Widerstand - Philipp Anton Mende - E-Book

Widerstand E-Book

Philipp Anton Mende

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Beschreibung

Es gibt eine evolutionspsychologische Grundlage für die eigene politische Haltung, über die bisher kaum gesprochen wird, obwohl sie durch seriöse Wissenschaft von den mitunter renommiertesten Universitäten der Welt untermauert werden kann. Dieses Buch untersucht die These, wonach es ein im politischen Sinne »linkes« und »rechtes Gehirn« gibt, das jeweils mit biologischen Prozessen und evolutionär gewachsenen Entwicklungskapazitäten übereinstimmt. Warum nehmen die Menschen unterschiedliche politische Ideologien an? Warum können Intellektuelle, denen dieselben Tatsachen und Umstände vorgelegt werden, oftmals auf keinen gemeinsamen Nenner kommen? Warum schwingen auf beiden Seiten nicht selten Aggression und Verachtung für die Gegenseite mit? Welche psychologischen Unterströmungen führen dazu, rechte oder linke politische Überzeugungen anzunehmen, und woher kommen sie tatsächlich? Eine Antwort bietet ein aus der Biologie bekanntes Konzept namens r/K-Selektionstheorie. Dieses Buch ist das erste, das eine umfassende Untersuchung dieser bahnbrechenden Idee in deutscher Sprache leistet. Der Autor studierte hierfür zwei Jahre lang einschlägige Fachliteratur und Studien von Wissenschaftlern aller Kontinente. Die Theorie besagt, dass alle Bevölkerungsgruppen dazu neigen, eine von zwei Psychologien (Strategien) zu verwenden, um ihr Verhalten an das Vorhandensein oder Fehlen von Umweltressourcen anzupassen. Die beiden mit »r« und »K« bezeichneten Strategien korrelieren in diesem Zusammenhang auf erstaunlich akkurate Weise mit den Psychologien, die dem politisch linken und rechten Spektrum zugrunde liegen.

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Für Xue und Zoe

Inhalt

1. Einführung

2. Die Schlacht der Gene – Wie der Einfluss von Reproduktionsstrategien mit politischen Ideologien zusammenhängt

2.1 Grundlegendes

2.1.1 Die r/K-Selektionstheorie

2.1.2 K und die Menschheit

2.1.3 Bindungsstörung/Stress und die Folgen

2.1.4 Kritik an der Evolutionspsychologie

2.2 Die Genetik hinter der Politik

2.2.1 Der Einfluss der Amygdala und des anterioren, cingulären Cortex

2.2.2 Der Einfluss des präfrontalen Cortex

2.2.3 Epigenetik

2.2.4 Rechte und linke Theorie

2.2.5 Eine dritte Psychologie

2.3 r und K im politischen Diskurs oder: links versus rechts

2.3.1 Geburtenkontrolle: Abtreibung und »Pille«

2.3.2 Sexuelle versus ökonomische Freiheit

2.3.3 Radikaler Feminismus

2.3.4 Alleinerziehende Mütter

2.3.5 Geschlechtsreife

2.3.6 Ergebnisungleichheit

2.3.7 Einwanderung

2.3.8 Wohlfahrtsstaat versus Rechtsstaat mit privater Wohltätigkeit

3. Widerstand – Einige aktuelle Schlachtbeispiele

3.1 Staunen mit Blac-K Panther

3.2 St-r-ategische Gesellschaftsklempnerei oder: Die EU

3.3 Europa und Mig-r-ation

3.4 Der postmode-r-nistische Kreuzzug der Linken

3.5 Inbegriff einer r-Strategie oder: Der globale Migrationspakt

4. Literaturverzeichnis

4.1 Monographien

4.2 Studien/wissenschaftliche Essays

»Denn: Viel Wissen, viel Ärger, wer das Wissen mehrt,

der mehrt die Sorge.«

Ekklesiastes 1:18

»Die Leute lassen sich so lange am besten manipulieren,

wie sie am wenigsten wissen.«

Edward O. Wilson

1. Einführung

Sie glauben, Sie wüssten, warum Sie politisch ticken, wie Sie ticken? Warum Sie Ihren politischen Gegner nicht ausstehen können oder Politiker X »die Stange halten«, während Sie Politiker Y am liebsten untergehen sehen würden? Sie denken, Ihre politische Einstellung rühre von Ihrer Erziehung? Ihrem Umfeld? Ihrer Bildung? Ihren Gefühlen? Ihrer Vernunft?

Das mag alles zutreffen. Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit. Ein vollständiges Bild soll die in diesem Buch vorgestellte Theorie ermöglichen. Sie werden sich vielleicht fragen, warum Sie von dieser Theorie im Zusammenhang mit Politik mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch nie etwas gehört haben. Die Antwort darauf ist nicht einfach. Ein Grund könnte sicherlich darin liegen, dass sie einem wissenschaftlichen Teilgebiet entstammt, den viele Menschen aus Furcht davor, reflexartig in eine bestimmte politische Ecke gestellt zu werden, vermeiden. Lieber ignorieren. Umgehen. Oder maximal hinsichtlich »harmloser« Begebenheiten akzeptieren.

Die Rede ist von der Genetik. Man erinnere sich beispielsweise nur an die enorme und langanhaltende Kontroverse um Thilo Sarrazins im Jahre 2010 erschienenes Buch »Deutschland schafft sich ab« (das weder hinsichtlich der wissenschaftlichen Faktenlage noch hinsichtlich diverser Lösungsvorschläge sonderlich viel Neues geboten hätte, um es vorsichtig zu formulieren). Noch bevor das Buch erschien (geschweige denn gelesen wurde), waren sich viele Menschen darüber einig, dass die enthaltenen Thesen entweder »blanker Unsinn«, »unwissenschaftlich«, »sozialdarwinistisch«, »hasserfüllt« oder Ähnliches seien, viele andere Menschen hingegen tendierten in ihrer Betrachtung zum genauen Gegenteil.

Warum?

Auch, nachdem das Buch gelesen wurde, blieben die Fronten verhärtet. Welche Studien, Zahlen und Belege Sarrazin auch anführte, an den bis dato vorherrschenden politischen Ansichten der Leser hatte sich kaum etwas verändert. Im Gegenteil, sie wurden eher noch zementiert. Und wieder lautet die Frage: Warum?

Es handelt sich dabei natürlich nur um ein exemplarisches Beispiel von unzähligen. Wir konnten und können am Beispiel Sarrazins ein gesellschaftspolitisches Verhalten erkennen, das sich quer durchs Internet und den darin existierenden sozialen Plattformen zieht. Ob in diversen Facebook-Chroniken oder öffentlichen Kommentarspalten, ob in seitenlangen Diskussionssträngen unter Amazon-Kundenbewertungen, YouTube-Videos oder auf Twitter: Der allgemeine Tenor lautet verstärkt, »Social Media« vergifte die Gesellschaft, einander bekriegende Stämme würden digital aufeinander losgehen und so weiter. Tatsächlich befinden wir uns womöglich nur einmal mehr an einem selektionsbedingten Wendepunkt, der sich in der Geschichte der Menschheit zyklisch zu vollziehen scheint und von daher selbstverständlich auch vor »Social Media« stattfand beziehungsweise ohne. »Social Media« beschleunigt höchstens den Prozess.

Gerne können wir dieses Phänomen anhand eines Experiments auf die Probe stellen. Als Grundlage für das Experiment dient hierbei eine Meinungsverschiedenheit zweier »User«, wie sie sich erstens tatsächlich und zweitens täglich hundert- und tausendfach in den Weiten des Internets manifestiert.

Wir beginnen bei diesem Experiment mit einem Zitat des Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich August von Hayek (1899-1992), das Person A auf einer »sozialen Plattform« zur Disposition stellte. Es lautet:

»Wir verdanken den Amerikanern eine große Bereicherung der Sprache durch den bezeichnenden Ausdruck weasel-word. So wie das kleine Raubtier, das auch wir Wiesel nennen, angeblich aus einem Ei allen Inhalt heraussaugen kann, ohne dass man dies nachher der leeren Schale anmerkt, so sind die Wiesel-Wörter jene, die, wenn man sie einem Wort hinzufügt, dieses Wort jedes Inhalts und jeder Bedeutung berauben. Ich glaube, das Wiesel-Wort par excellence ist das Wort sozial. Was es eigentlich heißt, weiß niemand. Wahr ist nur, dass eine soziale Marktwirtschaft keine Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine Gerechtigkeit – und ich fürchte auch, soziale Demokratie keine Demokratie ist.«1

Je nachdem, lieber Leser, wo Sie sich politisch verorten, empfinden Sie diese Worte nun wahrscheinlich (oder zumindest in der Tendenz) entweder als falsch, abstoßend, »kalt« oder aber als richtig, einleuchtend und rational.

Person B, die zur ersten Fraktion zählte, entgegnete daraufhin – nicht ohne den in der Regel emotional-sarkastischen Unterton –, Leute wie Hayek seien »asozial«, arbeiteten mit »Tricks«, um ihre »gewissenlose Ideologie« zu verbreiten. Leute wie er glaubten ungeheuerlicherweise, dass »absolute Freiheit« wichtiger sei als das Überleben, ein Mindestmaß an Wohlstand und an Sicherheit. Wenn jemand auf der Straße verhungere, sei er eben selbst schuld, dass er nicht schlau genug war, sein Leben auf die Reihe zu kriegen, und keiner sei ihm zu irgendetwas verpflichtet, schon gar nicht die Gesellschaft. Aber – Achtung Sarkasmus – zumindest schränke niemand seine Grund- und Freiheitsrechte ein. Er habe auch das »Recht zu krepieren«, und niemand dürfe ihn zu irgendetwas zwingen. Das sei Hayek – in wenigen Sätzen erklärt. Auch hier gehe ich davon aus, dass Sie dieser Entgegnung nun tendenziell oder vollumfänglich beipflichten oder aber sich erneut in Ihrer Denkweise provoziert oder herausgefordert fühlen.

Genau dies war in besagter Online-Diskussion bei Person A der Fall. Letztere glaubte nun, Person B mit einer Art »Fakten-Tsunami« in die Flucht schlagen zu können. Auf die teilweise ebenfalls von Emotionen getriebene Anklage, Person B sei ein ignoranter Sozialist und habe – »wie unter Sozialisten üblich« – keine Ahnung von Hayek geschweige denn je ein Werk von ihm gelesen, begann Person A seine lange Entgegnung mit dem Hinweis darauf, dass Menschen, die das Leben eines verhungernden Obdachlosen retten können, die »moralische Pflicht« besäßen, dies auch zu tun.

