Lyrik ist tot... Es lebe die Lyrik! - Philipp Anton Mende - E-Book

Lyrik ist tot... Es lebe die Lyrik! E-Book

Philipp Anton Mende

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Beschreibung

Verlassen sind die Barrikaden, die Tabus und Bescheidenheit, die Gleichgewichte sind zerschlagen, fortan Gewalt und blanker Neid. Sie ist dahin, naive Hoffnung Auf Einhalt... kehrt, reaktionär Der Geist im Geiste ist verstummt, der Einheitsbrei wiegt tonnenschwer.

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Der Autor ist als Privatlehrer sowie freier Autor tätig und lebte acht Jahre in China. Neben seinem ersten Lyrikband »Lyrik über alles und nichts« erschienen von ihm bisher zudem drei Sachbücher mit den Schwerpunkten Philosophie, Politik und Evolutionspsychologie: »Die Nihilismus-Party. Eine Achterbahnfahrt im Licht des Nichts«, »Geschosse wider den Einheitsbrei. Politisch unkorrekte Gedanken zur Hirnwäsche weiter Teile einer Nation« sowie »Widerstand. Warum zwischen linker und rechter Politik eine Schlacht der Gene wütet«.

Für Mama und Papa

Inhalt

Vorwort

Schicksalsgaben der Geduld

Spurlos

Prager Wesen

Augenblicke vor der Ankunft

Entpuppung

das ende

Dampf steigt auf

Das Leben auf Griechisch

Eifersucht

Zwei Welten

Prost

Mörilke

Nihil

Venen des Leviathans

Postmodern

Nächte in Hou Sha Yu

Die Freudenvernichterin

Beijing I

Das ewige Laster

Mein Prankenhieb vor der Auslöschung

Als Unterwelten verschmolzen

Taub

Keiner kommt hier lebend raus

Chaos

Die Brü__cke

Geheymtraklt

Der digitale Krieger

Das Lied vom ewigen Sarge

Endkrieg

Ein objektives Gedicht

Das Selbstmitleid des Selbstmörders

Die Himmelserfahrung

Darm

Gewahr

Ruinen

Kontextlose Hölle

Fäkalneid obszön

Geheimes Verlangen

Stillstand

Wir kopflosen Mädchen aus Bommelland

Die rote Eule

Lebewohl

Keine 30

Das Furunkel

Widerstand eines Vaters

Beijing II

Altersschwund

Valletta

Martyrium

Taxiopfer

Der Seher

Stern in Hong Kong

Auf dem Stuhl saß einst ein Bube

Bunte Elefanten, die ihre Form verändern

Hasensonett

Herrndorf

Wahn

An ihrem Grab

Die Kälte einer Kapelle

Der letzte Sprung

Attacken

Schwanengesang

Die Stimmen von der anderen Seite

Zwei

Menschenhospiz

Keitai

Schonzeit schöne

Stern in der Oase

Sklaventsunami

Stern im Morgenwagen

Novembernacht

Krebs im Geiste

Allnacht

(

M)ein Leben

Stichelneid subtil

Keine Ode an den Winter

Corona (März)

Israel

Ich bin es leid

Zwangsgedanken

Asoziale Plattform

Quarantäne

Ohr

Der Kerker

Corona (September)

Weltenclownverein

Weltirrgarten

Abschlussbericht

Der Ochse küsst die Ratte

Dracarys

Frühlingsschlaf

Es war ein Kult

»Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln .«

(Wilhelm Busch)

Vorwort

In der klassischen chinesischen Literatur lassen sich vornehmlich Gedichte (und Essays) finden, Romane hingegen nur sehr vereinzelt. Das liegt unter anderem daran, dass das Verfassen von Lyrik – neben der Kalligraphie – stets fester, also traditioneller Bestandteil des Lebensstils gebildeter Chinesen war. In Deutschland hingegen fand man lange Zeit beides: Weiträumige Lyrik sowie umfangreiche Epik. Heute – wir schreiben das erste Viertel des 21. Jahrhunderts –, kann das »weiträumig« in Bezug auf Lyrik gestrichen werden. Gedichtbände werden im Jahre 214 nach Ende der Weimarer Klassik nur noch von einer Handvoll Interessierter gelesen. Zeiten ändern sich – auch im Land der »Dichter und Denker«. Vorbei sind längst diejenigen, in denen passionierte, lyrische Wort- und Gedankenjongleure in Europa von ihrem Schaffen leben konnten. Paul Valéry (1871-1945) – ein guter Freund des wundervollen Rainer Maria Rilke (18751926) – war beispielsweise der letzte in Frankreich tätige Autor, welcher mit Lyrik seinen Lebensunterhalt bestritten hatte.

