeholfen in der Tür, trat von einem Fuß auf den anderen, und sein unsicheres Lächeln reichte nicht bis zu seinen sanften blauen Augen.

»Kommen Sie herein, setzen Sie sich«, forderte ich ihn auf, erhob mich und deutete auf die beiden höchst bequemen Stühle aus Leder und Holz, die ich in einem Anflug untypischer Freundlichkeit für die Klienten erstanden hatte. Er kam unsicher näher und starrte auf die Stühle, als habe er Zweifel, ob er hineinpassen würde. »Danke, Shelley«, sagte ich spitz, als sie weiter an der Tür herumtrödelte. Sie ging, ausnahmsweise einmal zögernd.

Ted ließ sich auf den Stuhl sinken und wurde – überrascht ob der Bequemlichkeit – ein wenig lockerer. Sie verfehlen nie ihren Zweck, diese Stühle. Sehen grauenhaft aus, fühlen sich traumhaft an. Ich blickte auf das Formular mit seinem Namen und erklärte: »Mr. Barlow, ich benötige zunächst einige Angaben, um festzustellen, ob wir Ihnen die Hilfe anbieten können, die Sie brauchen.« Shelley mochte ja ganz vernarrt sein, ich meinesteils gab ohne triftigen Grund nicht einen Zentimeter nach. Er nannte mir seine Telefonnummer und die Adresse – ein Industriegebiet in Stockport –, anschließend fragte ich, durch wen er von uns gehört hatte. Ich hoffte inständig, dass er uns aus den Gelben Seiten herausgesucht hatte, damit ich ihn loswerden konnte, ohne noch jemand anders als Shelley vor den Kopf zu stoßen, doch offensichtlich sollte die Ausschaltung von Vohauls Killer heute mein einziges Erfolgserlebnis bleiben.

»Mark Buckland von SecureSure meinte, Sie würden mir aus der Klemme helfen«, antwortete er.

»Sie kennen Mark gut?« Dummerweise hatte ich die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Vielleicht kannte er Mark ja lediglich, weil SecureSure seine Alarmanlage montiert hatte. In diesem Fall konnte ich ihn immer noch hinauskomplimentieren, ohne den ansehnlichen Rabatt zu gefährden, den Mark uns auf sämtliche Hardware einräumt, die wir bei ihm ordern.

Diesmal ließ Teds Lächeln sein ganzes Gesicht aufleuchten und brachte einen jungenhaften Charme zum Vorschein, von dem ich schon zu Hause reichlich genug habe, besten Dank. »Wir sind seit Jahren gute Kumpel. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und spielen noch immer gemeinsam Kricket. Als Schlagmänner bei Stockport Viaduct.«

Ich unterdrückte einen Seufzer und kam zur Sache. »Worin genau besteht Ihr Problem?«

»Es geht um die Bank. Heute Morgen habe ich das hier erhalten.« Er hielt mir zögernd ein gefaltetes Blatt Papier hin.

Ich erbarmte mich seiner und nahm es. Er sah aus, als hätte ich ihm die Last der ganzen Welt von den breiten Schultern genommen. Ich faltete das Papier auseinander und kämpfte mich durch das umständliche Geschwafel. Es lief darauf hinaus, dass er auf ein Darlehen über 100000 Pfund noch einen Rückstand von 74587,34 Pfund und zudem sein Konto um 6325,67 Pfund überzogen hatte. Die Royal Pennine Bank wollte ihr Geld zurückhaben, und zwar dalli, andernfalls würde man sein Haus und seinen Betrieb pfänden lassen. Ihre Partnerfinanzierungsgesellschaft würde ihm noch gesondert schreiben, im Wesentlichen, um ihm mitzuteilen, dass auch seine Kunden ihnen keine weiteren Darlehen mehr entlocken könnten. Und ich hatte gedacht, meine Bank schreibe schon mürrische Briefe. Ich konnte verstehen, warum Ted so fertig aussah. »Aha«, sagte ich. »Und haben Sie eine Ahnung, aus welchem Grund man Ihnen diesen Brief geschrieben hat?«

Er sah verwirrt aus. »Als er mit der Post kam, hab ich gleich bei der Bank angerufen, klar. Man sagte mir, am Telefon könne man die Angelegenheit nicht erörtern, ob ich nicht vorbeikommen wolle. Also sagte ich, ich würde heute Morgen hereinschauen. Es war nämlich nicht meine örtliche Zweigstelle. Alle kleineren Filialen unterstehen jetzt der großen Filiale in Stockport, deshalb kannte ich den Kerl, der den Brief unterzeichnet hat, nicht.« Er legte eine Pause ein, als ob er auf etwas wartete.

Ich nickte und lächelte aufmunternd. Das wirkte offenbar.

»Na ja, ich hab mit dem Knaben, der den Brief abgezeichnet hat, geredet. Ich hab ihn gefragt, um was es eigentlich gehe, und er sagte, wenn ich in meinen Unterlagen nachsähe, würde ich feststellen, dass er nicht verpflichtet sei, mir Näheres mitzuteilen. Ein richtig kalter Fisch, das war er. Dann hat er gesagt, er sei nicht befugt, die vertraulichen Beweggründe der Bank für ihre Entscheidung zu erörtern. Tja, damit gab ich mich nicht zufrieden. Schließlich bin ich mit keiner einzigen Rate zu diesem Darlehen in Verzug, seit ich es vor vier Monaten aufgenommen habe, und die Kontoüberziehung habe ich im Laufe der vergangenen sechs Monate auch um vier Riesen verringert. Das habe ich ihm erzählt, ich hab gesagt, Sie sind nicht fair mir gegenüber. Und er hat nur die Achseln gezuckt und erwidert: Bedaure.« Ted war vor Empörung lauter geworden. Ich verstand ihn.