Es gebe aber keinen Grund, weshalb sich der Staat dabei einmischen müsse. Im Gegenteil: Erzwungene Solidarität sei keine Solidarität. Handlungen könnten nur dann einen ethischen Wert haben, wenn sie freiwillig erfolgen. Freie Marktwirtschaft sei zum Großteil schlichtweg evidenz- und wissenschaftsbasierte Wirtschaftspolitik, wobei Wirtschaftsliberalismus und Humanismus Hand in Hand gingen und der Grund dafür in der exorbitanten Menge an Wohlstand liege, die zerstört beziehungsweise Armut, die verursacht würde durch

viel zu hohe Steuern, (Sozial-)Abgaben und Staatsquoten,

zu hohe Staatsausgaben und Staatsschulden,

Überregulierung und Bürokratie,

nicht ausreichend gerechtfertigte Verbote und Vorschriften,

Quoten, Subventionen, Eingriffe in die freie Preisbildung und sonstige wirtschaftliche Interventionen.

Person A verwies vor diesem Kontext auf den weltweit vorhandenen, sehr starken Zusammenhang zwischen Wohlstand, Lebensqualität und hohen Werten beim Human Development Index (HDI) 2 einerseits und wirtschaftlicher Freiheit (gemessen durch Steuer- und Abgabenbelastung, Freiheit des Unternehmertums, Schutz von Privateigentum, Freiheit und Offenheit von Märkten, Regulierungsdichte, Freiheit des Handels) andererseits.

Abbildung 1:3

Genauso stark sei – unter Verweis auf den Heritage Economic Freedeom Index4 – der Zusammenhang zwischen Armut, Elend und wirtschaftlicher Unfreiheit. Auch grafisch ließe er sich darstellen (siehe Abbildung 1). Der HDI, so Person A weiter, sei ein Wohlstandsindikator, der Lebenserwartung, Bildungsniveau und Pro-Kopf-Einkommen zusammenfasse. Ein Land mit überdurchschnittlicher wirtschaftlicher Freiheit habe fast garantiert auch einen überdurchschnittlichen HDI (siehe Abbildung 2). Person A verwies darauf, dass die Rate extremer Armut in den am wenigsten freien Ländern bei 41,5 Prozent liege, jedoch nur bei 2,7 Prozent unter den freiesten Volkswirtschaften.

Abbildung 2:5

Die Rate der »moderaten Armut« liege beim Quartil der wirtschaftlich unfreiesten Länder bei 57,4 Prozent, im Quartil der wirtschaftlich freiesten Länder dagegen bei 3,6 Prozent. Damit zusammen hänge, dass die Lebenserwartung in Ländern mit größerer wirtschaftlicher Freiheit deutlich höher sei als in Ländern mit geringer wirtschaftlicher Freiheit.

Im Quartil der Länder mit der geringsten wirtschaftlichen Freiheit liege die Lebenserwartung bei 60,7 Jahren, im Quartil der wirtschaftlich freiesten Länder dagegen bei 79,4 Jahren. Die Lebenserwartung sei also in wirtschaftlich freieren Ländern fast 20 Jahre höher als in wirtschaftlich unfreien Ländern. Es gebe ferner kein einziges Land auf der Welt, das ein hohes Maß an wirtschaftlicher Freiheit habe und trotzdem arm sei. Freie Volkswirtschaften seien gesunde und wohlhabende Volkswirtschaften.6

Gleichzeitig würden die wirtschaftlich unfreiesten Länder der Welt (beispielsweise Nordkorea, Venezuela, die Republik Kongo oder Zimbabwe) allesamt in Armut und Elend versinken. Person A sagte ferner, »Linke« würden »klassisch Liberalen« oder »Libertären« gern »soziale Kälte« und Gleichgültigkeit gegenüber Armen vorwerfen, dabei verhielte es sich in Wahrheit genau umgekehrt: Wenige Dinge seien sozial verheerender als wirtschaftsfeindliche Politik, hohe Steuern, Überregulierung und zentralstaatliche Steuerung, wobei gerade arme Bevölkerungsschichten am meisten von freier Marktwirtschaft profitierten. Auch hierbei verwies Person A auf den Umstand, es gebe zahlreiche Studien darüber, bei welcher Staatsquote der Wohlstand in der Bevölkerung am stärksten zunehme und die Armut am stärksten zurückgehe. Ergebnis: Die optimale Staatsquote liege zwischen 15 und 29 Prozent.7

In Deutschland liegt die Staatsquote (bei sehr gutem Willen) mittlerweile schon bei 45 Prozent, also um das Doppelte zu hoch. Damit haben wir ein Pro-Kopf-BIP von 48.000 USD. Zum Vergleich ein paar andere Staatsquoten und Pro-Kopf-BIPs:

31 Prozent / 128.000 USD in Katar,

19 Prozent / 90.000 USD in Singapur,

28 Prozent / 69.000 USD in Irland,

36 Prozent / 57.000 USD in den USA und

33 Prozent / 63.000 USD in der Schweiz.

Leider sei laut Person A im deutschsprachigen Raum die Tatsache kaum bekannt, dass Steuern Wohlstand nicht nur umverteilen, sondern ihn auch zerstören. Das liege zum einen an den Fehlanreizen, die Besteuerung von Arbeit mit sich bringe und zum anderen an der Ineffizienz staatlicher Bürokratie und staatlicher Entscheidungsprozesse. Immer wenn der Staat einen Euro durch Besteuerung einnehme und damit etwas machen wolle, komme am Zielort nur noch ein Bruchteil davon an, zum Beispiel 40 Cent. Der Rest sei volkswirtschaftlicher Totalverlust, quasi wie im Klo herunter gespült.

Durch niedrigere Steuern und Abgaben könnten wir alle (auch Geringverdiener) schon längst viel wohlhabender sein als jetzt, genau wie die Menschen in anderen Ländern mit deutlich niedrigerer Staatsquote. Auch das kanadische Fraser Institute messe seit Jahren das Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit in fast allen Ländern der Welt. Wenn man diesen »Economic Freedom Score« eines Landes in Zusammenhang mit dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen setze, falle auf, dass Menschen im wirtschaftlich freiesten Viertel der Länder durchschnittlich siebenmal so viel wie Menschen im wirtschaftlich unfreiesten Viertel der Länder verdienten. Wirtschaftliche Freiheit mache wohlhabend.

Unter Verweis auf das Fraser Institute8 fragte Person A, ob sich denn nun aber alles die Reichen in die Tasche stecken würden oder ob es den Armen in wirtschaftlich freien Ländern ebenfalls besser gehe? Entschieden Letzteres: Das durchschnittliche Einkommen der ärmsten zehn Prozent sei in den wirtschaftlich freiesten Ländern sogar 10-mal höher als in den wirtschaftlich unfreiesten. Die Ärmsten profitierten also sogar überproportional von wirtschaftlicher Freiheit. Gerade zur Bekämpfung von Armut und Elend gebe es kein besseres Mittel als die freie Marktwirtschaft.

Nun könne man als wissenschaftlich gebildeter Mensch natürlich immer »Korrelation beweist keine Kausalität« einwenden. Es gibt aber zahlreiche, tiefergehende Studien9, die den Kausalzusammenhang belegen und tatsächlich wirtschaftliche Freiheit als Ursache von Wohlstand beziehungsweise wirtschaftliche Unfreiheit als Ursache von Armut nachweisen. Abschließend, so Person A, gebe es denselben Zusammenhang im Übrigen nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch innerhalb von Ländern.

Zum Beispiel vergleiche die lesenswerte und von der Cambridge University veröffentlichte Studie »Economic Freedom and Growth Across German Districts« 10 alle deutschen Landkreise miteinander und finde ebenfalls einen starken und robusten Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Freiheit, Einkommen und Wirtschaftswachstum. Die Effekte seien enorm. Wenn beispielsweise wirtschaftlich unfreie Landkreise wie Herne, Oberhausen oder Südwestpfalz einfach nur die Wirtschaftspolitik der wirtschaftlich freiesten deutschen Landkreise (wie zum Beispiel Rosenheim) übernehmen würden, könnte dort alleine dadurch das Pro-Kopf-Einkommen langfristig um 80 bis 110 Prozent steigen.

So weit, so gut. Wenn Sie nun nach alledem glauben, Person B habe sich von dieser Entgegnung auch nur im Entferntesten beeindruckt gezeigt, liegen Sie falsch. Wer weiß, vielleicht verhält es sich bei Ihnen ebenso. Vielleicht sehen Sie die Sache aber auch genauso wie Person A oder zumindest ähnlich. Natürlich wurde die gesamte Debatte noch über mehrere Tage und mit vielen Beiträgen fortgesetzt, wobei man sich allerdings nicht einen Schritt aufeinander zubewegte und letztlich voller Verachtung für den jeweils anderen von dannen zog. Die passivere Person B, die auf die nachprüfbaren respektive evidenzbasierten, langen Beiträge von Person A weitestgehend mit Emotionen reagierte, war sich ihrer Überzeugung am Ende, und das ist weder Zufall noch Einzelfall, noch sicherer als zu Beginn der Debatte. Eine Theorie, warum dem so ist, besteht im sogenannten »Backfire effect«, der auf Basis mehrerer Studien11 besagt, dass sich (politische) Überzeugungen angesichts von Gegenbelegen oder -beweisen nicht ändern, sondern sie stattdessen noch stärker verinnerlicht werden. In einigen psychologischen Tests wurde der Effekt experimentell demonstriert, wobei man den Probanden Daten präsentierte, die entweder ihre bestehenden Vorurteile verstärkten oder ihnen entgegenwirkten. In den meisten Fällen konnte gezeigt werden, dass Menschen ihr Vertrauen in ihre frühere Position unabhängig von den Beweisen, denen sie ausgesetzt waren, erhöhten. Man könnte vor diesem Kontext, ausgehend von den Studien zum Backfire effect, beispielsweise sogar soweit gehen und behaupten, dass Sie online niemals einen Streit gewinnen können. Beginnen Sie damit, Fakten und Zahlen, Hyperlinks und Zitate ins Feld zu führen, bekräftigen Sie Ihren Gegner tatsächlich noch in seiner Position und machen ihn diesbezüglich noch sicherer als vor Beginn der Debatte. Dasselbe ist auch umgekehrt der Fall. Der Effekt verstärkt Sie beide mit hoher Wahrscheinlichkeit noch tiefer in Ihren ursprünglichen Positionen.12

Aber warum ist das so?

Einige Psychologen denken, dass es eine evolutionäre Erklärung dafür gibt. Unsere Vorfahren verbrachten mehr Zeit damit, ihre Aufmerksamkeit auf negative Reize (Stimuli) zu richten beziehungsweise über jene nachzudenken, da es die schlechten Dinge waren, die eine Reaktion erforderten. Diejenigen, die negative Reize nicht adressierten, konnten langfristig nicht überleben.13

Diese Erklärung ist allerdings etwas dürftig. Eine umfassendere soll dieses Buch bieten. In vielen Artikeln, Büchern und Vorträgen werden sowohl sozioökonomische als auch moralische Verhaltensweisen und sich daraus ergebene Probleme oder Missstände scharf attackiert und benannt.14 Als Wurzeln dieser Probleme und Missstände werden nach meinem Empfinden allerdings stets dieselben (unzureichenden) Gründe angeführt, die ich oben bereits andeutete: Erziehung, Umfeld, Bildung, Propaganda, Indoktrination und so weiter. Sicherlich mögen all diese Begebenheiten bei einer Analyse ihre Berechtigung haben. Dennoch stellen sie nur Symptome, Mosaiksteinchen, Resultate einer tieferliegenden Wurzel dar. So zumindest laut der Theorie der hier vorliegenden Arbeit.