Passionierte Lyriker betreiben seither zunehmend eine sogenannte »brotlose Kunst«, erst recht, sofern sie ohne »Vitamin B« als Nachwuchsautoren Fuß fassen möchten. In Gesprächen mit diversen Buchhändlern erfuhr ich, dass sich nur die »Klassiker« verkauften, wobei auch hier die Zahlen tendenziell rückgängig seien. Und selbst hierbei ließe sich die These erörtern, ob jene »Klassiker« in erster Linie eben wegen der sie verkörpernden, berühmten Namen Absatz finden, beispielsweise schon allein vor dem Hintergrund des Germanistikstudiums. Oder anders: Neue Lyrik, selbst wenn sie von der gleichen Qualität wie entsprechende »Klassiker« wäre, fände ohne »Zugpferd-Namen« keine großen Verleger mehr. Man könnte hierbei ein Experiment starten und unterschiedliche, eher unbekanntere Gedichte großer Klassiker, Romantiker, Realisten, Naturalisten oder Expressionisten, deren Namen (meines Erachtens im Übrigen zurecht) weitschweifende Wikipedia-Artikel füllen, unter falschem (und unbekanntem) Namen an Verleger schicken und warten, was geschieht. Ich behaupte: Es geschähe nichts. Neue Lyrik ist weitestgehend tot. Dort, wo sie lebt, presst sie sich entweder einsam zwischen Fremdes in diverse Anthologien; oder sie führt ein eher strapaziertes Schattendasein in vereinzelten Spelunken und Hinterhöfen des Internets, in denen nicht selten die unsägliche Praxis betrieben wird, subjektives Empfinden zum objektiven Maßstab für Ästhetik und Interpretation zu erheben.

Es mag gewiss so klingen, aber hier wird nicht lamentiert. Nein. Der Vorwurf steht erfahrungsgemäß schnell im Raum, sofern sich Menschen einige der Zustände aus vergangenen Zeiten zurückwünschen. »Naiv« seien sie. »Träumer«. »Ewiggestrige«. »Nostalgiker«. »Konservative«. Nun, ich bin es zum Teil gerne. Die Frage, wieso es ein Problem darstelle, einen gleichermaßen harmlosen, produktiven sowie intellektuell stimulierenden Zustand aus der Vergangenheit »konservieren« zu wollen, der keinerlei Schaden anrichtet, wird entweder nicht gestellt oder nicht beantwortet. Damit wird nicht gesagt, »die Vergangenheit« an sich und als Ganzes importieren zu wollen.

Vielmehr handelt es sich um einen Appell (wenngleich auch subjektiven Wunsch), einen gewissen Teil wiederzubeleben. Warum auch nicht? Haben Sie schon einmal Geschriebenes unserer Groß- oder Urgroßeltern mit Texten heutiger Kinder und Jugendlicher verglichen? Freilich lebten Erstere ebenfalls nicht während der Weimarer Klassik, die nur exemplarisch als Höhepunkt europäischer und insbesondere deutscher Lyrik genannt wurde, doch ein gewisser Esprit oder gar diverse »Selbstverständlichkeiten« wurden durchaus über die Zeit aufrecht erhalten. »Konserviert« eben. Ich denke dabei in erster Linie an »kognitive« oder »technische« Fertigkeiten, angefangen beim Grundwortschatz, über Syntax und Grammatik, bis hin zu Interpunktion und Rechtschreibung.

Der begnadete Stefan Zweig (1881-1942) – selbst ebenfalls kein Vertreter, sehr wohl aber Kenner und Bewunderer der Weimarer Klassik – konnte es als Schüler nicht abwarten, nach dem öden Unterricht mit Freunden über Lyrik zu diskutieren und quasi um die Wette zu schreiben. War das schlecht? Falls ja, warum? Ist es heute »obsolet«? »Unzeitgemäß«? Und wieder: Warum sollte es? Weil sich Internet, Online-Gaming etc. hinzugesellt und etwaige Hirnakrobatik auf neue Bereiche verschoben haben? Nicht zwingend. Der Schulzwang trägt hier eine Hauptschuld. Nur die Wenigsten können sich so richtig unter Zwang entfalten und austoben. Wahrscheinlich könnte man auch eine schleichende Abkehr von diversen Spielen registrieren, sofern sie in Staatsschulen »lehrplangestreng« gespielt werden müssten.