»Und wie ging es dann weiter?«, wollte ich wissen.

»Nun, ich bin leider etwas ausgerastet. Ich hab ihm gesagt, er bedaure doch überhaupt nichts und dass ich mich nicht damit abfinden würde. Dann bin ich gegangen.«

Ich gab mir Mühe, ernst zu bleiben. Wenn Ted das unter ausrasten verstand, dann war Shelley ganz klar die Richtige für ihn. »Sie müssen doch eine Vermutung haben, was hinter dieser Sache steckt, Mr. Barlow«, hakte ich nach.

Er schüttelte aufrichtig verwirrt den Kopf. »Ich hab keinen Schimmer. Ich habe der Bank immer fristgemäß gezahlt, was ihr zustand. Dieses Darlehen habe ich aufgenommen, damit die Firma expandieren konnte. Wir sind gerade in einen neuen Industriepark in Cheadle Heath gezogen, aber ich wusste, dass das Geschäft gut genug lief, um das Darlehen pünktlich zurückzuzahlen.«

»Sind Sie sicher, dass Ihre Auftragslage nicht unter der Rezession gelitten hat und die Bank Vorsichtsmaßnahmen ergreift?«, spekulierte ich.

Er schüttelte erneut den Kopf und griff nervös in seine Jackentasche. Schuldbewusst hielt er inne. »Darf ich rauchen?«, fragte er.

»Nur zu«, erwiderte ich und stand auf, um einen Aschenbecher für ihn zu holen. »Was meinen Sie nun? Zu den Auswirkungen der Rezession?«

Er tippte sich nervös mit der Zigarette gegen die Lippen. »Nun, offen gestanden, wir haben nichts davon gemerkt. Ich erkläre es mir so. Leute, die ursprünglich ihre Häuser verkaufen wollten, haben den Plan wegen des Preisverfalls aufgegeben und sich stattdessen entschlossen, Verschönerungsarbeiten ausführen zu lassen, Dachgeschosse auszubauen und derartiges, wissen Sie. Na ja, viele stehen auch auf Wintergärten, als zweites Wohnzimmer, besonders wenn sie Kinder im Teenageralter haben. Ein Wintergarten mit Doppelverglasung und einem Heizkörper ist im Winter genauso warm wie jedes andere Zimmer. Das Geschäft läuft um diese Jahreszeit eigentlich besonders gut.«

Ich zog ihm noch aus der Nase, dass er auf den Anbau von Wintergärten an neuere Eigenheime spezialisiert war, in Wohnsiedlungen, wo die Vertreter für Doppelverglasung von jeher scharenweise einfielen und sich eine goldene Nase verdienten. Insofern hatte er lediglich eine Handvoll Entwürfe in einigen Standardgrößen anfertigen müssen, wodurch sich seine allgemeinen Unkosten auf ein Minimum reduzierten. Er konzentrierte sich zudem auf ein relativ überschaubares Gebiet: den Südwesten von Manchester bis hinüber zu der Trabantenstadt Warrington, dem Zentrum kleiner Eigenheime im Nordwesten. Die beiden Vertreter, die bei ihm beschäftigt waren, brachten mehr als genug Aufträge herein, um die Fabrik mit Arbeit zu versorgen, insistierte Ted.

»Und Sie sind absolut sicher, dass die Bank Ihnen keinerlei Hinweis gegeben hat, warum man Ihnen den Kredit kündigt?«, wollte ich noch einmal wissen, weil ich nicht glauben mochte, dass reine Bosheit dahintersteckte.

Er schüttelte unsicher den Kopf, dann bemerkte er: »Na ja, er hat etwas gesagt, das ich nicht verstanden habe.«

»Können Sie sich noch an den genauen Wortlaut erinnern?«, fragte ich in dem Ton, den man bei einem besonders begriffsstutzigen Kind anschlägt.

Er runzelte die Stirn, während er sich zu erinnern versuchte. Es war, als sähe man einem Elefanten beim Häkeln zu. »Nun, er meinte, es gäbe eine ungewöhnlich hohe, inakzeptable Verfallsquote bei den Neuhypotheken, aber das war alles, mehr wollte er nicht sagen.«

»Bei den Neuhypotheken?«

»Leute, die ihre Häuser nicht verkaufen können, nehmen häufig eine Neuhypothek auf, um an ihr Kapital heranzukommen. Sie benutzen den Wintergarten als Vorwand für die Neuhypothek. Allerdings verstehe ich nicht, was das mit mir zu tun haben soll«, klagte er.

Ich war ebenfalls nicht sicher, ob ich es verstand. Doch ich kannte einen Mann, der es garantiert verstehen würde. Ted Barlows Story riss mich zwar nicht vom Hocker, aber den Fall mit den Pharmazeutika hatte ich schneller abgeschlossen, als ich vorausberechnet hatte, daher sah es in dieser Woche nach einer Flaute aus. Ich dachte, es würde mich schon nicht umbringen, mich einen oder zwei Tage lang mit seinem Problem zu befassen. Gerade wollte ich Ted bitten, Shelley eine Liste seiner Kunden aus den letzten paar Monaten zukommen zu lassen, als er mich endlich aufhorchen ließ.

»Ich war so sauer, als ich die Bank verließ, dass ich beschloss, einigen der Leute, die eine Neuhypothek aufgenommen haben, einen Besuch abzustatten. Ich fuhr ins Büro zurück, holte mir die Namen und Adressen und fuhr rüber nach Warrington. Ich suchte vier Häuser auf. Zwei waren komplett leer. In den beiden anderen wohnten völlig Fremde. Doch – und das ist das Verrückte an der Sache, Miss Brannigan – nirgendwo gab es einen Wintergarten. Sie waren verschwunden. Die Wintergärten waren einfach verschwunden.«

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2. Kapitel

Ich holte tief Luft. Ich wusste, dass es auf dieser Welt Menschen gibt, die von Natur aus unfähig sind, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie in gerader Linie vom Anfang über die Mitte bis zum Ende verläuft und alle wesentlichen Punkte enthält. Manche von ihnen erhalten einen Literaturpreis, und ich habe nichts dagegen. Hauptsache, sie kommen nicht zu mir ins Büro. »Verschwunden?«, wiederholte ich schließlich, als klar wurde, dass Ted sein Pulver verschossen hatte.