Die übergeordnete These besteht darin, dass es ein im politischen Sinne »linkes« und »rechtes« Gehirn gibt, das jeweils mit biologischen Prozessen und evolutionär gewachsenen Entwicklungskapazitäten übereinstimmt.

Letztere wiederum wurden in der Geschichte der Biologie gut bis sehr gut dokumentiert und beschrieben, darüber hinaus, wie zu zeigen sein wird, ebenso in anderen neurowissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere der Psychologie und Physiologie.

Das Fundament für diese These bildet eine Theorie, die in der Wissenschaft als r/K-Selektionstheorie bekannt und nicht neu ist. Mit ihr wird keineswegs Unfehlbarkeit postuliert – das ist die Aufgabe des Glaubens beziehungsweise der Religionen und postmodernistischen Ersatzreligionen –, im schlimmsten Falle handelt es sich bei ihr um eine ausgezeichnete Analogie, im besten Falle bietet die Theorie jedoch eine sichere Erklärung für die politische Realität sowie den sich daraus ergebenen, politischen Diskurs.

Im Hauptteil (2. Die Schlacht der Gene) wird es zunächst (2.1) darum gehen, grundlegende Begrifflichkeiten und Komponenten dieser Theorie vorzustellen und zu erklären, welche für ein allgemeines Verständnis beziehungsweise das Nachvollziehen der oben genannten These unabdingbar sind.

Im darauffolgenden Abschnitt (2.2 Die Genetik hinter der Politik) wird detailliert auf grundlegende physiologische Unterschiede zwischen den beiden Gehirnen eingegangen. Der emeritierte österreichische Professor für Physiologie, Dr. Helmut Hinghofer-Szalkay, definiert die physiologische Forschung als Untersuchung von Lebensvorgängen, »unter besonderer Beachtung optimaler Funktionsweisen. Sie stellt Fragen zur Homöostase, das heißt die Stabilisierung bestimmter Zustandsvariablen im Organismus; zur Resilienz, das heißt Belastbarkeit bei plötzlichen Herausforderungen; oder zur Adaptation, das heißt, wie Anpassung an sich ändernde Umgebungsbedingungen erfolgt. Der Fachbereich ist untergliedert in Subdisziplinen, die sich an definierten Funktionen von Zellen, Geweben, Organen und Organismen orientieren – zum Beispiel Transportvorgänge, Säure-Basen-Haushalt, Wärmeregulation, Orientierung et cetera. Eine klassische Unterscheidung ist die in vegetative (Atmung, Kreislauf, Verdauung und so weiter) und animalische Physiologie (Sinnesleistungen, Nervensystem, Bewegung und so weiter). Andere Kriterien zentrieren sich um Aspekte wie Genetik, Molekularbiologie, Organfunktion et cetera. Ein Schlüsselbegriff der Physiologie ist der des Systems: Ein organisiertes Ganzes, das Funktionen erfüllt, das seine Bestandteile getrennt voneinander nicht erfüllen können. Ein physiologisches System ist anpassungsfähig, hat einen Stoffwechsel, und verfügt über zusätzliche Attribute, die man dem Phänomen Leben insgesamt zuschreibt.«15

Vor diesem Hintergrund werden, daran anknüpfend, im nächsten Abschnitt (2.3 Das genetische Schlachtfeld der Politik oder: links und rechts)soziale beziehungsweise sozioökonomische Themenbereiche aufgegriffen, die seit jeher politischen Sprengstoff in sich bergen. Dabei wird sich zeigen, dass die Gründe und der Ursprung für den niemals endenden Konflikt zwischen »links« und »rechts« in erster Linie nicht etwa in der jeweiligen Umwelt, Erziehung und Bildung zu verorten sind. Stattdessen sind jene (wichtige) Einflüsse das natürliche und direkte Ergebnis eines evolutionsbiologischen und -psychologischen, genetischen Selektionsprozesses.

Abschließend, nach dem Hauptteil, werde ich im letzten Block (3. Widerstand – Einige aktuelle Schlachtbeispiele) anhand von fünf weiteren brisanten sowie gesellschaftsrelevanten Begebenheiten auf kritische Weise verdeutlichen, wie sich die Theorie in unserem aktuellen Alltag in praxi manifestiert.

Historisch betrachtet, geht die Unterscheidung zwischen politisch »links« und »rechts« auf die Sitzordnung der französischen Abgeordnetenkammer aus dem Jahre 1814 zurück. Dabei saßen, vom Präsidenten aus gesehen, auf der linken Seite diejenigen Parteien, die sowohl politische als auch gesellschaftliche Veränderungen anstrebten. Auf der rechten Seite hingegen befanden sich diejenigen Parteien, welche die bestehenden Verhältnisse erhalten (»konservieren«) wollten, weshalb sie heute auch »Konservative« genannt werden.

Im heutigen Sinne ist diese Unterteilung freilich nicht mehr zeitgemäß, zumal es mittlerweile eher umgekehrt ist: »Rechte« (in Deutschland) wollen die bestehenden Verhältnisse stärker verändern als »Linke«. Meines Erachtens ist es sinnvoller, die beiden Positionen heutzutage nicht an den Wunsch des Erhalts beziehungsweise Nicht-Erhalts des bestehenden politischen Systems zu koppeln, sondern an deren unterschiedliche Agenda, Werte und Überzeugungen.

So wollen »Rechte« beispielsweise nicht grundsätzlich das bestehende System erhalten oder konservieren, sondern traditionelle Werte und Normen, beispielsweise ein größeres Maß an individueller Freiheit, welche als wichtiger erachtet wird als eine »soziale Gleichheit«, welche wiederum »Linke« als wichtiger empfinden. Das Anerkennen einer natürlichen Ungleichheit der Menschen und daraus hervorgehenden, natürlichen Hierarchien ist für »Rechte« tendenziell etwas Selbstverständliches, Normales und Wünschenswertes16, aber auch Faktoren wie ökonomischer Wettbewerb (freie Marktwirtschaft), Disziplin, Autorität, geregelte Umgangsformen und das Nationale können, wie wir sehen werden, typischerweise mit »rechten« Werten assoziiert werden. Dagegen neigen »Linke« eher dazu, die »Freiheit der Allgemeinheit« über der individuellen anzusiedeln. Mit linken Werten werden allgemeinhin Faktoren wie »soziale Gleichheit« beziehungsweise Egalitarismus17, Formlosigkeit, Spontaneität und das Internationale verbunden. Selbst auf der Homepage der »Bundeszentrale für politische Bildung« heißt es:

»Als linke Werte gelten danach: Gleichheit, Gerechtigkeit, Nähe, Wärme, Formlosigkeit, das ,Du‘, Spontaneität, das Internationale und Kosmopolitische. Ihnen stehen als rechte Werte gegenüber: Betonung der Unterschiede, Autorität, Distanz, geregelte Umgangsformen, das ,Sie‘, Disziplin, das Nationale. In der Wirtschaft sind linke Werte: Staatliche Planung, öffentliche Kontrolle, [hingegen] rechte Werte: Privatwirtschaft und Wettbewerb. Freiheit verstehen Linke zuerst als Freiheit von Not. Der Staat soll sich um soziale Sicherheit und Geborgenheit kümmern. Rechte verstehen Freiheit umgekehrt zuerst als Freiheit von staatlicher Gängelung und staatlichem Zwang. Sie schätzen Anstrengung, Risikobereitschaft, Eigenaktivität. Das zentrale linke Anliegen ist Solidarität mit den Schwächeren.«18

Sie werden in diesem Buch nichts von einer »politischen Mitte« lesen, stattdessen sehr häufig das Wort »tendenziell«. Das hat den Grund, dass selbst diejenigen oder auch diejenigen, die sich offiziell einer angeblichen »Mitte« zuordnen (ein Trick, um Wählerstimmen auf beiden Seiten zu erhalten), tendenziell mehr zum »linken« oder »rechten« Spektrum neigen – in unserer aktuellen politischen Landschaft sogar stärker denn je. Auch eine »Mitte«, ja, selbst ein König in der Mitte würde letztlich nach einer gefällten Entscheidung oder Anordnung (tendenziell oder vollständig) entweder die »linke« oder die »rechte« Seite zufrieden(er) stellen.

Des Weiteren betone ich, dass ich von »links« und »rechts« beziehungsweise »Linken« und »Rechten« im Allgemeinen sprechen werde, was nicht bedeutet, dass sich demnach generell jeder einzelne Betroffene so oder so verhält. Natürlich mag es diverse Zwischenstufen, Abstufungen und graduelle Schattierungen geben. Für das Große und Ganze beziehungsweise ein allgemeines Verständnis hinsichtlich des zu untersuchenden Phänomens spielen sie jedoch keine Rolle, weshalb fortan auch auf die eben diese Nicht-Generalisierung implizierenden Anführungszeichen der beiden Begriffe (links und rechts) verzichtet wird.

Linke sind wesentlich häufiger »atheistisch« als Rechte19 und berufen sich – auch nach eigenen Erfahrungen – beim Thema Religion gerne auf Naturwissenschaften. Charles Darwin (1809–1882) und seine Evolutionstheorie kommen ihnen bei Fragen des menschlichen Ursprungs sehr gelegen, sofern es um klassisch-religiöse Debatten geht. So gesehen sollten sie mit den evolutionspsychologischen Ausführungen und den davon abgeleiteten Schlussfolgerungen in diesem Buch keine Probleme haben. Oder anders: Da Ihnen darwinistische Prinzipien begegnen werden, die leicht angewendet werden können, um das Verhalten nichtmenschlicher Tiere auf menschliches Verhalten zu übertragen beziehungsweise letzteres zu erklären, während gleichzeitig akzeptiert wird, wie Darwin argumentierte und wie nachfolgende genetische Beweise belegt haben, dass der Mensch von einem gemeinsamen Vorfahren mit dem Schimpansen abstammt und im Wesentlichen eine Form eines hochentwickelten Affen ist, sollten die bevorstehenden Ausführungen völlig unproblematisch sein.