Meine ersten Gedichte entstanden 1997 1 , nicht selten während furchtbarer Deutschstunden, in denen die potenzielle Freude an Lyrik (und Epik und Dramatik) durch Zwangsinterpretationen derselben von vornherein im Keim erstickt wurde. Dieses »Trauma« bezüglich Lyrik verankert sich bei vielen potenziell kreativen Köpfen anschließend ein Leben lang. Das nicht totzukriegende, staatliche Schulunwesen leistet (auch hier) ganze »Arbeit«. Im Grunde genommen weiß das auch so gut wie jeder, auch diejenigen, die die Lyrik ihren jungen, Zwangsjacken tragenden Probanden gleich einem Schlaftrunk einflößen.

Geht es mir darum, tatsächlich Modernes – nicht Postmodernes – respektive den technischen Fortschritt einzudämmen? Gar abzulehnen? Mitnichten. Vielmehr würde ich mich über eine kreative Koexistenz freuen. Ich weiß, dass Kinder und Jugendliche mehr als »lol«, »dafuq« und »:-)« draufhaben (könnten). Sehr viel mehr. Worin steckt das Potenzial, der Reiz der Lyrik? Zunächst bietet sie den subjektiven Spielraum, den andere Bereiche nicht bieten oder zumindest nicht bieten sollten, sofern sie ernst genommen werden möchten (Naturwissenschaft, Philosophie usw.). Mit anderen Worten: Man kann sich in ihr austoben, wie es einem beliebt. Sie ist quasi der feuchte Traum antiautoritärer Erziehungsfans, verkörpert jedoch gleichsam ein Paradoxon im Staatsschulwesen: Dort, wo zum Ziele der Vermeidung von Konflikten Objektivität als Autorität auftreten sollte (Ethik, Moral, Ökonomie), breitet sich relativistischegalitaristische Wertebeliebigkeit immer weiter aus; dort, wo sie jedoch ausnahmsweise keinerlei Ansprüche geltend machen kann – Es lebe die Lyrik! –, müssen Jugendliche »richtig« analysieren und interpretieren. Gerade die individuelle und damit zum Teil wild divergierende Interpretation macht jedoch – neben der Freude an etwaiger, sprachlicher Ästhetik – den Hauptreiz der Lyrik aus. Nur so »knistert« sie – ob im Entstehen nun spontan oder konzeptionell, spielt keine Rolle. Wann war sie womöglich spontan? Wann konzeptionell? In welcher Situation befand sich der Autor wohl? Lag er im Bett? Saß er in einem Restaurant oder auf einer Wiese unter einem Baum? War es Tag oder Nacht? Hatte er Schmerzen? Wenn ja, welche? Was will er mitteilen? Wen spricht er überhaupt an? Was steht zwischen den Zeilen? Vor welchem historischgesellschaftlichen Kontext entstanden die Zeilen? Bei der Beantwortung solcher Fragen gibt es innerhalb der Lyrik keine »Musterlösungen«, auch wenn sich das staatliche Schulunwesen nach wie vor anmaßt, das Gegenteil postulieren zu können. – Und damit nicht nur Spaß an Lyrik, sondern auch deren Produktion weiterhin abtötet oder zumindest ausbremst, um nicht zu sagen vergewaltigt. Gleichzeitig perpetuiert sich dadurch, insbesondere unter jungen Menschen, ihre weitläufige »Unbeliebtheit« nachhaltig.

So kam es, dass Lyrik mittlerweile ein Schattendasein in diversen, kleinen Foren führt. Das ist deshalb schade, weil vor allem in der Jugend großes, kreatives, mutiges und nicht zuletzt ehrliches Potenzial für schwungvolle und leidenschaftliche Verse steckte. Denken Sie beispielsweise an Georg Heym (1887-1912) oder Georg Trakl (1887-1914), die tragischerweise beide sehr früh verstarben. Wenn man etwas länger darüber nachdenkt, ist es nur schwer nachvollziehbar, warum Schülern einerseits zwar die stilistisch-ästhetische, die literaturgeschichtliche und philosophisch-soziologische Bedeutung und Wirkung sicherlich brillanter, jedoch längst vergangener Poeten (hie und da noch) eingebläut wird (wenn auch immer derselben), man gleichzeitig aber kaum bis kein Augenmerk und keinen Schwerpunkt auf eigenes Aktiv- und Produktivwerden legt. Lyrik ist wie etwas Totes, dem man zwar, wenn überhaupt, gleich einem alten Museumsgegenstand Tribut und Interesse zollen soll, dabei jedoch kein Bemühen erkennbar ist, das Interesse an ihr, und damit das schlafende Potenzial junger Köpfe, zu wecken. Noch nicht zumindest.