Er nickte. »Genau. Sie sind einfach nicht mehr da. Und in zwei Häusern traf ich Leute an, die Stein und Bein schwören, dass es dort niemals einen Wintergarten gegeben hat, jedenfalls nicht, seit sie vor einigen Monaten eingezogen sind. Das Ganze ist mir ein völliges Rätsel. Deshalb hatte ich ja gedacht, Sie könnten mir vielleicht helfen.« Shelley hätte sich auf den Rücken gerollt, wenn sie Ted Barlows vertrauensvollen, flehentlichen Blick gesehen hätte.

Mich hatte er nun auch am Haken. Ich habe nicht oft Klienten, für die ich ein echtes Rätsel lösen soll. Ein weiterer Pluspunkt war, dass ich Ms. Supercool eins auswischen könnte. Es wäre unbezahlbar, Shelley dabei zu beobachten, wie sie sich für Ted Barlow förmlich ein Bein ausriss.

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück. »Na schön, Ted. Wir kümmern uns darum. Unter einer Bedingung. Da die Bank Ihnen den Kredit gekündigt hat, muss ich Sie leider um einen Vorschuss in bar bitten.«

Er war mir einen Schritt voraus. »Reichen tausend Pfund?«, fragte er und zog einen dicken Umschlag aus seiner Innentasche. Ich nickte verblüfft.

»Ich hatte mir schon gedacht, dass Sie Bargeld haben wollen«, fuhr er fort. »Wir Bauunternehmer können immer ein paar Pfund in bar auftreiben, wenn es sein muss. Ein Notgroschen sozusagen. Auf diese Weise ist dafür gesorgt, dass die wichtigen Leute auf jeden Fall ihr Geld bekommen.« Er reichte mir den Umschlag. »Nur zu, zählen Sie es, ich bin nicht beleidigt«, fügte er hinzu.

Es war alles da, in gebrauchten Zwanzigern. Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Shelley? Kannst du Mr. Barlow, wenn er geht, eine Empfangsquittung über eintausend Pfund in bar mitgeben? Danke.« Ich stand auf. »Ich muss mich hier noch um ein, zwei Dinge kümmern, Ted, aber ich würde mich gern heute Nachmittag in Ihrer Firma mit Ihnen treffen. Passt es Ihnen um vier?«

»Prima. Soll ich Ihrer Sekretärin eine Wegbeschreibung geben?« Er klang fast eifrig. Das versprach sehr lustig zu werden, dachte ich, als ich Ted hinausbegleitete. Er steuerte so zielbewusst auf Shelleys Schreibtisch zu wie eine Brieftaube.

Sosehr ich auch von Ted eingenommen war, in dieser Branche hatte ich früh gelernt, dass die Sympathie, die man für einen Menschen empfindet, keine Garantie für dessen Ehrlichkeit ist. Daher griff ich zum Telefon und rief Mark Buckland bei SecureSure an. Seine Sekretärin hielt mich nicht mit irgendwelchen Märchen über frei erfundene Sitzungen hin, Mark freut sich stets, von Mortensen & Brannigan zu hören. Gewöhnlich springt dabei ein netter kleiner Verdienst für ihn heraus. SecureSure liefert einen Großteil der Hardware, die wir als Sicherheitsberater empfehlen, und trotz des kräftigen Preisnachlasses, den er uns gewährt, erzielt Mark immer noch einen ordentlichen Profit.

»Hallo, Kate!«, begrüßte er mich, und seine Stimme war mit der gewohnt übertriebenen Begeisterung aufgeladen. »Sag nichts, lass mich raten. Ted Barlow, hab ich recht?«

»Du hast recht.«

»Ich bin froh, dass er auf mich gehört hat, Kate. Der Typ sitzt ganz schön in der Scheiße, und das hat er nicht verdient.« Mark klang aufrichtig. Aber das tut er ja immer. Das ist der Hauptgrund, wieso er es sich leisten kann, in einem Mercedes Coupé im Wert von siebzig Riesen durch die Gegend zu fahren.

»Deshalb rufe ich dich an. Nichts für ungut, aber ich muss überprüfen, ob der Typ sauber ist. Ich will nicht, dass mich nach drei Tagen plötzlich irgendein Bankangestellter ins Gebet nimmt, weil unser Mr. Barlow eine Vorgeschichte hat, bei der einem Hören und Sehen vergeht«, sagte ich.

»Er ist rundum sauber, Kate. Ein grundanständiger Kerl. Er gehört zu den Menschen, die in Schwierigkeiten geraten, weil sie zu ehrlich sind, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ach komm, Mark. Der Mann ist Bauunternehmer, Herrgott noch mal. Er kann einfach so tausend Pfund in bar auftreiben. Das ist doch nicht sauber, nicht im üblichen Sinne des Wortes«, wandte ich ein.

»Na schön, dann weiß das Finanzamt vielleicht nicht von jedem Penny, den er verdient. Das macht doch noch keinen schlechten Menschen aus ihm, oder, Kate?«

»Lass doch die Reklame.« Mark seufzte.

