Lumbeseggel - B. Engelreiter - E-Book

Lumbeseggel E-Book

B. Engelreiter

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Beschreibung

Ein knackig frischer Regiokrimi um Heimat, Hofleben und Hightech. Wendelin Wisser, mal wieder völlig verkaterter Elztäler Hauptkommissar, muss seine neue Kollegin Ann-Sophie auf einen Teambuilding-Workshop begleiten. Als wäre das nicht genug, geraten zwei von Wendelins Freunden unter Mordverdacht. Der Tote, wegen seiner Forschung zur Echoortung von Fledermäusen auch als Badischer Batman bekannt, war längst nicht bei jedermann beliebt. Gelingt es dem ungleichen Ermittlerduo, die Unschuld von Wendelins Freunden zu beweisen? Und welche Rolle spielt Batmans Widersacher, der Joker, bei dem Ganzen?

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Im Elztal geboren und aufgewachsen, verbindet das Autorenehepaar unter anderem die Liebe zur Heimat. Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 erschien der Debütroman »Totengfriss«, der während der Elzacher Fasnet spielt. »Dank« des zweiten Lockdowns halten Sie das Nachfolgewerk in Händen.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Dave Wall/Arcangel.com,

shutterstock.com/Wall to wall

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept

von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Barbara Wenz

E-Book-Produktion: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-969-3

Schwarzwald Krimi

Originalausgabe

Dieses Buch enthält Zitate aus den Filmen »Batman« (1989), »The Dark Knight« (2008), »The Dark Knight Rises« (2012) und »Suicide Squad« (2016) sowie aus den Liedern »Auf der Vogelwiese« (Text: Gerald Weinkopf) und »Feuervogel flieg« (Text: Kastelruther Spatzen).

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Für Opa August(1929–2021)

Für Oma Irmgard(1923–2019)

We stopped checking for monsters under our bedwhen we realized they were inside us.

Charles Darwin

Prolog

Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich kauerte zusammengesunken im Dreck. Fasziniert und erschüttert zugleich beobachtete ich, wie das Gebäude, das wir in Brand gesteckt hatten, nach und nach in sich zusammenfiel.

Die Flammen erhoben sich bis hoch in den Nachthimmel. Schwarzer Rauch verschlang die Sterne.

Erschöpft fielen mir die Lider zu, doch sofort sprangen mich diese vor Angst geweiteten Augen wieder aus der Dunkelheit an – die Verzweiflung, die in ihrem Blick lag, schlug mir fast physisch in den Magen. Dieses Bild würde mich noch lange in meinen Träumen verfolgen, da war ich mir sicher. Mein Blick wanderte zu meiner Dienstwaffe, die noch immer schwer in meiner Hand lag. Ich versuchte mir verzweifelt einzureden, dass ich das Richtige getan hatte. Dass es die einzige rationale Entscheidung gewesen war, sie zu erschießen. Was hätte ich sonst tun sollen?

Aber meine Gefühle, mein ganzer Körper rebellierten gegen diese nüchterne Logik. Ich zitterte am ganzen Leib. Und das sicher nicht wegen der nächtlichen Temperaturen. Mein Schädel tat höllisch weh, und alles, was meine Sinne erreichte, fühlte sich an, als hätte es zuvor einen dichten Filter überwinden müssen. In meinen Ohren hallten noch immer ihre Todesschreie wider und wollten einfach nicht verstummen. Es hatte drei Schüsse gebraucht, bis sie endlich still war. Ich war kurz davor, zu heulen.

Mein Blick wanderte zu Ann-Sophies reglos vor mir liegendem Körper. Trotz all des Bluts an ihrer Schläfe, des Drecks, in dem sie lag, trotz allem, was passiert war – sie war immer noch wunderschön. Die Flammen warfen warmes Licht auf ihre bleichen Wangen. Mir wurde schwindlig. Ich drehte mich schnell weg, aus Angst, mich zu übergeben. Versuchte aufzustehen. Die schnelle Bewegung war gar nicht gut. Schwarzviolette Sternchen regneten in meinen Blick. Meine Beine knickten weg.

Mich umfing gnädige Schwärze.

Eins

Zehn Tage zuvor …

Bereits beim Aufwachen dämmerte mir, dass das kein guter Tag werden würde. Opa Erwins heiseres Geschrei zerrte mich nach und nach aus einem komatösen Schlaf an die Bewusstseinsoberfläche. Dieses Bewusstsein bestand erst mal ausschließlich aus einem höllischen Durst und dröhnendem Pochen in meinem Schädel. Kein Wunder, dass mein Körper diesen Zustand zu vermeiden versucht hatte und sich danach sehnte, wieder in die traum- und empfindungslose Schwärze zurückzugleiten.

Da verband sich Opas Geschrei mit dem schrillen Klingeln meines Weckers und zwang mich, zu reagieren.

Die rot leuchtenden Ziffern zeigten gerade einmal acht Uhr. Gefühlt hatte ich keine drei Stunden geschlafen. Genau wusste ich es, ehrlich gesagt, nicht. Ausschlafen am Sonntagmorgen war mir heilig, insbesondere wenn am Abend vorher irgendwo ein Fest gewesen war. Ehrlicherweise muss man sagen, dass es im sommerlichen Elztal kaum ein Wochenende ohne irgendein Dorf- oder Vereinsfest gab, manchmal auch gleich zwei oder drei zum selben Datum. Private Feierei nicht mitgezählt.

