Luzerner Wirtesterben - Viktor Steinhauser - E-Book

Luzerner Wirtesterben E-Book

Viktor Steinhauser

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Beschreibung

VERIRRTE GEDANKEN Sommer in Luzern. Der See lädt zum Bade, während grausige Morde die Stadt in Atem halten. Jemand hat es auf Wirte in ihren Restaurants abgesehen. Angst geht in der Gastroszene um. Warum krabbeln Küchenschaben an den Tatorten umher und warum werden die Leichen richtiggehend angerichtet und zur Schau gestellt? Fragen über Fragen und es dauert, bis langsam Licht ins Dunkel kommt. Das Ermittlerduo Timo Braunwalder und Eva Bilic Kerner von der Luzerner Polizei kommt nicht nur wegen den hohen Sommertemperaturen ins Schwitzen und ist bei der Aufklärung dieser grausigen Morde bis aufs Äusserste gefordert. Während der Kommissar nach wie vor leidenschaftlich kocht und neuerdings auf Amors Pfaden wandelt, dabei seine Work-Life Balance pflegt, läuft seine Kollegin als geforderte Familienfrau, Ermittlerin und stellvertretende Polizeipräsidentin auf dem Zahnfleisch. Gelingt es ihnen dennoch den Fall zu lösen? Tatort Luzern! Tote Wirte umgeben von Küchenabfällen – da vergeht selbst dem kulinarisch interessierten Ermittler Timo Braunwalder der Appetit ...

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© Roman Beer, Luzern

Viktor Steinhauser ist in Luzern geboren und aufgewachsen. Er studierte an der ETH in Zürich Erdwissenschaften. Nach langjähriger Tätigkeit im Bildungsbereich ist er seit 2018 pensioniert. Er kocht leidenschaftlich gerne und hat 2016 das literarische Kochbuch «Auskosten» veröffentlicht. Menschen und Geschichten sind für ihn das Salz im Leben.

Er schreibt seit seiner Jugend und ist Mitglied des ISSV (Innerschweizer Schriftstellerinnen und Schriftstellervereins) und von Krimi Schweiz.

Nach «Luzerner Gabelfrühstück» ist «Luzerner Wirtesterben» sein zweiter Lokalkrimi.

VERIRRTE GEDANKEN

Sommer in Luzern. Der See lädt zum Bade, während grausige Morde die Stadt in Atem halten.

Jemand hat es auf Wirte in ihren Restaurants abgesehen. Angst geht in der Gastroszene um. Warum krabbeln Küchenschaben an den Tatorten umher und warum werden die Leichen richtiggehend angerichtet und zur Schau gestellt? Fragen über Fragen und es dauert, bis langsam Licht ins Dunkel kommt.

Das Ermittlerduo Timo Braunwalder und Eva Bilic Kerner von der Luzerner Polizei kommt nicht nur wegen den hohen Sommertemperaturen ins Schwitzen und ist bei der Aufklärung dieser grausigen Morde bis aufs Äusserste gefordert.

Während der Kommissar nach wie vor leidenschaftlich kocht und neuerdings auf Amors Pfaden wandelt, dabei seine Work-Life Balance pflegt, läuft seine Kollegin als geforderte Familienfrau, Ermittlerin und stellvertretende Polizeipräsidentin auf dem Zahnfleisch.

Gelingt es ihnen dennoch den Fall zu lösen?

Tatort Luzern! Tote Wirte umgeben von Küchenabfällen – da vergeht selbst dem kulinarisch interessierten Ermittler Timo Braunwalder der Appetit …

Viktor Steinhauser

LuzernerWirtesterben

Kriminalroman

 

© 2024 pamal-verlag

CH – 6030 Ebikon

www.pamal-verlag.ch

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2024

Lektorat: Mentorium GmbH

Umschlaggestaltung: Mondo Messmer, Luzern

www.mondograf.ch

Druck: CPI books GmbH, Leck

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN print 978-3-9524671-3-8

ISBN E-Book 978-3-9524671-4-5

 

«Als sie [die Bedienerin] bald den wahren Sachverhalt erkannte, machte sie grosse Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange auf, sondern riss die Tür des Schlafzimmers auf und rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: ‚Sehen Sie nur mal an, es ist krepiert; ganz und gar krepiert!‘»

Franz Kafka, Die Verwandlung

 

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit Lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Sonntag

1

Er liebte die Geschichten von Kafka. Besonders die Figur von Gregor Samsa hatte es ihm angetan. Auch sein Vater, wie der von Gregor, war bankrottgegangen. In der Folge geriet er in eine Lebenskrise, bestand das Gymnasium nicht und ging jobben. So half er, die Familie über Wasser zu halten und die Schulden des Vaters zu tilgen. Grosse Sprünge konnten sie nicht machen. Manchmal reichte es knapp fürs Essen. Sie kauften im Caritasladen vergünstigte Lebensmittel. Manchmal litt er sogar Hunger. Heute hatte er immer genug zu essen. In der Gesellschaft herrschte Überfluss.

Letzthin hatte er sich überlegt, sich weiterzubilden, Kurse zu besuchen. Jetzt zweifelte er wieder daran, denn nach einer so langen Schulpause wäre das nicht leicht und der Erfolg ungewiss. Zudem kostete das Geld, welches er nur beschränkt zur Verfügung hatte.

Er blickte aus dem Fenster, wie er es oft tat. Die Häuser der Genossenschaftssiedlung bildeten einen quadratischen Innenhof, der im Sommer belebt war. Mit der Nachtruhe wurde es dann schwierig. Er lag oft wach, starrte an die Decke, lauschte den Stimmen und der Musik, die in seine Wohnung drangen. Wenn der Schlaf nicht kommen wollte, entschied er sich manchmal, durch die Nacht zu schweifen. Über die Brücke, den Geleisen entlang, hoch zum Wald, über die Allmend, vorbei an den ehemaligen Reitställen, wo er als Knabe oft die Pferde beobachtet hatte. Jetzt im Hochsommer dämmerte es bereits um 5 Uhr in der Früh. Begegnungen mit Nachtschwärmern, die auf dem Nachhauseweg waren, versuchte er zu vermeiden. Er bevorzugte wenig begangene Pfade. Er war in der Gesellschaft ein Nischensucher. Für die Weiterentwicklung der Lebewesen waren Nischen immer wieder unabdingbar gewesen.