»Na schön. Ted Barlow ist einer meiner ältesten Freunde. Er war mein Trauzeuge, beim ersten Mal. Bei seiner Hochzeit war ich Platzanweiser. Leider hat er eine schreckliche Hexe geheiratet. Fiona Barlow war eine Schlampe, und der letzte, der es erfuhr, war Ted. Vor fünf Jahren hat er sich von ihr scheiden lassen, und seither ist er arbeitssüchtig. Er fing als Einmannbetrieb an, hat eine Weile in Ersatzfenstern gemacht. Dann haben ihn ein paar Freunde gefragt, ob er nicht einen Wintergarten für sie bauen könnte. Sie wohnten nämlich in richtigen Spekulantenparadiesen, Wimpey, Barratt und so weiter. Sie brachten Ted dazu, diesen Wintergarten im viktorianischen Stil zu entwerfen, ganz aus Buntglas und PVC. Und was der Affe sieht, will der Affe haben. Die halbe Wohnsiedlung wollte einen, und Ted hatte seinen Einstieg ins Wintergartengeschäft. Inzwischen hat er sich eine richtig solide kleine Firma mit einem sehenswerten Umsatz aufgebaut, und er hat es ganz ohne krumme Touren geschafft. Was, wie du weißt, in der Heimverschönerungsbranche verdammt ungewöhnlich ist.«

Trotz meiner angeborenen Skepsis war ich beeindruckt. Was auch mit Ted Barlows Wintergärten passieren mochte, es sah so aus, als habe nicht er die Finger im Spiel. »Was ist mit seinen Konkurrenten? Konnten sie es darauf anlegen, ihm ein Bein zu stellen?«, fragte ich.

»Hm«, machte Mark. »Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen. Er ist nicht wichtig genug, um eine der ganz großen Nummern zu stören. Seine Firma ist ausgesprochen klein, seriös und arbeitet strikt auf lokaler Basis. Was auch immer hier gespielt wird, der Fall ruft förmlich nach jemandem wie dir. Und wenn du es tatsächlich schaffst, ihn aufzuklären, verzichte ich, weil er ein so guter Freund ist, sogar auf meine zehnprozentige Provision dafür, dass ich ihn zu dir geschickt habe.«

»Wenn ich nicht eine Dame wäre, würde ich sagen, du kannst mich mal, Buckland. Zehn Prozent!«, schnaubte ich verächtlich. »Zur Strafe lege ich die fällige Einladung zum Mittagessen auf Eis. Trotzdem danke für die Hintergrundinformation. Ich werde für Ted mein Möglichstes tun.«

»Danke, Kate. Du wirst es nicht bereuen. Wenn du ihm aus der Klemme hilfst, gewinnst du in ihm einen Freund fürs Leben. Schade, dass du schon einen Wintergarten hast, wie?« Er hatte aufgelegt, bevor ich mich aufs hohe Ross setzen konnte. Eigentlich besser so. Ich brauchte volle dreißig Sekunden, um zu durchschauen, dass er sich das letzte Wort erschmeichelt hatte und ich darauf hereingefallen war.

Ich schlenderte ins Vorzimmer, um Shelley das Vertragsformular und das Geld zu bringen, damit sie es auf der Bank einzahlte. Zu meiner Überraschung war Ted Barlow immer noch dort, er stand verlegen vor Shelleys Schreibtisch wie ein Schüler, der nach dem Unterricht noch dageblieben ist, um mit der Lehrerin zu reden, für die er schwärmt. Als ich hereinkam, wurde Shelley ganz aufgeregt und sagte schnell: »Kate wird mit der Wegbeschreibung bestimmt bestens zurechtkommen, Mr. Barlow.«

»Schön. Tja, dann gehe ich jetzt mal. Bis später, Miss Brannigan.«

»Kate«, verbesserte ich automatisch. Wenn mich jemand Miss Brannigan nennt, komme ich mir immer vor wie meine altjüngferliche Großtante. Sie ist keine von diesen unbeugsamen alten Mädchen mit messerscharfem Verstand, die wir alle gern wären, wenn wir alt sind. Nein, sie ist eine selbstsüchtige, hypochondrische, anspruchsvolle alte Manipulatorin, und ich hege die abergläubische Furcht, dass es, wenn ich mich von den Leuten oft genug mit Miss Brannigan anreden lasse, irgendwann auf mich abfärbt.

»Kate«, bestätigte er unsicher. »Vielen, vielen Dank, Ihnen beiden.« Er ging rückwärts hinaus. Die Tür war noch nicht ins Schloss gefallen, da saß Shelley schon an ihrem Computer, und ihre Finger flogen über die Tastatur.

»Erstaunlich, wie lange es dauert, eine Wegbeschreibung zu geben«, sagte ich zuckersüß und ließ das Vertragsformular in ihren Eingangskorb fallen.

»Ich habe ihm nur mein Mitgefühl ausgesprochen«, erwiderte Shelley sanftmütig. Manchmal ist es bei ihrer kaffeebraunen Haut zwar schwer zu erkennen, aber ich könnte schwören, dass sie rot wurde.

»Was sehr lobenswert ist. In diesem Umschlag stecken tausend Pfund. Kannst du damit mal eben zur Bank gehen? Ich möchte es lieber nicht im Safe deponieren.«

»Gut so. Du würdest es doch nur ausgeben.« Ich streckte ihr die Zunge raus und ging in mein Büro. Dort griff ich wieder nach dem Telefonhörer. Diesmal rief ich bei Josh Gilbert an. Josh ist Teilhaber einer Finanzberatungsfirma. Sie sind darauf spezialisiert, Leute zu beraten und zu informieren, die die fixe Idee haben, als Senioren zu verarmen, so dass sie sich in ihrer Jugend frohen Herzens jeden Genuss versagen, um sich im Alter bequem zurücklehnen und sagen zu können: »Wenn ich wieder jung wäre, könnte ich jetzt Wasserski laufen …« Josh überredet sie, ihren Zaster Versicherungen und Investmentgesellschaften anzuvertrauen, dann lehnt er sich seinerseits zurück und schmiedet Pläne für seine eigene Pensionierung, auf der Basis der fetten Provisionen, die er gerade verdient hat. Der Unterschied ist nur, Josh hat vor, mit vierzig in Pension zu gehen. Jetzt ist er sechsunddreißig und beteuert, dass er es bald geschafft hat. Ich kann ihn nicht ausstehen.