Nach Abschluss der Lektüre werden Sie verstehen, warum Linke wieder und wieder davon sprachen, sprechen und sprechen werden, dass der Sozialismus, der »demokratische Sozialismus« oder sonst eine sozialistische Variation »nur noch nicht richtig umgesetzt wurde«, obwohl er in sämtlichen Ländern – quer über den gesamten Globus verstreut – unabhängig voneinander auf desaströse Weise scheitert(e) sowie menschliche Katastrophen unfassbaren Ausmaßes nach sich zog und zieht. (Um genau zu sein, scheiterte er seit 1917 vierundachtzigmal, zieht man Venezuela augenblicklich als das jüngste Beispiel heran.20) Sie werden verstehen, warum wieder und wieder der »Kapitalismus« (also Vertragsfreiheit + freier Wettbewerb) für die unter Garantie folgenden Probleme sozialistischer, »sozialdemokratischer« und anders schattierter, vermeintlich »sozialer« Gesetzgebung als Sündenbock herangezogen wird oder besser: herangezogen werden muss, und warum diesbezüglich jede Aufklärungsarbeit weitestgehend sinnlos war, ist und sein wird. Der Grund: Menschen müssten, so die These, gegen ihre eigene genetische Veranlagung handeln – ein Ding der Unmöglichkeit.

Nach Abschluss der Lektüre werden darüber hinaus zwei weitere Begebenheiten evident sein. Zum einen werden Sie nachvollziehen können, dass der permanente Widerstand unter Menschen – und der Aufruf dazu – einen genetisch bedingten und damit natürlichen Ist-Zustand (auch) innerhalb unserer Spezies markiert. Zum anderen werden Sie begreifen, warum politische Debatten letzten Endes Zeitverschwendung beziehungsweise sinnlos sind. Diese Erkenntnis wiederum kann zwar unglaublich befreiende Wirkung haben, bedeutet allerdings nicht automatisch, Widerstand grundsätzlich zu vermeiden. Jedenfalls nicht, sofern man nicht tatenlos mit ansehen möchte, wie sich Katastrophen unterschiedlicher Art erst anbahnen, einnisten und schließlich vollends entfalten.

Je hsyterischerweite Teile einerGesellschaftauf bestimmte Themenreagieren, desto wichtiger wird es, diese Themen unaufgeregtanzugehen.

1 Hayek (2004), S. 61 f.

2 Wikipedia, Human Development Index, URL: https://tinyurl.com/6qr2oal, Abruf am 06.04.2019.

3 Bildquelle: Liberal.hr, URL: https://tinyurl.com/y6tzdyt5, Abruf am 06.04.2019.

4 The Heritage Foundation, Index of Economic Freedom, URL: https://www.heritage.org/index/ranking, Abruf am 06.04.2019.

5 Bildquelle: YouthDebates, URL: https://tinyurl.com/y6o4q26y, Abruf am 06.04.2019.

6 Mitchell, Matthew D.: What Can Government Do To Create Jobs?, in: Mercatus Center – George Mason University, 01.02.2012, URL: https://tinyurl.com/y5vakqho, Abruf am 06.04.2019.

7 Facebook (mit Übersicht zu den entsprechenden Quellen von usgovernmentspending.com): Unbiased America, 25.09.2017, URL: https://tinyurl.com/yx9rmgp2, Abruf am 07.04.2019.

8 Fraser Institute, Economic Freedom (2018), URL: https://tinyurl.com/yylek5mz, Abruf am 07.04.2019.

9 Dawson (2003); Faria et al. (2009).

10 Spruk & Keseljevic (2017).

11 Nyhan & Reifler (2010); Wood & Porter (2018).

12 McRaney, David: The Backfire Effect, in: You are not so smart, 10.06.2011, URL: https://tinyurl.com/y4frx3f5, Abruf am 07.04.2019.

13 Ebenda.

14 Ich selbst falle darunter, schrieb ich einst mit Geschosse wider den Einheitsbrei. Politisch unkorrekte Gedanken zur Hirnwäsche weiter Teile einer Nation (Grevenbroich 2017) – persönlich betroffen – eine in einigen Teilen wütende Anklageschrift, deren 3. sehr stark erweiterte und komplett überarbeitete Auflage 2024 erschien.

15 Hinghofer-Szalkay: Was ist Physiologie?, in: Physiologie, URL: http://physiologie.cc/I.0.htm, Abruf am 16.03.2019.

16 Goldthorpe (1985), S. 156; Bobbio & Cameron (1996), S. 51-62.

17 Bobbio & Cameron (1996), S. 37; Thompson (1997), S. 4; Smith & Tatalovich (2003), S. 30; Ball (2005), S. 614.

18 Bundeszentrale für politische Bildung (nach Thurich): Rechts-Links-Schema, URL: https://tinyurl.com/nazbmbn, Abruf am 16.03.2019.

19 Mende (2018/19), S. 300-308.

20 Laut Wikipedia bezeichneten sich in diesem Zeitraum 61 Staaten selbst als sozialistisch. Addiert man alle Regime, die sich seit 1917 über weitreichende Verstaatlichungen der Wirtschaft und/oder Bodenreformen und die entsprechende Ideologie als sozialistisch/kommunistisch identifizieren lassen, kommt man (bisher) auf mindestens 84, höchstens auf 116. Vergleiche Wikipedia: List of socialist states, URL: https://tinyurl.com/ooc6efa, Abruf am 16.03.2019.

2. Die Schlacht der Gene – Wie der Einfluss von Reproduktionsstrategien mit politischen Ideologien zusammenhängt

2.1 Grundlegendes

2.1.1 Die r/K-Selektionstheorie

Die sogenannte r/K-Selektionstheorie (auch: das r-K-Modell) bietet eine Erklärung für die Ursprünge politischer Ideologien. Sie geht im Wesentlichen auf die Arbeiten der amerikanischen Ökologen und Biologen Prof. Dr. Robert MacArthur (1930-1972) sowie Prof. Dr. Edward Osborne Wilson (1929–2021) zurück21, wurde aber, wie zu zeigen sein wird, auch von einer Vielzahl weiterer Wissenschaftler aufgegriffen, empirisch untersucht und verfeinert. Sie ist Teil der Evolutionspsychologie, welche, als Forschungszweig der Psychologie, wiederum eng mit der Soziobiologie verbunden ist.22 Der Anthropologe Prof. Dr. Edward Dutton geht einen Schritt weiter und beschreibt die Soziobiologie »effektiv als das, was heute allgemein als Evolutionspsychologie bezeichnet wird.«23

Die Evolutionspsychologie bildet laut Dutton einen Ansatz, menschliches Verhalten aus einer evolutionären Perspektive zu verstehen. Befürworter argumentieren, dass menschliches Verhalten verstanden werden kann, indem entwickelte Anpassungen an das Umfeld der Vorfahren untersucht werden, und dass Verhaltensweisen, die allen Kulturen gemeinsam sind, wahrscheinlich psychologische Anpassungen widerspiegeln. Bestimmte psychologische Anpassungen stellten einen evolutionären Vorteil dar, die Anpassungen breiteten sich aus, und dementsprechend sind heute nur diejenigen am Leben, die von Menschen mit diesen Anpassungen abstammen. Natürlich waren einige psychologische Anpassungen weniger vorteilhaft als andere oder nur in bestimmten Umgebungen beziehungsweise nur in bestimmten Zeiträumen vorteilhaft, so dass es bei psychologischen Anpassungen eine gewisse Populationsvarianz gibt.

Evolutionspsychologen argumentieren, dass Menschen am besten als fortgeschrittene Affen verstanden werden können, dass das menschliche Gehirn ein der Evolution unterworfenes physisches Organ ist; dass die menschliche Natur angeboren ist und dass das menschliche Verhalten ein Produkt dieser angeborenen menschlichen Natur ist, welches auf eine gegebene Umgebung reagiert. Eine Vielzahl von Beweisen wurde für diese Perspektive vorgelegt.24 Wie wir sehen werden, erklären evolutionspsychologische Erklärungen im Vergleich zu rein ökologischen beziehungsweise umweltbedingten Ansätzen am meisten, lassen weniger Fragen unbeantwortet, und gründen sich in Wissenschaft und Logik. Die alternativen Ansätze, die sich allesamt aus Formen respektive Unterkategorien des Konstruktivismus rekrutieren, lassen (zu viele) Fragen offen und erklären weniger.25

Im Allgemeinen könne hierbei eine Reihe von Problemen mit allen konstruktivistischen Theorien hervorgehoben werden.26 Am offensichtlichsten ist, dass sie alle von kulturellem oder ökologisch-umweltbezogenem Determinismus untermauert sind. Ein Beispiel: Wenn man sich auf Dr. Frederik Barth27 (1928-2016) konzentriert, der gemeinhin als Hauptvertreter der »konstruktivistischen Instrumentalisten« gilt, und fragt, warum eine ethnische Gruppe eine kulturelle Praxis übernommen hat und deren Nachbar eine andere, so lautet seine Antwort, dass sie jeweils eine andere Geschichte haben.

»Geschichte« wiederum dreht sich um das Verhalten einer Kultur innerhalb eines festgelegten Zeitraums. Wenn wir also die Frage stellen, warum die beiden Gruppen unterschiedliche Geschichten haben, muss die Antwort lauten, dass sie unterschiedliche Kulturen haben; und sie wiederum haben unterschiedliche Kulturen, weil sie unterschiedliche Geschichten haben. Am Ende stehen wir vor einer zirkulären Argumentation, die nur gelöst werden kann, indem zum Beispiel Geschichte an sich »verdinglicht« wird und alsdann verschiedene Geschichten so konzipiert werden, dass sie quasi wie Blitzschläge vom Himmel fallen und in verschiedenen Kulturen landen. Es zeigt sich hierbei eine Parallele zur Debatte um die Auswirkungen des durchschnittlichen IQ innerhalb eines Landes. Diejenigen, die den durchschnittlichen, sozioökonomischen Erfolg oder Misserfolg nicht mit dem IQ in Verbindung bringen (wollen), argumentieren beispielsweise, Erfolg (oder Verhaltensweisen) gründe sich auf »kulturelle« beziehungsweise »historisch gewachsene« Gepflogenheiten. Das ist zwar richtig, klammert aber die Tatsache aus, dass eine Kultur oder Geschichte logischerweise aus dem geistigen Fundament seiner Kulturschaffenden hervorgehen. Beispielsweise waren ein Automobil, ein zweistöckiges Haus oder Menschenrechte nicht einfach »da«, sondern basierten auf notwendigerweise vorausgehenden Ideen, die jemand gehabt und daraufhin konkretisiert haben musste.

Darüber hinaus gibt es eine starke empirische Argumentation gegen den kulturellen Determinismus. »Kultur« bezieht sich aus anthropologischer Sicht auf die Lebensweise einer Gruppe. Es wurde gezeigt, dass genetische Faktoren signifikante Unterschiede in der Lebensweise von Individuen vorhersagen. Zum Beispiel hat sich gezeigt, dass Intelligenz sehr stark mit Vererbung korreliert (0,8). Intelligenz wiederum sagt ein Bildungsniveau von 0,5, ein Einkommen von 0,3 und eine Schulleistung von 0,7 voraus.28 (In der Statistik bezieht sich eine Korrelation auf eine Beziehung zwischen zwei Variablen und dem Grad ihrer Stärke. Wenn demnach die Korrelation 1 wäre, passen die beiden Dinge immer zusammen und wenn sie -1 wäre, dann tun sie es nie. Normalerweise liegen die Korrelationen zwischen 0 und 1. Eine 0,7-Korrelation ist also stark und bedeutet, dass die beiden Variablen häufig zusammengehören.)