Heute an diesem Sonntagmorgen war es im Innenhof ruhig. Ein Vater spielte mit seiner kleinen Tochter. Der Mann hatte einen Spitzbart und trug Latzhosen, ein Hipster und moderner Vater, wie es im Quartier viele gab. Er warf dem Mädchen einen Ball zu und sie versuchte diesen zu fangen. Noch etwas unbeholfen, wie sie war, fiel der Ball meistens durch ihre Arme auf den Boden. Das nervte sie, was sie mit einem Stampfen zum Ausdruck brachte, während der Vater, scheinbar noch etwas müde, lächelte.

Die kühle Morgenluft strömte in seine Wohnung. Heiss waren die letzten Tage gewesen. Die Meteorologen sprachen erneut von einem Jahrhundertsommer. Die Wassertemperatur des Sees betrug 24 Grad. Vielleicht würde er heute, obwohl es Sonntag war, bei der Villa Krämerstein baden gehen. Dort gab es jeweils nicht so viele Leute wie an der Ufschötti, einem Gelände, das aus dem Schutt beim Bau des Autobahntunnels durch den Sonnenberg entstanden war. Als Knabe war er dort mit seinem Vater manchmal spazieren gegangen und hatte die Lastwagen beobachtet, die den Schutt auskippten, und dabei über die entstehenden Staubwolken gestaunt. Er konnte sich von diesem Schauplatz kaum lösen, war ganz versunken ins Geschehen, bis sein Vater ihn jeweils mit einem «David, David, was ist denn?» in die Realität zurückholte.

Er schloss das Fenster und ging in die Stube. Die Läden hielt er in diesem Raum nicht nur im Sommer geschlossen, denn seine Tiere brauchten Dunkelheit. Er machte Licht, nahm aus einem Jutesack etwas Laub, das er im letzten Herbst gesammelt hatte, hob das feinmaschige Gitter des Terrariums einen Spalt an und streute eine Handvoll ins Innere. Vorsichtig zerstäubte er anschliessend etwas Mehl über dem Gitter. Eine feine weisse Wolke, fast wie der Staub, der sich beim Kippen der Lastwagen damals abgesetzt hatte, senkte sich langsam auf den Boden. Mit Wohlgefallen nahm er zur Kenntnis, dass seine Krabbeltiere aktiv waren.

Dann schob er eine Hand durch die kreisrunde Öffnung an der Seite des Terrariums, die mit einer Gummimanschette gesichert war. Dank dieser Einrichtung konnten nur ganz selten Tiere entfliehen. Nach kurzer Zeit sassen einige Exemplare auf seiner Hand. Er zog diese zurück und beförderte die Tiere in ein Glasgefäss, das er sogleich mit der anderen Hand abdeckte. Diesen Vorgang wiederholte er fünf Mal, bis er für sein Ansinnen die notwendige Menge beisammenhatte. Wenn die anderen Mitbewohner des Hauses wüssten, was er sich für Tiere hielt, würden sie sich vielleicht ekeln und die Verwaltung einschalten. Aber das musste niemand wissen, das blieb sein Geheimnis. Jedem Menschen standen Geheimnisse, dunkle Seiten, sogar Abgründe zu.

Montag

2

Eva Bilic Kerner, Kriminalkommissarin und zurzeit stellvertretende Polizeipräsidentin, genoss das Schwimmen im See. Seit sie in dieser Doppelfunktion bei der Luzerner Polizei tätig war, achtete sie besonders auf die Work-Life-Balance, denn die Belastung im Beruf war hoch. Es machte ihr nichts aus, bei schönem Wetter bereits um 6 Uhr aufzustehen, während ihre beiden Männer noch schliefen. Sie fuhr mit dem Fahrrad zur Ufschötti, legte ihre Kleider ab und deponierte sie mit Rucksack und Badetuch nahe am Ufer. Heute trug sie ihren gelben Bikini, den sie liebte, und stakste, die Schwimmbrille in der Hand, auf dem Sand ins Wasser. Sie benetzte ihren Körper, zog die Gummibänder der Schwimmbrille über ihre kurzen Haare und tauchte gleich unter Wasser.

Jetzt, Mitte August, war der See einfach wunderbar. Mit kräftigen Armzügen schwamm sie hinaus, den Blick über das Wasser zum Lido, dem Strandbad am anderen Ufer, gerichtet. Ein Ruderboot mit vier Männern kreuzte in der Seemitte ihren Blick und schien lautlos fast über das Wasser zu fliegen. Die dynamischen und koordinierten Ruderschläge der Männer imponierten ihr. Wenn das Team nicht harmonierte, den Rhythmus nicht fand, wurde es schwierig. Rudern als Sinnbild für die Arbeitswelt – das Bild von rudernden Sklaven in Galeeren tauchte vor ihrem inneren Auge auf –: Wenn die Stimmung im Büro gut war, alle am gleichen Strick zogen, ging alles leichter und speditiver.

Nach ungefähr hundert Metern drehte sie sich auf den Rücken, um in den blauen Himmel zu schauen. Dabei versuchte sie an nichts zu denken, was ihr aber schwerfiel. Wer schaffte das schon! Sie versuchte ihre Gedanken wie Blätter in einem Fluss vorbeiziehen zu lassen. Dieses Bild hatte sie aus einem Seminar zum Thema ‘Entspannung’ mitgenommen.