Eigentlich war ich das also gewohnt, musste bisher allerdings auch noch nie am Sonntag nach einem Fest in aller Früh zum Teambuilding mit meiner neuen Kollegin – Kommissarin Ann-Sophie Klett – in den Odenwald. Als ob eine ganze Woche Psychospielchen nicht schon schlimm genug wäre: warum auch noch im Odenwald? Wenn wir hier von etwas genug hatten, dann ja wohl Wald! Aber Teambuilding in der Natur war eben der neueste Trend, der mittlerweile sogar unseren Chef, den ansonsten nicht so fortschrittlich denkenden Schondelmaier Kurt, erreicht hatte. Und es war ja so wichtig, als Team gut agieren zu können, und einfach die beste Möglichkeit, dass Ann-Sophie und ich uns so richtig gut kennenlernten und so weiter. Frau Disch würde vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen sein, wenn Ann-Sophie und ich beim nächsten Anruf wegen häuslicher Gewalt als perfekt eingespieltes Team ihren besoffenen Gatten festnehmen würden. Oder der Vollmer Klaus – wenn wir gegen die falsch gepflanzten Bäume seines Nachbarn vorgehen mussten, konnten wir uns darauf verlassen, dass der jeweils andere hinter unserer Entscheidung stand. Egal, ob wir Herrn Vollmer die Bäume selber rausreißen ließen oder seinen Nachbarn zwangen, sie rausreißen zu lassen, oder ob wir aus lauter Wut über diese ständigen Streitereien die Bäume einfach selbst herausrissen.

Ann-Sophie war sofort Feuer und Flamme gewesen, auch wenn ich stark vermutete, dass sie selbst von einem Seminar zur Entwicklung eines agilen Mindsets während des Schwimmens mit Haien begeistert gewesen wäre, wenn es nur die Chance barg, dem Schreibtisch und den sich stapelnden Nachbarschaftsstreitigkeiten zu entkommen. Zwar waren wir eigentlich für Gewaltdelikte zuständig, aber wenn da gerade Flaute war, wurden uns eben andere polizeiliche Tätigkeiten aufgetragen – außerdem war die Schnittmenge von Nachbarschaftsstreitigkeiten und Gewaltdelikten nicht unerheblich.

Auf jeden Fall nahm Ann-Sophie es mal wieder genau und wollte auf keinen Fall die freiwillige Anreise am Vortag des Seminars mit dem ersten gemeinsamen Essen am Sonntagmittag und anschließender Odenwald-Wanderung verpassen. Vermutlich inklusive Kennenlernrunde, Wollknäuelwerfen und meditativem Tanz. Den heiligen Sonntag für so was zu opfern … Vier volle Tage bescheuertes Teambuilding reichten mir, musste man da am Sonntag schon in aller Herrgottsfrühe losfahren? Aber unser Chef war von so viel Engagement völlig hingerissen, und ich hatte dann nichts mehr zu melden gehabt. Immerhin konnte ich so ordentlich Überstunden aufbauen. Und gegen etwas Zeit mit Ann-Sophie allein hatte ich auch nichts einzuwenden.

»Wendelin, wo bisch denn du? D’ Ann-Sophie isch schu do!«, schrillte Oma Erika von unten.

»Jaja, ich komm ja schon«, brummelte ich vor mich hin und suchte ein paar Klamotten zusammen. Ich schüttete mir zwei Handvoll Wasser ins Gesicht und zwei Gläser davon in den durstigen Rachen und versuchte, mit den noch nassen Händen die schlimmsten Wirbel meiner zu Berge stehenden Haare anzudrücken. Na, dann mal los!

»Guten Morgen«, zwitscherte mir meine Kollegin ekelhaft gut gelaunt entgegen, als ich die Fahrertür öffnete und versuchte, halbwegs würdevoll in dem tiefergelegten Gefährt Platz zu nehmen.

Wahrscheinlich war Ann-Sophie schon seit mehreren Stunden wach, hatte eine ausgiebige Yogaeinheit hinter sich, ein gesundes Chia-Leinsamen-Müsli intus und hatte bestimmt auch schon die Dienstmails gecheckt und beantwortet. Auf jeden Fall sah sie ungemein frisch und strahlend aus. Zumindest, soweit ich das aus meinen verquollenen Augen beurteilen konnte. Dafür hatte die alte Spaßbremse aber auch die Party des Jahrhunderts verpasst.

Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Oma hinaus auf den Hof geeilt kam. Meine Großeltern, meine Eltern und ich wohnten alle, wie auch schon meine Urururgroßeltern, zwar in eigenen Wohnungen, aber dennoch mehr oder weniger gemeinsam auf dem Wisserhof.

»Hesch alles, Wendelin?«, fragte meine Oma besorgt, als wäre ich keine zweiunddreißig, sondern auf dem Weg zu meiner ersten Landschulheimübernachtung. »Do hesch zehn Mark, kaufe euch emol ebbis Schöns. Aber nid verliere, gell!«, flüsterte sie verwegen grinsend und steckte mir so schnell den Geldschein zu, als hätte sie mir ein Tütchen Gras vertickt.