Natürlich hatte er einen Klienten da. Doch ich hatte bewusst zehn Minuten vor der vollen Stunde angerufen. Ich dachte, dass er mich so zwischen zwei Terminen zurückrufen könnte. Drei Minuten später hatte ich ihn selbst an der Strippe. Ich schilderte kurz Ted Barlows Problem. Josh gab eine Menge »Mmms« von sich. Dann meinte er schließlich: »Ich überprüfe deinen Mann. Und ich höre mich mal um, keine Namen, keine Einzelheiten. Einverstanden?«

»Prima. Wann können wir uns in der Sache mal zusammensetzen?«

Durch das Telefon hörte ich, wie Josh in seinem Terminkalender blätterte. »Du erwischst mich in einer ungünstigen Woche«, sagte er. »Ich nehme an, du brauchst das Material schon gestern?«

»Ich fürchte ja. Tut mir leid.«

Er zog die Luft durch die Zähne ein, so wie es Heizungsinstallateure während ihrer Ausbildung lernen. »Wir haben Dienstag. Heute bin ich mit Arbeit zugedeckt, aber ich kann mich morgen darum kümmern«, murmelte er. »Am Donnerstag bin ich ausgebucht, Freitag bin ich in London … Hör zu, geht’s bei dir am Donnerstag zum Frühstück? Es war mein Ernst, als ich sagte, dass es in dieser Woche ungünstig ist.«

Ich holte tief Luft. Frühmorgens bin ich nie so ganz fit, aber Geschäft ist Geschäft. »Donnerstag zum Frühstück passt mir gut«, log ich. »Wo möchtest du essen?«

»Du hast die Wahl, es ist dein Geld«, antwortete Josh.

Wir einigten uns auf das Portland um halb acht. Da gibt es eine ganze Mannschaft zuvorkommender Portiers, die deinen Wagen für dich parken, in meinen Augen ein großer Vorteil zu dieser Tageszeit. Ich schaute wieder auf meine Uhr. Mir blieb nicht mehr genügend Zeit, um meine Observierungsfilme zu entwickeln und Abzüge zu machen. Also begnügte ich mich damit, in meiner Datenbank eine Datei über Ted Barlow anzulegen.

 

Colonial Conservatories, Teds Firma, war das letzte Gebäude in dem Gewerbegebiet, direkt neben einem Riesenfeld. Was einem gleich ins Auge fiel, war der Wintergarten, den Ted an die Front angebaut hatte. Er war etwa drei Meter tief und zog sich über die ganze Breite des Gebäudes von etwa neun Metern. Das Fundament bestand aus Ziegelsteinen, und innen war der Raum durch schlanke Ziegelpfeiler in vier verschiedene Bereiche unterteilt. Der erste Teil war im klassischen viktorianischen Glaspalaststil gehalten, komplett mit aus Plastik nachgebildeten Kreuzblumen auf dem Dach. Als Nächstes kam die Wintergartenschule aus dem »Ländlichen Tagebuch einer edwardianischen Lady«, eine Orgie aus buntbemalten Fensterquadraten, bei der jeder Botaniker einen Schreikrampf bekommen hätte, so ungenau waren die Abbildungen. Der dritte im Bunde war der spartanische Wintergarten. Eigentlich so ziemlich wie meiner. Und dann gab es noch den British-Indian-Look – bogenförmige Fensterrahmen mit einem Plastikfurnier überzogen, das von weitem wie Mahagoni aussah. Genau der richtige Ort, um auf seinen Rattanmöbeln zu sitzen und den Regengott anzurufen, damit er Abkühlung verschaffte. Von dieser Spielart findet man in Südmanchester reichlich.

In den Wintergärten waren die Büros von Colonial Conservatories zu sehen. Ich blieb noch einen Moment im Wagen sitzen und ließ den Anblick auf mich wirken. Gleich an der Tür befand sich ein C-förmiger Empfangstresen. Dahinter saß eine Frau und telefonierte. Ihre Lockendauerwelle sah aus wie die Ersatzperücke von Charles I. Ab und zu betätigte sie eine Taste an ihrem Computer und starrte gelangweilt auf den Bildschirm, bevor sie sich wieder auf ihr Gespräch konzentrierte. An einer Seite standen zwei kleine Schreibtische mit je einem Telefon und einem Haufen Kram darauf. An diesen Tischen saß niemand. An der Rückwand führte eine Tür in das Hauptgebäude. An der anderen Seite war durch gläserne Trennwände ein kleines Büro abgeteilt. In diesem Büro stand Ted Barlow in Hemdsärmeln, mit losem Schlips und geöffnetem obersten Kragenknopf und arbeitete sich langsam durch den Inhalt des Schubfachs an einem Aktenschrank. Den Rest des Empfangsbereichs nahmen Schautafeln ein.

Ich ging hinein. Die Empfangsdame sagte munter ins Telefon: »Bleib bitte dran«, und drückte auf einen Knopf, um dann mich mit ihrem strahlenden Lächeln zu beglücken. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe eine Verabredung mit Mr. Barlow. Mein Name ist Brannigan. Kate Brannigan.«

»Einen Augenblick bitte.« Sie fuhr mit dem Finger über die aufgeschlagene Seite ihres Tischkalenders. Ihre künstlich verlängerten Nägel faszinierten mich. Wie konnte sie mit solchen Krallen nur tippen? Sie schaute hoch, fing meinen Blick auf und lächelte. »Ja«, bestätigte sie. »Ich höre kurz mal nach, ob er so weit ist.« Sie hob den Hörer hoch und wählte eine Nummer. Ted schaute sich zerstreut um und sah mich. Er schenkte dem Telefon keine Beachtung, sondern kam eilig durch den Empfangsbereich auf mich zu.