Mitte September sollte der Polizeipräsident wieder von seinem Austauschprogramm in den USA zurück sein. Darüber war sie froh, denn um seine Absenz aufzufangen, hatte sie ihr 80-Prozent-Pensum vorübergehend aufgestockt. Ihr eigentlicher Chef, Kommissar Braunwalder, den die meisten Brownie nannten, hatte kein Interesse gezeigt, die Stellvertretung zu übernehmen, und von Frauenförderung gesprochen. Er bewege sich lieber in ihrem Windschatten, hatte er gemeint und zufrieden gelächelt. Eine absurde Vorstellung bei seiner Grösse und Postur, mit seinem Ranzen, den er selbstzufrieden Delikatessenbasilika nannte. Sie waren zusammen bei der Luzerner Polizei das Ermittlerduo ‘Dick und Dünn’. Sogar die Presse hatte sie im Frühling, nach der Aufklärung des Gabelmordes, so genannt und über den grünen Klee gelobt.

Im Moment war es in der Stadt relativ ruhig. Es schien so, als ob auch die Verbrecher Sommerferien machten. Sie hatte nichts dagegen.

Um ihren Blutkreislauf etwas anzuregen, wollte sie wie gewohnt noch crawlen. Sie drehte sich zurück in die Bauchlage und ging in ihren gewohnten Dreierrhythmus, den sie recht gut beherrschte. So konnte sie abwechslungsweise rechts und links Luft holen. Sie spürte rasch einen Flow und ihr Puls beschleunigte sich. Die Koordination mit dem Beinschlag gelang ihr ebenfalls ordentlich. Das Training bei einem erfahrenen Schwimmer, welches sie seinerzeit in der Polizeischule genossen hatte, zahlte sich aus. Als sie die Fahrrinne der Kursschiffe erreichte, wendete sie, um zurück zum Ufer zu schwimmen. Sie atmete tief ein und lenkte ihren Blick, einem Impuls folgend, kurz zur Wiese, auf der ihre Sachen lagen. Dabei sah sie einen Mann, der sich offenbar an ihrem Rucksack und den Kleidern zu schaffen machte. Verdammt, das ging gar nicht! Sie beschleunigte ihr Tempo. Als sie etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt war, realisierte der Mann ihr Kommen. Er schickte sich an, mit ihrem Rucksack in der Hand zu fliehen. Eva Bilic watete aus dem Wasser und machte sich auf die Verfolgung des Diebes. Wie eine Gazelle in der Savanne trabte sie über das dürre Gras. Ein eckiger Kieselstein am Boden liess sie kurzzeitig einknicken. Der Dieb rannte zur nahen Strasse, die Richtung Bahnhof führte. Auf dem Asphalt würde er in seinen Turnschuhen ohne Zweifel einen Vorteil haben, konstatierte sie. Kurz kamen ihr kenianische Langstreckenläufer in den Sinn, die zu Hause barfuss trainierten. Jetzt einfach nicht aufgeben, dachte sie und mobilisierte nochmals zusätzliche Kräfte.

«Halt! Stehen bleiben! Polizei!», rief sie dem Mann enerviert hinterher.

Für einen kurzen Moment verunsicherte ihn das und gleichzeitig schienen seine Kräfte nachzulassen. Sie war nun auf wenige Meter an ihn herangekommen und gab noch einmal alles. Mit ihrem rechten Fuss holte sie aus und stellte dem Dieb ein Bein. Der Mann kam ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Sogleich war Eva Bilic über ihm und rammte ihr Knie in seinen Rücken, während sie ihn gleichzeitig mit einem Polizeigriff fixierte. Beide rangen nach Luft, sodass der Schmerzensschrei des Mannes nur schwach ausfiel und eher einem Stöhnen glich. Die Kommissarin war von Adrenalin durchflutet und intensivierte den Griff. Ein neuerlicher Aufschrei des Diebes war die Folge. Ein Arbeiter der nahe gelegenen Werft hatte die Szene beobachtet und eilte herbei.

«Bilic, Luzerner Polizei, bitte rufen Sie meine Kollegen», keuchte die Kommissarin, während sich der Dieb zu befreien versuchte und sich wand wie eine Schlange.

Der Werftarbeiter reagierte schnell und wählte die Nummer 117.

Der Dieb schlug mit seinen Beinen aus. Vom Absatz des Schuhs am Rücken getroffen spürte Eva Bilic einen stechenden Schmerz. Sie bewegte sich etwas zur Seite, um auszuweichen, und drückte mit ihrem Knie seitlich in die Nieren des Mannes. Augenblicks brüllte dieser vor Schmerz auf.

«Soll ich Ihnen helfen?», fragte der Werftarbeiter nach Erledigung des Telefonates besorgt.

«Nein, geht schon! Wird nicht mehr lange dauern», sagte Eva Bilic bereits wieder ruhiger atmend. Der Dieb schien endlich zu resignieren und seine Gegenwehr wurde schwächer.

Es dauerte bloss wenige Minuten, bis eine Sirene zu vernehmen war und ein Kastenwagen der Polizei vorfuhr. Die Beamten machten grosse Augen, als sie die Kommissarin sahen, die in ihrem gelben Bikini auf dem Mann halb lag, halb kniete. Helfenstein, der eine der Beamten, nahm ohne Worte die Handschellen von seinem Gurt, fixierte die Handgelenke des Diebes und hob ihn hoch.

«Danke, dass ihr so schnell gekommen seid!», sagte Eva Bilic, nahm ihren Rucksack und checkte den Inhalt. Bis auf die Uhr schien alles noch da zu sein.

«Häfliger, durchsuchen Sie bitte einmal seine Hosentaschen», wies sie den zweiten Beamten an. Als dieser ihre Uhr ans Tageslicht beförderte, nickte sie zufrieden und nahm sie an sich.