»Danke.« Keine Ahnung, ob es im Odenwald viel Geeignetes gab, um sich was zu kaufen, aber Omas immer gleiche Geste, wenn ich länger wegfuhr, rührte mich.

»Moche’s gut!«, »Fahr vorsichtig!«, »Länn’s eich gut gehe!« Als ob wir in den Urlaub fahren würden!

»Un, Ann-Sophie, bass uff de Wendelin uff, nid dass der widda irgend ä Blödsinn mocht.«

»Sowieso!«, erwiderte Ann-Sophie augenzwinkernd. »Tschüss, ihr alle!«

»Ich mach noch mal kurz die Augen zu«, verkündete ich, als ich mich in einen der Schalensitze von Ann-Sophies Mini Cooper S gezwängt hatte.

»Ist mir recht, dann kannst du schon mal nicht an meinem Fahrstil rumnörgeln.« Wie immer fuhr Ann-Sophie wie eine gesengte Sau. Das war heute weder für meinen dicken Schädel noch für meinen nervösen Magen erfreulich. »Und mach das Fenster auf, du hast echt ’ne üble Fahne! Warst du schon wieder saufen?«, ergänzte sie, während sie mit heulendem Motor vom Hof gen Tal schoss.

»Saufen? Das hört sich so negativ an … Ich war feiern.«

Ann-Sophie fuhr, die Kurve bis auf den letzten Zentimeter ausnutzend, die Schnellstraßenzufahrt bei Gutach mit der maximal erlaubten Höchstgeschwindigkeit hoch. Mein Magen rebellierte, und mein Nacken versteifte sich gegen die Fliehkräfte. Zum Glück ging es ab jetzt im Wesentlichen geradeaus. Ich verkniff mir gerade noch so einen Kommentar und wollte den Rest der Fahrt nutzen, um etwas Schlaf nachzuholen. Leider war meine Begleiterin da wenig rücksichtsvoll.

»›Feiern‹ nennst du das also … Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Saufen und Feiern bei dir synonym zu gebrauchen sind? Ich weiß ja nicht, aber irgendwie passt dieses postpubertäre Verhalten nicht zu einem Erwachsenen in seinen Dreißigern, oder?«, bekundete sie ungefragt.

»Was geht dich das an? Könntest ja mal mitkommen. Würde dir guttun.«

»Gut, dass du weißt, was mir guttut!«, moserte sie. »Ich würde mir an deiner Stelle lieber mal Gedanken über deinen Alkoholkonsum machen. Es weiß ja mittlerweile wohl wirklich jeder, dass Alkohol, bereits in kleinen Mengen …«

Herrgott noch mal. Hoffentlich ging das jetzt nicht die nächsten drei Stunden so weiter mit der Moralapostelei.

Trotz des röhrenden Sportauspuffs glitt ich bald hinüber in einen Halbschlaf, der mich an einen weitaus angenehmeren Ort brachte.

***

Gestern war ich auf der vermutlich legendärsten Poolparty, die das Elztal je gesehen hatte. Das war insofern nicht weiter verwunderlich, als kaum jemand im Elztal einen eigenen Pool besaß. So Aufstelldinger galten nicht, die liefen für mich eher unter der Kategorie überdimensionierte Planschbecken.

Wobei, einen richtigen Pool hatte es gestern Abend auch nicht gegeben.

Es begann alles ein paar Tage zuvor – mit einem unerwarteten Besucher:

»Hey, Wende. Cool, dass du Zeit für mich hast.« Andre Fischer hob schüchtern die Hand, als ich ihm die Tür öffnete.

»Salli«, ich setzte zu einer unbeholfenen Umarmung an, »schön, dich mal wiederzusehen. Ist ja schon eine Weile her.«

Damit untertrieb ich gewaltig. Locker zehn Jahre hatte ich kein Wort mehr von dem Kerl gehört. Und hätte Andre sich vorhin nicht mit einer schüchternen WhatsApp angekündigt, ich weiß nicht, wie lange ich ihn verdutzt angestarrt hätte, bis ich sein Gesicht hätte zuordnen können. Dabei hatte er sich kaum verändert. Außer die Haare natürlich. Als wir uns in der elften Klasse am Technischen Gymnasium kennenlernten, hatte er sich gerade eine lange Metal-Mähne wachsen lassen. Nun glänzten seine Haare eher durch Abwesenheit, wobei die ungleiche Verteilung von Stoppeln an den Seiten und glatter Platte erahnen ließen, dass die neue Frisur vielleicht eine nicht ganz freiwillige Entscheidung darstellte. Wie dem auch sei: So haarlos, mit Hemd und Jeans, machte Andre einen deutlich seriöseren Eindruck als früher.

Die allermeisten meiner TG-Klassenkameraden kamen damals von der Realschule. Von den Gymnasiasten war Andre der einzige, der sein allgemeinbildendes Gymnasium nicht wegen »Problemen mit den Lehrern« gewechselt hatte, sondern weil er einfach möglichst viel Zeit mit naturwissenschaftlichen Nerd-Fächern verbringen wollte, vor allem mit Physik. Seine Leidenschaft für Formeln aller Art war fast ansteckend. Leider nur fast: Spätestens nach den ersten Klausuren auf dem Technischen Gymnasium waren meine Motivation und mein Notenschnitt wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet.