Intelligenz ist zudem ein Prädiktor für Gesundheit und Langlebigkeit. Auf nationaler Ebene hat sich gezeigt, dass Intelligenz Entitäten wie Religiosität, Kriminalität, Fruchtbarkeit und politisches Linkstum negativ, hingegen Wohlstand, Gesundheit, das durchschnittliche Bildungsniveau, Hygiene und sogar Glück positiv prognostiziert.29 Tatsächlich hat die Forschung regionale Unterschiede in der Prävalenz verschiedener Formen spezifischer Gene herausgestellt und gezeigt, dass diese regionale Unterschiede in der Kultur betreffen. Wie wir später sehen werden, gibt es eine genetische Grundlage für die Angst vor sozialer Ausgrenzung.

Die konstruktivistischen Theorien werfen darüber hinaus sehr viele Fragen auf. Um ein Beispiel herauszugreifen: Woher kommt »Nationalismus«, wenn er konstruiert ist? Sicherlich wurde er nicht aus dem Nichts erfunden, wie nichts im luftleeren Raum erfunden wird. Dementsprechend muss der ethnische Nationalismus eine Verbindung zu einer alten Vergangenheit haben, die für eine Form des Primordialismus30 spricht. Wenn, wie Barth argumentiert, die Elemente der ethnischen Identität im Wesentlichen willkürlich sind, warum sind sie dann kulturübergreifend relativ ähnlich? Wenn eine (politische) Elite den Massen den Nationalismus aufzwingt, warum tritt er dann manchmal in Form einer Massenbewegung gegen die Elite auf? Auch wenn er in der Tat von denen (an)geführt wird, die die neue Elite werden wollen, sind sie nicht unbedingt die Elite in jeder Hinsicht, sondern im engsten Sinne. Ist es überhaupt nicht möglich, dass die Elite gemeinsame Motive mit den Massen hat und sich nicht nur durch Geld, sondern durch das Wohl ihrer ethnischen Gruppe motivieren lässt? Und, was am wichtigsten ist, wie kann ein kulturdeterministisches Modell die Extreme der Selbstaufopferung erklären, welche die Menschen dazu bringen können, sich für das Wohl ihrer ethnischen Gruppe einzusetzen, was den Einsatz des eigenen Lebens einschließt (zum Beispiel anonym in ein fremdes Land einzufallen), der zu keinem offensichtlichen, wirtschaftlichen Nutzen für ihre Familien führt?

Sicherlich, eine Möglichkeit könnte darin bestehen, dass sie einer »Gehirnwäsche« unterzogen wurden. Dies wirft jedoch die Frage auf, warum selbst soziale Tiere für relativ weit verwandte Mitglieder ihrer Gruppe ihr Leben lassen. Wenn man annimmt, dass wir eng mit dem Schimpansen verwandt sind31, ist eine Theorie unkomplizierter, wenn sie sowohl das Verhalten des Schimpansen als auch des Menschen erklären kann. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Schimpansen sich gegenseitig auf komplexe Weise einer Gehirnwäsche unterziehen können, da ihnen die Fähigkeit zum Sprechen fehlt. Wenn die Nation nur ein Konstrukt ist, das den Massen aufgezwungen wird, warum scheitert es dann, wenn ein Land multiethnisch ist? Diese Länder tendieren dazu, sich in separate ethnische Gemeinschaften zu balkanisieren, die sich oft als unterschiedlich in Bezug auf Blut und Abstammung verstehen.32 Dementsprechend neigen multiethnische Gesellschaften dazu, einen ethnischen Kern zu haben, während andere ethnische Gruppen mehr vom Identitätsgefühl des Landes entfernt sind. In multiethnischen Staaten, in denen die verschiedenen Gruppen auffällig unterschiedlichen Rassen angehören, verläuft diese Aufteilung in der Tat nach rassistischen Gesichtspunkten, wie der finnische Professor Dr. Tatu Vanhanen (1929-2015) ausführlich gezeigt hat (mehr dazu später).

Dieser kurze Einblick in die Problematik des Konstruktivismus soll einerseits die sich in diesem Buch auf die Evolutionspsychologie (beziehungsweise Soziobiologie) gründende Argumentation klar davon abgrenzen, andererseits vorwegnehmen, dass es sich bei dem evolutionspsychologischen Ansatz um den meines Erachtens sowohl wissenschaftlicheren als auch logischeren handelt.

(Bisherige) Kritik an der Evolutionspsychologie kann, wie wir auch noch sehen werden, zufriedenstellend entkräftet werden.

Es handelt sich bei der r/K-Selektionstheorie um eine nützliche und etablierte Heuristik, die – neben den uns in diesem Buch vor allem interessierenden Fortpflanzungsstrategien und deren Folgen – häufig auch zur Erforschung lebensgeschichtlicher Merkmale und sogar auf dem Gebiet der menschlichen Verhaltensökologie verwendet wird.33 Die Theorie bleibt nützlich und aktuell, auch trotz des Umstandes, dass sie bei der Untersuchung von Fortpflanzungsstrategien und Merkmalen von Organismen mitunter durch fallspezifischere Theorien ersetzt wurde, zumal das gesamte Untersuchungsfeld von Merkmalen verschiedener Lebensgeschichten zu einer immens komplexen Disziplin geworden ist.34

Dies ist auf die Notwendigkeit zurückzuführen, die Unterschiede zwischen konkurrierenden Selektionsbelastungen und ihre einzigartigen Auswirkungen innerhalb jeder einzelnen Population und Umgebung anzugehen. Zwar treten an die Stelle des r/K-Modells zunehmend demographische Modelle, die für ihren dichteunabhängigen Ansatz bekannt sind und sich auf die extrinsische Mortalität konzentrieren, doch beziehen diese Modelle viele ökologische Merkmale ein, die durch r- und K-Selektion erfasst wurden und werden, wie dichteabhängige Bevölkerungsregulierung, Verfügbarkeit von Ressourcen und Umweltschwankungen.

Das »r« steht für die (maximale) »reproductive rate« oder auch »rate of reproduction« (Reproduktionsrate) eines Lebewesens, während sich das »K« von dem deutschen Begriff »Kapazitätsgrenze« (capacity limit) ableitet.

Nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika bestehen die politisch-ideologischen Hauptvertreter aus den heute konservativen »Republicans« (auch »Conservatives« genannt) einerseits und den liberalen35 »Democrats« (auch »Liberals« genannt) andererseits. Diese Einteilung lässt sich im Wesentlichen auf den gesamten »Westen« (inklusive Israel) übertragen. Überall existiert dieselbe politische Spanne, ob es sich in Kanada nun um die »Conservative Party«, die »Liberal Party« und die »New Democratic Party« (NDP), in England um »Conservatives« und die »Labour Party« oder in Israel um die nationalkonservative »Likud« und die sozialistische »haAwoda« handelt. Blickt man nach Deutschland, so stellen wir zwar fest, dass sich die im Bundestag bestehende Parteienlandschaft gegenwärtig (2019) durch sechs Fraktionen kennzeichnet, doch lässt sich auch hier die grundsätzliche Einteilung in tendenziell eher bis sehr konservativ (rechts) einerseits sowie sozialdemokratisch/sozialistisch (links) andererseits vornehmen. Es ist kein Zufall, dass sich das gut dokumentierte »Links-Rechts-Spektrum« universell – wie »r« und »K« – durch alle westlichen Gesellschaften des Planeten zieht.

Die r/K-Selektionstheorie bietet einen wissenschaftlichen Ansatz, viele, wenn nicht gar die meisten politisch konnotierten Verhaltensweisen unter Menschen und Tieren (besser) nachvollziehen beziehungsweise verstehen zu können. Sie erlaubt uns, sowohl zivilisatorische als auch kulturelle Entwicklungen – Krieg, Frieden, politisches Gebaren et cetera – vor dem Hintergrund natürlich entstandener Fortpflanzungs- beziehungsweise Reproduktionsstrategien zu begreifen, genauer: sie aus einer biologischen, hormonellen, epigenetischen und genetischen Perspektive nachzuvollziehen, die das Potenzial in sich trägt, Gesellschaftsentwicklungen auf völlig neue Art und Weise verstehen zu können. Dabei wird deutlich werden, dass die beiden politischen Hauptideologien lediglich intellektuelle Auswüchse von vornehmlich zwei Reproduktionsstrategien sind, welche im Bereich der Evolutions- und Soziobiologie seit Jahrzehnten beschrieben werden.

Wie wir aus dem Biologie-Grundkurs noch wissen, bestehen wir aus Desoxyribonukleinsäure (DNS), welche in sich die gesamte Erbinformation lebender Zellen und Organismen (Genom) vereint. Jede genetische Komponente strebt danach, sich zu reproduzieren. Sie haben beispielsweise Mandeln, die Sie vor Bakterien und Viren schützen. Tun die Mandeln das, weil sie besonders nett sind? Kaum. Sie tun es, um uns möglichst gesund zu halten, damit wir wiederum kontinuierlich »jagen«, essen, trinken und uns fortpflanzen können, um somit weitere Mandeln erschaffen zu können. Es gibt schier unzählige solcher Beispiele, die alle darauf hinauslaufen, dass wir bestimmte genetische Komponenten (besser) zu reproduzieren imstande sind. Die Perspektive mag vielleicht etwas seltsam anmuten, dennoch ist sie für den weiteren Verlauf von grundlegender Bedeutung.

Stellen wir uns wie eine Art große Maschine für unsere Körperteile vor, um neue Körperteile zu erschaffen. Die Lunge möchte eine neue Lunge machen, der Nasenflügel einen neuen Nasenflügel und so weiter; jedes Körperteil wird uns, so gut es geht, bei der Möglichmachung behilflich sein.

Jahrzehntelang wurden von Biologen zwei große Reproduktionsstrategien identifiziert, welche sich sowohl in den mitunter anerkanntesten Lehrbüchern36, sehr geachteten, wissenschaftlichen Zeitschriften37 und neueren Studien38 wiederfinden lassen als auch in beinahe allen größeren Biologieseminaren gelehrt werden, zumindest in den USA. Sie, die Biologen, haben erkannt, dass in der Natur zwei unterschiedliche Psychologien existieren. Diese beiden Psychologien wiederum führen jeweils die Organismen, die sie dazu bringen, Verhaltensweisen zu verfolgen, die am wahrscheinlichsten zum Überleben und zur Fortpflanzung führen. Sie werden zwar als Reproduktionsstrategien bezeichnet, sind tatsächlich aber tief verwurzelte Psychologien (daher der Begriff Evolutionspsychologie), welche bestimmen, wie ein Organismus die Welt betrachtet, wie er seine Mitmenschen sieht und wie er sich auf seinem Weg durch das Leben verhält. Die Studie dieser Psychologien wird in der Regel kurzerhand als r/K-Selektionstheorie bezeichnet.