Sie trat vor den Mann, der den Blick gesenkt hielt, und sagte kühl: «Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Ihnen auf dem Posten. Abführen, Helfenstein!»

«Willst du gleich mitkommen, Eva?», fragte dieser.

«Nein danke! Ich habe meine Kleider am See und werde noch zu Hause frühstücken. Meine Männer warten auf mich.»

Sie drehte sich um und ging auf den Werftarbeiter zu. Mit ihrer Sidecut-Frisur und der drahtigen, trainierten Figur sah die Kommissarin absolut sportlich aus.

«Danke, dass Sie geholfen haben! Bitte geben Sie den Beamten Ihre Personalien. Vielleicht brauchen wir Ihre Aussage später noch.»

Dann wendete sie sich ab und ging auf der Strasse in Richtung Ufschötti davon.

Der Mann nickte verzögert und schaute der schlanken Frau im gelben Bikini bewundernd nach. «Wow!», dachte er für sich. «Welch taffe Frau!»

3

Als Eva Bilic nach Hause kam, sassen Drago, ihr Mann, und Ado, der sechsjährige Sohn der beiden, bereits am Frühstückstisch.

Mit einem heiteren «Guten Morgen, ihr zwei!» versuchte sie möglichst unbeschwert zu wirken.

Ado biss in sein Nutellabrot, was seiner Mutter nur bedingt gefiel. Gesunde Ernährung sah für sie anders aus, aber gewisse Kompromisse musste sie eben eingehen. Auf diese Weise war der Kleine immerhin am Morgen rasch bei guter Laune und der Tag konnte ohne grosse Diskussionen beginnen.

«Ist was, Eva?», fragte ihr Mann fürsorglich. «Wie war das Schwimmen?»

«Alles gut. Der See ist wunderbar! Ich geh jetzt noch kurz duschen», antwortete sie rasch.

«Eva», sagte Drago in einem Ton, der ihr zeigte, dass er die atmosphärische Störung in ihrem Befinden durchaus wahrgenommen hatte.

«Okay, ein Typ wollte mich bestehlen. Dabei habe ich ihn dingfest gemacht und den Kollegen von der Streife übergeben», fügte sie an und blieb kurz stehen.

«Wow! Cool, Mama! Zeigst du mir mal, wie das geht?», sagte Ado und knabberte weiter lustvoll an seinem Brot. Der Milchschnauz an seiner Oberlippe und die leuchtenden Augen liessen Eva Bilic kurz schmunzeln.

«Bist du unverletzt?», erkundigte sich Drago etwas besorgt.

Eva Bilic nickte. «Ja, alles okay», fügte sie an, nahm sich einen Fruchtsaft und ging ins Badezimmer.

Als sie geduscht hatte und sich gerade abtrocknete, öffnete Drago die Tür einen Spalt.

«Oh, là, là … und tschüss!», sagte er, zwinkerte ihr zu, um sich dann auf den Arbeitsweg zu machen.

Eva Bilic zog sich rasch an und rief nach Ado, der auf dem Sofa in der Stube in ein Computerspiel vertieft war.

Nachdem sie überprüft hatte, ob er alles Notwendige in seine Schultasche eingepackt hatte, begleitete sie ihn zur Schule, die heute nach den langen Ferien wieder begann. Darüber war sie froh, denn das vereinfachte ihren Familienalltag spürbar. Branka, ihre Schwiegermutter, half zwar, wo es ging, aber Betreuungsengpässe für Ado gab es immer wieder. Er kam in die zweite Klasse und ging gerne zur Schule, da er hier einige Kollegen gefunden hatte, mit denen er sich gut verstand.

In der Schule angekommen, sagte die Lehrerin, es sei nicht nötig, dass sie noch bleibe. Sie würden sich ja dann in drei Wochen am Elternabend sehen. Das war Eva Bilic recht und sie fuhr erleichtert gleich ins Polizeipräsidium.

«Guten Morgen, Eva! Es ist mir zu Ohren gekommen, dass du heute nebst dem Schwimmen schon etwas Kampfsport betrieben hast», sagte Timo Braunwalder und fuhr sich lächelnd über seinen Schnurrbart, um noch ein «Gratuliere!» anzufügen.

«Aha! Ist das also auch schon zu dir durchgedrungen», sagte Eva Bilic und legte ihren Rucksack neben das Pult.

«Ich hätte da keine Chance gehabt! Allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich in eine solche Situation kommen kann, da ich ja praktisch keinen Sport betreibe, sondern mich anderweitig fit halte.»

«Wie sieht denn dein Fitnessprogramm aus, Timo?»

«Nun, gestern habe ich auf der Dachterrasse mit Céline, meiner Nachbarin, ihrem Freund und Sieglinde grilliert. Die Schweinesteaks habe ich mit einem gut abgestimmten Rub und Erdnussöl mariniert, sodass sie butterzart geworden sind. Den Kartoffelsalat hat Sieglinde mitgebracht. Superlecker, sag ich dir! Die anderen Salate hat Céline gemacht. Selbstredend habe ich mich eher an den Kartoffelsalat gehalten. Kartoffeln sind ja auch Gemüse. Die Würste, die folgten, Kalbs- und Schweinsbratwürste sowie Fakirwürste meines Metzgers an der Zürichstrasse, unglaublich dezent gewürzt, scharf natürlich, haben mit Sauerteigbrot und Senf fantastisch gemundet und riefen dann nach ein paar Bier. Allerdings haben wir auch einen guten Roséwein getrunken, den ich dir wirklich empfehlen kann, einen Œil de Perdrix vom Neuenburgersee, und dies alles unter dem wunderbaren Sternenhimmel von Luzern. Was gibt es …?!»