Wir setzten uns, jeder ein Bierchen in der Hand, auf eine nicht weit vom Hof gelegene Bank bei dem alten Kirschbaum, unter dem Opa Erwin schon in jungen Jahren bei der Feldarbeit Schutz vor der Sonne gesucht hatte, und blickten auf das in der Nachmittagshitze brütende Elztal hinab. Am Horizont flirrten die Dächer Freiburgs. Wir nippten an unserem Bier und hingen den alten Zeiten nach.

Während der Schulzeit hatten wir manchmal zusammen online am PC gezockt. Ehrlich gesagt war Andre für mich in jedem Spiel unschlagbar gewesen. Genau umgekehrt verhielt es sich zum Glück im Schulsport, wobei das auch das einzige Fach war, in dem ich ihm etwas voraushatte. Andre war von Anfang bis Ende Jahrgangsbester, und das, obwohl er spätestens ab Klasse zwölf, als »World of Warcraft – Burning Crusade« auf den Markt kam, kaum noch auf Klassenarbeiten lernte und selten vor drei Uhr nachts ins Bett kam. Den Schlaf holte er am Wochenende nach, aber manchmal gelang es uns, ihn zu überreden, mit nach Freiburg zu kommen. Obwohl Andre alles andere als ein Partylöwe war, hatten wir meist viel Spaß zusammen. Nicht selten ging der allerdings auf Andres Kosten, da die halbe Portion deutlich weniger aushielt als der Rest von uns.

Leider endete unsere Freundschaft, wenn man das überhaupt so nennen konnte, jäh, als Andre während seines Freiwilligen Sozialen Jahres Karolin kennenlernte. Seitdem war er für nichts mehr zu haben. Hinzu kam, dass er kurz darauf sein Studium am Karlsruher Institut für Technologie begann.

»Wie geht’s eigentlich Karolin? Ich hab gehört, ihr habt ’nen Bauplatz in Kollnau bekommen?« Meine Fragen hingen ein paar Sekunden unbeantwortet in der Luft, aber ich hatte schon bei der Erwähnung von Karolins Namen bemerkt, dass da etwas im Busch war.

Mit unterkühlter Miene verkündete Andre mir, dass er und Karolin nicht mehr zusammen waren. Wobei seine spärlichen Worte bei mir keinen Zweifel aufkommen ließen, dass wohl sie die Beziehung beendet hatte.

Daher also die plötzliche Kontaktaufnahme.

Schnell war klar, dass Andre nicht erpicht darauf war, mir sein gebrochenes Herz auszuschütten, sondern Ablenkung zu finden. Und so ließen wir das Thema fallen wie eine heiße Kartoffel. Trotz vieler Jahre Funkstille wurden wir schnell wieder warm miteinander, und das Gespräch floss, jetzt, wo alles geklärt war, ungezwungen dahin. Sicher hatte ihn das Beziehungsende hart getroffen, aber offensichtlich war er fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Im Gegenteil. Er strotzte vor Tatendrang, wollte an alte Zeiten anknüpfen und unbedingt mal wieder um die Häuser ziehen. Irgendwie machte er den Eindruck, als ob er glauben würde, er hätte in den Jahren mit Karolin irgendetwas Wichtiges verpasst und müsste das nun schleunigst nachholen. Was ich davon halten sollte, wusste ich nicht so recht. Gesund wirkte Andres Verhalten auf mich jedenfalls nicht. Vor allem nicht, wenn man wusste, wie er »normal« drauf war. Das Liebes-Aus mit Karolin tat mir wirklich leid. Andererseits war ich egoistisch genug, mich zu freuen, einen alten Kumpan für etwaige Feiereien wieder zurückzuhaben.

Und so fanden wir uns am Samstagabend in altbewährter Runde auf dem Waldkircher Stadtfest ein. Und trotz allem, was zwischen uns passiert war, fühlte es sich ziemlich schnell wieder an wie früher. Also so ungefähr nach dem zweiten Hefeweizen.

Mit einem Elan, den ich Andre nie zugetraut hätte, laberte er sich trotz sichtlicher Schräglage in die Herzen einer Gruppe hübscher Mädels, die zu großen Teilen aus Mitgliedern des Biederbacher Musikvereins zu bestehen schien. In so kleinen Dörfern wie Biederbach hatte man ab seiner Jugend im Wesentlichen nur zwei Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten: Fußball oder Musik. Die Mädels hatten sich offensichtlich ganz genderkonform für Letzteres entschieden.

Auch mein Kumpel Simon, der sich selbst für den größten Casanova zwischen Kandel und Rohrhardsberg hielt, war vollkommen in seinem Element. Max war ein eher ruhiger Zeitgenosse und schien ganz zufrieden, einfach nur Teil der Runde zu sein. Und auch ich war an diesem Abend nicht sonderlich an weiblicher Bekanntschaft interessiert, hatte ich doch bereits andere Pläne gefasst. Aber zu diesem Kapitel kommen wir noch.

Auf jeden Fall deutete alles darauf hin, dass es ein lustiger Abend werden würde. Doch dann kam alles anders.