»Kate«, rief er, »danke, dass Sie gekommen sind.« Die Empfangsdame verdrehte die Augen gen Himmel. Zweifellos hatte Ted in ihren Augen keinen Schimmer, wie ein Chef sich verhalten sollte. »Also, was wollen Sie wissen?«

Ich lotste ihn in sein Büro. Es gab keinen Grund, die Empfangsdame zu verdächtigen, doch die Ermittlungen befanden sich in einem zu frühen Stadium, um überhaupt jemandem zu trauen. »Ich brauche eine Liste der Adressen sämtlicher Wintergärten, die Sie in den vergangenen sechs Monaten montiert haben und zu deren Finanzierung die Kunden Neuhypotheken aufgenommen haben.«

Er nickte, dann blieb er unvermittelt vor seinem Büro stehen. Er zeigte auf eine Schautafel, an der mehrere Abbildungen von Häusern mit angebautem Wintergarten hingen. Die Häuser sahen annähernd gleich aus – mittelgroß, meist Einzelhäuser, modern, alle offenbar von gleichartigen Häusern umrahmt. Ted machte ein trauriges Gesicht. »Der hier, der hier und der hier«, sagte er. »Ich habe sie nach dem Bau fotografieren lassen, weil wir gerade einen neuen Prospekt in Auftrag geben wollten. Und als ich heute wieder hinfuhr, waren sie einfach nicht mehr da.«

Ich war erleichtert. Der letzte nagende Zweifel, den ich bezüglich Teds Ehrlichkeit gehegt hatte, löste sich in Luft auf. Gemein und argwöhnisch wie ich bin, hatte ich mich gefragt, ob es die Wintergärten überhaupt jemals gegeben hatte. Jetzt hatte ich jedoch einen konkreten Beweis. »Können Sie mir den Namen des Fotografen geben?«, fragte ich. Die Vorsicht trug den Sieg davon über meinen Wunsch, Ted Glauben zu schenken.

»Ja, kein Problem. Hören Sie, möchten Sie, dass ich einen der Jungs hole, damit er Sie in der Fabrik herumführt, während ich die Informationen für Sie heraussuche? Um mal zu sehen, wie unser Laden eigentlich so läuft?«

Ich lehnte höflich ab. Der Bau von Wintergärten mit Doppelverglasung war keine Wissenslücke, die zu füllen mir ein Bedürfnis war. Stattdessen genoss ich das unterhaltsame Schauspiel, wie Ted mit seinem Ablagesystem rang. Ich setzte mich auf seinen Stuhl und nahm einen Reklamezettel über die Freuden des Wintergartens vom Tisch. Mich beschlich die Ahnung, dass dies eine langwierige Angelegenheit werden würde.

Die unsterbliche Prosa von Teds PR-Berater hatte keine Chance gegen den schick angezogenen Mann, der mit großen Schritten in den Ausstellungsraum kam, seine Aktentasche auf einen der beiden kleinen Schreibtische warf und dann Teds Büro betrat. Er lächelte mich an, als ob wir alte Freunde wären.

»Hallo«, grüßte er. »Jack McCafferty«, fügte er hinzu und streckte mir die Hand hin. Sein Handschlag war fest und kühl, passend zu dem Bild, das er ansonsten bot. Sein braunes lockiges Haar, an den Seiten kurz geschnitten und oben länger, ließ ihn wie eine seriöse Version von Mick Hucknall aussehen. Seine Augen waren blau und hatten gegen seine leichtgebräunte Gesichtshaut den matten Glanz geschliffenen Sodaliths. Er trug einen olivgrünen Zweireiher, ein cremefarbenes Hemd und einen weinroten Seidenschlips. Das ganze Ensemble musste etwa fünfhundert Pfund wert sein. Im Vergleich dazu kam ich mir in meinem terrakottafarbenen Leinenanzug und dem senfgelben Kapuzenpullover geradezu bescheiden vor.

»Kate, Jack ist einer meiner Vertreter«, sagte Ted.

»Mitglied des Verkaufsteams«, berichtigte Jack ihn. Aus seiner amüsiert-nachsichtigen Miene schloss ich, dass es regelmäßig zu dieser Richtigstellung kam. »Und Sie sind?«

»Kate Brannigan«, erwiderte ich. »Ich bin Steuerberaterin und stelle mit Ted ein Paket zusammen. Freut mich, Sie kennenzulernen, Jack.«

Ted sah erstaunt aus. Lügen schien nicht seine starke Seite zu sein. Zum Glück stand er hinter Jack. Er räusperte sich und reichte mir eine überquellende blaue Aktenmappe. »Hier sind die Angaben, die Sie haben wollten, Kate«, sagte er. »Wenn es irgendwelche Unklarheiten gibt, rufen Sie mich an.«

»Alles klar, Ted.« Ich nickte. Es gab noch ein, zwei Fragen, die ich ihm stellen wollte, aber sie passten nicht zu meiner spannenden neuen Rolle der Steuerberaterin. »Nett, Sie kennengelernt zu haben, Jack.«

»Nett. Das ist ein Wort. Mir wäre ein ganz anderes Wort eingefallen, Kate«, antwortete er und hob anzüglich eine Braue. Als ich durch den Empfangsbereich nach draußen zu meinem Wagen ging, spürte ich seinen Blick auf mir. Ich war ziemlich sicher, dass mir nicht gefallen würde, was er dachte.