«Ist gut, Timo! Alles klar!», unterbrach Eva Bilic ihren Chef. Allerdings war ja die Hierarchie, seit sie die Stellvertretung für den Polizeipräsidenten übernommen hatte, irgendwie durcheinandergeraten. Nicht immer war klar, wer jetzt das Sagen hatte. Zudem wollte Braunwalder ja nicht unbedingt Chef sein. Vom Dienstgrad her allerdings stand er über seiner Kollegin. Beide waren, nach der Aufklärung des Gabelmordes und dem glimpflichen Ausgang der Entführung, vom Regierungsrat befördert worden – sie zum Oberleutnant und er zum Major. Spasseshalber hatte sie ihn geneckt: Jetzt habe er ja den gleichen Dienstgrad wie die Bibi Fellner im österreichischen Tatort, was natürlich gut zu seiner Liaison mit Sieglinde Haselbeck, der Kriminaltechnikerin, die aus Salzburg stammte, passe. Er hatte darauf angemerkt, seine ‘Österreichconnection’ sei manchmal effektiver und auf alle Fälle charmanter als die Verbindungen zum Luzerner Filz, welche sie ja in Abwesenheit des Polizeipräsidenten jetzt pflegen müsse.

«Prima, Timo, wie läuft es denn mit Sieglinde?», fragte Eva Bilic scheinbar beiläufig.

«Oh, ganz gut. Warum fragst du?», brummte Braunwalder sichtlich verlegen und vertiefte sich in eine Aktenmappe, die bei ihm auf dem Pult lag. Im Polizeikorps wurde gemunkelt, Brownie habe sich überraschenderweise mit 58 Jahren noch einmal richtig verliebt, was ihm aber alle gönnten, denn man musste ihn einfach mögen, diesen scheinbar so phlegmatischen Kommissar mit seinem ungeheuren Appetit.

«Nun, du bist meistens so gut drauf, Timo. Wir haben kaum Spannungen im Büro», antwortete Eva Bilic.

«Schön, nicht? Seit ich akzeptiert habe, dass ich im falschen Jahrhundert geboren bin und so den Kaffee am Automaten selbst holen muss – übrigens eine unglaubliche Anpassungsleistung und Zeugnis von Flexibilität in meinem hohen Alter –, gibt es kaum mehr Reibungsflächen zwischen uns. Dazu kommt, dass du ja des Öftern als Polizeipräsidentin auf der Piste bist und wir uns tagelang nicht sehen, was ich natürlich sehr bedaure, aber was kann ich gegen diese höhere Gewalt schon machen!», merkte Braunwalder an, um weiter zu fragen: «Kann ich dir einen Kaffee bringen, Eva? Ich hole mir einen.»

«Danke, Timo! Ich muss gleich weg an ein Weiterbildungsseminar über Terrorbekämpfung im Armee-Ausbildungszentrum. Ich bin dann froh, wenn James zurück ist und ich mich vermehrt wieder mit dir auseinandersetzen kann.»

«Das tönt ja fast wie eine Liebeserklärung, Eva», schmunzelte der Kommissar.

«Nun, Timo, zwei Frauen, das wäre wohl eine zu viel für dich, gell? Überschätze dich nicht! Und wärst du so nett und würdest noch den Dieb verhören, der mich beklauen wollte? Ich bin in diesem Fall nämlich befangen. Danke! Einen schönen Tag noch!» Und weg war sie.

Braunwalder sass am Pult, schaute zur Tür, die sich mit einem Knacken schloss, und konstatierte wieder einmal, dass seine Kollegin nicht auf den Mund gefallen war.

4

Guy Perroux ging aus der Küche in die Gaststube und setzte sich mit einem Schnitzwasser an den Stammtisch. Er musste die Bestellungen für die nächsten zwei Tage durchgehen. Montag war wie gewohnt Ruhetag und das Personal hatte frei. Auch er hatte länger geschlafen, denn der gestrige Sonntag war streng gewesen und die Gartenwirtschaft mittags und auch abends proppenvoll. Bei diesem prächtigen Sommerwetter sassen die Leute eben gerne draussen, liessen sich verwöhnen und genossen das Leben. Dazu kam, dass die Schulferien zu Ende gegangen waren und die meisten Leute, wieder in der Stadt zurück, den gewohnten Rhythmus suchten. Die Riesengarnelen mit Zitronen-Knoblauch-Sosse und einem Salat aus Kombu-Algen, der leicht süsslich schmeckte, waren sein Sommerhit. Auch der gegrillte Schwertfisch war am Abend ausverkauft gewesen. Seine Moules-frites waren ohnehin immer ein Renner. Das Restaurant war für seine Meerestier- und Fischküche stadtbekannt. Seit seinen Lehr- und Wanderjahren in Frankreich war er davon nicht mehr losgekommen. Gerne dachte er an seine Zeit in Arcachon, Finistère oder auch Paris zurück. Die harte Schule bei begnadeten Küchenchefs hatte seinen Charakter und seinen Stil zu kochen geprägt. Kreativität war ihm wichtig. Er kannte keine Berührungsängste zu unbekannten Nahrungsmitteln, probierte gerne aus und liess sich vom Ergebnis überraschen. Für den Herbst hatte er das Ziel, sich in der Molekularküche weiterzubilden. Es schien ihm, dass dies ein interessanter Trend werden könnte. Vor allem bei den Desserts sah er Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz abzuheben. Der Melonenkaviar auf Vanillecreme, den er bereits auf der Karte hatte, vermochte seine Gäste zu verblüffen. Bis die Kügelchen aus der Melonenflüssigkeit und dem Natriumalginat, einem speziellen Geliermittel, für seine Kreation brauchbar gewesen waren, hatte er lange gepröbelt. Das Experimentieren machte ihm Spass. Vielleicht würde er heute noch den Schokoladen-Bananen-Lolli ein zweites Mal herzustellen versuchen. Dabei erforderte das Arbeiten mit flüssigem Stickstoff etwas Übung und ein gutes Timing.