Wir hatten beschlossen, gemeinsam die Dschungel-Bar und die dort servierten Cocktails etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Doch lauerte in der Dschungel-Bar eine ernsthafte Gefahr für meine liebestollen Kumpane: Der lässig am Tresen lehnende Kerl war selbst mir sofort aufgefallen. Nicht nur seine beachtliche Größe von geschätzt gut eins neunzig und seine Platzierung direkt unter einer der Barleuchten, die seinem nachtblauen Jackett mitsamt dem perlweißen Hemd einen edlen rot-blau wechselnden Schimmer verliehen, ließen ihn aus der trüben Masse hervorstechen. Die beiden obersten Knöpfe des Hemdes waren lässig geöffnet und ließen einen dezenten Blick auf den gut gebauten Oberkörper und einen Ansatz dunklen Brusthaars zu. Bloße Fußgelenke steckten im Bachelor-Style in teuer aussehenden Echtleder-Budapestern oder wie man diese Dinger nennt. Breiter Mund über markantem Kinn. Dunkle Augen unter buschigen Augenbrauen, die melancholisch ins Nichts blickten, bevor sie mit einem besorgniserregenden Aufleuchten die uns begleitende Mädelsgruppe fixierten. Die protzige Uhr am Handgelenk kostete vermutlich mehr als mancher Kleinwagen und war bestimmt tiefsee- und weltalltauglich. Mir war der Kerl auf Anhieb unsympathisch. Nachdem der Typ mit wenigen gekonnten Sätzen die neue Sonne im Planetensystem der uns begleitenden Frauen geworden war und Andre und sogar Simon nur noch irgendwo am Rande des Aufmerksamkeitsfeldes dahindümpelten, behielten die beiden, betrunken und in ihrer Männerehre gekränkt, ihren Unmut auch nicht lange für sich.

Der etwas zurückhaltendere Andre beschränkte sich darauf, den neuen Konkurrenten mit hasserfüllten Blicken zu strafen, was diesen aber in keiner Weise zu tangieren schien – er ignorierte Andre komplett. »Jetzt klaut dieses arrogante Arschloch uns auch noch die Mädels!«, grummelte dieser wütend.

Simon hingegen beschloss, um wenigstens physisch noch Beachtung zu finden, sich neben den Kerl zu drängen, bevor der sich mit der hübschesten Vertreterin der Gruppe allzu intim unterhalten konnte. Dabei stieß er – ungeschickt oder gewollt, das sei mal dahingestellt – gegen seinen nicht weichen wollenden Konkurrenten und verwandelte dessen randvollen Cocktail in einen nur noch halb vollen. Das auf den Cocktailunfall folgende Wortgefecht mit Mr. Wichtig war so niveaulos und würde ein derart schlechtes Licht auf meine Freunde werfen, dass ich lieber den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten möchte. Der Erbostheit über die spontane Verflüchtigung seines Getränks und die klebrige Flüssigkeit auf seiner edlen Uhr und Hand folgte dann, was leider jeder schon etliche Male an Orten mit zu vielen Alkoholisierten und zu wenig Platz erlebt hat: Der Typ und Simon standen sich gegenüber wie zwei kampfbereite Guller. Max und ich konnten eben noch so verhindern, dass es handgreiflich wurde, indem ich mich zwischen die Kontrahenten stellte und Simon mit breiter Brust und viel Körpereinsatz davon abhielt, auf den Lackaffen loszugehen. Vermutlich war er ganz froh, dass ich ihn so vehement daran hinderte, in die Faust des Jackett-Chauvis zu rennen. Im Große-Töne-Spucken war Simon jedenfalls unangefochtener Meister.

Den wichtigsten Part dieser unwürdigen Auseinandersetzung muss ich jetzt aber doch noch wiedergeben: Alle hatten sich wieder ein Stück weit beruhigt, und man beschloss, getrennte Wege zu gehen. Auch die Mädels mussten somit Partei ergreifen, mit wem sie weiterzogen. Gerade nach den überflüssigen Hahnenkämpfen war es wenig verwunderlich, dass sie sich eher für den groß gewachsenen Bachelor-Kandidaten entschieden. Selbst die kleine brünette Klarinettistin, mit der sich Andre besonders gut unterhalten hatte und die ihm offensichtlich sehr gefiel, schien den Rest ihrer Freundinnen nicht zugunsten von Andre zurücklassen zu wollen, schwankte aber offensichtlich noch in ihrer Entscheidung – da packte der Schnösel auch noch seine Geheimwaffe aus und lud die Mädels zu einer Poolparty in seiner Villa am kommenden Sonntagnachmittag ein. Den Blick, den der Kerl Andre und Simon daraufhin zuwarf, als die Mädels jubelnd im Kreis hoppelten, war an Arroganz nicht zu überbieten.

Da sagte Andre etwas, das den Rest von uns in fassungslose Schockstarre fallen ließ: »Hey, hört mal alle her! Nächsten Samstag schmeiß ich auch eine riesige Poolparty! Schaut mich nicht so an! Ohne Scheiß! Ihr seid alle eingeladen! Ich meine das ernst. Das wird die Poolparty eures Lebens! Es gibt Sekt und Cocktails aufs Haus … Ihr seid alle herzlich willkommen.«

Der Jubel war deutlich unsicherer als beim ersten Mal. Aber die Mädels waren so angetrunken, dass sie sich schon freudestrahlend in die Arme fielen, wenn eine nach längerem Schlangestehen von der Toilette zurückkehrte. Gleich auf zwei Poolpartys eingeladen zu werden passierte einem nicht alle Tage. Erst recht nicht in Biederbach. Im Prinzip war das ein effektiver, wenngleich wenig kreativer Konter, der Andre eine zweite Chance bei seinem Schwarm ermöglichte. Da gab es nur ein Problem.