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3. Kapitel

Nach einer halben Meile Fahrt hielt ich an und sah rasch die Akte durch. Die meisten Bauobjekte schienen drüben in Warrington zu liegen, deshalb beschloss ich, am nächsten Morgen dorthin zu fahren. Es dämmerte bereits, und bis ich dort ankäme, würde man gar nichts mehr sehen können. Ein halbes Dutzend der Häuser mit Wintergärten lag allerdings ganz in der Nähe. Eines davon hatte Ted bereits inspiziert und dabei festgestellt, dass sein Anbau verschwunden war. Auf der Heimfahrt kam ich zu dem Schluss, dass ich mir die übrigen ebenso gut noch kurz ansehen könnte. Ich holte meinen Stadtplan aus dem Handschuhfach und entwarf die brauchbarste Route, die sie alle einbezog.

Das erste Haus stand am oberen Ende einer Sackgasse in einer hässlichen Wohnsiedlung aus den Sechzigern, eines von zwei Beinahe-Einzelhäusern, die wie ein bizarres siamesisches Zwillingspaar durch ihre Garagen verbunden waren. Ich läutete an der Tür, aber niemand antwortete, daher ging ich den schmalen Weg zwischen Haus und Zaun entlang zum Hinterhof. Überraschung, Überraschung. Es gab keinen Wintergarten. Ich studierte den Grundriss, um mir ausrechnen zu können, wo er gewesen war. Dann ging ich in die Hocke und untersuchte das Mauerwerk an der Rückwand des Hauses. Ich rechnete nicht wirklich damit, fündig zu werden, da ich nicht einmal wusste, wonach genau ich suchte. Doch selbst ich mit meinem ungeübten Auge konnte eine schwache Markierung entlang der Mauer ausmachen. Es sah aus, als habe sie jemand mit einer Drahtbürste behandelt – gerade genug, um den Oberflächenschmutz und die Witterungsspuren zu verwischen, mehr nicht.

Meine Neugier war geweckt. Ich stand auf und fuhr zu der nächsten Adresse. 6 Wiltshire Copse und 19 Amundsen Avenue waren nahezu identisch. Und beide ohne Wintergarten. Die nächsten zwei Häuser, die ich inspizierte; hatten jedoch einen Wintergarten, fest am Haus verankert. Zum fünften Mal marschierte ich zu meinem Wagen zurück, deprimiert vom Anblick all der scheußlichen kleinen Häuser, die das Wort modern in Verruf bringen. Ich dachte an mein eigenes Heim, einen erst vor drei Jahren errichteten Bungalow. Dem Bauherrn war allerdings nicht daran gelegen gewesen zu zeigen, wie klein man ein Schlafzimmer machen kann, bevor der menschliche Geist »Nein!« schreit. Mein Wohnzimmer ist großzügig bemessen, und um zu meinem Bett zu gelangen, brauche ich über nichts hinwegzusteigen. Mein zweites Zimmer ist immer noch so groß, dass ich es als Büro benutzen kann, inklusive Schlafsofa für die unvermeidlichen Gäste. Diese zu groß geratenen Schuhschachteln hingegen sahen aus wie gepresst, zu dem Zweck, wenigstens ein, vielleicht auch drei Zimmer von passabler Größe zu erhalten.

Es war die pure Ironie, dass sie vermutlich mehr wert waren als mein Bungalow, weil sie in kleinen Erschließungsgebieten in einem Vorort lagen. Wohingegen man von meiner kleinen Oase, einer von dreißig »Wohneinheiten für Freiberufler«, nur fünf Minuten bis zum Stadtzentrum mit all seinen Annehmlichkeiten brauchte. Der Nachteil war, dass mein Bungalow mitten in einem Innenstadtviertel lag, über das Channel 4 ständig Schreckensmeldungen verbreitet. Die Umgebung hatte den Preis so weit gedrückt, dass ich mir auch noch die erforderliche hochmoderne Alarmanlage leisten konnte.

Ich beschloss, nach Hause zu fahren. Es wurde schon dunkel, und darum würde ich das faszinierende Studium der Ziegelmaurerkunst des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts ohnehin nicht fortsetzen können. Außerdem kamen die Leute allmählich von der Arbeit nach Hause, und ich wollte nicht auffallen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis irgendein übereifriges Mitglied der Nachbarschaftswache die Cops rief, eine peinliche Situation, auf die ich gut verzichten konnte. Ich fuhr los und merkte plötzlich, dass ich nur wenige Straßen von Alexis’ Haus entfernt war.

Alexis Lee ist wohl meine beste Freundin. Sie ist Kriminalreporterin beim Manchester Evening Chronicle. Vermutlich hat der Umstand, dass wir beide als Frauen in eine traditionell männliche Domäne vorgedrungen sind, dazu beigetragen, das Band zwischen uns zu knüpfen. Doch abgesehen von unserem gemeinsamen Interesse am Verbrechen, habe ich durch sie auch schon viel Geld gespart. Mir fallen auf Anhieb etwa ein Dutzend Gelegenheiten ein, bei denen sie mich in teuren Boutiquen vor sehr teuer erkauften Missgriffen bewahrt hat. Und sie hat diesen wunderbaren, köstlichen Liverpooler Sinn für Humor, der selbst an der schwärzesten Tragödie noch eine komische Seite entdeckt. Ich wüsste nicht, was mich schneller aufmuntern könnte als eine halbstündige Stippvisite bei ihr.