Die r-Strategie impliziert eine Anpassung an exzessiv vorhandene Ressourcen. Wer unbegrenzt über Nahrung verfügt, möchte tendenziell so viele Nachkommen wie möglich haben, da man nur schwerlich verhungert. Man denke beispielsweise an Kaninchen, die sich auf Wiesen aufhalten, deren Gras sich schwerlich erschöpft. (Gleichzeitig ist dadurch die Notwendigkeit des Wettbewerbs weniger bis gar nicht gegeben, im Gegenteil: Wer in den Wettbewerb mit Artgenossen träte, riskierte unnötige Verletzungen oder gar den Tod.) Von daher stellt die r-Strategie bezüglich Nachwuchs Quantität über Qualität. Betroffen sind davon hauptsächlich Beutetiere: Kaninchen, Mäuse, Wild, Insekten, Eidechsen et cetera. Teichfrösche legen bis zu 10.000 Eier, aus denen Kaulquappen hervorgehen. Allerdings sind ihnen diese herzlich egal (bei Hunger werden sie sogar verspeist). Anders ausgedrückt: Sie »investieren« nicht in ihre Nachkommen, sondern produzieren stattdessen schlichtweg unzählige, von denen ein paar Prozent das Erwachsenenalter erreichen werden.

Die K-Strategie auf der anderen Seite impliziert eine Anpassung an knappe Ressourcen. Sofern letztere knapp bemessen sind, muss sich derjenige, der über sie verfügen möchte, arbeitstechnisch richtig ins Zeug legen: Jagen, reißen, fangen, aufbewahren. Von daher stellt die K-Strategie bezüglich Nachwuchs Qualität über Quantität. Es existieren zwar weniger Nachkommen, dafür wird wesentlich mehr Aufwand bei ihrer Aufzucht betrieben, beispielsweise wird ihnen das Jagen beigebracht, sie werden gepflegt, genährt und aufgezogen. K-Spezies tendieren zu sowohl größerem Gehirn als auch größerer Statur, sind komplexer und im Allgemeinen Raubtiere: Löwen, Wölfe, größere Eulen et cetera.

Als weiteres Beispiel, inwiefern sich r- und K-Strategien umweltbedingt in Opposition zueinander begaben, muss man sich laut MacArthur und Wilson unterschiedliche Situationen vorstellen, in denen eine sehr hohe Bevölkerungsdichte die Nahrungsmittelzufuhr pro Kopf auf ein bedenklich niedriges Niveau reduzieren kann (andernfalls gäbe es den entsprechenden Effekt nicht). In einer Umgebung mit niedrige(re)r Bevölkerungsdichte (r-Selektion) würden Genotypen, die die meiste Nahrung (wenn auch verschwenderisch) ernten, die größten Familien bilden und sich am besten anpassen. Eine niedrige(re) Bevölkerungsdichte impliziert weniger Konkurrenz und Bedrohungen. Die Evolution fördere hier die (reine) Produktivität. Auf der anderen Seite gewännen in einem (sehr) bevölkerungsreichen Gebiet (K-Selektion) diejenigen Genotypen, die sich zumindest durch eine kleine Familie auf der niedrigsten Lebensmittelebene ersetzen, also fortpflanzen können, wobei die Nahrungsdichte abnimmt, so dass große Familien nicht ernährt werden können. Die Evolution begünstige hier die effiziente Umwandlung von Lebensmitteln in Nachkommen – es dürfe keine Verschwendung geben.39Die fünf Haupteigenschaften beider Strategien lassen sich schematisch gegenüberstellen (siehe Abbildung 3). Unabhängig davon, wie jemand die impliziten und expliziten Schlussfolgerungen dieses Buches bewerten mag, so kann nicht geleugnet werden, dass sich jeder, der sie ablehnt, der Tatsache stellen muss, dass sich die r/K-Selektionstheorie um fünf wesentliche Verhaltensweisen dreht, während die beiden vorherrschenden, politischen Ideologien und Weltanschauungen »zufällig« um exakt dieselben fünf Angelegenheiten kreisen. Diese fünf Bereiche – Einstellung gegenüber (freiem) Wettbewerb beziehungsweise die damit verbundene Aggression oder Verteidigung, Promiskuität versus Monogamie, Kindererziehung mit hohem oder niedrigem »Investitionsaufkommen« (Aufwand), die Sexualisierung des Nachwuchses sowie die Bindung (Loyalität) gegenüber der eigenen Gruppe – bilden das geistige Fundament beider. Egal, welche Argumente Gegner vorbringen werden, egal wie sie versuchen werden, diese Einsicht zu verwerfen, kaum einer wird sich, so meine Prognose, mit diesen simplen fünf Merkmalen oder ihrer Präsenz, sowohl in Ideologien als auch in Fortpflanzungsstrategien, auseinandersetzen. Schlimmer noch, Gegner müssen sich mit dem Umstand konfrontieren, dass ein historischer Rückblick zeigt, dass jede Ideologie in einer Gesellschaft unter den jeweiligen Bedingungen entstehen wird, mit denen sie konfrontiert wird. Bieten sich ihr reichlich Ressourcen sowie ein hoher Grad an Erfolg, wird sie spontan »linke Trends« entwickeln. Sind Ressourcen eingeschränkt und beobachtet man ferner, wie konfrontative, aggressive Psychologien zutage treten, so wird sich das Linkstum sukzessive zurückziehen und stattdessen werden »rechte Trends« aufsteigen.

r-Strategie

K-Strategie

Aversion gegen Wettbewerb

Affinität zum Wettbewerb

Sexuelle Freizügigkeit

Verzögerte, monogame Sexualität

Geringer Aufwand bezüglich Aufzucht von Nachkommen, sehr häufig alleinerziehende Elternschaft

Hoher Aufwand bezüglich Aufzucht von Nachkommen, in der Regel mit zwei Elternteilen

Frühe sexuelle Reife und Aktivität

Späte sexuelle Reife und Aktivität

Geringe Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe/Sippe (→ geringe Ingroup-Präferenz, dafür Outgroup- Präferenz)

Hohe Loyalität gegenüber der eigenen Gruppe/Sippe (→ hohe Ingroup-Präferenz)

Abbildung 3:

Später (2.2.3) wird darüber hinaus Beweismaterial vorgelegt werden, wonach im Menschen ein Gen existiert, von dem dokumentiert ist, dass es an der Entwicklung einer stärker entwickelten, r-selektierten Verhaltensstrategie beteiligt ist. Es wird gezeigt werden, inwiefern dieses Gen bei der Aneignung einer linken politischen Ideologie beteiligt war; zudem wird der geneigte Leser erfahren, wie die Forschung, welche die Verhaltenseffekte dieses Gens (außerhalb des politischen Bereichs) untersucht, jenes insofern beschreibt, dass es aus einer r-selektierten Umgebung einen Vorteil ziehen würde. (Für jeden vernünftigen Leser wird es unmöglich sein, die Beziehung zwischen der gut dokumentierten r/K-Selektionstheorie, der ebenfalls mehr als gut und reichlich dokumentierten Natur politischer Ideologien sowie den substanziellen, wissenschaftlichen Belegen für eindeutige biologische Verknüpfung zu leugnen.)

Der Evolutions- und Kulturanthropologe Prof. Dr. Agner Fog von Dänemarks Technischer Universität (DTU) schreibt über die r/K-Selektion:

»Wenn eine Art unter Bedingungen lebt, in denen die Ressourcen reichlich vorhanden sind, so dass sich gute Expansionsmöglichkeiten bieten, aber auch erhebliche Gefahren wie Raubtiere bestehen, wird es sich für diese Art auszahlen, dass sie die meisten Ressourcen so schnell wie möglich in die Zucht (breeding) investiert und dabei wenige Ressourcen für jeden einzelnen Nachkommen verwendet. Dies wird als r-Selektion bezeichnet. Das r ist das mathematische Symbol für die Reproduktions-rate (rate of reproduction). Durch die r-Selektion wachsen kleine Organismen schnell und bringen schnell Nachkommen hervor. Beispiele sind Mäuse und Insekten.

Das Gegenteil von r-Selektion ist K-Selektion. Dies geschieht, wenn eine Art in einer überfüllten Umgebung lebt, in der die Bevölkerung eher durch die verfügbaren Ressourcen als durch Prädation begrenzt ist. Das große K ist ein mathematisches Symbol für die Tragfähigkeit, das heißt die maximale Anzahl von Individuen, die die Ressourcen in einem bestimmten Lebensraum kontinuierlich aufrechterhalten können. Die K-Selektion führt zur Entwicklung von großen Tieren, die langsam brüten, die gegebenen Ressourcen optimal nutzen und die einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen in die Pflege und Aufzucht ihrer spärlichen Nachkommen investieren. Würden sich die Tiere unter solchen Bedingungen massiv vermehren, verfügten sie nicht über ausreichend Ressourcen, um jedes Junge zu ernähren, und sie könnten ihren Lebensraum bis zu einem Punkt überstrapazieren, da die Ressourcen erschöpft sind. K-Selektion findet man bei den Tieren, die sich als letzte in einer Nahrungskette befinden, wie Wale, Elefanten und Menschen.«40

Für ein Habitat ist es von daher überlebensnotwendig, dass ein natürliches, das heißt »gesundes« Gleichgewicht zwischen Jägern und Gejagten besteht. Würden grundsätzlich alle Rehe und Hirsche den Wölfen davonrennen können, verhungerten letztere und stürben schließlich aus, auf dass sich erstere ohne jeden Widerpart vermehrten. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Ressourcen ihrer Umwelt irgendwann aufgebraucht wären und das Wild vor Hunger stürbe. Der Umstand, dass Teile des Wilds gerissen werden, ist essenziell für das langfristige Überleben der Wildpopulation.

Kaninchen vermehren sich insbesondere deshalb sehr schnell, da das Konsumieren von Gras sehr einfach zu bewerkstelligen ist. Es ist in der Regel in Hülle und Fülle vorhanden, muss nicht verfolgt, gejagt, erkämpft oder Artgenossen abgerungen werden. Kaninchen können Gras, so man will, quasi direkt in Nachkommen »transformieren«. Ein Wolf hingegen hat im Vergleich nur wenige Nachkommen, denen er unter anderem beibringen muss, Kaninchen erfolgreich zu jagen; angesichts des Umstandes, dass Kaninchen sehr flink und schnell sind, stellt dies wiederum eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe dar.