Er nahm einen Schluck Schnitzwasser aus dem Glas. Wegen der Hitze hatten gestern auch viele Gäste vor allem Wasser getrunken, sodass der Weinausschank unterdurchschnittlich geblieben war. Trotzdem war er mit dem Umsatz mehr als zufrieden.

Er stand auf, um die Vorräte im Kühlraum zu überprüfen, sodass er die Bestellung bei seinem Fischhändler tätigen konnte. Das würde nicht lange dauern und er verzichtete deshalb darauf, sich eine Jacke überzuziehen.

Er ging ins Kellergeschoss und öffnete die Tür zum Kühlraum. Als er den Lichtschalter gedreht hatte, warf er einen Blick auf das Thermometer, welches plus 2 Grad anzeigte. Trotz der Hitze draussen also alles bestens, denn für die Lagerung von Fisch war das die vom Lebensmittelinspektorat geforderte Temperatur. Zander und Kabeljau hatte er noch genug. Garnelen und Algen hingegen musste er bestellen. Auch von den Miesmuscheln war nur noch ein Karton vorrätig. Wenn er nochmals Schwertfisch bekommen sollte, wäre das schön. Sonst würde er auf Thunfisch wechseln, überlegte er für sich. Die Süsswasserfische waren gestern nicht gefragt gewesen. Morgen war wohl der letzte Tag, an dem er die Hechtfilets gebrauchen konnte, sonst würde er sie entsorgen müssen. So plante er einen Lunchteller mit Hecht ein. Die Zuchtforellen warf er bereits heute zu den Küchenabfällen in den Kübel, der auch im Kühlraum stand, da er erst am morgigen Dienstag abgeholt wurde. Die richtige Menge einzukaufen, blieb eine permanente Herausforderung.

Langsam wurde ihm kalt und er machte sich rasch ein paar Notizen. Dann stiess er die Kühlraumtür wieder auf und löschte das Licht. Als sich seine Augen langsam an das Dämmerlicht im Flur gewöhnt hatten und er zur Treppe ging, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz im Rücken.

5

Das Seminar zur Terrorbekämpfung hatte gut begonnen. Ein Experte des Landeskriminalamtes Wiesbaden aus der Abteilung TE, was so viel wie ‘islamisch motivierter Terrorismus/Extremismus’ bedeutete, hatte ein spannendes Einstiegsreferat gehalten. Bei dieser Abteilung wurden offenbar massiv neue Stellen geschaffen. Gerade der Umgang mit Rückkehrern aus Kriegsgebieten wie Syrien und dem Irak war aktuell eine grosse Herausforderung. Es galt, die potenzielle Gefahr einzuschätzen und adäquate Massnahmen zu treffen. Zahlreiche Attentate in Europa hatten die Behörden unter Zugzwang gebracht. Vor allem in Frankreich drohte ein Krieg der Kulturen. Eva Bilic hatte sich ab und zu Notizen gemacht. Gerade der Quervergleich zu einem Buch aus den 1990er-Jahren interessierte sie. Da hatte der Amerikaner Samuel P. Huntington in seinem viel beachteten Werk Clash of Civilizations Auseinandersetzungen zwischen den Kulturen vorausgesagt. Es gehe darum, wer die Vorherrschaft auf der Welt für sich beanspruchen könne. Er hatte nicht direkt von Terrorismus gesprochen, aber, ausgehend von den Veränderungen der Bevölkerungszahlen in den einzelnen Kulturarealen, aufkommende Ungleichgewichte für sehr wahrscheinlich gehalten. Solche Hintergrundinformationen erweiterten ihren Horizont. Eva Bilic erinnerte sich an ihr Studium. Immer wenn ihr irgendwelche Zusammenhänge aufgegangen waren oder sie eine komplexe Materie gedanklich zu durchdringen vermocht hatte, hatte sie sich glücklich gefühlt. Sie war bis heute neugierig geblieben. Leider fehlte ihr im Moment die Zeit, mehr zu lesen.

In einer anschliessenden Gruppenarbeit hatte sie sich motiviert eingebracht und auch der Stehlunch war noch ganz okay gewesen. Sie hatte mit einer Beamtin aus Bern, die beim Nachrichtendienst des Bundes arbeitete, über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesprochen, nachdem sie festgestellt hatten, dass sie beide berufstätige Familienfrauen waren. Diese Kollegin hatte sich beeindruckt gezeigt, dass Eva Bilic die Vertretung des Polizeipräsidenten übernommen hatte, obwohl der Alltag sonst schon genug Herausforderungen bereithielt. Sie tauschten noch ihre Visitenkarten, bevor es im Saal weiterging.

Am Nachmittag war dann die Aufmerksamkeitsspanne der Teilnehmenden eingebrochen. Ein Integrationsbeauftragter, der mit einem nuschelnden Westschweizer Akzent sprach, liess die Zeit nur zäh verrinnen. Auch eine Islamwissenschaftlerin mit dicken Brillengläsern verlor sich in Nebensächlichkeiten und erzählte von ihren Feldaufenthalten in Mali und Niger, ohne klar sichtbaren Bezug zum Thema der Veranstaltung. Im Saal machte sich eine einschläfernde Stimmung breit, was sich auch dadurch äusserte, dass die heimlichen Blicke auf die Smartphones zunahmen. Erst als die Referentin von Schläferzellen in der Gesellschaft sprach, zuckten einige zusammen, bis ihnen aufging, dass sie mit ‘Schläfern’ Menschen meinte, die sich in bestimmten Bereichen des Staates oder Firmen aufhielten, dabei nicht auffielen und auf ihren terroristischen Einsatz warteten.

Die Luft im Saal war unglaublich stickig und Eva Bilic sehnte sich nach der Morgenfrische, die sie heute bei der Ufschötti genossen hatte. Dabei gingen ihre Gedanken kurz zum morgendlichen Geschehen zurück und sie begann, an den Fingernägeln ihrer linken Hand zu nagen, was sie immer tat, wenn sie angespannt war.