»Ähm, Andre, prinzipiell schöne Idee. Aber hast du da nicht was Wichtiges übersehen?«, fragte ich.

»Was meinst du?«

»Na ja, was braucht man denn für eine Poolparty?«

»Schönes Wetter, kalte Drinks und heiße Mädels im Bikini?«

»Wie wär’s erst mal mit ’nem Pool?«

Soweit ich wusste, wohnte Andre momentan in seinem alten Jugendzimmer bei seinen Eltern, weil er aus der gemeinsamen Mietwohnung mit Karolin ausgezogen war. Zwar hatte er mit Karolin wohl einen der begehrten Bauplätze in Kollnau am Fuße des Ebertles in Richtung Kohlenbach ergattert, sie hatten sogar schon begonnen zu bauen, aber das Haus steckte noch in der Anfangsphase. Diese Einwände versuchten wir Andre näherzubringen, aber er war einfach zu besoffen, um sich für rationale Argumente zu interessieren – zum Beispiel, dass man für eine Poolparty idealerweise einen Pool besitzen sollte. Die Stimmung war ohnehin gekippt, der Abend gelaufen, und wir begaben uns mit dem Taxi auf den Nachhauseweg.

***

Ich hatte dem Ganzen keine weitere Bedeutung zugemessen, als ich am folgenden Samstagmittag auf einmal einer WhatsApp-Gruppe namens »Poolparty-Palmen-Badehosen-Cocktail-Sonnenbrillen-Emoji« hinzugefügt wurde.

»Packt die Badesachen ein, Leute, für alles andere ist gesorgt. Wir sehen uns!« Darauf folgten noch eine Adresse am Anfang der Kohlenbacher Talstraße und die Uhrzeit.

Ich war überrascht bis irritiert, aber das Wetter war herrlich. Dreißig Grad, sonnig. Wirklich etwas Besseres zu tun hatte ich auch nicht, also schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte, ohne große Erwartungen zu haben, der angekündigten Adresse entgegen. Von unserem Hof bis nach Kollnau brauchte man mit dem Fahrrad hinunter eine knappe Viertelstunde. Zurück, den Berg hoch, würde ich vermutlich mindestens doppelt so lange brauchen – abhängig von meinem Alkoholpegel.

Direkt am Hang unterhalb des Ebertles, wo traditionell die eher Gutbetuchten wohnen, entstand augenscheinlich gerade ein neues Wohngebiet. Viel war davon aber noch nicht zu sehen. Das Gebiet war erschlossen, aber keines der Häuser bereits fertig gebaut. Man sah vor allem viel ausgebaggerte Erde, Baufahrzeuge aller Art, Leitungsrohre.

Neben großen Mehrfamilienhäusern, von denen bereits die Fassade in den strahlend blauen Himmel ragte, gab es auch zwei Einfamilienhäuser. Oder, besser gesagt, die Gruben für die Keller waren bereits ausgehoben und ausbetoniert. Auf eine dieser Kellergruben rannte urplötzlich ein ziemlich beleibter, halb nackter Typ zu und warf sich kopfüber hinein. Schockiert ob dieser selbstmörderischen Aktion blieb ich wie angewurzelt stehen. Das sah alles andere als gesund aus.

Aber die Schreie, die direkt nach dem Sprung an mein Ohr getragen wurden, klangen weder schmerzerfüllt noch entsetzt, eher … weiblich und nach guter Laune. Und war da nicht eben die Spitze einer Aufblaspalme aus der Grube geploppt? Was war hier los?

Von irgendwoher klang leichter Summer-House an mein Ohr. Der unwiderstehliche Geruch von gegrilltem Fleisch lag in der Luft.

Beim Näherkommen schwollen die Beats und auch das Gekreische an. Ein Blick in die Kellergrube klärte alles auf.

»Servus, Wende! Schön, dass du kommst!«, rief mir ein bestens gelaunter Andre zu, bevor er die kreischende Klarinettistin von ihrem grünen Aufblaskrokodil warf. Die erwiderte den Angriff mit heftigen Schlägen ins Wasser, sodass das kühle Nass fast bis an den Kellerrand spritzte. Sehr zum Leidwesen der sonnenbebrillten Blondine, die auf der schwimmenden Mini-Insel samt einsamer Palme lag, bekamen ihre sonnengebräunten Beine doch mehr Wasser ab als Andre, der versuchte, hinter der Insel in Deckung zu gehen. Zwei weitere Mädels, die ich vom letzten Samstag wiedererkannte, ohne mich an ihre Namen zu erinnern, nudelten zwischen Max und Simon auf neongrünen Schwimmnudeln herum, während der Dicke, der eben den Sprung gewagt hatte, wieder hinter einer eingezogenen Betonwand auftauchte und stolz das Ergebnis seiner Tiefseeexpedition in die Luft streckte. Offensichtlich stand auf dem Grund von dem, was mal ein Heizungskeller werden würde, ein Kasten Bier.