Der Wolf benötigt mehrere Fähigkeiten, von denen die Kooperation untereinander nur eine ist. Es ist wie bei Schakalen, die gemeinsam Gazellen jagen: Einige warten, andere treiben die Gazellen zusammen beziehungsweise zu den Wartenden, welche wiederum aus ihren Verstecken springen und so weiter. All dies erfordert Kooperation, Teamwork, Rudelmentalität und nicht zuletzt einen gewissen Grad an Intelligenz. Diese Fähigkeiten ermöglichen es den Wölfen, komplexe Jagdstrategien zu entwickeln, die auf das Verhalten ihrer Beutetiere abgestimmt sind. Besonders bemerkenswert ist dabei die Fähigkeit der Wölfe, nicht nur auf visuelle, sondern auch auf akustische Signale ihrer Rudelmitglieder zu reagieren, was die Effizienz ihrer Jagd erhöht. Das unkomplizierte Konsumieren von Gras oder Blättern hingegen erfordert nichts davon. Stellen Sie sich eine Wiese mit genügend Nahrung für 100 Kaninchen vor. Wölfe halten die Kaninchenpopulation bei 30, wobei Kaninchen immer wieder getötet werden und sich nicht gegen eine Wolfsattacke wehren können.

Jedes Kaninchen, das sich mit der Fortpflanzung Zeit lässt, riskiert, aufgefressen zu werden, ohne Nachkommen produziert zu haben. Die natürliche Auslese bevorzugt demzufolge eine möglichst frühe und häufig vollzogene Fortpflanzung. Wettbewerb zwischen Kaninchen macht keinen Sinn, da der Grenzfaktor für sie nicht aus begrenzter Nahrung, sondern aus Wölfen besteht. Kaninchen konkurrieren auch nicht mit den Wölfen, geschweige denn, dass sie sie attackieren. Stattdessen haben sich Kaninchen darauf spezialisiert, ihre Überlebensstrategien auf Flucht, Tarnung und schnelle Fortpflanzung auszurichten, um den permanenten Druck durch Raubtiere wie Wölfe zu kompensieren. Frisst Kaninchen A das Futter, das Kaninchen B möchte, läuft B kurzerhand zu einer anderen Futterstelle.

Da Konkurrenz und Verteidigung also völlig nutzlos sind, ist es sinnvoll, wenig in die Aufzucht des Nachwuchses zu »investieren« – demzufolge wandeln r-Spezies Ressourcen so schnell und so oft wie möglich in Nachwuchs um, wobei Männchen ihre Weibchen zugunsten von Promiskuität, also sexueller Freizügigkeit, verlassen. Was sollten sie ihren Jungen auch beibringen? Vor Wölfen zu fliehen und Gras zu fressen?

Ebenso wenig hat eine Rudelmentalität beziehungsweise Ingroup-Loyalität irgendeinen Wert, da Gras weder gejagt noch umzingelt oder getrieben werden muss. Tatsächlich ist sogar eine Warnung vor einer Rudelmentalität genetisch inhärent, da Wölfe nicht bekämpft werden können. Wird ein Artgenosse gefressen, muss das andere Kaninchen davonrennen. Es existieren bestimmte Begebenheiten, die Druck auf die r-Selektion ausüben beziehungsweise die r-Selektion bedingen, so beispielsweise

Ø ein früher Tod. Je früher der Tod im Allgemeinen eintritt, desto schneller möchte man seine Entwicklung voranbringen (frühe und häufige Paarung).

Ø eine Zufallsumwelt. Je zufälliger die Umwelt um einen herum ist (das Kaninchen weiß nicht, wo Fuchs und Wolf lauern), desto mehr r-Selektionsdruck wird es geben.

Ø eine in Relation zu den vorhandenen Ressourcen verringerte Populationsdichte (siehe obiges Wiesenbeispiel).

Ø Abwesenheit von Konkurrenzdruck.

Alles zusammen produziert Tiere wie Kaninchen: fügsam, schwach, vor Gefahr fliehend, viele unterschiedliche Sexualpartner, alleinerziehende Mütter, keine sexuellen Beschränkungen und keine Ingroup-Präferenz oder -Priorität. Wölfe dagegen sind in ihrer Sexualität selektiv, monogam, betreiben viel Aufwand bei der Aufzucht der Jungtiere, widerstehen frühem Paarungsverhalten und konkurrieren innerhalb von Rudeln, wobei es klare Regeln gibt.41

Entsprechend anders sehen die Begebenheiten aus, die Druck auf die K-Selektion ausüben. Zunächst einmal gibt es wesentlich weniger Beutetiere als Pflanzen, was bedeutet, dass sich die Nahrungsbeschaffung, zum Beispiel für Wölfe oder Löwen, schwieriger darstellt als für Kaninchen. Ferner führte ein exzessives Paarungsverhalten zu Entkräftung, Hunger und schließlich Hungertod. Von daher legt die Art der Auswahl des Wettbewerbs die Reproduktionskapazität fest. Da Jagen wesentlich komplexer als Grasen ist, dienen den Jägern bestimmte Fähigkeiten (nicht der Beute). Promiske Wölfe, die kaum in ihren Nachwuchs »investieren«, werden deshalb verdrängt; und die Wölfe, die starken Aufwand bei der Aufzucht ihres Nachwuchses betreiben, wollen sicher gehen, dass es sich auch um ihren eigenen Nachwuchs handelt. Von daher bevorzugen sie eine Kombination aus Monogamie, hochwertigen Partnern und anspruchsvoller(er), gemeinsamer Elternschaft. Potenzielle Partner müssen ihren Wert beweisen (Jagen, Töten, Nahrungsbeschaffung), von daher wird Sexualität bis zum Zeitpunkt der größtmöglichen Fitness aufgeschoben. Somit produziert die K-Selektion Rudel mit einer starken Loyalität gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gruppe, was als Ingroup-Präferenz bezeichnet wird. Diese macht sich unter anderem auch dadurch bemerkbar, dass Todesopfer aus den eigenen Reihen betrauert werden, während hingegen r-selektierte Beutetiere kaum bis gar keine Trauer gegenüber Gruppenmitgliedern zeigen. K-selektierte Tiere sind grundsätzlich größer und komplexer. Die r-Selektion gründet sich nicht auf Komplexität, sondern ist inhärent dysgenisch und widersteht Fortschritt – wir erinnern uns: Quantität über Qualität.

2.1.2 K und die Menschheit

Es sei zunächst gesagt, dass sich Strategien nicht nur evolutionsbedingt verändern können, sondern auch anhand der Entscheidungen, die von einer Spezies getroffen werden (sofern sie getroffen werden können). Wir verloren beispielsweise unser Fell, was uns auch in den heißen Regionen der Welt ausdauerndes Jagen und Rennen ermöglichte, da uns während des Rennens stets eine Brise abkühlte.

Wir konnten somit theoretisch solange einem Beutetier nachrennen, bis es vor Hitze kollabierte. Des Weiteren ermöglichte uns der aufrechte Gang ein beträchtliches Wachsen unseres Gehirns. Wenn man auf allen Vieren läuft, sind in erster Linie Rücken und Hinterteil der Sonne ausgesetzt. Läuft man hingegen aufrecht, bietet man der Sonne weniger Fläche, die sie bescheinen kann, was zur Folge hat, weniger körpereigenes Wasser zum Kühlen des sich nun weniger aufheizenden Körpers zu benötigen; und dies wiederum hat zur Folge, dass mehr Wasser und Energie für unser mit Abstand aufwendigstes Organ zur Verfügung stehen: dem Gehirn.

Durch den Verlust unseres Fells wurden wir zu besseren, das heißt klügeren Jägern, die im Laufe der Zeit mehr und mehr Werkzeuge verwendeten und nach und nach viele Gebiete dominierten, nachdem wir so viel Nahrung beschaffen konnten, wie wir wollten. Nach und nach gelangten wir erstens in eine Situation geringer Prädation, zumindest innerhalb der eigenen Sippe, und zweitens in eine Situation hoher Ressourcenverfügbarkeit, was den idealen Nährboden für die r-Strategie legte, demzufolge sehr viele Nachkommen gezeugt wurden. Irgendwann wurden hierbei allerdings, sowie die maximale Tragfähigkeit der jeweiligen Umgebung erreicht war, die Ressourcen knapp, sprich Beutetiere. Das führt(e) zu mehr Konflikten untereinander und Menschen begannen/beginnen, sich gegenseitig zu jagen und zu berauben. Somit wich/weicht die r-Selektion nach und nach der K-Selektion, wobei viele »r« – den Kampf scheuend – flohen/fliehen.

Im Laufe der Zeit entwickelt(e) sich diese Strategie, oder besser: es trat neben einer genetischen eine epigenetische Komponente hinzu, worunter man das Aktivieren oder Deaktivieren spezieller Gene versteht, was durch umweltbedingte Reize ausgelöst wird. Sich verschiedenen Umgebungen in Echtzeit anzupassen, war/ist offensichtlich effektiver oder »besser«, als auf generationenübergreifende Veränderungen zu warten.

Die r-Sippen oder -Stämme flohen also aus ressourcenschwachen Umgebungen, jedoch nur, um wiederum in ressourcenarme Umgebungen zu gelangen, die allerdings nicht aufgrund von Sippen- und Stammeskonkurrenz ressourcenschwach waren, sondern wegen der dortigen Natur selbst (und deshalb niemand dort lebte beziehungsweise leben wollte). Als Folge davon wurde das K aktiviert. Menschen begaben sich zum Beispiel nach Europa, unter anderem England, Irland und Schottland, aber auch in nördliche Länder und sogar nach Sibirien. Geboren waren neue Herausforderungen; nunmehr nicht in Form von Sippen- und Stammeskonkurrenz, sondern in Form des brutalen europäischen Winters.

Als geflohene r-Menschen gerieten sie in eine Situation, in der sie sich zwangsläufig nicht nur sowohl den erfolgreichen Umgang mit Saatgut als auch das Züchten von Tieren aneignen, sondern auch die Erziehung von Kindern, also das Übertragen von Wissen und Fähigkeiten, bewerkstelligen mussten. Mit anderen Worten musste nun enormer Aufwand bei der Aufzucht des eigenen Nachwuchses betrieben werden, um sicher gehen zu können, dass aus ihm gute Bauern und Viehbestand-Manager hervorgehen, die nicht zu früh sterben, Dinge reparieren können, nicht das Saatgut während des Winters essen und so weiter. All dies erfordert(e) Arbeitsteilung. Der Eine kümmert(e) sich um Getreide, der Andere um Schweine, der Übernächste um Milch et cetera. Dabei mussten/müssen alle miteinander Handel treiben.