Schliesslich waren alle froh, als Regierungsrat Winiger als Gastgeber zum Rednerpult schritt, um die Teilnehmenden zu verabschieden und allen Referentinnen und Referenten zu danken. Er schaufelte Komplimente und Allgemeinplätze in den Saal – kurz: zusätzliche warme Luft mit wenig Inhalt –, wie das in der Politik halt gang und gäbe war. Als er zum Schluss meinte, dass Europa sich an einer Zeitenschwelle befinde und die Herausforderungen immens bleiben würden, sodass es ohne verstärkte Zusammenarbeit der Kantone und Staaten nicht gehen werde, hatte das sogar etwas Staatsmännisches. Nachdem der Applaus verklungen war, stand Eva Bilic zügig auf, nickte hier und da jemandem zu, ohne noch irgendwo im Small Talk hängen zu bleiben, und verliess das Armee-Ausbildungszentrum. Im Freien schlug ihr die Nachmittagshitze wie eine Glutwelle entgegen und sie verwarf den Gedanken, noch im Büro vorbeizuschauen. Morgen würde auch wieder ein Tag sein und Dringendes, das zu erledigen wäre, gab es im Moment nicht.

6

Timo Braunwalder hatte einen ruhigen Tag im Büro verbracht. Die Klimaanlage im Gebäude hatte für erträgliche Temperaturen gesorgt. Er hatte sich mit einer Einbruchserie auf Baustellen beschäftigt, ohne einen Durchbruch zu erzielen. Immer wieder wurden teure Werkzeuge, Maschinen und vor allem Kupferkabel gestohlen. Offenbar liessen sich diese Dinge rasch zu Geld machen. Nach wie vor stand nicht fest, ob es sich immer um dieselben Täter handelte oder ob verschiedene Gruppen am Werk waren. Er vermutete sogenannte Kriminaltouristen, die sich nur kurz im Land aufhielten und die Beute möglichst rasch über die Grenze schafften. Die Zusammenarbeit zwischen den in- und ausländischen Polizeikorps blieb trotz fortschreitender Digitalisierung schwierig und das erhöhte die Chancen der Täter.

Nachdem er noch den Dieb vernommen hatte, der Eva Bilic am Morgen bestehlen wollte, beschloss er um 16 Uhr, für heute Feierabend zu machen. Der Mann hatte alles zugegeben und kooperiert. Da er drogenabhängig war, brauchte er einfach Geld für seinen Stoff. Beim Verhör hatte er gezittert und sich ständig den Schweiss von der Stirn abgewischt. Er war offenbar auf Turkey und wollte so rasch wie möglich wieder auf die Gasse. Den Fall hatte Braunwalder dann den Kollegen von der Abteilung für Betäubungsmitteldelikte übergeben, die den Klienten kannten.

Jetzt war er zu Hause und sass in Unterhosen und einem T-Shirt am Küchentisch. Vor sich eine Flasche Bier und die Montagsausgabe des Sportmagazins Kicker, das er sich ab und zu kaufte, da er sich für die Bundesliga, besonders für den SC Freiburg, interessierte. Wenn dieser Verein gewann, dann hob sich seine Stimmung immer leicht. Am Wochenende hatten die Freiburger im Südderby gegen den VfB Stuttgart immerhin unentschieden gespielt. Er mochte besonders Christian Streich, den Trainer des SC Freiburg. Die Interviews und seine Sicht des Fussballs waren erhellend und unterhaltsam zugleich. Auch seine Gesellschaftsanalysen, die er in ruhigem Ton vortrug, waren interessant und passten eigentlich nicht zum Bild des typischen Fussballtrainers.

Braunwalder öffnete den Kühlschrank und stellte mit Genugtuung fest, dass von gestern noch zwei Würste, ein Schweinesteak und etwas Kartoffelsalat übrig geblieben waren. Er würde das Fleisch und auch die Würste in der Pfanne braten, denn die Temperaturen auf dem Dach wären mit Sicherheit unerträglich, um am Grill zu stehen. Ausserdem fühlte er sich in seinem Hausdress wohl.

Er nahm das marinierte Steak aus der Frischhaltefolie und legte es in die Bratpfanne. Um Fettspritzer von seinem T-Shirt fernzuhalten, band er sich eine Küchenschürze um.

Nach wenigen Minuten war das Fleisch gar. Er schöpfte sich etwas Kartoffelsalat und liess sich alles schmecken.

Was würde wohl seine Kollegin Eva Bilic heute essen? Seit sie einer veganen Foodbloggerin folgte, hatten sie im Büro immer wieder Diskussionen, was richtige Ernährung sei, und neckten sich manchmal gegenseitig. Sie hatte ihn auch schon als fressgesteuertes Monster bezeichnet, was er mit Fassung entgegengenommen hatte.

Da der Kartoffelsalat bald aufgegessen war, entschied er sich, das Sauerteigbrot, das er am Samstag gekauft hatte, kurz im Ofen aufzubacken, während er die restlichen beiden Würste, eine vom Schwein und eine vom Kalb, in die Pfanne gab. Er zog das Brot kurz durch den Wasserstrahl an der Küchenspüle und schob es in den Ofen. Für die Würste holte er Dijonsenf aus dem Kühlschrank. Er liebte diesen grobkörnigen Senf. Mit seinem Metzger an der Zürichstrasse hatte er schon diskutiert, ob dies den Eigengeschmack der Wurst nicht zu stark in den Hintergrund drängen würde. Der Vater des Metzgers war der Wurstpapst von Luzern gewesen und hatte sämtliche Rezepte seinem Sohn weitergegeben, der den Familienbetrieb jetzt schon in der vierten Generation führte. Als er die Würste in der Pfanne wendete, meldete sich sein Smartphone. Es war Sieglinde Haselbeck, die Kriminaltechnikerin. Er nahm den Anruf entgegen.