»Kumm nab, Wende, isch arschgeil hier!«, grölte mir Max zu und nahm eines der Biere entgegen, die der Dicke soeben geborgen hatte.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Es wäre jetzt total cool gekommen, wie mein Vorgänger einfach mit einem Köpfer in die Runde zu starten, aber was Wasser angeht, bin ich echt ein Weichei. Vor allem, wenn ich vorher nicht weiß, wie warm es ist. Das muss wenigstens kurz angetestet werden. Ich erinnere mich da an ein Erlebnis während eines Anwärteraustausches mit der Polizeiakademie von Danzig im Rahmen so eines EU-Integrationsprojekts. Kurz vor Pfingsten. Traumwetter. Wir fahren mit den Polen an den Strand. Weißer Sand, so heiß, dass es an den nackten Sohlen wehtut, vor einem das Meer. Die Polen werfen sich alle freudestrahlend in die Wellen. Was spricht dagegen, es ihnen gleichzutun? Ich renne johlend in die Fluten – Wassertemperatur achtzehn Grad Celsius –, ich renne kreischend wieder raus. Ernte lauter verständnislose Blicke, und meine Reputation als echter Kerl war schneller dahingeschmolzen als das Calippo-Eis, das ich schlotzte, während die anderen in den Wellen tollten. Aber was Wasser angeht, ist brunzwarm für mich gerade warm genug.

Zum Glück war schon eine Kellertreppe in die Grube eingebaut worden. Der erste Fuß im Wasser berichtete mir schon, dass der Pool noch lange nicht meine Wohlfühltemperatur erreicht hatte. Dennoch versuchte ich, halbwegs würdevoll die Treppe hinunterzuschreiten. Ab kurz vor der Gürtellinie wird das immer etwas schwierig. Aber wenn man dann mal drin ist, ist’s eigentlich ganz okay.

»Viehmäßig, Andre! Nie hätte ich gedacht, dass du wirklich einen Pool aus dem Hut zaubern würdest«, gratulierte ich Andre, als ich endlich richtig drin war.

»Danke, aber das Lob gebührt nicht mir allein. Ohne Max wäre die Party wohl ins Wasser gefallen, hahaha!«

»Och, so konn ma des jetzt nid sage«, widersprach Max sichtlich geschmeichelt, und seine Wangen wurden noch eine Spur röter, als sie durch die pralle Sonne eh schon waren.

»Oh doch, das kann man. Ich war ganz schön verzweifelt, bis du am Mittwochabend vorbeigekommen bist. Ich hatte immer diese Idee mit dem ohnehin leer stehenden Kellergeschoss im Hinterkopf. Aber wie schwierig es werden würde, das mit Wasser zu füllen, hatte ich in der Situation nicht mal annähernd umrissen.«

»Gibt es hier keinen Wasseranschluss ums Eck?«

»Nicht wirklich. Ich meine, ich könnte bei den Nachbarn dort hinten fragen und einen sehr langen Schlauch besorgen. Aber weißt du, wie viel Wasser man braucht, um das hier zu füllen?«

»Keine Ahnung. Zehntausend Liter oder so?«, mutmaßte ich ins Blaue.

»Pff … Unser Haus hat die Maße von sieben Komma fünf mal neun Komma fünf Meter. Also gute siebzig Quadratmeter Grundfläche.«

»Aha.«

»Na, wenn du auch ein bisschen schwimmen willst, brauchst du mal mindestens eins Komma fünf Meter Wassertiefe. Haben wir hier ja auch. Und was ergibt das?«

»Puh … Also mehr als zehntausend Liter?«

»Allerdings! Man braucht hundertfünf Kubikmeter oder hundertfünftausend Liter. Wie fändest du es, wenn es an deiner Tür klingelt, und davor steht ein Typ, der sagt: ›Hi, ich bin Ihr neuer Nachbar, und ach, hätten Sie ein wenig Wasser für mich? Nein danke, ich brauche kein Glas. Ich dachte da so an hunderttausend Liter‹?«

»Was für ein komischer Vogel, würde ich denken.«

»Eben.«

»Ganz ehrlich, wenn du vor der Tür stehst, würd ich das so oder so denken.«

Andre schaute mich böse an, aber war viel zu sehr in seinem Element, um sich durch diese Stichelei unterbrechen zu lassen.

»Der nächste Gedanke war natürlich, Wasser zu kaufen, also im Supermarkt oder so. Allerdings habe ich den Gedanken nach ein paar Zahlenspielen schnell wieder verworfen.«

»Wieso?«

»Das billigste Wasser, das ich im REWE finden konnte, ist der Sechser Eins-Komma-fünf-Liter-Flaschen der Billigmarke für zwei Euro neunundsechzig.«

»Klingt fair.«

»Fair? Das sind dreißig Cent pro Liter. Ich brauch hunderttausend Liter.«

»Okay, das sind … dreißigtausend Euro. Das kann sogar ich ausrechnen. Ich hab’s verstanden. Das wär auch mir zu teuer für den Spaß.«

»Du hast das Pfand vergessen.«

»Oh.«

»Das wären bei hundertfünftausend Liter dann noch mal siebzehntausendfünfhundert Euro. Aber die bekommt man ja wieder zurück«, erläuterte Andre ungerührt.