Am Ende erreicht(e) man ein auf Kooperation basierendes Selbstbewusstsein sowie Win-Win-Verhandlungen. Soziale Regeln wurden dabei nicht mittels Gewalt durchgesetzt, sondern mittels Ausgrenzung oder Verbannung. In der griechischen Antike nannte man solch Handhabe auch »Ostrazismus« (Scherbengericht). Ein druckvolles Sozialgefüge verurteilt(e) ausgegrenzte Individuen nicht zum physischen Tod, sondern zum »Gentod«. Wenn beispielsweise männliche Störenfriede und Unruhestifter ausgeschlossen werden, trennt man sie von den Eierstöcken der Frau; sie pflanzen sich nicht fort und sterben den »Gentod«. Genau aus diesem Grund fürchten sich Menschen vor Ausschluss oder Ausgrenzung. Durch letztere werden dieselben Hirnareale »getroffen« und derselbe Schmerz verursacht wie bei physischer Folter.42 Gesellschaften solcher Art benötigen viel Kooperation und hegen sehr strenge, soziale Regeln, zu denen mitunter der Akt beziehungsweise die potenzielle Gefahr des Ausschlusses zählt. Der seriöse Umgang hinsichtlich Pflanzen und Vieh erfordert(e) die Aufschiebung des Konsums, zudem intensives Planen und erneut Kooperation. Fügsamkeit, Gelehrigkeit und ein überlegter Einsatz von Energie wurden beziehungsweise werden verpflichtend, gleichsam aber auch eine Art »Bürde«. Wurde/Wird all dies bewerkstelligt, so transformiert(e) sich im Laufe der Zeit, wenn man so will, die einstmals gejagte und geflohene r-Spezies in eine Jäger-K-Spezies.

Der in dem Feld komplexer Systeme forschende, belgische Kybernetiker Prof. Dr. Francis Heylighen von der Freien Universität Brüssel hatte 2004 zusammen mit dem belgischen Onkologen und Medizinprofessor Dr. Jan L. Bernheim eine Arbeit mit dem Titel »From Quantity to Quality of Life: r-K selection and human development« veröffentlicht. Darin heißt es (Hervorhebung von mir):

»Die Wahl zwischen den beiden Strategien hängt von früher Erfahrung ab: Menschen, die in einer stressigen Umgebung aufgewachsen sind, weisen typische r-Merkmale auf, wie zum Beispiel frühe und viele sexuelle Kontakte, große Familien, Risikobereitschaft und kurze Lebenserwartung; in einer sicheren Umgebung haben sie normalerweise eine geringere Fruchtbarkeit und eine höhere Lebenserwartung und investieren in langfristige Vorteile wie Bildung. Eine sozioökonomische Entwicklung mit einem sie begleitenden, demografischen Wechsel und das Bestreben, die Lebensqualität zu maximieren, kann als eine Verschiebung von einer r- zu einer K-Strategie durch die Menschheit betrachtet werden. (...) Auch innerhalb einer Spezies gibt es einen Variationsspielraum innerhalb des r-K-Kontinuums. Zum Beispiel entdeckten Forscher zwei Arten derselben Opossum-Spezies, von denen eine auf dem Kontinent lebt und sich von Raubtieren bedroht sieht, die andere auf einer Insel, auf der ihr Leben sicherer ist. Es stellte sich daraufhin heraus, dass die Inselversion selbst in Gefangenschaft länger lebte und weniger Nachwuchs hatte – das heißt mehr einer K-Strategie folgte – als ihr Vetter auf dem Festland.«43

Anhand dieser Arbeit sowie anhand der Arbeiten44 des amerikanischen Herpetologen und Evolutionsökologen Prof. Dr. Dr. Eric Rodger Pianka und Prof. Dr. Edward Osborne Wilson lassen sich die Organismen zusammenfassend gegenüberstellen (siehe Abbildung 4). Es mag radikal klingen, aber es ist, wie auch anhand aller noch folgenden Kapitel deutlich werden wird, beinahe so, als handle es sich um zwei unterschiedliche Spezies, die unvereinbar miteinander sind. Sowohl K- als auch r-Strategen können das jeweils andere Verhalten aufgrund ihrer eigenen genetischen Disposition kaum bis gar nicht nachvollziehen. Laut Heylighen und Bernheim müssen r- und K-Strategien nicht vollständig in den Genen (also von Natur aus) festgesetzt sein oder festgelegt werden. Sie können durch frühe Erfahrungen epigenetisch geformt werden. Da sich das Umfeld in Bezug auf die Tragfähigkeit und den Risikograd oder die Unberechenbarkeit im Laufe von Generationen verändern kann, sei es nützlich, dass ein Organismus seine Strategie an die aktuelle Situation anpasse. Dies könne insbesondere für Menschen gelten, die sich allgemein durch eine enorme Anpassungsfähigkeit auszeichnen. Wir verfügen nicht nur über Genetik und Epigenetik (mehr dazu unter 2.2.3), sondern auch Neuroplastizität, worunter man im Allgemeinen die Eigenschaft von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen versteht, sich in Abhängigkeit von ihrer Verwendung zu verändern oder auf Basis von neuen Informationen umzuprogrammieren. Je nach System spricht man zum Beispiel auch von »synaptischer Plastizität« oder »kortikaler Plastizität«. Das bedeutet, dass das Gehirn eines Erwachsenen kein starr festgelegtes, fix verdrahtetes Organ, sondern bis ins hohe Alter veränderbar ist. Neue Erfahrungen und Eindrücke verändern die Architektur des Gehirns, bauen Verbindungen zwischen den Nervenzellen aus und lassen neue entstehen, wobei Brücken zu vorhandenem Wissen geschlagen und wenig oder ungenutzte Verbindungen abgeschwächt werden. Ohne neuronale Plastizität wäre Lernen nicht möglich.45 Solche epigenetischen, biologischen Effekte und Wirkungen können durch Hormone herbeigeführt werden, deren »Levels« von der Erfahrung (und der Umgebung) abhängen.46

r-Organismen

K-Organismen

Kurze Lebenserwartung

Lange Lebenserwartung

Klein

Groß

Schwach/verletzlich

Robust/gut geschützt

Schnelle Reifung

Langsame Reifung

Erhöhte physische Risikobereitschaft

Abneigung gegenüber physischen Risiken

47

Opportunistische Verwerter

Konsistente Verwerter

Weniger intelligent/erfahren

Intelligenter/erfahrener

Starker Sexualtrieb

Schwacher Sexualtrieb

Fortpflanzung in (sehr) jungem Alter

Fortpflanzung in gehobenerem Alter

(Sehr) viele Nachkommen

Wenige Nachkommen

Kleine relative Größe bei der Geburt

Große relative Größe bei der Geburt

48

Wenig Sorge für/um den Nachwuchs

Viel Sorge für/um den Nachwuchs

Variable Populationsdichte

Stabile Populationsdichte

Abbildung 4:

Dabei eignen sich r-Strategien am besten in einer gefährlichen, unkontrollierbaren Umgebung, in der das Überleben bis ins Erwachsenenalter kaum gewährleistet ist. Eine solche Umgebung erzeugt Stress, der zur Freisetzung von Glukokortikoid-Hormonen wie dem Stresshormon Kortisol führt.49 Eine gestresste, schwangere Frau kann demnach zunächst einen gestressten Fötus und schließlich ein gestresstes Baby haben. Daher können wir erwarten, dass Kinder, die chronisch hohen Mengen an Stresshormonen ausgesetzt sind, dazu getrieben oder »programmiert« werden, sich zu r-Strategen zu entwickeln, welche auf eine schnelle Fortpflanzung und nicht auf eine langfristige Reifung abzielen.

Biologisch kann dies erreicht werden, indem die Sexualhormone erhöht werden: Testosteron bei Männern, Östrogen bei Frauen. Dies führt zu früher sexueller Reife, einem starken Sexualtrieb, der Tendenz zu Aggressivität und Risikobereitschaft bei Männern und zu hoher Fruchtbarkeit bei Frauen. Negativ schlägt dabei zu Buche, dass hohe Levels an Sexualhormonen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit, an Herzkrankheiten und Krebs zu leiden, einhergehen, folglich mit einer kürzeren Lebenserwartung.

2.1.3 Bindungsstörung/Stress und die Folgen

Nach der bekannten Theorie des britischen Kinderarztes, Kinderpsychiaters und Psychoanalytikers Dr. John Bowlby (1907–1990), der als Pionier der Bindungsforschung gilt, ist die unsichere Bindung an die Mutter eine Hauptursache für Stress in der Kindheit.50 Diese kann sich zum Beispiel dadurch äußern, als Kind nicht zu wissen, ob die eigene Mutter für einen da ist, nicht zu fühlen, dass sie, wenn es Unterstützung braucht, zuverlässig ist, nicht zu fühlen, dass ihr Verhalten vorhersagbar ist und/oder wenn ihm von einer (ängstlichen) Mutter nicht gestattet wird, die Welt auf eigene Faust zu erkunden und dadurch Autonomie zu entwickeln. Während solche mütterliche Vernachlässigung oder Überfürsorge an sich schon anstrengend ist, deutet dies darüber hinaus wahrscheinlich auf eine gefährliche, äußere Umgebung hin, welche die Mutter entweder zu stark beansprucht, um Energie für die Pflege ihres Kindes zu haben, oder so riskant ist, dass sie ihrem Kind keine Autonomie gewähren kann. (Gefährliche, äußere Umgebungen bewirken in Kindern r-artige, epigenetische und hormonelle Anpassungen.51)

Mangelnde Aufmerksamkeit für das Kind kann auch bedeuten, dass die Mutter zu viele andere Kinder hat, um die sie sich kümmern muss, was selbst ein Anzeichen für eine r-selektierte Situation ist. Später wird es auch darum gehen, dass die Abwesenheit eines Vaters in einem Haushalt sofortiges »r-Karma« mit sich bringt, da die Abwesenheit eine r-selektierte Fortpflanzungsstrategie impliziert. Dies wiederum führt dazu, dass Mädchen, die ohne Vater aufwachsen, früher geschlechtsreif sind, früher und häufiger ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, sprich das tun, was Mutter Natur festgelegt hat.

Heylighen und Bernheim konstatieren, dass zu den weniger unmittelbaren Ursachen von Stress in der Kindheit sexueller, körperlicher oder emotionaler Missbrauch, Unterernährung, Krankheiten, das Leben in Armut, in einem Ghetto oder in einem Kriegsgebiet zählen. All dies könne als Signal für das Hormonsystem angesehen werden, um Körper und Gehirn darauf vorzubereiten, ihre Energie in die kurzfristige Fortpflanzung zu investieren und langfristige Ziele zu vernachlässigen.52 Ein hohes Niveau an Stresshormonen hemmt die Entwicklung verschiedener Gewebe und insbesondere der Hippocampus-Region im Gehirn, welche für die Festigung der Erinnerungen und damit für den Erfahrungsaufbau verantwortlich ist, mehr noch für die Kapazität, zukünftige Konsequenzen aus dem gegenwärtigen Verhalten einschätzen, ableiten und vorhersagen zu können.