«Hallo, Sieglinde! Ich bin grad am Kochen.»

«Oh, was gibt es denn beim Sternekoch?»

Das Wort ‘Sterne’ zog sie in ihrem Salzburger Dialekt wie gewohnt in die Länge, was Braunwalder entzückte.

«Och, nur noch die Reste von gestern», sagte er möglichst beiläufig. «Der Kartoffelsalat ist übrigens spitze.»

«Na, das freut mich, Timo! Hast du schon die Onlineschlagzeile im Boulevard today gesehen? Was war denn da heute mit Eva los?»

«Nein, Sieglinde, habe ich nicht gesehen. Ein Typ hat am Morgen versucht, Eva beim Schwimmen zu bestehlen, worauf sie ihn gerade selbst verhaftet hat. Sag mir doch: Was steht da online?»

«Nun, da ist ein Bild von einer schlanken Frau im Badeanzug, die auf einem Typen kniet und ihm den Arm gegen die Schulter drückt. Darüber steht die Schlagzeile: Bikinifrau überwältigt Badedieb. Im Text steht dann noch, dass dies die stellvertretende Polizeipräsidentin von Luzern sein soll.»

«Das ist ja super! Heldinnen stehen dem Korps gut an», lachte Braunwalder.

«Ich habe dich aber nicht deswegen angerufen, Timo. Kommst du heute Abend noch auf einen Drink an die Reuss? Solche Sommerabende muss man doch einfach geniessen», fügte die Kriminaltechnikerin noch an.

«Ja, da hast du recht! Sagen wir 20.30 Uhr am Schwanenplatz?», antwortete Braunwalder, als er gleichzeitig einen leicht verbrannten Geruch aus dem Backofen wahrnahm.

«Passt, Timo, ich freue mich. Bis dann. Tschüss!»

Sofort begab er sich zum Backofen und holte mit einem Backhandschuh das leicht verkohlte Brot heraus. Immerhin waren die Würste gar gebraten und nicht verbrannt, da er diese beim Telefonieren nicht aus den Augen verloren hatte. Auf Brot konnte er zur Not verzichten und die Aussicht auf einen kühlen Drink an der Reuss, in netter Begleitung, liess ihn mit sich versöhnlich bleiben.

Dienstag

7

Timo Braunwalder sass bereits gut gelaunt im Büro, als Eva Bilic gegen 08.30 Uhr eintraf.

«Hallo, Eva! Gratuliere zu deinem medienwirksamen Auftritt gestern!», begrüsste er sie.

«Ach, Timo, hör auf! Dieses A… von einem Mann, das mich heimlich fotografiert hat, nachdem es die Polizei verständigt hatte, könnte ich erwürgen», gab sie enerviert zurück und liess ihren Rucksack geräuschvoll neben den Bürostuhl fallen.

«Aber warum denn, Eva? Du siehst verdammt gut aus, so richtig taff und durchtrainiert, und mir ist lieber, du lässt deine Aggressionen an solchen Mitmenschen aus, als dass du sie ins Büro oder in die Familie trägst.»

Als seine Kollegin nicht reagierte, sondern scheinbar interessiert in einer Akte zu blättern begann, fragte Braunwalder: «Wie war übrigens dein Seminar gestern?»

«Der Morgen war interessant und der Nachmittag zum Vergessen», sagte sie und startete ihren Computer. «Was hast du gemacht, Timo?»

«Och, dies und das. Nichts Weltbewegendes. Dein Opfer habe ich den Kollegen von der Betäubungsmittelabteilung übergeben. Er war geständig, hat einfach Kohle für Stoff gebraucht.»

«Immer dasselbe! Die Sucht treibt diese Menschen in die Kriminalität. Ohne die engagierten Menschen in der Gassenarbeit wäre die Situation noch viel schlimmer. Danke, Timo! Dann muss ich mich mit diesem Vorfall vorerst nicht mehr beschäftigen.»

Kaum hatte die Kommissarin das gesagt, summte das Telefon von Braunwalder.

Mit einem «Was gibt es, Brunner?» nahm er den Anruf entgegen und lauschte, was der Beamte von der Einsatzzentrale zu sagen hatte.

«Oha!», war das Einzige, was darauf von ihm zu vernehmen war, während ihn Eva Bilic gespannt ansah.

«Okay, wir machen uns auf den Weg. Lass schon mal einen Wagen vorfahren. Tschüss, Dario!»

Er drückte den Anruf weg und wandte sich zu seiner Kollegin.

«Eva, hast du heute schon gebadet?», fragte er dann.

«Warum? Komm, hör auf mit diesen doofen Spielchen, Timo!»

«Mord im Alten Bad. Es gibt also Arbeit.»

«Ich kenne nur das Neubad», sagte Eva Bilic erstaunt. «Wo ist das Alte Bad?»

«Präziser gesagt: im Restaurant Zum alten Bad», fügte Braunwalder schmunzelnd an.

«Ach, Timo! Manchmal bist du wie ein pubertierender Teenager, der die Erwachsenen ärgern will. Seit dem Techtelmechtel mit Sieglinde hat sich das offensichtlich noch verstärkt!»

Braunwalder war aufgestanden und liess mit einer schwungvollen Handbewegung seiner Kollegin den Vortritt. Dabei sah diese, dass die Füsse des Kommissars ohne Socken in schicken Sandalen steckten.

«Sind das neue Sandalen, Timo?», fragte sie auf dem Weg zum Lift.

«Ja, ich habe angesichts des aussergewöhnlichen Sommers wieder einmal ins Outfit investiert. Gefallen sie dir?»

«Wenn du noch nette Socken tragen würdest, wäre es optimal.»

«Ich habe mich heute wegen den zu erwartenden Temperaturen gegen Socken entschieden. Meinst du, ich zeige zu viel Haut, oder hätte ich vorgängig zur Pediküre gehen sollen?

---ENDE DER LESEPROBE---