»Ich weiß nicht, ob der arme Kerl, der den Pfandautomaten ausräumen muss, das auch so sieht«, gab ich zu bedenken.

»Hmm, daran habe ich gar nicht gedacht.«

»Außerdem frag ich mich, ob die Kassiererin einen Pfandbon über siebzehntausendfünfhundert Euro annehmen muss. Ich halte es auch für unsicher, ob der Pfandautomat diese Zahl überhaupt auf den Bon drucken kann«, grübelte ich weiter.

»Also gut, das wäre in der Tat sehr ärgerlich. Aber Geld ist ohnehin nicht das größte Problem.«

»Ach nein?«

»Nein. Ich meine, man müsste ziemlich oft hin- und herfahren und vermutlich mehrere Supermärkte leer kaufen, aber selbst wenn man dann mal alle Flaschen parat hat … Ich habe das zum Spaß mal durchgerechnet«, fuhr Mathegroßmeister Andre fort.

»War ja klar.«

»Na jedenfalls: Wenn ich alle Flaschen hier hätte, also das wären bei eins Komma fünf Liter und hundertfünf Kubikmeter Volumen … Da kämen wir auf siebzigtausend Flaschen. Ich habe mal angenommen, die Flasche greifen, öffnen, den ganzen Inhalt in den Pool laufen lassen und die Flasche in einen Sack packen, für den Fall, dass ich mir die siebzehntausendfünfhundert Euro Pfand doch nicht entgehen lassen möchte, dauert circa zwanzig Sekunden.«

Andre blickte mich erwartungsvoll an. Ich schwieg.

»Man würde dann 1.400.000 Sekunden beziehungsweise mehr als sechzehn Tage hier ununterbrochen am Pool stehen und Wasser reinlaufen lassen! Das erschien mir zu lang.«

»Gäb vermutlich au’ ziemliche Schwiele un ä Tennisarm«, grinste Max.

»Also gut. Ich muss zugeben, nach näherer Betrachtung bin ich noch beeindruckter als zuvor, hier bei euch im Wasserkeller abzuhängen«, sagte ich und meinte es auch so. »Lange Rede, kurzer Sinn: Es ist unmöglich, diesen Pool zu füllen! Aber ihr habt es ja doch irgendwie geschafft. Also spann mich jetzt nicht länger auf die Folter, verdammt, und verrate mir endlich deinen physikalischen Geniestreich!«

»Wie gesagt, ich war ziemlich verzweifelt, als am Mittwochabend Max netterweise auf ein Bier vorbeikam. Ich habe ihm mein Leid geklagt, und er hatte dann die zündende Idee.«

Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Max war sicher ein kluger Kopf, dafür brauchte man weder Abitur noch Studium. Aber im Allgemeinen war er eher der handwerklich geschickte Praktiker. Ein derartiges Problem zu lösen, an dem Andre Fischer scheiterte und für das auch mir beim besten Willen kein Lösungsansatz einfiel? Offensichtlich gelang es mir nicht so ganz, meine Verwunderung zu überspielen.

»Ja, do gucksch bled us de Wäsch, gä? Also, wie du jo weisch, schaff ich ja grad on de Elektrik im Oberwindener Tunnel.«

Der Oberwindener Tunnel war das lang ersehnte Infrastrukturprojekt im Elztal. Schon seit vielen Jahrzehnten staute sich der Verkehr jeden Tag zu den Stoßzeiten an einer Engstelle in Oberwinden, einem kleinen Kaff, durch das die B 294 führte. Seit der Verkehr in den 1960ern in Deutschland wieder ins Rollen kam, war vehement eine Umleitung für Oberwinden gefordert und jetzt endlich beschlossen worden. Allerdings ging das nur mit einem kostspieligen Tunnel, weswegen sich die Verantwortlichen auch so viel Zeit mit dem Beschluss gelassen hatten. Nun war es endlich so weit, und die Mineure sprengten sich Meter für Meter durch den Berg. Allerdings schien ein Ende der Bauarbeiten noch in ferner Zukunft zu liegen, derart große Bauprojekte brauchten ja leider generell immer länger als veranschlagt.

»Klar weiß ich das. Aber was hat das mit dem Pool zu tun?«

»Also, es wird jetzt viellicht e wing illegal, aba de Polizischt in dir hört einfach mol weg, okay?«

So was konnte ich zwar generell gar nicht leiden – moralische Zwickmühlen waren nicht so mein Ding. Aber in diesem Fall war ich einfach zu neugierig.

»Du kennst mich doch. Jetzt schieß schon los.«

»Okay. Wie du dir denke konnsch, git’s in so einem Berg ziemlich viel Feuchtigkeit. Im Fall vun Oberwinde war des sogar e richtigs Problem. Do isch ordentlich Grundwasser gflosse. Des konn ma zwar später mit Beton gut abdichten, aber solong do nur e Holzverschalung isch, tropft sell überall ni und isch auch wege de Elektrik un so äußerscht problematisch«, erklärte Max.

»Okay, und was hat das mit dem Pool zu tun?«