Der letzte Regen hatte das Herbstlaub in glitschigen Brei verwandelt. Als ich sacht auf die Bremse trat, um vor Alexis’ Haus zu halten, scherte mein Vauxhall Nova seitlich aus. Ich stieg aus, fluchte auf das Straßenverkehrsamt und schlitterte um den Wagen herum auf den festeren Boden der Einfahrt zu. Dort packte ich einen Pfosten, um nicht vollends das Gleichgewicht zu verlieren, und stellte erschrocken fest, dass dieser besondere Pfosten nicht zum bleibenden Inventar gehörte. Ein Schild mit der Aufschrift »Zu verkaufen« war daran befestigt. Ich war empört. Wie konnten sie sich unterstehen, das Haus zum Verkauf anzubieten, ohne meinen Rat einzuholen? Höchste Zeit, dass ich herausfand, was hier gespielt wurde. Ich ging um das Haus herum zur Hintertür, klopfte und betrat die Küche.

Alexis’ Liebste Chris ist Teilhaberin eines Gemeinschaftsbüros von Architekten. Deshalb sieht ihre Küche so aus wie eine gotische Kathedrale, samt gefliestem Boden und Deckengewölbe mit Balken wie Walrippen. Auf den Verputz sind mittels Schablone Blumen- und Obstmotive aufgemalt, und an den Holzbalken unter der Decke sind in regelmäßigen Abständen Flachreliefs aus Gips zu sehen. Ein toller Anblick.

Anstelle von Quasimodo, auf den ich hier immer beinahe gefasst bin, saß Alexis an dem Kiefernholztisch, neben ihr stand ein Teebecher, und vor ihr lag aufgeschlagen irgendein Katalog. Als ich hereinkam, schaute sie hoch und grinste. »Kate! Hey, schön, dich zu sehen, Kleine! Nimm dir ’nen Becher, die Kanne ist frisch aufgebrüht.« Sie machte eine Handbewegung zu dem buntgestrickten Teewärmer neben dem Kessel hinüber. Ich goss mir einen Becher des starken Tees ein, und Alexis fragte: »Was führt dich in diese Gegend? Hattest du beruflich hier zu tun? Irgendwas für mich dabei?«

»Lass das jetzt erst mal«, sagte ich entschlossen und ließ mich auf einen Stuhl fallen. »Habt ihr Geheimnisse vor mir? Was soll dieses Schild ›Zu verkaufen‹? Ihr bietet das Haus zum Verkauf an, und mir erzählt ihr nichts davon?«

»Wieso denn? Willst du es kaufen? Tu’s nicht! Schlag es dir schleunigst wieder aus dem Kopf! Hier gibt’s ja kaum Platz genug für mich und Chris, und wir haben immerhin die gleiche Drecktoleranz. Du und Richard, ihr würdet euch hier binnen einer Woche gegenseitig den Hals umdrehen«, parierte Alexis.

»Versuch nicht abzulenken«, entgegnete ich. »Richard und ich kommen prima zurecht, so wie es ist, Tür an Tür zu wohnen. Mehr an Nähe wird’s mit mir nie geben.«

»Und wie geht’s deinem unbedeutenden Anhang?«, unterbrach Alexis.

»Er lässt dich grüßen.« Alexis und der Mann, den ich liebe, haben eine Beziehung, die sich in gegenseitigen Beschimpfungen zu erschöpfen scheint. Scheint. Ich vermute nämlich, dass sie sich in Wahrheit aufrichtig gern haben. Einmal habe ich die beiden sogar dabei erwischt, wie sie in einem Winkel der Stammkneipe der Chronicle-Belegschaft in aller Freundschaft ein Glas miteinander tranken. Sie machten beide höchst verlegene Gesichter. »Also, was ist mit dem Schild?«

»Es steht erst seit ein paar Tagen da draußen. Alles ging so schnell. Du weißt doch noch, wie Chris und ich immer davon gesprochen haben, dass wir uns ein Stück Land kaufen und unser ganz persönliches Traumhaus bauen wollten?«

Ich nickte. Eher hätte ich meinen eigenen Namen vergessen. »Als Teil eines Eigenbauprojekts? Chris entwirft die Häuser, als Entgelt stellen andere Leute euch ihre Arbeitskraft zur Verfügung, richtig?« Sie sprachen davon, seit ich sie kannte. Bei anderen hätte ich solche Pläne als reine Phantasterei abgetan. Aber Alexis und Chris war es ernst. Sie hatten Stunden um Stunden damit zugebracht, Bücher zu wälzen, über Plänen und eigenen Zeichnungen zu hocken, bis sie endlich ihr ideales Heim entworfen hatten. Jetzt warteten Sie nur noch auf das richtige Grundstück zum richtigen Preis am richtigen Ort. »Das Land?«, fragte ich.

Alexis griff seitlich um den Tisch herum und zog eine Schublade auf. Sie warf mir einen Packen Fotos hin. »Sieh dir das an, Kate. Phantastisch, nicht? Ist es nicht einfach herrlich?« Sie schob sich das wilde schwarze Haar aus den Augen und blickte mich erwartungsvoll an.

Ich sah mir die Aufnahmen eingehend an. Das erste halbe Dutzend zeigte Ansichten eines Geländes mit struppigem Heidekraut, auf dem überall Schafe weideten. »Das ist das Land«, schwärmte Alexis. Ich ging die Fotos weiter durch. Der Rest waren Aufnahmen ferner Hügel, Wälder und Täler. Kein einziger Chinese mit Straßenverkauf in Sicht. »Und das ist der Ausblick. Atemberaubend, nicht wahr? Deshalb gehe ich das hier durch.« Sie wedelte mit dem Katalog. Ich sah jetzt, dass es eine Preisliste für Baubedarf war. Ich persönlich hätte lieber eine Nacht mit dem Telefonbuch verbracht.

»Wo um alles in der Welt ist das?«, fragte ich. »Es sieht so … ländlich aus.« Das war das erste Wort, das mir einfiel und das nicht nur der Wahrheit entsprach, sondern auch so klang, als fände es meine Billigung.